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»Und was die herrscherliche Würde anbetrifft, die beiden, Rog und Yeza, >versprochen< ist, so glaubt zumindest der Trencavel für mein Empfinden immer weniger an ihre Verwirklichung«, warf die Prinzessin der Saratz ihre Meinung in den Ring.

»Obgleich er das verheißene Königstum hochhält wie ein stolzes Banner!«

»In Wahrheit klammert er sich an seinen Schaft, fürchtet den Tag, an dem er den Thron wird besteigen müssen!«

Joshua war mehr als zufrieden mit dieser Formulierung. »So erhebt sich der Sitzende Drache, kehrt sich als cauda draconis ins Gegenteil, beißt sich in den Schwanz - und fliegt davon!« Der Zimmermann liebte es nicht, wenn Fremde sich in seine Streitgespräche mit dem Templer einmischten - schon gar nicht Weibsbilder!

David lächelte, was der Kabbaiist als Beifall entgegennahm. »Eher ist die contradictio in se bei Yeza Esclarmunde zu finden«, stutzte ihn der Templer zurecht. »Das Jupiter-Syndrom, das für Wissen und Macht steht, zwar mit allen menschlichen Schwächen und Fehlern behaftet, aber von der Glorie des fürstlichen Despoten in der exaltatio bis zum Bettler und Sklaven im >Niedergang< alles umfasst, was zwischen Aufstieg und Fall möglich ist, gilt für die Prinzessin weitaus mehr als bei ihrem männlichen Pendant Rog Trencavel.«

Auch David genoss es, seinen Gesprächspartner zu verblüffen. »Je weiter sich die Durchsetzung der Herrschaft des Königlichen Paares von jeglicher Realität entfernt, je unwahrscheinlicher eine solche Thronbesteigung wird, desto stärker wird Yeza aufgehen in dem unbeirrbaren Glauben an ihre Berufung, verinnerlicht sie die Idee eines

>Gralskönigtums<.«

Der Zimmermann litt es nicht, an die Wand gespielt zu werden, noch weniger, dass der Kabbala von dem Templer nicht genügend Ehrfurcht gezollt wurde. »Ihr tut so, David, als ob es vom menschlichen Willen allein abhängt, wie Schicksal sich ...«

Aber auch der Templer ließ sich nicht von seiner Meinung abbringen. »Nach meinem Dafürhalten nimmt die Krone für die Prinzessin umso festere Form an, je nebelhafter die Umstände sich gestalten, je abstrakter das Land wird, dem sie als Herrscherin dienen will.« David wollte seinem Part als Schutzengel endlich ge-93

recht werden, doch der Zimmermann ließ ihn nun nicht mehr zu Wort kommen, er hatte die ganze Zeit über den Steinen gebrütet. »Wir haben bei unseren Betrachtungen den merkurialen Hermes Trismegistos nicht gebührend berücksichtigt«, baute er gegen etwaige Einwände des Templers gleich vor. »Seine Ambiguität, seine Fähigkeit zum blitzschnellen Wechsel vom helfenden Arzt zum verräterischen Giftmischer, wird in der jetzt auf uns zukommenden Endphase eine entscheidende Rolle spielen - «

»Die, sich nicht zu entscheiden!«, spottete der Templer. »Vergesst aber auch nicht, dass der Merkur als Kind gern für das neue Leben steht, als einer der vier Reiter der Apokalypse jedoch für den grausamen Tod!«

»Eines schließt das andere nicht aus!«, sprach Josh der Zimmermann und erhob sich.

»Das ist der Trost des Parakleten«, besann sich David der Templer und starrte in die Glut des verlöschenden Feuers. »Ihm sollten wir die Obhut über unsere Seelen anvertrauen, die von Rog und Yeza und auch die aller, die mit ihnen ziehen werden oder für sie einstehen - « Dabei streifte sein Blick Madulain, die ihn aber bewusst nicht auffing.

»Ich vertraue meinen täglichen Erdenwandel allein Jahwe an, dem großen Gerechten - so auch meinen Schlummer.« Josh muss-te das letzte Wort haben.

ROC IRRTE ZIELLOS DURCH DAS GEBIRGE. Mehr noch als Hunger und Durst quälten ihn die Bilder,

Bilder seines Versagens. Yeza war die Starke, sie würde überleben. Er sah sich, wie er versteinert Zeuge ihrer zu erwartenden Demütigung wurde, doch keineswegs erstarrt zum harten Block aus Granit, sondern eher zur von Regen und Wind ausgewaschenen, bizarren Skulptur aus mürbem Sand. Denn aus der Demütigung machte Yeza ihren Triumph. Roc war dem Zusammenbruch nahe, er stolperte durch das Geröll, stürzte über die

scharfkantigen Steine, versuchte sich aufzuraffen, fiel wieder und blieb liegen. Da sah er zum ersten Mal den Bären, der hoch-94

aufgerichtet ihn beobachtete. Roc glaubte die Stimme Arslans zu vernehmen.

