DIE SCHLACHT VON AIN DJALUD

DIE ARMEEFÜHRUNG DER MAMELUCKEN bewegte nur

eine Sorge, das Heer der Mongolen könnte nach Verlassen seines letzten Quartiers am Westufer des Sees Genezareth weiter dem Lauf des Jordan folgen und so an den vom Sultan und Baibars vorbereiteten Stellungen vorbeiziehen. Dann hätten sie den Feind plötzlich statt in der Falle im Rücken gehabt und wären womöglich vom Nachschub aus Ägypten abgeschnitten! Also setzte Qutuz Agenten ein, die sich als Fischer am See und als Hirten in den Hügeln von der Vorhut unter Sund-chak aufgreifen ließen und bereitwillig zur Auskunft gaben, dass sie Mameluckenkrieger am Berg Tabor gesichtet hätten, die auf die Ebene von Ain Djalud zuhielten. Als letzte Maßnahme zur Absicherung des ägyptischen Plans hatte der Emir Baibars die Johanni-ter-Besatzung der Burg Belvoir überrumpelt, ohne Spuren zu hinterlassen beseitigt und durch eigene Leute ersetzt, die dafür sorgen sollten, dass spätestens in dieser Höhe des Jordantals das mongolische Heer gen Westen in die Ebene der Goliaths Tümpel einschwenkte, denn jeder weitere Vormarsch hätte das Vorhaben der Mamelucken über den Haufen geworfen. Doch alle Befürchtungen erwiesen sich als unbegründet, Einwohner der Stadt Nazareth hatten schon in der Nacht heimlich Boten zu Kitbogha gesandt und ihm verraten, dass die ägyptische Armee sich nach Süden bewege, Richtung Ain Djalud und offensichtlich auf der Flucht vor den heranrückenden Mongolen. So trieb der kampfbegierige Sundchak die Vorhut schon am Ende des Sees aus dem Tal in die Berge, um den Feind nicht entkommen zu lassen. Kitbogha, der seinen General kannte, blieb ihm auf den Fersen.

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Gegen Mittag trafen die mongolischen Angriffsspitzen am Rand der Ebene ein, Späher meldeten, dass die Mamelucken - allem Anschein nach völlig ahnungslos - noch bei den Goliaths Tümpeln verharrten. Die Heeresleitung der Mongolen war einhellig der Meinung, dass es sich dabei um die gesamte ägyptische Armee handelte. Sundchak äußerte noch sein Erstaunen über die anscheinend geringe Mannschaftsstärke, er hätte weitaus mehr feindliche Kräfte erwartet. Kitbogha musste von seiner Kommandogewalt als oberster Feldherr energisch Gebrauch machen, um seinen General am sofortigen Vorstürmen zu hindern. Das Heer der Mongolen sammelte sich am Fuße des Berges Tabor. Kaum, dass es vollständig war, gab Kitbogha dem Druck seiner siegesgewissen Unterführer nach. Die Mongolen stürzten sich auf den Köder Baibars.

Der Emir Rukn ed-Din Baibars »Bunduktari« machte seinem berüchtigten Beinamen alle Ehre. »Der

Bogenschütze« war nicht gewillt, seine Leute unnütz dem geplanten Manöver zu opfern. Widerstand mussten nur die Hilfstruppen aus Gazah und dem Negev leisten, und die wurden auch prompt überrannt und

niedergemacht, aber das reichte Baibars, um unter vorgetäuschter Panik mit der Kernmannschaft >in wilder Flucht* die nahen Hügel zu erreichen, wo Sultan Qutuz wartete. Die vorgepreschte Vorhut unter dem General Sundchak setzte ihm mit Ungestüm nach. Breit gefächert stoben die fliehenden Mamelucken in die sich öffnenden Täler und Schluchten, so die Angreifer verleitend, sich ebenfalls aufzusplittern. Kitbogha, der diese Gefahr erkannte, hielt seine Truppen zusammen, versuchte natürlich die Verbindung zu den blindlings vorwärts Stürmenden nicht abreißen zu lassen. So geriet auch das Hauptheer der Mongolen in die schlecht überschaubare Berglandschaft, wo es seine Stärke der geballten Masse nicht entfalten konnte. Sultan Qutuz beobachtete diese Entwicklung gelassen. Als er sicher war, dass es Baibars gelungen war, das gesamte mongolische Heer in die Falle zu locken, machte er den Sack zu. Die Mamelucken riegelten rigoros jedweden Rückzug in die für ein gedrilltes Reiterheer rettende Ebene ab, bevor sie von den Hügeln herabstürmten und aus den Tälern hervorbrachen. Sundchak,

