SCHLACHTTAG

Am Vormittag, als der Vater und Hannes die beiden Jungschweine aus dem Koben hervorgezogen und abgestochen hatten, war Anna Elisabeth im Wald gewesen und hatte Reisig fürs Feuer gesucht. Noch immer war es ihr schier unmöglich, zuzusehen, wie Tiere, die sie beinahe ein ganzes Jahr lang gefüttert und gepflegt hatte, vom Leben zum Tode gebracht wurden. Doch jetzt, wo das Töten besorgt war, gab es keine Entschuldigung mehr für sie, sich abseits zu halten. Sie musste mit anpacken.

Im Augenblick war Hannes dabei, die Innereien aufzuteilen: Herz, Leber und Lungen lagen bereit, in dem großen Kessel gebrüht zu werden. Michel hatte schon die Därme gewaschen und schnitt jetzt die angefallenen kleinen Fleischstücke zurecht, die für die verschiedenen Würste noch weiter zerkleinert werden mussten. Die beiden Schweinsköpfe waren ebenfalls bereits zerlegt und in den Kessel gewandert; mit Rücksicht auf Anna Elisabeth hatte der Hannes das Entfleischen allein besorgt.

Anna Elisabeth hasste Schlachttage. Nicht dass sie das Übermaß an Arbeit gescheut hätte, die sie an solchen Tagen zu leisten hatte – o nein. Aber die Tatsache, dass der Tod der Schweine unvermeidlich war, wenn die Familie überleben sollte, stimmte sie traurig.

Gerade jetzt sah sie der Vater kopfschüttelnd an. Hannes lächelte, aber nicht verständnisvoll, sondern eher belustigt. Keiner der beiden würde je begreifen, warum sie so bedrückt war. »Speck ist schon geschnitten«, sagte der Vater denn auch, »ich denke, wir können!«

»Wer hat das Blut gerührt?«, fragte Anna Elisabeth gefasst. »Die Gertrud vom Matthias«, erwiderte Hannes. »Es ist ein ganzer Eimer voll – das macht reichlich Blutwurst!«

»Habt ihr dem Kind ein Stück Fleisch abgegeben?«, erkundigte sich Anna Elisabeth, während sie den Topf mit der bereits gequollenen Buchweizengrütze näher ans Feuer rückte.

Der Vater nickte. »Später, wenn die Wurstsupp fertig ist, kommen sie alle rüber. Ich dacht mir, die Kinder könnten was Nahrhaftes, Warmes gut gebrauchen.«

»Gertrud wollte schon früher kommen und Wurst stopfen helfen«, fügte Hannes hinzu. »Die ist ein fleißigs Mädel, die Kleine. Aber erst hätt sie noch zu putzen und zu flicken daheim ...«

Anna Elisabeth nahm das lange Messer und machte sich daran, die Lungen in grobe Stücke zu schneiden und in den brodelnden Kessel zu werfen. »Hast schon gesalzen?«, fragte sie den Hannes.

»Noch nicht«, antwortete der, »ich mein, das kannst du besser.« Er trennte mit einem scharfen Schnitt den letzten der vier Hinterschinken ab und hielt ihn hoch. »Die hier – um die kümmere ich mich!«

Anna Elisabeth musste lachen. »Das will ich meinen«, sagte sie, »die sind mir viel zu schwer!« Sie fuhr mit der kleinen hölzernen Schaufel in das Salzfass, ließ die richtige Menge des wichtigsten aller Gewürze in den Kessel rieseln und probierte vorsichtig mit dem Zeigefinger.

Michel hatte inzwischen eine Menge Schwarten und den dünnen Bauchspeck in handliche Stücke zerteilt. »Sollen die jetzt rein?«, erkundigte er sich.

