DER GRAL DER LIEBENDEN
KITBOGHA, der Oberkommandierende des mongolischen Heeres, hatte noch das Eintreffen der armenischen und georgischen Verbündeten abgewartet, war dann an Damaskus vorbeigezogen, wo er von der starken Garnison alle entbehrlichen Truppen abzog und nur die Zitadelle besetzt blieb. Er umging den Berg Hermon, ließ auch die am Weg liegenden Festungen der Assassinen unbehelligt und stieß über Banyas ans Ostufer der Jakobsfurt vor. Hier erreichten ihn die drei Boten des Trencavel, die ihn auch über das bislang ungewisse Schicksal seines jüngsten Sohnes Baitschu beruhigen konnten. Ihr strenges Verhör brachte zutage, dass Yves der Bretone mithilfe der Templer von Sidon die bei Baalbek Überfallene Prinzessin gerettet habe. So stand jetzt für Kitbogha zu hoffen, dass beide bei der Eroberung von Sidon durch seinen General Sundchak wohlbehalten in dessen Hände gefallen waren. Wie er allerdings seinen Metzgerhund einschätzte, dazu die Dickköpfigkeit des Bretonen - und die Animosität zwischen den beiden -, war er sich dessen nicht so sicher. Um für jeden Fall gewappnet zu sein, gab er den Befehl, den hochrädrigen Karren mit dem Thronaufbau, den die Armee immer mit sich geführt hatte, bereitzustellen, um Roc Trencavel und die Prinzessin Yeza gebührend einholen zu können.
Denn von dem sichtbaren Mitführen des Königlichen Paares versprach er sich ein mitreißendes Signal für den Kampfesmut seiner Truppen. So ließ er den aufsehenerregenden Thronwagen bei Erreichen der Furt vorneweg durch die Wasser des Jordan rollen. Dieser Anblick - und die gute Nachricht von seinem Lieblingssohn Baitschu
- erfreute das Herz des Alten. Am anderen Ufer sollte dann - wie vereinbart - der von Sidon herabmarschierende Sundchak zu ihm stoßen. Kitbogha beschloss, dort zu lagern und auf ihn zu warten. Die drei Botenreiter schickte 460
er nicht zurück zum Trencavel, weil er - aufgrund ihrer Befragung - guten Glaubens war, dass der Langgesuchte sowieso binnen kurzem im Lager auftauchen würde. Wahrscheinlich würde er zusammen mit dem General eintreffen.
Die mit Beute aus Sidon schwer beladene Heerestruppe der Mongolen unter Sundchak kam nur langsam vorwärts. Sie hatten gerade die Burg Toron passiert, als vorausgesandte Späher dem General meldeten, dass sein Oberbefehlshaber sich anschicke, den Jordan durch die Jakobsfurt zu überschreiten. Worauf Sundchak, der bis dahin seine Leute scharf angetrieben hatte, erst mal eine Rastpause einlegte.
Dass zwischen ihm und Kitbogha noch Roc Trencavel mit seinem kleinen Haufen des Weges zog, wusste er nicht. Seinen Spähern waren sie entgangen, außerdem hätte es den General nicht sonderlich gekümmert. Der Gedanke, diese Fremden aus dem »Rest der Welt« als Herrscher in einem eroberten mongolischen Reich einzusetzen, war ihm nach wie vor zuwider, die Faszination, die diese Idee auf Kitbogha ausübte, vermochte Sundchak nicht nachzuvoll-ziehen. In seinen Augen wurde der Alte zusehends wirrer im Kopf.
YEZA HATTE SEIT DEM VERLASSEN VON SIDON alles SO erlebt, als befände sich ihr Körper in einer
Welt unter Wasser. Schwerelos trieb sie dahin, sie empfand keinen Zorn mehr, noch Sehnsucht wieder aufzutauchen aus diesem ebenso klaren wie als unwirklich empfundenen Element. Das Ganze hatte schon begonnen, als sie in ihrem Turm diesen furchtbaren Streit mit Yves hatte. Der Bretone hatte sich zum Vollstrecker einer völlig absurden Idee aufgeworfen, die sich aus purer Hilflosigkeit im Hirn des >gütigen< Kitbogha breit gemacht hatte. Weil die Mongolen nicht in der Lage waren, Roc aufzutreiben, sollte sie, Yeza, in einer fernen Burg eingemauert werden, nicht zur Strafe, sondern um sie aufzubewahren, frisch zu halten bis zum Tag der mystischen Krönung des Königlichen Paares. Sie wusste genau,
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wer dieses elitäre Konzept in die Köpfe der Führungsspitze der Mongolen eingepflanzt hatte, sodass sie es sich zu Eigen machten, als wäre es der gottgegebenen Intuition des erhabenen Dschingis-Khan in personam entsprungen. Der »Große blaue Himmel« selbst hatte eingegriffen, als Khazar sie in die Verbannung nach Schaha hatte führen sollen, die Templer hatten sie aus der Hand der brutalen Wegelagerer befreit. Was, zum Teufel, war in den Bretonen gefahren, dass er diese Zeichen nicht erkannte und das Rad des Schicksals zurückdrehen wollte?! Dass er so weit ging, ihr Speis und Trank zu vergiften?! Doch als Yeza merkte, dass es mit ihrem leiblichen Befinden nicht mit rechten Dingen zuging, war ihr Wille schon gebrochen. Sie ließ es mit sich geschehen. Yves hätte sich ihr auch als Mann nähern können, um sie zu bespringen wie eine Stute, aber das tat er nicht. Yves hielt sich fern von ihr wie ein Mönch, wie ein eifernder Dominikaner, denn verbissen kümmerte er sich einzig darum, dass ihr willenloser Zustand anhielt. Yeza war in eine gläserne Traumwelt eingetaucht, weißes, helles Licht umgab sie, doch ihr Verstand arbeitete weiter, wenn auch ohne jedes Aufbegehren, ohne festes - noch so fernes Ziel.
Umso erstaunter war Yeza, als eines Tages ein älterer, hagerer Tempelritter ihr Gemach betrat. Sie erinnerte sich an seine auffällig krächzende Stimme. Er stellte sich nicht vor, sondern sagte nur, dass die ehrwürdige Marie de Saint-Clair ihn schicke - das war die Grande Maitresse -, um ihr, Yeza Esclarmunde, mitzuteilen, dass dem Vorhaben des Bretonen nicht stattgegeben wurde, sie also nicht besorgt sein müsse, nach Schaha verbracht zu werden. Yeza erinnerte sich, dass sie den Ritter fragen wollte, was denn stattdessen mit ihr geschehen sollte, aber sie brachte die Frage nicht über die Lippen. Von da an ertrug sie die Fesseln des Giftes in ihren Adern noch gleichmütiger. Sie empörte sich nicht über die nächtliche Verbringung auf das Schiff, überstand wütenden Sturm und tosende Wellen ebenso wie das abrupte Auflaufen des Seglers im Ufersand. Das leichte Schaukeln eines Ruderboots in der Brandung versetzte sie lediglich in wohlige Erregung. Sie wusste sich auch nach dem Verlassen des gestrandeten Schiffes von Templern umgeben, vernahm beruhigenderweise das heisere Krächzen des
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Hageren, den sie als ihren eigentlichen Beschützer ansah. Willig ließ sie sich in ihrer Sänfte vom Meeresstrand weg zu den im Hintergrund aufragenden Bergen tragen.
Für Yves und die ihn und die Sänfte begleitenden Ordensritter war der Marsch durch die Wüste ein weniger angenehmes Unterfangen. Sie hatten das kastenförmige Gestell zwischen zwei Pferden eingehängt, die fehlten ihnen somit zusätzlich als Reittiere. Auf den anderen saßen sie zu zweit, doch die meisten von ihnen mussten zu Fuß gehen. Sie hatten kaum die baumbestandene vorgelagerte Hügelkette erreicht, als sie im Süden, am Fuß des Berg Karmel, unvermittelt einen starken Trupp bewaffneter Reiter herankommen sahen. Es war die Vorhut des Mameluckenheeres, das von dem Angebot der Regierung zu Akkon überraschend schnellen Gebrauch machte und mitten durch die Länder der Franken zog. Die Tempelritter hatten aufgrund ihrer guten Beziehungen zu Kairo zwar bei einem Zusammentreffen mit den Truppen des Sultans normalerweise nichts zu befürchten, aber in Anbetracht des Umstandes, dass sie die Prinzessin Yeza transportierten, beschwor Yves seine Begleiter, sich bedeckt zu halten. So kauerten sie im Schutz des Unterholzes und hofften nur, dass von den Reitern keine ausschwärmen und das kleine Häuflein aufstöbern würden. Doch die Vorhut hielt sich dicht an der Küste und machte keine Anstalten, von ihrer Stoßrichtung auf Akkon abzuweichen.