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der sich am weitesten vorgewagt hatte, gehörte zu den Ersten, die erschlagen wurden. Als Kitbogha begriff, in welche Lage er sich hatte manövrieren lassen, rief er sofort seine Truppen zusammen, soweit er sie noch erreichen konnte, und lieferte aus einer rasch geformten Igelstellung heraus den Ägyptern eine unerwartet heftige Schlacht. Deren Reihen begannen zu wanken, denn der alte Feldherr setzte jetzt seine Tausendschaften wie eherne Keile gezielt und druckvoll ein. Solcher Wucht waren die Mamelucken nicht gewachsen. Der Sultan hatte alle Hände voll zu tun, den Ring nicht aufreißen zu lassen, denn Baibars war, abgeschnitten von ihm, tief im Inneren des Gebirges immer noch damit beschäftigt, die weit vorgestoßene Vorhut des Generals, und das war die Elite des mongolischen Heeres, in erbitterten Einzelkämpfen aufzureiben. Doch mit der Zeit machte sich die zahlenmäßige Übermacht der Mamelucken bemerkbar, Baibars gelang es, den Anschluss zum Hauptheer

wiederherzustellen. Das gab den Ägyptern zusätzlichen Auftrieb. Einigen der Mongolen und Rittern aus Armenien gelang es, die sich mehr und mehr zusammenziehende tödliche Umklammerung aufzubrechen und zu entkommen. Kitbogha weigerte sich zu fliehen, obgleich seine Leibgarde sich erbot, ihm den Weg frei zu schlagen. Der alte Haudegen setzte alles daran, seine Niederlage nicht zu überleben. Seine nächste Umgebung fiel Mann für Mann im Pfeilhagel, den Baibars der Bogenschütze auf sie niedergehen ließ. Sie schössen Kitbogha das Pferd unterm Leib weg, selbst noch zu Fuß schlug er sich furios - bis zum bitteren Ende!

Die Leute des Emirs überwältigten schließlich den Alten. Mit seiner Gefangennahme brach der Widerstand der letzten Mongolen zusammen.

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Aus der Chronik des William von Koebr uk

Letzte Niederschrift

Das Heer der Mongolen war davongeritten, ich hockte noch immer benommen weit entfernt vom Rande des Kelim, der nach der Kavalkade Tausender von Pferdehufen und gleichermaßen nicht zu zählender Wagenräder seinen mir nie ganz geheuren Aspekt auf erbarmungswürdige Weise verändert hatte: aufgeworfen, zertrampelt, voll geschissen war sein einstmals mir Schauder einflößendes höllisches Antlitz zur erbärmlichen Fratze verzerrt.

Wie eine tief hängende Regenwolke hing mein Blick über diesem Abdruck von Gewalt und Zerstörung, unendlich lange gelähmt von dem über mich hinwegziehenden Donnern und Tosen - bis mir endlich wieder bewusst wurde, dass unter diesem geschundenen Teppichgewebe irgendwo meine Lieben lagen. Ich presste mir die Nägel ins Fleisch und zwang mich unter Schmerzen, nicht an ihren Zustand zu denken, mir wurde übel, Erbrechen drohte mir, mein einziges Trachten zielte darauf, schonend die Sinne zu verlieren. War der böse Traum die Wirklichkeit? Wie oft war es mir gelungen, meinem Bewusstsein einen Streich zu spielen, diesmal drehte es den Spieß um und bohrte ihn in mein Herz. Ich kniete vor den Trümmern all dessen, was ich mir zum Inhalt meines Lebens erkoren, teuflische Mächte hatten meine beiden einzigen Kinder, meine Familie hingemordet. Ich schaute mich um. Rund um den Kelim saßen stumm die Beduinen, die ihn mit ihrer Karawane hergetragen hatten - grad' zur rechten Zeit an diesen Ort, um sein letztes böses Werk zu vollenden! Jalal al-Sufi, der quirlige Derwisch, trat zu mir. >Nur jetzt bitte keinen Rumi!<, schoss es mir durch den Kopf, was sicher ungerecht war - hatte doch Yeza dessen Verse stets mehr als jede andere Poesie geliebt. Wollte er mir sein Beileid aussprechen? Ich war so verblendet, dass ich mich als einziger Hinterbliebener empfand, der ein Anrecht auf Mitgefühl und Trost geltend machen durfte. Doch der kleine Sufi strich um mich herum, und ich hatte den Eindruck, er machte sich über mich lustig - was ich als völlig unangebracht empfand, dennoch wollte ich ihm eine Brücke bauen.