»Noch nicht«, bremste ihn Anna Elisabeth. »Wo sind die Mägen?«

»Hab sie ausgewaschen und da bereitgelegt«, sagte der Michel. »Was soll ich denn jetzt machen?«

»Speckstücke schneiden«, kam Anna Elisabeths Anweisung, »danach schabst du Fleisch – aber nimm nur die kleinen Stücke, die nicht gepökelt werden sollen.«

Der Michel gehorchte wie immer. Anstelliger Bursche, dachte Anna Elisabeth, während sie ihm einen Augenblick lang zusah. Eine Schande, dass er keinen Hof zu erben kriegt ...

Sie nahm eine Schüssel vom Wandbord und machte sich daran, die Füllung für die beiden Mägen zusammenzustellen. Schwarten, in kleine Stücke geschnitten, gehörten da hinein – auch ein bisschen Bauchspeck und Fleisch vom Nacken. Senfkörner, getrocknetes, kleingerebbeltes Majorankraut, ein paar Wacholderbeeren, gehackte Zwiebeln und Quendel kamen ebenfalls in die Schüssel, und natürlich eine gehörige Menge Salz. Zum Schluss fügte Anna Elisabeth noch mehrere gehäufte Löffel von der Buchweizengrütze zu der Masse. Dann konnte sie in die Mägen eingefüllt werden.

»Soll ich zubinden?«, fragte eine Kleinmädchenstimme von der Tür her. Gertrud war gekommen und stand erwartungsvoll in der Tür. Anna Elisabeth winkte das Kind herein. Für ihre sieben Jahre war Gertrud recht klein gewachsen, aber das glich sie durch mehr Verstand aus, als es ihr Alter rechtfertigte.

»Der Bindfaden ist im Kasten«, sagte Anna Elisabeth. »Ich kann jede Hilfe gut gebrauchen!«

Die Kleine hatte den Faden sofort gefunden und brachte auch ein Messer mit. »Damit wir sofort weitermachen können«, bemerkte sie altklug.

Und sie war wirklich eine Hilfe. Sie band die Enden der Mägen ganz allein zu, knüpfte die Schlingen, an denen die schweren runden Dinger nach dem Anstechen in den Kessel gesenkt werden mussten, schnitt danach, als sie in der kochenden Brühe versunken waren, mit Michel Speck und schalt ihn sogar, wenn seine Brocken zu dick ausfielen. Am Ende war sie diejenige, die genau wusste, wie es jetzt weitergehen musste. »Ist die Grütze für die Wurst schon gar?«

»Schon lange«, sagte Anna Elisabeth.

»Und die Därme hab ich gewaschen«, bemerkte Michel mit einem scheelen Seitenblick auf die Kleine. »Wir können sofort anfangen.«

Anna Elisabeth winkte ab. »Zuerst muss die Kuh ihr Futter kriegen und gemolken werden«, bestimmte sie, »ich erledige das jetzt gleich. Danach haben wir Ruhe und können alles ohne Unterbrechnung zu Ende bringen.«

»Gut«, sagte Gertrud. »Soll ich dir beim Melken helfen, Annelies ?«

»Nicht nötig, Trudchen«, erwiderte Anna Elisabeth lächelnd. »Ja, wenn’s zwei Kühe wären ... Aber wie’s ist, kannst du dich hier nützlicher machen. Hacke mit dem Michel das Fleisch noch ein bisschen feiner – du weißt ja, wie gute Leberwurst aussehen muss.«

Das Kind nickte ernsthaft. »Gute Blutwurst auch«, bestätigte es und sah den Michel strafend an. »An der Arbeit zu sparen lohnt sich nicht, sagt mein Vater immer.«

Anna Elisabeth hatte schon den Melkeimer aufgenommen und ging zur Tür. »Recht hat er«, sagte sie zu Gertrud und verbiss sich ob der weisen Miene der Siebenjährigen ein Lachen.

Albrecht hatte sein Pferd an dem dicken Eisenring angebunden, der zu diesem Zweck an der Scheunenwand angebracht war. Eben wollte er um die Ecke biegen und zur Haustür hinübergehen, als diese aufschwang. Anna Elisabeth trat ins Freie, an der Hand einen hölzernen Eimer.

