AUFBRUCH

Sie waren alle angetreten, die Männer – nicht einer fehlte. Gerüstet standen sie vor Anna Elisabeths Haus, hielten sich sogar in einer gewissen Ordnung, wie es sich für eine Truppe gehört. Hannes Rebmann, der einvernehmlich der Hauptmann sein sollte, hatte sich für die Reise in seinen langen Wetterumhang gehüllt, denn der Himmel war heute von undurchdringlich dichten Wolken verhüllt, aus denen stetig feine und feinste Tröpfchen niederrieselten.

Anna Elisabeth, die in der Tür stand und zusah, wie Hannes und dieser Konrad letzte Anweisungen an die Männer ausgaben, empfand einfach nur Kälte. Sie fror bis ins tiefste Innerste – daran konnte selbst das wollene Umschlagtuch, das sie sich um die Schultern geworfen hatte, nichts ändern.

Matthias’ Kinder waren voller Angst, wenigstens die Kleinsten. Besonders das Mariechen schluchzte so sehr, dass seine dünnen Schultern regelrecht geschüttelt wurden. Es hatte sich an Anna Elisabeths Knie angeklammert und blickte mit nassgeweintem Gesichtchen zu ihr auf. »Wohin geht der Vater?«, fragte es zitternd. »Kommt er jetzt nie mehr wieder?«

»Doch«, versuchte Anna Elisabeth zu trösten, »in ein paar Wochen ist er bestimmt wieder da, Schätzchen – und er bringt dir vielleicht sogar was Schönes mit.«

Das Kind machte ein zweifelndes Gesicht. Die ältere Schwester Gertrud antwortete statt seiner. »Meinst, Annelies? Aber er hat doch gesagt, er zieht in den Krieg gegen die großen Hansen ...«

»Wer sind denn die großen Hansen?« Mariechen war von seinem Kummer abgelenkt und wischte sich mit ihrer kleinen, schmuddeligen Faust über die Augen.

Der Michel erklärte. »Das sind die, denen wir immer so viel abgeben müssen«, sagte er mit ernster Miene. »Aber bald kriegen sie nichts mehr. Dann behalten wir alles selbst und essen es auch selber auf.«

Diese Aussicht begeisterte das Mariechen aufs Höchste. Es wollte eine freudige Erwiderung von sich geben, doch Jakob Rohrbachs Werber war erschienen und hatte sich vor den angetretenen Bauern aufgestellt. »Männer«, rief er volltönend, »nun ist der Tag endlich gekommen, auf den wir alle gewartet haben. Wenn wir nun auf den Marsch gehen, lasst keine Müdigkeit noch Mattigkeit euch hemmen. Wir werden siegen – daran wollen wir keinen Augenblick zweifeln. Denn Gott ist mit uns.«

»Und zum Teufel mit den Schandpfaffen und Raubherren!«, schrie der Schmiedejörg.

»Denen tränken wir’s ein«, ergänzte der Schweineheinz, der sich zum Aufwärmen bereits einen großen Krug Bier die Gurgel hinuntergeschüttet hatte und etwas lallte. »Die kriegen ihr Teil ... und mehr noch, als sie haben wollen!«

Einige der Angetretenen lachten. Der Schmiedejörg grinste hämisch. »Ich weiß auch schon, was ich mit dem ersten Edelfräulein mache, das mir unbewacht in die Finger gerät«, sagte er und zwinkerte den Schweineheinz an.

»Sicher dasselbe, was dieser Drecksjunker mit deiner ältesten Tochter gemacht hat«, kicherte der.

»Nur, dass meine Tochter nichts dagegen hatte«, sagte der Schmiedejörg. »Meine Alte war diejenige, die sich wehren wollte ...«

Konrad der Werber hob den Arm. »Voraus also, Brüder«, rief er, »und nicht gezaudert. Im nächsten Kirchdorf stoßen drei Mann zu uns, die Arkebusen besitzen und sie auch abfeuern können.«

»Sind das die kleinen Geschütze aus der Klostervogtei?«, wollte Hannes Rebmann wissen.

