OSTERN
Auf den Straßen und Gassen von Weinsberg herrschte geräuschvoller Trubel. Überall auf den Stadtmauern wurden die Wachen verstärkt, schleppten Bewaffnete Pulverfässchen und Säcke voller Musketenkugeln zu den Ständen auf den Zinnen und überprüften Torwächter die schweren Balkenriegel an den Stadttoren. Trupps von Stadtsoldaten nahmen ihre Standorte ein, sichteten ihre Waffen, Hauptleute gaben Befehle weiter ...
Weinsberg rüstete sich gegen das anrückende Bauernheer unter Jäcklein Rohrbach und Georg Metzler. Noch war der Helle Haufen nicht in Sicht, aber nach den Wortfetzen zu urteilen, die Anna Elisabeth im Vorüberreiten aufschnappte, lagerte die Streitmacht der Evangelischen Bruderschaft unweit der Stadt und bereitete sich ebenfalls auf das Treffen vor.
Anna Elisabeth und Christoph bewegten sich auf ihren müden Tieren die steile Anhöhe zur Burg hinauf – der Weibertreu, wie sie im Volksmund genannt wurde. »Ich kann mir nicht denken, dass ein Wolf von Weißenstein mit Bauern gemeinsame Sache macht«, hatte Christoph vermutet, als Anna Elisabeth ihn gefragt hatte, wo in Weinsberg Albrecht wohl zu vermuten sei. »Er und Herr Florian Geyer werden dem Grafen Helfen- stein beispringen, zusammen mit den anderen Edlen, die sich zurzeit in Weinsberg aufhalten.«
Dazu konnte Anna Elisabeth nichts sagen. Doch sie wusste: Das Heer der Bauern war den Söldnern, die diese Stadt schützen sollten, an Zahl bei weitem überlegen. Zudem besaß nicht nur die Bürgerwehr von Weinsberg, sondern auch die Evangelische Bruderschaft Arkebusen und Musketen, mit denen Männer besser als mit jeder Armbrust von den Zinnen geschossen werden konnten. Es gab unter den Waffen der Bauernschaft sogar einige Geschütze, die ordentliche Löcher in Mauern rissen, wenn sie gut gezielt wurden.
Anna Elisabeth hatte während der dreitägigen Reise kaum mit Christoph geredet. Sie hatte sich um Albrecht gesorgt, und je näher sie der Stadt gekommen waren, wo er sich aller Wahrscheinlichkeit nach aufhielt, desto mächtiger war ihre Angst angewachsen. Was der alte Mann auf dem Ochsenkarren gesagt hatte, klang ihr immer lauter in den Ohren: »Alle die adligen Schurken sollten gevierteilt werden ...«
»Wie können wir am besten herausfinden, wo Albrecht ist?«, fragte sie jetzt ihren Begleiter.
Christoph fuhr im Sattel hoch, als habe er bis jetzt gedöst. »Wir fragen einfach in den Stallungen der Burg nach«, murmelte er zerstreut, »oder besser – wir sehen uns die Pferde an, die dort untergestellt sind. Den Falben meines Bruders erkenne ich unter Tausenden von Rössern wieder.«
»Ich auch«, dachte Anna Elisabeth. »Hoffentlich finden wir ihn bald«, sagte sie.
»Wir haben ja noch einen ganzen Tag Zeit«, meinte Christoph, sich über die Augen wischend. »Morgen werden die Bauern nicht angreifen ... nicht am heiligen Ostertag. Sie sind schließlich keine Heiden, die den Feiertag schänden.«
Das meinte Anna Elisabeth ebenfalls. »Nein, sicher nicht. Im Gegenteil.«
Sie waren am Burgtor angelangt. Die Wächter, die hier Dienst taten, hatten kaum einen Blick für die beiden staubbedeckten Reisenden übrig, die Einlass begehrten. Anna Elisabeth und Christoph wurden einfach durchgewinkt, was Christoph sehr sonderbar fand. Er fragte einen der Wächter: »Sagt, wird die Torwache hier immer so lax gehandhabt? Wir könnten doch Späher sein, die eure Verteidigung auskundschaften sollen ...«
Der Wächter, ein alter Mann mit blauroter Säufernase, widmete Christoph einen abschätzenden Blick. »Ihr?«, sagte er dann und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Mein Junge – feindliche Kundschafter sehen anders aus!« Er räusperte sich und zupfte an einer Schnalle seines schlecht sitzenden Brustharnischs. »Macht, dass ihr weiterkommt«, raunzte er, während er Christoph den Rücken zukehrte, »wir haben hier weiß Gott Wichtigeres zu tun, als uns um Halbwüchsige zu kümmern, die noch nicht trocken hinter den Ohren sind.«
Die letzten Worte waren auf Anna Elisabeth gemünzt, die der Mann offenbar für einen jungen Milchbart gehalten hatte. Das lag wohl daran, dass ihr Haar von der Kapuze einer dicken, braunwollenen Gugel bedeckt war und sie wie ein Mann zu Pferd saß. Zudem verhüllte der weite Wettermantel ihre Beine.
Christoph schnalzte und brachte sein Ross zum Weitergehen. Anna Elisabeths Pferd, ein breit gebautes, kräftiges Saumtier, folgte ohne Aufforderung. Bei den Stallungen im äußeren Hof saß Christoph ab, band sein Tier an einem Haltering in der Stallmauer an und bedeutete Anna Elisabeth, noch im Sattel zu bleiben. »Ich werfe schnell einen Blick auf die Pferde, die hier einstehen«, sagte er. »Sollte der Falbe dabei sein, frage ich nach Albrechts Aufenthalt, und wir können ihn sofort aufsuchen. Finde ich ihn nicht, müssen wir weitersuchen.«
»Gut«, Anna Elisabeth war einverstanden. Sie spürte nach dem langen und vor allem ungewohnten Ritt ihre Knochen und Muskeln ohnehin kaum noch und war dankbar dafür, dass sie sich vorläufig nicht bewegen musste. So lange Christoph fort war, beobachtete sie ihre Umgebung.
Eine kleine Truppe war gerade in den Hof eingeritten. Anna Elisabeth zählte sieben Männer – Herren vom Adel offenbar, wie an ihrer bunten und teuren Kleidung auf den ersten Blick zu erkennen waren. Sie trugen Halbhosen, deren farbiges Seidenfutter aus vielen Schlitzen hervorquoll, und federgeschmückte Barette auf den halblangen Haaren. Nur einer von ihnen, ein alter Mann von mindestens sechzig Jahren, war altmodischer gekleidet – wenn auch nicht weniger kostbar und aufwendig. Sein Mantel war mit Marderfell gefüttert. Die Weste, die darunter hervorschimmerte, prunkte mit goldbestickten Borten und vielen Silberknöpfen.
»Anfangs bin ich dem Doktor Luther gram gewesen«, sagte der Alte gerade, »denn er war’s ja, der uns die Bauern mit seinem Traktat von der Freiheit eines Christenmenschen rebellisch gemacht hat.« Er reichte einem der heraneilenden Stallburschen die Zügel seines mächtigen schwarzen Hengstes und ließ sich dann aus dem Sattel helfen. »Aber jetzt bin ich wieder eines Sinnes mit ihm«, fuhr er fort, als er auf dem Boden stand, »denn er hat den Aufstand für ungerecht erklärt und sich brav für die Obrigkeit ausgesprochen.« Er lachte dröhnend. »Acht und Bann und der Aufenthalt auf des Kurfürsten Friedrich Burg müssen ihn Mores gelehrt haben.«
»Was gilt’s, Herr Wolframstein?«, rief einer der jungen Herren. »Der Luther wird uns wahrscheinlich sogar nach dem Maul reden, wenn’s an das Bauernschlachten geht. Er ist gerissen, der gelehrte Herr, und weiß genau, auf welcher Seite sein Brot gebuttert ist!«
»Kann man’s ihm verdenken?«, warf ein anderer junger Edelmann ein. »Um seine Lehren verbreiten zu können, braucht er die Obrigkeit ja. Die Bauern wären ihm zu nichts nütze.«
»Wäre ich ein Bauer, ich würde sein Verhalten Verrat nennen«, sagte der Mann, der hinter dem alten Wolframsteiner gehalten hatte und eben abgesessen war. »Ich danke meinem Schöpfer jeden Tag dafür, dass er mich in eine adlige Familie hat hineingeboren werden lassen ...«
Die anderen lachten. Sie waren mittlerweile alle aus den Sätteln gestiegen. Ihre Reittiere wurden weggeführt, und sie selbst betraten einer nach dem anderen den Pallas. »Ich fürchte mich jedenfalls nicht vor dem zusammengewürfelten Haufen, der sich da vor den Mauern angesammelt hat«, sagte ein weiterer der jungen Herren im Hineingehen. »Wir werden leichtes Spiel mit diesen Tölpeln haben – auch wenn der Verräter mit seiner schwarzen Schar dabei sein sollte!«
Betreten und mit widerstreitenden Gefühlen sah Anna Elisabeth den Herren nach. Die Forderungen der Bauern waren gerechtfertigt, soweit sie sie kannte. Und wenn diese Forderungen von den Herren nicht anerkannt wurden – was blieb den Bauern denn dann noch anderes übrig, als in den Krieg zu ziehen? Und wie konnte dieser Doktor Luther ihren Krieg dann für ungerecht erklären?
Sie war zu müde, um jetzt darüber nachzudenken. Stattdessen ließ sie den Blick wandern. Auf dem Hof waren außer Christophs Ross und ihrem Saumpferd jetzt keine anderen Reittiere mehr. Vorn, neben dem Tor, stand ein funkelnagelneuer Leiterwagen, der hoch mit Pferdemist beladen war. Ein paar Knechte schlenderten müßig vorbei, würdigten Anna Elisabeth kaum eines Blickes.