»Wer die Warnung in den Wind schlägt«, die Worte des Schamanen wehten über ihn hinweg, es war an ihm, nach ihnen zu greifen, er fühlte sich elendiglich in seiner Schwäche, »den trifft der Sturm voll ins Gesicht.« Rog hatte nicht die Kraft, sich aufzubäumen, der Bär stand immer noch über ihm im Fels, von dem Schamanen war nichts zu sehen, aber es tönte weiter. »Ein fallendes Blatt, das eigensüchtig, eitel und trotzig auf trügerischer Ebene sich niederlässt, statt im Heil Schutz zu suchen, das wirbelt die Macht des Unwetters ins finstere Verderben - «

»Wasser!«, begehrte Rog wütend auf. »Ich verdurste, während Ihr mich im prasselnden Regen Eurer Vorwürfe liegen lasst!«

Ein Stein polterte herab und gab über ihm einen sprudelnden Quell frei. Rog presste sein glühendes Gesicht zwischen die Steine, um das köstliche Nass aufzusaugen, er trank und trank, bis ein erneuter Steinschlag die Quelle wieder verschüttete. Rog fühlte sich gestärkt genug, dem Unsichtbaren seine Anklage

entgegenzuschleudern, doch sie geriet zu einem schmerzverzerrten Aufheulen.

»Dieser schwarze Hundling hat mir Yeza geraubt!«

»Ein Mann hat sich genommen«, folgte die Antwort auf dem Fuß, »was leichtsinnig ihm feilgeboten!«

Rog heulte abermals auf. »Ich konnte mich nicht wehren, Yeza nicht beistehen!«

»Nicht mehr!«, erscholl es unerbittlich. »Wenn einer liegt, kann er seinen Mann nicht stehen!«

»Ich habe es nicht gewollt!«, fauchte Rog in Richtung des Bären, da erhielt er den ersten Hieb von der mächtigen Tatze, dass ihm der Schädel dröhnte.

»Du hattest dich deines Willens spätestens dann entgehen, als du deinen Fuß auf den Teppich setztest und - bar jeder Verantwortung - Yeza mit dir zogst!«

»Sie wollte - «

»Sie wollte dich nicht verlassen«, fiel ihm die Stimme ins Wort, »sie wollte deine Liebe.«

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»Und hat sich lustvoll dem anderen hingegeben!«, trumpfte Roc trotzig auf.

Das überlegene Schweigen des Schamanen ging in leises Lachen über: »Solch Recht stünde ihr gewisslich zu.«

Arslan schien sich über ihn lustig zu machen. »Wenig Kenntnis und noch weniger Verständnis beweist du gegenüber Frauen, denen der Spagat gelingen muss, zum Schutze ihres Leibes die Beine breit zu machen und gleichzeitig eine Empfängnis zu vereiteln!«

Das konnte oder wollte Roc nicht verstehen. »Wie kann sie es nur genießen, dass ihr Gewalt angetan wird und mir diese Schmach!«

Hier ereilte Roc die zweite Ohrfeige von der Bärenpranke, die Krallen hinterließen eine blutige Spur auf seiner Wange. »Heischst du auch noch Mitleid für dich?!« Schon fegte der dritte Hieb in sein brennendes Fleisch. »Wie weit ist es mit dir gekommen?! Wie oft muss ich dich noch schlagen, damit du deine guten Sinne

wiedererlangst? !«

Roc flüchtete in die Bewusstlosigkeit, er ließ sich in Ohnmacht fallen.

Als Roc wieder erwachte, stand Arslan statt des Bären über ihm und schaute auf ihn herab.

»Steh auf!«

Roc richtete sich auf, tastete über seine Wange, an seinen Fingern klebte Blut.

»Was verlangt Ihr«, fragte er kleinlaut, »dass ich unternehmen soll?«

»Du solltest es selber wissen.« Der Schamane gab sich väterlich. »Du musst die Quelle deiner Kraft, du musst Yeza zurückgewinnen!«

»Wie soll ich das - allein?«

Arslan trat zurück, die Enttäuschung stand ihm in das faltige Gesicht geschrieben. »Es gab eine Zeit, Roc, da wären dir solche Zweifel nicht gekommen«, sagte er traurig. »Die Macht war mit dir - «

Die Figur des Schamanen verschwamm vor Rogs Augen, löste

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sich auf. Als könne er das Verblassen des Bildes damit aufhalten, brüllte Roc gegen das Verschwinden des Meisters an.

»Du kannst sie mir nicht nehmen!« Seine eigene Stimme echote in den Felsen. »Ich werde sie wieder erringen!«, schrie Roc ihm verzweifelt nach. »Mit der Kraft meines Schwertes!«

Sein Ruf ging in die Leere. Arslan war fort und er, Roc, war auf sich gestellt.

