»Und wie verhalten sich die Barone des Königreiches?« Die gute Clarion hegte anscheinend noch immer Hoffnung für das politische Überleben ihres Herrn und Gebieters.

»Die werden die Köpfe einziehen und warten, bis der Sturm vorüber ist«, trug ich mein Scherflein bei, kannte ich mich doch aus in den Krämerseelen von Akkon bis Tyros.

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»Letztlich spielen beide«, zog der Emir den Disput wieder an sich, »weder das Königreich von Jerusalem noch das Sultanat von Damaskus, keine entscheidende Rolle in dieser Auseinandersetzung - «

Das Nilpferd schluckte heftig an seinem aufsteigenden Ärger. »Ich kehre auf der Stelle in meine Hauptstadt zurück!«, verkündete er schwer atmend. »Mit mir an der Spitze -«

Clarion hinterfragte respektlos: »An der Spitze von was?!«

Dem Emir missfiel die Art, wie sie mit dem Fleischberg umsprang. »Ihr könnt Euren Thron nur retten«, hielt er sich - ihren Einwurf ignorierend - an den Sultan, »wenn Ihr sofort und in Eilmärschen den Mongolen entgegeneilt, bevor sie Damaskus ohne Euer Zutun einnehmen!«

»Das werden sie nicht wagen!«, polterte An-Nasir. »Ich kann immer noch meine Hand den Ägyptern reichen?!«

Er war sich schon wieder unsicher.

»Ihr könntet uns begleiten«, schlug Madulain vor, die sich bisher bescheiden, aber aufmerksam zurückgehalten hatte. »Wir sind auf dem Weg dorthin - «

Der Sultan schwitzte, seine Hand suchte wie ein kleines Kind die seiner Favoritin. »Clarion, was soll ich tun?«, klagte er.

»Das habt Ihr doch gehört, mein Herr und Gebieter«, versuchte sie ihn jetzt mit Sanftmut zu bewegen, doch An-Nasir mochte sich nicht entscheiden.

»Reitet nur voraus, Emir«, forderte er den Roten Falken auf, »und bereitet in der Stadt meine Ankunft vor!«

Wir hatten keine Zeit zu verlieren, Madulain herzte und küsste Clarion, und wir schwangen uns wieder auf unsere Tiere. Der Baouab, sein Oberhofmeister, ein spindeldürres Männchen, wies uns bereitwillig den richtigen Weg, und wir ließen den grotesken Haufen in der Wüste zurück.

»Mir gefällt nicht«, bemerkte der Emir nach einiger Zeit nachdenklichen Ritts, »wie diese Vollreife Dame sich über den Sultan lustig macht!«

Das war zwar an die Prinzessin der Saratz gerichtet, doch ich

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antwortete aufgewühlt: »Unterschätzt nicht die zärtliche Liebe der Clarion von Salentin zu ihrem Koloss!« Die Begegnung hatte zumindest bei mir einen bitteren, wenn nicht tragischen Nachgeschmack hinterlassen. »Im Zweifelsfall ist sie die Einzige, die treu zu An-Nasir stehen wird!«

Meine beiden Weggefährten schwiegen. Bedachten sie vielleicht ihr eigenes Verhältnis?

»Ihr Einfluss wird leider nicht ausreichen«, befand schließlich Madulain, »ihn zu einer Entscheidung zu drängen

»Er hat gar keine Wahl«, beschied ihr Mann sie freundlich. »Die Mamelucken würden ihn umbringen - über kurz oder lang!«

»Und die Mongolen?« Ich wollte meine Einschätzung erst zurückhalten, sprach sie aber dann doch aus.

»Wahrscheinlich werden auch sie ihn töten, allerdings sofort!«

Wir stießen endlich auf den Karawanenweg und setzten unsere Reise nach Damaskus fort.

DIE HORDEN DES SUNDCHAK hatten Palmyra verlassen, eine breite Schneise von willkürlichen Metzeleien und sinnloser Zerstörung durch die Oasenstadt geschlagen. Auf den Stufen der Tempelruinen lagen die Körper der Derwische, einigen hatten sie die Köpfe abgeschnitten.

Vor dem Tor zum Palast der Königin hockte Jalal al-Sufi mit starrem Blick. Auf seinen Knien hielt er das Haupt des sterbenden Rhaban. Bei vollem Bewusstsein und offenen Auges spürte der alte Fechtmeister, wie ihm das Leben langsam aus dem Leibe wich.

Aus der Wüste kommend, fegte ein einzelner Reiter heran, gebeugt über den Hals seines Pferdes, das er unerbittlich antrieb. Er warf keinen Blick auf die Spuren von Tod und Zerstörung, als er sich - ohne innezuhalten

- anschickte, die offene Ebene zwischen dem Palast der Zenobe und den beiden Tempeln zu durchqueren.

Weithin sichtbar ragte über seinen Nacken und seinen breitkrempigen Lederhelm die am Schulterpanzer befestigte Standarte hinaus.

»Einlltschü«, stöhnte Rhaban. »Ein mongolischer Staatsbote - «

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Der Sufi hob nur langsam seinen Blick, unbeeindruckt ließ er den Reiter vor seinem leeren Auge vorüberfliegen.

»Niemand darf sich ihm in den Weg stellen, keine Hand sich gegen ihn erheben -« Dem Fechtmeister entrang sich ein erleichterter Seufzer. »Er ist unantastbar- «

Jalal schaute dem Boten nach, der eine Staubfahne hinter sich herziehend in der nahen Wüste verschwand.

Dennoch hetzt er sein Pferd, bedachte der Sufi bekümmert die Nichtigkeiten der Welt, als säße ihm der Sheitan im Genack! Als sein Blick sich wieder Rhaban zuwandte, sah er, dass er einen Toten in den Armen hielt.

ALS DER ZUG DES SULTANS zum dritten Mal innerhalb weniger Tage die Richtung wechselte, weigerte sich sein Hofstaat, ihm weiterhin Gefolgschaft zu leisten. Gerade hatte sich An-Nasir entschlossen, doch nach Damaskus zurückzukehren. Darin sah sein Oberhofkämmerer, der Ouasir al-Khazna, keinen Sinn, die Stadt hatte sich gegen den Herrscher erhoben und würde außerdem bald in den Händen der Mongolen sein. Er plädierte dafür, endlich und zielstrebig den Weg nach Ägypten fortzusetzen. Unterstützt wurde er darin vom Obereunuchen des Harems. Dem Kabir at-Tawashi lagen die jungen Mädchen mit ihrem Gejammer in den Ohren, die nichts so sehr fürchteten wie eine Massenvergewaltigung durch die Eroberer. Damit wäre dann seine Stellung in der Tat überflüssig, sein hoher Rang nichtig. Gelänge es ihm hingegen, den Harem unbeschädigt bis nach Kairo zu schaffen, traute er sich zu, für sie einen neuen Herrn zu finden - der dann allerdings nicht mehr An-Nasir Yusuf heißen würde. Dass gerade die Dame Clarion sich dafür einsetzte, dem Sultan die Treue zu halten, verstärkte nur den Widerstand. Die Unabhängigkeit der Favoritin war den Herren der Hofkamerilla schon immer ein Dorn im Auge gewesen. Da dem Ouasir al-Khazna mit der Oberaufsicht über die gesamte

Dienerschaft auch die Leibwächter unterstanden und ansonsten keine Bewaffneten zur Hand waren, musste der vor Empörung mit Atemnot ringende Sultan die Abtrünnigen ziehen lassen. Mit ihnen entschwanden die 241

Köche und die Zwerge, die Musikanten und die stämmigen Leibdiener. Der bunte Tross wandte sich schleunigst gen Süden, denn auf den Kämmen nicht sonderlich weit entfernter Dünen tauchten bereits die ersten mongolischen Späher auf. Sie hielten sich nicht einmal bedeckt, sondern beobachteten wie Geier den sich auflösenden Haufen. Es muss ihnen vorgekommen sein, als wenn ein dicker, fetter Kapaun, ohnmächtig von panischer Angst geschüttelt, sein farbenprächtiges Gefieder verliert. t

Die verbliebene Gepäckkarawane und ihre Treiber schickten als ihren Sprecher den spindeldürren Baouab vor, damit er dem Sultan untertänigst, doch dringlich vortragen sollte, dass sie bereit wären, nach Damaskus zurückzukehren - das aber bitte sofort! Die Furcht saß ihnen seit dem Erscheinen der Späher in den Gliedern.

Der am ganzen Leib zitternde Majordomus, sein oberster Haushofmeister, stellte seinem Herrn An-Nasir ein Ultimatum, was ihn noch vor wenigen Tagen glatt den Kopf gekostet hätte, aber nun war keiner mehr da, um ihn dem Unverschämten abzuschlagen. Die verständige Clarion schob den Baouab beiseite, besänftigte und bearbeitete den vor Wut ebenfalls bebenden Fleischberg.

»Lieber Vizekönig von des Il-Khan Gnaden in Eurer eigenen Stadt, als ein Ayubitensultan im Exil, ohne Freunde in der Fremde!« An-Nasir war Gefangener seiner Sänfte, seit die muskulösen Stemmer ihn im Stich gelassen hatten. Seine Favoritin nutzte das keineswegs schamlos aus, aber schonungslos hielt Clarion ihm sein Los vor Augen. »Die Mamelucken haben bisher noch jeden Eurer Familie umgebracht, dessen sie habhaft wurden!«

»Soldatenpöbel, Hurensöhne!«, polterte der Sultan. »Ich, als direkter Nachfahre des großen Saladin - « Ein neuerlicher Anfall von Atemnot ließ seinen verwirrten Geist umspringen. »Die Mongolen sollen mir garantieren«, keuchte er schwer atmend, »dass wenigsten El-Aziz, mein geliebter einziger Sohn, sein Erbe antreten darf - «

»Dafür müsst Ihr Euch unterwerfen!«, hielt ihm Clarion mit liebevoller Unerbittlichkeit vor.

Der Baouab räusperte sich. »Hoheit, die Karawane will nicht länger warten. Es steht Euch frei,

verehrungswürdiger An-Nasir

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Yusuf, uns zu folgen!« Er verneigte sich vor der Sänfte und vor der Favoritin. Kurz darauf setzte sich die lange Reihe der Kamele Richtung Norden in Bewegung und entschwand zwischen den Dünen. Mit dem Majordomus gingen gesenkten Hauptes auch die letzten alten Diener.

Außer der Frau, die er als Einzige wirklich geliebt hatte, war dem Sultan nur sein Hofnarr geblieben, ein kleiner Mohr. Sie irrten noch wenige Stunden durch die Wüste, schon weil keiner die Tiere mit der Sänfte mehr führte.

Clarion hatte den Mohren hinter sich in den Sattel klettern lassen, dafür hielt er ihr den Schirm. Als die Schatten schon länger wurden, traf die von den Spähern herbeigerufene Hundertschaft ein. Sie schnitten herzlos den Kamelen, die zwischen sich die Sänfte trugen, die Sehnen durch, sodass der Koloss herabstürzte. Der Hauptmann der Mongolen trat an ihn heran, fragte ihn noch, ob er An-Nasir sei, bevor er ihm sein Schwert in den Leib rammte.

Clarion, der es gelungen war, abzusteigen, warf sich über den massigen Körper. Zwei, drei Speere nagelten sie auf ihren Herrn und Geliebten. Der Mohr rannte weg, versuchte in die Dünen zu entkommen. Die

Bogenschützen veranstalteten ein Scheibenschießen, mit Pfeilen gespickt wie ein Igel, kullerte der Kleine den sanft gewellten Abhang wieder hinunter.

DER ORT WAR UNVERÄNDERT der gleiche geblieben, die drei mageren Dattelpalmen in der steinigen

Wüste, wo Roc und seine Gefolgschaft lagerten, nur die Stimmung war gesunken, tiefer als der Brunnenschacht, aus dem sie täglich das kostbare Nass heraufwanden für sich und ihre Tiere. Die Nahrungsmittel hingegen waren ihnen längst so knapp geworden, dass der Trencavel einen Fouragetrupp ausschicken musste, denn, was sie durchziehenden Beduinen hatten abkaufen können, war längst aufgezehrt. So waren die fünf Armenier ausgezogen, und alle hofften, dass sie wenigstens mit etwas >Beute< zurückkehrten - und sich nicht bei der Gelegenheit aus dem Staub machen würden.

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Roc hatte unmissverständlich ankündigen müssen, dass sie am nächsten Morgen in jedem Fall aufbrächen, ansonsten wäre seine Führerschaft, die sich bislang auf seine Okzitanier stützte, noch weiter angezweifelt, wenn nicht endgültig von den Rittern aus Antioch bestritten worden. Die Sonne sengte, die Sonne neigte sich dem Abend zu, die Armenier waren immer noch nicht zurück. Dass der Kelim geopfert werden musste, war allen klar, wurde von den meisten auch mit Erleichterung erwartet, nur nicht von denen, die dem Wesen-Spiel verfallen waren. Joshua und David, Guy de Muret und der mittlerweile spielsüchtige Ali saßen auf dem Teppich, der längst seine leuchtenden Farben eingebüßt hatte, weil ständig Staub aus der Wüste über ihn wehte und sich in seinem Gewebe verfing. Der Kelim begann zu versanden, zumal seine eifrigen Benutzer nichts dagegen unternahmen, es hätte sie vom Spiel abgehalten.

David der einarmige Templer und sein Freund Josh der Zimmermann begannen bereits die Öllichter für die Nacht aufzustellen, denn die Dämmerung fiel schnell, derweil Guy de Muret kundig und gewissenhaft die Pyramide für eine neue Runde aufschichtete. Bei ihm saß brütend Ali, für eine Beteiligung an solch vorbereitenden Tätigkeiten war er sich zu schade. Er wusste, die anderen brauchten ihn. Den Begriff des

»Vierten Mannes« verdrängte er dabei mit Erfolg. So weit, dass Ali sich einredete, die anderen verlangten geradezu nach ihm und seiner Gesellschaft. Mit dem Versinken des glutroten Feuerballs kam ein leichter Wind auf, die kühle Nacht kündigte sich an. Der Templer und der Kabbaiist hatten mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen, bis alle Lichter brannten. Sie nahmen ihre Angestammten Plätze ein, Guy begann mit dem Austeilen der Stäbchen.

Josh der Zimmermann, bei weitem seinen Mitspielern in der sinnvollen Auswertung dessen, was die Hand des Schicksals ihm zukommen ließ, überlegen, überdachte gewissenhaft vor allem seine Chancen, von seinen Nachbarn jene Stäbchen zu ergattern, die ihm noch zu einer gewinnträchtigen Kombination seiner Spielsteine fehlten. Er ließ sich Zeit. Sein Freund David ging ähnlich zu

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Werke, nur, dass seine Ausgangslage wesentlich viel versprechender war. Er musste eigentlich nur bedenken, was er dem Kabbalisten zum Fraß vorwerfen sollte, um den zum Abwurf jener Werte zu bewegen, die er noch zu einem glanzvollen Abschluss seiner Strategie benötigte. Guy de Muret war nicht bei der Sache, ihn beschäftigte eigentlich die nahe Zukunft der Truppe, die sich um den Trencavel geschart hatte, weitaus mehr als das Spiel.

Vor ihnen lag Damaskus! So geriet er, was die Aufnahme von Spielsteinen anbetraf, zwischen die Mühlsteine des verbissenen Machtkampfes zwischen Templer und Zimmermann. Für ihn blieb, das musste er bald erkennen, nur noch die Spreu vom Weizen!

Ali machte Schluss, bevor die anderen überhaupt richtig angefangen hatten, und verlangte gerade zur Verblüffung aller - Guy kicherte vor Vergnügen, der Zimmermann wurde zornig, denn David konnte bis dahin das klar erkennbare bessere Ergebnis vorweisen -, dass der Sieg ihm zuzusprechen sei, da erschien Pons und forderte im Auftrag des Trencavel den Templer und den Kabbalisten auf, zu ihm zu kommen, er wünsche sie zu sprechen. Beide Spieler, die ansonsten weder glühende Hitze, Sandstürme oder eisige Kälte dazu bringen konnten, vom Spiel abzulassen, wickelten sich aus ihren Decken und folgten dem Gebot. Ali blieb allein zurück mit seinem Anspruch, als Sieger anerkannt zu werden. Der verbliebene Guy de Muret weigerte sich allerdings lachend, darüber auch nur ein Wort zu verlieren. Stattdessen unterhielt er sich demonstrativ mit dem dicklichen Pons über eine Sternschnuppe, die gerade pfeilschnell und hell über den schwarzblauen Nachthimmel gesaust war. Ali hielt das Ganze für eine üble Intrige Rocs, der sich bis heute nicht dazu herbeigelassen hatte, mit ihm auch nur ein Wort zu wechseln. Dazu benutzte dieser hochmütige Trencavel jeweils seine Leibgarde, die Okzitanier. Bei denen musste er ansetzen ... Eine weitere Lichterscheinung raste über das dunkle Firmament und verlosch -

»Wünscht Euch was!«, forderte der gutmütige Pons den sichtbar vor Wut köchelnden Sohn eines gescheiterten Mameluckensultans auf. »Aber sprecht es nicht aus!«, fügte Guy stichelnd hinzu. »Sonst geht das - wie mit Eurem glorreichen Sieg - nicht in Erfüllung!«

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Ali biss sich auf die Lippen, er durfte sich nicht provozieren lassen. »Ich muss mir nichts wünschen!«, stieß er bemüht gelassen aus. »Ich muss es mir nur nehmen«, er nestelte an dem Amulett, das er unter seinem Gewand am Lederband um den Hals trug, und wies es mit verschwörerischem Stolz den beiden vor. »Auf mich wartet ein Königreich!«

Pons beäugte die Silberhand unbeeindruckt freundlich.

»Das kennen wir schon!«, rutschte es Guy trocken heraus. »Zur Erlangung dessen steht unser Leben bereits im Dienste des Königlichen Paares!« Der Okzitanier gab ihm den Korb nicht ohne Genuss und schaute unverwandt zum Himmel auf.

»Jedoch mein Königreich ist von dieser Welt!«, stellte Ali die Verlockung über seine Verärgerung. »Wenn ich auf Eure Hilfe zählen könnte -« Er ließ die hamsa wieder im Halsausschnitt verschwinden, denn das Interesse der beiden hatte sich vollends von ihm abgewandt.