Yves nutzte die Pause und erlaubte Yeza auszusteigen, auch reichte er ihr zu trinken aus seinem eigenen Beutel.
Die Ritter, von denen nur der Hagere wusste, dass Yeza mit jedem Schluck aus dem kis auch wieder jenes Gift verabreicht bekam, das sie während der gesamten bisherigen Reise so folgsam, ja teilnahmslos erscheinen ließ, betrachteten die zarte Figur der Prinzessin voller Ehrfurcht. Viele empfanden Mitleid mit der bleichen jungen Frau, die anscheinend leidend war, aber ihre Krankheit tapfer ertrug. Der Bretone hatte fürsorglich eine Decke ausgebreitet, und darauflegte sich Yeza nieder und fiel bald in totenähnliche Starre.
Yves wollte sie gerade behutsam auf seine kräftigen Arme nehmen, um die Ohnmächtige wieder in die Sänfte zu betten, als
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eine Kamelkarawane in den Hügeln erschien und die Lagernden sogleich entdeckte. Der größte Schreck traf jedoch den Bretonen, denn der spindeldürre Derwisch, der auf dem vordersten Kamel ritt, war kein anderer als Jalal al-Sufi, den Yves in Palmyra bereits als glühenden Verehrer der Prinzessin erlebt hatte und der damals schon übel genommen hatte, dass Yves ihnen die Königin entführte. Mit kleinem Aufschrei des Entsetzens rutschte der kleine Derwisch von seinem Tier.
»Oh, mein Geliebter!«, rief er und stürzte zu der Liegenden. »Hast du sie zu dir genommen?«
Yves hielt ihn davon ab, sich neben Yeza niederzuwerfen. »Die Prinzessin ist nicht tot«, beruhigte er den aufgeregten Jalal, »die Prinzessin schläft einen heilsamen Schlaf!« Mit diesen Worten führte der Bretone den Derwisch zurück zu seiner Karawane. »Was transportiert Ihr da?«, fragte er beiläufig und besah sich verwundert die gewaltige Teppichrolle. Ein plötzlicher Argwohn stieg in ihm auf. »Der Kelim?«
Jalal al-Sufi nickte eifrig und lächelte. »Meine Freunde«, er wies auf die ihn begleitenden Beduinen, »haben ihn bei Baalbek gefunden - blutbefleckt und herrenlos! Sie hörten dann von den Leuten, er sei ein Gastgeschenk für den Il-Khan der Mongolen -«
Yves schaute dem Kleinen streng in das heitere Gesicht. »Hat man ihnen auch gesagt, dass tausend böse djinn in ihm wohnen und er Unheil bringt?!«
Das brachte den Derwisch erst recht zum Lachen. »Deswegen tragen wir ihn jetzt zu den Mongolen, damit diese ungläubigen Invasoren unseres Landes den Fluch der Übel bewirkenden Geister endlich zu spüren bekommen!«
Der Bretone wusste nicht recht, ob er nun selbst an die Zauberkräfte des Teppichs glauben oder das ganze Gerede als schlichten Humbug abtun sollte. Er drohte dem Derwisch mit erhobenem Finger. »Macht, dass Ihr weiterkommt, bevor die Prinzessin erwacht! Ich möchte ihr den Anblick ersparen - «
Beleidigt kletterte Jalal al-Sufi auf sein Kamel, und die Karawane setzte sich wieder in Bewegung. Kaum war sie entschwunden, drängten die Templer ebenfalls zum Aufbruch. Die Prinzessin
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wurde - immer noch totenähnlich schlafend - wieder in die Kissen ihrer Sänfte gebettet, und der Zug trat den mühseligen Weg durch das Gebirge an, in Richtung der Templerburg Safed, die das Jordantal in der Höhe der Jakobsfurt bewachte.
DIE MAMELUCKEN hatten ihr gewaltiges Heer zügig durch die Sanddünen der Bucht von Haifa nach Akkon geführt. Damit befanden sie sich bereits auf ungefähr gleicher Höhe mit den Mongolen, von denen ihre Gegner nun erwarteten, dass sie sich - nach Überquerung des Jordan -jetzt zum See Genezareth hinabbewegten. Doch die Kenntnis eines solchen Schritts würde einzig den Mamelucken vorbehalten sein, die in ihrer vorgeschobenen Position nichts zu befürchten hatten, standen sie doch mit ihrer Flotte übers offene Meer in steter Verbindung und hatten mit Akkon eine ihnen nicht feindlich gesonnene Stadt im Rücken. Die Mongolen hingegen waren von allen Nachrichten abgeschnitten, ihre Späher hatten noch keine Witterung des Gegners aufnehmen können.
Die Vorhut des ägyptischen Heeres, unter dem Kommando des Emir Baibars, hatte das Lager für die
Hauptmacht, die Sultan Qutuz persönlich heranführte, vor den Mauern von Akkon in den Obsthainen vorbereitet.
Der Bailli der Königin lud - in Absprache mit den Großmeistern der Ritterorden - Baibars und sein Gefolge ein, die Stadt als Ehrengäste zu besuchen. Sie wurden zwar nicht herumgeführt, man gab ihnen ein Bankett, aber die Eindrücke reichten - für einen fähigen Heerführer wie Baibars allemal -, sich ein Bild vom Zustand der Festungswerke und deren Bemannung zu machen. Als die Mameluckenemire in ihr Lager vor der Stadt
zurückkehrten, war inzwischen der Sultan eingetroffen. Baibars eilte, ihn zu begrüßen, und berichtete sofort ausführlich über die Lage der Stadt und die dort angetroffenen Möglichkeiten, sie zu verteidigen, die er als außerordentlich gering einschätzte. Vertraulich ließ er Qutuz wissen, dass es für die Mamelucken keinerlei Problem darstellen würde, die Mauern in einem Überrumpelungsangriff zu überrennen, doch der Sultan wies ein solches Ansinnen
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scharf zurück, nicht so sehr ob seiner Unehrenhaftigkeit, sondern weil er mit einem derartigen Wortbruch sämtliche christlichen Barone und die Ritterorden allemal auf einen Schlag ins Lager der Mongolen treiben würde. Solange dieser Feind noch unbesiegt sei, könnte eine solche Allianz, die Ägypten bisher erfolgreich hintertrieben hätte, sich zur größten Gefahr für sein Heer auswachsen, zumal man sich weit entfernt vom eigenen Territorium und Nachschub befände. Denn im Gegensatz zu den Mongolen verfügten die Kreuzfahrerstaaten, die italienischen Seerepubliken und die Orden über ansehnliche, kampferprobte Flottenverbände, die mehrfach den Ägyptern ihre Überlegenheit und ihre Vormachtstellung auf dem gesamten Mittelmeer bewiesen hätten. Auch zu Lande, wo sich eine solche kriegerische Auseinandersetzung abspielen würde, kannten sich die Franken bestens aus und konnten auf ihre starken Burgen zurückgreifen. Der düpierte Baibars schluckte seinen Ärger hinunter -
vergessen würde er die Zurückweisung nicht!
Als hätten die Herren der Stadt derart gefährliche Gedankenspiele gerochen, schränkten sie am nächsten Tag die Anzahl der zu ihren Märkten zugelassenen Besucher gewaltig ein, sodass sich nie mehr als eine überschaubare Menge Fremder innerhalb der Mauern aufhielt. Als Qutuz von dieser Maßnahme vernahm, schickte er Baibars nochmals zum Bailli Gottfried von Sargines, um ihm zu versichern, dass der Sultan hoch erfreut über das bisherige Zusammenwirken sei und man sich gern erkenntlich zeigen wolle, indem den Franken sämtliche erbeuteten Pferde zu herabgesetzten Preisen angeboten würden.
Sultan Qutuz hatte bereits der Vorhut unter dem Emir Baibars den Befehl gegeben, sich marschierbereit zu halten, als Spione meldeten, das mongolische Heer habe nach Durchquerung der Jakobsfurt Halt gemacht. Diese Nachricht beunruhigte die Mamelucken gewaltig. Baibars drängte darauf, in einem nächtlichen Eilmarsch bis nach Nazareth vorzustoßen. Sie überlegten noch, als eine neue Meldung eintraf, Kitbogha habe sein Lager abgebrochen und bewege sich, an den Hörnern von Hattin vorbei, auf das am See gelegene Tiberias zu.