ES GAB ZWAR EINEN HAREM auf Mard' Hazab, aber die durch kunstvoll geschnitzte Holzgitter von der übrigen Burg abgetrennten Räume waren seit Jahrzehnten nicht mehr benutzt worden. El-Kamil führte seine Gefangene durch die verschlissene Pracht. Der Gedanke, die von Motten zerfressenen Seidenkissen, Spinnweben überzogenen Baldachine und glanzlosen, verstaubten Messingtischchen könnten das Missfallen der erbeuteten Prinzessin erregen, kam ihm nicht. Auf dem Marmorboden der eingelassenen runden Wanne lag ein toter Skorpion. Yeza fühlte sich erleichtert, dass der finstere Emir den Rundgang schnell beendete und sie der stickigen Atmosphäre - ein abgestandener Moderduft, vermischt mit strengem Moschus und etwas Myrrhe - an die frische Luft entfliehen konnte. Wortlos, aber sichtbar stolz, stieg der Hausherr jetzt vor ihr die Wendeltreppe hoch, die wohl zum offenen Altan führen sollte. In der Tat hatte sich das flache Dach des Haremsflügels als der einzige Platz erwiesen, auf dem sich der Kelim aus Täbriz wenigstens zur Hälfte ausbreiten ließ. Die Freude dieses ungewöhnlichen Anblicks wollte er der Dame bereiten, auch mit dem lustvollen Gedanken, nach Sonnenuntergang in den lauen Lüften des Abends hier auf der so farbenfroh und phantasievoll gewirkten Unterlage ihrer ersten Begegnung die Prinzessin mit noch mancher Wiederholung des köstlichen Stechens zu beglücken. Doch als Yeza den Kelim erblickte, hielt sie störrisch in ihrem Schritt inne und ließ sich wie erschöpft auf die steinerne Ruhebank des Alkovens fallen, der sich über dem Ausstieg wölbte.

»Weder meinen Fuß noch sonst einen Teil meines Körpers ge-

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denke ich je wieder auf diesen verdammten Teppich zu setzen!«, verkündete sie dem erstaunten Herrn der Burg.

»Ihr solltet ihn Euch vom Halse schaffen, bevor es zu spät ist!«

»Er ist ein Meisterwerk!«, protestierte El-Kamil. »Einzigartig in seiner Schönheit und Größe!«

Wenn er gehofft hatte, es handelte sich nur um eine kurzlebige Laune der Dame, sah er sich nochmals getäuscht.

»Verraten wird Euch dieses Machwerk des Bösen, hinterrücks an Eure Feinde ausliefern!«

Der Emir lachte. »Keiner weiß, dass Ihr hier bei mir weilt, Liebste!«

Yeza blitzte ihn zornig aus ihren grünen Augen an. »Der Teppich schert sich darum auch wenig, er will jeden verderben, der sich auf ihm niederlässt, er wird auch Euch ans Messer liefern!«

»Ihr seht Gespenster!«, wehrte der Schwarzbärtige ungehalten ab. »Wie kann dieser Kelim -?«

Yeza ließ ihn nicht ausreden. »Jeden Fußbreit von Webkante zu Webkante, in jedem Knoten seiner tausend Fransen hockt ein garstiger djinnl Sie werden dafür sorgen, dass Euch schlimmstes Unheil widerfährt!«

Ihre Schwarzseherei brachte den Emir schon deswegen auf, weil ihm der unverschämte mongolische Bote in den Sinn kam. Dessen Verstümmelung hatte er bislang erfolgreich verdrängt. »Niemand weiß von meinem kühnen Schachzug, mich nach Mard' Hazab zu begeben! Ich habe meine Stadt mit unbekanntem Ziel verlassen, um jede Unbill durch die Mongolen von ihr abzuwenden. Hier vermutet mich keiner, und wenn nicht Euer Kelim - «

»Es ist gewiss nicht der meine!«

»- oder sonst wer - zum Beispiel Euer Prinzgemahl - «

»Der wird schweigen, schon um meinetwillen!«

»Hier holt uns keiner raus«, versuchte El-Kamil Zuversicht zu zeigen. »Mard' Hazab ist uneinnehmbar!«

Yeza ließ es ihm nicht durchgehen. »Ihr hättet in Mayyafaraqin bleiben sollen!«, erregte sie sich über so viel Unverstand. »Dorthin ist für jedes Heer der Weg ziemlich weit und der Beute Lohn zu unergiebig. Doch durch Euren unüberlegten Schritt, Euch ausgerech-98

net hier zu verschanzen, seid Ihr den Mongolen sehr entgegengekommen, sie werden ihre Chance und ihre Übermacht nutzen!«

»So hat noch nie eine Frau mit mir gesprochen!« Bei allem Ärger musste er ihr Recht geben. »Ihr meint, wir sollten uns nach Mayyafaraqin zurückziehen? «

»Nicht >wir<, Ihr!« Yeza hielt seinem empörten Blick stand. »Wenn ich Euch folgen würde, dann hättet Ihr nichts gewonnen, die Mongolen würden sich unweigerlich an unsere Fersen heften. Stöbern sie mich hingegen hier wieder auf, mag sein, dass sie sich mit dem Erfolg zufrieden geben!«

»Ich lass ihnen den Kelim!?« El-Kamil versuchte zu handeln, Yeza lachte.