Die Armenier waren zurückgekehrt. Sie hatten in der Wüste den spindeldürren Majordomus des Sultans von Damaskus aufgegabelt samt dessen Dienerschar, eine gewaltige Karawane mit der gesamten Ausstattung eines Hofstaates und reichlichem Proviant würde ihnen auf dem Fuße folgen. Die Armenier waren sehr stolz auf ihre

>Beute<, der Trencavel lobte sie, bevor er sich von dem Baouab berichten ließ, wie sie einem grausamen Tode durch die furchtbaren Mongolen nur knapp entronnen, weil ihnen die Angst Beine gemacht, was dem verehrten Herrn An-Nasir nicht vergönnt gewesen. So erfuhr Roc auch von der Favoritin, die ihrem Gebieter

unerschütterlich in ihrer Zuneigung auch in seiner letzten Stunde zur Seite gestanden hatte. Wenn der Trencavel vom Ende Clarions, seiner alten Freundin, erschüttert war, zeigte er es nicht. Roc entließ den erschöpften Majordomus samt den mit ihm entkommenen Dienern und wandte sich dem Templer und dem Kabbalisten zu.

»Mir gefällt es nicht«, eröffnete er den beiden, »dass Ihr mit Eurer Sucht - mit Spielleidenschaft mag ich Euer Verhalten nicht mehr entschuldigen - mir jetzt auch meine Okzitanier ansteckt!«

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Die beiden senkten betroffen die Nasen. »Ich brauche diese tüchtigen Burschen, Euch hingegen kaum!« Dem Trencavel taten die alten Weggefährten fast Leid, doch er wollte Härte zeigen. »Wenn Ihr das vorzieht, dann schenk' ich Euch den Kelim und lass Euch morgen mit ihm zurück - « Sein Blick fiel auf Ali, der die

>geretteten< Damaszener zu sich auf den Teppich gebeten hatte, als sei er hier der Herr und Gastgeber. Rogs Stirn verdunkelte sich.

Ali, den auch Guy inzwischen verlassen hatte, sodass er nur noch über Pons als Zuhörer verfügte, versuchte gerade den Baouab und dessen Leute für sich zu gewinnen, er wünsche in ihrer Begleitung in Damaskus einzuziehen. Den Majordomus beeindruckte diese Haltung sehr, zumal nach dem kühlen Empfang durch den Trencavel. Er setzte gerade dazu an, dem jungen Herrn seine Dienste anzubieten, als Rocs ärgerliche Stimme herüberscholl, Ali habe den Teppich sofort zu verlassen, und Terez fügte nicht weniger herablassend, doch laut genug hinzu: »Sitzt Ihr auf Euren Ohren, Ali? Dies ist ein Befehl des Trencavel: Jeglicher Aufenthalt auf dem Kelim ist jedermann ab sofort untersagt!«

Alis Gesicht erstarrte vor Wut und Scham zur Maske.

»Wer ist der«, fragte der in Intrigen erfahrene Baouab provozierend, »dass er so mit Euch zu reden wagt!?«

»Das ist Roc Trencavel, der Gemahl der großen Yeza Esclarmunde!«, tat da Pons ungefragt, aber mit hörbarem Stolz kund. »Zusammen bilden sie das ruhmreiche Königliche Paar!«

Das beeindruckte den gewieften Majordomus noch weit mehr als das Angebot des Ali, der seine

Mameluckenherkunft bewusst verschwiegen, sich dafür in ein geheimnisvolles Licht zu setzen gewusst hatte.

Der Baouab verneigte sich knappstens, eigentlich nur ein höfliches Kopfnicken, gab seinem Gefolge einen Wink, und sie verließen gehorsam den Teppich. Ali hatte die rabiate Handgreiflichkeit der Mannen aus Antioch noch in böser Erinnerung und fügte sich, die Lippen schmal zusammengepresst.

Die angekündigte Karawane traf ein. Roc ließ ihren Treibern und den Kamelen frisches Wasser bringen. Hier machten sich schon dieser spindeldürre Majordomus und seine Dienerschar nützlich,

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die ihm sogleich ihre Dienste angetragen hatten. Im Hinblick auf Damaskus, das jetzt vor ihnen lag, war es vielleicht nicht falsch, über ortskundige Leute zu verfügen. Josh der Zimmermann und David der Templer hatten sich still verdrückt, jedoch aufmerksam die stattliche Karawane inspiziert. Zögerlich, fast schüchtern sprach Joshua seinen alten Freund auf die neue Situation an. Rog gab sich abweisend.

»Solltet Ihr fürderhin zu Eurem großherzigen Angebot stehen, edler Trencavel«, trug David sodann mit fester Stimme vor, »wären doch diese zahlreichen Kamele durchaus in der Lage, zusätzlich auch noch den Kelim zu transportieren - «

»Dafür versprechen wir«, fügte der Zimmermann treuherzig hinzu, »dass wir Euch nach unserer glücklichen Ankunft in Damaskus nicht länger zur Last - «

»Ihr seid mir beide lieb und wert«, unterbrach ihn Rog gerührt, »auch Yeza würde sich freuen, Euch -«

»Was mich betrifft«, erklärte spontan der Templer, »stifte ich meinen Teil des Kelims gern der Großen Moschee, wenn ich weiterhin an Eurer Seite reiten darf, Trencavel.«

Ihm mochte der Kabbaiist nicht nachstehen. »Was soll ich mit der anderen Hälfte des Teppichs anfangen?«, beklagte sich der alte Gauner spaßig. »Längs- oder quergeteilt oder gar im Goldenen Schnitt? Bevor ich diese Zirkulatur eines Rechtecks als mathematisch-geometrisches Problem gelöst habe, da komm' ich lieber gleich mit

- und spiel' in Zukunft auf blankem Boden!«

Rog legte seine Arme über ihrer beider Schultern und ließ sie spüren, dass die alte Freundschaft wiederhergestellt war.

Die Damaszener, die wieder den alten, spindeldürren Baouab zum Sprecher gekürt hatten, unterbreiteten mit einer gewissen Feierlichkeit dem Trencavel ein verlockendes Angebot: Da Stadt und Land nun ohne Herrscher dastünden, wäre es wünschenswert, wenn Rog als männlicher Teil des berühmten Königlichen Paares zu Damaskus die Regierung übernähme - zumal er ja mit den Mongolen im besten Einvernehmen stünde. Rog bat sich Bedenkzeit aus, bis zur Ankunft in der Hauptstadt. Er bestimmte den nächs-248

ten Morgen zum Zeitpunkt des Abmarsches. - »König von Damaskus«? Rog überlegte, ob Yeza wohl damit einverstanden wäre.

Eigentlich müsste sie sich freuen? Und wenn nicht, dann wäre klar erwiesen, wie wenig ihr an seinem Glück gelegen sei. Zudem verspürte er keine Lust, mit Yeza stets Machtanspruch - und vor allem Ansehen - zu teilen.

Der Trencavel ahnte nicht, dass ein anderer bereits sehr feste Vorstellungen hinter seiner glatten Stirn wälzte, wie er den gleichen Titel an sich reißen könnte: Ali war gewillt, den Kampf um die Herrschaft von Damaskus mit allen Mitteln aufzunehmen.

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WANKELMUT UND ZWIETRACHT DER GROSSMEISTER

DAS HAUPTHEER DER MONGOLEN hatte sich inzwischen ohne sonderliche Hast durch die Buqaia-Ebene

südwärts vorgeschoben und lagerte unweit der Tempelruinen von Baalbek, dem antiken Heliopolis. Alle Landstriche um sie herum waren so weit >befriedet<, dass der II-Khan jetzt darangehen konnte, seinen Einzug in der Hauptstadt Syriens zu planen. Die von ihm gewünschte pax Mongolica war zwar längst nicht von allen lokalen Machthabern als segensreicher, quasi paradiesischer Zustand dankbar akzeptiert worden, aber keiner wagte mehr, sich offen dagegen aufzulehnen. Die Johanniter vom Kräh des Chevaliers, die Templer von Safita und Tortosa, selbst die Assassinen von Masyaf hatten Ergebenheitsadressen geschickt und die muslimischen Emire Syriens samt und sonders Geiseln gestellt. Der Oberkommandierende Kitbogha, der dieses gewaltige Unternehmen für seinen Herrn Hulagu durchgeführt - und dabei nie die Übersicht verloren hatte -, konnte durchaus zufrieden sein. Von dem abgelegenen und wegen seiner aufsässigen Derwische als schwierig erachteten Palmyra hatte Dungai, der Hauptmann, der das uneingeschränkte Vertrauen Kitboghas besaß, eine Delegation mitgebracht, die ohne Umstände - wenn man einmal von der hilfreichen Intervention des Schamanen absah - mit geradezu heiterer Bereitwilligkeit die legendäre Handelsstadt in der Wüste dem Schutz des Königlichen Paares unterstellte. Das genügte überraschenderweise dem Il-Khan vollauf und erfüllte die Dokuz-Khatun mit großer Freude, zeigte es doch, welch gute Ausstrahlung von den beiden Friedenskönigen ausging.

Dem bedächtigen Kitbogha schien es unangebracht, gerade jetzt darauf hinzuweisen, dass bis dato weder Rog noch Yeza - wenngleich von Arslan offensichtlich aufgespürt - wieder vereint im mongolischen Lager am 250

Hofe des Il-Khan zur Verfügung stünden. Umso beglückter war der bärbeißige Oberkommandierende, als jetzt die ersten Meldereiter seines erfolgreich heimkehrenden Generals Sundchak eintrafen und berichteten, dass die

»Königin« Yeza sich in dessen Gefolge befände.

Sundchak war übel gelaunt. Knapp berichtete er von der Erfüllung seiner Mission, der Zerstörung von Mard'

Hazab und der Gefangennahme des dorthin geflüchteten El-Kamil. Der stiernackige General bestand darauf, den Verbrecher auf der Stelle dem Il-Khan vorzuführen, damit der über dessen Bestrafung befinden könne. Kitbogha verweigerte seinem Untergebenen eine sofortige Audienz bei Hulagu und verlangte stattdessen zu wissen, was denn mit Yeza sei? Sundchak reagierte gereizt.

»Die Dame reist in Gesellschaft des Bretonen, der sie in Schutzhaft genommen hat!«, knurrte der Fleischerhund aufsässig seinen Vorgesetzten an. »Sie hatte sich zur Herrscherin von Palmyra aufgeschwungen, zur Königin dieser aufrührerischen Derwische!«, bellte er voller Empörung. »Ich habe Euch die Köpfe der Anführer mitgebracht.« Er gab seinen Leuten einen Wink, sie sollten die auf Lanzen gespießten Trophäen hereintragen, aber Kitbogha verwies ihm auch das.

»Eine Delegation aus Palmyra ist grad' vor zwei Tagen von unserem Il-Khan Hulagu und der Dokuz-Khatun hier huldvoll empfangen worden«, hielt er dem schnaubenden Sundchak mit kühler Überlegenheit entgegen. »Ich glaube nicht, dass der Il-Khan über Eure überflüssigen Mitbringsel besonders erfreut sein wird. Euer eigenmächtiges Handeln stört die Politik der Befriedung Syriens gewaltig!«

Sundchak zog seinen hochroten Glatzkopf ein. »Was erregt Ihr Euch über die paar Schädel von verrückten Derwischen?«, muckte er aber doch auf. »Den Emir habe ich dem Il-Khan lebend herbeigeschafft, damit er ihn persönlich häuten, pfählen und rösten mag, den Schurken, der es gewagt hat - « Ein gefährliches Grammeln, wie das eines Vulkans kurz vor dem Ausbruch, veranlasste ihn zu schweigen. »Ihr überschätzt die Rachsucht Hulagus!«, bürstete

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ihn sein Oberkommandierender unwirsch ab. »Man wird Euch rufen, Sundchak!«

Der General war nicht gewillt, als Geschlagener aus dem Zelt zu stapfen. »So lange Ihr mir die Ehre der Ablieferung verwehrt, Kitbogha«,. stieß er drohend aus, »verfahre ich mit meinem Gefangenen, wie es mir gefällt!«

Doch der Alte ging auf den neuerlichen Affront nicht mehr ein. Sundchak befahl seinen Leuten, mitsamt den Köpfen und dem Käfig abzurücken ins Quartier. Das vollzog sich gerade noch rechtzeitig, bevor jetzt die Nachhut unter Khazar eintraf.

Yeza hatte Yves den Bretonen gebeten, dass sie gleich bei Ankunft - noch vor der unvermeidlichen Aufwartung, die sie dem Il-Khan und der Dokuz-Khatun würde machen müssen - Kitbogha zu sehen wünschte, schon um dem väterlichen Zorn über Baitschus Ungehorsam die Spitze zu nehmen. Der Zeitpunkt hätte schlechter nicht gewählt sein können, doch der Alte breitete seine Arme aus, kaum, dass er Yezas ansichtig wurde, und sie lief auf ihn zu wie ein kleines Mädchen. Sie umarmten sich lange, und danach war auch die Verfehlung Baitschus kein Thema mehr. Mit sichtbarem Stolz nahm Kitbogha den Bericht Khazars entgegen, der von Baitschus Geschick in schwierigen Lagen in höchsten Tönen schwärmte und im Übrigen die Taten des Generals Sundchak in einem gänzlich anderen Licht erscheinen ließ.

»Unbeherrscht und unnötig grausam«, pflichtete ihm der Bretone bei. »Ich würde ihm den Emir von

Mayyafaraqin nicht allzu lange zur freien Hand überlassen«, warnte er Kitbogha, »sonst wird der Il-Khan den Übeltäter nur noch scheibchenweise oder als Gehacktes zu Gesicht bekommen.«

Kitboghas Miene verfinsterte sich nur kurz, dann lächelte er Yeza an, die jetzt Baitschu vor seinen mächtigen Vater schob. Kitbogha tat einfach so, als sei es schon immer sein ausdrücklicher Wunsch gewesen, dass der Knabe seine ersten Erfahrungen im Felde sammelte. Er tätschelte kurz dessen Kopf, bevor er ihm einen kräftigen Stüber verpasste. »Mach nur weiter so, Bürschlein!«, war sein zweideutiges Lob für den Filius, dann ließ er Yeza in ihr Zelt geleiten, damit sie sich für den Empfang beim Il-Khan frisch ma-252

chen konnte, und schickte alle anderen hinaus, um endlich mit dem Bretonen allein zu sein. Zu dem erhofften besonnenen Gespräch kam es indessen nicht, denn jetzt erschien der Anführer der Hundertschaft, die den Sultan von Damaskus auf seiner >Flucht< gestellt hatte.

Die Köpfe An-Nasirs und seiner Favoritin wies er sogleich vor und erwartete dafür auch ein Lob des Oberbefehlshabers. Kitbogha begriff, dass er Hulagu nunmehr Mitteilung machen musste, dass dessen triumphalem Einzug in Damaskus nichts mehr im Wege stand.

»Ich schlage Euch im Guten vor, Kitbogha«, hielt ihn der Bretone zurück, »Yeza nicht mit der Tüchtigkeit Eurer Unterführer zu konfrontieren. Weder die Köpfe ihrer Freunde, der Derwische, die sie mit der erlesenen Dichtkunst des berühmten Rumi erfreuten, noch der ihrer Jugendfreundin Clarion von Salentin sind dazu angetan, die Prinzessin den Plänen der Mongolen besonders gewogen zu machen.« Bei allem Sarkasmus vermied es Yves, irgendwelche Erregung zu zeigen. »Ich warne Euch!«

Kitbogha machte sich die Bedenken des Bretonen zu Eigen. »Der Empfang von Yeza durch den Il-Khan und die Dokuz-Khatun soll vorgezogen werden!«, befand er. »Die Früchte seines Krieges mag Hulagu danach ungestört genießen - «

»Wenn die raue Wirklichkeit ihm nicht auf den empfindlichen Magen schlägt!«, setzte Yves aufsässig hinzu.

Kitbogha belobigte den Führer der Hundertschaft und schickte ihn mit seinen blutigen Beweisstücken ins Quartier des Generals Sundchak, wo er warten solle, bis er vor den Il-Khan gerufen würde. Dann begab er sich selbst zu Hulagu.

Dort waren gerade aus Antioch der junge Fürst Bohemund und sein Schwiegervater Hethum, der König von Armenien, angelangt, mit reichem Gefolge und kostbaren Geschenken, sie nahmen die Aufmerksamkeit des erfreuten Il-Khan völlig in Beschlag, sodass der alte Kitbogha nicht sogleich das Ohr seines Herrn fand.

Hingegen hatte der beleidigte General Sundchak geschickt dafür gesorgt, dass der Oberhofmeister des Hulagu von seinem Fang erfuhr und von sich aus verlangte, den unverschämten El-Kamil herbeizu-253

schaffen, auch um vor allem den feinen Herren aus Antioch handgreiflich zu zeigen, wie es einem ergeht, der sich gegen den Willen des Herrschers erhoben hatte. Der Oberhofmeister hätte ihnen gern auch den unseligen Lulu, den Atabeg von Mossul, vorgeführt, doch der war - da sein großartig angekündigtes Huldigungsgeschenk, ein Riesenteppich aus Täbriz, nie eingetroffen - unter entsetzlichen Qualen vor einigen Tagen in seinem engen Gefängnis verendet. So befahl der Oberhofmeister den Käfig, der seitdem leer vor dem Prunkzelt stand, ins Quartier des Generals Sundchak zu schicken, damit der den Emir von Mayyafaraqin hineinstecke und ihn herbrächte. Diese Order war bereits ergangen, als Kitbogha endlich vor Hulagu treten konnte.

Yves der Bretone hatte sich zum Zelt der Prinzessin begeben, um sie abzuholen. Er fand Yeza aufgelöst in Tränen vor. Es dauerte seine Zeit, der mönchische Yves hatte keine Erfahrungen mit Frauen, besonders nicht mit weinenden, bis der Bretone aus der heftig Schluchzenden brockenweise herausgeholt hatte, was passiert war. Die jungen mongolischen Mädchen, die man ihr als Zofen geschickt hatte, waren plötzlich kichernd vor die Zelttür gelaufen. Feierlich wie in einer kirchlichen Prozession war gemessenen Schritts ein Käfig vorbeigetragen worden. In ihm hockte mit verwildertem Bart gleich einem gefährlichen Tier El-Kamil und hatte sie mit glühenden Augen angestarrt. Als sie seinem für sie schwer erträglichen Anblick auszuweichen suchte, glitten ihre Augen hoch zu den Lanzen, auf deren Spitzen abgeschnittene Köpfe steckten. Mit Schrecken erkannte sie die Gesichter der Derwische, die im Garten der Zenobe ihre lieben Gäste gewesen, doch das Haupt, das über der Ecke des grässlichen Gehäuses thronte, fiel ihr durch das lang herabfallende Haar auf. Sie war wie gelähmt, langsam wankte der Schinderkäfig an ihr vorüber, da drehte sich der Frauenkopf auf der Stange, und sie starrte in das wachsbleiche Antlitz ihrer schönen Freundin Clarion. Yeza wollte schreien, aber sie brachte keinen Ton heraus. Sie war zurück in das Zelt gestürzt, hatte die Mädchen mit Schlägen davongejagt - und hatte seitdem geheult, hemmungslos. Yves hätte die Verzweifelte gern in

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den Arm genommen, aber er wusste auch nicht, welchen Trost er ihr spenden sollte. Hilflos stand er vor Yeza, die immer wieder von zu Herzen gehendem Schluchzen geschüttelt wurde. Ihr in diesem Zustand vorzuschlagen, sie solle jetzt dem Il-Khan ihre Aufwartung machen, war völlig absurd! Wenn es ihm gelingen würde, sie zu überreden, lief er Gefahr, dass sie Hulagu die Augen auskratzte. So ließ er Yeza allein.