Albrecht stockte der Atem. Sie so plötzlich vor sich zu sehen – darauf war er nicht gefasst gewesen. Hastig zog er sich hinter die Scheunenwand zurück.

Anna Elisabeth klinkte die Stalltür auf und verschwand im Innern des niedrigen Seitengebäudes. Einen Augenblick stand Albrecht still und atmete tief, damit sein hämmerndes Herz sich wieder beruhigte. Dann nahm er all seinen Mut zusammen, schritt ebenfalls zur Stalltür und drückte sie sachte auf.

Zuerst konnte er nur wenig erkennen. Doch nachdem seine Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, sah er Anna Elisabeth. Sie hatte eine Forke von der Wand genommen und war dabei, einer braun gescheckten Kuh Heu vorzuwerfen. Das Tier machte sich dankbar über sein Futter her und stieß dabei ein sanftes Brummen aus.

Anna Elisabeth hängte die Forke wieder an den Wandhaken, tätschelte der Kuh den Nacken, redete zärtlich auf sie ein. »Lass es dir schmecken, Röschen ... gleich gibst du mir noch deine Milch ... dann drückt sie dich nicht mehr ... und dann mach ich dir dein Lager sauber ... bist doch meine Brave ...«

Albrecht konnte Anna Elisabeths helles Antlitz deutlich schimmern sehen – ihr Lächeln, als sie der Kuh noch einmal den Arm über den Rücken legte. Der Melkschemel, den sie aus einer Stallecke hervorzog und neben das Tier stellte, hatte drei Beine ... sie setzte sich, zog den Eimer heran, verschwand aus Albrechts Gesichtsfeld.

Es tat fast ein bisschen weh, sie nicht mehr zu sehen. Albrecht schluckte und holte noch einmal tief Atem. Jetzt musste es sein. Hier im Stall würde es ihm außerdem leichter fallen als drinnen in der Stube, wo sicherlich wieder die Nachbarn saßen und mithörten, was er nur ihr allein zu sagen hatte.

Er trat hinterrücks an sie heran und räusperte sich. »Anna«, begann er, »wollt Ihr mir für einen Augenblick Euer Ohr leihen?«

Sie fuhr zusammen – so heftig, dass der Melkschemel kippte und sie beinahe im Stroh landete. »Wer ist da ...?«, stieß sie hervor und drehte sich zu Tode erschrocken um.

»Albrecht ... Weißenstein«, antwortete er. »Bitte ängstigt Euch nicht – ich komme, um mit Euch zu reden und Euch –«

»Ihr ...?« Anna Elisabeth hatte ihn erkannt und stand schon auf den Füßen. Sie starrte ihm mit aufgerissenen Augen entgegen. »Was wollt Ihr? Und was hätten wir wohl noch miteinander zu reden?«

Sie war zornig. Gott – wie ihre dunklen Augen Feuer sprühten! All die kunstvoll gedrechselten Sätze der Entschuldigung, die Albrecht sich auf dem Ritt hierher zurechtgelegt hatte, waren plötzlich aus seinem Gedächtnis gelöscht. Er stand da wie ein Narr und hielt den Blick auf ihr Antlitz geheftet, und nur ein einziger Gedanke war noch in seinem Hirn: Ich liebe dich, Anna ... ich liebe dich ... und ich will, dass du mich auch liebst ...

Ihre Augen weiteten sich. »Ihr wagt es, so etwas auch nur anzudeuten?«, sagte sie mit steifen Lippen. »Weggeschickt habt Ihr mich auf dem Fest – wie eine feile Straßendirne! Und nun verlangt Ihr –«

Albrecht spürte, dass er vor Aufregung angefangen hatte zu zittern. »Ich bin nur hier, um –«, setzte er noch einmal an.