Wo Christoph nur blieb ... Sie versuchte, in die offene Stalltür hineinzusehen und trotz der drinnen herrschenden tiefen Dämmerung etwas zu erkennen. Aber das war schier unmöglich.
In den oberen Geschossen über den Stallungen schallten Stimmen, wurde hin- und hergerannt. Anna Elisabeth konnte die eiligen Schritte hören ...
Endlich kehrte Christoph zurück. Seine Miene verriet schon von weitem, dass er Albrecht nicht gefunden hatte. »Der Falbe ist nicht unter den anderen Pferden in den Ställen«, informierte er Anna Elisabeth, »und niemand hat Albrecht gesehen. Einer der Knechte, die ich ausgefragt habe, meinte, wir sollten einfach abwarten. Es werden zur Nacht noch Edle aus der weiteren Umgebung erwartet. Albrecht könnte sich ja denen angeschlossen haben.«
»Vielleicht.« Anna Elisabeth nickte müde. »Diesen Herrn Florian Geyer hat dann wohl auch niemand gesehen?«
Christoph schüttelte den Kopf. »Nein, den auch nicht. Wir können uns nur in Geduld üben.«
»Sorgen wir lieber dafür, dass unsere Tiere Futter und Wasser bekommen und endlich abgesattelt werden«, riet Anna Elisabeth.
»Ich selbst würde mich auch nicht beschweren, wenn ich jetzt einen Napf voll Hafergrütze oder einen Kanten Brot bekäme«, meinte Christoph zustimmend. »Den ganzen Tag haben wir kaum etwas zu uns genommen außer Wasser.«
»Aber wir gehören nicht zum Gesinde dieser Burg«, wandte Anna Elisabeth ein. »Wir können uns nicht einfach –«
»Doch, wir können«, sagte Christoph. »Denn wir gehören zum Gefolge von Albrecht Wolf von Weißenstein und sind unserem Herrn vorausgeritten, um Quartier zu machen. Man wird uns schon versorgen und einen Schlafplatz anweisen. Ich glaube, der Graf Helfenstein ist froh um jeden, der notfalls zur Verteidigung der Weibertreu beitragen kann.«
Anna Elisabeth musste an den jungen Edelmann denken, der so laut verkündet hatte, er fürchte die Bauern nicht. »Wie viel Mann sind es denn?«, fragte sie.
»An die hundert«, schätzte Christoph. »Dazu kommen noch die Mannschaften, die die Bürger der Stadt stellen, und ungefähr zweihundert reisige Knechte.«
Anna Elisabeth spürte, wie der Schrecken von neuem in ihr hochkroch. »Sollen dem Grafen Helfenstein denn nach dem Osterfest noch mehr Truppen zu Hilfe kommen?«, wollte sie von Christoph wissen.
»Es geht das Gerücht, dass der Truchsess von Waldburg eine Streitmacht von Lanzknechten heranführt«, erwiderte der. »Nur meutern die im Augenblick und verlangen mehr Sold. Und darum –«
»... werden sie zu diesem Treffen nicht zurecht kommen«, vervollständigte Anna Elisabeth mit steifen Lippen den Satz. »Gott gnade der Stadt Weinsberg.«
»Ach was«, sagte Christoph geringschätzig, »ein Herr vom Adel kann doch leicht mit zwanzig, dreißig Bauern fertig werden. Sorge dich nicht um meinen Bruder, Mädchen. Der allein schafft fünfzig von denen. Es besteht keine Gefahr.«
Die Frauen in der weitläufigen Gewölbeküche hatten zwar misstrauisch dreingeschaut, als Christoph um Nahrung bei ihnen angehalten hatte, und eine von ihnen, eine alte Vettel mit pergamentenem Gesicht und trüben grauen Triefaugen, hatte beim Namen Wolf von Weißenstein sogar ausgespuckt. Aber sie hatte am Ende doch sowohl für Anna Elisabeth als auch für Christoph einen Napf mit Kohlsuppe und ein dickes Stück Brot herausgerückt. »Vielleicht ist der junge Weißensteiner ja nicht so ein Ungeheuer wie der alte eins war«, hatte die Triefäugige dazu gemurmelt.
Zum Schlafen stand ein Saal zur Verfügung, in dem Reihen von Strohsäcken für die Knechte der anwesenden Herren ausgelegt worden waren. Christoph nahm einen der Strohsäcke für sich in Anspruch, während Anna Elisabeth sich ein Plätzchen bei den Küchenmägden suchte. Aber zum Schlafen kam sie kaum. Die ganze Nacht über herrschte ein Kommen und Gehen; als endlich der Ostermorgen heraufdämmerte, stand Anna Elisabeth auf und suchte Christoph. Den hatte es ebenfalls aus dem Saal ins Freie getrieben. Sie fand ihn draußen im Hof.
»Hast du schon nach Albrecht Ausschau halten können?«, fragte sie ihn.
»Noch nicht.« Christoph rieb sich den Schlaf aus den Augen und versuchte sein arg zerknittertes Wams etwas zu glätten. »Was tun wir jetzt?«
»Wir könnten zur Stadtmauer hinabsteigen und uns dort nach ihm erkundigen.« Christoph streckte sich und wippte auf den Zehenspitzen, um sich warm zu machen. Vor Sonnenaufgang war es noch sehr frisch.
»Dann lass uns gehen«, drängte Anna Elisabeth. »Ich werde mich erst wieder besser fühlen, wenn ich weiß, wo er ist.«
»Weiber«, murmelte Christoph, was Anna Elisabeth trotz ihrer Unruhe ein Lächeln entlockte.
Auf den Mauern standen die Stadtsoldaten dicht an dicht. Niemand kümmerte sich um den schlanken jungen Mann und das Mädchen, die suchend auf den Wehrgängen hin- und her- wanderten. Anna Elisabeth und Christoph bekamen aber auch keine Antwort, sondern nur abweisende Blicke auf ihre Fragen nach Albrecht Wolf von Weißenstein. Auf dem Turm am Haupttor sagte einer der Wächter zu Anna Elisabeth: »Wir haben wirklich anderes zu tun, als uns um irgendwelche verloren gegangenen Jünkerlein zu sorgen. Schaut dort hinunter – dann wisst Ihr, warum!«
Er deutete auf eine der Schießscharten zwischen den Zinnen. Anna Elisabeth folgte seiner Hand mit Blicken und sah hindurch. Rebenhügel lagen dort, Weinstöcke, an denen erstes Grün knospte. Und zwischen den Stöcken, soweit das Auge blickte, zogen sie heran ... Kopf an Kopf, Tausende und Abertausende von Gestalten, grau und braun ... eine farblose Flut, die sich durch die Weingärten heranwälzte und stetig den Mauern von Weinsberg entgegenbrandete ...
Sie griffen doch an, die Bauern – am heiligen Ostertag! Und die Verteidiger der Stadt, die darauf nicht vorbereitet gewesen waren, hatten jetzt kaum noch genügend Zeit, in Stellung zu gehen. In hektischem Durcheinander versuchten die Stückmeister, ihre Geschütze zu richten; aber die Vorhut des Hellen Haufens hatte bereits die Tore erreicht und war dabei, Rammböcke und Sturmleitern in Position zu bringen.
Die ersten mächtigen Rammstöße donnerten gerade jetzt gegen die Bohlen des Haupttores und Steine prasselten von der Mauer auf die Angreifer herab. Ein paar schlecht gezielte Kanonenkugeln fuhren hinter den ersten Angriffsreihen der Bauern in die Erde und ließen den Sand hoch aufspritzen.
Anna Elisabeth, vom Entsetzen gepackt, konnte den Blick nicht von dem lösen, was sich unten am Fuß der Mauer abspielte. Einige Bauern wälzten sich da in ihrem Blut ... sie waren getroffen ... doch andere drängten nach vorn und nahmen ihre Plätze ein.
Die ersten Sturmleitern standen, wurden bestiegen ... Schon lugten einzelne struppige Bauernköpfe über die Mauerkrone ... Sechs, sieben Verteidiger stießen die Leitern wieder um und stürzten die Angreifer mit verzweifeltem Schwung in die Tiefe ...
Viele lagen jetzt bereits reglos und leblos da unten am Boden. Doch immer mehr Bauern rückten nach, immer neue Wellen von Angreifern rollten auf die Mauern zu. So oft sie auch zurückgeschlagen wurden – immer wieder holten sie von neuem aus, stellten von neuem die Leitern an, kletterten wieder und wieder in die Höhe ...
Einer der massigen Torflügel, gegen die unablässig der Rammbock andonnerte, hing bereits schief in den Angeln. Noch sechs, sieben Stöße, und er würde abfallen. Denn der Balkenriegel, der das Tor von innen sichern sollte, war längst gebrochen.
»Verflucht«, schrie einer der Stadtsoldaten in Anna Elisabeths Nähe, »seht euch das an!« Er hatte den Arm ausgestreckt und zeigte mit zitterndem Zeigefinger zum jenseitigen Teil der Mauer hinüber. Dort waren elende, in Lumpen gekleidete Jammergestalten auf das Dach eines großen Gebäudes geklettert, hockten jetzt rittlings auf den Mauerzinnen und halfen mit Seilen, Bettlaken und zusammengeknoteten Stricken den Angreifern in die Stadt.