»Den solltet Ihr ihnen auf jeden Fall schenken, zumal sie schon lange auf seine Ankunft warten - «

»Und damit hätten sie die tausend bösen djinn am Halse!«, scherzte der Emir erleichtert. »Und Ihr kommt mit mir!«

Yeza sah ein, dass sie ihn nicht umzustimmen vermochte. »Unsere Wege haben sich gekreuzt, El-Kamil«, sprach sie ernsthaft und erhob sich, bereit, die Treppe wieder hinabzusteigen in die düstere Einsamkeit des Harem.

»Begeht jetzt nicht auch noch den Fehler, Euer Schicksal mit dem meinen verknüpfen zu wollen!«

»Eher geb' ich mein Leben«, stöhnte der Schwarzbärtige und schlang seine Hände um ihre Taille, bevor Yeza sich ihm entziehen konnte, »als dass ich von Euch lassen will!«

EIN EINSAMER WOLF strich durch das Gebirge. Roc hatte die schonungslosen Vorhaltungen des Schamanen insofern beherzigt, dass ihm daraus kalter Trotz erwachsen war. Wenn er sich nicht aufgeben wollte, durfte er keinen Tag länger ziellos durch die Felswüste irren, sondern musste schnellstens Beute schlagen.

Die zwei Reiter verfolgte er nun schon seit Stunden, er durfte sie nicht aus den Augen verlieren. Zu seinem Jagdglück trug entscheidend bei, dass die beiden Mongolen es offensichtlich nicht eilig hatten, sodass es ihm -

wenn auch mit hängender Zunge - bisher

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jedes Mal wieder gelungen war, ihnen auf den Fersen zu bleiben. Einfach gestaltete sich das nicht, denn um nicht von den Reitern entdeckt zu werden, musste er beim Springen von Stein zu Stein sich immer wieder wie eine Eidechse in die Felsen pressen, um für jedes aufmerksame Auge eins zu scheinen mit seiner Umgebung. Doch die Mongolen trabten ohne jeden Argwohn gemächlich im Tal dahin. Während der Jüngere, ein Knabe noch, außer seinem Pferd nichts mit sich führte, war der ältere Krieger mit Schwert, Pfeil und Bogen gut bewaffnet, und seine Satteltaschen schienen prall gefüllt.

Khazar und der junge Baitschu wussten sich ihrem Ziele nahe. Der alte Hirte, den sie trafen, als er seine Schafherde an das spärliche Rinnsal trieb, das jetzt im heißen Sommer von dem reißenden Wildbach übrig geblieben war, hatte ihnen zwar bedeutet, dass Mard' Hazab noch recht weit, sehr, sehr weit entfernt sei, aber ein Zug von fremden Kriegern sei vor wenigen, ein, zwei Stunden hier durch das Tal gezogen. Nach der umständlichen, aber bildhaften Beschreibung konnten das nur ihre Leute sein. Baitschu entdeckte die kaum verwehten Hufspuren im Sand des trockenen Flussbetts. Genau diese Gewissheit der baldigen

Wiedervereinigung mit der Truppe und damit die Aussicht, unweigerlich wieder unter die Fuchtel des Generals Sundchak zu geraten, bewegten Khazar, seinen jungen Gefährten zu einer kurzen Rast zu überreden. Ihm waren nach scharfem Ritt im Hauptlager nur wenige Stunden Schlafes vergönnt gewesen, dann hatte ihn sein gestrenger Onkel schon wieder losgehetzt. Er wusste, dass Kitbogha daran lag, ihn, seinen Neffen, zu einem vorbildlichen Krieger zu erziehen, den er dann - ohne Arg der Protektion - als Unterführer einzusetzen vorhatte. Khazar teilte diesen Ehrgeiz mit dem ihm eigenen Phlegma. Jetzt wünschte er nur, aus dem Sattel zu kommen, sich ein schattiges Plätzchen zu suchen und die Beine lang zu strecken. Denn das war sicher, einmal zurück in den Reihen der Strafexpedition, würde für ihn an Ausschlafen nicht mehr zu denken sein. Baitschu zeigte Verständnis, und sein findiger Blick entdeckte eine versteckte, wenn auch recht niedrige Grotte in den Felsen, die bes-100

tens geeignet schien, dort die Schlummerpause einzulegen. Nur die Pferde mussten sie vor der Höhle lassen.

Baitschu versprach, die Wache zu übernehmen und die Tiere im Auge zu behalten.

Als Khazar aus tiefem Schlaf auffuhr, gelang es Baitschu gerade noch, die Augen, die ihm zugefallen waren, aufzureißen, es half nichts - nicht, dass die Sonne mittlerweile tief stand, besagte ihm sein erster besorgter Blick, sondern statt der zwei Pferde stand da jetzt nur noch eines. Sie stürzten, stolperten aus der Höhle. Das Ross von Baitschu stand da und knabberte ausdauernd an einem mageren Ginsterbusch, das von Khazar war

verschwunden!

»Mitsamt der Satteltasche!«, jammerte der Beraubte.

»War da etwa das Schreiben meines Herrn Vaters -?!« Khazar nickte wütend, sich seiner Schuld bewusst. Wie konnte er sich auf den Jungen verlassen, der noch keine Disziplin gelernt hatte und jetzt auch noch neunmalklug von sich gab: »So was trägt man auf der Brust!« Khazar musste seine Hand zurückhalten, die schon hochgezuckt war. »Und dein Schwert?«, patschte Baitschu noch auf die Wunde.

