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sofort! Sie richtete sich auf, zog ihre Hosen hoch und schaute dem Schwarzbärtigen lachend ins Gesicht, es machte keinen Sinn für sie, die Geschändete zu spielen, die vor Scham und Verzweiflung im Erdboden zu versinken begehrt. Mit erwartungsvollem Erstaunen betrachtete der Eroberer seine gutgelaunte Beute.
»Habt Ihr noch weitere Wünsche« - leicht verunsichert grinste er sie an -, »so lasst es mich, El-Kamil, den Fürsten von Mayyafaraqin, wissen! Was in meiner Hand steht, soll Euch erfüllt werden, edle Dame!«, sprach er gestelzt, er war kein ebenbürtiger Gegner, wahrscheinlich sogar ziemlich dumm. »Auch diesen feinen Kelim, diese prächtige Blumenwiese, auf der ich Euch als seine schönste Rose fand und brach, nehmen wir mit auf meine Burg, damit er uns fürderhin ...«
Yeza unterbrach ihn mit brüsker Gebärde. Das »Nein!« war ihr herausgerutscht, sie wollte ihm weder ihren Schrecken noch ihren Unwillen zeigen. »Ich schlage vor«, probte Yeza immer noch lächelnd ihre Stärke, »dass wir diese Unterlage unseres ersten, doch sicher nicht letzten Beilagers«, flocht sie scherzend ein, immer auf der Hut, den schlichten Mann nicht zu überfordern mit der ihm ungewohnten Selbstständigkeit einer jungen Frau,
»diesen Teppich auf der Stelle Alilat, der Schutzherrin der Liebe, weihen, ihn also hier als freudige Opfergabe liegen lassen.« Yeza zwang das Strahlen der Sterne, den Tautropfen auf dem Blatt der sich öffnenden Rosenknospe in ihre graugrünen Augen. »Hingegen verlange ich, dass Ihr, mein Herr und Gebieter, den Besiegten, meinen bisherigen Gefährten, nicht tötet, sondern beladen mit seiner Schande von dannen ziehen lasst!«
Der Emir schaute überrascht, was wieder dieses törichte Grinsen hervorbrachte. »Ihr habt Recht, Prinzessin, ein Fortleben ohne Ehre ist schlimmer als der schnelle Tod!« Er gab seinen Leuten ein Zeichen. Sie banden Roc los und jagten ihn davon mit Steinwürfen wie einen streunenden, räudigen Hund. Beifall heischend richtete der Emir seinen Blick auf Yeza, die mit starrer Miene das Entkommen von Roc verfolgte. Er glaubte Befriedigung in ihren Zügen zu lesen, das veranlasste den Schwarzbärtigen von weiteren Opfern abzusehen und gemachte Beute nicht unnötig zu verschenken.
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»Ich kenne Eure Alilat nicht, aber es deucht mich jammerschade, dies wertvolle Stück«, er zeigte auf den Kelim,
»Wind und Wetter, den Vögeln und wilden Tieren zu überlassen.« Da Yeza nicht reagierte - sie hatte ihr vordringliches Ziel erreicht -, befahl er seinen Leuten, den Teppich einzurollen und den Kamelen aufzuladen.
Die Soldaten verfügten nicht über die Routine, mit Lastkamelen umzugehen, so dauerte es eine Weile, bis die neue Karawane sich in Marsch setzte, um die Burg Mard' Hazab zu erreichen.
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»ZUM LETZTEN NAGEL«
DIE ALTSTADT VON JERUSALEM war nicht so zerstört, dass sich kein Leben mehr in den Ruinen zeigte, nur verspürten die dort immer noch ausharrenden Bewohner keinerlei Anreiz, mehr als ein Dach überm Kopf wieder herzurichten, denn solange die einst so beeindruckenden Stadtmauern in Trümmern lagen, mehr Breschen als Tore aufwiesen, waren sie jederzeit neuen Überfällen preisgegeben. Ein wild Zusammengewürfeltes
Bevölkerungsgemisch. Meist aramäische, aber auch koptische Christen, alteingesessene Juden und zögernd zugezogene Muslime hatten sich in ihren - jetzt noch schwerer zugänglichen - Quartieren verschanzt, die geborstenen Pfosten verlassener Häuser und das verkohlte Balkenwerk ihrer Dächer dazu benutzt, die engen Straßen in ein unüberschaubares Labyrinth zu verwandeln, dessen Zugänge nur Eingeweihten vertraut waren.