»Die Krüppel aus dem Siechenhaus kommen den Bauern zu Hilfe!«, brüllte der Stadtsoldat noch einmal, »jemand muss sie daran hindern!«
Doch sein Warnruf ging im Getümmel unter. Das Tor war offen ... ungehemmt ergoss sich die reißende Flut der Angreifer in die Gassen und Straßen von Weinsberg – alles niederwerfend, was sich ihr entgegenstellte. Die Sensen, zu langen Schwertern umgeschmiedet und scharf geschliffen, mähten heute nicht Korn, sondern Männer nieder. Die Sicheln zerschlitzten lebendes Fleisch, die mit eisernen Zacken besetzten Dreschflegel zerschlugen Knochen. Schreien und Stöhnen der Verwundeten mischte sich mit dem Klirren von Metall auf Metall, schnelle Schritte hasteten die Stufen zum Wehrgang hinauf, einer der Stadtsoldaten sank, von einer Bauernaxt getroffen, lautlos neben Anna Elisabeth nieder.
Sie riss den Blick von dem entsetzlichen Schauspiel am Tor los und begann zu laufen – weg von der Schießscharte, hinüber zur nächsten Stiege, die abwärts führte. Deren Stufen waren glitschig von eben vergossenem Blut – einer der Reisigen, die hier die Stadtmauer hatten verteidigen sollen, lag da und rührte sich nicht mehr ...
Anna Elisabeth konnte nicht mehr denken. Ohne hinzusehen überstieg sie den Gefallenen und mischte sich in das Getümmel der stadteinwärts drängenden Bauern. Auf der Stelle war sie umgeben von laut brüllenden, vorwärts hastenden und Verwünschungen ausstoßenden Männern jeden Alters – sie alle wollten hinauf zur Burg, wo die Herren vom Adel sich aufhielten, und konnten es kaum erwarten, sich mit ihnen zu schlagen.
»Schneller, Brüder«, keuchte ein grauhaariger alter Kerl und schob sich dabei an Anna Elisabeth vorbei, »sie entwischen uns vielleicht, wenn wir ihnen zu viel Zeit lassen, sich zu besinnen...!«
Anna Elisabeth sah sich um. Sie hatte Christoph aus den Augen verloren. Aber der Junge trug ja schlichte Kleidung und würde den Bauern kaum Anlass bieten, Jagd auf ihn zu machen. Also weiter, den Berg zur Weibertreu hinauf. Dort musste Albrecht sein – da er bei der Mauer nicht gesehen worden war.
Auch hier hatten die Verteidiger die stürmenden Bauern von den Mauerzinnen mit Armbrüsten und Arkebusen unter Beschuss genommen. Doch ihr Widerstand, so erbittert er gewesen war, hatte die Angreifer keine halbe Stunde aufhalten können. Die Truppe, die nach so kurzer Zeit das Tor erstürmt und den Bauern Zugang zur Weibertreu ermöglicht hatte, gehörte offenbar nicht direkt zum Hellen Haufen und unterschied sich auch durch straffe Disziplin vom Rest des Bauernheers. Sie war gleich nach Öffnung des Burgtores wieder abgezogen und hatte den übrigen Bauern die Einnahme der Burg überlassen.
Anna Elisabeth gelang es, den Innenhof zu erreichen. Hier waren Männer des Hellen Haufens dabei, die Ritterpferde aus den Stallungen herauszuführen und unter sich zu verteilen. An die zwanzig der mächtigen Streithengste standen schon draußen; so mancher von ihnen hatte seinem neuen Besitzer auch bereits gezeigt, dass er kein Karrengaul war.
Die kleine Tür zum Treppenturm stand offen. Anna Elisabeth schlüpfte hinein und arbeitete sich die enge Wendeltreppe hinauf. Oben führte eine niedrige und schmale Tür in irgendwelche Wohngemächer. Hier war alles menschenleer. Mehrere große Truhen waren ausgeräumt worden. Sie hatten Leinenzeug enthalten; einige Wäschestücke lagen noch auf dem rot gefliesten Fußboden verstreut.
Anna Elisabeth ging weiter. Von irgendwoher drangen Stimmen an ihr Ohr – zeternde, angstvolle Frauenstimmen. Ein kleines Kind weinte. Kampflärm schallte aus einem Gemach ganz in der Nähe ...
Eine Tür wurde aufgerissen. Bauern hielten einen jungen, reich gekleideten Edelmann gepackt, hatten ihm die Arme auf den Rücken gedreht und schleppten ihn den Korridor hinunter, durch den Anna Elisabeth gekommen war. »Sträuben hat keinen Zweck, Herr Ludwig von Gottes Gnaden«, zischte ihm einer seiner Bewacher zu, »wir lassen dich nicht mehr los. Kannst also auch gefügig sein und brav mitlaufen ... daran, wie’s weitergeht, änderst du sowieso nichts!«
»Ihr wisst nicht, was ihr tut«, keuchte der junge Edelmann, doch der Rest dessen, was er noch hatte sagen wollen, ging in einem schmerzlichen Stöhnen unter. Der Bauer zu seiner Rechten hatte ihm einen harten Faustschlag mitten ins Gesicht versetzt. »Wer hat dir erlaubt, zu sprechen, Fürstlein? Du machst dein Maul erst auf, wenn wir es dir gestatten!«
Damit schleiften sie ihr Opfer um die Ecke. Anna Elisabeth, die nicht einmal beachtet worden war, stand wieder allein auf dem Korridor.
Sie ging weiter. Die Stimmen waren noch zu hören. Sie drangen aus einer Türe rechts des langen Flurs. Als Anna Elisabeth sie aufdrückte, bot sich ihr der Anblick einer völlig verwüsteten Schlafkammer. Das Bettzeug der breiten, von einem Baldachin überdachten Schlafstatt war heruntergerissen, der blaue Damast des Betthimmels zerfetzt. Zwei große Kleidertruhen standen offen und waren offensichtlich ausgeräumt worden. Eine Wiege lag umgestürzt auf der Seite. Daneben, am Boden kauernd, entdeckte Anna Elisabeth eine junge Frau, die, nur mit einem langen Leinenhemd bekleidet, ein beinahe nacktes, weinendes Kind umfangen hielt und leise schluchzte.
Zuerst wusste Anna Elisabeth nicht, was sie sagen sollte. Der Schrecken über das, was sie an Furchtbarem schon gesehen hatte, lähmte ihr die Zunge. Schließlich fragte sie entsetzt: »Was ist hier geschehen?«
Die Frau hob den Kopf. »Weg ... weg!«, schrie sie. »Was willst du denn noch?«
Anna Elisabeth trat näher. »Nichts will ich. Habt keine Angst.«
Die Frau musterte Anna Elisabeth flüchtig und ließ sich wieder zusammensinken. »Sie haben sich unterstanden, meinen Gemahl gefangen zu nehmen«, erwiderte sie mit blassen Lippen.
»War das Euer Gemahl, den sie eben abgeführt haben?«
Die Frau versuchte die Schultern zu straffen. »Ich weiß, es sieht nicht gut aus«, sagte sie, um Haltung bemüht, »aber ein paar Stunden noch, dann werden die Herren die Stadt von diesem Raubgesindel befreit haben, und dann –«
Offenbar war sie sich der Lage überhaupt nicht bewusst. »Die Burg ist eingenommen«, schnitt Anna Elisabeth ihr die Rede ab. »Das Bauernheer hat die ganze Stadt besetzt. Ihr solltet zusehen, dass Ihr von hier wegkommt. Denn Ihr seid vom Adel und darum Eures Lebens nicht sicher.«
»Ich kann nicht ...«, war alles, was die Frau erwidern konnte. Auf einmal wirkte sie wie ein kleines Mädchen. Die Art, wie sie trotzig schmollend die Unterlippe vorschob, verriet, dass sie noch sehr jung sein musste.
»Wo sind denn Eure Mägde?«, fragte Anna Elisabeth, die ihre eigenen Sorgen plötzlich vergessen hatte. »Lasst ein paar Sachen zusammenpacken. Irgendeiner wird schon einen Weg finden, Euch aus der Stadt zu bringen ...«
Die Frau weinte auf. »Was glaubst du denn, wer mein Schlafgemach so durcheinander gebracht hat? Alle sind sie weg, die diebischen Weiber. Ich bin ganz allein hier ...«
»Und Eure Kleider – wo werden die aufbewahrt?« Anna Elisabeth ließ sich nicht beirren und versuchte ruhig zu bleiben. »Könnt Ihr mir zeigen –« »Nein, das kann ich nicht!« Die Frau wurde wütend. »Ich kenne dich ja nicht einmal ... und außerdem haben sie schon alle meine Kleider mitgenommen. Die Truhen sind leer – das siehst du doch!«
»Dann muss es eben so gehen.« Wie unvernünftig diese Edelfrau sich doch gebärdete! »Kommt. Wickelt Euer Kind in irgendeine Decke ein ... da wird sich doch noch etwas finden! Und dann...«
Aber es fand sich nichts. Auch in den Nachbarzimmern waren weder Decken noch Kleidungsstücke aufzutreiben. Die Plünderer waren gründlich gewesen. Zudem stieg Anna Elisabeth mit einem Mal beißender Rauchgeruch in die Nase ...
»Los«, drängte sie die junge Edelfrau, »eilt Euch. Wenn Ihr nicht bei lebendigem Leib verbrennen wollt, dann macht voran! Ich leihe Euch für unterwegs meinen Mantel!«
Sie nahm der Frau das zitternde kleine Kind ab. Schon wallten dichte Rauchwolken den Korridor herab. Die Treppe aber war noch frei. Unbeschadet und ungehindert erreichten Anna Elisabeth, die Edelfrau und deren Söhnchen den Hof, an dem die Stallungen lagen.