»Richtig«, erwiderte Konrad der Werber. »Drei der Klosterknechte sind dem Vogt davongelaufen und zu uns gestoßen. Sie haben ihre Waffen mitgebracht.«

»Warum überfallen wir dann nicht einfach die Vogtei noch einmal und holen uns auch die restlichen Feuerwaffen?«, fragte der Schweineheinz. »Ich glaube sogar, im Kloster gibt es so manche Dinge, die wir gut gebrauchen könnten.«

»Wir werden sehen«, sagte Konrad.

Hannes Rebmann trat auf Anna Elisabeth zu. »Nun geht es ans Abschiednehmen«, sagte er und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Aber nimm’s nicht so schwer, Schätzle. Bis zur Hochzeit ist alles wieder gut ... !«

Er zwinkerte ihr übertrieben lustig zu. Anna Elisabeth sah eine Träne in seinem Augenwinkel. »Ich weiß, es hat keinen Zweck, dich das zu fragen, Hannes«, sagte sie, »aber willst du es dir nicht doch noch einmal überlegen? Schau, es kommt mir vermessen vor, gegen adlige Herren in den Kampf zu ziehen, und...«

»Hast du denn nicht zugehört?«, fiel ihr der Hannes ins Wort. »Wir haben das Recht auf unserer Seite. Und darum gehört uns auch der Sieg. Es kann gar nicht anders kommen!« Er heftete den Blick seiner hellblauen Augen fest auf ihr Gesicht. »Du musst an unsere Sach glauben, Annelies«, fügte er hinzu. »Wenn der Kampf gewonnen ist, können wir umso glücklicher miteinander sein.«

Anna Elisabeth wollte sich von ihm abwenden, aber es gelang ihr nicht – nicht in diesem Augenblick. »Ich wünsch dir, dass es euch gelingt, Hannes«, sagte sie mit einem halbherzigen Lächeln. »Aber vernünftig kommt mir das, was ihr tun wollt, nicht vor. Besser wär’s, wenn ihr warten würdet, bis die Verhandlungen –«

»Alle Verhandlungen sind gescheitert«, knurrte Hannes, während er sich unwillig die Augen wischte. »Es gibt keinen anderen Weg.«

Anna Elisabeth wusste nicht, was sie darauf noch antworten sollte. »Leb wohl also«, sagte sie. »Pass auf dich auf, Hannes.«

Er starrte sie an. Dann schluckte er schwer. »Darf ich dir einen Abschiedskuss geben?«, fragte er mit rauer Stimme.

Anna Elisabeth nickte. Doch sie erwiderte seine linkische Umarmung und den hölzern auf ihre Lippen getupften Kuss nicht. Er bemerkte das. Seine Augen suchten ihren Blick. »Zürn mir doch nit so, Annelies«, bat er. »Ich schwör dir’s: wenn wir Mann und Frau sind, sollst du nie mehr Grund zur Klage haben. Aber jetzt musst halt noch einmal ...«

Er wusste nicht weiter.

»Schon gut«, sagte Anna Elisabeth sanft, »es liegt nicht an dir, wenn ich heute schlechter Stimmung bin. Gefahrlose Reise wünsch ich dir, Hannes.«

Aber er war hellhörig geworden. »Woran liegt es dann?«, wollte er wissen, ohne auf ihren letzten Satz einzugehen.

Sie zögerte mit der Antwort. »Es bleibt so vieles zu klären«, sagte sie schließlich, »das macht mir üble Laune.«

Hannes gab sich zufrieden. »Pass auf, Schätzle«, lächelte er sie an, während er nach ihrer Hand tastete, »wenn ich heim- kehr, regelt sich das mit unserer Hochzeit ganz von allein. Brauchst dich nit zu sorgen so lange. Verstehst?«

Anna Elisabeth nickte und wusste nicht, in welche Richtung sie seinem Blick ausweichen sollte.

»Versprich, dass du nit mehr grübeln willst!«, forderte Hannes.

Sie nickte noch einmal. Er umarmte sie, diesmal so, wie er das früher getan hatte – heftig, stürmisch, bäurisch und herzlich. »Nun lach wieder – und wink mir nach, wenn wir abziehen«, sagte er. Dann trat er neben Konrad, den Werber des Wirts von Böckingen. Der hob den Arm und gab das Zeichen. Mit entschlossenen Mienen, bei jedem Schritt fest aufstampfend, marschierten die Männer des Dorfes davon. Ihre Frauen und Kinder blieben am Wegesrand zurück. Nur wenige der Zurückgelassenen schauten hoffnungsvoll drein; auf den meisten alten oder jungen Gesichtern spiegelten sich Sorge und die Furcht vor dem Ungewissen.