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»Dein Entsetzen«, bot ich ihm an, »erschlägt die Trauer, der Schmerz zermalmt die Sinne - «

Jalal blieb stehen und sah mich fassungslos an, dann lachte er schallend. »Ihr Leben war Abenteuer, Heldenmut und kühnes Vorwärtsstreben - sagst Du?!« Jalal ließ sich von meinem verständnislosen, abwehrenden Gesichtsausdruck nicht beirren. »Ihr Leben war Verfolgung, Angst und Flucht - sagt sie!« Er lachte mir ins Gesicht. »Endlich hatte sie das einzig große Abenteuer vor sich, konnte es mit nie gewagtem Heldenmut angehen und hat nun das Paradies gewonnen!« Er schaute mich streng an. »Was also jammerst du, mein Bruder William?!« Erst war ich erschrocken, dann schämte ich mich, ich war völlig verwirrt, sodass ich kopflos von einem würdigen Grab plapperte, etwas, an das ich vorher gewiss nicht gedacht hatte. »Dazu müssen wir sie erst einmal finden -« Jalal sah mich merkwürdig von der Seite an. »Und das wird der Anblick sein, den du nicht ertragen willst, William -« Ich wollte aufbegehren, stattdessen nickte ich dankbar. »Darum entferne dich!«, befahl er mir, und ich erhob mich und verließ wankend den Ort ...

Wie lange ich am Seeufer herumgeirrt, darüber könnte ich keine Rechenschaft geben. Schließlich kehrte ich zurück, in der bangen Hoffnung, dass der Kelch, den ich fürchtete, bereits gnädig an mir vorübergegangen war.

Der Kelim lag am gleichen Platz, auch sein Zustand schien mir unverändert. Der Sufi nahm mich zur Seite, wie ein Kind, dem man beibringen muss, dass seiner lieben Mutter etwas zugestoßen sei. Jalal zeigte verstohlen auf die immer noch um den Kelim herumhockenden Beduinen.

»Wir haben überall nachgeschaut«, verriet er mir mit gedämpfter Stimme, »besonders rings um die Stelle, wo wir sie zum letzten Male gesehen - von der Prinzessin und Roc Trencavel ist nichts zu finden, kein Knöchelchen, kein Tropfen Blut, nicht die geringste Spur!«

Ich muss ihn ungläubig angestarrt haben, zumindest wenig überzeugt, denn das war ich auch mitnichten. Jalal bot mir an, ich könnte selbst jeden Fuß des sandigen Bodens durchwühlen, dafür würden seine Leute den Kelim der tausend djinn - bei gutem Zure-493

den - und etwas bakshish noch einmal lüften - obgleich sie sich vor dem ihm innewohnenden Fluch entsetzlich fürchteten. Das wollte ich weiß Gott nicht, deshalb schlug ich ihm vor, die Beduinen sollten den Kelim so liegen lassen, wie er lag, und ihn stattdessen mit Sand bedecken, bis nichts mehr von ihm zu sehen sei. Das gefiel dem Derwisch, und ich überließ der Karawane den Beutel mit dem Gold, jenes Blutgeld, das mir Naiman zugesteckt hatte, bevor ich ihn tötete. Eigentlich hatte der Kerl sein Ziel erreicht: Rog und Yeza waren tot. Waren sie tot?