Sie unterbrach ihn. »Ich habe Euch schon verstanden«, sagte sie. »Ihr habt Euren Spaß nicht bekommen auf dem Fest. Nun wollt Ihr nachholen, was Euch entgangen ist. Und um auch gewiss bei mir Euer Ziel zu erreichen, redet Ihr von Liebe!« Tränen glitzerten plötzlich in ihren Augen. »Einem adligen Herrn ist alles zuzutrauen«, fügte sie tonlos hinzu, »aber von Euch hätte ich es lieber nicht annehmen mögen!«

Albrecht fiel keine Antwort darauf ein. Es ist ja auch nicht so, dachte er, ich hatte schon auf dem Fest keinerlei Pläne mehr, dich zu verführen, Anna. Ich wollte nur in deiner Nähe sein ...

»Das soll glauben, wer will«, erwiderte sie und warf den Kopf in den Nacken. »Ich habe doch mit eigenen Ohren gehört, was Ihr zu dem anderen Junker gesagt habt. ›Sie würde Euch nicht gefallen, Herr Vetter – sie hat zu viel Knoblauch gegessen‹!« Konnte sie seine Gedanken lesen? Es war gerade so, als antworte sie auf das, was er gedacht hatte! »Bitte«, flüsterte er, »ich kann Euch alles erklären, wenn Ihr mir nur einen Augenblick zuhören wollt!«

»Macht Euch nicht die Mühe, jetzt wieder zu einer höflichen Anrede zurückzukehren«, sagte sie. Ihre Worte fielen in die Stille wie ausgespuckte Steine. »Ich bin bloß eine dumme Bauerndirne – da lohnt sich der Aufwand wohl kaum.«

»Anna!« Seine Stimme hatte jeden Klang verloren. »Ich weiß, ich habe Euch wehgetan, und wenn Ihr jetzt Genugtuung wollt, dann verstehe ich Euch vollkommen. Aber hätte ich den Junker Hinzheim nicht von Euch abgelenkt, und das mit drastischen Worten – er hätte ... er hätte ...«

Wieder versagte ihm die Sprache. »Was?«, wollte Anna Elisabeth wissen.

»Könnt Ihr es Euch nicht denken?«

»Doch ...«, murmelte sie.

Albrecht suchte ihren Blick. »Ich wollte Euch für mein grässliches Benehmen um Verzeihung bitten ... darum musste ich Euch noch einmal unter die Augen treten.«

Sie schwieg. Sie sah ihn forschend an. Auf einer ihrer Wangen war ein glitzernder Streifen. Er konnte die Augen nicht von ihr abwenden. Bitte, verzeih mir, dachte er – wie soll ich weiterleben, wenn du mir nicht verzeihst?

»O – das schafft Ihr schon«, gab sie zurück. Eine zweite Träne rollte ihre Wange hinab. »Ein Mann wie Ihr braucht doch auf eine aus dem niederen Volk keine Rücksicht zu nehmen. Betrachtet mich einfach als Niemand. Das tut Ihr hohen Herren ja ohnehin.«

Was sie da gesagt hatte, passte nicht recht zu seinen Worten. Es war, als habe sie wieder auf seine Gedanken geantwortet. Zudem tropften immer mehr Tränen aus ihren Augen und bildeten dunkle Flecken auf ihrem grauleinenen Mieder. Aber du bist doch nicht der einzige Mensch, der Schmerz empfindet, dachte er. Wenn du wüsstest, wie weh es mir tut, dass alles so gekommen ist ... dann zeigtest du mehr Herz ...

Sie starrte ihn an. »Wie kann ich das?«, fragte sie. »Ich glaube ja nicht, dass es Euch wirklich Leid tut – weil Ihr es schon wieder an jeglicher Höflichkeit mangeln lasst.«

Es verwirrte ihn vollständig, wie sie mit ihm sprach. Er hatte ja kein einziges Wort geäußert – oder doch? »Das würde ich niemals tun, Anna«, stammelte er hilflos, »niemals würde ich Euch den gebührenden Respekt versagen ...«

»Und doch werdet Ihr immer wieder vertraulich, als seien wir miteinander verwandt«, flüsterte sie. »Ihr unterstellt mir, ich hätte kein Herz – Ihr behauptet sogar, Ihr liebt mich!« Sie schluchzte auf. »Ach, Albrecht ... der Herzlose seid Ihr! Sonst könntet Ihr mich nicht noch mehr beleidigen, als es schon geschehen ist!«