Hier war inzwischen niemand mehr. Die siegreichen Bauern hatten die Ritterpferde alle weggebracht. Auf dem Hof hatten sie nur eine alte, magere Stute samt einem auf der linken Hinterhand humpelnden Fohlen zurückgelassen. Als Anna Elisabeth einen letzten Blick in die Ställe tat, entdeckte sie ganz hinten noch zwei Pferde – ihr wohlgenährtes Saumtier und Christophs Braunen, bewacht von Christoph selbst.
Ihr Herz tat einen Sprung. »Gut, dass ich dich hier treffe«, sagte sie tief aufatmend, »ein Helfer wird gebraucht. Einer, der diese junge Mutter sicher aus der Stadt geleitet.«
Christoph hatte sich von dem Strohbündel erhoben, auf dem er gesessen hatte, und war langsam herangekommen. Anna Elisabeth erkannte das Entsetzen in den Augen des Jungen.
»Sie wollen alle Herren, die sie gefangen haben, selber richten«, sagte er tonlos. »Unten bei der großen Linde am Flussufer soll der Richtplatz sein ... und ich kann’s nicht ändern ...«
Anna Elisabeth packte ihn bei den Schultern. »Hast du inzwischen Albrecht gesehen?«, fragte sie ihn aufgeregt.
»Nein«, antwortete Christoph, immer noch mit diesem schreckensvollen Blick. »Ich dachte, ich hätte ihn zwischen den Bauern beim Flussufer entdeckt. Aber das kann er ja nicht gewesen sein ...«
»Jetzt hör mir zu, Christoph.« Anna Elisabeth zwang sich, an das augenblicklich Notwendige zu denken. »Ich will, dass du die Stute vor den Karren schirrst.«
»Den Mistkarren?«, fragte der Junge. »Warum?«
»Du bringst darauf diese Frau aus der Stadt«, wiederholte sie langsam. »Traust du dir das zu?«
»Ja ... sicher ... aber ...«
»Kein Aber. Sie schafft es nicht allein.«
»Wer ist sie denn überhaupt?« Christophs Blick hatte sich etwas geklärt. Er wandte sich an die junge Edelfrau, die fröstelnd dastand und ihr Kind an sich drückte. »Wer seid Ihr?«
»Die Gräfin Helfenstein«, kam es zitternd über ihre Lippen, »und ich werde nicht auf diesen widerwärtigen Karren steigen ... !«
»Findet Ihr es würdiger, von den Bauern gefangen genommen zu werden wie Euer Gemahl?«, fragte Anna Elisabeth entrüstet. »Sollen sie auch Euch verurteilen, zusammen mit Eurem Kind?«
Die junge Frau biss sich auf die Unterlippe. »Sie werden es nicht wagen«, flüsterte sie, »sie werden –«
»Euren Gemahl und noch vierzehn weitere Herren haben sie unten beim Flussufer angekettet«, unterbrach Christoph sie mit immer noch blassen Lippen. »Euer Zinkenbläser, der Melchior Nonnenmacher, wird ihnen zum Prozess aufspielen. ›Ein wildes und lustiges Tänzchen sollen die Herren zu hören kriegen‹, hat er gesagt, als ich an ihm vorbeikam, ›passend zu dem, was wir für sie bereithalten‹ ...«
»Aber man wird mich doch sehen, wenn ich auf diesem schrecklichen Wagen an ihnen vorüberfahre«, versuchte die Gräfin eine letzte schwache Gegenwehr. »Jeder wird mich erkennen. Und dann –«
»Ihr werdet nicht auf dem Wagen sitzen«, mischte sich Anna Elisabeth ein. »Niemand wird Euch sehen, denn unter dem Mist vermutet Euch keiner.« Sie wickelte sich aus ihrem Mantel und hängte ihn der frierenden jungen Frau um die Schultern. »Der wird Euch schützen – Euch und Euer Kind.«
Über ihnen polterte es. Ein Dachziegel stürzte herab, zerschellte auf dem Pflaster des Hofes. Sie blickten erschrocken in die Höhe. Der Dachstuhl des Pallas brannte lichterloh; Flammen leckten wie mit langen, gespaltenen Schlangenzungen aus den Dachgauben, und Wolken schwarzen Rauchs wälzten sich aus zerborstenen Fenstern in die freie Luft. Irgendwo gellte Geschrei; gröhlende Männerstimmen mischten sich mit spitzem Frauengekreisch. Aus der Ferne war immer noch das trockene Knallen von Arkebusen- und Musketenschüssen zu hören.
Der Frühlingswind fuhr in das brennende Gebälk und fachte den Brand erst richtig an. Das Feuer knatterte, rauschte, fraß sich rasch weiter ...
»Los jetzt«, sagte Anna Elisabeth und packte die Gräfin am Arm. »Wenn Ihr Euch nicht endlich entschließt, werdet Ihr Euch ganz bestimmt nicht mehr in Sicherheit bringen können. Noch bewacht niemand die gesprengten Tore und achtet auf einen Mistkarren, der aus der Stadt gefahren wird. Aber das kann sich jeden Augenblick ändern!«
Die Gräfin war kreidebleich. Selbst Anna Elisabeths dicker Mantel konnte sie im Augenblick nicht wärmen, denn es war das Entsetzen, das sie so zittern ließ. Willenlos ließ sie sich in die Kuhle einbetten, die Christoph mit einer an der Wand lehnenden Forke in den Mist gegraben hatte, nahm ihren kleinen Sohn wieder an die Brust und schlug Anna Elisabeths Mantel um sich und das Kind. Dann zog sie sich die Kapuze des handfesten Kleidungsstücks tief in die Stirn.
Auf Anna Elisabeths Anweisung bedeckte Christoph die junge Frau mit Mist, bis sie kaum noch auf dem hoch beladenen Wagen auszumachen war. »So wird niemand sie erkennen«, sagte Anna Elisabeth befriedigt. Und dann, zu der jungen Gräfin gewandt, fügte sie tröstend hinzu: »Nur ein paar Stunden, dann müsst Ihr Euch nicht mehr fürchten. Und um Eures Kindes willen werdet Ihr das bisschen Ungemach doch ganz bestimmt ertragen können – oder nicht?«
Die Gräfin nickte beinahe unmerklich. »Ja«, hauchte sie, »und ich danke dir. Wie ist dein Name?«
»Annelies. Aber das ist nicht wichtig. Rettet Euch und den Kleinen. Nur das zählt.«
Christoph hatte inzwischen die magere alte Stute in die Deichsel des Mistkarrens geführt und angeschirrt. »Was wird aus unseren Pferden?«, wollte er wissen.
»Deinen Braunen bindest du einfach hinten an den Karren an«, entschied Anna Elisabeth kurz entschlossen. »Mein Ross behalte ich hier. Wer weiß, wann ich es brauchen kann.«
Etwas flackerte in Christophs Blick. »Aber was soll ich tun, wenn ich meine Aufgabe erfüllt habe?«, fragte er mit brüchiger Stimme. »Wohin soll ich dann gehen, Anna?«
»Komm hierher zurück«, schlug sie vor, »oder reite nach Weißenstein. Mich hast du sicher geleitet. Damit wirst du hier nicht mehr gebraucht.«
»Und Albrecht?« Er hatte plötzlich etwas Verlorenes. »Wir haben Albrecht noch nicht gefunden. Außerdem wollte ich ...«
Er vollendete den Satz nicht. »Was?«, forschte Anna Elisabeth.
»Ach, nichts«, sagte Christoph. Er riss sich deutlich zusammen. »Dein Rat ist gut, Mädchen. Ich werde ihn befolgen.«
Nur wenige Handgriffe, dann waren die Zügel seines Reittieres am hintersten Staken des Leiterwagens befestigt. Christoph fasste die alte Stute am Kopfgeschirr und führte sie schnell aus dem Hof, denn schon stürzten weitere Ziegel vom brennenden Dach herunter. Die Tiere scheuten und warfen die Köpfe hoch. Das hinkende Fohlen folgte angstvoll wiehernd seiner Mutter.
Einen Augenblick lang sah Anna Elisabeth dem Fuhrwerk nach, wie es sich aus dem äußeren Tor auf den Fahrweg hinausbewegte, der hinunter in die Stadt führte. Sie war sich sicher, dass niemand die Gräfin Helfenstein unter dem Mist entdecken würde, wenn sie sich reglos verhielt. Nur Christoph machte ihr Sorgen. Er, der auf der Fahrt hierher so glaubhaft den erwachsenen Mann gespielt hatte, war längst nicht so gefestigt, wie es ihr vorgekommen war. Ihn hatten die Schreckensbilder des heutigen Tages aus dem Lot gebracht, und er würde lange brauchen, bis er sich wieder gefangen hatte.
Sie hoffte inständig, dass er sich wirklich wieder zurück nach Weißenstein begeben würde. Und sie – was würde sie tun?
Zuerst einmal musste sie sich aus der gefährlichen Umgebung der brennenden Burg in Sicherheit bringen. Sie ergriff ihr wohl genährtes Saumpferd am Zügel. Wie von allein bewegten sich ihre Füße in Richtung des Tores, durch das der Mistkarren mit seiner wertvollen Fracht soeben hinausgerollt war, und das Tier folgte ihr willig. Anna Elisabeth ging ohne Eile; sie ließ sich von Plünderern überholen, die mit dicken Packen eingesackter Wertsachen an ihr vorüberhasteten, wich Fuhrwerken aus, auf denen Güter aller Art aus der Stadt hinausgeschafft wurden, musste sich ein paarmal ducken, wenn Funken von brennenden Dächern regneten oder verkohlte, noch glühende Balkensplitter herabfielen.