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In der Tat hatte der Oberkommandierende des mongolischen Heeres sich entschlossen, nicht länger auf Sundchak zu warten, sondern ihm Boten geschickt, dass der General seine Truppen bis zu dieser Stadt führen solle, um sie dort mit dem Hauptheer zu vereinen. Daraufhin ließ der Sultan die Vorhut losmarschieren und folgte ihr am nächsten Morgen nach.
Auf diese Weise befand sich sowohl Yeza, eskortiert von Yves und den Templern auf ihrem beschwerlichen Weg ins Landesinnere gen Safed, zwischen den Fronten, als auch vor allem Roc und sein kleiner Haufen, der nicht ahnte, wie dicht hinter ihm bereits der General Sundchak folgte.
ROC TRENCAVEL hatte eine seltsame Unruhe ergriffen, seitdem er des südwärts ziehenden Heeres der Mongolen ansichtig geworden war. Das war nicht irgendeine zur Erkundung oder Bestrafung ausgesandte Truppe, sondern die Kernmacht der Mongolen, eine schwerwiegende Entscheidung, denn das Ziel konnte nur Jerusalem - oder noch Größeres sein. Was hatte Kitbogha zu einem solchen Schritt veranlasst, nachdem er wochenlang sich mit Damaskus begnügt hatte? Irgendetwas bewog Roc, sich mit dem Zusammentreffen nicht zu beeilen, es war ihm durchaus bewusst, dass er versuchte, der Wahrheit auszuweichen. Entweder er traf Yeza dort im Lager der Mongolen an -was er herbeisehnte, aber auch fürchtete. Die von vielen betriebene und von noch mehr Kräften hintertriebene Zusammenführung des Königlichen Paares würde ihrer beider Schicksal besiegeln, die mongolische Führung würde sie nicht wieder auslassen. Auf Gedeih und Verderben wären sie ihrem Machtwort ausgeliefert, würden auf ihren Thron gesetzt, eine Vorstellung, die Rog mehr und mehr unheimlich ankam, also ob unter seinem Sitz die Feuer der Hölle glühten - oder der Eishauch des Todes ihn und Yeza erfassen könnte!
Gemäß seines unsteten Wesens wollte sich Rog Trencavel bis zuletzt die Möglichkeit offen halten, Yeza zu finden - oder auch nicht! Solange er unerkannt seines Weges zog, mit dem Gedan-467
ken spielen konnte, seine Prinzessin sei in der Hand der Templer und die Entscheidung, ob er sie befreite, als strahlender Held rettete, als Liebender umarmte, sich mit ihr in sein Glück stürzte und die Erfüllung seines Lebens fand, läge einzig und allein bei ihm, musste er sich nicht festlegen! Natürlich liebte er Yeza, über alles in der Welt! Aber das große Abenteuer, deuchte ihn, würde nur andauern, wenn er jeder Bindung aus dem Wege ging, sich allem, was von ihm erwartet wurde, nicht stellte, keine Verantwortung übernahm, der Liebe keine Macht über sein Herz einräumte -
Seine drei Okzitanier, die einträchtig vor ihm an der Spitze des Zuges ritten, waren womöglich die besten Weggefährten für jemanden wie ihn, sie hatten den Verlust ihrer Weiber weggesteckt, so wie er es insgeheim von ihnen erwartet hatte - Liebe kommt, Liebe geht!
Roc ließ Baitschu, der die ganze Zeit stolz neben ihm getrabt war, in der Obhut seiner ihnen nachfolgenden mongolischen Eskorte zurück. Dem musste sich der Knabe fügen, und der Trencavel schloss auf zu Terez, Guy und Pons. Sie drängten ihn nicht, sich mit Kitbogha zu vereinen, sie fragten nicht einmal, was denn nun seine Pläne seien, sie respektierten ihn als den Anführer, erwarteten nichts und waren zu allem bereit.
Yves der Bretone hatte darauf bestanden, eine letzte Rast einzulegen, als der hagere alte Templer, der seinen Namen nicht preisgab, ihn hatte wissen lassen, dass sie jetzt bald das Ziel ihres mühseligen Marsches erreicht haben würden, Safed, die Ordensburg, die den See Genezareth überblickte und auch die Furt durch den Jordan bewachte. Der Trupp der Ritter mit der Sänfte näherte sich ihr, von der Meeresbucht zwischen Akkon und Haifa kommend, durch die hügelige Berglandschaft, die ihnen auch die Sicht auf das breite Jordantal verwehrte. Der Weg, den sie jetzt einschlagen mussten, an dessen Ende sich Safed erheben sollte, folgte, in tiefeingeschnittener Schlucht, einem nur im Winter Wasser führenden Gebirgsfluss. Der Groß-Prior hatte gehofft, mit seiner Ankündigung zu erreichen, dass sie jetzt, unter Aufbietung aller Kräfte, bis ins Ziel durchhalten würden, doch Yves nahm den erzwungenen Aufent-468
halt als seine letzte Chance, die Ankunft zu verzögern. Einmal auf der Burg, das war ihm klar, würde er sich dem Diktat des Ordens fügen müssen - und das würde nie und nimmer so ausfallen, wie er sich die Erfüllung seiner Aufgabe, seiner Pflicht vorstellte. Sie würden ihm die Aufsicht über Yeza entziehen, sich zwischen ihn und die Prinzessin stellen. Hier war es das letzte Mal, dass er das Sagen hatte. Also hatte er die zwischen Schlaf und Ohnmacht Schwebende aus der Sänfte gehoben und - wie immer - auf der Decke gebettet, die Wirkung der Tropfen hielt noch an, sodass er ihr vorerst keinen weiteren >Heiltrank< einflößen musste.
Der hagere alte Templer, der nach Yves' Einschätzung nur um Yezas willen an dieser Reise teilnahm - sicherlich im Auftrag der Grande Maitresse -, winkte den Bretonen beiseite. »Es macht keinen Sinn, Bruder Yves«, krächzte er mit geflüsterter Stimme, womit er sich als - sicher ranghohes - Mitglied der geheimen conjrater-nitas zu erkennen gab, der auch der Bretone angehörte, »dass Ihr Euch weiterhin gegen den Ratschluss stemmt und darauf besteht, die Prinzessin in eine Sicherheit zu verbringen, die keine wirkliche Sicherheit ist - ein Vorhaben, von dem selbst die Mongolen inzwischen wieder abgerückt sind.« Yves hörte sich den Vortrag des Alten an, aber seine Ohren waren verschlossen. Er tat seine ablehnende Haltung auch nicht durch eine wie auch immer geartete Erwiderung kund. »Das Königliche Paar kann nicht »aufbewahrt werden wie eine verderbliche Frucht im Eis«, fuhr der hagere Templer deswegen unbeirrt fort. »Es muss seine Erfüllung jetzt und hier erfahren -«
Diese Aussage brachte den Bretonen nun doch dazu, seine Deckung zu verlassen, und zwar zornig. »Angesichts der bevorstehenden Auseinandersetzung könnte das ihren Tod bedeuten!«
Der Alte sah ihn an, ohne die Spur der geringsten Betroffenheit. »Der leibliche Tod des Königlichen Paares ist womöglich der Idee jenes alles umfassenden, alle Konflikte ausgleichenden Königtums wesentlich hilfreicher als eine schwache Herrschaft völlig überforderter Lebewesen!« Yves war wie vor den Kopf geschlagen, was der Hagere dazu benutzte, etwas wie ein Einlenken zu zeigen. »Der Große Plan sollte - aus Gründen der Legitimation - der heili-469
gen königlichen Blutslinie folgen, aber er muss nicht!« Sein leiser, krächzender Tonfall zog den Bretonen ins Vertrauen. »Wenn dem jetzigen Königspaar keine Nachkommen beschieden sein sollten, dann ist die Weitergabe der unsichtbaren Krone auch als Erbe des Geistes vorstellbar. Der Gral kann sich in jeder Form, in noch so manchen Menschenwesen, auf dieser Erde manifestieren - «
Yves fühlte sich von dieser fast konspirativen Eröffnung des Alten unangenehm berührt. Was wusste er, wie weit die Vollmachten gerade dieses merkwürdigen Templers gingen, was wusste er überhaupt von dem Großen Plan? Der Bretone raffte sich zu einer Entgegnung auf, obgleich es ihm zutiefst zuwider war, sich auf eine solche Diskussion einzulassen. »Ich weiß nicht, wer mich an diesen, meinen Platz gestellt hat, aber in mir findet Ihr einen einfachen Mann, der gelernt hat, seine Aufgaben hier und heute zu erledigen. Ich bin daher keineswegs bereit, Rog und Yeza auf den Abfallhaufen der Geschichte zu werfen wie rostiges oder stumpfes Eisen - « Yves schien einen Moment selbst von seinen Worten überwältigt, er bedachte ihren Inhalt erst im Nachhinein - und sah die Gefahr, in die er nicht nur Yezas, sondern auch sein eigenes Leben brachte, denn den alten Templer würde es nicht mehr als ein Fingerschnippen kosten, um sie wie ihn auf der Stelle vom Erdboden verschwinden zu lassen, aber Furcht hatte der Bretone nie an sich herangelassen, und er wusste auch, dass die Prinzessin - in der Lage, frei nach ihrem Willen zu entscheiden - ganz sicher vor dem letzten Schritt nicht zurückschrecken würde. Wenn der Templer etwas bewirkt hatte, dann war es die Einsicht des Bretonen in sein bisheriges Handeln. Ganz gewiss wollte er nicht den Willen anderer an der Prinzessin vollstrecken! Er würde auch nicht länger ihren Kerkermeister abgeben, sondern Yeza freistellen, zu gehen, wie und wohin sie es wünschte, sobald sie die Templerburg Safed hinter sich hätten.