Der muntere Baitschu tauchte auf. Der Bretone befahl ihm, vor dem Zelt Wache zu stehen und niemanden zur Prinzessin vorzulassen. Erstaunlicherweise begriff der Knabe sofort die schreckliche Lage, in der sich Yeza befand, und versprach dem Herrn Yves, sich nicht von der Stelle zu rühren und keinem zu gestatten, die Schwelle zu übertreten!

Verfolgt von den Bildern, die Yeza vor ihm ausgebreitet hatte, begab sich der Bretone zum Prunkzelt des Hulagu. Er war bereit, in Ungnade zu fallen, aber er musste dem Herrscher klarmachen, dass die Mongolen im Begriff waren, ihre Friedenskönige zu verlieren, und zwar für immer!

ARSLAN DER SCHAMANE stand unbeweglich zwischen den schroffen Felsen der Gebirgskette, die im

Westen die Wüste begrenzte. Seine Gestalt schien eins mit dem Stein, der Bär lagerte zu seinen Füßen. Weit unter ihm, am Fuß der Klippen hielt eine Patrouille der Mongolen. Sie starrten gebannt auf den einzelnen Reiter, der aus der Wüste heranfegte, genau auf sie zu. Schon von weitem erkannten sie ihn als Iltschi. Seine hochaufragende Standarte mit dem Reichsemblem machte ihnen sofort Respekt. Schnell sprangen sie von ihren Tieren ab und verneigten sich ehrerbietig vor dem Staatsboten. Der Iltschi musterte mit kundigem Blick ihre Pferde, griff sich das beste, schwang sich in den Sattel, nickte dem sich nochmals verbeugenden Anführer zu und stob wieder davon, weiter gen Westen, der glutrot untergehenden Sonne entgegen.

Auch Arslan sah ihm lange nach. Ein Iltschi aus dem fernen Karakorum, dem Sitz des erhabenen Großkhan, brachte selten gute

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Nachrichten. Dieser hier, das spürte der Schamane ganz deutlich, war ein Künder von großem Unheil -

DAS CASTELLUM REGIS, die Burg der Könige von Jerusalem am Regierungssitz zu Akkon, strahlte von jeher wenig Glanz aus. Seine Nüchternheit gemahnte an das Provisorium, an die Notlösung, allein der Name des

»Königreiches von Jerusalem« hielt den nie aufgegebenen Anspruch auf die eigentliche Hauptstadt aufrecht. Die allerdings hatten die Christen nun schon bald vor hundert Jahren an den großen Saladin verloren. Einen König hatten sie auch nicht mehr, Königin Plaisance regierte das, was von dem Reich noch übrig war, von Zypern aus.

Sie ließ sich vor Ort durch einen bailli vertreten, dessen Hauptaufgabe es war, die ständigen Streitereien zwischen den Seerepubliken Genua, Venedig und Pisa zu schlichten und die beiden größten Ritterorden davon abzuhalten, sich die Schädel einzuschlagen. Deswegen hatte der redlich bemühte Herr Gottfried von Sargines auch alle Überredungskunst aufwenden müssen, die beiden Großmeister, die Herren Thomas de Berard für den Tempel und Hugo de Revel für den Johanniterorden, zu bewegen, sich gleichzeitig bei ihm im Castellum, sozusagen an einem neutralen Ort, zu treffen. Um diese Begegnung nicht durch unnötige Zeugen zu belasten, hatte er von den Baronen des Königreiches nur einen dazugebeten, allerdings den wichtigsten, Philipp de Montfort, den Herrn von Tyros, - von der hohen Geistlichkeit hingegen niemanden. Es ging schließlich um politische Entscheidungen von einiger Tragweite, Fragen des Glaubens hätten die Suche nach einer Lösung nur zusätzlich erschwert.

So saßen die vier ergrauten Männer schließlich allein im Arbeitszimmer des Bailli. Ihr Gefolge, ihre Leibwachen hatten sie im Kronsaal zurückgelassen, mit der Ermahnung, sich nicht provozieren zu lassen und sich auch nicht zu schlagen, selbst in Anbetracht, dass zwischen den Ordensleuten manche Rechnung offen stand. »Wir sollten zu einer gemeinsamen Linie finden«, fasste Herr Gottfried seine Wünsche zusammen. »Wir haben die Mongolen 256

schließlich ins Land gerufen, damit sie uns zum Sieg über den Islam verhelfen.« Keiner seiner Zuhörer verzog eine Miene, die leidige Feststellung entbehrte nicht eines gewissen Wahrheitsgehalts, als Tatsache war das Hilfsersuchen unbestreitbar, auch wenn die Fehleinschätzung von dessen Konsequenzen ihnen längst zum Hals raushing. »Wenn wir ihnen jetzt keinen schlüssigen Plan zum gemeinsamen Handeln vorlegen, dann werden sie uns nicht länger als Bundesgenossen betrachten, sondern unsere Unterwerfung verlangen - «

»Wie es Herr Bohemund für Antioch ihnen bereits angedient!«, spottete der Herr von Tyros bitter.

»So macht man dem II-Khan Appetit«, pflichtete ihm Hugo de Revel bei. »Wir sollten Initiative und Stärke zeigen, indem wir schleunigst das herrenlose Damaskus besetzen, dann nehmen sie uns wieder ernst!«

»Ich Euch immer weniger, Hugo de Revel!«, fuhr ihm der Großmeister des Tempels über den Mund.

»Damaskus! Haha! Stecht nur in diesen honigtriefenden Bienenkorb, dann habt Ihr die Stacheln der gesamten islamischen Welt in Eurem weichen Sitzfleisch stecken, die Mamelucken an der Spitze!«

»Wäre dennoch zu überlegen«, bemerkte Philipp de Montfort sinnend, »so kämen wir zu einem soliden Ausgleich der Kräfte: hier die furchtbaren Mongolen, dort die lästigen Ägypter - und wir mit Damaskus das Zünglein an der Waage!«

»Wisst Ihr, Herr Philipp, wie es sich hernach anfühlt, wenn man im Eifer des Gefechts seine Zunge mutwillig zwischen Harnisch und Visier herausstreckt?!«, verlachte der Templer jetzt auch den Herrn von Tyros.

»Meine Herren!« Gottfried von Sargines suchte den aufkommenden Streit einzudämmen. »Die Mongolen stehen bei Baalbek, Damaskus liegt vor ihnen auf silberner Schüssel dargereicht! Der Il-Khan würde es uns sehr verübeln - «

»- wenn wir es wagen, ihm in die Suppe zu spucken!«, knurrte Philipp verächtlich.

»Also harren wir, bis auch wir zu Tisch gebeten werden!«, höhnte Thomas Berard.

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»Die Templer haben gut reden!«, gab sich nun auch Hugo de Revel angriffslustig. »Sie warten nicht, welche Knochen für sie abfallen, sie bedienen sich der Filetstücke des Königreiches!«

»Will der Orden vom Hospital die Schulden des Julian de Beaufort begleichen?«, schlug sofort der Großmeister vom Tempel zurück. »Sidon war als Pfand längst überfällig - und von Rechts wegen auch Beaufort, das dieser wortbrüchige Herr nicht herausrücken mag - «

»Ein Straßenräuber!«, Philipp de Montfort hielt mit seiner Geringschätzung des Standesgenossen nicht hinterm Berg. »Mit solchen Leuten legen wir nirgendwo Ehre ein - «

»Nicht einmal bei den räuberischen Mongolen, wolltet Ihr wohl sagen?«, spöttelte Herr Thomas. »Wir sollten uns klar werden darüber, was wir wollen - und mit wem wir bislang, von gelegentlichen Reibereien mal abgesehen, ganz gut gefahren sind.« Er suchte die Zustimmung des Bailli. »Das ist zweifelsohne das Sultanat von Kairo! Von den Mongolen indessen - «

Voller Spott unterbrach ihn sein Gegenspieler vom Orden der Johanniter. »Von den Mongolen indessen können die Templer keine Sonderbehandlung erwarten, wenn ihnen Euer geheimer Pakt mit dem Mameluckensultan zu Ohren kommt!« Das Gesicht des Thomas Berard konnte den aufsteigenden Ärger nicht verstecken.

»Meine Herren!«, flehte Gottfried von Sargines, Philipp de Montfort sprang wütend auf. »Ich sehe, dass wir zu keiner gemeinsamen Haltung gegenüber den Mongolen kommen werden, selbst, wenn sie morgen vor Akkon und Tyros stehen werden!«, rief er aufgebracht. »Also lassen wir Damaskus ruhig in ihre Hände fallen. Jeder ist sich selbst am nächsten«, er verneigte sich vor dem verzweifelten Bailli, »bis die Reihe an ihm! Mich könnt Ihr in Tyros erreichen. Dort steht immer ein Schiff für Euch bereit, Bailli, wenn Ihr zu Eurer Königin nach Zypern flüchten müsst!« Aufrechten Schrittes verließ er den Raum und stampfte sporenklirrend durch den angrenzenden Thronsaal.

Gottfried von Sargines unternahm einen letzten Versuch. »Ich schlage vor, wir holen die Meinung des Meisters Hanno von Sangershausen ein? «

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»Die Rolle des Deutschen Ritterordens ist so bedeutend«, höhnte der Templer, »dass man ihm Parteinahme schon mangels Masse nicht unterstellen kann!«

»Ich vertraue dem klugen Urteil des ehrenwerten Hochmeisters«, verkleidete, kaum angreifbar, der Johanniter seine Rüge und nickte dem Bailli sein Einverständnis zu. Thomas Berard stiefelte hinaus zu seinem wartenden Gefolge.

KITBOGHA, der Oberkommandierende des mongolischen Heeres, trabte leicht gebeugt und sehr nachdenklich auf das Prunkzelt seines Herrn zu, des II-Khan Hulagu. Der mit den Köpfen geschmückte Käfig stand nicht mehr auf dem freien Platz davor, dafür hatte staute pede Kitbogha gesorgt, nachdem er nicht hatte verhindern können, dass die Trophäen - blutrünstige Garnierung für den Insassen El-Kamil - überhaupt dem Il-Khan vorgeführt worden waren. Die Folge war gewesen, dass Hulagu sich von der sattsam bekannten Grausamkeit seines Generals Sundchak hatte anstecken und dazu hinreißen lassen, ausgerechnet dem Schlächter von Palmyra die Ausführung einer abschreckenden wie rächenden Strafe an dem Emir zu überlassen. Besorgt wiegte Kitbogha seinen kantigen Schädel, ohne dass er sich dessen bewusst wurde, dann straffte sich sein massiger Körper, die Wachen salutierten und der Alte schritt über die Schwelle des herrscherlichen Zeltes.

Der Oberkommandierende erwies dem Il-Khan die geschuldete Ehrerbietung, verneigte sich vor der Dokuz-Khatun, von der er wusste, dass sie als Christin unter der Rohheit bestimmter Krieger litt wie er, begrüßte die hochstehenden Anwesenden, so den jungen, schwachen Fürsten von Antioch und den durchtriebenen König der Armenier. Beruhigt stellte er fest, dass der ständige Gesandte des Königs der Franken, Yves der Bretone, ebenfalls zugegen war, wenn er sich auch im Hintergrund hielt. Erwartet wurde die Prinzessin Yeza, und um sie

- natürlich auch um den immer noch fehlenden Roc - drehte sich das Gespräch, das hauptsächlich

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die Khatun bestritt. Von Kitbogha verlangte sie sogleich zu wissen, ob die Prinzessin sich nun endlich beruhigt habe und gedenke, sich zu zeigen.

Kitbogha zuckte mit den Schultern. »Der eigene Tod mag Ruhe verschaffen - «, gab er dann zur Antwort. »Der von hingemetzelten Freunden gibt einer empfindsamen Seele so schnell keinen Frieden!«

Hulagu reagierte unleidlich. »Von Königen kann man erwarten, dass sie Härte zeigen und hart sind im Hinnehmen von Verlusten!«, befand er gereizt. Der armenische König Hethum nickte dem Il-Khan beifällig seine volle Zustimmung, was Kitbogha ärgerte. »Milde am falschen Platz wirkt wie ein erster fauler Zahn«, tat Hethum, der alte Fuchs, dann noch belehrend kund. »Ist einmal ein Stein aus der Krone gefallen - «

»Königen wie Euch vielleicht«, fuhr der Alte dem Armenier ruppig übers Maul. »Doch Roc und Yeza ist ein

>Königtum des Friedens< versprochen worden, und das sollte sich weiß Gott! anders äußern - «

»Geschenkt bekommen sie es kaum«, griff Hethum geschickt zurückweichend den Vorwurf auf, bevor Hulagu ihn auf sich, als Widerspruch seines Oberkommandierenden gegen sein herrscherliches Verdikt, beziehen konnte. »Machterwerb, und noch mehr: Machterhalt bedarf noch immer des Einsatzes von Gewalt - «

»Nein! Schämt Euch, nein!«, unterbrach ihn da die lamentierende Stimme der Dokuz-Khatun, die meist ins Schrille umschlug, wenn sie in Erregung geriet. »Die Macht der Liebe, der christlichen Liebe zum Nächsten!«

Sie konnte es sich leisten, herausfordernd ihren Gatten anzublicken, doch der winkte nur müde ab, der Streit war nicht neu.

»Ihr hättet besser daran getan«, hielt er dem Fürsten von Antioch ungnädig vor, schon weil ihm ein lauter Wind entfahren, »diesen Roc Trencavel mit Euch herzubringen« - Hulagu litt an ständigem Magengrimmen -, »dann könnte der jetzt mannhaft der jungen Dame Bescheid stoßen.«

»So wäre zwar das Königliche Paar vereint«, gab statt seines Schwiegersohns König Hethum, nun ebenfalls verstimmt, seine

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Meinung sarkastisch zum Besten, er konnte sich schließlich auch ein offenes Wort erlauben, »aber Ihr hättet es dann gleich mit zwei äußerst schwierigen Charakteren zu tun!«

»Ich glaube fest daran«, nutzte der betagte Kitbogha das eingetretene Schweigen, »dass nur aus der harmonischen Liebe des Königlichen Paares zueinander eine Kraft entstehen kann, die dieser Welt ...«, dann hatte der Kriegsmann den Faden verloren.

»- der Welt zum Geschenk!«, sprang ihm Bohemund bei.

»- eine Kraft, deren sie dringend bedarf, wenn Glück und Frieden einziehen sollen!« Der Alte räusperte sich, schon weil er es nicht gewohnt war, seine Gedanken in schöne Worte zu fassen. »Deswegen müssen wir alles daran setzen, die Trennung des Königlichen Paares schnellstens zu beenden!«

Der Il-Khan hatte mit säuerlichem Lächeln den Sermon seines Oberkommandierenden über sich ergehen lassen, Kitbogha wurde alt. »Dann schafft den Roc Trencavel herbei!«, erteilte Hulagu ihm die unmissverständliche Order. »Hat der zukünftige König die Stadt Antioch verlassen, wie Uns Herr Bohemund berichtete, kann sich Unser junger Held nicht allzu weit von Uns befinden - also setzt ihn endlich fest - zu seinem Besten!«

Aus der Chronik des William von Koebr uk

Wir, der Rote Falke, seine Frau Madulain und ich, waren Gast des Deutschen Ritterordens zu Akkon. Meine freundschaftliche Verbindung zum Ordenshaus ging noch auf den alten Komtur von Starkenberg zurück, aber auch der Sohn des ehemaligen ägyptischen Großwesirs war hier als »Konstanz von Selinunt« bestens eingeführt, schließlich hatte ihn noch Kaiser Friedrich selbst zum Ritter geschlagen. So standen der Rote Falke und ich auf dem flachen Dach der Festungsanlage, die wie ein wuchtiger Klotz in den zweiten Verteidigungsring der wehrhaften Stadt eingelassen war. Das Bollwerk überwachte vor allem das Brückentor, die kritische Stelle, an der die äußere Stadtmauer ins Meer hinausragte, zum

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Schutz des Hafens und des dort gelegenen Arsenals. Die Bastionen beider Ecktürme, die den gesamten in Reichweite liegenden Mauerabschnitt an Mächtigkeit und Höhe weit überragten, waren mit schweren, stets einsatzbereiten Katapulten bestückt, auch wenn jetzt nur zwei einsame Ordensritter in langen weißen Mänteln mit wuchtigem schwarzem Kreuz dort jeweils den Wachdienst versahen. Unser Blick ging nicht auf Mauer und Meer hinaus, wir hielten stadteinwärts Ausschau nach dem seltenen Besuch, der unserem Gastgeber, dem Hoch-und Großmeister Hanno von Sangershausen, ins Haus stand. Der ihm in Freundschaft und Respekt verbundene Bailli des Königsreiches, Herr Gottfried von Sargines, hatte einen reitenden Boten vorausgeschickt, dass er ihn -

in genötigter Begleitung der verstrittenen Großmeister des Tempels und der Johanniter - überfallen würde, in der vagen Hoffnung, dass es der ausgleichenden Art des Herrn Hanno gelingen möge, die beiden Kampfhähne nicht etwa zu versöhnen, sie aber wenigstens auf eine gemeinsame Linie einzuschwören. Das Vorrücken der gewaltigen Armee der Mongolen auf Damaskus verlange von der Regierung des Königreiches, endlich eine klare Stellung zu beziehen, zwischen strikter Neutralität oder den beiden möglichen Allianzen, sei es mit dem Il-Khan Hulagu - wovon die Mongolen ausgingen -, sei es mit dem Sultan von Kairo, dem alten, aber vertrauten Erzfeind. Das Schreiben hatte Herr Hanno uns lesen lassen, weswegen wir jetzt auf den Zinnen der Akkon zugewandten Front der deutschen Burg standen und hinabäugten, neugierig zu sehen, wie sich die angekündigten Besucher präsentieren würden - und in welcher Reihenfolge? Dass sich die Herren Großmeister der beiden anderen Ritterorden, die ansonsten jeden an Hochmut und Dünkel zu übertreffen suchten, zu einem solchen colloquium im Haus der »Teutonen« bereit fanden, lag nicht zuletzt auch daran, dass deren Ambitionen in Outremer inzwischen gleich null waren, also keinerlei Konkurrenz darstellten. Der Deutsche Ritterorden hatte seinen Ehrgeiz seit langem auf das Baltikum hoch im Norden gerichtet, wo er sich sogar ein eigenes Ordensland geschaffen hatte. Darum beneideten Templer wie Johanniter die Deutschen ungeheuer, wenn sie es auch nicht zugaben.

