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»Das Königliche Paar ist gefunden!«, machte sich Baitschu wichtig. »Yves der Bretone hat es entdeckt!«

Er hatte Erfolg mit der Nachricht, die Prinzen ließen ihre Scimtare sinken. »Ich habe gehört«, vermeldete Kaikaus, »die sind gar nicht gebunden im Sinne des Ehegesetzes!?«

»Solange der Mann sie nicht verstößt, hat die Frau ihm zu folgen!«, fuhr ihm Alp-Kilidsch in die Parade und funkelte seinen Bruder forschend an. »Falls du beabsichtigst, die Prinzessin Yeza für dich zu gewinnen«, er hob seine Waffe wieder zum Fortgang des Duells, »dir werde ich sie sicher nicht überlassen!«

Kaikaus schlug eine Finte und nahm die Herausforderung an. Einschüchtern ließ er sich nicht.

Baitschu befand, dass die beiden Seldschuken die wichtige Neuigkeit nicht genügend zu würdigen wussten, und setzte seinen Weg ins Lager fort.

Im großen Audienzzelt des Il-Khan Hulagu wurde Khazar sofort vorgelassen, als er verlangte, seinen Onkel Kitbogha zu sprechen. Der verschwitzte Reiter, den Staub der Wüste noch in den Kleidern, wollte dem Oberkommandierenden die Botschaft des Bretonen unter vier Augen anvertrauen, doch Kitbogha verwies ihm, in Gegenwart des Il-Khan und der Dokuz-Khatun zu flüstern. Also tat Khazar seinen Auftrag mit lauter Stimme kund. Kaum hatte er begonnen und die Namen Roc und Yeza waren gefallen, unterbrach ihn der Erste Sekretär und wies die Wachen an, das Zelt zu räumen, denn alles, was mit dem Königlichen Paar zusammenhing, galt als Staatsgeheimnis der Mongolen.

El-Aziz, der malträtierte Page, wollte sich ebenfalls entfernen, froh der Schinderei für kurze Zeit zu entkommen.

Aber ihn hielt der Oberhofmeister zurück.

»Was deine Ohren hören«, erklärte er dem verschreckten Sultanssohn mit gedämpfter Stimme, »nimmst du mit ins Grab, das dein Vater dir bereitet!« Kraft seines Amtes konnte der Majordomus sich auch das leiseste Flüstern leisten.

Khazar war inzwischen, aufgrund eines huldvollen Winks des Il-Khan, mit seinem Bericht Fortgefahren. Dass Roc und Yeza ausgerechnet auf einer nun sogar namentlich bekannten Burg gefangen gehalten wurden, erschien der Dokuz-Khatun als göttliche Fügung, wofür dem Herrn Jesus Christus zu danken sei, ihrem Mann, dem Il-Khan, als Vorsehung, die Macht der Mongolen auch im Rest der Welt zu etablieren, wozu das Königliche Paar von ihnen ausersehen sei.

Für Kitbogha stellte dies unverständliche Vordringen des Emirs bis nach Mard' Hazab eine weitere Frechheit dar, aber - und darin stimmte er mit Yves dem Bretonen überein - es bedeutete vor allem höchste und unmittelbare Gefahr für die beiden Kronprätendenten, kannte er doch seinen Fleischerhund Sundchak!

Khazar wurde entlassen. Er solle sich frisch machen, ordnete Kitbogha an, und sich bereithalten. Diesmal wurde auch El-Aziz aus dem Zelt verwiesen, sollte sich aber nicht zu weit entfernen.

Als die hohen Herrschaften endlich unter sich waren, erstaunte Hulagu seinen Oberkommandierenden mit einem unvorhergesehenen Diskurs über die Ausbreitung der mongolischen Weltherrschaft, dessen Heftigkeit verriet, dass sich die Frage schon seit einiger Zeit bei ihm aufgestaut hatte! Völlig aus heiterem Himmel vertrat der Il-Khan plötzlich die These, dass er die einzig wahre Voraussetzung einer solchen Herrschaft in der bedingungslosen Akzeptanz mongolischer Wertvorstellungen sähe, durchsetzbar - zur Not - auch ohne das Königliche Paar!