»Lasst uns jetzt wieder aufbrechen«, schlug er dem Hageren vor, »ich wünsche nicht, dass die Prinzessin irgendetwas von dem mitbekommt, was Ihr mir offenbart habt, es könnte sie belasten!«
So kehrten der Bretone und der alte Templer zu dem Lagerplatz zurück.
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Yeza war zwar ohnmächtig, was den Gebrauch ihrer Glieder anbetraf, nicht einmal die Lippen, geschweige denn ihre Augenlider vermochte sie zu bewegen, aber keineswegs war sie »bewusstlos«! Vor ihren weit aufgerissenen Pupillen nahm sie wie durch milchiges Wasser schemenhaft die weißen Clamys der Templer wahr, körperlose, verschwommene Gestalten, die sie besorgt umringten. Sie hörte die krächzende Stimme des Hageren und seinen Disput mit dem Bretonen. Es ging um sie, sie konnte nicht eingreifen, nicht einmal sich wenigstens Gehör verschaffen bei diesen Männern, die vorgaben, ihr Bestes zu wollen, und aus diesem Anspruch heraus über sie verfügten, als sei sie ein Wesen ohne eigenen Willen oder, schlimmer noch, so krank im Kopf, dass man sie behandeln musste wie eine arme, gebrechliche Idiotin - oder wie eine höchst gefährliche, unberechenbare Irre!
Yeza war derart empört über ihre Ohnmacht und ihr zugleich ergeben, dass sie - unkontrollierbare Folge des Giftes -jedes Bemühen um Wachsein, um ein bewusstes Miterleben aufgab und sich wieder in diese
totenähnliche, apathische Starre fallen ließ -
Der Trencavel war nicht der Erste, der die Gruppe der Templer unten im Tal verharren sah, das war Guy de Muret gewesen, der misstrauischer als seine Gefährten ständig nach Gefahren Ausschau hielt. Aber Roc erspähte sofort die Sänfte und die dunkle Gestalt des Bretonen zwischen den weißen Clamys, schon weil Yves bei der Liegenden kniete, während die Templer sie umstanden. Da wusste Rog, dass es Yeza war, und sein Herz schlug bis zum Halse! Er preschte los, den steilen Hang hinunter, ehe auch nur einer der Okzitanier begriffen hatte, was in ihm vorging. Sie folgten ihm blind. In wilder Jagd stoben sie den felsigen Abhang hinab, doch Rog war schneller, seine Gedanken überschlugen sich: Yeza war tot! Ermordet oder schuldhaft ums Leben gebracht, anders konnte es gar nicht sein! Er zerrte im Ritt sein Schwert aus der Scheide.
»Mörderpack!«, schrie er wie von Sinnen. »Elende, feige Mörder, die ihr seid!«, sein Gaul stolperte, hätte ihn fast abgeworfen, vor die Füße der konsterniert verharrenden Ritter. Einzig der Älteste, der hagere Templer, ermannte sich. »Ihr irrt!«, krächzte er
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und griff gekonnt in die Zügel des durchgehenden Pferdes, doch Roc schlug sofort zu, traf den Hilfsbereiten zwischen Schulter und Hals, klaglos stürzte der zu Boden, während Roc bereits auf die nächsten Templer einhieb, die sofort eine Mauer zwischen dem ungestüm Angreifenden und der am Boden liegenden Yeza gebildet hatten. Inzwischen waren auch die drei Okzitanier zur Stelle. Die Ordensritter ließen ihren Zorn über den unbedachten - wenn nicht tückischen - Totschlag des Hageren an ihnen aus. Yves nahm sich sofort zurück, als er sah, dass er die Streitenden nicht mehr trennen konnte. Breitbeinig, wie der Erzengel an der Pforte zum Paradies, sein riesiges Schwert vor sich in den Boden gerammt, hielt er über seiner Schutzbefohlenen Wacht. Doch ihn suchten die Rache heischenden flackernden Augen des Trencavel! Yeza sah Roc, ihren Geliebten und törichten Helden. Sie sah ihn wie eine Ertrunkene durch klares dickes Eis eines zugefrorenen Sees. Mit keinem Wimpernschlag konnte sie das Missverständnis noch aufhalten. Es fielen keine Worte mehr, nur das Kreischen von Stahl gegen Stahl und das Fauchen der Schwerter klang in den Ohren.
Der kleine dicke Pons brüllte: »Für Yeza Esclarmunde!«, und rannte gegen die Templer an. Der fröhliche Graf von Tarascon starb mit dem Namen seiner Herrin auf den Lippen. Guy de Muret hatte den tödlichen Stoß nicht mehr hindern können, sein Hieb trennte dem Tempelritter den Schwertarm glatt von der Beuge. Guy schaute einen Augenblick zu lang auf das Bild vom Schwert im Herzen seines Freundes, der Knauf noch umklammert von der Hand des Templers - dass er sich selbst eine Blöße gab und ihm eine Klinge in die Schulter schnitt. Wie ein Berserker schlug er dem Angreifer über den Helm, stach einem zweiten in den Unterleib, bevor ihn ein dritter mit seiner Lanze niederstreckte. Der Trencavel, der seinen Blick nur für die Dauer der Schläge, die er austeilte, von dem zwischen ihm und Yeza stehenden Yves abwandte, sah den Stoß nicht kommen, Terez sprang ihm bei und stieß dem Templer die Spitze seines Schwertes zwischen Harnisch und Brünne, doch das nutzte ein anderer, hackte dem Grafen von Foix in die Kniekehle, Terez fiel vornüber, der Ritter holte aus zum Fangstoß ins Genick, da fuhr ihm ein Pfeil in die Brust, und er stürzte über sein Opfer. Roc dreh-472
te - seine Waffe im Rundschlag kreisen lassend - sich nur kurz um nach Baitschu: Der eiserne Ring seiner mongolischen Eskorte ließ den Knaben nicht aus, aber sie begannen mit Pfeil und Bogen gezielt in den Kampf einzugreifen, denn mehr und mehr Ordensritter zerrten wütend an den tückischen Geschossen, die sich in ihrem Fleisch verhakt hatten. Die kurze Ablenkung - die Templer stürmten auf der Stelle gegen den neuen Feind, eine Lücke - nutzte Roc, um tollkühn dem Bretonen vors breite Schwert zu springen. Yves zog die Waffe eher zurück, als dass er sie gegen den Trencavel erhob. Rogs Blick war auf das wachsbleiche Gesicht Yezas gefallen.
Er sah in ihre weit aufgerissenen Sternenaugen. Einmal noch sollte sie ihn sehen!
»Stellt Euch, Bretone!«, keuchte er dem Zurückweichenden entgegen, der abwehrend seine breite Klinge Roc entgegenhielt.
»Macht Euch nicht unglücklich, Trencavel!«
Hasserfüllt und unbedacht unterlief der die messerscharfe Schneide mit geschickter Finte, sein eigenes Schwert zielte auf das Gekröse des Bretonen, Yves riss schützend sein Knie hoch, Rocs Klinge fuhr ihm mit raschem Schnitt über das Handgelenk, das schwere Richtschwert senkte sich unerbittlich gegen die Halsbeuge des Vorwärtsstürmenden.