»Möge Gott sie schützen«, murmelte Matthias’ Vater, ein uralter Mann, von dem keiner genau wusste, wann er geboren war, »möge Er gnädiglich seine Hand über sie halten, dass sie gesund heimkehren ...«

 

Albrecht und Heinrich der Scholar hatten das Mittagsmahl in der Küche eingenommen. Eben hatte die alte Magdalene die leer gegessenen Suppennäpfe weggeräumt und ihrem Herrn den Becher noch einmal mit dem sauren Wein nachgefüllt, den er noch aus der Zeit seines Vaters im Keller liegen hatte. Albrecht nahm einen Schluck und widmete seiner Wirtschafterin gleichzeitig einen unwirschen Blick. »Dem da auch«, sagte er und deutete mit einer kleinen Kopfbewegung auf Heinrich. »Und leg ein Stück Brot dazu.«

Magdalene runzelte die Brauen, aber sie gehorchte ohne Widerrede. Das Stück Brot, das sie dem mageren jungen Kleriker hinschob, fiel allerdings sehr bescheiden aus.

»Ein zweites, wenn’s beliebt«, forderte Albrecht und unterdrückte ein Lächeln. In diesem Augenblick betrat Christoph den niedrig gewölbten Küchenraum.

Er sah sich um, entdeckte Albrecht und seinen Gast an dem langen Gesindetisch hinter dem mächtigen Pfeiler, der das Gewölbe trug. »Dich suche ich«, sagte er und sah Albrecht an. »Ein Berittener ist oben und will ein Wort mit dir sprechen.«

»Ein Berittener?« Albrecht hob den Kopf. »Hat er den Zweck seines Besuchs verraten?«

Christoph verneinte.

»Woher kommt er denn?«

»Auch das kann ich nicht sagen«, erwiderte Christoph achselzuckend. »Doch ich habe den Mann schon einmal hier gesehen. Er war im vergangenen Herbst unter den Jagdgästen ...«

»Ein kleiner, wohlbeleibter Herr mit einem viereckig gestutzten Bart?« Albrecht war aufgestanden und trat an Christoph heran. »So um die vierzig Jahre, und recht energisch?«

»Nein, nein«, gab Christoph zurück, »der Götz ist es nicht.« Er presste verlegen die Hand auf den Mund. »Ich meine, der Herr von Berlichingen ...«

Albrecht schmunzelte. »Nun, dann sehe ich einfach selbst nach, wer da mit mir reden will«, sagte er aufgeräumt. »Der Mann ist doch kein einfacher Bote, Christoph?«

»Dessen bin ich sicher«, bestätigte der. »Sei gewiss, es ist ein Herr von Stand. So etwas spürt man.«

»Wahrhaftig.« Albrecht lächelte noch einmal. Er folgte seinem Halbbruder die schmale steinerne Schnecke hinauf, die in der Mauerdicke des Pallas von der Küche zu den Wohnräumen führte. Der Mann, der um eine Unterredung ersucht hatte, stand in der großen leeren Halle und starrte gesenkten Hauptes vor sich auf die Platten des Fußbodens. Seinen Mantel, eine weit geschnittene Houppelande aus blauem Tuch, trug er lässig über die Schultern drapiert, während sein Kopf gänzlich unbedeckt war.

Albrecht erkannte das scharfkantige Profil des Mannes sofort. »Florian Geyer«, rief er ihm entgegen, »das freut mich, Euch schon so bald wieder hier begrüßen zu dürfen!«

Um die schmalen Lippen des Mannes zuckte ein beinahe unmerkliches Lächeln. »Wenn man den Abstand von fünf Monaten bald nennen kann«, sagte er trocken. »Mich freut’s auch, Vetter, Euch wiederzusehen. Zumal lebenswichtige Dinge mich hierher führen und ich auf Eure Unterstützung hoffe.«