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Der Erste, der eintraf, das hatten wir auch gar nicht anders erwartet, war Herr Gottfried von Sargines. In seiner zurückhaltenden Art verzichtete der Bailli auf jeglichen Pomp oder prächtiges Gefolge, grad' mal seine Leibwächter begleiteten ihn bis in den Innenhof, wo er sie warten hieß und allein die breite Treppe hinaufstieg zum Refektorium.

»Wollt Ihr mit mir wetten, William«, bot mir der Rote Falke scherzend an, »wer hier als Letzter seinen Auftritt zelebriert?« Ich musste nicht lange überlegen, für mich waren das klar die Templer unter ihrem Meister Thomas Berard, aber Prinz Konstanz hielt dagegen: »Eben weil sich die Johanniter denken können, dass die Gegenseite diesen kleinen Triumph einheimsen will, werden sie alles dransetzen, dass die anderen auf ihr Eintreffen warten müssen!«

»Ich steh' zu meinem Favoriten«, ging ich auf das Spiel ein, »lasst mich nur zuvor wissen, was der Einsatz ist?«

Der Rote Falke lachte. »Mein Weib Madulain ist zum Bazar gezogen«, er schaute prüfend hinunter auf den Platz vor der Festung. »Ich schlage vor, die Rechnung, die sie mir präsentiert, zahlt entweder Ihr, William, oder ich werde mit der doppelten Ausgabe geschlagen.«

Das gefiel mir, hatte es doch selbst bei Verlust der Wette den ritterlichen Effekt, der Dame, die mir lieb und wert, zu Gefallen zu sein. Außerdem war ich mir meiner Sache völlig sicher.

»Seht mal, wer da kommt!« Er hatte einen kleinen Trupp Berittener erspäht, die gemächlich näher kamen.

»Armer Bruder des heiligen Franz, Ihr habt die Wette verloren!«

In der Tat, es waren Tempelritter, die eine Sänfte geleiteten, die von Turkopolen des Ordens getragen wurden.

Deutlich leuchteten die roten Tatzenkreuze, diesmal auf schwarzen Wämsern, zu uns hinauf, doch ich gab mich nicht geschlagen, die schwarz verhangene Sänfte, ohne jeden Zierrat oder Wappen, rief bei mir ganz andere Erinnerungen wach.

»Es gilt lediglich das Erscheinen des Thomas Berard«, wies ich seine voreilige Siegesgewissheit zurück, »das sich erst mit dem Betreten des Innenhofes manifestiert!«

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Die Schwarzen Templer hatten die Sänfte inzwischen ziemlich weit vor der bewachten Pforte des Hauses abgesetzt und machten nicht die geringsten Anstalten, dort einzureiten. Der Rote Falke war perplex über dies Verhalten, mir aber fuhr ein gelinder Schreck in die Glieder: Der Sänfte entstieg nicht die Ehrfurcht gebietende Person, die ich in dem düsteren Gehäuse vermutet hatte - zugegeben mit ziemlicher Beklemmung! -, sondern Lorenz von Orta!

Doch auch dem zierlichen Alten wünschte ich nicht über den Weg zu laufen, hatte ich mich doch ohne Erlaubnis, ja gegen seinen ausdrücklichen Befehl von meinem Schreibturm auf dem Montjoie entfernt. Dass ich danach auf dem Krak de Mauclerc dem Patriarchen in die Hände gefallen war, konnte er mir zwar nicht in die Schuhe schieben, eher dem von ihm wohl unterschätzten Widerstand gegen sein Wirken als Secretarius jener geheimen Bruderschaft innerhalb des Templerordens. Lediglich, dass ich mich gegenüber dem Inquisitionstribunal dann recht töricht verhalten hatte, musste ich mir selbst vorwerfen - dafür hätte ich ja um ein Haar auch mit meinem Leben bezahlt! Nicht, dass mich Gefühle der Scham überkamen oder ein schlechtes Gewissen, aber sein Auftauchen hier, unter Benutzung der ominösen schwarzen Sänfte, zeigte mir bedrohlich an, dass die geheime Macht sich von einem kleinen Minoriten wie mir nicht auf der Nase herumtanzen ließ. Ich behielt meine Befürchtungen für mich und sann angestrengt nach einem Ausweg, Lorenz von Orta nicht in die Hände zu fallen.

Mein Prinz von Selinunt missverstand den Grund, warum ich mich plötzlich so kleinlaut gab. »Ich glaube, mein lieber William, ich durchschaue den raffinierten Schachzug des Templers.« Er zeigte hinab auf die Ordensritter, die weiterhin hoch zu Ross vor dem Tor hielten, während die Sänfte von den Bediensteten fortgetragen wurde.

»Wenn jetzt die Johanniter des Hugo de Revel anrücken oder Späher ausschicken, dann müssen sie glauben, dass Herr Thomas bereits eingetroffen ist, weil die Ehrengarde, die ihn begleitete, nun schon auf seine Rückkehr wartet!«

»Ihr habt leider Recht, mein Prinz«, sagte ich gerade mit dem größtmöglichen Ausdruck des Bedauerns. »Ich kann nur hoffen,

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Euer liebes Weib hält sich bei den Verlockungen der Soukhs zurück!«, als aus der Straße, die auf den Platz vor der Burg mündete, das Aufgebot der Johanniter herantrabte. Ohne Scheu zeigten sie die Macht und den Reichtum ihres Ordens. Verstärkt wurde dieser pompöse Eindruck durch die auffallende Präsenz zahlreicher Geistlichkeit, die dem Zug fast den Charakter einer Wallfahrt verlieh.

»Jakob Pantaleon!«, entfuhr es mir schreckhaft, doch ich fing mich sofort wieder. »Das mag dem Herrn Bailli gar säuerlich aufstoßen.«

»Wie der vergorene Messwein des Monsignore?!« Der Rote Falke maß meiner Beurteilung der neuen Lage zwar nicht mein Gewicht bei, er nahm sie eher amüsiert zur Kenntnis, doch wenigstens teilte er meine tiefe Abscheu für diesen geistlichen Herrn. »Ein unvorhergesehenes wie unerwünschtes Hinzuziehen des Patriarchen von Jerusalem könnte nicht nur dem Bailli Gottfried von Sargines missfallen!«

»Wie ich das Temperament des Großmeisters vom Tempel einschätze, mag es geschehen«, regte ich mich unnötig auf, »dass er auf der Stelle kehrtmacht!«

»Dann hättet Ihr die Wette verloren, William«, verspottete mich Konstanz, »aber er wird die Zähne zusammenbeißen, schon um Hugo de Revel nicht das Feld zu überlassen - genauso wie der Hausherr gute Miene zum bösen Spiel machen wird, auch wenn Hanno von Sangershausen diesem ungehobelten Emporkömmling Jakob Pantaleon am liebsten die Tür weisen würde.«

»Den allseits verhassten Patriarchen, diesen Schuster aus Troyes, anzuschleppen, das kann auch nur dem Hugo de Revel einfallen«, kehrte ich den erfahrenen alten Hasen heraus, »frisch gewählt ins Amt des Meisters vom Hospital und noch unerfahren in den Intrigen von Outremer!«

»Oder aus kühler Berechnung! Das werden wir gleich erleben«, stutzte mich mein Freund zurecht. »Wir sollten uns jetzt ins Refektorium begeben, denn nun nach dem feierlichen Einzug der edlen Ritter des heiligen Johannes und dem Hinterherschlurfen des ungewaschenen Klerus -« Die Letzten der von ihm so unter-265

schiedlich Bewerteten verschwanden gerade vom Innenhof, die breite Marmortreppe hinauf, mit Herrn Hugo de Revel an der Spitze, als vor der Burg endlich Herr Thomas Berard erschien, begleitet nur von wenigen Rittern, deren Hauptaufgabe es schien, stolz den »Beauseant«, die Fahne des Ordens, hochzuhalten. Die vor dem Tor postierten Schwarzen Templer grüßten den Großmeister mit knappem Kopfnicken. Herr Thomas war schon im Begriff, das Gebäude zu betreten, als sich aus dem Schatten der umlaufenden Arkaden ein Mann löste und eilig hinkend auf ihn zustrebte. Er trug den Rock eines gewöhnlichen Templersergeanten, und ich wunderte mich, dass der ansonsten so hochfahrende Großmeister innehielt, um auf den rangniedrigen Hinker zu warten.

»Naiman!«, zischte der Rote Falke verächtlich durch die Zähne. »Der übelste aller Geheimagenten des Sultans von Kairo!« Auch ich erkannte den windigen Burschen, was keine guten Erinnerungen in mir wachrief. »Lasst uns jetzt hinuntergehen«, mahnte mich mein Begleiter. »Herr Thomas liebt es nicht, wenn noch jemand nach ihm kommt!«

Wegen der anstehenden Begegnung mit Lorenz von Orta und vor allem angesichts der zu erwartenden

Konfrontation mit dem mir übel wollenden Patriarchen, hätte ich meinen Auftritt im Refektorium gern noch etwas hinausgezögert, aber solche Schwäche ließ mir der Rote Falke nicht durchgehen.

BAITSCHU VERSCHAFFTE SICH ZUGANG zum Prunkzelt bei den Wachen nur dank des Hinweises auf

seinen mächtigen Vater. »Die Prinzessin weigert sich, hier zu erscheinen!«, teilte er Kitbogha unaufgefordert und so lautstark mit - man hatte ihm verboten, in der Gegenwart des Il-Khan zu flüstern -, dass alle es hörten.

Die daraufhin einsetzende Diskussion nutzte Baitschu geschickt, sich unauffällig an Yves heranzumachen. »Ihr sollt bitte zu Yeza kommen!«, ließ er den Bretonen mit gedämpfter Stimme wissen.

Yves schaute sich um, die Dokuz-Khatun zeterte, man könne nicht länger diesen Eigensinn der Prinzessin dulden. Es würde

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niemandem auffallen, wenn er sich jetzt aus dem Zelt stahl. Einer bemerkte es dennoch, das war der aufmerksame Kitbogha, und der tat so, als sähe er es nicht.

»Wisst Ihr, Bretone, was Baitschu mit angesehen hat?« Yeza sprach völlig unaufgeregt, doch Yves kannte sie zu gut, um nicht zu spüren, wie aufgewühlt und empört die Prinzessin war. Abwartend schaute er sie an. Von ihm erwartete Yeza keine Gefühle, sondern Taten. »Schon während seines Transports«, berichtete die Prinzessin kühl, »hatte Sundchak den Emir von Mayyafaraqin so lange hungern lassen, bis der nun versuchte, sein ledernes Schuhwerk runterzuwürgen. Dann schleppten sie ein Fass siedendes Öl herbei, griffen ihn und säbelten ihm mit raschem Schnitt ein Bein unterhalb des Knies ab - «

»Und das will Baitschu mit eigenen Augen gesehen haben?«, hinterfragte der Bretone ungläubig. »Vielleicht hat er es irgendwo im Lager aufgeschnappt?! Kinder prahlen gern mit Schauergeschichten.«

Wie in Trance fuhr Yeza jedoch fort, als hätte sie selber der Folter beigewohnt. »Den Stumpf drückten sie mit Gewalt kurz in das siedende Öl, bis die Wunde verschmort war. Er muss geschrien haben, dass es selbst dem allerlei gewohnten Baitschu zu viel wurde.« Yeza legte eine Pause ein, um die Reaktion des Bretonen zu prüfen, doch Yves zeigte keine. »Dann überließen sie dem Emir seinen abgeschnittenen, in Öl gesottenen Unterschenkel.

Baitschu wusste nicht zu sagen, ob El-Kamil Hineingebissen hat, weil er dann weggelaufen war - er musste sich übergeben - «

»Hunger wird das Opfer erst mal nicht mehr verspürt haben«, sagte Yves bedächtig, »die Schmerzen sind so rasend, dass sie meist das Bewusstsein rauben! Aber ich bin froh, dass der Knabe gekotzt hat. Schlimm wäre es, wenn Baitschu diese Bilder in sich hineinfressen würde - «

»Da mögt Ihr Recht haben, Bretone, mir hat es bei der Schilderung den Magen umgedreht, aber Baitschu schien es nichts auszumachen - «

»Diese Mongolenkinder schlürfen Blut schon mit der Mutter-

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milch«, sinnierte Yves, »letztlich ist Kumiz, ihr Lieblingsgetränk, auch nichts anderes. - Der Il-Khan erwartet Euch!«

Yeza schien nicht überrascht, sie schaute ihrem Gegenüber in die Augen. »Ich will, dass Ihr den Leiden des El-Kamil ein Ende bereitet.«

Er hielt ihrem Blick stand. »Wenn Ihr vor Hulagu und die Dokuz-Khatun tretet, könnt Ihr gewiss sein, dass der Emir nicht mehr lebt.«

Yeza nickte, wortlos trennten sie sich.

Aus der Chronik des William von Koebr uk

In der großen Halle der Burg von Akkon, ausgelegt auf die einst stattliche Anzahl deutscher Ordensritter, verloren sich die Geladenen unter den schweren Eichenbalken der Kassettendecke und den hohen Fenstern, die zum Innenhof hinausgingen, und Hanno von Sangershausen, der Hoch- und Großmeister, der nur wenn Not am Mann sich von seinem eigentlichen Sitz auf der Marienburg ins Heilige Land begab, schien wenig erfreut, seine knappe Zeit mit den leidigen Streitereien zwischen Templern und Johannitern zu verbringen. Er fand sie ebenso überflüssig wie den seit längerem schwelenden Handelskrieg zwischen den Seerepubliken von Genua und Venedig, der jederzeit wieder offen ausbrechen konnte. Beides schwächte die sowieso nicht eben rosige Lage des Königreiches von Jerusalem! Mit Bedacht hatte er seine Gäste an der langen Refektoriumstafel platziert und

- wahrscheinlich mit einiger Schadenfreude - genossen, wie sie sich um die Sitzordnung stritten. So saßen sich die beiden Großmeister Hugo de Revel für das Hospital und Thomas de Berard für den Tempel gegenüber.

Gottfried von Sargines, der Bailli der Königin, hatte sich neben Herrn Hanno an den Kopf der Tafel verdrückt, weil ihm nicht im Geringsten daran lag, den Vorsitz zu führen. In der festen Meinung, dass der einzig und allein ihm zustünde, hatte sich der Patriarch erbost an der gegenüberliegenden Stirnseite niedergelassen. Zwischen den ein-268

zelnen Blöcken war viel freier Raum, denn die Großmeister ließen ihr engstes Gefolge nicht etwa neben sich Platz nehmen, sondern hinter sich stehen. So bemerkte ich den >Templersergeanten< Naiman gleich am Ohr des Thomas Berard, während Lorenz von Orta sich bis zur Wand des Raumes zurückgezogen hatte, schon um keiner der Parteien zugerechnet zu werden. Der Patriarch tat so, als sei ich Luft, denn kaum hatten der Rote Falke und ich den Raum betreten, stellte uns Herr Hanno mit lauter Stimme den Geladenen und Erschienenen vor.

»Der Prinz Konstanz von Selinunt, Ritter des Kaisers, aufgrund seiner edlen Geburt ein hervorragender Kenner des Orients, speziell von Outremer, und bestens vertraut mit der Politik am Hofe von Kairo.« Keine Hand rührte sich zu beifälliger Begrüßung, eher schien es, als habe sich frostiges Schweigen über das sowieso schon sich grimmig anstarrende Geviert gelegt. Der Hoch- und Großmeister wies auf mich. »Dies ist William von Roebruk, ordinis fratrum minorum, der es im fernen Karakorum fast bis zum Rang eines Patriarchen gebracht und daher wie kein anderer mit den Gedanken und Plänen der Mongolen vertraut!«

Der unnötige Hinweis auf meine erfolgreiche Mission zum Großkhan und meine missglückte Karriere innerhalb der nestorianischen Staatskirche der Mongolen musste natürlich Jakob Pantaleon, den lateinischen Patriarchen von Jerusalem, erbosen. Sein Zorn entlud sich jedoch in andere Richtung als erwartet. »Ist das nicht jener abtrünnige Franziskaner?«, giftete er los, als würde er mir grad' zum ersten Male begegnen, »der sich selbst zum Hüter des ketzerischen, usurpatorischen Königlichen Paares bestellt, das uns die Mongolen -!«

Weiter kam er mit seiner Hasstirade nicht, weil ausgerechnet die zahlreichen Johanniter, die ihm sein Auftreten hier erst ermöglicht hatten, ein Brausen der Entrüstung erhoben, das ihn verstummen ließ. Die Templer, von denen ich solchen Protest eigentlich erwartet hatte, verharrten hingegen in eisigem Schweigen.

Herr Hugo de Revel bat ums Wort. »Wenn hier schon - dankenswerterweise«, er verneigte sich vor dem düpierten Patriarchen, »die mögliche Rolle des Königlichen Paares angesprochen

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wird, dann gebe ich zu bedenken, dass sein besänftigender, mäßigender Einfluss auf die Mongolen und ihre künftige Politik nicht unterschätzt werden sollte!« Er sah dabei seinem Gegenüber nicht fest genug, eher fragend ins Auge.