Über all der Zerstörung, dem Geschrei, dem Gepolter spannte sich ein wundervoller, zartblauer Frühlingshimmel. Die Rauchwolken aus den brennenden Gebäuden, die überall aus Dächern und Fensterhöhlen hervorquollen und wie lange schwarze Fahnen im Wind wehten, konnten dennoch den strahlenden Ostertag nicht völlig verdüstern. Auferstehung des Herrn ... dachte Anna Elisabeth, während sie, gefangen wie in einem halb grausigen, halb beseligenden Traum, den Burgberg hinunterstieg. Die Grabsteine auf dem Friedhof bei der Kirche waren mit Blut besprenkelt, das die Sonne bereits getrocknet hatte ... leblose Körper lagen über sie hingestreckt – gefallene Söhne und Enkel derer, die hier unter dem Rasen ruhten. Vorn an der Mauer aber blühten in leuchtendem Gold ganze Heerscharen von Narzissen ...
Wohin Anna Elisabeth auch blickte, überall lagen Erschlagene. In einer Nische zwischen zwei Häusern sah sie die Körper eines jungen Bauern und eines ebenso jungen Edelmannes, die sich im Tode eng umschlungen hielten. Jemand war dabei, die Leichen voneinander zu lösen, um an die bunt gestreifte Seidenweste des Junkers zu kommen. Der Mann, ein knorriger, rotgesichtiger Kerl, dem das schmal geschnittene Kleidungsstück kaum passen würde, schnaufte, zerrte an dem Toten herum und fluchte leise vor sich hin: »Gib her, was du mir gestohlen hast, Raubgraf... lange genug bist du in Samt und Seide gegangen. Jetzt kommt meine Zeit ...«
Ein zweiter Plünderer kam des Wegs, gesellte sich zu ihm. »Kennst du den?«, fragte er den Rotgesichtigen.
»Nein. Verschwinde. Such dir ’n anderes Jünkerlein.«
»Und wenn ich nun gerade diese Weste will?«, stänkerte der andere.
»Dann hau ich dir die Nase noch breiter, als sie sowieso schon ist«, knurrte der Rotgesichtige bissig.
Der andere lachte. »Schon gut«, sagte er, indem er sich zum Weitergehen anschickte. »Hab mir für mich ohnehin was Besseres vorgestellt – nicht solchen läppischen Tand.«
Anna Elisabeth spürte einen schlechten Geschmack im Mund. Sie fasste die Zügel ihres Pferdes fester und sah zu, dass sie weiterkam. Unten, in der Nähe der aufgesprengten Stadttore, herrschte aber noch viel dichterer Verkehr. Es gab kaum ein Durchkommen. Bürger auf der Flucht drängten mit viel zu schwer beladenen Karren und anderen Fuhrwerken aus den Mauern ins Freie. Plünderer schoben sich mit ihrem zusammengerafften Raub dazwischen durch, während andere aus dem Bauernheer hineindrängten und nachträglich noch versuchten, auch etwas von der Beute abzukriegen. Über allem aber bimmelte die Feuerglocke ...
Anna Elisabeth arbeitete sich mit weit aufgerissenen Augen und dennoch blicklos durch die schwitzenden, schiebenden Menschenmengen. Das Pferd fest am Zügel durchschritt sie endlich das Tor und ließ sich, mitten im Gewühl zwischen hunderten von unbekannten Männern und Frauen eingekeilt, zu der weiten Wiese am Flussufer treiben.
Der Baum, von dem Christoph gesprochen hatte, war leicht auszumachen. Er musste uralt sein; mit seiner ausladenden Krone überspannte er einen weiten Platz, auf dem viele Männer mit langen Spießen, wie Lanzknechte sie trugen, in Zweierreihe angetreten standen.
Anna Elisabeth, die von der drängelnden und schubsenden Menge bis ganz nach vorn durchgeschoben worden war, bot sich ein ungestörter Blick auf das Geschehen. Hier war offenbar gerade eine Art Gerichtsverhandlung zu Ende gegangen. Vorn, dicht am Stamm der mächtigen Linde, standen drei Menschen, die wohl die Richter gewesen waren – zwei Männer und eine Frau. Die Männer trugen Brustpanzer und sehr bunte, beinahe grelle Kleidung – geschlitzte Halbhosen in leuchtenden Farben, große, auffällige Federbarette, blitzende Rapiere an der Hüfte. Die Frau, deren Alter Anna Elisabeth nicht schätzen konnte, prunkte in einem grünseidenen Gewand mit rotem Besatz und pelzgefütterten Ärmeln. Das schwarze Haar allerdings flatterte ihr offen über die nackten Schultern. Es war wirr und ungepflegt und gab ihr das Aussehen einer Verrückten. Diesen Eindruck verstärkten noch ihre glühenden schwarzen Augen.
Jetzt breitete sie die Arme aus, ließ dann den rechten wieder sinken und machte mit dem linken eine weit ausholende Bewegung. Anna Elisabeth bemerkte, als sie mit dem Blick dieser Bewegung folgte, dass am Rand des Platzes unter dem Baum eine kleine Gruppe von Musikanten Aufstellung genommen hatte. Diese Leute hoben auf das Zeichen der schwarzhaarigen Frau ihre Instrumente und setzten sie an. Gleichzeitig senkten die angetretenen Bauern ihre Spieße und traten drei, vier Schritte zurück. Eine Gasse hatte sich auf diese Weise gebildet.
Die beiden Männer, die die Frau flankierten, stellten sich in Positur. »Ludwig Helfenstein«, schrie der eine von ihnen, »tritt vor!«
Erst jetzt wurde Anna Elisabeth der Edelleute gewahr, die zusammengedrängt am äußersten Rand des Platzes standen und aus deren Mitte einige Bauern nun mit Tritten und Faustschlägen einen jungen Herrn hervorzerrten.
»Du bist für schuldig erklärt«, sagte er zweite der Bauern- Hauptleute. »Hast du noch etwas zu sagen, bevor du deine Strafe empfängst?«
Der junge Edelmann, den Anna Elisabeth ja bereits gesehen hatte, war verwundet; Blut sickerte ihm vom Scheitel her seitlich die Wange hinab, und seine Augen blickten verschleiert. Er schwankte, als sie ihn am Eingang der Gasse aus Spießen aufstellten. »Möge Gott euch vergeben«, hörte Anna Elisabeth ihn sagen, »der Kaiser wird es nicht können ...«
Die schwarzhaarige Frau stieß einen Wutschrei aus. »Macht ein Ende mit ihnen – macht ein Ende!«
Diesmal gab einer der Hauptleute den Musikanten das Zeichen. Doch bevor sie zu spielen anfangen konnten, sagte der junge Graf noch etwas: »Melchior Nonnenmacher – habe ich dich nicht immer gut behandelt?«
Der Zinkenbläser, der offenbar die kleine Kapelle leitete, lachte darauf. »Und ich werde Euch deshalb auch Euer Lieblingsstücklein spielen«, rief er seinem ehemaligen Brotherrn zu, »Ihr sollt zufrieden sein!«
»Du weißt, Ludwig Helfenstein, dass du frei bist, wenn du es schaffen solltest, das Ende der Gasse lebend zu erreichen?« Diese zynische Frage stellte der Hauptmann links neben der Frau.
»Jäcklein Rohrbach«, antwortete der Graf, der sich vor Schwäche kaum noch auf den Beinen halten konnte, »ich hoffe, du wirst mehr Gnade erfahren, als du mir und den Meinen zubilligst ...«
Die Frau mit den zerzausten Haaren stieß einen neuen Wutschrei aus und gestikulierte wild. Nun endlich begannen die Musikanten zu spielen – die Töne des Zink gellten scharf und schneidend durch die Luft. Anna Elisabeth kannte die Melodie. »Hierum tummel dich und rundum«, hieß das Tanzstückchen, das Melchior Nonnenmacher ausgewählt hatte.
Der Graf wurde von neuem getreten und vorwärts gestoßen. Er taumelte in die Gasse aus Lanzen hinein, die Bauern hoben ihre langen Spieße, senkten sie wieder, stießen zu ...
Anna Elisabeth wandte sich ab. Dennoch, sie hatte das Blut gesehen, das da vorn aufgespritzt war, und aus den Augenwinkeln nahm sie auch den zerfetzten, von vielen Lanzenstichen durchbohrten Leichnam wahr, der Augenblicke später vom Anger geschleift wurde.
Jubel klang auf. Für Anna Elisabeth hörte er sich beinahe an wie das Geifern und Heulen von wilden Tieren. Unter tosendem Beifall wurden die Namen der Hingerichteten laut ausgerufen, weitere blutende, zerrissene Leichname wurden vom Platz geschleppt. Anna Elisabeth konnte nicht weg – sie war eingekeilt zwischen Männern und Frauen, die mit aufgerissenen Augen und Mündern fasziniert dem grausigen Schauspiel zusahen, das sich da vorn abspielte. Der Zügel des Saumpferdes, das sie noch immer mit sich führte, schnitt ihr schmerzhaft ins Handgelenk ...