Anhänger der christlichen Kirchen, vorwiegend orthodoxe Griechen, aber auch viele Armenier - die Lateiner Roms waren in der Minderzahl - bildeten nach wie vor die größte Gemeinde, doch waren sie untereinander heftiger Verstritten, als sie mit den Vertretern der anderen Glaubensrichtungen in Fehde lagen. So kam es, dass William von Roebruk, wenn er einmal die Woche seine Turmklause auf dem Montjoie verließ, um seine Freunde in der >Stadt< zu besuchen, seine Schritte ins jüdische Viertel lenkte. In der Taverne »Zum letzten Nagel« hatte Josh >der Zimmermann< das Regiment übernommen, die Weinbestände stammten allerdings aus den Kellern des Patriarchen. Der war vor dem letzten großen Angriff nach Akkon geflohen, ein eingestürztes Gewölbe hatte den Weg zu den kostbaren Fässern verschüttet. Der Zimmermann und sein Freund und Stammgast David der Templer hatten von der benachbarten Taverne aus in
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mühseliger Wühlarbeit einen Tunnel gegraben. Weitere Kosten für die teuren Jahrgänge, allesamt aus der Bourgogne per Schiff herbeigeschafft, entstanden den Freunden nicht. Der dritte im Bunde war Jalal al-Sufi, ein quirliger Derwisch, der seine Gefährten auch bei unpassender Gelegenheit mit den poetischen Ergüssen seines heißverehrten Meisters Jalaluddin Rumi beglückte. Der schmächtige Jalal geriet dabei nicht selten in derartige Verzückung, dass er sich kreiselnd zu drehen begann bis hin zum Zustand völliger Trance. David von Bosra hatte den linken Arm in der Schlacht verloren - angeblich auf der Flucht. Wegen dieser undurchsichtigen Verfehlung war er zwar nicht aus den Reihen der Tempelritter ausgeschlossen worden, aber man hatte ihn zur Buße in die vom Orden längst aufgegebene Stadt abkommandiert, damit er dort den Flügel der Al-Aqsa-Moschee bewachen sollte, der das ursprüngliche Ordenshaus, die Keimzelle der kämpferischen Bruderschaft, beherbergte, von dem sie auch ihren Namen herleitete. Doch davon stand nur noch die ausgebrannte Fassade, und kein Muslim dachte auch nur im Traum daran, diesen Teil des >Tempels< wieder herzurichten. Mit dem Lauf der Jahre hatte man David vergessen, und der einsame Templer legte seine Bußübungen in die Hände des Zimmermanns und suchte das Vergessen seiner Schuld in der Taverne »Zum letzten Nageh. Joshua war eigentlich ein überzeugter und beschlagener Kabbaiist, der sich in der Grotte nur deswegen eingenistet hatte, weil sie leer stand und weil er dort seine Freunde bewirten konnte. Andere Gäste verirrten sich dorthin nie, obgleich Joshua ein weithin sichtbares Schild über dem schmalen Einlass angebracht hatte, das auf diesen Ort zur Einkehr hinwies. Als Zimmermann hätte er noch weniger Arbeit gefunden. Die in Jerusalem verbliebenen Einwohner waren arm und zimmerten sich ihre notdürftigen Verschlage selber. Als William von Roebruk schließlich in der Taverne eintraf, wurde er vom Patron lediglich mit einem geknurrten »Endlich langt er an, unser vierter Mann!« begrüßt, in das David, der einarmige Templer, willig einfiel: »Schande über Euch, säumiger Meister des verruchten Spiels!«, während Jalal al-Sufi dem Langerwarteten sein Kommen gern versüßte: »Willkommen oberster
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Priester des allerhöchsten Wesens und sein niederster Adept zugleich!«
Der Franziskaner musste gar nicht erst hinschauen, er wusste, dass auf der Platte des blank gescheuerten Tisches bereits die Pyramide aus den feingeschliffenen, kunstvoll mit mystischen Symbolen bemalten Stäbchen sich erhob, bereit zum Anstich, dem Beginn des >Wesen-Spiels<, das die Freunde bei jeder sich bietenden Gelegenheit vereinte. William spielte es gern, sogar mit Leidenschaft. Zur wahren Meisterschaft hatte er es -
entgegen der blumigen Ankündigung des Derwischs - nie gebracht. Um diese Krone wetteiferten eher Jalal al-Sufi selbst oder der geniale Joshua. David war ein verlässlicher, aber durchschnittlicher Spieler. Für sich konnte William nur einige - durch Tollkühnheit bedingte - Sternstunden in Anspruch nehmen, leicht aufgewogen durch etliche verheerende Niederlagen. Doch heute stürzte er sich keineswegs, wie von seinen Mitspielern erwartet, in das sofortige Austeilen der ersten Runde, sondern warf den Freunden den Knochen vor, an dem er seit dem Besuch des Lorenz von Orta nagte.