»Ich hätte behauptet ...?« Was sagte sie denn da? Sie weinte jetzt ungehemmt, und sie hatte ihn einen Herzlosen gescholten! »Anna«, wisperte er fassungslos, »nie habe ich –«

»Ich musste immerfort an Euch denken und hatte mich so gefreut, Euch wiederzusehen«, unterbrach sie ihn tränenübertrömt, »nur – das gibt Euch doch nicht das Recht ...«

Er konnte ihren Kummer nicht mehr ertragen. Mit einem langen Schritt war er bei ihr, und seine Hände umfassten ihr Gesicht wie aus eigenem Willen. Anna Elisabeth senkte den Blick und versuchte sich von ihm abzuwenden, doch er ließ es nicht zu. »Ich weiß, ich hätte mich auf keinen Fall in Euch verlieben dürfen«, sagte er, »aber es ist geschehen, Anna. Niemand kann es mehr ändern – weder ich noch Ihr. Damit ich wieder Ruhe finde ... wollt Ihr mir bitte vergeben?«

»Ihr redet immer nur von Euch«, kam es beinahe unhörbar von ihren Lippen, »was ist mit meinem Seelenfrieden – und wie soll ich weiterleben, wenn Ihr wieder fort seid?«

»Anna ... ich verstehe nicht ...«, murmelte er verstört. »Ich liebe dich ja auch, Albrecht«, flüsterte sie.

»Du bist versprochen ...«

Sie schluchzte auf. »Ja. Und du bist nicht von meinem Stand. Aber ich will ein Andenken – etwas, woran ich mich erinnern kann. Küss mich noch einmal, bevor du gehst!«

Sie war so nah, dass er den Hauch ihres Atems spüren konnte. Sie, die Unerreichbare, forderte von ihm einen Kuss auf ihren hinreißenden Mund. Das machte ihn wehrlos. Wie schon so oft in seinen Träumen beugte er sich über sie und berührte ihre Lippen – aber zaghaft und voller Scheu, denn dies war Wirklichkeit. Sie schlang die Arme um seinen Nacken und öffnete sich ihm. Bebend drängte sie sich an ihn, suchte die gleiche Leidenschaft in ihm zu wecken, die er auf dem Fest gezeigt hatte. »So wie damals«, flüsterte sie an seinem Mund, »sonst gilt es nicht...!«

Er ergab sich. Er ließ ihr Gesicht los, streifte mit den Händen ihre Schultern, ließ sie hinab zu ihrer Taille gleiten und presste Anna Elisabeth fest an sich. All seine Sehnsucht brach sich Bahn, riss jegliche Schranken nieder, ließ ihn taumeln wie einen Betrunkenen. Sie wollte einen Abschiedskuss. Doch nach diesem Kuss konnte es keinen Abschied mehr geben, das wusste er.

Als sie sich nach langen Augenblicken voneinander lösten, schwiegen sie beide. Es dauerte viele Herzschläge, bis sie wieder zu Atem gekommen waren. »Wie kann ich dich jetzt noch verlassen?«, flüsterte er mit heißen Lippen.

»Es gibt keine Wahl«, erwiderte Anna Elisabeth. »Ich habe Hannes Rebmann ... und du wirst mich genauso schnell vergessen haben wie deine schöne Italienerin – falls du nicht zu ihr zurückkehren willst.«

»Zu wem?«, fragte er verwirrt.