»Ja, natürlich!«, fauchte Khazar ihn an. »Auch das Schwert! Eben alles, was man nicht im Brustbeutel mit sich rumträgt oder mit ins Bett nimmt! Dem Räuber wird es an nichts fehlen!«

Baitschu schwieg betroffen, aber nicht lange. »Ich weiß was«, bettelte er mit treuem Hundeblick um Vergebung.

»Wir sagen einfach nichts von dem Brief. Du hast in der Eile nur einen mündlichen Auftrag erhalten, ich bin dein Zeuge!?«

Khazar sah ihn länger an, als er nachdachte. Es war nicht sein Ding, sich das Gehirn zu zermartern. »Und das Pferd, das Schwert?!«

»Wir sind unter die Räuber geraten, du hast dich tapfer gewehrt, um mir die Flucht zu ermöglichen. Das hat dich Pferd und Schwert gekostet - vielleicht sollten wir auch noch deine Stiefel wegwerfen, gute Räuber ziehen einem immer die Stiefel ab!«

Khazar musste diesmal nicht erst lange grübeln. »Du willst mich zum Schaden auch noch dem Gespött der gesamten Hundertschaften aussetzen!«, empörte er sich.

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Baitschu wusste Rat. »Ich bereute meine feige Flucht, reite zurück mitten unter die erschrockenen Räuber, die dir gerade die Stiefel von den Füßen reißen wollen. Ich sprenge dazwischen. Du springst hinter mir in den Sattel und fort wie der Wind!«

»Das erzählst du aber bitte, wenn ich nicht dabei bin!« Khazar hatte seinen Humor wieder gefunden. »Deine einzige Aufgabe wird sein, sofort dafür zu sorgen, dass der Bretone zugegen ist, wenn ich vor Sundchak treten muss«, instruierte er den Knaben. »Dem Herrn Yves kannst du alles erzählen, sogar die Wahrheit, dass du auf Wache eingepennt bist.«

Baitschu sah ein, dass er etwas gutzumachen hatte, und sie bestiegen zusammen das übrig gebliebene Pferd, Khazar nahm den Jüngeren vor sich in den Sattel. So ritten sie im Licht der untergehenden Sonne den Spuren nach - beide in der stillen Hoffnung, durch die einbrechende Dunkelheit daran gehindert zu werden, noch am gleichen Tage ihrer ausgemachten Dummheit oder mangelnden Disziplin oder ihres sträflichen Leichtsinns, jedenfalls an diesem Tage, an dem schwarzes Pech klebte, auch noch vor den General treten zu müssen. Ihre einzige Chance, den Befehl Kitboghas allen Widrigkeiten zum Trotz noch buchstabengetreu durchzusetzen, war und blieb sowieso Yves der Bretone.

WIE UM DIE HEIMLICHTUEREI des Burgherrn Lügen zu strafen - oder dem Teppich der tausend djinn Recht zu geben, begehrte eine erschöpfte Reisegesellschaft Aufnahme auf Mard' Hazab. Es war El-Aziz, der Sohn des Sultans von Damaskus, der den Unbillen einer Geiselhaft bei den Mongolen entflohen war, begleitet von seiner treuen kleinen Dienerschar, bestehend aus seinem Leibkoch samt Gehilfen, seinen Kämmerlingen und dem Meister des Bades. Der Emir El-Kamil empfing seinen jungen Vetter mit sichtlichem Erstaunen, erschrocken war er nicht, aber auch nicht sonderlich erfreut. Die Tür mochte er ihm nicht weisen, zumal er sich von ihm Informationen erhoffte, was die Pläne der Mongolen anbelangte. Diese seine zunehmende Besorgnis wollte er jedoch seinem jüngeren Verwandten nicht zei-102

gen. Das Gespräch wurde aufgeschoben bis zur Abendtafel, zu der El-Aziz sich anerbot, die Künste seines Meisterkochs beizusteuern. Dem Emir war es recht, einmal, weil er solchen Komfort entbehrte, seit er sich Hals über Kopf auf der unwirtlichen Feste Mard' Hazab eingenistet hatte, zum anderen, weil ihm so die Zeit blieb, dafür zu sorgen, dass Yeza - sicher vor den Blicken fremder Augen - im Harem eingeschlossen wurde.

Während sich der Koch in der verrotteten Küche zu schaffen machte, genoss El-Aziz nach langer Zeit zum ersten Mal wieder die Wohltat eines warmen Bades. Genüsslich plätschernd, fand er auch die Muße, sich Gedanken zu machen, ob er seinen Vetter einweihen sollte, dass er, El-Aziz, sich vorgenommen habe, die Prinzessin Yeza zu finden und zu freien. Doch schnell verwarf er diesen Gedanken, denn El-Kamil war zuzutrauen, dass er diese glorreiche Idee sofort selbst aufgreifen würde. Zufrieden ließ er sich auf das Kostbarste einkleiden und begab sich zu dem angekündigten Mahle.