Während die Beduinen damit begannen, körbeweise Sand über den Kelim auszuschütten, sah ich meine Kinder ins glutrote Licht der untergehenden Sonne davonreiten, zwei schwarze Silhouetten, die mit zunehmender Entfernung immer mehr an Gestalt verloren - bis sie mit dem Feuerball eins waren.

SCHON UM SICH NICHT dem Verwesungsgeruch der zig-tausend Leichen auszusetzen, hatte Sultan Qutuz unmittelbar nach der gewonnenen Schlacht weitab von Ain Djalud das Aufschlagen seines Lagers zwischen dem Städtchen Nazareth und dem das Land beherrschenden Berg Tabor befohlen. Irgendwelche Angriffe hatten die Mamelucken jetzt nicht mehr zu befürchten. Sie setzten deswegen auch den Geflohenen nicht nach. Vor allem die von den Mongolen verpflichteten Hilfskontingente, christliche Ritter aus Antioch, Armenien und selbst aus dem fernen Königreich von Georgien, hatten sich mit der Kriegstaktik der Muslime vertrauter gezeigt als die sieggewohnten Mongolen und waren weitaus weniger erpicht darauf, sich mit den gefürchteten Mamelucken im Kampf zu messen. Viele von ihnen setzten sich rechtzeitig ab und entgingen so dem mörderischen Kesseltreiben in den Hügeln rings um Ain Djalud. Teils schlugen sie sich durch bis zur Templerburg Athlit am Meer oder hinauf zum Turm der Johanniter auf dem Berg Tabor. Dennoch in Gefangenschaft geriet, wer am Belvoir anklopfte, dem Kastell oberhalb des Jordantals, das Baibars zuvor schon vorsorglich in seine Hand gebracht.

Einige flohen schwimmend über den Fluss

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oder wichen aus in die Berge. Einheimische Christen halfen ihnen, nur die Templer von Safed wiesen hartherzig jedem Flüchtling die Tür.

Im kaum errichteten Feldlager der Mamelucken wird der gefangene Kitbogha vor Sultan Qutuz gebracht. Der verhöhnt den Feldherrn der Mongolen ob der Unzuverlässigkeit seiner armenischen Verbündeten und der Ritter aus Antioch, die ihn schmählich im Stich gelassen hätten.

»Christen können nicht treu sein!«

Das ließ der Alte, der sich sonst wenig aus seinem Glauben machte, nicht auf sich sitzen. »Ich bin mein langes Leben stets meinem Herrn, dem Il-Khan treu geblieben, im Gegensatz zu gewissen Emiren der Mamelucken!«

Sein Blick hätte dabei nicht verächtlich auf Baibars fallen sollen, denn das entging dem Sultan nicht. Für ihn war der Alte bereits ein toter Mann, so ließ er es zu, dass der Emir sich den betagten Feldherrn griff. Seinen Ärger überlegen im Zaume haltend, führte Baibars den Gefesselten aus dem Zelt. Auf dem freien Platz davor hieß er Kitbogha niederknien, doch den Gefallen tat ihm der Alte nicht. Sollte der Mameluk ihm doch stehend das Haupt abschlagen! Aber zuvor ging es Baibars um eine ganz andere Frage, die einzige, die ihm ein Anliegen war, eine Frage seiner Ehre, ihm auferlegt vom Roten Falken.

»Wo sind Roc Trencavel und die Prinzessin Yeza?!«

Für Kitbogha kam sie überraschend, und er fand sie aus dem Munde des Mamelucken höchst ungebührlich.