»Zu Viola mit dem schlanken Hals und den runden Hüften.«

Er verstand noch immer nicht. Dann erinnerte er sich und lachte leise. »Die Musik vermag zwar über vieles hinwegzutrösten«, sagte er, »aber wie könnte sie dich ersetzen?«

»Ich habe nicht von Musik gesprochen«, murmelte Anna Elisabeth. »Ich meinte Viola da Gamba ... die Frau, die deine Geliebte war.«

Albrecht nahm ihr Gesicht noch einmal in die Hände. »Meine Viola ist nur ein Saitenspiel«, erklärte er halb belustigt, »eine Gambe, die ich schon seit meiner Kindheit spiele. Aber sie wäre weder Ersatz noch Konkurrenz für dich, Liebste ...«

Anna Elisabeth hatte die Augen weit geöffnet und seinen Blick gesucht. »Ein Saitenspiel?«, fragte sie ungläubig. »Dann hast du dich über mich lustig gemacht?«

»Ein wenig, Liebste.« Er lächelte, doch seine Augen lächelten nicht mit. »Nur ein kleiner Scherz, um dir deinen bäuerlichen Hochmut heimzuzahlen.« Er streichelte mit dem Zeigefinger über ihre Brauen. »Denn, weißt du – du warst so voller Vorurteile, genau wie ich.«

Ihre Augen hatten sich wieder mit Tränen gefüllt. »Das ist vorbei«, flüsterte sie, »du hast sie mir alle vertrieben. Trotzdem musst du jetzt gehen, und wir dürfen uns nie wiedersehen. Sonst...«

Er ließ sie nicht aussprechen. »Das ist unmöglich«, sagte er einfach. »Ich kann dich nie mehr loslassen, meine Anna.«

Sie nahm seine Hände und löste sie von ihrem Gesicht. »Nicht weiter«, sagte sie, während ihre Tränen überquollen und neue schimmernde Spuren auf ihren Wangen hinterließen. »Geh schnell ... es muss sein. Uns bleibt ja immer noch die Erinnerung!«

»Die kann mir nicht genug sein. Liebste ... ich...«

Weiter kam er nicht. Von draußen vor dem Stall drangen plötzlich Hufschläge und Stimmen herein. Mehrere Reiter zügelten ihre Tiere und saßen ab. »Wir kommen zu guter Stunde«, sagte eine harte Männerstimme, »sie haben das Schwein schon geschlachtet und zerlegt. Da brauchen wir es nicht mehr zu tun.«

Ein zweiter Mann lachte rau. Ein dritter kicherte. »Vielleicht können wir sogar die Säcke sparen«, fügte er hämisch hinzu. »Nehmen wir doch einfach ihre Bütte für den Transport. Und wenn sie am Ende sogar schon Würste gestopft haben ...«

Alle drei brachen von neuem in Gelächter aus. Anna Elisabeth war tief erschrocken. »Der Klostervogt und seine Leute«, murmelte sie tonlos. »Was wollen die hier? Der Zehnte ist doch längst gezahlt!«

Albrecht lauschte. Dann wandte er sich zur Tür. »Warten wir, bis sie drinnen sind«, sagte er mit gedämpfter Stimme. »Dann können sie nicht so leicht entkommen.«

»Um der Liebe Gottes willen – was hast du vor?« Anna Elisabeth hielt ihn am Wams fest. Erst jetzt bemerkte sie, dass er heute keineswegs mehr so schlicht gewandet war, wie sie es von ihm kannte. Der Mantel, den er um die Schultern trug, war aus feinem, auf Glanz gebürstetem Tuch, seine Hosen aus fester, dunkelroter Wolle. Und – er war bewaffnet.

Albrecht sah sie mit funkelnden Augen an. »Ein zweiter Zehnter steht deinem hochwürdigen Herrn Abt ja wohl nicht zu«, erwiderte er kampflustig. »Ich werde zu verhindern wissen, dass er ...« Er beendete seinen Satz nicht mehr und hatte die Tür bereits sachte aufgezogen, noch ehe Anna Elisabeth ihn daran hindern konnte.