Kitbogha hütete sich, dem Il-Khan offen zu widersprechen. »Etwas mehr Entgegenkommen gegenüber dem

>Rest der Welt<«, formulierte er vorsichtig, »erleichtert uns das Erreichen Eures hohen Ziels erheblich, zumal der feudalen Tradition dieser Landstriche mit einem - von Gott gesandten - Herrscherpaar aus königlichem Blute entsprochen würde, so wie es nun mal in Roc und Yeza zu finden ist - «

»Unsere lieben kleinen Friedenskönige!«, seufzte beglückt die Dokuz-Khatun. »Mir liegt diese christliche Lösung sehr am Herzen!«

Der Il-Khan verdrehte die Augen zur Kuppel des Zeltes und suchte den verständnisvollen Blick Kitboghas.

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Der nahm die Gelegenheit wahr. »Ich benötige eine unmiss-verständliche schriftliche Anweisung an den General Sundchak, dass er - in Anbetracht der Gefahr, dass dem Königlichen Paar ein Leid widerfährt - auf das Töten aller Insassen der Burg verzichten soll - «

»Den Befehl könnt Ihr selber ausfertigen, werter Kitbogha«, wehrte Hulagu sofort ab, »schließlich ist er Euer Untergebener, und ich finde Milde in diesem Falle völlig unangebracht.«

Kitbogha steckte den Schlag weg. »Und dann wäre da noch ein Schutzbrief mit Eurem Siegel für den Überbringer der guten Nachricht, meinen Neffen Khazar, denn ich will nicht, dass Sundchak sein Mütchen an ihm kühlt.«

Das verbindliche Lächeln des Il-Khan erstarb. »Wenn er ohne Erlaubnis des Generals die Truppe verlassen hat, geschieht die Bestrafung zu Recht und hebt die Disziplin - «

»Ihr solltet ihn zum unantastbaren iltschi ernennen!«, ereiferte sich empört die Dokuz-Khatun. »Khazar hat Uns einen großen Dienst erwiesen!«

Gottergeben und seinem Weib zuliebe, winkte Hulagu seinen Sekretär zu sich heran. Kitbogha verkniff sich ein Grinsen.

Draußen vor dem Audienzzelt stand inmitten des weiten Platzes der Käfig mit dem dicken Lulu in praller Sonne.

Zum Hohn hatte man dem Atabeg einen winzig kleinen Gebetsteppich durch die Gitterstangen zugesteckt.

Darauf versuchte der Arme mal zu sitzen, mal zu knien, seine enormen Fleischmassen machten beides zur fürchterlichen Qual. Für die Jugend des Lagers war der Käfig die Attraktion und beliebter Treffpunkt. Hier stieß El-Aziz erschöpft auf den herumlungernden Baitschu.

Gemessen an dem Schicksal des Atabegs zeigte der muntere Knabe wenig Sinn für die Leiden des unglücklichen Pagen. »Wenn dein Vater, ein mächtiger Sultan, für dich nichts tut«, riet er ihm treuherzig, »musst du halt selber deinen Stand so aufwerten, dass man dich liebt und respektiert!«

El-Aziz war eher den Tränen nahe. »Wie sollt' ich das erreichen?!«, klagte er bar jeder Hoffnung.

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»Nimm dir das Königliche Paar zum Vorbild«, schwärmte Baitschu, »seit langem hat keiner die Prinzessin Yeza und ihren Ritter Roc wahrhaftig von Aug' zu Aug' gesehen, doch alle reißen sich die Hacken aus, um ihrer teilhaftig zu werden!«

Über das von Kummer gezeichnete schmale Gesicht der Geisel ging ein Leuchten. »Du meinst, wenn ich sie heimführe, dann winken mir wieder Ehre und Respekt? «

Baitschu lachte über den einfältigen Sultanssohn. »Du sollst sie nicht heiraten, denn ihr Herz ist schon vergeben, aber wer sie befreien würde aus schmählicher Haft, erntet gewiss größten Dank und Ruhm als tapferer Held - «

»Du meinst, ich sollte -?« El-Aziz sah den Strohhalm, er wusste, der Oberhofmeister würde ihn ohne Erbarmen ertrinken lassen, er musste es wagen - aber wie? Baitschu überlegte noch angestrengt, ob nicht vielleicht er selbst zu einer solchen Heldentat berufen sei, als die Wachen am Einlass zum Audienzzelt ärgerlich nach dem Pagen riefen. El-Aziz hastete davon, Baitschu grußlos zurücklassend.