In diesem Augenblick sah sie in der Menge, keine sechs Schritte von ihr entfernt, ein bekanntes Gesicht. Hannes Rebmann, kalkweiß im Gesicht, stand da und starrte mit zuckenden Lippen zur Gasse der Lanzen hinüber, wo gerade wieder ein Delinquent zu Boden gegangen war. »Sie haben es alle verdient«, hörte sie ihn halblaut vor sich hinsagen, »sie haben es alle verdient ...«
Anna Elisabeth, zutiefst erschrocken wie sie schon war, packte neues Entsetzen. Johannes Rebmann sah krank aus – todkrank. So bleich, so hohläugig hatte sie ihn noch nie erlebt. Immer war er mit seiner frischen Gesichtsfarbe, seiner kraftvollen, munteren Art und seinem zupackenden Wesen für sie der Inbegriff der Gesundheit gewesen. Aber der Mann, der da immer wieder den gleichen Satz vor sich hinmurmelte, der sah dem Hannes Rebmann von früher nicht im Entferntesten ähnlich.
Sie versuchte sich zu ihm durchzudrängen. Das war schwer; diejenigen, die neben ihr standen, knurrten sie wütend an. »He, du bist hier nicht die Einzige, die alles genau mitkriegen will«, zischte eine alte Frau in Lumpen, die offenbar aus Weinsberg stammte und wütend ihre grauweißen Strähnen zurückwarf.
»Halt dich zurück, Mädchen«, knurrte der alte Kerl rechts von Anna Elisabeth. »Sie hat mehr Rechte als du. Denn ihr Sohn ist im Verließ verreckt – oben auf der Weibertreu.«
»Und jetzt kriegen wir endlich unsere Rache«, warf eine dürre, ebenso zerlumpte Person ein. »Endlich ...«
Aber Anna Elisabeth war nicht bereit, sich noch aufhalten zu lassen. Sie zerrte das Pferd weiter und nutzte es, sich Platz zu schaffen – auch gegen den Widerstand der dicht gedrängt stehenden Zuschauer. Schritt für Schritt kam sie so näher an Hannes Rebmann heran, der inzwischen wie versteinert nach vorn starrte und nur noch lautlos die Lippen bewegte. Als sie ihn erreicht hatte, sprach sie ihn an:
»Hannes ... ?«
Er rührte sich nicht, drehte nicht einmal den Kopf in ihre Richtung.
»Hannes ... !«, wiederholte sie.
Ein Muskel zuckte in seinem Gesicht. Seine Brauen runzelten sich. Er verzog den Mund, als leide er Schmerzen. Dann, ganz langsam, wandte er sich zu Anna Elisabeth um.
Er sagte nichts.
»Ich bin’s«, fuhr Anna Elisabeth fort. »Ich hatte dich in der Menge gesehen, Hannes ...«
»Wie kommst du hierher ...«
Sie ging nicht auf seine verwirrte Frage ein. »Lass uns von hier verschwinden«, forderte sie ihn auf. »Ich habe genug gesehen. Du nicht auch?«
Er nickte, unschlüssig, wie es Anna Elisabeth schien.
»Dann komm.« Sie streckte ihm die Hand entgegen wie einem kleinen Kind. Er ergriff ihre Finger und umklammerte sie so hart, dass Anna Elisabeth sich einen Schmerzensschrei verbeißen musste. Doch sie entzog ihm ihre Hand nicht. »Komm«, wiederholte sie noch einmal. Mithilfe des Pferdes schafften sie es, sich aus der drangvollen Enge des Zuschauerringes zu befreien und den Rand des Angers zu erreichen.
Hier waren einige Männer des Bauernheeres dabei, die vorhin Getöteten nebeneinander auf dem Rasen auszulegen. Die beiden Hauptleute, in ihrer Gesellschaft auch die schwarzhaarige Frau mit den glühenden Augen, standen in unmittelbarer Nähe und beaufsichtigten die Aktion. »Den Grafen Helfenstein ganz nach vorn«, befahl gerade der Ältere der beiden Hauptleute, indem er mit der Frau einen flüchtigen Kuss tauschte. »Man soll doch sehen, wer von denen das Hauptschwein war!«
Anna Elisabeth wollte mit Hannes Rebmann schnell weitergehen, als ein kurz gewachsener Mann in dunkel brüniertem Harnisch an die Bauern-Gewaltigen herantrat. Er atmete heftig, als sei er schnell gelaufen. »Fürwahr, Jäcklein«, fuhr er mit zornbebender Stimme den Älteren der Hauptleute an, »das war das Dümmste, was Ihr hättet tun können. Diese Tat wird Folgen haben – schreckliche Folgen, deren Ausmaße ich mir lieber nicht ausmalen möchte!«
Jäcklein Rohrbach schob das Kinn vor. »Was Ihr da faselt«, erwiderte er geringschätzig, »das kann nur aus dem Mund eines Feiglings kommen. Dabei habt Ihr doch selbst erlebt, wie leicht es war, Weinsberg einzunehmen! Keine drei Stunden haben wir gebraucht, um die armseligen Memmen zu überwinden, die dem Helfensteiner zur Seite stehen sollten. Und da glaubt Ihr im Ernst, wir hätten Folgen zu fürchten?«
Das Wort »Folgen« hatte er wie eine Fischgräte oder einen Kirschkern ausgespuckt. Der Mann im brünierten Harnisch machte ein bitterböses Gesicht. »Jäcklein«, erwiderte er hart, »ich hatte Euch für einen Mann von Verstand gehalten. Und nun stellt sich heraus, dass ich mich geirrt habe. Ihr seid ... Ihr seid ...«
»Was wollt Ihr denn damit andeuten?«, fuhr ihm Jäcklein Rohrbach aufgebracht in die Rede.
»Nichts anderes, als dass Ihr Eure Handlungsweise unmöglich bedacht haben könnt«, sagte der Mann im dunklen Harnisch in ruhigerem Ton. »Könnt Ihr überhaupt ermessen, wer von nun an zu unseren erbittertsten Feinden gehören wird?«
Jäcklein Rohrbach schnaufte verächtlich. »Als ob mich das kümmerte«, gab er mit einem überheblichen Grinsen zurück. »Die Evangelische Brüderschaft zählt in die Tausende. Gleich, wer sich uns entgegenstellt – wir sind in der Überzahl. Und dass wir uns zu schlagen wissen, das haben wir heute bewiesen. Oder etwa nicht?«
»Nach dieser Schreckenstat werden wir es in Zukunft mit ausgebildeten Lanzknechten und mit den Herren vom Schwäbischen Bund zu tun haben«, sagte der Geharnischte trocken. »Nicht einer der getöteten Edelleute wird ungerächt bleiben – darauf leiste ich einen heiligen Eid. Ihre Verwandten werden –«
»Armer Ritter«, unterbrach ihn der andere Hauptmann mit einem hämischen Lachen, »Ihr habt wohl auch einen Verwandten unter den Schelmen, die hier ausliegen – und wollt nun schleunigst die Gelegenheit nutzen, um die Evangelische Brüderschaft zu verlassen?«
Der Mann im dunklen Harnisch reckte sich. Sein Antlitz wirkte steinern, als er antwortete: »Ich habe nie dazugehört, Metzler. Schreibt Euch hinter Eure ungewaschenen Ohren, dass ich mit meiner Schar lediglich dem Ziel diene, die Zwölf Artikel durchzusetzen. Euren Zielen dagegen diene ich nicht – denn sie weichen mir zu sehr ab von dem, was recht und billig ist!«
»In anderen Worten«, warf Jäcklein Rohrbach ein, »Ihr wollt von jetzt an nicht mehr Seite an Seite mit uns kämpfen?«
»Wie begriffsstutzig Ihr doch seid, Jäcklein«, sagte der Geharnischte in unterdrücktem Zorn. »Es sind Eure Schandtaten, mit denen ich nichts zu tun haben will – weder heute noch in Zukunft. Denn im Gegensatz zu Euch habe ich das Ziel noch nicht aus den Augen verloren, auch wenn es nach dem heutigen Tag unendlich viel schwerer zu erreichen sein wird.«
Er drehte sich auf dem Absatz um und entfernte sich vom Anger, ohne noch einen letzten Blick auf die Mörder oder ihre Opfer zu werfen. Die Frau mit den zerzausten schwarzen Haaren stieß ein schrilles Lachen aus. »Mann«, sagte sie schmeichelnd zu Jäcklein Rohrbach, »was brauchen wir dergleichen lächerliche kleine Junker in unserem Heer? Wir werden siegen ... hab die neuen Feldschlangen schon mit kräftigen Worten besprochen. Meine Zauberkraft ist allemal stärker als alles andere, und wenn ich die Unsrigen erst unverwundbar gemacht habe ...«
Sie schlang die Arme um den Bauernhauptmann, küsste ihn auf die stoppelbärtige Wange und begann ihn heftig zu streicheln. Doch Jäcklein Rohrbach wehrte ihre ungebärdigen Zärtlichkeiten ab. »Lass sein, Hofmännin – davon verstehst du nichts«, sagte er unwirsch. »Um einen Krieg zu gewinnen, braucht man mehr als nur eine große Zahl von Kanonen ...«
Sie hatten sich hinter einen der Trosswagen zurückgezogen, Anna Elisabeth und Hannes Rebmann. Erst ganz allmählich war Hannes der Sprache wieder mächtig geworden und hatte seine Frage wiederholt: »Wie kommst du hierher, Annelies?«
Sie hatte nach einer Möglichkeit gesucht, ihm auszuweichen. »Zu Pferd«, war ihre Antwort gewesen.
»Das war es nicht, was ich wissen wollte«, hatte Hannes Rebmann gesagt.