»Was geht Euch das an!«, schlug er jedes Entgegenkommen aus und da er - neben der Verärgerung des Bogenschützen - auch dessen Betroffenheit bemerkte, fügte er triumphierend hinzu: »Sie haben sich der Ehre einer Gefangennahme durch Euch Mamelucken wirkungsvoll entzogen - « Mit dröhnender Lache spottete er über den Emir, aber ebenso über seine eigene Verständnislosigkeit dessen, was geschehen war. »Der Tod erschien ihnen erstrebenswerter!«

»Ihr habt sie getötet?!«, bedrängte ihn Baibars. »Sagt mir die Wahrheit!«

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Kitbogha sah seine Stunde kommen. »Ihr sollt mir den Kopf abschlagen, gleich ob ich lüge oder nicht!«, raunzte er den Emir an wie einen Untergebenen und ließ sich auf die Knie fallen. »Ich werde sie wiedersehen - Ihr nicht -

«

Das waren seine letzten Worte, Baibars hatte nicht länger an sich gehalten, angesichts seines Gefolges, dass ihn umstand, musste er der Sache ein Ende bereiten, eigenhändig. Das Haupt Kitboghas sprang in den Sand.

WÄHRENDDESSEN RITTEN BAITSCHU, der jüngste Sohn des Kitbogha, und Yves der Bretone, der

Sonderbotschafter des Königs von Frankreich, durch die Hügel auf die christliche Hafenstadt Akkon zu, wo sie sich einschiffen wollten, um die terra sancta ein für alle Mal zu verlassen und um heimzukehren in die Bretagne, wohin sich Herr Yves zurückziehen wollte, um Bücher zu lesen und dem Schwert zu entsagen.

»Ich weiß nicht, Baitschu«, wandte sich der bedächtige Bretone an seinen jungen Knappen, »ob ich der Richtige bin, das Verlangen deines Vaters zu erfüllen, das auch der letzte Wunsch der Prinzessin war, dich zu einem Ritter zu erziehen? «

Baitschu schien von der Eröffnung nicht enttäuscht. »Viel lieber würde ich lesen lernen«, bedachte er sich,

»diese Chronik, an der William von Roebruk schrieb, wo er ging und stand - ich möchte gern alles wissen, über Yeza und Roc!«

Yves lächelte versonnen. »Dann hätten die wilden Aufzeichnungen des Franziskaners doch einen Sinn, auch wenn sie nicht die Ordnung und Belehrung aufweisen, die seine Auftraggeber sich erhofft hatten!« Dem Bretonen gefiel der Gedanke, je länger er darüber nachsann, ausnehmend gut. »Eine neue Jugend kann daraus gewiss lernen, sich nicht von den alten Drachen der Macht, wie Krieg und Religion, widerspruchslos beherrschen zu lassen, sondern eigene Wege zu gehen!«

Baitschu hörte sich diese Eloge wortlos an, nur einmal schaute er kurz erstaunt auf zu dem Mann, dem seine Erziehung an-496

vertraut worden war. So ritten sie dann schweigend weiter - in der Ferne konnte man schon das Meer in der Bucht von Akkon erkennen.

WENIGE TAGE NACH SEINEM SIEG zog der Sultan in Damaskus ein, binnen Monatsfrist war auch Aleppo

zurückgewonnen. Das angrenzende Fürstentum von Antioch blieb nur verschont, weil der Il-Khan, der selbst nicht eingreifen konnte - die Herrschaftsfrage in der Mongolei war immer noch ungeklärt -, wenigstens Truppen schickte, die den Norden Syriens für die Mongolen sicherten. So blieb den Mamelucken vorerst auch verwehrt, König Hethum von Armenien oder seinen Schwiegersohn für ihre offene Parteinahme zu strafen.

DAS KLEINE LAGERFEUER war schon weitgehend heruntergebrannt, es herrschte eine dieser sternenklaren Nächte des Frühherbstes, in der sich der Sommer noch nicht entscheiden will, ihr seine aufgespeicherte Wärme gänzlich zu entziehen. Drei Männer hockten um die verglimmende Glut, zwei ältere und ein Knabe. Zu Yves dem Bretonen und Baitschu hatte sich Arslan der Schamane gesellt, sein Bär ruhte abseits irgendwo im Schatten der Felsen. Die Nacht war hell genug, um erkennen zu können, dass nicht mehr die Hügel vor Akkon die umgebende Landschaft darstellten, sondern dass diese längst den schroffen Gebirgszügen des nördlichen Syriens gewichen waren.