Der Klostervogt und seine beiden Begleiter waren im Haus verschwunden. Ihre Pferde standen unbewacht am Zaun. Albrecht näherte sich der Haustür, dicht gefolgt von Anna Elisabeth, die noch einmal versuchte, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. »Bitte«, flüsterte sie angestrengt, »bedenke doch, dass du im Haus meines Vaters nicht mehr willkommen bist! Hannes ist da – er wird dich hinausweisen, denn er hat schon jetzt gewisse Rechte, und –« »Still.« Albrecht legte den Finger an den Mund. »Lass mich machen, mein Herz, und fürchte nichts. Es wird alles gut werden ...«

»Leg das Beil nieder«, war die Stimme des Klostervogts aus der Stube zu hören, »und dann packst du alles Fleisch, das noch nicht im Kessel liegt, in die zwei Pökelfässer. Halte keine Maulaffen feil und spar dir alles Lamentieren. Wir wollen noch vor der Dunkelheit wieder im Kloster sein!«

»Genug, Schurke«, wisperte Albrecht. Er zog sein Rapier und drückte gleichzeitig die Tür auf. Ein langer Schritt, und er stand im Wohnraum, die blanke Waffe in der Hand.

Schon das Zischen des Stahls, der aus der Scheide glitt, hatte die Männer des Vogtes herumfahren lassen. Überrascht starrten sie Albrecht entgegen. »Wer seid denn Ihr?«, wollte der Vogt wissen, ein breitschultriger, untersetzter Kerl von etwa vierzig Jahren, dessen faltiges, wettergegerbtes Gesicht ein raues Leben verriet. »Und was habt Ihr hier zu suchen?«

»Ich verteidige mein Eigen«, gab Albrecht trocken zurück. »Lasst von dem Fleisch ab und verschwindet – aber in Eile!«

Der Vogt riss die Augen auf. Dann kniff er sie zu schmalen Schlitzen zusammen. »Seid Ihr von allen guten Geistern verlassen?«, knurrte er, langsam in Wut geratend. »Ihr wisst wohl nicht, mit wem Ihr es zu tun habt?«

»Nein«, entgegnete Albrecht kalt, »und mit Verlaub – es ist mir auch vollkommen einerlei. Befiehl deinen Leuten, sich hinauszubegeben, und dann lauf ihnen schleunigst nach. Tust du es nicht, wirst du es bitter bereuen!«

»Was fällt Euch ein?« Der Vogt war dunkelrot angelaufen und zog ebenfalls seine Waffe. »Ich bin ein Mann des Abtes von Kaltenbrunn«, brüllte er, »ich dulde keine Einmischung in dessen Beschlüsse. Das hier geschlachtete Schwein gehört dem Kloster, und Ihr lasst besser die Finger davon!«

»Den Teufel werde ich tun«, erwiderte Albrecht mit klirrender Stimme. »Das Fleisch ist mein. Du wirst mich nicht daran hindern, in diesem Haus eine Schuld einzutreiben. Verschwinde, Pfaffenknecht – oder du sollst meine Klinge zu schmecken kriegen!«

Noch war der Vogt nicht sonderlich beeindruckt. Er hob seine Waffe, und auch seine zwei Begleiter zogen blank. Doch Albrecht lächelte nur. Zwei, drei blitzschnelle Ausfälle, und weder der Vogt noch seine Helfer waren mehr kampffähig. Ihre Rapiere flogen im hohen Bogen durch die Luft und landeten klirrend auf dem steinernen Fußboden.

»So viel dazu«, sagte Albrecht. »Ihr seid keinen Schuss Pulver wert. Heb dich weg, erbärmlicher Wicht!« Damit packte er den Klosterknecht, der ihm am nächsten stand, beim Kragen und schob ihn durch die offene Tür hinaus in den Hof.

Der zweite lief von allein hinter seinem Kameraden her. Doch der Vogt gab sich noch immer nicht geschlagen. »Wenn Ihr meint, damit sei alles erledigt«, zischte er Albrecht zu, »dann irrt Ihr Euch gewaltig. Der Abt lässt nicht mit sich spaßen – er wird sich das Seine zurückholen. Ihr solltet oft hinter Euch schauen, wenn Ihr mit der Beute davonreitet!«

Albrecht lachte. »Ich lade deinen Abt herzlich ein«, meinte er spöttisch, »wenn er Appetit hat auf eine Fehde mit dem Wolf von Weißenstein!«

Das wirkte. Der Klostervogt schien in sich zusammenzuschrumpfen. »Ihr ... Ihr wärt ...?«, stotterte er in plötzlicher Betroffenheit.