»Ihr macht mich neugierig«, erwiderte Albrecht. »Kommt, Vetter – setzen wir uns ein wenig ans Feuer.« Er nahm den Mann beim Arm und lenkte ihn zur Stiege, die hinauf zur Kemenate führte. An Christoph gewandt bemerkte er: »Der Hausknecht soll mehr Brennholz bringen, und in der Küche lass einen Imbiss richten. Mein Gast wird ein ordentliches Essen nach dem langen Ritt zu schätzen wissen. Ist Euer Pferd gut versorgt?«

Diese Frage war wieder an Florian Geyer gerichtet. »Sicherlich«, gab der zurück, »aber es lahmte die letzten zwei Stunden. Ich muss später noch einmal nach ihm sehen und ihm vielleicht das rechte Sprunggelenk vorne mit Brennnesselsud abreiben.«

»Das kann einer meiner Knechte auch.« Albrecht signalisierte seinem Bruder Christoph mit einem Blick, dass er sich auch darum kümmern sollte. Christoph nickte hilfsbereit und schlüpfte wieder in den niedrigen und engen kleinen Eingang zur Schnecke. Albrecht sah ihm dankbar nach. Dann führte er seinen Gast die Stiege hinauf.

»Dies ist ohne Zweifel das angenehmste Zimmer in Eurem ganzen weitläufigen Haus«, sagte Florian Geyer, als sie sich auf der Bank mit der Wendelehne niedergelassen hatten, die nahe beim Kamin stand.

Albrecht stimmte zu. Er streckte die Beine lang von sich und lehnte den Rücken an. »Aber Ihr seid gewiss nicht gekommen«, erwiderte er, »um mir zu dem guten Geschmack meiner Mutter Komplimente zu machen.«

Florian Geyer blickte ein wenig verwirrt drein. »Dem guten Geschmack Eurer Mutter ... wie kommt Ihr darauf?«

»Sie ließ diesen Raum ausschmücken«, erklärte Albrecht mit einem Blick zur reich verzierten Decke. »Jetzt gebt mir endlich den Grund Eures Besuchs an – lasst mich nicht länger rätseln!«

Florian Geyer nickte, schüttelte gleichzeitig den Kopf und sah Albrecht dann ernst an. »Ihr wisst noch, Herr Vetter, dass ich mich im vergangenen Jahr um die Sache der aufständischen Bauern sorgte?«

»Ja«, sagte Albrecht verständnislos. »Aber was hat das mit Eurem Besuch zu tun?«

»Nun ...« Florian Geyer überlegte einen Augenblick. »Es waren Verhandlungen im Gange«, fuhr er dann fort, »doch die Herren, die daran beteiligt waren, zögerten irgendwelche Entscheidungen immer wieder hinaus ... bis heute. Es ist noch zu keinem einzigen Ergebnis gekommen, und nun wollen die Bauern nicht länger zuwarten. Ich bin gleicher Meinung.« Er fixierte Albrecht mit einem leidenschaftlich glühenden Blick. »Wenn Worte nicht verfangen wollen, müssen eben die Waffen sprechen«, fügte er hinzu. »So sagte ich schon im vergangenen Jahr auf der Jagd ... erinnert Ihr Euch noch daran?«

»Ja, sicher. Aber, Herr Vetter – was hat das mit mir zu tun? Und wobei benötigt Ihr meine Hilfe?«

»Albrecht, ich baue eine kleine, aber schlagkräftige Truppe auf.« Florian Geyer sah Albrecht weiterhin unverwandt an. »Sie besteht teils aus meinen Burgleuten, teils auch aus jungen Bauernsöhnen, die zu meinem Besitz in Ingolstadt gehören. Aber selbst wenn ich alle waffenfähigen Männer aus meinen Dörfern zusammennehmen würde –«

»Könnt Ihr das nicht?«

Florian Geyer schüttelte den Kopf. »Ich nehme nur Freiwillige in meine Schar«, erwiderte er. »Männer, die man zwingen muss, haben nicht die nötige Treue.«

»Das steht außer Zweifel«, sagte Albrecht. »Aber nun kommt doch endlich auf den Grund Eures Besuchs! Ich möchte wirklich wissen, warum –«