»Kaum mehr als eines Tages Ritt von hier«, Arslans weiter Kaftanärmel wies gen Westen, »könntet Ihr auf die Küste bei Antioch stoßen und über das Meer heimkehren in das Land der Franken«, wandte er sich an den Bretonen, »doch viele Wochen wäret Ihr unterwegs, wenn Ihr Euch aufmacht, die Seinsform zu erreichen, die ich Euch beschrieben - «

»Diese Stadt der goldenen Tempel in den Höhen schneebedeck-

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ter Gebirge«, warf Baitschu ein, der bis dahin das Himmelszelt aufmerksam beobachtet hatte, damit ihm keine der gelegentlichen Sternschnuppen entging, »kann ich dort bei diesen kahlköpfigen Mönchen in sonnenfarbenen Gewändern auch lesen und schreiben lernen? «

»Wichtig ist«, enthob Yves den Schamanen der Antwort, »dass du dort in Demut und Weisheit zum Herrscher erzogen wirst!« Bevor noch der Knabe antworten konnte, setzte Arslan dann lächelnd hinzu: »Du wirst dich selbst erfahren, Baitschu, und dann die richtige Entscheidung treffen, jedes Mal aufs Neue, denn es ist eine Erfahrung ohne Ende - «

»Aber das Ziel?!«, protestierte der Bretone um Sanftheit bemüht und auch aus Respekt vor dem Alten.

»Vielleicht ist es der Weg?« Dann schwieg der Schamane, auch Yves starrte lange in das letzte Glühen der Zweige, ohne nach einem fürsorglichen Blick auf den Knaben sich zu einer Antwort entschließen zu können.

Arslan erhob sich. »Die Entscheidung, den Weg überhaupt zu beschreiten, liegt bei Euch. Ich habe Euch nur die Richtung gewiesen.« Aus dem Schatten der Felsen löste sich der Bär. Der Schamane schritt auf ihn zu und war bald im Dunkel verschwunden.

Baitschu sah ihm lange nach, bevor er sich an seinen älteren Begleiter wandte. »Zuvor will ich in der Lage sein, das Leben von Roc Trencavel und der Prinzessin Yeza zu erfahren, so wie es William niedergeschrieben hat - «

»Wenn dir die Nachfolge bestimmt ist, dann wird dir auch die Chronik an die Hand gegeben werden - «

»Da wäre ich mir nicht so sicher, Yves«, sagte Baitschu, »bedenke ich die Verheißung und das Schicksal des Königlichen Paares, dann könnte es gut sein, dass ich gar kein Fürst werden möchte, sondern nur einer, der lesen und schreiben kann!«

Der Bretone schaute erstaunt zu dem Knaben auf. »Ich denke, wir sind auf dem richtigen Weg«, sagte er und lächelte.

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IM HERBST DES GLEICHEN JAHRES 1260 kehrte Sultan

Qutuz ruhmbedeckt nach Ägypten zurück, doch der Hinweis des alten Kitbogha auf die Treulosigkeit seiner Emire sollte sich noch handgreiflich manifestieren. Baibars erwartete, für seine Verdienste zum Statthalter von Aleppo ernannt zu werden. Qutuz wies diesen Anspruch brüsk zurück. Bei Erreichen des Nildeltas schlugen ihm seine Emire einen erholsamen Jagdausflug vor, den er nicht überleben sollte. Kaum waren sie außer Sichtweite der Truppen, hielten einige von Baibars Freunden den Sultan fest, und Baibars rammte ihm sein Schwert in den Rücken, dann kehrten sie eilends zum Heer zurück. Der raib arkan al sultan, der Stabschef des Sultans, fragte sie, wer den Mord begangen habe? Baibars stand zu seiner Tat und wurde auf der Stelle genötigt, den Thron des Herrschers einzunehmen. Sämtliche Heerführer und Emire huldigten ihm, Baibars zog als Sultan in Kairo ein.