Sein Koch hatte gezaubert. Zur Eröffnung gab es kalte Forelle, wie sie aus den Bächlein des Gebirges gezogen, das rohe Fleisch geschabt mit Zitrone und allerlei Kräutern angerichtet. Dazu die Eier von Wildtauben und eingelegte Pilze. Der Emir rutschte unruhig auf seinem Stuhl, was nicht dem Anblick der Speise zu danken war, sondern der Herausforderung, Yeza teilhaben zu lassen, ohne dass man die Prinzessin erkennen sollte. Fahrig lauschte El-Kamil dem Bericht seines Vetters, nicht einmal die bedrohliche Tatsache, dass bereits eine Strafexpedition der Mongolen unterwegs sei, machte sonderlichen Eindruck auf ihn. Als die Diener dann das Hauptgericht auftrugen, allerlei Wildbret, vom mit schwarzen Oliven gespickten Hasen bis zum Fasan in roten Früchten des Waldes, zarter Berggazelle bis zum knusprigen Frischling in Weintunke mit geschroteten Nüssen, da hielt es den Emir nicht länger, er raste hinaus und erschien nur kurz später mit einer tiefverschleierten Schönen, der er wortlos den Platz am Kopf der Tafel zuwies. El-Aziz war wie vom Donner gerührt. Er ahnte sofort, dass sich hinter dem Gitterwerk der burqua niemand anderes als Yeza verbergen konnte, doch er fragte nicht, noch schenkte er der Gestalt unziemliche

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Blicke, sondern hielt sich an den Emir, der sich jetzt mit stolzgeschwellter Brust über die Speisen hermachte. Er stopfte alles in sich hinein, mit viel zu großen Bissen zerfetzte und verschlang er die Köstlichkeiten. El-Aziz hingegen legte ausgesucht gute Manieren an den Tag. Er konnte sein Glück kaum fassen und überlegte fieberhaft, wie er es anstellen könnte, mit der Prinzessin Verbindung aufzunehmen, sich als ihr Retter und Befreier zu präsentieren und eine gemeinsame Flucht aus der Einöde dieser Bergfeste in die Wege zu leiten.

Gewiss kein leichtes Unterfangen, doch nachdem ihm schon gelungen war, die Mongolen zu übertölpeln, traute er seinem Einfallsreichtum auch die Lösung dieser Aufgabe zu.

El-Aziz brachte das Gespräch wieder auf die Mongolen, was zwar den Unwillen des Hausherrn erregte -

verunsichert warf er kontrollierende Blicke zu der Dame, die jedoch durch nichts verriet, dass sie eine aufmerksame Zuhörerin war. Es war El-Kamil, der die Existenz des riesigen Kelims auf der Burg ins Spiel brachte. »Mehr als dreißig Knechte waren nötig, um ihn auf den Altan zu schaffen«, prahlte er schnaufend, als hätte er selbst Hand angelegt. Womit er El-Aziz die Möglichkeit gab, nun seinerseits mit launigen Geschichten vom üblen Los des dicken Lulu zu glänzen, wobei er herausstrich, welche wichtige Rolle das Gastgeschenk des Atabegs mittlerweile für die Mongolen spielte, einfach schon aus dem Grunde, dass es, ihnen als Huldigung angekündigt, sie bis heute nicht erreicht hatte.

»Kein Wunder«, beschloss El-Aziz spöttisch, »wenn Ihr, lieber Vetter, daraufsitzt! - Nur, das geht nicht in die runden Dickschädel der Mongolen, dass irgendetwas anders verläuft, als sie es geplant: Sie sind es gewohnt, dass alles nach ihrem Willen geschieht!« El-Aziz bemerkte den triumphierenden Blick, den der Emir der Verschleierten zuwarf.

Der Nachtisch wurde gereicht, karamellisiertes Obst, aus der gedickten Milch heimischer Bergziegen gewonnener Frischkäse mit Honig von Akazien und geröstete Kastanien. Doch El-Kamil blieb nachdenklich und hob die Tafel auf, kaum, dass die verborgene Schöne ihren letzten Bissen hinter das lästige Gitterwerk der Burqua bugsiert hatte.

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Man begab sich zur Ruhe. Yeza seufzend, denn ihr stand noch der nächtliche Besuch ihres unersättlichen Gebieters bevor. El-Aziz wagte, ihr einen schnellen scheuen Blick zuzuwerfen, und glaubte, ihr ein kleines Lächeln entlockt zu haben. Der Teppich, ging es ihm nicht aus dem Sinn, als er schon sein Nachtlager bezogen hatte, der Teppich könnte die Lösung sein!

SUNDCHAK, DER KOMMANDIERENDE GENERAL der vier mongolischen Hundertschaften, die das

Expeditionsheer ausmachten, hatte bereits weit vor Sonnenuntergang befohlen, das Lager aufzuschlagen. So kam es, dass Khazar und Baitschu, beide auf dem Pferd des Letzteren, schon unerwartet rasch auf die Truppe stießen.