Florian Geyer brachte ihn mit einem eindringlichen Blick zum Schweigen. »Es fehlt an besonnenen Männern im Bauernheer«, sagte er, »und darum will ich Seite an Seite mit den Bauern kämpfen. Ich bin ein wahrer Freund ihrer Sache – denn sie ist auch die meine. Erinnert Ihr Euch, Vetter, wie ich am Tag der Jagd mit Euch darüber gesprochen habe? Nun ist der Tag angebrochen, da ich mich entscheiden muss, und ich kann mich der Notwendigkeit nicht länger entziehen, in das Ringen einzugreifen.«

»Zum letzten Mal, Vetter – was wollt Ihr denn nun von mir?« Albrecht war kurz davor, aufzubrausen. »Ihr erzählt mir von Euren Absichten und Ansichten ... nur nicht davon, warum Ihr hier seid!«

Jetzt machte Florian Geyer dem Rätselspiel ein Ende. »Ich will, dass Ihr Euch mir anschließt«, erwiderte er nüchtern, »mit allen Leuten, die Euch treu ergeben sind und Waffen tragen können. Ich will, dass Ihr einer meiner Hauptleute werdet – im gerechten Kampf gegen die Fürsten und Pfaffen, die ihre Macht ungerecht einsetzen und Gottes Ordnung damit verhöhnen!«

Es war heraus. Albrecht brauchte einen Augenblick, um wirklich zu erfassen, was Florian Geyer da gerade von ihm gefordert hatte. Er – ein Hauptmann in einer Truppe, die erst noch aufgestellt werden sollte?

»Vetter«, brachte Albrecht schließlich heraus, »wie kommt Ihr damit ausgerechnet auf mich?«

»Ich halte Euch für einen Mann, der ein Gewissen hat«, erwiderte Florian Geyer ruhig. »Ihr gehört nicht zu denjenigen, die ihren Stand für gottgegeben halten, und –«

»Doch«, unterbrach ihn Albrecht, »mein Stand ist mir von Gott gegeben – woher sollte er sonst kommen?«

»Lasst mich ausreden«, sagte Florian Geyer mit leiser Ungeduld. »Ich meinte, dass Ihr Euren Stand nicht zum Vorwand nehmt, Euch mehr Rechte zuzubilligen als anderen. Irre ich darin?«

»Nein«, erwiderte Albrecht irritiert. »Aber wenn ich deshalb –« »Seht Euch doch an, wie elend es allgemein um die Bauern bestellt ist!« Florian Geyer ließ Albrecht seinen Einwand nicht einmal zu Ende sprechen. »Es wird höchste Zeit, den Fürsten klar zu machen, dass auch sie in ihren Grenzen zu bleiben haben.« Er hob die Stimme. »Dazu aber braucht es Männer wie Euch, Albrecht – Männer, die den Mut, die Kraft und den Ernst aufbringen, eine gute Sache bis zum Ende durchzufechten.« Er sah seinen Gastgeber mit ernsten Augen an. »Denn es ist gut möglich, dass das Ringen hart wird ...«

Albrecht hatte die Herausforderung erkannt, die in Florian Geyers Worten gelegen hatte. »Woher wollt Ihr denn wissen, Vetter, ob ich diese Eigenschaften besitze?«, fragte er und behielt seinen Gast scharf im Auge. »Ihr kennt mich doch gar nicht gut genug – kaum, dass wir damals auf der Jagd ein paar Worte miteinander gewechselt haben.«

Geyer lachte. »Ich hatte vergessen, Euren Scharfsinn und Eure Besonnenheit zu erwähnen«, sagte er. »Auch die ist nötig, um diesen Kampf zu gewinnen. Seid Ihr willens und bereit, Albrecht Wolf von Weißenstein, für Euch und die Bauern die Freiheit von Fürstenwillkür und Fürstenzwang zu erstreiten?«

»Vor allem verlange ich genügend Zeit, um zu überdenken, was Ihr eben vorgebracht habt«, sagte Albrecht. Es gelang ihm nicht ganz, den leisen Groll zu verbergen, der in ihm aufgestiegen und aus seiner Stimme herauszuhören war. »Vergebt mir, Vetter – aber ich gehöre jedenfalls auch nicht zu denen, die sich überrumpeln lassen.«