»Sie lebt!«, beschwor ihn Yves vor Schmerzen stöhnend, er konnte das Gewicht des Eisens nicht länger halten.
Sehenden Auges, doch ohne ein Gefühl der Verwundung nahm Yeza wahr, wie Rog sich selbst immer tiefer in den Hals schnitt - ihr Todeskuss überdeckte den Moment, in dem er willigen Muts die eigene Lebensader durchtrennte. Sein Kopf fiel zur Seite, sein Blut ergoss sich über ihren Leib, als er auf Yeza sank. Yves hatte seinen Zweihänder fahren lassen, versuchte den tödlich Verwundeten aufzufangen, er entglitt seinen Händen.
Mit spitzem Schrei hatte sich Baitschu seinen Bewachern entwunden, war den gegen sie andrängenden Templern durch die Beine geschlüpft und hob seinen Dolch trotzig gegen Yves.
»Warum hast du -!?«, stammelte er weinend, da hatten die blutigen Arme des Bretonen ihn schon umfangen und schützend an sich gerissen, denn einer der Templer mochte auch dem Knaben die Flucht nicht gönnen und war ihm nachgesetzt. Die zahlenmäßig
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überlegene mongolische Eskorte Baitschus hatte die Templer - außer sich vor Wut - in Stücke gehackt, bis auf den letzten Mann. Doch mehr als die Hälfte aller Ordensritter bedeckte die Walstatt -
Yves' Blick ging in das Land, hing verloren zwischen den Hügeln. Er sah den Karren herankommen, den gleichen hochrädrigen Karren, der ihm schon begegnet war, als er einst zum Heer der Mongolen stieß. Das Gefährt schwankte - genauso wie damals trug es auf dem emporragenden Gestell den vergoldeten Thron, umgeben von dem käfigartigen Gitter - Schutz und Gefängnis zugleich. Der Prunkwagen - gezogen von vier Doppelgespannen - kam, das Königliche Paar heimzuholen ...
YEZA ERWACHTE, es gelang ihr, die Augen zu schließen. Mit einem Blick hatte sie wahrgenommen, dass die wüsten Bilder, deren Töne auf sie eingeschlagen, eingestochen hatten, Wirklichkeit waren: Neben ihr lag Roc Trencavel in seinem Blut, alles Leben war aus ihm gewichen. Sie tastete nach seinem Haar, ihre Fingerspitzen glitten über sein Gesicht, berührten seine Lippen. Yeza dankte Gott für diese Gunst, dies alles mit geschlossenen Augen erfahren, sich noch ein letztes Mal vorstellen zu dürfen, dass sie gleich neben dem schlafenden Geliebten erwachen würde ...
Das Erwachen war nüchtern, Grausamkeit konnte ihr nichts mehr anhaben. Sie empfand auch keinen Schmerz, eher eine ungeahnte Erleichterung, deren sie sich nicht schämte. Alle Zweifel, alles Bangen und Hoffen waren ihr genommen, waren von ihr abgefallen! Für die eingetretene Leere lohnte es sich nicht länger zu leben, diese Klarheit umflutete sie wie helles Licht, nicht wohltuend matt und milde, sondern beglückend in ihrem Versprechen, dass hinter der Helligkeit von tausend Sonnen ihre Seele das Paradies erlangen werde -
Dicht bei dicht umstanden die mongolischen Soldaten des General Sundchak die Prinzessin. Yeza richtete sich auf. Von den Tempelrittern hatte keiner das Eintreffen dieser Truppe überlebt, sie waren regelrecht abgeschlachtet worden. Einzig Yves hatten die Mongolen
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auf Befehl Sundchaks in Ketten gelegt. Baitschu, der sich verzweifelt an den Bretonen geklammert hatte, war von ihm weggerissen und in die Sänfte gesteckt worden. Der Karren mit dem goldenen Thron war eingetroffen.
Yeza wurde behutsam über eine Leiter auf die obere Plattform geleitet, wo sie Platz nahm, steif wie eine Puppe.
Sie sah mit ausdruckslosem Blick von oben auf das Geschehen zu ihren Füßen, während Rocs Leichnam, in die blutige Decke gehüllt, von mehreren Kriegern, die eine Kette bildeten, zu ihr hinaufgehoben wurde. Sie schlug das verhüllende Tuch zurück und bettete das Haupt des toten Geliebten in ihrem Schoß. Mit der ihr eigenen Autorität bestand Yeza darauf, dass der Käfig nicht geschlossen wurde. Sundchak wollte keine weitere Zeit verlieren, er ließ den Bretonen hinten an den Karren ketten, sodass er dem Gefährt wie ein Armsünder zu Fuß folgen musste. Dann gab der General das Zeichen zum Aufbruch, insgeheim bleckte der Fleischerhund die Zähne im Vorgeschmack, als er sich das Gesicht Kitboghas vorstellte, wenn er dem sein wertes Königliches Paar zu Füßen legte. Damit würde er seinen Vorgesetzten tief ins Mark treffen!
Auch Yeza dachte an Kitbogha, an den Schmerz, den sie ihm zufügen würde. Einziger Trost mochte für den bärbeißigen Alten sein, dass er seinen Sprössling Baitschu wieder in die Arme schließen konnte. Yeza bedachte selbst die Situation von Yves. Wie auch immer es geschehen sein mochte, es machte keinen Sinn, den Bretonen dafür mit seinem Blut zahlen zu lassen, wie sich Sundchak das frohlockend vorstellte und es auch alle Welt wissen ließ. Yeza beschloss die Zeit, die ihr noch verblieb, gerade weil der Traum zerstoben, nun erst recht als willensstarke Königin zu wirken, Herrin über Leben und Tod! -
So rollte der Karren mit dem goldenen Thron dahin, vorbei an den Hörnern von Hattin, jenen Hügeln, bei denen Saladin den Christen einst die entscheidende Niederlage beibrachte, ihnen Jerusalem wieder nahm. Doch daran erinnerte sich keiner von denen, die jetzt eilends südwärts zogen, nicht die Mongolen, nicht Yves noch Yeza mit dem Toten im Arm. Das Königliche Paar endlich vereint ...
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EIN TEPPICH IN DER WÜSTE
Aus der Chronik des William von Koebr uk
Ich weiß nicht, ob die Mongolen ein Auge hatten für die Lieblichkeit der Landschaft, in der Kitbogha sie ihr Feldlager hatte aufschlagen lassen. Den Oberkommandierenden plagten ohne Zweifel andere Sorgen. Er zog gegen einen Feind, dessen Stärke er nicht kannte, er wusste wenig über die Strategie seines Gegenspielers Baibars - nicht einmal genau, wo dieser stand. Als ich am Morgen auf das Heer der Mongolen stieß, hatte ich den Eindruck, dass sie sich eng zusammengeballt am Ufer des Sees von Genezareth versammelt hatten, als suchten sie gegenseitig einander Geborgenheit und Zuversicht zu geben. Die kleine, aber gut befestigte Stadt Tiberias ließen sie - entgegen ihrer Gewohnheit - unbehelligt, requirierten lediglich die Früchte der Gärten und Felder, wie auch alle Herden, deren sie im reichen Umland habhaft wurden. Überall drehten sich fette Hammel und Rinder am Spieß, wurde geschmurgelt und gebacken, als wolle man sich den Wanst noch einmal so recht voll schlagen, bevor - bevor was?!
Dass sie auf einen Feind warteten, war ihrem Verhalten nicht zu entnehmen. Dass sie willens waren, den Mamelucken entgegenzuziehen und ihnen die Schlacht aufzuzwingen, noch viel weniger. Und doch warteten sie auf etwas, und zwar voller - wenn auch nicht eingestandener - Unruhe und Besorgnis. Sie ergriff mich, obgleich ich nicht im Geringsten ahnte, was auf mich zukommen würde. Ich war gerade im Begriff, mich zum Zelt Kitboghas zu begeben, um dem Feldherrn meine Aufwartung zu machen, als das Ereignis eintrat.