»Roc und Yeza sollen wieder aufgetaucht sein!«, schnaufte er, kaum, dass er seinen massigen Körper auf die Bank fallen ließ. »Im Norden Syriens will man unsere kleinen Könige gesehen haben -von diesem Gerücht berichtete mir mein Gewährsmann aus Antioch!« William ließ alle seine Zweifel spüren, und die Reaktion fiel auch sehr unterschiedlich aus.
»Ein Schritt hin zu dem Sehnen unserer Herzen« - jubelte Jalal und sprang auf den Tisch, dass die Stäbchen in der Pyramide erzitterten und das kunstvolle Gebilde Risse bekam - »ist ein Schritt hin zu dem Geliebten!«
Die ersten Stäbchen verrutschten, was Joshua mit bedenklichen Falten auf der Stirn quittierte. »Augenzeugen gibt es also nicht?«, dämpfte er die Freude des Derwischs, den er mit festem Griff an der Fußfessel nötigte, wieder vom Tisch auf die Bank hinabzusteigen, was Jalal aber nicht hinderte, weiter zu juchzen. »Wenn der einzig Geliebte sich zeigen will, dann weiß? er auch den Weg - «
»Gewiss!«, grummelte Josh der Zimmermann. »Aber was besagt das für uns?«
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William hielt sich zurück.
»Wir müssen die Augen aufhalten«, antwortete ihm David und goss sich aus dem Kruge vom Wein nach.
»Unsere Herzen!«, verbesserte ihn Jalal al-Sufi leuchtenden Auges und hielt ihm seinen leeren Becher hin. Der Templer ließ sich nicht beirren. »Wenn dem so wäre, würde ich es als Zeichen nehmen, dass meine Zeit der Buße hier ein Ende hat.« Er hob seinen Pokal. »Ich bin bereit, dem Königlichen Paar zu folgen, wohin immer es mich führen mag!« Er trank William und dann auch Joshua zu.
»Denkt nicht«, raunzte ihn der Zimmermann an, »dass mein Herz sich der Freude verschließt.« Und in seiner bedächtigen Art setzte er leise hinzu: »Ohne euch macht mir das Warten auf das Ende meiner Tage im >Letzten Nagel< wenig Sinn. Also werde ich mit euch gehen.« Seine breiten Hände schoben die von Jalal ramponierte Stäbchenpyramide wieder in die rechte Form. »Weil wir-aber dann vielleicht nur noch selten so zusammensitzen werden, lasst uns jetzt mit dem Spiel beginnen«, forderte er die Freunde auf, »manchmal geben die >Drachen des Wesens< auch Hinweise auf das, was unserem Auge noch verborgen!«
»Der wahrhaft Gläubige ist dem Hoffenden gegenüber in dem Vorteil, dass er keine Enttäuschung zu befürchten hat«, sagte William und begann die ersten Stäbchen reihum auszuteilen.
Auf der wichtigsten Straße Syriens, die von Aleppo über Homs nach Damaskus führt, lagerte kurz hinter Hama das Heer der Mongolen. Den stark belebten Handelsweg selbst, Teil des Mündungsdeltas der alten Seidenstraße, hatten sie offen gelassen, die angrenzenden Dörfer verschont, um bei der Bevölkerung keine ungute Stimmung gegen sich aufkommen zu lassen, denn sie wünschten als Friedensbringer empfangen zu werden, als Stifter von Recht und Ordnung, so wie sie die Heilsbotschaft ihrer pax Mongolica sahen, und nicht als barbarische Eroberer.
Dass sie ihre Verpflegung mit Geldern aus den bereits vollzogenen Beutezügen bezahlten, störte sie ebenso 58
wenig wie die herbeiströmenden Karawanen, die ihnen bereitwillig alles zur Versorgung des Heeres Notwendige andienten.
Der alte Kitbogha, Oberkommandierender des Heeres, hatte seinen jüngsten Spross und - wie es Spätgeborenen oft beschieden - erklärten Liebling Baitschu dabei ertappt, wie er teilnahmslos zusah, dass andere Kinder des Feldlagers den wehrlosen Atabeg hänselten. Er rief ihn sofort an seine Seite.
»Er hat den erhabenen Il-Khan belogen!«, rechtfertigte sich der Knabe.