»Vestigia terrent!«, ließ die wenig nachsichtige Antwort des Templers nicht auf sich warten. »Zudem war die bereits versuchte Inthronisierung von Roc Trencavel und Yeza Esclarmunde zu Jerusalem ein totales Desaster - «

Der hinter ihm sich duckende Naiman meinte ihm soufflieren zu müssen: »Popanze des ll-Khan!«

Jeder im Raum hatte es gehört, nur Herr Thomas tat so, als ginge ihn der Einwurf des Agenten nichts an. »Es geht doch darum«, wandte er sich diplomatisch an die beiden Vorsitzenden, den deutschen Hochmeister und den Bailli, »ob das Christliche Königreich von Jerusalem, eine relativ kleine Größe im Kräftespiel des Orients, sich überhaupt mit den Mongolen einlassen soll - ob nun gemäßigt oder gar abgemildert oder nichts dergleichen - «

Er ließ den Angesprochenen Zeit, damit sie ihm folgen konnten. »Wo doch jetzt schon fest steht, dass unsere natürliche Umgebung, die gesamte Welt des Islam, eine solche neue Vormacht nicht dulden wird, nie dulden wird!«

»Einem Kämpfer für den Glauben«, wies ihn ebenso kühl lächelnd Herr Hugo zurecht, »einem wahren Streiter Christi stehen solche Worte schlecht zu Gesicht! Wenn Ihr die Irrlehre des Propheten Mohammed als

>natürliche< Gegebenheit seht, dann ist Euer Orden vom Tempel hier in der terra sancta fehl am Platz -samt seinem halbherzigen - letztlich verlogenen - Eintreten für das Königliche Paar!«

Damit hatte er alles gesagt, was dem empörten Jakob Pantaleon auf der Zunge brannte, sodass dem nur noch ein dramatischer Abgang blieb, eine Chance, die der Patriarch sofort wahrnahm. »Ihr seid alle Diener Satans!«, fauchte er über die gesamte Länge des Tisches hinweg. »Ketzer, Schamanen, Heiden!« Er sprang auf und raffte sein Gewand. »Ihr redet mit Teufelszungen, als wären diese gottlosen Wesen, die ihr >königlich< nennt, Menschen, Ebenbilder unseres Herrn, getaufte Glieder der allein selig machenden Kirche

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Christi und des Papstes!« Er reckte seinen Stab mit dem Kreuz über die Versammlung. »Rettet Eure Seelen!«, rief er und stürmte mit seinen Priestern aus dem Saal.

Spürbare Erleichterung breitete sich aus.

»Musste das sein!?«, spöttelte Herr Hanno überlegen in die Runde.

»Ich hatte den Schuster aus Troyes nicht geladen!«, wehrte sich der neben ihm sitzende Bailli.

»Einer, der alles über einen Leisten schlägt, ist manchmal nützlich zur Klärung, wer sich welchen Schuh anziehen mag und welchen Weg er damit gehen will!« Nach dieser schlauen Bemerkung lächelte der

Großmeister der Johanniter zufrieden, der des Tempels schwieg.

»Lasst uns den erfahrenen Wanderer zwischen den Welten hören, den Bruder William von Roebruk!«, sprach vermittelnd Herr Hanno, gewillt, das Colloquium hinter sich zu bringen. Ich nahm die Einladung gern an.

»Die Pläne der Mongolen zielen mitnichten darauf, sich in dieser Umgebung, die ihnen misstrauisch, so nicht feindlich gegenübersteht, festzusetzen - wenngleich wir, der König von Frankreich wie der Papst von Rom, sie gerufen haben!« Ich genoss immer noch Worte, die schon tausendmal gesagt waren. »Die Mongolen werden hier, im >Rest der Welt< - wie sie es bezeichnenderweise nennen -, das Königliche Paar als Herrscher einsetzen und sich danach weitgehend zurückziehen!«

»Wer 's glaubt!«, spottete Herr Thomas, doch Herr Hanno sprang mir bei.

»So bleiben sie uns immerhin als Schutzmacht erhalten!«, stellte er befriedigt fest, doch das mochte der Templer nicht gelten lassen.

»Ihr Deutschen habt Eure Schäflein ins Trockene gebracht, wenn man die Kurische Nehrung als solch Land betrachten will.« Er wurde ernst. »Wir hier in Outremer sind darauf angewiesen, mit den Voraussetzungen, die ich realistisch als naturbedingt bezeichnet habe, auszukommen -«

Hier unterbrach ihn Hugo de Revel. »Fromme Lämmlein

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scheinen mir eher diejenigen, die sich mit solchen Gegebenheiten - mit solchen, von einem falschen Propheten vergifteten Weidegründen - abfinden, anstatt die dargebotene Hand der Mongolen zu ergreifen, ein Volk von unverdorbener Natürlichkeit, was Sitte und Glauben anbetrifft! Zusammen mit der geballten Macht des Il-Khan können wir durchaus die Ungläubigen hinwegfegen, zumindest von Asia Minor bis hinab nach Kairo!«

Der Johanniter beschloss, dem Rivalen offen Paroli zu bieten. »Wenn ein Orden sich den Schafsbock als Idol erwählt, dann zeugt das entweder von bornierter Blödheit - oder vom Willen zum Bösen, wie schon das Haupt des Baphomet deutlich zeigt!«

Wer dachte, jetzt explodiert der Templer ob dieser ungeheuren Beleidigung, sah sich getäuscht, denn der reagierte eher belustigt. »Hirnlose Träumer!«, stellte er einleitend in den Raum. »Ahnungslose Ignoranten, die sich kein Bild über die wahre Ausbreitung des Islam machen! Mag sein, dass das Reich der Mongolen in der Fläche größer ist, gewaltiger auch in den Armeen, die es aufbieten kann, aber ihr Beweggrund ist allein die Ausweitung der Macht des Großkhan, der Islam hingegen speist sich aus der Kraft des Glaubens, so wie ihn der Prophet Mohammed gelehrt - und damit ist die Bewegung des Koran der gottlosen Herrschsucht und

Kriegsmacht der Mongolen - wenn schon nicht von Anfang an, so doch auf lange Sicht - überlegen, wie ein pochendes Herz einer mit stickiger Luft aufgepumpten Schweinsblase!«

Herr Thomas hatte seine Zuhörer beeindruckt, jedenfalls kam erst einmal kein Widerwort.

»Stimmt Ihr dem zu?«, erteilte der Hochmeister dem Prinzen Konstanz von Selinunt das Wort, den er als moslem für berufen hielt, Stellung zu beziehen.

»Gewisslich, was den Wert des Glaubens anbelangt, der Fürsten wie Krieger beseelt«, der Rote Falke hielt inne und lächelte beiden Großmeistern zu. »Dies ist auch die Quelle, aus der die Christen von Outremer einst ihren Siegeswillen, heute die Kraft für ihren erbitterten Widerstand schöpfen: die Zuversicht, den wahren Glauben zu besitzen! Für ihn einzustehen, mit Leib und Leben, findet den wahren moslem ebenso bereit wie den gläubigen 272

Christen! Und das kann sich zwar zeitweilig abschwächen, wird sich aber im Prinzip nie ändern!« Der Rote Falke ging jetzt den Großmeister der Templer direkt an. »Es ist allerdings ein gefährlicher Irrtum, wenn man aus

»natürlichen Umgebung ableitet, dass diese sich gleich bleibend tolerant verhält. Wie schon richtig erkannt, befindet sich das Christentum, wie es sich mit dem Königreich von Jerusalem darstellt, in Outremer in erheblicher Minderheit und in lästiger obendrein! Bislang sicherten einzig interne Streitigkeiten aufseiten der Muslime diesem Gebilde immer wieder ein Überleben wie auch die Bequemlichkeit islamischer Herrscher, sich der christlichen Handelsstädte an der Küste zu bedienen. Es bedarf aber nur eines geringen Gesinnungswandels unter den Anhängern des Propheten - denkt an den großen Saladin -, um dieser Duldung ein rasches Ende zu bereiten und die Handelsmonopole selbst zu nutzen! Daher, meine Herren, verlasst Euch nicht auf den Status quo: Die Mamelucken werden - ohne jede Hast - eine sich bietende Gelegenheit wahrnehmen, die Christen wieder über das Meer zu verjagen, dahin, woher sie gekommen sind!« Diese explizite Warnung des Roten Falken vor Kairo fuchste den Naiman so sehr, dass er nicht an sich hielt und - ich jedenfalls habe es deutlich gehört! - in das aufkommende Gebrummel deutlich die Worte Ya muslim al murtad! Ya khain al kadr!, einen Schimpf, der nichts anderes als »Abtrünniger Moslem!«, »Infamer Verräter!« besagen will, ausstieß.

Um das allgemeine Getöse zu dämpfen, erhob jetzt der Bailli seine Stimme, der sich bisher missgelaunt zurückgehalten hatte. »Ich fasse zusammen«, rief er den Erregten zu. »Wir sollten die Finger von Damaskus lassen und uns möglichst weder von den Mongolen vereinnahmen noch gegen sie aufwiegeln lassen!«

»Wir stecken den Kopf in den Brunnenschacht«, spottete der Großmeister des Tempels, »und hoffen, dass niemand unseren Arsch sieht!«

»Dies ist die Stunde des Königlichen Paares!«, rief von der Saalwand her der schmächtige Lorenz von Orta, alle wandten sich zu ihm um. »Roc Trencavel und seine Yeza Esclarmunde auf dem imaginären Thron des

himmlischen Friedens werden uns den Weg

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führen, der zur Versöhnung zwischen den verfeindeten Religionen und den sich nicht verstehenden Welten unabdingbar ist!«

Was mir als etwas peinliche Verzückung des Alten vorkam, hatte jedoch gewissen Anklang gefunden. Niemand protestierte, oder nahmen sie seine prophetischen Worte nicht ernst? Lorenz war sofort danach verschwunden, die anderen benutzten samt und sonders die Gelegenheit, die Versammlung, die letztlich wenig gebracht hatte, schleunigst zu verlassen. Ich stürmte die Treppe hinauf, um vom Dach aus den Abzug der beteiligten Delegationen zu beobachten, vor allem aber, um nicht dem Lorenz von Orta noch in die Arme zu laufen. Als ich atemlos um die letzte Ecke bog, stand mein Zuchtmeister schon vor mir.

»Dieses Mal entwischst du mir nicht wieder, William!«, befahl er verschmitzt lächelnd. Ich folgte ihm durch das Treppenhaus eines Gesindeaufgangs, der unmittelbar neben den Räumen der Torwache mündete. Nicht einmal der Schritt durch das Portal war mir vergönnt, wo sich jetzt die Teilnehmer an der Gesprächsrunde so herzlich voneinander verabschiedeten, als sei nie ein böses Wort zwischen ihnen gefallen. Sicher hätte mir der eine oder andere anerkennend auf die Schulter geklopft. Auch darum brachte mich mein gestrenger Aufseher. Er schob mich durch einen Seiteneinlass, und ich stand vor der schwarzen Sänfte, die wie zuvor von den vier schwarzen Tempelrittern eskortiert wurde. Ihre Gesichter konnte ich nicht sehen, denn sie hielten die Visiere ihrer Topfhelme geschlossen. Damit war mir klar, dass diesmal die Herrin der schwarzen Sänfte persönlich zugegen war: Marie de Saint-Clair, unter Eingeweihten - und auch nur bei vorgehaltener Hand - bekannt als »La Grande Maitresse«! Ich erkannte auch sofort die herrische Stimme der alten Dame wieder, die jetzt den Sekretär rügte, dass er nicht eingegriffen habe, als ausgerechnet dieser windige Agent des Sultans das Königliche Paar verächtlich zu machen versuchte - Lorenz senkte schuldbewusst sein weißhaariges Haupt -, außerdem fuhr die Stimme in voller Schärfe fort, solle er Herrn Thomas Berard ausrichten, er möge sich gefälligst nicht mit dieser Kreatur aus Kairo in der Öffentlichkeit zeigen.

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»Ganz gleich, was er damit bezwecken mag, es ist - mehr noch als eine Frage der Reputation des Ordens - ganz einfach einer ritterlichen Gesinnung unwürdig!« Der alte Lorenz dauerte mich, wie er so von seiner Oberen - und das vor mir - gescholten wurde wie ein dummer Junge. »William von Roebruk nehme ich mit mir!«, erging ihre klare Anweisung - gefragt wurde ich nie! »Er wird mir bei der Aufgabe zur Hand gehen, die mir jetzt doch dringend erforderlich scheint!«

Damit war der Sekretär entlassen, während mir nicht einmal die Gunst gewährt wurde, mich von meinen Freunden, dem Roten Falken und Madulain, zu verabschieden. So kam ich auch nicht in den Genuss der gewonnenen Wette. Dafür würde mir - das schwante selbst einem schlichten Gemüt wie dem meinen sogleich -

das schwierige Unternehmen der Zusammenführung von Roc und Yeza weiterhin aufgebürdet bleiben!

Nur schien sich die alte Dame nicht bewusst zu sein - und das war meine stille Genugtuung -, dass die beiden keine Kinder mehr waren und längst ihre eigenen, eigensinnigen Wege gingen. Allerdings ahnte ich ebenso wenig, was mir nun bevorstehen würde, als ich - von den Turkopolen auf ein Pferd gehievt - jetzt hinter der Sänfte hertrabend die Stadt Akkon wieder verließ. Offensichtlich ließ sich mein Leben von dem des Königlichen Paares nicht trennen. Und das war mir auch ein Trost!

DER ALTE KITBOGHA strahlte über sein faltiges Gesicht, als Yeza das Zelt des Il-Khan betrat. Bohemund von Antioch und Hethum, der König von Armenien, sahen sich bedeutungsvoll an, als sei das Erscheinen der Prinzessin ihr Verdienst. Yeza verneigte sich vor dem Herrscherpaar.

»Wenn Ihr nur einen Teil des Aufwandes«, ging sie sofort in ihrer überlegten, meist überlegenen Art den Il-Khan selbst an, »den Ihr betreibt, um Euch meiner Person zu vergewissern, dazu verwandt hättet, Roc Trencavel davon abzuhalten, sich in unnötige Abenteuer zu stürzen, dann könnten wir jetzt -« Yeza stockte,

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denn sie sah im Hintergrund, dass Yves der Bretone des Zelt betrat. Sie suchte seinen Blick und verlor den Faden.

Hulagu, der schon immer eine Schwäche für die Prinzessin hatte, fühlte sich keineswegs angegriffen, sondern sprang ihr lächelnd bei. »Wir werden gemeinsam in Damaskus einziehen«, er war sich völlig sicher, dass dies die einzige Besorgnis der Prinzessin darstellte, der gemeinsame Auftritt des Königlichen Paares an der Seite seines illustren Beschützers. »Und wenn Roc Trencavel sich bis dahin nicht besonnen hat, dann sollt Ihr, Prinzessin, den Jubel Eures zukünftigen Volkes stellvertretend allein entgegennehmen! « Er glaubte sie damit glücklich gemacht zu haben, doch Yeza schüttelte energisch ihre blonde Mähne, sie hatte das kurze bestätigende Nicken des Bretonen aufgefangen.

»Darum geht es mir nicht«, setzte sie gerade an, um ihren Protest loszuwerden. »Frieden will und kann das Königliche Paar nur bringen, wenn Ihr - «

Kitbogha schnitt Yeza fürsorglich die Beschwerde ab, denn Hulagus Gesicht hatte sich verfinstert. »Die Prinzessin ist sich durchaus bewusst, welche Aufgabe dem Königlichen Paar zugedacht ist«, sprach er so laut, dass ihre Worte darin untergingen und sie schließlich verstummte. »Die Macht des erhabenen Großkhan und das Durchsetzen der glorreichen Friedensherrschaft der Mongolen über diesen Rest der Welt werden von ihr keineswegs angezweifelt - «

»Ich weiß, Kitbogha«, fiel ihm da Yeza heftig in die Rede, so ließ sie sich nicht überrollen, »dass Ihr das Königliche Paar als nützliches Gespann seht, als prunkvoll geschmückten mongolischen Karren, der eine ebenso reich verzierte Jurte transportiert!« Sie gab sich sichtbar Mühe, ihre aufsteigende Wut zu beherrschen. »Nur, dass uns unter den Prachtgewändern die Hände gefesselt sind, wenn Euer Plan denn so zur Ausführung kommen sollte, wie Ihr es Euch vorgaukelt - « Sie versuchte den leichten Ton beizubehalten, es gelang ihr nicht.

»Dagegen können und werden wir uns zur Wehr setzen, doch das weitaus Schlimmere ist, was hinter unserem Rücken an Unmenschlichkeit und Barbarei in der verschlossenen Jurte geschieht!« Yeza hatte ihre Anklage längst an den erstarrten

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Il-Khan gewandt. »Wir haben Euch bereits nach dem Verbrechen von Alamut den Rücken gekehrt - der völlig sinnlosen Zerstörung von Menschen und Kultur! Glaubt Ihr etwa, wir haben unsere Einstellung geändert?« Ihre grünen Augen funkelten Hulagu an. »Solche Verbrechen trägt das Königliche Paar nicht mit!«

Ein Tumult am Eingang zog die Aufmerksamkeit aller, sehr zum Ärger der erbosten Yeza, auf sich. Ein wutschnaubender Sundchak verlangte, die Wachen wie ein wütender Stier beiseite stoßend, zum Il-Khan vorgelassen zu werden. Kitbogha sah, dass Hulagu die Unterbrechung der äußerst unliebsamen Situation begrüßte, und unternahm nichts gegen den ungebührlichen Vorstoß seines Generals.

»Verrat!«, brüllte der schon, noch bevor er seinen massigen Körper zum Kotau niedergezwungen hatte. »Der falsche Franke da«, sein Finger stach in Richtung des Bretonen, »hat sich angedient«, keuchte er mit hochrotem Kopf, »dem - von Euch verurteilten Gefangenen - « Brockenweise spie er den in seinen Augen ungeheuerlichen Vorgang aus, »- eigenhändig ein weiteres Glied abzuschlagen! Es sei ihm ein inneres Bedürfnis, zum Vollzug der gerechten Strafe an einem Feind des mongolischen Volkes beizutragen - «

Sundchak musste nach Luft schnappen wie ein fetter Karpfen, den eine Welle aufs Ufer geschleudert. »Meine Leute ließen ihn gern gewähren - und was macht der Schurke mit seinem riesigen Schwert?!« Der General starrte puterrot mit anschwellendem Hals auf Yves, der ihn auch noch herausfordernd angrinste. »Mit einem furchtbaren Hieb trennt er dem verdammten Emir nicht nur den Arm, sondern auch den Kopf ab!«

Erschüttert zeigte sich eigentlich nur die Dokuz-Khatun, während sich Yeza anmutig vor dem Schnaubenden verneigte. »Ich danke Euch, General, für die gelungene Schilderung dessen, was sich in Eurem Quartier -

verborgen vor den Augen aller - abspielt.« Sundchak glotzte sie an, kaum noch schnaubender Stier, eher wie ein tumber Ochse. »Es unterstreicht - mehr als es meine schwachen Worte vermögen - die grundsätzlichen Bedenken des Königlichen Paares!«

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Am Einlass zum Prunkzelt des Il-Khan entstand Unruhe, gedämpfte Rufe wurden laut. »Ein Iltschi!«

Yezas Blick wanderte wie der aller anderen zum Eingang, ein Staatsbote aus dem fernen Karakorum verhieß selten Gutes. Die Wachen beeilten sich, dem vom Ritt verschwitzten, staubbedeckten Kurier den Weg zum Il-Khan zu bahnen, ein Iltschi hatte stets das Recht auf freien Zugang und auf jede Art von Hilfestellung, wo immer er sich im Reiche der Mongolen befand. Der im ledernen Wams gekleidete Mann, über dessen Nacken noch die Standarte hinausragte, trat vor Hulagu, zerrte das Schreiben aus seiner Kuriertasche und überreichte es. Der Il-Khan überflog es, zögerte, den Inhalt bekannt zu geben, und überließ es dann Kitbogha. Der warf nur einen kurzen Blick darauf, und ein Schatten fiel über sein faltiges Antlitz. Es wurde still im Zelt.