Von Norden kommend, womit ich nicht gerechnet hatte, weil
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ich das Heer bereits für vollzählig hielt, führte der General Sund-chak die siegreichen, mit Beute beladenen Truppen aus Sidon heran. Dem jubelnden Lager gab das Auftrieb, bei mir erregten diese Soldaten nur Abscheu, wenn ich daran dachte, wie sie in der eroberten Stadt gehaust, sich mit Blut besudelt hatten! Doch blieb mir keine Zeit, um mich über diesen Schlächter Sundchak zu erregen, denn mit ihnen traf ein Gefährt ein, das mir, schon als ich seiner von weitem ansichtig wurde, Schauder einjagte. Düster und vor allem unheimlich grausam in seiner Anmutung, rumpelte ein gewaltiger Karren heran, er trug ein hoch aufragendes Gestell, das durch einen goldenen Käfig gekrönt war -
Und dann erkannte ich das gebeugte menschliche Wesen, ein junges Weib, auf dem Thron: Es war Yeza! Und auf ihren Knien hielt sie einen Toten! Den toten Geliebten! Ich war entsetzt, ich rannte weg. Roc Trencavel getötet? Mir war es, jemand zerrte an meinem Herzen, um es mir aus der Brust zu reißen! Da ich mich mehrfach umdrehte nach der goldenen Hinrichtungsmaschine, die hoch über die Jurten ragte, mich zu verfolgen schien, fiel ich über die eigenen Füße, mit dem Gesicht in den Dreck. Ich schlich mich in das Zelt des Feldherrn, hockte still in eine Ecke, zitterte am ganzen Leib - und konnte nicht weinen!
Der General Sundchak schritt triumphierend als Erster über die Schwelle. Er meldete dem Feldherrn den erfolgreichen Ausgang seiner Mission gegen die Stadt der Templer. Kitbogha verzog keine Miene. Das hatte Sundchak auch nicht anders erwartet. Er forderte seinen Vorgesetzten scheinheilig auf - draußen wurden Rufe laut, sie klangen nicht begeistert, eher zeugten sie von großer Erregung -, vor das Zelt zu treten. Von vier Doppelgespannen gezogen war dort der hochrädrige Karren zum Stehen gekommen. Kitbogha leistete der Einladung keine Folge, würdigte den General nicht mal einer Antwort, er schickte einige seiner Unterführer hinaus, ich folgte ihnen beklommen.
Yeza verließ gerade und ohne Hilfe das Goldene Gehäuse oben auf der Spitze der hölzernen Pyramide. Sie stieg hinab wie eine Königin, wie eine kriegerische Göttin, unnahbar. Den Leichnam
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des Toten hatte sie zuvor auf den breiten Thronsessel gebettet. Da lag nun der Trencavel hoch über seinem Volk, das zu regieren ihm nicht vergönnt gewesen. Viele schauten andächtig hinauf, einige hatten Tränen in den Augen. Es war still geworden, als Yeza - ohne ihn zu beachten - an Sundchak vorbei das Zelt ihres alten Freundes und Förderers Kitbogha betrat. Der Alte war aufgesprungen, und die beiden umarmten sich lange. Ob wortlos, wüsste ich nicht zu sagen, denn sofort darauf wurden Wachen hinausgesandt, und die kamen mit dem immer noch geketteten Bretonen zurück. Kitbogha befahl seinem General barsch, Yves von seinen Fesseln zu befreien.
»Bis zu seiner Verurteilung handelt es sich immer noch um den Gesandten des Königs von Frankreich!«, belehrte er den vor Zorn rot angelaufenen Sundchak, der sich sträubte, den Befehl auszuführen. Das übernahmen die zurückgekehrten Unterführer, aber sie zwangen Yves vor Kitbogha in die Knie. Der schaute fragend auf Yeza. Die Königin sah lange gedankenverloren auf den Bretonen, bevor sie nicht nur ihn, sondern alle im Zelt ansprach.
»Es ist gekommen, wie es kommen musste«, sagte sie leise, um dann mit klarer Stimme fortzufahren, »Könige werden von Gott eingesetzt und nicht von Menschenhand - weder von solchen, die sich >Herrscher der Welt< glauben, noch durch Macht geheimer Orden!«
Sundchak schnaubte vernehmlich, er sah seine Felle wegschwimmen, zumindest das des Bretonen, für den er wenigstens das Häuten bei lebendigem Leibe vorgesehen hatte. Aber auch Kitbogha reagierte unwirsch. »Durch seine Hand kam Rog Trencavel zu Tode!«, protestierte er.
»Gewiss«, sagte Yeza mit eiserner Ruhe. »Herr Yves ist der.Tod. Damit muss er leben.« Sie zwang Kitbogha in den Blick ihrer graugrünen Sternenaugen, bis der Alte unmerklich beigab und sich von Yves abwandte.
»Es steht mir nicht an, Euch das Leben zu schenken, sondern ich will nur dafür sorgen, dass es Euch keiner nimmt!« Yeza war zu dem Knieenden getreten, aber sie reichte ihm nicht die Hand. »Steht auf, Herr Yves, Ihr seid ein freier Mann!«
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Doch der Bretone rührte sich nicht vom Fleck. »Gebt mir die Freiheit«, erwiderte er mit seiner trockenen Stimme, »hier zu knien, bis ich aus Eurem Munde erfahre, dass Ihr für Euch das Leben erwählt - «
Yezas Augen verdunkelten sich, sie wollte heftig auffahren, doch dann gewann sie ihre Beherrschung zurück.
»Kniet, so lange Ihr wollt!«, sagte sie leichthin. »Niemand soll mich fürderhin unter Zwang oder Druck setzen, auch Ihr nicht.« Sie trat kühl lächelnd vor Kitbogha. »Ich habe beschlossen, meinem Leben ein Ende zu setzen.«
Dieser klare Satz ließ alle im Zelt erschrocken zusammenfahren. Mit versteinertem Gesicht erteilte der alte Feldherr den Wachen Befehl, das Zelt von allen Besuchern zu räumen, dem musste sich auch Sundchak beugen und sämtliche Unterführer. Mich wollten sie gleichermaßen entfernen, aber obgleich keiner für mich ein Wort eingelegt hatte, ließen sie von mir ab, vielleicht weil ich ihnen mein Holzkreuz fest umklammert entgegenstreckte.
Auf einer Bahre wurde der Trencavel hereingetragen. Sie hatten ihn bis zum Kinn mit schwarzem Tuch bedeckt, sodass die Wunde und das Blut nicht zu sehen waren, nur das wachsbleiche Antlitz meines Helden. Der Leichnam wurde inmitten des Raumes aufgebockt, grad' vor dem immer noch knienden Yves. Ich trat hinzu und faltete die Hände.
Requiem aeternam dona eis Domine: et lux perpetua luceat eis.
Yeza runzelte die Stirn, was mich aber nicht vom Totengebet abhielt.
Je decet hymnus Deus in Sion,
et tibi reddetur votum in Jerusalem:
Auch Yves bewegte seine Lippen, nur sie stand da und starrte verträumt auf das Gesicht des Geliebten.
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Exaudi orationem meam, ad te omnis caro veniet.
Ich senkte meine Stimme, um ihre Andacht nicht zu stören.
Requiem aeternam dona eis Domine:
Nachdenklich, doch mit einem Ausdruck siegesgewisser Entschlossenheit wandte sich Yeza von der Bahre ab.
Et lux perpetua luceat eis
... flüsterte ich den Abschluss des Gradual. Diesmal kämpfte ich mit den Tränen.
Wir waren jetzt allein, auch die Wachen hatten sich zurückgezogen. Ich fühlte mich verpflichtet, meiner kleinen Prinzessin den Todeswunsch auszureden, aber ich fand nicht die rechten Worte. »Niemand macht dir den Vorwurf, gibt dir die Schuld!«, stammelte ich unbeholfen. »So musst du auch nicht für das Unglück büßen«, fügte ich an, verzweifelt ob meiner Ohnmacht.
Yeza schenkte mir einen ihrer Blicke, bei denen ich nie wusste, ob sie mich für nicht ganz bei Tröste hielt oder Mitleid mit mir empfand. Auch der zutiefst erschütterte Kitbogha stieß in das gleiche Hörn. »Ein Schritt wie dieser«, hielt er ihr in aller Güte vor, »macht den Toten nicht wieder lebendig, er verdoppelt den Verlust und vertausendfacht den Schmerz, den wir empfinden - « Der Alte sah Yeza dabei flehentlich an. »Beraubt das Volk der Mongolen nicht auch noch Eurer königlichen Person!«, beschwor er sie. »Erspart uns dieses unnötige, grausame Opfer!«
Yeza trat hinter den aufgebahrten Roc, wobei sie mich, der ich schon wieder still betete, sanft zur Seite schob.