»Das ist mir durchaus bewusst.« Florian Geyer ließ nicht locker. »Nur, nehmt Euch nicht zu viel Zeit. Schon sammeln sich die Bauern aus dem ganzen Neckartal; im Kraichgau und im Kemptener Land gibt es bereits bewaffnete Kriegshaufen, die nur auf das Signal zum Losschlagen warten. Sogar die Odenwälder beginnen sich zusammenzutun. Einzelne Gruppen sind schon auf dem Weg zum Treffen der Hellen Haufen in Krautheim ...«

»Vetter«, sagte Albrecht, »so gerecht Euer Ansinnen auch sein mag – bei Licht besehen kommt mich nicht die geringste Lust an, in diesen Kampf gegen die Fürsten einzutreten.« Er brachte jetzt endlich den Gleichmut auf, dem leidenschaftlichen Blick seines Gastes zu begegnen. »Ich habe vor, mich diesen Frühling zu verheiraten, und darum gelüstet es mich wahrlich nicht nach kriegerischem Kräftemessen ...«

Florian Geyer hob ruckartig den Kopf. »Ihr wollt ein Weib nehmen, Vetter ... ist das wirklich Euer Wunsch und Wille? Ihr wollt den Weißenstein mit weiteren mittellosen kleinen Freiherren bevölkern, die nichts zu beißen haben und irgendwann auf Raub und Mord zurückgreifen müssen, damit sie am Leben bleiben?«

Albrecht hatte sich kerzengerade aufgerichtet. »Solche Unterstellungen dulde ich von niemandem«, sagte er scharf, »auch nicht von Euch, Florian Geyer. Nehmt das alles sofort zurück und entschuldigt Euch, so will ich darüber hinwegsehen, dass Eure Worte überhaupt gefallen sind!«

Aber der Geyer dachte nicht daran, um Verzeihung zu bitten. »Ihr wollt es einer jungen Frau zumuten«, sagte er, »in dieser zugigen, zerkrümelnden alten Burg Kinder zur Welt zu bringen und großzuziehen – einem Haus, das Ihr kaum noch in Reparatur halten könnt? Ihr habt vor, weiterhin von den kärglichen Abgaben nur weniger elender Bauern und von gelegentlichen Straßenzöllen Euer Leben zu fristen, die Euch rechtens gar nicht zustehen? O Vetter – das kann nicht die Zukunft sein, die Ihr Eurer Gemahlin bieten wollt!«

Albrechts Zorn, der so schnell aufgeflammt war, sackte wieder in sich zusammen. Übrig blieb ein Gefühl der Hilflosigkeit, das schwer zu ertragen war. »So sind nun einmal die Zeiten«, sagte Albrecht mit zusammengebissenen Zähnen, »was bleibt mir denn anders übrig ...«

»Wacht auf, Vetter!« Florian Geyer hatte sich ebenfalls steil aufgerichtet und den Blick kämpferisch auf Albrecht gerichtet. »Erkennt Ihr denn immer noch nicht, dass die Sache der Bauern auch unsere Sache ist? Wenn wir den Fürsten unsere Freiheit wieder abgewonnen haben, dann mögt Ihr Eure Braut heimführen. Dann müsst Ihr auf keine Fürstenlaune mehr ein Fingerschnippen geben und könnt Euer Leben so einrichten, wie’s Euch gefällt!«

Albrecht musste an Anna Elisabeth denken. Plötzlich sah er ihr Antlitz vor sich, ihre nachdenklichen dunklen Augen. Hatte der Geyer nicht völlig Recht? War Annas Freiheit nicht gleich seiner? Vielleicht, wenn der Kampf gegen die Fürsten gewonnen werden konnte, brauchte er gar keinen falschen Stammbaum mehr für Anna und konnte sie zum Weib nehmen, ohne ihre wahre Herkunft verschweigen zu müssen. Reiche Bürgerstöchter gingen ja auch in den Adel ein, ohne dass ihre Eheherren dadurch in Schande gerieten.

Die Tür schwang auf. Herein trat die kleine Küchenmagd, in die Christoph immer noch so schrecklich verliebt war. Sie brachte eine Schüssel mit Geselchtem, einen halben Laib grobes dunkles Brot, einen Krug Bier und zwei zinnerne Becher. Wie hieß das reizende Kind doch gleich ... Hedwig...?