Es zog sich bis in den späten Abend hin, bis die von Kitbogha geforderten Schriftstücke ausgestellt waren. Der Il-Khan ließ sich reichlich Zeit, ihm lag durchaus daran, den Trotz der Festung Mard' Hazab - auch wenn sie in den hintersten Bergen von Kurdistan lag und strategisch ohne jede Bedeutung war - für jedermann sichtbar zu brechen und den aufsässigen Emir in seine Gewalt zu bringen. So erfuhr der Page El-Aziz in aller Ausführlichkeit, wie das ausgesandte Expeditionsheer vorgehen sollte, grausam, was die sonstigen Insassen der Burg anbetraf, jedoch von äußerster Behutsamkeit, falls die körperliche Unversehrtheit des Königlichen Paares auf dem Spiel stehen sollte. Schließlich wurde der Page vom Oberhofmeister herbeigewinkt. Zwei Schreiben wurden ihm in die Hand gedrückt. Das eine war ein huldvoller Schutzbrief, gesiegelt vom Il-Khan selbst, der den Träger nicht nur von jeglicher Verfolgung freistellte, sondern ihm jede Art von Unterstützung garantierte, wenn er ihn vorwies. Der andere Brief enthielt den Befehl des Oberkommandierenden an seinen General Sundchak, genauestens

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und widerspruchslos entsprechend der hier enthaltenen schriftlichen Instruktionen zu verfahren. Kitbogha wollte ihn noch verlesen lassen, bevor er ihn seinerseits versiegelte, aber Hulagu winkte ab. Barsch wurde El-Aziz befohlen, die beiden Schreiben Khazar zu überbringen, der vor Sonnenaufgang bereits seinen Ritt zurück zur Strafexpedition anzutreten habe. Der Page rannte los.

Khazar hatte sich schon zum Schlafen gelegt, denn er wusste einen anstrengenden Tag vor sich. El-Aziz übergab ihm das Schreiben an den General Sundchak. Von dem Freibrief sagte er nichts. Dann begab sich der Sohn des Sultans in das Quartier seiner Diener, die er Sinnloserweise aus Damaskus mitgeschleppt hatte, seine Kämmerer, insbesondere seinen Leibkoch und seinen Eunuchen, der für das Bad zuständig war. Genützt hatten sie ihm wenig, aber wenigstens schlief er jede Nacht ein paar Stunden unter ihrer fürsorglichen Obhut. Er befahl ihnen, ohne Aufsehen zu erregen, ihre Sachen zu packen und sich zum Aufbruch bereitzuhalten. In wenigen Stunden würde er als freier Mann mit ihnen das Lager verlassen.

Als Khazar bei Tagesanbruch durch die Dünen ritt, der Wüste und der aufgehenden Sonne entgegen, traf er die beiden Seldschuken-prinzen Kaikaus und Alp-Kilidsch schon wieder dabei, sich unter der Aufsicht ihres Fechtmeisters zwar nicht die Köpfe, aber Arme und Schultern blutig zu schlagen. Er grüßte sie spöttisch im Vorbeireiten. Die beiden hielten kurz inne.

»Da zieht er aus, der Mongole«, reizte Alp-Kilidsch seinen Bruder. »Er wird dir deine Prinzessin Yeza vor der Nase wegschnappen!«

Kaikaus brachte den Vorwitzigen mit einem wütenden Ausfall in arge Bedrängnis. »Ein geborener Verlierer wie du«, stieß er aus, »sollte sich jeden Gedanken an eine solche Braut aus dem Sinn schlagen!«

Khazar hatte die offene Wüste erreicht, das Lager der Mongolen war bereits außer Sichtweite, da stob hinter einer Sanddüne hoch zu Ross Baitschu hervor.