Albrecht würdigte ihn keiner Antwort, sondern hatte nur ein knappes Nicken für ihn übrig.

Hannes Rebmann, der zusammen mit Anna Elisabeths Vater, dem Michel und der kleinen Gertrud bis jetzt das Geschehen wie erstarrt verfolgt hatte, wagte es, sich einzumischen. »Ganz recht«, sagte er, »er ist der Wolf von Weißenstein. Aber ich bin mir nicht bewusst, dass wir ihm –« »Schweig, Bauerntölpel«, fuhr ihm Albrecht in die Rede, »wenn du auf ein heiles Fell Wert legst.« Er hob noch einmal sein Rapier. »Diese Waffe macht hässliche Löcher. Darum hüte deine Zunge!«

Der Vogt schaute zum ersten Mal beunruhigt drein. »Ich werde gehen«, sagte er verdrießlich, »aber dem Abt mache ich Meldung über diesen ungebührlichen Vorfall – das merkt Euch gut, Herr!«

»Tu das nur«, gab Albrecht gelassen zurück. »Und sollte, wie ich schon erwähnte, euer hochwürdiger Herr Pfaffe eine Fehde nicht scheuen – ich stehe ihm liebend gern zur Verfügung.«

Der Vogt knurrte irgendetwas Unverständliches, sammelte die verlorenen Rapiere auf, deutete eine Verbeugung an und folgte mit finsterem Gesicht seinen beiden Knechten vor das Haus. Draußen saßen die Männer auf und ritten vom Hof. Albrecht stieß seine Klinge wieder in die Scheide.

Hannes machte wieder den Mund auf, diesmal mit zornrotem Gesicht. »Ihr mögt ein Edelmann sein«, sagte er aufgebracht zu Albrecht, »aber Ihr habt kein Recht, mich einen Tölpel zu nennen. Und ich entsinne mich wirklich nicht, Euch etwas zu schulden – genauso wenig wie der Herr dieses Hauses. Wenn Ihr uns das Fleisch nehmen wollt, dann –«

»Dann wäre es ein himmelschreiendes Unrecht«, unterbrach ihn Albrecht. »Nun – ich tu’s trotzdem. Ihr könnt es wiederhaben, wenn mir für die kommende Nacht noch einmal Unterkunft gewährt wird.«

Bei den letzten Worten hatte er Anna Elisabeths Vater angesehen. Der war ebenso wütend gewesen wie der Müllerhannes, doch er konnte weit flinker denken und schmunzelte jetzt. »Bei diesem Handel bin ich dabei«, sagte er, während er von neuem das Schlachtmesser zur Hand nahm. »Setzt Euch, Herr. Ihr sollt einen Schlafplatz und ein gutes Essen bekommen – wenn Ihr uns nicht beraubt.«

Anna Elisabeth war sprachlos. Sie warf einen scheuen Blick auf Albrecht, der breitbeinig in der Stube stand und heute keinen Zweifel mehr darüber gelassen hatte, dass er ein Herr war, und konnte keinen Ton herausbringen. Erst als ihr Vater sie mit einem Wink an den Herd befahl, fand sie wieder Worte. »Vater«, sagte sie, »seid Ihr gewiss, dass Ihr diesen Mann unter Eurem Dach dulden wollt?«

»Und ob ich sicher bin«, polterte der Vater.

Albrecht lachte leise über Anna Elisabeths erschrockenen Blick. »Habt doch keine Angst, Jungfer«, sagte er sanft, »ich werde Euch nicht wieder beleidigen. Heute ist kein Junker Hinzheim hier, vor dem ich Euch beschützen müsste.«

»Wie kommt es aber, dass Ihr selbst hier seid?«, wollte Hannes Rebmann misstrauisch wissen.

»Ich kam des Wegs«, antwortete Albrecht ohne weitere Erklärungen.