»Schuldig sind wir alle, doch weder belastet das mich, noch bestimmt es mein Handeln. Roc Trencavel und ich, wir sind als erwählte Kinder des Gral aufgewachsen, wurden in frühester Jugend bereits als das Königliche Paar erzogen, und so haben wir in den Jahren, die uns gegeben
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waren, ein Leben leben dürfen - oder leben müssen -, das sich nun erfüllt hat. Anders als Ihr, Kitbogha, es Euch für Euer Volk erhofft habt, anders als Ihr, Yves, es Euch für die Macht, die hinter Euch steht, erträumt habt.«
Yeza sprach selbstsicher und langsam genug, dass wir alle ihren Gedanken folgen konnten. »Doch der eingetretene Verlust meines Herrn und Liebsten, meines Mannes und Bruders ist der Abschluss dieses Lebens, dessen Teil ich war, es war ein einmaliges Dasein auf dieser Erde - « Yeza sah in die Runde, sie streifte auch mich, ich fühlte mich angesprochen. »Wollt Ihr mir zumuten, mich jetzt mit einem anderen Mann zu vermählen -
oder als allein kämpfende Witwe alt und grau zu werden! ? Um was noch zu erreichen? Ich habe alles gehabt, ich bin in meinen besten Jahren - und darum gehe ich jetzt.« Die Königin verneigte sich vor ihren Zuhörern.
»Und nun lasst mich bitte allein mit meinem Geliebten.«
Ich stand mit dem alten Kitbogha und dem Bretonen vor dem Zelt. Wir waren ratlos. Yezas Entschlossenheit hatte uns alle überrascht, überrollt. Die Wachen und die Unterführer und dahinter eine unzählige Menge von einfachen Soldaten umstanden uns und das Zelt in respektvollem Abstand.
»Das kann sie uns doch nicht antun?!«, jammerte ich unbeherrscht. »Sie weiß doch, wie wir alle sie lieben und verehren!«
Yves ging darüber hinweg, er wandte sich an den Feldherrn. »Ich weiß nur, dass die Prinzessin sich unnachgiebig zeigen wird.«
Der Alte nickte gramgefurcht. Das war in dem Moment, als der Derwisch Jalal al-Sufi mit der Karawane eintraf, die den Kelim mit sich führte. Mir war dieses Zusammentreffen nicht geheuer, auch der Bretone war von dem unerwarteten Wiederauftauchen des verfluchten oder zumindest verwunschenen Teppichs sichtbar unangenehm berührt. Einzig Kitbogha sagte die schwere Rolle, die von den Kamelen in die Mitte unseres Kreises getragen und abgelegt wurde, rein gar nichts.
»Was soll das?!«, bellte er ungehalten die Wachen an, die den Derwisch durchgelassen hatten.
»Das ist das lang erwartete Geschenk von Lulu«, der Bretone
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hatte seinen Sarkasmus wieder gefunden, »des unseligen Atabeg von Mossul - wenn Ihr Euch erinnern wollt?!«
Kitbogha war verwirrt und wollte ungehalten die Karawane des Platzes verweisen, da kam Baitschu gelaufen, das verunsicherte seinen Vater noch mehr, denn der Filius hatte sich bislang noch nicht getraut, sich zurückzumelden. Doch anstatt seinen Vater zu umarmen, was der erwartet hatte, rief der Knabe: »Die Prinzessin wünscht Euch zu sprechen - und ebenfalls Jalal al-Sufi!«
Wir folgten Baitschu in das Zelt, Yeza stand inmitten des Raumes und hatte wohl die Ankunft des Kelims mitbekommen.
»Setzt Euch bitte«, forderte sie uns auf, und folgsam kamen wir der Einladung nach, keiner wollte die Prinzessin reizen, im Gegenteil Hoffnung kam auf, es könne sich doch noch alles zum Guten wenden.
»Nach Rang und Würde«, sprach sie Kitbogha an, »bin ich als Prinzessin der Mongolen den Gliedern des Herrscherhauses gleichgestellt?«, lautete ihre erste Frage, die ihr der Feldherr eifrig bestätigte.
»Für unser Volk seid Ihr im Besitz der gleichen Rechte wie die erhabene Familie der Dschingiden!«
Yeza quittierte diese Feststellung mit befriedigtem Lächeln -was mich wunderlich ankam! »Es gilt für alle Dschingiden das unantastbare Gesetz«, fragte sie zügig fort, »dass keines Menschen Hand sie zu Tode bringen darf, nicht einmal bei Hochverrat oder anderen schlimmen Verbrechen?«
»Gewiss!«, entfuhr es Kitbogha voreilig, denn er ahnte immer noch nicht, wohin Yeza ihn führen wollte, mir
schwante es bereits, und er erfuhr es jetzt. »Deswegen wird ihnen im Falle eines Schuldspruchs das Leben mittels eines Teppichs genommen, die Hufe der über ihn hinweg Reitenden bringen dem - oder der Verurteilten den Tod!«
Der Alte war vor Entsetzen sprachlos, auch Yves war zur Salzsäule erstarrt. Einzig der Derwisch hatte noch nicht begriffen, dass es um Yeza selbst ging.
»Wohin ich gehen soll, ich weiß es nicht, noch was zu tun? Still an Deiner Seite zu sitzen, gibt mir keinen Trost -
Hin Lehen ohne
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Dich, scheint mir unmöglich!« Jalal sprach sehr leise und mehr zu sich selbst, zumal ihm auch kaum jemand Beachtung zu schenken gewillt war. »Ich schreie und ich verbrenne in diesem Schrei - ich schweige und ich verbrenne in diesem Schweigen - «
Yeza bedachte den Vortragenden der Verszeilen mit einem flüchtigen Lächeln, das ihrer Verehrung für den von ihr glühend verehrten Sufi-Dichter Ausdruck geben sollte, mehr aber jetzt nicht.
»Wir haben uns verstanden?!«, wandte sie sich mit der gleichen lächelnden Verbindlichkeit an ihren alten Freund Kitbogha. Der konnte nicht anders, als ihr sein Einverständnis zuzunicken. »Ich will mich heute schon von Euch verabschieden«, sagte sie dann zu Yves, dessen Gesicht seit der gefällten Entscheidung zusehends maskengleicher geworden war, dennoch raffte er sich zu einer Erwiderung auf.
»Ich danke Euch, Yeza - und nehmt dies bitte auch stellvertretend für Roc Trencavel -, dass ich Euer bewegtes Leben so lange verfolgen durfte«, dem Bretonen fielen seine Worte sichtlich nicht leicht, »so wurde ich vom erbitterten Häscher zum tief ergebenen Verfechter Eurer Sache, doch schoss ich verblendet und selbstgerecht über das sich mir letztlich verbergende Ziel hinaus!« Der harte Mann kämpfte mit einem Kloß im Hals.
»Verzeiht mir«, würgte er hervor und wandte sich abrupt ab.
Auch Yeza schien bewegt. »Wir sehen uns morgen Früh«, hielt sie sich nur kurz an Kitbogha. »Ich rechne mit Eurem Arm auf meinem letzten Gang.«
Auch der alte Feldherr schluckte, besonders als Yeza jetzt Baitschu an sich zog und ihn auf die Stirn und dann auf den Mund küsste. »Dein Vater ist mit Recht stolz auf dich!«, sagte sie aufmunternd zu dem schluchzenden Knaben und reichte ihm ihr Tüchlein. »Zieh für mich in die Welt, nicht als tumber Held, sondern um klug und tapfer kämpfend ihre Torheit und Ignoranz zu überwinden!« Der Knabe riss sich los und rannte aus dem Zelt.
Yeza sah ihm nach. »Baitschu soll morgen nicht dabei sein!«, forderte sie von Kitbogha. »Geleitet nun bitte den Trencavel in mein Zelt, wir wollen die Nacht zusammen wachen!«, sprach sie mehr
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zu sich selbst, doch dann fügte sie zu meiner Überraschung plötzlich heiter hinzu: »Und bringt uns Wein! Auch Rumi soll mit uns feiern, Jalal al-Sufi wird mir die schönsten Verse von der Köstlichkeit des einzig Geliebten zu Gehör bringen!«
Ich fühlte mich ausgeschlossen, und Yeza .musste es gespürt haben. »Mein guter William«, sagte sie. »Ich bin sicher, wenn Roc und ich ins Paradies eintreten, dann wirst du dort schon auf uns warten, unter dem Baum der Erkenntnis sitzend, liebreizende Huris werden dich alle Sünden vergessen machen!« So scherzte sie, aber mir genügte das nicht.