»Der Großkhan ist tot«, verkündete Kitbogha mit tonloser Stimme. Schweigend und gesenkten Hauptes verließen alle den Raum. Nicht, dass der Tod des Herrschers im fernen Karakorum sie derart betroffen machte, aber wer zur Spitze der mongolischen Heeresführung gehörte oder sich mit den Gepflogenheiten der Mongolen auskannte, der wusste, dass diese Nachricht den gesamten Heereszug infrage stellte. Nichts war mehr wie zuvor.

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DIE SCHLANGE AUS DER TIEFE

»CAPUT DRACONIS« -DIE VERSCHWÖRER

VOR ROC TRENCAVEL und seinem Zusammengewürfelten Haufen dehnte sich das hügelige prächtige

Damaskus. Der Baouab beschwor seinen neuen Herrn fast flehentlich, ihn vorauszuschicken, damit für einen würdevollen Empfang durch die noch ahnungslose Stadt gesorgt sei. Roc ließ dem eifrigen Hofbeamten seinen Willen, zumal mit ihm auch die Karawane ziehen und so der leidige Kelim aus seinen Augen verschwinden würde. Er gab ihm die fünf armenischen Ritter zur Seite. Josh der Zimmermann und David der Templer vergaßen auf der Stelle ihr Versprechen, zukünftig nicht länger sklavisch an ihrer Spielunterlage zu hängen.

Ohne auch nur einen Augenblick der Scham oder Reue zu empfinden, folgten sie dem Tross wie zwei alte Straßenköter dem Knochen an der Schnur. Rog sah es, und es stimmte ihn traurig, aber er sagte nichts. Auch, dass Ali sich dem Zug anschloss, entging ihm nicht. Da er und seine Freunde den ägyptischen Sultansspross wie stinkende Luft behandelten, kam der Trencavel auch nicht auf die Idee, Ali etwa daran zu hindern. »Ich traue diesem Mamelucken nicht!«, bemerkte Berenice besorgt, die neben ihm stand und der das verstohlene Sich-Davon-schleichen nicht entgangen war. »Er hat Augen wie eine Viper!« Rog schürzte verächtlich die Lippen.

»Aber keinen Giftzahn!« Ihr Blick hätte ihm gezeigt, dass sie anderer Meinung war, doch den fing der Trencavel nicht mehr auf.

Das Vorauskommando wurde bereits am Bab as-Saghir von herbeigeströmten Einwohnern der Stadt neugierig empfangen. Sie erkannten sofort in der Karawane diejenigen, die schmählich mit dem Sultan Damaskus verlassen hatten. Dass sie jetzt mit einer monströsen Teppichrolle beladen und als Vorboten eines fremden 28l

Königs heimkehrten, versetzte die Leute in Unruhe und Erstaunen. Von der Zitadelle war der Kommandant der dort ausharrenden Garnison herbeigeeilt. Während der Baouab mit dem Kelim sofort weiterzog zum Palast, Josh und David im Schlepptau, suchte Ali die Freundschaft des Kommandanten, indem er sich als treuer und loyaler Mitstreiter des Trencavel ausgab, den er sogleich als liebenswerten Träumer und schwachen König hinstellte, mit der Folge, dass alle notwendige Tatkraft zwangsläufig auf seinen Schultern laste. Aber er wäre der Mann, dem das Schicksal der Stadt mehr noch als alles andere am Herzen läge! Der Kommandant, der so viel an Zuspruch lange hatte vermissen müssen, war tief beeindruckt, er sah in Ali eine verwandte Seele, die große Verantwortung zu tragen hatte, doch nur wenig Dank empfing. Gerührt übergab er Ali den Kampfelefanten des An-Nasir, damit er das Tier dem neuen Herrscher andiene, wenn er in die Schlacht gegen den Feind auszöge, gegen die heranrückenden Mongolen. Ali versprach ihm, dafür zu sorgen, bestätigte den guten Mann in seinem Posten als Befehlshaber der Zitadelle und schickte die fünf Armenier, die von der Unterhaltung schon mangels Interesse wenig mitbekommen hatten, hinter dem Baouab her, damit sie den würdigen Empfang des Trencavel vorbereiten halfen. Er musste sie loswerden, denn es blieb ihm nicht mehr viel Zeit, wenn es ihm noch gelingen sollte, sich anstelle Rocs zum Herrscher von Damaskus aufzuwerfen.

Die Stallungen des Elefanten waren in den Gewölben des früheren römischen Theaters untergebracht, das an der Decumana lag, der großen Prunkstraße, die Damaskus von West nach Ost durchlief. Zerstreut ließ sich Ali von den Wärtern den Dickhäuter zeigen, denn seine Gedanken kreisten einzig und allein um einen Weg, der ihn seinem Ziel näher bringen sollte. Es fiel ihm nichts ein. Den gewöhnlichen Meuchelmord, einen raschen Dolchstoß, den konnte er selbst mit Sicherheit kaum überleben, die Okzitanier würden ihn auf der Stelle in Stücke hacken. Assassinen zu dingen, dazu fehlten ihm die Zeit und vor allem entsprechende Verbindungen, über die er in dieser fremden Stadt nicht verfügte. Es blieb nur noch musiba, ein »Unglück« von der sauberen Art, dass ihm keine Schuld nachzuweisen wäre!

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Der Baouab hatte den Kelim auf dem Großen Platz zwischen Moschee und Palast ausrollen lassen. Dies schien ihm der geeignete Ort, den Damaszenern Gelegenheit zu bieten, der Inthronisierung beizuwohnen. Diese hatte für ihn selbstverständlich inmitten dieses prunkvollen Teppichs stattzufinden, bevor der dann im Innern der Omayyad-Moschee, vielleicht vor dem Schrein Johannes' des Täufers, in Erinnerung an das Ereignis seinen Ehrenplatz finden könnte. So hatte sich der Baouab das gedacht, und er fand es ausgesprochen unangebracht, dass sich Josh der Zimmermann und David der Templer ausgerechnet an der Stelle niederlassen wollten, wo er sich den noch zu errichtenden Thron vorstellte. Die beiden trollten sich, schließlich fehlte ihnen nicht nur der vierte, sondern schon der dritte Mann. Auf Ali würden sie notfalls zurückgreifen können, ansonsten müssten sie die Ankunft der Okzitanier abwarten, wenn sie bis dahin keine andere Lösung für ihren fehlenden Mitspieler gefunden hatten. Sie zogen los, durch die engen Gassen der Soukhs zum römischen Theater, wo sie Ali zum letzten Mal gesehen hatten, als der Kommandant der Zitadelle die in der Stadt eingetroffene Vorhut begrüßte.

Während sie aufmerksam die überdachten Gänge des Bazars durchstreiften, glaubte David plötzlich William von Roebruk in der Menge gesehen zu haben. Das war natürlich eine unerwartet glückliche Fügung, den

Franziskaner möglicherweise als Mitspieler zu gewinnen. Sie trennten sich hastig, David , um Williams habhaft zu werden, Joshua, um jetzt umso energischer den vierten Platz mit Ali zu besetzen.

Aus dem Dunkel der Gewölbe löste sich eine hinkende Gestalt. Es war Naiman, der Agent des Sultans von Kairo, eine Figur, die Ali sofort einen gehörigen Schrecken einjagte, hatte sie doch beim gewaltsamen Tod seines Vaters die Finger mit im Spiel gehabt. Seine Hand zuckte zum Dolch, aber Naiman hob beschwichtigend beide Arme.

»Zerbrecht Ihr Euch das dunkel gelockte Haupt, Ali, wie es mit der Krone von Damaskus zu schmücken sei?«

Naiman blieb höhnisch grinsend ob der gelungenen Überraschung im Schatten des nächsten Pfeilers und im gebührenden Abstand zum Dolch des er-283

regten jungen Mannes. »Der Trencavel muss weg!«, raunte der Geheimagent dem jungen Manne zu. »Das königliche Pärchen, das die Mongolen der Welt ins warme Nest setzen wollen, muss gewürgt werden, bevor die Brut -« Naiman hielt inne, weil er glaubte, eine ihm verdächtige Gestalt hinter den Stallungen herumschleichen gesehen zu haben, doch Ali wischte seinen Argwohn beiseite.

»Die Leute hier sind wissbegierig auf alles, was wir im Schilde führen könnten.« Er betrachtete deprimiert den Elefanten, der ungerührt sein Grünzeug verschlang. »Dabei verfüge ich nicht einmal über den Ansatz eines Planes«, klagte er freimütig, »wie ich den vorgegebenen Lauf der Dinge verhindern könnte.«

»So ist das oft!«, spottete Naiman und deutete auf den mampfenden Dickhäuter. »Ihr steht viel zu dicht vor der genialen wie massiven Lösung unseres gemeinsamen Problems! Wisst Ihr eigentlich«, zog er seine Erklärung genüsslich in die Länge, »wie sich ein solch friedliches Tier in eine alles niederwalzende, wütend tobende Kampfmaschine verwandelt? « Er ergötzte sich an dem törichten Gesichtsausdruck des Ali, bevor er die Antwort preisgab: »Feuer!«, zischte er. »Feuer versetzt Elefanten in panische Angst, lässt sie blindwütig rasen!«

Ali - statt hinzuhören - riss seinen Dolch heraus und tat einen mächtigen Satz, an dem erschrockenen Naiman vorbei, hinter die nächste Säule. Er zerrte den ebenfalls überraschten Joshua hervor.

»Ich kam nur zu fragen«, stotterte der Zimmermann eher ärgerlich ob der Behandlung als eingeschüchtert, »ob Ihr einer neuen Runde unseres Wesen-Spiels die Ehre geben wollt!«

Aus den Schatten der sie umgebenden Pfeiler traten jetzt mehrere, wenig Vertrauen erweckende Gesellen.

»Meine Leute!«, erklärte knapp der Agent. »Sollte der Kerl uns schon die ganze Zeit belauscht haben - « Er ließ den Satz unbeendet im Raum stehen. Joshua schwieg grimmig. »Schafft ihn zu den Kakerlaken!«, ordnete Naiman an und wandte sich wieder Ali zu. »Ihr habt noch viel zu lernen, junger Herr«, empfahl er mit ironischer Verbeugung. »Also überlasst das Präparieren des Elefanten mir und begebt Euch zum Baouab, mit der höflichen Bitte, der Bevölkerung von Damaskus heute Abend anlässlich der Thronbesteigung ein festliches

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Feuerwerk zu gestatten, weswegen er den Beginn der Feierlichkeiten tunlichst bis zum Anbruch der Dunkelheit verschieben soll!« Naiman war Herr der Situation.

Josh der Zimmermann wurde gefesselt und mit einem Sack über dem Kopf abgeführt. Ali machte sich auf den angegebenen Weg. Wenn er erst einmal Herrscher von Damaskus wäre, würde er diesem schielenden Hinker seinen Hochmut schon heimzahlen!

Aus der Chronik des William von Koebr uk

Es setzt mich immer wieder in Erstaunen, wie viele mir völlig unbekannte Pfade durch das Gebirge führen, auf denen ein eher kostbar anmutender Trupp wie der unsere von niemandem gesehen wird, ein paar Schafhirten mal ausgenommen. Ich trabte folgsam hinter der schwarzen Sänfte her, jenem bei mir immer noch eine starke Beklemmung auslösenden Gehäuse der Grande Maitresse, das jetzt auf Reisen von acht Turkopolen getragen wurde, während je vier jener ebenfalls schwarzgewandeten Tempelritter die Vor- und die Nachhut bildeten. So erreichten wir eine mächtige Burg in den Bergen oberhalb des Jordan, die mir bei näherem Hinschauen plötzlich arg bekannt vorkam. Dies musste der Ort gewesen sein, an dem mich jener ältere - und unbestreitbar ranghohe Templer mit der krächzenden Stimme aus der vorausschauenden - wenn auch von mir nicht ganz freiwillig erduldeten - Obhut des Lorenz von Orta gerissen hatte. - Womit er mich de facto dem Inquisitionstribunal des Patriarchen überantwortete, der mich dann zu ersäufen trachtete, wie einen überzähligen Wurf junger Katzen!

Also keine ermutigende Erinnerung, doch jeder Zweifel wurde mir genommen, als wir in den Hof einritten und die Sänfte der Grande Maitresse von eben diesem Tempeloberen mit dem gleichen unverwechselbaren Krächzen empfangen wurde. Ich bekam auch diesmal weder ihn noch die betagte Insassin zu sehen, denn ihr Gehäuse wurde sofort ins Innere der Burg getragen. Meiner Wenigkeit wurde hingegen so wenig Wert beigemessen, dass man mich erst

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mal im Burghof stehen ließ, in Gesellschaft der Sänftenträger, mir selbst überlassen. So brachte ich wenigstens in Erfahrung, dass es die Ordensburg Safed war, auf der ich mich befand, und dass sie dem - nach Großmeister Thomas Berard - im Rang am höchsten stehenden Groß-Prior Karl von Gisors unterstünde, der auch noch das Ehrenamt eines Marschalls militiae templi Salomonis bekleide. Das wurde mir nur zögerlich und flüsternd anvertraut, woraus ich entnehmen durfte, dass dieser hohe Herr recht gefürchtet war.

Kurz darauf erhielten die mich beaufsichtigenden Turkopolen Befehl, den Minoriten William von Roebruk ins

»Archiv« zu bringen. Dies war ein fensterloses Gewölbe im ersten Stock der weitverzweigten Burg, hinter einer Tür aus dicken Eichenbalken, stark wie ein Rammbock. Vor ihr harrte meiner schon ein spindeldürres, schlohweißes Männlein, anscheinend der Herr über all die in Leder gebundenen Folianten und von Wachs geschützten Manuskripte, kostbare illuminierte Bücher, die ich in hohen Regalen gestapelt bis unter die Decke erwartete. Doch in dem mir sich öffnenden Raum befand sich kein einziges Buch noch irgendeine Schriftrolle.

Allein ein Schreibpult stand bereit, inmitten der völlig kahlen Wände, reichlich Pergament war zu seiner Seite gestapelt, und von der Kuppel des Gewölbes hing eine nicht nur strahlend helles Licht verbreitende fünfarmige lucerna, auch deren Öle verströmten köstlichen Duft von Zimt und Kardamom, Rosen und Lavendel.

»Die rechte Mixtur, um die Stirn zu befreien und das Hirn anzuregen«, erläuterte mir lächelnd mein Kustos, während er sich zufrieden vergewisserte, dass ich mein eigen Feder und Tintenfässchen mit mir führte. Dann schritt er tippelnd zur Wand, wo in Hüfthöhe eine Art Schranktür bündig zum Mauerwerk und kaum auffällig eingelassen war. Der zierliche Greis zog sein gewaltiges Schlüsselbund und öffnete einen zweiflügeligen Verschlag. Doch dahinter kam sofort ein weiteres Portal zum Vorschein, eine kostbare Intarsienarbeit aus edlen Hölzern mit Elfenbein versetzt. Für diese Tür benötigte er schon vier Schlüssel von seinem Bund, um sie vollends zu entriegeln und ihre Flügel rechts und links zusammenzufalten, sodass endlich die dritte Pforte sichtbar wurde, ganz aus Eisen, nur ihre Zierbeschläge schienen mir aus Messing aufge-286

setzt. Sie dienten auch nur, die Schlüssellöcher zu verbergen, und es schien mir, dass die Einhaltung eines bestimmten, kunstvollen Ritus eingefordert wurde, mit dem der geschickte und sehr behende Alte die verschiedenartigen Barte zum Einsatz brachte, oft durch gegenläufiges Drehen. Schließlich öffnete sich der Berg Sesam zu einer kleinen dunklen Grotte. Der Kustos streifte sich einen ledrigen Fäustling über die feingliedrige Hand, griff in die Höhlung des Tresors und zog einen unscheinbaren, verschnürten Packen ans Licht. Fast feierlich legte er ihn vor mir auf das Pult und löste die mehrfach versiegelten Schnüre.

»Dies umgehend und aufmerksam zu lesen, ... bef... bittet Euch die ehrwürdige Meisterin Marie de Saint-Clair«, sprach mein Kustos mit aufmunterndem Lächeln.

Ich war mir im Unklaren, ob ich es erwidern sollte, doch überwog meine Neugier das grundsätzliche Misstrauen, das bei allem hochkam, das mit der Grande Maitresse in Verbindung stand, ich nickte ihm mein Einverständnis und trat zum Pult. Der freundliche Greis zog sich unhörbar zurück, ich bemerkte es erst, als sich knirschend der Schlüssel von außen im Schloss der Bohlentür drehte, doch da hatte ich schon das Deckblatt beiseite geschoben und erkannte sofort das sigillum der geheimen Bruderschaft, das über den ersten Zeilen prangte: Sine dubio! Vor mir lag - in Abschrift oder gar im Original - der Große Plan! Ob ich nun wollte oder nicht, ich geriet in den magischen Sog des ketzerischen Manifests:

Vielfältig verschlungen ist das Siegel des geheimen Bundes, die Speerspitze des Glaubens stößt aus dem Kelch?

der Lilie, das Trigon durchdringt den Kreis und schwebt über den Wassern. Wem es bestimmt ist zu wissen, der weiß, wer zu ihm spricht!

Wer die Wahrheit sucht, tut gut daran, sich in Gottes Wort zu vertiefen, wie es in der Bibel geschrieben steht. Er tut nicht gut daran, den Kirchenvätern zu vertrauen. Sie waren keine Suchenden wie er, sondern Deuter der Schrift, die sie nach Gutdünken auslegten zu ihrem eigenen Nutz und frommen.

Wer die Wahrheit sucht, kann aber auch Gott bitten, ihm Einblick in das große Buch der Geschichte zu gewähren.