An eine Umkehr war nicht mehr zu denken, man hatte sie bereits gesichtet, und wie zu erwarten, wurden die beiden sofort mit großem Freudengeschrei umringt. Zu Khazars großer Erleichterung vernahmen sie, dass vor dem Zelt des Generals Yves der Bretone hoch zu Ross im heftigen Disput mit Sundchak begriffen sei, was die Strategie des morgigen Tages anbetraf. Yves der Bretone musste befürchten, dass dieser Abend voraussichtlich der letzte sein könnte, bevor die Feste Mard' Hazab in Sichtweite geraten würde. Bisher hatte er Sundchak seine Kenntnisse verschwiegen. Mit seinem untrügerischen Gespür für den rechten Zeitpunkt beschloss der Bretone, mit seinem Wissen nicht länger hinter dem Berg zu halten, sondern steckte Sundchak jetzt ganz beiläufig, Naiman habe übrigens auch behauptet, dass der gesuchte Emir nicht mehr in Mayyafaraqin zu finden sei, sondern ihnen freundlicherweise so weit entgegengekommen wäre, dass er sich auf der nahen Burg Mard' Hazab verschanzt hätte. Über die merkwürdige Art des Bretonen, derart wesentliche Nachrichten einfach zu unterschlagen, regte sich Sundchak schon längst nicht mehr auf, genauso wenig wie über dessen Lügenmärchen.

Diesmal wollte er ihm sogar Glauben schenken. Der General war sofort -entsprechend seinem ungestümen Temperament - für einen geballten Überraschungsschlag, um die Besatzung der Burg zu überrumpeln, während Yves sich für ein weit gefächertes Vorgehen einsetz -

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te, einmal um sicherzugehen, den eventuell flüchtenden Emir zu fassen, zum anderen - und das war seine eigentliche Sorge - um zu verhüten, dass bei einem massiven Eindringen der Mongolen es zum

unkontrollierbaren Blutbad kam. Denn, wenn Rog und womöglich auch Yeza als Gefangene auf der Burg gehalten wurden, schien es ihm reichlich riskant, auch wenn er in vorderster Linie an der Erstürmung teilnahm, dass es ihm gelingen würde, als Erster das Königliche Paar aufzustöbern und sein Überleben zu sichern. Er kannte den Blutrausch der Mongolen, und Sundchak tat alles, um seine Mannen aufzuhetzen. Von einer Suche nach den beiden und Maßnahmen zu ihrem Schutz war nicht die Rede. Alle in der Burg Aufgegriffenen sollten ausnahmslos niedergemacht werden, ohne Ansehen der Person. Nur für den Emir hatte sich Sundchak

ausbedungen, dass der Hund lebend vor ihn gebracht würde.

Der grimmige General pochte gerade auf seine alleinige Kommandogewalt, als Khazar und Baitschu von den Wachen vorgeführt wurden. Sie waren beide zu Fuß, sodass die Schande des abhanden gekommenen Pferdes jetzt nicht zur Sprache kam. Stattdessen verkündete Khazar mit unsicherer Stimme, dass sein Onkel Kitbogha, der Oberkommandierende, seinem General Sundchak befehle, sämtliche Bewohner der Burg Mard' Hazab zu schonen, - schon diese ersten Sätze brachten den General dazu, in eine dröhnende Lache auszubrechen.

»Da kommt dieses Bürschlein, das vor Tagen sich unerlaubt von der Truppe entfernt hat, und will mir erzählen, was ich zu tun habe !?«

Baitschu warf sich mutig in die Bresche, die keine war. »So lautet der Befehl meines Vaters! Und Ihr, General Sundchak tut gut daran, ihn strikt zu befolgen.«

Der so Angesprochene lief rot an, der heftige Lachanfall, gemischt mit schlecht unterdrückter Wut, würgte seinen dicken Hals, er hob die Hand gegen den kecken Knaben, der jedoch geschickt auswich in den Schutz des Bretonen, der zu Sundchaks Ärger Zeuge dieser Szene wurde. »Da will mir dieses Kind«, keuchte er puterrot,

»das noch nicht mal -«, er verschluckte sich an seinem Zorn, »mir weismachen, sein Vater habe ihn beauftragt, mir,

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seinem General -!« Sundchak erlitt einen Hustenanfall, dass alle dachten, jetzt erstickt er oder platzt.

Nur Baitschu blieb davon völlig unberührt. »Ihr haftet ihm mit Eurem Kopf!«, rief er kalt und deutlich.

Sundchak stand wie ein Stier, den der Hammer vor den Schädel getroffen hatte, keiner wusste, ob er jetzt stürzen oder vorwärts stürmen würde. Doch er fing sich, grinste breit zum Bretonen hinüber, schon um endlich denjenigen anzugehen, mit dem er sich letztlich auseinander setzen musste. Doch Yves ging nicht darauf ein, sondern knüpfte sich streng den ziemlich dumpf dabeistehenden Khazar vor.

»Hatte ich nicht ausdrücklich verlangt, dass der Befehl schriftlich ausgefertigt werden sollte?!«

Khazar senkte schuldbewusst sein rundes Haupt, doch ehe er etwas Dummes antworten konnte, meldete sich nochmals Baitschu zu Wort. »Dazu blieb in der Hetze keine Zeit! Ich wurde dem ilt-schi in aller Hast beigegeben, um der Order des allerhöchsten II-Khan sichtbares Gewicht zu verschaffen!«

Das ließ den Blutdruck des stiernackigen Generals wieder hochschnellen.