Sein Erzeuger war großmütig gestimmt. »Er hat vielleicht den Mund etwas zu voll genommen«, milderte er das Verdikt ab, was den Sprössling jedoch ermutigte, scherzend hinzuzufügen:
»Sonst war er nicht so fett!«
Dafür handelte er sich einen Stüber ein. »Gefangene verspottet man nicht!« Kitbogha besann sich kurz. »Du kannst sie über die Klinge springen lassen oder in die Sklaverei verkaufen, aber keine Scherze mit ihnen treiben.«
Das leuchtete Baitschu am Beispiel des armen Lulu zwar keineswegs ein, doch er war nachsichtig mit seinem betagten Vater und wechselte schnell das Thema. »Sagt mir, Herr Vater, was hat es mit dem Königlichen Paar auf sich, dessen Thron wir getreulich mit uns führen, das sich aber uns Mongolen nicht zeigt? Zumindest ich habe die Könige noch nie zu Gesicht bekommen!«
Das klang wie ein Vorwurf und traf den alten Kitbogha an einer empfindlichen Stelle. »Dazu bist du noch zu jung!«, gab er dem neugierigen Filius unbedacht heraus. »Der erhabene Großkhan hat sie erwählt, das Volk der Mongolen liebt sie.« Er seufzte tief. »Bereits seit langem ist ihnen die Herrschaft über den >Rest der Welt<, alles Land, das wir zu erobern im Begriff sind, bestimmt -«
»So sind der König und seine Frau Königin schon sehr alt und weise?«, fragte Baitschu tief beeindruckt und bald recht verwirrt, als der Feldherr in seine dröhnende Lache ausbrach.
»Roc Trencavel und die Prinzessin Yeza zählen grad' sechs Lenze mehr als du, mein Sohn, sie sind jung, schön und überaus mutig, doch kein bisschen weise! - Sie haben einen Dickkopf wie mein Sohn Baitschu - oder noch schlimmer - «
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In diesem Augenblick wurde der Oberkommandierende zum Il-Khan gerufen. Er gab seinem Filius einen aufmunternden Klaps und schritt auf das Zelt zu.
Der Il-Khan Hulagu hatte seine Generäle angewiesen, Botschaften vor allem zu den weiter entfernt herrschenden Fürsten zu entsenden, um sie zur Huldigung und damit zu Tributzahlungen zu veranlassen. Die näher liegenden Emirate, so war seine Rechnung, würden angesichts seines übermächtigen Heeres schon aus eigenem Antrieb ihre Unterwerfung anbieten. Als warnendes Beispiel war seit diesem Morgen der Atabeg von Mossul mitten im Lager ausgestellt. Der dicke Lulu saß bei Wasser und wenig Brot im Käfig, weil der dritte Tag verstrichen war, ohne dass die angekündigte Karawane aus Täbriz mit dem Prunkstück, dem >Vater der Teppiche<, angelangt war.
Hulagu empfing die eintreffenden Gesandtschaften in seinem Audienzzelt, und der ihm als Geisel übersandte El-Aziz musste weiterhin als Page und Dolmetscher zwischen dem erhöhten Thron und den demütig im Kotau Verharrenden hin und her springen, und wenn es dem Oberhofmeister nicht schnell genug ging, dann setzte es auch mal Fußtritte für den Sohn des Sultans. Seine Stellung bei Hofe verschlechterte sich Tag für Tag, der verstrich, ohne dass von seinem Vater aus Damaskus die längst überfällige Unterwerfung eintraf. Der Erste Sekretär des Il-Khan, der arabischen Sprache durchaus mächtig, hatte dem Knaben bereits genüsslich ausgemalt, wie man mit einer Geisel verfahren würde, wenn sie ihren Zweck offensichtlich verfehlt habe. Sein Sterben würde sich lang hinziehen, um seinem dickköpfigen Vater bis zuletzt noch die Möglichkeit einzuräumen, ihm den Tod zu ersparen, doch erfahrungsgemäß würde das Opfer ihn herbeisehnen, so groß seien die Qualen. El-Aziz heulte vor Angst, doch das rührte den Mann, der das Ohr des Il-Khan besaß, nicht im geringsten, schließlich sei es einzig und allein An-Nasir, der mutwillig das Leben seines Sprösslings in eine solche Lage brächte. Ein denkbarer Ausweg sei höchstens, dass jemand den unmenschlichen Vater beseitigte. Dann wäre er, El-Aziz, Sultan von Damaskus und der Il-Khan würde mit