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Ich war unruhig, eigentlich musste ich pinkeln, aber mehr noch war ich von einer Unruhe erfasst, ich vermeinte Schritte auf der Treppe vor meiner Tür gehört zu haben, ein seltsames, tastendes Kratzen im Schloss. Ich hielt den Atem an und lauschte. Nichts! Es war wohl nur der Wind, der durch den Flur der Burg strich? Etwas raschelte tief im Innern des geöffneten Schranks, dessen eisen-290

ummanteltes Geheimfach sicher weit in das Hohlwerk der Mauern reichte. Mäuse wahrscheinlich - oder Vögel wisperten im Schlaf. Ich schalt mich einen Hasenfuß und las weiter -

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Ein leichtes Knacken in der Tür schreckte mich aus meinen Überlegungen auf, zu denen mich das Gelesene unweigerlich verleitete, auch wenn es mir ungeheuerlich stimmig erschien. Der weißhaarige Kustos betrat meine Zelle. Er trug eine Karaffe aus teurem geschliffenem Kristall in einem geflochtenen Korb nebst einem Silberpokal herein, schob die Pergamente des Großen Plans beiseite und stellte sein Mitbringsel auf das Pult.

»Dies sendet Euch Seine Eminenz, der Herr Groß-Prior, mit den besten Segenswünschen.« Der Alte schob sich näher heran und senkte seine Stimme. »Mein gütiger Herr ist der Meinung, Ihr, William von Roebruk, solltet dem Traktat, das Euch seine werte Schwester zu lesen hieß, nicht allzu viel Gewicht beimessen, sondern Euch bei einem guten Tropfen aus seinem eigenen Keller gelegentlich entspannen und den Kopf wieder freimachen von der schwer verdaulichen, höchst konspirativen Kost.« Der zierliche Kustos grinste dabei selbst recht verschwörerisch, während er mir aus dem kostbaren Gefäß den Pokal füllte.

»Karl von Gisors ist also der Bruder der Grande Maitresse -?«

»Der leibliche sogar — und der jüngere«, lautete die freimütige Bestätigung. »Das erklärt auch die unterschiedlichen Standpunkte, die von beiden Geschwistern eingenommen werden.« Ich wusste nicht sofort, wie ich mit dieser Erkenntnis umgehen sollte, vor allem, welche Konsequenzen sie für mich zeitigen könnte.

Doch ich sollte es sogleich erfahren. »Der Groß-Prior regt an, dass Ihr hingegen nun Euer Ohr schärfen sollt - «

Ich muss den Alten ziemlich verständnislos angeglotzt haben, denn er führte mich wie ein Kind zu der offenen Schranktür in der Wand. »Durch diese Öffnung werdet Ihr binnen kurzem jedes Wort vernehmen, das nebenan in der Bibliothek gesprochen wird - «

Ich bemühte mich jetzt, rasche Auffassungsgabe zu zeigen. »Das Gespräch, das ich belauschen soll, findet vertraulich interfa-miliam statt?«

»Ihr sollt nicht spionieren, William«, korrigierte mich mein Kustos, »sondern das Gehörte protokollieren, um es in Eure dürftige Chronik aufzunehmen.« Er wies lächelnd, aber bestimmt auf die vorbereiteten Pergamente hin.

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»Ich soll also alles niederschreiben?« Ein letzter schwacher Versuch meinerseits, der neuerlichen Fron, jetzt sogar in verschärfter Form, zu entgehen.

»Diesen Auftrag führt Ihr nun schon lange mit Euch herum, ohne dass Ihr ihm im Geringsten und im Wesentlichen bislang nachgekommen seid!« Der Alte war jetzt streng mit mir. »Diesmal ist Erfüllung angesagt!

Ihr werdet sonst diesen Raum nicht wieder verlassen - «

>Lebend< hatte er nicht hinzugesagt, aber es war mir klar, dass der Herr von Gisors keine Skrupel empfinden würde, wenn ich versagte, mich versagen sollte. Mein Kustos schob das Pult unmittelbar vor die offene Schranktür, stellte die Karaffe auf den Boden und breitete die leeren Pergamentseiten vor mir aus.

»So könnt Ihr alles hören«, versicherte er mir fürsorglich, »und greift bitte nicht in die Öffnung hinein, das könnte Eure Tätigkeit - aber auch Euer Wohlbefinden - allzu rasch beenden!«

Mit dieser Drohung ließ er mich allein im >Archiv< zurück. Ich griff erst mal zum gefüllten Pokal, der Wein war gut, für ein Henkersmahl geradezu exzellent. Während in der Eichentür die Verrieglung geräuschvoll wieder einschnappte, leerte ich genüsslich den Pokal - und lauschte. Es war nichts zu hören, außer dem sanften Säuseln des Luftzuges aus den Eingeweiden der Mauern, dem Wispern der unsichtbaren Nager und dem leisen Ruf eines fernen Käuzchens. So nahm ich mir meine Lektüre wieder vor.

Ich lauschte in die dunkle Öffnung hinein - nichts, kein Laut. War die vorgesehene Unterredung zwischen den beiden Geschwistern doch nicht zustande gekommen, hatte sich die Grande Maitresse meine Zeugenschaft als Chronist verbeten? Schließlich wusste sie ja, wo ich mich aufhielt - und die Besonderheiten des

Aufbewahrungsortes des Großen Plans mussten auch ihr geläufig sein!? Ich füllte den Pokal nach. Obgleich ich leichten Harndrang bändigen musste, trank ich einen kräftigen Schluck.

Endlich vernahm ich Stimmen! Es waren die mir angekündigten, Marie de Saint-Clair, die Großmeisterin jener geheimen Bruderschaft - deren Namen ich nicht aussprechen, geschweige denn niederschreiben darf! -, und ihr offensichtlicher Gegenspieler im Templerorden, ihr leiblicher Bruder Karl von Gisors, der Groß-Prior, hatten endlich die Bibliothek betreten. Für dieses Ereignis hatte ich mir schon den Kopf zerbrochen, wie ich die beiden Namen in der gebotenen Eile abkürzen könnte, ohne despektierlich zu wirken, mich schließlich aber für Grande Maitresse für die hohe Frau und Groß-Prior für den mächtigen Herrn entschieden. Doch die Stimmen entfernten sich wieder, nachdem ich etwas wie eine gekrächzte Einladung des Hausherrn zu einem gemeinsamen

Mittagsmahl vernommen hatte. Ich war enttäuscht, dann aber hörte ich ganz deutlich meinen Kustos von der Bibliothek her zu mir sprechen.

»Die Herrschaften sind zu der gemeinsamen Auffassung gelangt, dass Ihr, William von Roebruk, das gesamte Euch vorliegende Scriptum durchgelesen haben solltet, bevor Ihr vom Verstand her und der raschen Rezeption in der Lage wäret, einen Disput über Konzept und Konsequenzen sinnvoll niederzuschreiben - «

»Ich hab' Hunger!«, war die einzige Antwort, die mir darauf einfiel. »Ein gebratenes Huhn - oder mir fällt die Feder aus der Hand, bevor ich auch nur die erste Zeile notiert - «

Mein Kerkermeister auf der anderen Seite der Mauer überlegte nicht lange. »Wenn Ihr beim Umblättern keine Fettflecken auf den Pergamenten hinterlasst, bekommt Ihr das Gewünschte in einer Viertelstunde!«

Ich würde ihm auch gerne sagen, dass ich liebend gerne pinkeln würde, aber ich verkneif es mir.

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Dann kam das Huhn! Ich war so vertieft in das bizarre Gemälde meiner eigenen Jugendjahre, dass ich das Öffnen der schweren Tür gar nicht bemerkt hatte, erst wieder ihr geräuschvolles Zuziehen und Verschließen.

Man hatte mir den hölzernen Teller mit dem Tier, und einem Stück Brot, einfach in die Zelle geschoben, wie einem Strafgefangenen! Die Köche mussten auch nicht ganz bei der Sache gewesen sein, denn das Huhn war arg verbrannt. Da mein Kerker weder Stuhl noch Tisch aufwies, hockte ich auf dem Boden nieder, gleich neben dem Dreifuß meines Pults, zerriss den zähen Braten, stopfte mir die Bissen ins hungrige Maul, kaute erzwungenerma-

ßen ausgiebig und spülte dann mit dem Roten nach, von dessen kostbaren Tropfen ich auch einige zum Reinigen meiner fettigen Finger verwandte, bevor ich mich wieder hochstemmte.

In der Bibliothek kehrten die Stimmen zurück, hörbar aufgekratzt vom opulenten Mahle. Ich nehme noch schnell einen letzten Schluck und tauche die Feder ins bereitstehende Tintenfass.

Groß-Prior: »Jerusalem ist für immer verloren. Selbst wenn wir es zurückgewinnen sollten, werden wir es nicht halten können. Es ist nicht mehr mit einem Kreuzzug getan: Gewaltige Heerscharen müssten als Besatzer in der terra saneta stehen, um das Eroberte verteidigen zu können.«

Grande Maitresse: »Hundertfünfzig Jahre voller Gräuel und Ungerechtigkeiten, Bedrohung und Hass haben auf beiden Seiten so viel Verbitterung erzeugt, dass kein Frieden, keine Versöhnung mehr in Sicht ist.«

Groß-Prior: »Das alles erfüllt mich mit tiefer Trauer und Besorgnis.«

Grande Maitresse: »Das will ich Euch glauben, Karl de Gisors! Doch für jemanden wie mich, dem das Mittelmeer nicht Mare Nostrum der Römer ist, sondern mediaterra, also Bindeglied, nicht Trenngraben zwischen den Ländern des Morgen- und Abendlandes, ist der Zeitpunkt gekommen, verantwortungsvoll dieser beschämenden Entwicklung gegenzusteuern - «

Groß-Prior: »Und das wollt Ihr, werte Schwester, mit der Schaffung einer neuen dynastischen Blutslinie erreichen?«

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Grande Maitresse: »Ich kann im Wahlkönigtum den Finger Gottes nicht erblicken. Der gesalbte Herrscher wird gegeben, eingegeben! Außerdem, was heißt Ihr hier neu? Das wäre sie - weiß Gott - nicht! Ich zumindest kenne keine ältere, keine, die mit mehr Berechtigung antreten könnte - «

Groß-Prior: »Aber eine anerkannte Dynastie, deren Euer mediterranes Reich bedarf, ist nirgendwo in Sicht - «, und unverhohlen spottend legte er noch nach: »Nicht einmal eine Wurzel, eine Art Knolle, aus der sie sich herausschälen könnte!«

Grande Maitresse: »Noch nicht!« Marie de Saint-Clair musste erst ihre Erregung abklingen lassen, bevor sie die Sprache wieder fand. »Herr, ich bitte dich um Erleuchtung, welche Elemente des Abendlandes dem

Schmelztiegel beizugeben sind, welchen Adern der Lebenssaft entströmen soll, welche Tropfen Bluts der göttlichen Mischung unerlässlich sind? Herr, lass mich des lapis ex coelis teilhaftig werden, um das Große Werk zu vollbringen!«

»Es ist wohl eher ein penis excülis, dessen es hier bedarf!« Der Scherz kam nicht an. So legte der Groß-Prior eine Pause der Höflichkeit ein, bevor er einzulenken vorgab: »Sicher könnte die Basis in der Nachkommenschaft des Hauses David gegeben sein - «

Die Grande Maitresse spürte die falsche Freundlichkeit: »- im aussterbenden Geschlecht der Trencavel. Deren Anspruch war un-zweifelbar und erfüllt mein Herz mit Stolz - «, auf solches Entgegenkommen war sie nicht angewiesen. »Ihr Blut kreist beiderseits der Pyrenäen und vertritt ganz Okzitanien.«

Ihr Bruder ließ dann auch lachend die Maske fallen: »Und das reicht Euch? Was ist mit dem Adel Frankreichs!

War es nicht der große Bernhard aus dem Hause Chatillon-Montbard, der initiierte, dass der Orden des Tempels seine Aufgabe erhielt und erfüllte?« Das Krächzen steigerte sich mit seiner aufkommenden Erregung: »Ein Geschlecht, das es ebenfalls zu bedenken gilt, sind die normannischen Hüter der Eiche von Gisors!« Sein Spott wurde unüberhörbar. »Damit wäre auch das England der Plantagenets, Anjou und Aquitanien einbezogen. Aus dem Deutschen kommt nur das Gewächs der Staufer in Betracht - «

»Doch gerade deren Drang zur Verbindung mit dem sang real

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ist selbst für ein nur mittelmäßig sensibles Gespür erfahrbar«, unterbrach sie ihn spitz. »Sie verfügen über die Kraft, die dem Hause Okzitanien verloren gegangen ist. Stupor mundi! Friedrich konnte ihren Triumph nicht mehr erleben, aber sein Samen wird aufgehen in den zukünftigen Herrschern.«

Karl von Gisors seufzte hörbar. »Ich will Euch nicht unterstellen, dass Ihr der Ketzerei Vorschub zu leisten wünscht. Zumindest aber ist der Boden hier in der terra sancta denkbar ungünstig für das zarte Pflänzchen Eurer dynastischen Phantastereien! Zu trocken, zu heiß! Mir hingegen liegt das Schicksal der Templer am Herzen.

Selbst für diesen mächtigen Orden, dem ich Leib und Gut geweiht habe, wird das Fortbestehen an der historischen Stätte seiner ruhmreichen Gründung eines absehbaren Tages nicht mehr gegeben sein. - Dann heißt es, mit wehendem Beauseant untergehen - oder -«

»Oder Schaffung eines Ordensstaats auf dem sicheren Boden Frankreichs?!«, spöttelte die Grande Maitresse.

»Mich mögt Ihr eine närrische Phantastin schelten, aber was Ihr da erwägt, ist Hochverrat! Hochverrat an der Krone Frankreichs, denn seinem Adel gehören die Gisors - wie fast alle Tempelherren - noch immer an! Und das Territorium, das Ihr, lieber Karl, Euch so bedenkenlos auserkoren habt, ist eben nicht mehr das freie Okzitanien, sondern gehört sogar zu den Kronlanden der zu Paris herrschenden Familie der Capets! Da hätten die Templer vor fünfzig Jahren die Partei der Unterdrückten stärken müssen -jetzt ist es zu spät! Ich hasse diese Usurpatoren, diese Mörder Dagoberts, zumindest genauso wie Ihr, aber ich bin Realist - und deswegen plane - oder träume ich, ganz wie Ihr wollt - hier in einem Lande, das mir diese Möglichkeit noch bietet!«

»Es bleibt ein Traumgespinst, Marie«, krächzte der Groß-Prior, Niedergeschlagenheit in seiner Stimme. »Ihr seid auf die tatkräftige Unterstützung unseres Ordens angewiesen - und das Blut, das Ihr wie eine Alchemistin, um nicht zu sagen, wie eine alte Zauberin Euch im verschwiegenen Tiegel angerührt habt, ist zur Gänze den Adern Europas abgezapft!«

Die Grande Maitresse gab sich nicht so leicht geschlagen.

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»Heute vermag ich nur für das Abendland zu sprechen. Sein Blut, das des höchsten Adels, ist gerettet; die Vermischung mit der Idee des von Gott gewollten Caesarentums hat stattgefunden. Unsere Aufgabe ist nunmehr, die Vereinigung mit der Nachkommenschaft des Propheten Mohammed, der Schia, herbeizuführen. Deshalb unser Pakt mit den Assassinen vom Stamme Ismaels, den Hütern des anderen Blutes. Und so wird sich über die gemeinsame arianische Herkunft, über den großen Zoroastra, über die Lehre des Mani der Kreis dann schließen: Eine dynastische Verknüpfung der Nachfolge beider Propheten vereint in der Welt Kalifat und Kaisertum und mündet im Geiste in die höchste sublimatio, in den Gral.«

Dafür erntete sie nicht einmal Hohn, sondern nur müden Spott. »Nun ist nur noch das Reich zu schaffen, das Reich der Versöhnung von Orient und Okzident, das Reich der Friedenskönige! Wo soll das Zentrum dieses Reiches denn liegen? «

Grande Maitresse: »Roms Name ist für alle Zeiten besudelt. Palermo? Würde es von der arabischen Welt angenommen werden? Ja, wenn wir dem Islam gleichberechtigte Rückkehr nach Sizilien zumindest anbieten könnten. Das aber wird nicht geschehen, solange das Tier herrscht, ob in Rom oder im französischen Exil. Liegt das Zentrum in Jerusalem, dann kümmert es - wie wir gesehen haben - die Fürsten des Abendlandes wenig.«

Groß-Prior: »Es sei denn, alle würden sich mit Geld und Macht und vor allem mit Inbrunst für ein solches

>Divina Hierosolyma< des Friedens einsetzen. Wir, magistri templi Salomonis, an der Spitze!«

Grande Maitresse: »Aber würde das nicht zur Unterdrückung der arabischen Völker führen, des islamischen Glaubens? Und auch das Kalifat von Bagdad und das Sultanat von Kairo müssten seine Oberhoheit anerkennen, anstatt um seinen Besitz zu zerren, und Damaskus müsste seinen großsyrischen Traum aufgeben und stolz in den Schatten der Heiligen Stätten treten.«

Groß-Prior: »Kaum vorstellbar!«

Grande Maitresse: »Ebenso wenig ist es vorstellbar, dass sich die Christen jetzt zu einer Duldung Andersgläubiger durchringen,

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die sie seit Menschenaltern nicht mehr aufbrachten. Zudem wären nun auch die Muslime nicht mehr bereit, einer solchen Wendung Glauben zu schenken. Also müssen wir Abschied nehmen von Jerusalem.«

Groß-Prior: »Oder müssten vielleicht die Religionen neu bedacht werden? «

Grande Maitresse: »Auszuschließen von jeder zu formenden Gemeinschaft ist als Erstes das Tier!«

Groß-Prior: »Aber auch der Islam wies schon immer Züge von Intoleranz auf.«

Grande Maitresse: »Lediglich die Minnekirche des Gral bietet sich für eine solch übergreifende Aufgabe an.

Besinnung auf den Ursprung: Jesus von Nazareth, der Paraklet, Prophet wie Mohammed - das ist auch für den Islam annehmbar. Beider dynastisches Blut ist vorhanden, wenn auch im Verborgenen.«

Mit diesen Worten schien die Grande Maitresse das Colloquium beendet zu haben, von ihrem Gegenpart, dem Groß-Prior Karl von Gisors, kam jedenfalls keine Antwort mehr, und das sagte für mich mehr als Worte. Der Gral?! Beide hatten wohl die Bibliothek wieder verlassen. Ich hatte mir zum Schluss von einem Bein aufs andere getreten, der Druck auf meine Blase war unerträglich geworden. Jetzt musste ich wirklich erst mal pissen! Aber wohin? Der immer noch reichlich vorhandene Wein in der Karaffe deuchte mir - weiß Gott! - zu schade, ich gedachte ihn jetzt in aller wohlverdienten Ruhe mit Genuss auszutrinken. Blieb nur noch der Wandschrank: Gut gezielt ist mehr als halb gewonnen!