SULTAN RUKN ED-DIN BAIBARS BUNDUKTAR1 erwies

sich als ebenso fähig wie konsequent. Mit ihm begann die Vorherrschaft der Mamelucken im vorderen Orient, die andauern sollte bis zu ihrer Ablösung durch das Osmanische Reich. Es konnte nicht ausbleiben, dass sie -

besonders nach dem misslungenen Versuch der Christen, die Mongolen zu Hilfe herbeizurufen - jetzt als Erstes mit den Kreuzfahrerstaaten an der Küste Syriens aufräumten. Insofern bewahrheitete sich die Befürchtung des Großmeisters des Deutschen Ritterordens. Es sollten keine dreißig Jahre mehr ins >Heilige< Land gehen und Akkon, die Hauptstadt des Königreiches von Jerusalem, musste als letzte Bastion, nach verzweifeltem, stoisch sich aufopferndem Widerstand von den christlichen Verteidigern für immer geräumt werden. Damit ging das große Abenteuer der Kreuzzüge - nach fast zweihundert ruhmreichen Jahren - zu Ende.

Die Schlacht von Ain Djalud war eine der bedeutendsten Entscheidungen in der Geschichte des vergangenen Milleniums. Der Sieg

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der Mamelucken rettete den Islam in seinen Kernlanden vor der gefährlichsten Bedrohung, der er sich je gegenübergesehen hatte. Wären die Mongolen bis Kairo vorgedrungen, hätte die Lehre des Propheten sich in Nordafrika nicht halten können, ganz sicher wäre auch in Kleinasien die Entwicklung anders verlaufen. Im Gegenzug wurde das Christentum im Vorderen Orient endgültig zur Marginalie zurückgedrängt.

Doch die gravierendste Auswirkung hatte diese erste Niederlage der Mongolen in ihrem eigenen, immer noch riesigen Herrschaftsbereich. Binnen zweier Generationen nahmen die Nachkommen Dschingis-Khans den Glauben der Sieger an. Der lange muslimische Gürtel, der sich heute im Süden Russlands vom Kaukasus bis zur Mandschurei erstreckt, hätte im gegenteiligen Fall - gesagt ist es nicht - weiterhin dem nestorianischen Christentum der mongolischen Eroberer frönen können. Der eigentliche Verlierer von Ain Djalud war Rom, das die unheilvolle Lawine der Kreuzzüge einst mutwillig losgetreten hatte und dessen Vertreter in der terra sancta mit ihrer mangelnden oder halbherzigen Unterstützung - um nicht zu sagen: ihrem Verrat - der Mongolen den Ausgang der Schlacht maßgeblich beeinflusst hatten.

Sicher ist auch das nicht! Geschichte folgt ihren eigenen Regeln, die glückliche - oder unglückliche - Zufälle, nicht vorhersehbare Ereignisse mit einschließen. Wäre der Großkhan im fernen Karakorum nicht gerade zu diesem Zeitpunkt gestorben ...? Vielleicht war es ja auch gut so: Aus egozentrischer europäischer Sicht, aus unserem abendländischen Selbstverständnis heraus betrachtet, hätte - bei einem Sieg - eine mongolische Vorherrschaft in weiten Teilen des Orients und sicher auch in einigen Regionen des Abendlandes unserer Zivilisation und ihrer Entwicklung eine völlig andere Richtung gegeben. Auf jeden Fall, die Welt sähe heute anders aus! Doch geschichtliche Ereignisse lassen sich nicht rückgängig machen.

Ein Chronist sollte nur das aufschreiben, was sich tatsächlich zutrug. William von Roebruk hat seine Niederschrift mit allem angereichert, was ihn an Gefühlen überkam, schildert seine Wünsche, Ärger und Ängste, spart selbst seine eigenen Schwächen nicht aus.

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Auch so gesehen war der Mönch ein fragwürdiger Autor und ein liederlicher Bruder des heiligen Franz - wie viele, die nicht ohne Fehl durch ihr Leben gingen. Er liebte und wurde geliebt.

Nach Abschluss seiner Niederschrift verliert sich seine Spur. Für eine Weile hielten sich Gerüchte, er sei nach Jerusalem zurückgekehrt und hätte die Taverne Zum letzten Nagel eine Zeit lang geführt. Dass er hinter Klostermauern verschwand, ist nicht anzunehmen.

Rom, den 20.03.2004 Peter Berling