Ich weiß, dachte Anna Elisabeth. »Was dann?«, fragte sie. »Warum bist du mir gefolgt? Ich hatte dir doch befohlen, daheim zu bleiben und dich um den Hausstand zu kümmern.« »Noch muss ich dir nicht gehorchen, Hannes.«
»Das ist wahr. Aber warum willst du dich nicht schon einmal daran gewöhnen?«
»Ich weiß nicht, ob ich mich jemals daran gewöhnen werde.« »Aber das musst du, Annelies.«
»Warum?«
»Weil es schon immer so war. Es ist Gottes Ordnung.«
»So, wie es seit Menschengedenken Gottes Ordnung war, dass die Fürsten und Herren ... ?«
Hannes Rebmann schüttelte den Kopf. »Das ist etwas ganz anderes«, sagte er langsam.
»Die Fürsten haben immer nur behauptet, es sei Gottes Wille, dass sie bestimmen«, erwiderte Hannes. »Eigentlich sind aber alle Menschen gleich.«
»Kann es nicht sein, dass auch die Männer immer nur behauptet haben, es sei Gottes Wille, dass die Frauen gehorchen?« Anna Elisabeth ließ nicht locker.
»Ach was«, gab Hannes grob zurück. »Denk doch nach, Annelies. Eva wurde von Gott geschaffen, damit sie Adam hilft. Aber Herr der Schöpfung ist der Mann, lautet Gottes Wort.«
Anna Elisabeth lächelte.
»Warum hast du mich also aufgesucht?«, kam er auf seine ursprüngliche Frage zurück.
»Das habe ich nicht«, erwiderte Anna Elisabeth. »Dass wir uns getroffen haben, war Zufall.« Damit wandte sie sich von Hannes ab, ging ein paar Schritte zwischen den Trosswagen entlang und ließ ihn in Verwirrung zurück.
Überall wurden bereits die Zugtiere eingespannt. Der Tross machte sich reisefertig. Anna Elisabeth sah zu, wie Knechte dicke Bündel mit Beutegut auf den Wagen verstauten, wie ein paar Weiber und ihre rotznasigen Kinder sich um Brote und Würste prügelten, wie Bauernkrieger ihre Waffen reinigten.
Einer, ein hoch gewachsener Kerl, der über seinem braunen Wollwams eine seidene Weste trug, hatte gerade seine Hellebarde von Blutspritzern befreit und machte sich nun daran, auch sein Haumesser wieder blank zu putzen. In diesem Augenblick bog ein anderer dürrer und langer Mensch um die Ecke des Karrens. »Dacht ich mir’s doch«, sagte er, »feige davongemacht hat er sich!«
»Wer denn?«, fragte der mit der Seidenweste erstaunt.
»Der Geyer. Er ist mit seiner schwarzen Schar auf und davon. Wohin – das weiß keiner.«
»Doch«, sagte der mit der Seidenweste. »Er ist voraus – nach Heilbronn. Die Stadt ist für die Bauernschaft.«
»Woher weißt du das?«
»Hab’s schon vor Tagen erfahren.« Der mit der Seidenweste grinste.
»Von wem?«, wollte der lange Dürre wissen.
»Vom Jäcklein persönlich. Gleich, nachdem mich die Hofmännin gefeit gemacht hat.«
Der Dürre staunte. »Gefeit? Gegen was?«
»Gegen Musketenkugeln und Armbrustbolzen«, erklärte ihm der mit der Seidenweste. »Kannst auch hingehen und dir den Zauberspruch holen. Aber es kostet natürlich was.«
»Was?«
Der mit der Seidenweste grinste noch einmal. »Von mir hat sie ’ne Nacht verlangt«, sagte er, »aber, im Vertrauen, Hinz ... du wirst ihr Geld oder Ware bieten müssen. Sie hat’s mehr mit den breitschultrigen, kräftigen Männern, die noch nicht so alt sind...«
»Prahlhans«, entrüstete sich der lange Dürre.
Anna Elisabeth hörte der Unterhaltung der beiden nicht weiter zu. Sie ging zu dem Wagen zurück, an den sie ihr Saumpferd angebunden hatte. Der Geyer, der mit irgendeiner schwarzen Schar nach Heilbronn vorausgeritten war – das konnte nur Herr Florian Geyer sein, in dessen Gesellschaft Albrecht Wolf von Weißenstein auf Fahrt gegangen war. Was die beiden Herren mit dem Heer der Bauern zu tun hatten, war ihr zwar nicht klar geworden, aber es war auch nicht wichtig. Wo Florian Geyer war, da hielt sich höchstwahrscheinlich auch Albrecht Weißenstein auf. Und dahin musste sie – koste es, was es wolle.
Sie war aufgesessen und dem langen Zug der Bauernkrieger gefolgt, die bereits auf dem Marsch waren. Ihr Pferd war daran gewöhnt, im Pulk mitzulaufen, und brauchte so gut wie gar keine Hilfen von seiner recht ungeübten Reiterin.
Die Männer des Hellen Haufens unterschieden sich inzwischen, was ihr Äußeres betraf, nicht mehr sonderlich von den reisigen Knechten, die die Weibertreu verteidigt hatten. Allenthalben sah Anna Elisabeth seidene Jacken und Westen, geschlitzte Halbhosen, Kuhmaulschuhe. Ein vierschrötiger Kerl, auf dem Schädel ein federbesetztes Barett, das sicher noch vor wenigen Stunden den gepflegten Kopf eines Edelherren geschmückt hatte, stolperte mit geschulterter Hellebarde an ihr vorüber und grinste sie dabei an. Ihm fehlten zwei Schneidezähne ...
Blanke Rapiere, Musketen und andere Feuerwaffen hatten selbst geschmiedete Stich- und Hiebwaffen beinahe vollständig ersetzt. Im Tross wurden die Geschütze mitgeführt, die vorher auf den Mauern von Weinsberg und auf der Weibertreu gestanden hatten.
Der graublaue Wollmantel, den Anna Elisabeth sich aus der Beute genommen hatte, kratzte. Aber er wärmte auch. Sie zog das voluminöse Kleidungsstück enger um sich und ließ die weite Kapuze tief in die Stirn fallen. Schon waren die Tore von Heilbronn erreicht. Die lange, ungeordnet ziehende Kolonne des Hellen Haufens hatte freien Einlass; sie löste sich auf, sobald sie innerhalb der Mauern angekommen war. Die Männer des Bauernheeres verschwanden in Kneipen, Wirtschaften und anderen öffentlichen Häusern.
Anna Elisabeth saß ab und blieb unschlüssig neben ihrem müden Pferd stehen. Was sollte sie jetzt tun? Sie war hungrig, und auch das Tier, das sie den langen Weg so brav getragen hatte, musste mit Futter und Wasser versorgt werden.
Linker Hand war ein breiter Torbogen, der in einen Innenhof führte. Sie nahm das Tier am Zügel und führte es dort hinein. Der Hof gehörte zu einem Gasthof; zwei Fuhrwerke standen dort, und die Pferde, die die Wagen gezogen hatten, wurde soeben mit Stroh abgerieben.
Anna Elisabeth sprach den Knecht an, der damit beschäftigt war. »Kannst du mir wohl einen Eimer Wasser für mein Ross besorgen?«
»Kann ich schon«, sagte der Knecht, »will ich aber nicht. Besorg ihn dir selber ...«
Er deutete zu einem gemauerten Brunnen hinüber, der die rechte hintere Ecke des Hofes einnahm. Und er hielt es nicht einmal für nötig, den Kopf zu heben.
Anna Elisabeth, deren Beine sich nach dem langen Ritt schwer wie Blei anfühlten, fand sein Benehmen tadelnswert. »Etwas mehr Höflichkeit hätte ich dir schon zugetraut«, erwiderte sie verärgert. »Gehst du immer so mit Frauen um?«
Jetzt blickte der Knecht auf. Er war noch gut beieiander – hatte sicher die dreißig kaum überschritten – und konnte sich sehen lassen. Funkelnde braune Augen musterten Anna Elisabeth neugierig, und ein Mund mit vollen Lippen lächelte etwas spöttisch. »Mit schönen nicht«, erwiderte er, indem er das Stohbüschel fallen ließ, mit dem er die Flanke des Zugpferdes bearbeitet hatte. »Du musst schon verzeihen – aber ich hatte dich ja nicht gesehen.«
Er ging zum Brunnen, betätigte die Winde, kam mit dem gefüllten Eimer zu Anna Elisabeth herüber, die sprachlos dastand und ihn völlig verwirrt anschaute. Ohne weitere Bitten oder Aufforderungen machte er sich daran, das Saumpferd zu tränken, und hängte ihm, als es mit Saufen fertig war, sogar einen vollen Futtersack um. Erst jetzt wandte er sich wieder an Anna Elisabeth. »Zufrieden?«
Sie konnte nichts anderes als nicken.
»Du scheinst mir nicht mit viel Hirn gesegnet«, sagte der Knecht, indem er ein neues, etwas schiefes Lächeln zeigte. »Bevor ich mich wieder mit meiner Arbeit beschäftige – kann ich dir sonst noch irgendwie behilflich sein?«
Diese neue Frechheit machte Anna Elisabeth für den Augenblick noch einmal sprachlos. Sie musste schlucken, räusperte sich, suchte nach Worten.