Erleichtert, geradezu glücklich und befreit, wendete ich mich wieder der noch verbliebenen Lektüre des >Großen Plans< zu, dessen Sinn mir nach allem Gehörtem nun vielleicht in einem ganz anderen Licht erscheinen würde?

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Wie lange ich sinnend vor den letzten Seiten des Konvoluts gestanden bin, weiß ich nicht mehr. Irgendwann musste ich mich gesetzt haben. Das Gelesene hatte mich aufgewühlt, vielleicht mehr noch als damals, als ich die Schrift zum ersten Mal zu Gesicht bekam. Es war die Prophetie vieler Zeilen, die - vor nunmehr sechzehn Jahren verfasst - sich inzwischen in vielen Entwicklungen und Ereignissen längst bewahrheitet hatte, die mich erschrocken hatte. Wer mochte der Autor gewesen sein? Er war schon im Jahre des Ursprungs des Großen Plans im Verborgenen geblieben, aus gutem Grund, denn er konnte sich der erbittertsten Verfolgung sicher sein! Nach meinem Dafürhalten musste er den Rang eines Secretarius innegehalten haben, in des Wortes wahrster Bedeutung - vergleichbar vielleicht mit der Position, die heute Lorenz von Orta zu bekleiden scheint? Beim Grübeln über seine Rolle innerhalb des geheimnisvollen Ordens musste mich der Schlummer - auch Dank des mittlerweile bis zur Neige genossenen Weines - dann doch übermannt haben.

Ich erwachte erst, als der Kustos - wohl schon längst eingetreten -vor dem Tresor stand und die letzte gepanzerte Eisentür geräuschvoll verschloss. Das Schreibpult war wieder leer geräumt. Ich lag -noch mit meiner verschwitzten Reisekleidung angetan - auf dem Boden neben meinem Schreib- und Lesepult, zwischen abgenagten Hühnerknochen und der leeren Karaffe.

»Ihr werdet im Refektorium erwartet, William von Roebruk«, ließ mich mein Betreuer wissen und zog den Schlüssel ab. »Ich werde Euch begleiten, wenn Ihr Euch ordentlich hergerichtet habt!« Er wies

unmissverständlich auf das kupferne Becken hin, das mit frischem Wasser gefüllt war, auf dem Rosenblätter schwammen. Ich folgte mit Wohlbehagen seiner Aufforderung.

Als ich das Refektorium betreten durfte, begriff ich sofort, dass die ansonsten so unnahbare alte Dame mich zu sprechen wünschte. Endlich! Mir gegenüber, an der Stirnwand des ehrwürdigen Saals stand die schwarze Sänfte, solide gearbeitet wie eine mächtige Schatulle, breit geschwungen und auch mit ausreichend Kopfhöhe.

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Desgleichen waren die Tragstangen nicht für vier Bedienstete gearbeitet, sondern für deren acht, und die standen auch in ihren schwarzen Wämsern, die Arme vor der Brust verschränkt, rechts und links neben dem Gehäuse der berühmten Großmeisterin des Bundes. Die Gesichter der Turkopolen waren von wollenen Ganzmasken verhüllt, die ihnen den Anstrich von Henkersknechten verliehen. — So wirkten sie zumindest auf ein schreckhaftes Gemüt wie mich. Hinter der Sänfte an der Saalwand standen die Ritter der Eskorte der Grande Maitresse in voller Rüstung, nur, dass sie ihre furchterregenden Lanzen nicht mit sich führten.

»Tretet näher, William von Roebruk!«, befahl ihre heisere Stimme aus dem Innern. Ich trat zögerlich vor, bis zu der Kordel, welche die vordersten der Knechte Abstand heischend vor der Sänfte gespannt hielten. »Ihr hattet Gelegenheit, den alten Text nochmals zu lesen«, sagte sie streng, »den Ihr unbefugterweise schon vor Jahren an Euch gebracht -«, mir rutschte unter der meinen Wanst umspannenden Kutte das Herz in die Leibwäsche - oder noch tiefer, doch die Stimme gab sich zu meinem Erstaunen plötzlich milde. »Was ist Euch an Unstimmigkeiten zwischen der damaligen Bestandsaufnahme und der heutigen Lage aufgefallen?«

Mit derart inquisitorischer Fragestellung hatte ich nicht gerechnet, ich fühlte mich - wohl zur Strafe für meine nicht zu leugnende Neugier - überrumpelt und brachte nur ein unsicheres Stammeln hervor. »Die Mongolen?«, flüsterte ich. »Das Eingreifen der Mongolen war nicht bedacht - nicht vorgesehen?«, verbesserte ich mich zaghaft.

»Und sonst?!«, forschte die Stimme ungeduldig weiter, schon weit weniger nachsichtig gestimmt.

Ich zermarterte meinen armen Kopf. »Eine Verschmelzung der Nachkommen aus dem Hause David mit der Blutslinie des Propheten Mohammed hat bislang nicht stattgefunden?«, riet ich aufs Geratewohl, nicht wissend, was ich mit meiner Offenheit riskierte.

»Sie wird auch nicht vollzogen werden!«, bekam ich ungehalten zu hören. »Was hingegen die Nachfahren des Dschingis-Khan anbelangt - «, mir war, als hätte ich einen tiefen Seufzer vernommen, »sie sind kein Element des Wesens, aus dem ein Reis entspringt,

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sondern höchstens als Vollstrecker unseres Willens brauchbar!« Die Enttäuschung der alten Dame war deutlich herauszuhören. Ich hüllte mich wohlweislich in Schweigen, zumal auch mir der Gedanke befremdlich erschien, die Zukunft könnte bei diesen Barbaren aus den fernen Steppen liegen. »William von Roebruk!«, riss mich der befehlsgewohnte Ton aus meinem Grübeln. »Ihr habt Euch stets als der Hüter von Roc und Yeza aufgespielt.«

Mir wurde flau im Magen. »Doch seid Ihr nichts als der säumige Chronist des Weges, den das Königliche Paar nimmt! Nicht mehr, aber auch nicht weniger als das!« Sie ließ mir keine Zeit, Atem zu holen für jeglichen Einwand, oder gar zu widersprechen. »Dieser Weg tritt in seine entscheidende Phase ein, reißt Euch also am cingulum Eures Ordenskleides und zeigt Euch von nun an dieser verantwortungsvollen Aufgabe gewachsen und würdig!«

Nun musste ich doch mein Maul aufmachen, auch wenn es wirken mochte wie das Schnappen eines

Ochsenfroschs im Teich nach Luft. »Wird denn ihre Krönung nun stattfinden, werden Rog und Yeza den Thron einnehmen?« Ich fühlte die eiskalten Augen der mächtigen Großmeisterin des Geheimen Bundes auf mich gerichtet - ähnlich dem Starren des Reptils auf den fetten Brummer auf dem Blatt der Seerose -

»Man kann dieses Paar inthronisieren.« Die Antwort kam gequält und unendlich müde. »Doch Hoffnung besteht nur bei der Vermischung ihres Blutes, also eines Nachkommens, mit der spirituellen Kraft des Ostens, wie sie auf dem Dach der Welt, an den Hängen der höchsten Gipfel auf Erden zu finden ist. Dort wächst in gewaltigen Klöstern und erhabener Einsamkeit ein Menschenschlag heran, dem die Zukunft gehört - « Ich wagte nicht zu atmen. »Aus dem Land der aufgehenden Sonne, nicht mehr aus dem des Abends kann sie kommen - oder ...« Die prophetische Stimme der betagten Großmeisterin erstarb zu einem nicht mehr hörbaren Laut. Also ein Kind, ein noch zu zeugendes Kind war die letzte Hoffnung. Ich traute mich nicht, meine Erkenntnis in Worte zu fassen, noch einmal nachzufragen, ob ich richtig verstanden hatte. Es musste also außer den Mongolen im fernen Orient noch ganz andere Völker geben, mit einer Kultur, von der wir im Okzident

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noch gar nichts wussten, nicht einmal ahnten. Nur eine so außerordentliche Persönlichkeit wie die Grande Maitresse besaß, das geheime Wissen um die Größe von Gottes Welt!

Mein beredtes Schweigen verband sich mit der Last, die ihre Eröffnung auf meine Schultern gehäuft hatte. Doch zum weiteren Male überraschte mich die ehrwürdige Meisterin mit einer völlig neuen Wendung.

»Ich will«, erklärte sie mit frisch gewonnener Bestimmtheit, »ich will Euch die Einleitung zu Eurer weiteren Arbeit diktieren, William von Roebruk.«

Der Kustos trat ein und händigte mir meine Pilgertasche aus, mit allen Schreibutensilien, deren ich als Chronist bedurfte. Ich glättete das Pergament und tauchte die Feder in das mitgebrachte Tintenfässchen. Ich war bereit.

Während sie mich noch warten ließ, kreisten meine wirren Gedanken um Roc und Yeza: Wussten sie von dem, was von ihnen erwartet wurde?! Würden sie sich bereit finden, der geheimen Bruderschaft dieses Verlangen zu erfüllen, das über ihre eigene Existenz hinaus die Verwirklichung des Großen Plans auf ein Kind übertrug, das noch ungeboren war? In ihren Augen wäre es das natürliche Zeugnis ihrer einzigartigen Liebe zueinander - das große Glück im Leben zweier Liebender - und die Gnade Gottes! Für den berechnenden Orden käme es hingegen einem akzeptierten Verzicht des Königlichen Paares gleich, auf der unmittelbar erwarteten Krönung zu bestehen? Mit der Geburt eines Kindes hätten Roc und Yeza ihre Aufgabe dann erfüllt - kam das nicht einem Urteil gleich? Mir schon! Eigentlich müsste ich sie warnen -

Die harte Stimme der alten Frau riss mich aus meinen Zweifeln, sie sprach langsam und deutlich, doch wie in Trance:

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Kaum waren ihre Worte verhallt und ich hatte mit kühnem Federstrich den mir schon geläufigen Abschluss zu Pergament gebracht, geleitete mich mein Kustos hinaus in den Hof der Burg Safed. Ich muss ihn fragend angeschaut haben, als er sich von mir verabschiedete.

»Es ist nun an Euch, William von Roebruk, - nach dem Willen, den Ihr vernommen, und in diesem Sinne mit der Chronik fortzufahren!«

TIEF IN DER NACHT erreichte die geheimnisvolle schwarze Sänfte Damaskus, Syriens prächtige Hauptstadt.

Im Gefolge der Grande Maitresse befand sich auch William von Roebruk. Der Templerorden besaß in Damaskus verständlicherweise kein eigenes Haus, begünstigte jedoch seit eh und je die hiesige Niederlassung der Zisterzienser, sodass Marie de Saint-Clair dort ohne Umstände Aufnahme fand. Das Kloster mit dem angrenzenden Kirchlein des heiligen Johannes und großzügig ausgestattetem Hospital lag gleich hinter der Moschee an der nördlichen Stadtmauer unweit des Bab halap.

Am nächsten Morgen - William hatte es sich angewöhnt, bereits vor Tagesanbruch reisefertig zu sein - ließ sich die alte Dame viel Zeit, denn sie zog noch Erkundigungen ein. Der Franziskaner musste in der ihm zugewiesenen Klosterzelle warten, bis sie ihn rufen ließ.

»Ich wünsche selbst mit Roc Trencavel zu sprechen -«, teilte sie ihm mit ihrer heiseren Stimme mit, »- bevor er den falschen Schritt begeht, der sich schon anbahnt.« Wie immer sprach sie mit dem Mönch durch den Vorhang der Sänfte verborgen - so wie

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sie es übrigens auch mit allen anderen hielt. Marie de Saint-Clair übermittelte ihre Wünsche, die Befehle waren, nur in allerknappster Form, doch war sie stets über alles, was sich um sie herum abspielte, genauestens informiert.

So trafen sie genau dann an dem großen Platz mit dem ausgebreiteten Teppich ein, als der Trencavel mit seinem kleinen Gefolge, den Okzitaniern und den Rittern aus Antioch, die Decumana von Osten heraufkommend, um die Ecke bog, wo ihn auch voller Stolz der Baouab erwartete. Angesichts des unerwarteten Kelims wollte Roc sich gerade wutentbrannt wieder abwenden, als ihm William den Weg versperrte und stumm auf die Sänfte hinwies. Der Trencavel wusste genau, mit wem er es zu tun hatte, dennoch trat er wenig ehrerbietig an das schwarze Gehäuse heran. Die Grande Maitresse ließ ihn schmoren, bevor sie endlich mit ihrer heiseren, unverkennbaren Stimme das Wort an ihn richtete.

»Erwartet von mir kein Willkommen, Roc Trencavel!«, knurrte sie dann unvermittelt. »Von wem und in wessen Namen wollt Ihr Euch allein zum >Malik< von Damaskus ausrufen lassen - und dazu noch im Alleingang?!«, rügte sie mit leichtem Spott in ihrer Greisinnenstimme. »Der Königstitel hat hier weder dynastische Tradition, noch findet er Anklang beim Volk!«

Roc schaute verärgert drein. »Soll ich etwa auf Yeza warten?!«

»Gewiss!«, kam die trockene Antwort, um dann in milder Abgeklärtheit die Erläuterung nachzuschieben: »Nur das Königliche Paar in seiner Gänze macht Sinn. In seiner geistigen Überhöhung allein ist es in der Lage, die Verheißung der Friedensherrschaft zu erfüllen - «

»Das haben wir - >in aller Gänze< schon zu Jerusalem erlebt!«, lehnte sich Roc auf, vergeblich bemüht, im Tonfall nicht zu entgleisen.

Die alte Dame sah es ihm nach. »Ich verstehe Eure Ungeduld, Roc Trencavel. Die Ausgangslage hat sich mit dem Erscheinen der Mongolen verändert«, appellierte sie an Rocs Verständigkeit, »es ist müßig, darüber zu streiten, ob zu unserem Guten oder Schlechten: Wir haben sie lediglich in unsere Überlegungen einzubeziehen -

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»Der Il-Khan wünscht uns als Herrscher einzusetzen«, versuchte Roc sich einzubringen, doch die Grande Maitresse ließ sich den Faden, an dem sie spann, nicht aus der Hand winden.

»Frage ist: Unter welchen Voraussetzungen, wann und vor allem wo?«

Rog ignorierte das Auftauchen Davids, der höchst erregt versuchte, ihm eine Nachricht zukommen zu lassen, schließlich vertraute der Templer sie dem Mönch an.

»Ich bin besorgt über das Verschwinden Joshuas!«, flüsterte er William zu. »Er wollte diesen Ali zum Wesen-Spiel holen, doch der behauptet, den Zimmermann nicht gesehen zu haben.«

William wusste auch nicht, was er darauf antworten sollte, und winkte beschwichtigend ab, zumal die Grande Maitresse gerade in ihrem ihn weitaus mehr interessierenden Diskurs fortfuhr. »Ganz sicher darf nicht Damaskus als Synonym für den Sitz einer spirituellen Herrschaft stehen, das würde den allumfassenden Anspruch, den wir dem Friedenskönigtum gegeben, auf gefährliche Weise reduzieren, ihn klein und erbärmlich machen! Es sollte -«

»Ihr vergesst, hohe Dame«, traute sich Rog ihr ins Wort zu fallen, »dass die Mongolen darüber befinden werden!«

Die Grande Maitresse hinter ihrem schwarzen Vorhang musste schlucken, sie hüstelte. »Unsere Aufgabe ist es, die kindlichen Vorstellungen dieser törichten Barbaren in die rechte Bahn zu lenken: Niemand mutet ihnen zu, eigene Gedanken zu entwickeln! Wir müssen sie nur benutzen, unsere Vision zu verwirklichen!«

»Was heißt das nun für mich und für Yeza?«, begehrte Roc auf, er schien nicht länger gewillt, sich dem nebulösen Konzept zu unterwerfen.

»Sucht die Vereinigung«, beschied sie ihn. »Wenn Ihr dem Il-Khan nicht entgegeneilen mögt, dann wartet hier auf sein Kommen und fügt Euch seinem Ratschluss, auf den wir Einfluss nehmen werden.« Sie bemerkte die Unlust des Trencavel. »Widersteht der Verführung, Trencavel, Euch hier unbeweibt zum machtlosen >Malik< von Damaskus ausrufen zu lassen, das kann dem Bild vom Königlichen Paar nur Schaden zufügen. Lehnt die Würde ab, die Euch der verrottete Hofklüngel andienen will, macht den Leuten

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mannhaft klar, dass Ihr Euch nicht gegen die Mongolen stellen werdet, die allein die Macht besitzen, euch, dich, Roc, und Yeza als Herrscher zu inthronisieren!« Die Grande Maitresse beließ es bei dieser klaren Ermahnung und gab ihrer Eskorte - wie immer klopfte sie mit ihrem Stock an die Innenwand - das Zeichen, die Sänfte aufzunehmen. Ohne ein weiteres Wort an Roc zu richten - etwas Trost, ein aufmunterndes Versprechen, schienen selbst William, dem stummen Zeugen der Unterredung, durchaus angebracht -, entschwand sie den ratlosen Blicken der um den Trencavel Versammelten.

Aus der Chronik des William von Koebr uk

Roc musste ähnlich wie der Chronist empfunden haben. »Habt Ihr, William, auch nur mit einem Satz vernommen, was die Alte mit uns vorhat?! Sie faselt von einem Friedenskönigtum in einer Welt, die nur das Recht des Stärkeren anerkennt, von nackter Gewalt gezeichnet ist!« Rocs Erregung hielt sich zu meinem Erstaunen in Grenzen, er war auch eher verärgert, zumindest enttäuscht. »Ich will diese Vormundschaft nicht länger«, knurrte er mich an, als sei ich der verantwortliche Vertreter, den die Grande Maitresse zurückgelassen hatte, um für die Durchsetzung des Großen Plans zu sorgen. »Genauso wenig steht mir der Sinn nach einem Königtum von des Il-Khan Gnaden!« Ich nickte aus tiefer Überzeugung, was ihn zu versöhnen schien. »Yeza sieht das gewiss genau so wie ich!« Er wandte sich an den Baouab, der die ganze Zeit über die Arbeiten auf dem Teppich vorangetrieben hatte, ohne sich im Geringsten um den Auftritt der alten Dame in ihrer Sänfte zu kümmern. Jetzt traten auch die drei Okzitanier und Berenice wieder hinzu, die sich während der Unterredung diskret abseits gehalten hatten.

»Ich habe mich entschlossen«, teilte der Trencavel nunmehr dem Baouab mit, »meinen offiziellen Einzug in Damaskus in der würdigen Form zu halten, die vom Volk ersehnt wird.«