Albrecht bedeutete ihr, von dem Bier einzuschenken. Hedwig errötete bis in den kraus gelockten Haaransatz. »Sofort, Herr«, flüsterte sie angespannt und stellte schnell das Tablett mit Schüssel, Brot und Bechern auf die Kleidertruhe beim Eingang. Dann tat sie, was ihr befohlen worden war, und reichte Albrecht den Becher zuerst.

Der runzelte missbilligend die Brauen. »Ist das Gastfreundschaft, Hedwig?«, tadelte er. »Hast du es so gelernt in meinem Haus?«

Hedwig stand da wie mit Blut übergossen. Sie begann zu zittern, suchte verzweifelt nach einer Antwort.

»Nun ... gib den Becher zuerst unserem Gast«, sagte Albrecht um vieles milder, in dem Versuch, das zu Tode erschrockene Mädchen wieder zu beruhigen. Hedwig gehorchte bebend. »Ich bitte vielmals um Vergebung«, hauchte sie, während sie mit zierlichen Fingern auch ihrem Herrn einschenkte. Doch als sie ihm den Becher reichte, zitterten ihre schmalen Hände so sehr, dass sie beinahe das Bier verschüttete.

Albrecht betrachtete Hedwig. Wie wenig auch sie doch von einem Edelfräulein zu unterscheiden war – einmal abgesehen von der ärmlichen, sogar zerlumpten Kleidung, die Hedwig eindeutig als Bauernkind auswies, und natürlich von ihrer unterwürfig demütigen Art. Was die Freiheit wohl aus ihr machen würde?

Florian Geyer hatte sich ein Stück Brot von dem Laib abgebrochen und sich dazu einen Brocken Fleisch aus der Schüssel genommen. Er biss ab, kaute schweigend, nahm einen Schluck Bier dazu. Und er schien nicht geneigt, die Unterhaltung mit Albrecht fortzuführen, bevor er nicht eine Antwort auf seine letzten Worte erhalten hatte.

Albrecht schickte Hedwig hinaus und nahm sich ebenfalls Brot und Fleisch. Doch ihm war es plötzlich unmöglich, zu essen. Denn völlig überraschend und für ihn erst einmal auch schwer zu fassen war ein Entschluss in ihm gereift. Es war so plötzlich geschehen, dass ihm diese Tatsache beinahe den Atem benahm.

»Mir stehen ungefähr sechsundzwanzig gute Männer zur Verfügung«, sagte er ohne Überleitung zu Florian Geyer, »sechs aus dem Dorf, die restlichen von der Burg. Sicher, das sind nicht viele – aber sie sind waffenfähig und durch und durch zuverlässig. Das macht sie wertvoll.«

Florian Geyer blickte nicht von seiner Mahlzeit auf. Er ließ sich Zeit mit der Antwort. »Ich wusste, ich hatte Euch richtig eingeschätzt, Albrecht«, sagte er schließlich. »Ihr seid aus gutem Stamm und habt ein Hirn, wo so mancher andere Edelmann nur einen hohlen Schädel hat. Wie schnell können Eure Leute reisefertig sein?«

»Sofort, wenn ich es wünsche«, gab Albrecht zurück.

»Dann sollten wir den morgigen Tag als Tag der Abreise ins Auge fassen«, meinte Florian Geyer nüchtern. »Ich habe meinen Leuten hinterlassen, ich käme binnen sechs Tagen zu ihnen zurück.«

»Und wohin soll der Marsch gehen?«, forschte Albrecht.

»Zuerst nach Würzburg«, erklärte Florian Geyer. »Dort wird immer noch verhandelt, und ich meine, man muss den Parteien genügend Zeit lassen, sich zu einigen. Gelingt es aber wieder nicht, zu einem gemeinsamen Entschluss zu kommen, und trampeln die Herren weiterhin mit Füßen auf den Zwölf Artikeln herum, dann ...« Er unterbrach sich und nahm einen Schluck aus seinem Becher.

»Was dann?«

»Dann werden die Bauernheere aus dem Neckartal und Odenwald sich vereinen und gegen Fürsten und Pfaffen in den Krieg ziehen«, sagte Florian Geyer leise. »Dann wird das Osterfest kein Fest des Friedens, sondern der blutigen Entscheidungen werden.«