»Ich will Euch begleiten!«, stieß ich standhaft hervor, »so wie ich immer - «
»William!«, unterbrach sie mich. »Du warst dabei, als das große Abenteuer begann. Du wirst mir morgen der Nächste sein, wenn ich es beende, um mich in ein weitaus gewaltigeres Sein aufzuschwingen!«
Kitbogha hieß die Unterführer wieder eintreten, und sie trugen den Trencavel auf ihren Schultern hinaus, Yeza folgte dem Zug -ohne Begleitung, wie sie es wünschte.
Der Bretone sagte: »Ich werde morgen Früh - vor Sonnenaufgang - das Lager verlassen und nach Paris zurückkehren.«
Kitbogha nickte. »Ich möchte Euch um etwas bitten, mein Freund -«, er zögerte, bis er sich des
Einverständnisses des Bretonen sicher war. »Nehmt Baitschu mit Euch ins Land der Franken, damit er dort aufwächst - «
Herr Yves verneigte sich vor dem Feldherrn. »Das wollte ich Euch sowieso vorschlagen, Kitbogha. Ich verbürge mich für seine ritterliche Erziehung, so wie die Prinzessin Yeza es für ihn gewünscht hat!«
Ich verließ das Zelt, um draußen, am Ufer des Sees, die Nacht betend zu verbringen, aber ich weinte die ganze Nacht.
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SULTAN QUTUZ war mit dem Hauptheer der Mameflucken den ganzen Tag über im Eilmarsch den
ausgetrockneten Belus hinauf und dann durchs Gebirge bis nach Nazareth vorgedrungen. Es dunkelte schon, als er auf seine Vorhut traf, die er unter Baibars vorausgeschickt hatte. Der Emir berichtete ihm, dass er bereits das nahe liegende Gelände besichtigt habe, das ihm als Austragungsort für die Schlacht geeignet schiene. Es handele sich um eine Ebene, die von den Einheimischen »Ain Djalud« geheißen würde, den Christen war die Gegend als »Goliaths Tümpel« geläufig. Am liebsten hätte ihn Baibars noch am gleichen Abend dorthin geführt, um ihm an Ort und Stelle seinen Schlachtplan zu entwickeln. Der Sultan war jedoch erschöpft, und die Besichtigung wurde auf den frühen Morgen verschoben, bei Sonnenaufgang.
Aus der Chronik des William von Koebr uk
Im Osten kündigte sich blutrot das erste Licht des Tages an. Die gesamte mongolische Reiterei harrte aufgesessen des angekündigten Ritts über den Teppich. Ganz wohl war den meisten sicher nicht dabei, Yeza genoss beim Heer viel Sympathie und auch Respekt. Deswegen hatte der General Sundchak sich an die Spitze der ersten Tausendschaft gesetzt, denen die rasche Durchführung der todbringenden Kavalkade oblag. Es waren seine Leute, Reiter, auf die er sich verlassen konnte, ein bereits in Schlachtformation gestaffelter Block. Unweit vor ihren unruhigen Hufen lag zusammengefaltet der Kelim. Anstatt der üblichen Rolle hatten sie ihn über Spitz gelegt. So lauerte er bedrohlich wie ein riesiger Drache, bereit zum zerstörerischen Flug, das dreikantige Haupt züngelnd erhoben, erregt den gezackten Schweif peitschend. Zu beiden Seiten kauerten geduckt Hunderte von Helfern, zusätzlich waren auf beiden Seiten Gespanne in Stellung gegangen, deren Aufgabe es war, das Ausbringen des schweren Teppichs blitzschnell zu besorgen, wenn das Königliche Paar seinen Platz eingenommen hatte. Mir
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fiel auf, wie uneben das vorgesehene Gelände war, Mulden wechselten mit kleinen Hügeln, als suche man bewusst die genaue Lage der menschlichen Leiber zu verschleiern. Ich kniete am Rande nieder, einigen Abstand lassend, denn ich wollte nicht mit unter die Hufe kommen. Wie oft hatte ich mir eingeredet, ich würde wie ein Märtyrer mein Leben für »meine Kinder« geben, als gefeiertes Opfer mit ihnen sterben ?! Nun - und nie wieder -
bot sich mir die Möglichkeit, den großen Worten die einmalige Tat folgen zu lassen - und der treue William hing an seinem armseligen Leben wie ein Hund, der seinen Knochen verteidigt! Ich hatte zwar die ganze Nacht kein Auge zugetan und auch bitterlich geweint, doch es waren Tränen des Selbstmitleids, schmerzlich ergriffen bedauerte ich das schreckliche Los des armen Bruder William, der mit dem Weggang seiner Helden wieder in der Bedeutungslosigkeit versinken würde, aus der die Kinder des Gral ihn dereinst erhoben -
Acht Unterführer trugen die breite, mit Tuch bedeckte Bahre heran, auf der, für alle noch einmal anzuschauen, der tote Trencavel ruhte. Langsam und feierlich setzten sie den Leichnam in der Mitte des für den Kelim vorgesehenen Feldes ab und traten dann zur mir gegenüberliegenden Seite. Wir warteten auf Yeza, die von Kitbogha geleitet sein würde -
YVES DER BRETONE UND BAITSCHU ritten nebeneinander durch die Hügel Richtung Akkon. In ihrem
Rücken ging hell die Sonne auf. Baitschu warf einen prüfenden Blick zurück. »Lasst uns innehalten«, forderte er den älteren Ritter auf. »Wir sollten jetzt zu Gott beten, dass er ihre Seelen gnädig bei sich aufnimmt.« Baitschu war schon abgesprungen, der Bretone leistete seinem Beispiel Folge, darauf bedacht, die Gefühle des Knaben nicht zu verletzen.
Yves schaute ihm offen in die Augen. »Che Diaus aduja aques-to dona de grando couratge!«, murmelte er, das heimatliche Idiom der Yezabel Esclarmonde versonnen für seinen letzten Gruß benutzend.
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Baitschu war niedergekniet. »Ich wünsche mir, so tapfer zu werden wie die Prinzessin Yeza!«, begann er sein Gebet, das er in den Morgenhimmel sandte.
SULTAN QUTUZ führte das Hauptheer der Mamelucken an Goliaths Tümpel vorbei in die sich dahinter
erstreckenden Hügel, hinter denen er es geschickt verbarg. Er ordnete seine Truppen in einem unsichtbaren Halbkreis an und postierte sein Feldherrnzelt auf der höchsten Erhebung in dessen Mitte, unter Blattgrün verborgen. Die Vorhut unter Baibars hingegen nahm Aufstellung in der Ebene, für den anrückenden Feind schon von weitem verlockend sichtbar -
Aus der Chronik des William von Koebr uk
Durch die Zeltgassen schritten gebeugt der alte Kitbogha und aufrecht an seiner Seite die Prinzessin. Als hätte Yeza meinen Herzenswunsch erraten, betrat sie nicht sofort das vor ihr liegende Feld, auf dem Roc sie schon erwartete, sondern sie ließ sich von dem Alten bis zur Höhe führen, wo ich kniete. Sie schenkte mir zwar keinen einzigen Blick, sondern umarmte plötzlich spontan wie ein kleines Mädchen den obersten Feldherrn der Mongolen. In meinen Augen war Kitbogha über Nacht zum Greis gealtert, ein gebrochener Mann! Musste er doch Abschied nehmen von seinem Lebenswerk, auch wenn es ein Traumgespinst war, in das er sich vernarrt hatte! - Yeza, sich der Umarmung entziehend, griff tastend hinter sich, über die Schulter in ihr volles Blondhaar.
Ich wusste, was der Griff zu bedeuten hatte: Dort steckte ihr zweischneidiger Wurfdolch. Dessen hatte sie sich vergewissern wollen - keiner außer mir hatte es bemerkt -, nun schritt sie schon über das Feld, ließ sich neben dem Trencavel nieder und presste ihn fest in ihre Arme. Das war das Zeichen!
Unter Aufbietung aller Kraft von Hunderten muskulösen Fäusten und etlichen Pferdeleibern stürmte der Kelim voran wie ein ungeheurer Drache - ich schaute weg, den Anblick wollte ich nicht als letztes Bild von meinen Lieben in mir tragen! - Als ich wieder hinsah, war das Feld schon von der unheimlichen Ornamentik des Kelim bedeckt, ich vermochte zwischen seinen glutvollen Farben und geheimnisvollen Symbolen nicht einmal die Erhebung ausmachen, unter der ... denn schon hatte der General die Hand erhoben, und tausend Reiter donnerten dicht gedrängt über den Kelim hinweg, sie ritten als Erste in die alles entscheidende Schlacht von Ain Djalud.
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