»Also nicht.« Der Knecht gab sich selbst die Antwort, die er von Anna Elisabeth erwartete. »Nun – dann leb wohl, Mädchen. Es war reizend, deine Bekanntschaft zu machen – auch wenn das Vergnügen nur kurz war ...«
Jetzt brach sich die Empörung in Anna Elisabeth freie Bahn. Tränen stürzten ihr aus den Augen, und sie ballte in hilflosem Zorn die Fäuste. »Wie kannst du die ganze Zeit so albern sein«, stieß sie hervor, »wo heute so viele Menschen den Tod gefunden haben! Jetzt ist nicht die Zeit zu dummen Scherzen. Ich habe Schreckliches gesehen in Weinsberg ... und du machst reizende Bekanntschaften!«
Mit diesem Ausbruch hatte er nicht im Entferntesten gerechnet. Erschrocken musterte er sie, dann trat er zwei, drei Schritte auf sie zu. »Verzeih«, murmelte er verlegen, »aber ich wusste wirklich nicht ...«
Plötzlich war er derjenige, dem keine passenden Worte mehr einfielen. Seine Miene, die eben noch so keck gewesen war, hatte jetzt Ähnlichkeit mit der eines gescholtenen Hundes. Doch Anna Elisabeth brachte es nicht fertig, ihm aus der Verlegenheit zu helfen. Sie starrte ihn nur an, während weitere Tränen ihre Wangen hinabrannen.
Er bemühte sich darum, seine Fassung zurückzugewinnen. »Bitte«, sagte er, »bitte nicht ... ich kann keine Frauen weinen sehen. Was soll ich tun, um dich wieder heiter zu stimmen?«
Sie drehte ihm den Rücken zu. »Nichts«, gab sie leise zurück. »Lass mich einfach zufrieden ...«
»Damit verlangst du Unmögliches«, sagte er. In seiner Stimme schwang schon wieder die alte Unbekümmertheit mit.
»Denk dir etwas Besseres aus – etwas, das ich auch bieten kann. Wie wär’s mit einem schönen warmen Essen?«
Anna Elisabeth schluchzte auf. »Danke für das Wasser und das Futter«, erwiderte sie mit zitternden Lippen, »aber jetzt muss ich gehen. Ich will nicht, dass du –«
»Zu spät.« Er war bereits an ihrer Seite und fasste sie am Unterarm. »Deine Chance, schnell wegzulaufen, hast du vergeben. Nun bleibt dir nur noch eins – dich von mir verköstigen zu lassen. Und nenn mir gefälligst deinen Namen, damit ich weiß, wie ich dich anzusprechen habe. Ich heiße Balthasar. Meine Freunde nennen mich Balzer.«
Anna Elisabeth antwortete nicht. Doch ihre Tränen begannen zu versiegen.
»Du willst es mir nicht sagen?«, redete Balzer weiter. »Das ist klug – und du tust recht daran, deinen Namen zu verschweigen. Denn ich bin gefährlich und habe schon so manche junge Frau ins Verderben gerissen.« Er ließ seine Augenbrauen ein paarmal auf- und niederzucken. »Aber für dich mache ich eine Ausnahme ... wie heißt du also?«
»Das geht dich nichts an.«
»Ungewöhnlich, höchst ungewöhnlich.« Balzer legte theatralisch den Finger an die Nase. »Hast du auch einen Vornamen?«
Jetzt endlich fühlte Anna Elisabeth sich gezwungen, zu lächeln. »Wollen wir nicht wie vernünftige Menschen miteinander reden?«, sagte sie zu Balzer. »Ich heiße Anna. Und es wäre wirklich sehr freundlich von dir, wenn du mir etwas Nahrung beschaffen könntest. Ich habe den ganzen Tag noch nichts gegessen.«
Er war so erleichtert, dass er lachte. »Warum nicht gleich«, seufzte er. »Wir binden deinen Gaul im Stall dieser Wirtschaft an, und dann führe ich dich aus. Du wirst zufrieden sein!«
Die kleine Gaststube, in die Balzer Anna Elisabeth führte, nachdem er ihr Pferd versorgt hatte, war dunkel, eng, warm und voller fröhlich zechender Menschen. Er bestellte ihr eine Schüssel dampfende Gerstensuppe mit Pökelfleisch, die sie halb leer aß. Den Rest übernahm er selbst.
Eine Unterhaltung war kaum möglich; dazu war der Lärm, den die anderen Gäste machten, viel zu groß. Aber Anna Elisabeth hatte auch gar nicht mehr die Kraft, noch mit dem sonderbaren Kerl zu reden, den der Zufall ihr über den Weg geschickt hatte. Sie war satt, todmüde und fühlte sich nach den Ereignissen dieses Tages innerlich völlig erschöpft. Das muntere Geplauder, mit dem Balzer sie aufzuheitern suchte, rieselte an ihren Ohren vorbei ... klang irgendwann wie fernes Wasserrauschen ...
Der Strohsack war frisch gefüllt. Balzer drückte ihn dennoch sorgfälltig zurecht, bevor er Anna Elisabeth darauf bettete. Vorsichtig, um sie nicht aufzuwecken, ließ er seine dicke Wolldecke auf sie niedersinken. »Schlaf schön, kleines Ännchen«, wisperte er so leise, dass sie es ganz bestimmt nicht mehr verstehen konnte, »der Balzer passt auf, dass dir nichts geschieht ...«
Anna Elisabeth erwachte in einem winzigen Zimmerchen, das außer einem mächtigen Strohsack keinerlei Möbel enthielt. Auf dem Strohsack, warm eingepackt in eine Wolldecke, lag sie selbst. Auf dem Fußboden aus dicken Eichenbohlen, mit dem Rücken an die Lehmwand gelehnt, saß der fremde Knecht namens Balthasar, der gestern ihr Pferd versorgt hatte.
Sie richtete sich auf und stellte fest, dass sie unter der Decke völlig angekleidet war. Der Mann war wach, hielt den Blick seiner braunen Augen auf sie gerichtet und fragte: »Ausgeschlafen?«
Sie sah sich verwirrt um. »Wie komme ich hierher ... ?«
Er ging nicht auf ihre Frage ein. »Die Bauern haben diese Nacht so viel Lärm gemacht, dass ich schon dachte, du könntest keinen Schlaf finden«, sagte er mit müdem Lächeln.
»Lärm? Davon habe ich nichts gehört.«
»Umso besser.«
Anna Elisabeth schwang die Beine aus dem Bett und stand auf. »Wie auch immer«, sagte sie, indem sie sich den Schlaf aus den Augen rieb, »ich muss weiter. Wo finde ich mein Pferd?«
Balzer erhob sich ebenfalls. Als er stand und seine Beine streckte, machte er ein schmerzliches Gesicht. »Ich bringe dich hin«, sagte er. »Wo liegt denn dein Ziel?«
»Ich suche Florian Geyer«, erwiderte Anna Elisabeth nüchtern, »und ich habe keine Zeit zu verlieren. Halte mich also nicht länger auf.«
»Du bist ein wunderliches Mädchen«, murmelte Balzer. »Den schwarzen Geyer suchst du? Der wird dich kaum empfangen ...«
»Du wolltest mich doch zu meinem Pferd führen«, sagte Anna Elisabeth, »also komm.«
Balzer versuchte seine Enttäuschung über Anna Elisabeths abweisendes Verhalten zu überspielen. »Außerdem ist die Schwarze Schar bestimmt schon weitergezogen«, sagte er.
»Das ... das glaube ich nicht!« Anna Elisabeth stotterte beinahe, so erschrocken war sie über Balzers Vermutung.
»Der Geyer kommt und geht, wie es ihm gefällt«, bekräftigte Balzer seine Worte noch einmal. »Und was diese Nacht hier geschehen ist, wird nicht nach seinem Geschmack gewesen sein.«
»Woher willst du das wissen? Kennst du ihn etwa?«
»Es hat gebrannt«, erklärte Balzer ausweichend. »Wahrscheinlich brennt’s immer noch. Die Bauern haben mehrere Klöster ausgeraubt und angezündet.«
Anna Elisabeth schaute hinaus. Tatsächlich standen schwarze Rauchwolken in der stillen Luft über den Dächern. »So etwas gefällt wohl niemandem«, sagte sie und schüttelte den Kopf. »Wo kann ich erfahren, ob Herr Florian Geyer wirklich schon die Stadt verlassen hat?«
»Du bist ein wunderliches Mädchen«, wiederholte Balzer noch einmal. Dann nahm er sie bei der Hand und führte sie die schmale Stiege hinab, die von seiner Stallkammer in den Hof führte. »Ich find’s für dich heraus«, fügte er hinzu.
»Warum tust du das alles für mich?«, wollte Anna Elisabeth erstaunt wissen.
»Weiß nicht«, sagte Balzer. »Weil’s mir so gefällt ...«
Vor der Kommende der Deutschherren herrschte wüstes Gedränge. Anna Elisabeth, die mit Balzer auf der Suche nach der Geyer’schen Truppe hierher gekommen war, hörte ein dumpfes, rhythmisches Poltern. »Was kann das sein?«, fragte sie Balzer.
»Sie haben einen Rammbock hergebracht und brechen jetzt das Tor zur Kommende auf«, sagte Balzer gelassen. »Die anderen Klöster sind ja schon leer geraubt und abgefackelt.«
Vorn, im Rhythmus des donnernden Rammbocks, wurde gesungen; Anna Elisabeth konnte die Worte des Spottliedes deutlich verstehen:
»Essen, Trinken, Schlafengahn – Kleider aus und Kleider an –
ist die Arbeit ...
so die Deutschherrn han ...«
Dazwischen krachte, geschwungen von vielen arbeitsgewohnten Fäusten, immer wieder der schwere Balken gegen das Tor der Kommende. Und plötzlich toste wildes Jubelgeschrei auf – Bohlen zerbarsten, Holzsplitter stoben durch die Luft.
»Jetzt sind sie drinnen«, kommentierte Balzer trocken. »Der Wein, den die Deutschherren im Keller lagern, wird sie sicher noch drei, vier Tage lang besoffen halten, die Evangelischen Brüder«, fügte er verächtlich hinzu.