»Wenn du Schwergewicht«, sein dicker Finger stach in Richtung Baitschu, »als Siegel Hulagus auf einem unsichtbaren Befehl klebst«, lachte er hemmungslos, »dann haftet ja mein Haupt noch fest auf meinen Schultern!«

Darauf wusste auch Baitschu keine Antwort, aber Yves erhob plötzlich seine Stimme, weder drohend noch scharf. »Wenn auf Mard' Hazab auch nur einem Menschen ein Haar gekrümmt wird, dann werde ich es sein, der Euren Kopf vom Halse trennt.«

Das Lachen blieb Sundchak in der Kehle stecken, gegen seinen Willen irrte sein Blick hinüber zur Satteltasche des Bretonen. Dort steckte unübersehbar in breitem Lederfutteral der mächtige Zwei-händer. Dunkel fiel ihm das Munkeln wieder ein, Yves sei nicht nur der Sonderbotschafter seines Königs, sondern eigentlich der Scharfrichter der Krone Frankreichs. Nie hatte er das Gerede ernst genommen, doch jetzt fuhr ihm die Drohung in die Glieder. Er rang nach seiner Fassung und Autorität.

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»So haltet Euch, Herr Yves, von nun an bitte an meiner Seite, sodass Ihr die Befehle an meine Leute deutlich vernehmt.«

Der Bretone lächelte dünn. »Dessen könnt Ihr gewiss sein.« Er grüßte den General und führte Baitschu mit sich hinweg. Khazar wurde befohlen, sich am nächsten Morgen in voller Rüstung bei seinem General zu melden, zum Befehlsempfang.

Sundchak hatte sich bereits auf die Latrine zurückgezogen, um dem plötzlichen Drängen seines Gedärms nachzugeben. »Scheiße!«, fuhr er seinen Leibburschen an. »Scheiße! Scheiße!«

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DIE EISERNE JUNGFRAU DES PATRIARCHEN

DER EMIR WAR AUSGERITTEN. Unruhe trieb ihn. Nicht, dass er den ringsum in den Bergen postierten

Spähern nicht traute, ebenso wie er sich auf die starke Besatzung verließ, die er auf Mard' Hazab zusammengezogen hatte, aber er wollte sich mit eigenem Augenschein überzeugen, ob tatsächlich eine Strafexpedition - lachhaft! - im Anmarsch war. Niemand war zu sehen! El-Kamil hatte mit den kurdischen Bergstämmen der Umgebung ein Abkommen geschlossen, auf das er jederzeit zurückgreifen konnte. Sollten diese Mongolen tatsächlich so töricht sein, sich in die ihnen völlig fremde, unwegsame und unübersichtliche Gebirgslandschaft vorzutrauen, dann wäre es das Beste, ihnen einen Hinterhalt zu legen. Dafür standen ihm gewiss mehr Kämpfer zur Verfügung, als diese Kürbisköpfe jemals heranbringen konnten! Der gemeinsame Hass auf die schlitzäugigen Invasoren einte die Bergvölker, und die genaue Kenntnis der tief eingeschnittenen Täler und schroffen Klippen verlieh den freien Stämmen einen unüberwindbaren Vorteil. Jetzt den Rückzug nach Mayyafaraqin anzutreten, würde hingegen seinen Ruf als unbestrittener Anführer des Widerstandes untergraben. Er musste in Mard' Hazab ausharren, allen Unkenrufen zum Trotz - Weiber waren eben keine Krieger, nicht einmal diese neunmalkluge Prinzessin! Abergläubisch war Yeza, mit ihren tausend djinn in jedem Knoten dieses unförmigen Kelim! Wenn es den Mongolen nur um diesen Fußabtreter ging, würde er ihnen den sogar vor das Zelt ihres Il-Khan legen, damit sie damit glücklich wurden! El-Kamil setzte seinen Erkundungsritt fort.

Auf der Burg Mard' Hazab nutzte El-Aziz die Tatsache, dass sein Bademeister, ein Eunuch, Zutritt zum streng bewachten Harem er-109

halten hatte, um der Prinzessin zu Diensten zu stehen. Über ihn ließ er Yeza wissen, dass er gekommen sei, sie zu befreien. Er war äußerst entzückt, dass ihre Antwort keineswegs abschlägig ausfiel, sondern lediglich zurückhaltend. Die Prinzessin wünsche zuvor zu erfahren, wie der Plan ihres Retters beschaffen sei. Sie habe keine Lust, ließ ihn der Eunuch wissen, sich auf unüberlegte Abenteuer einzulassen, sondern zöge es vor, die Flucht nur als gut durchdachtes Unterfangen auf sich zu nehmen.

El-Aziz hatte sich mittlerweile den ominösen Teppich angeschaut. Als er das enorme Stück sah, war er zunächst entmutigt, denn heimlich ließ sich der niemals, auch nicht als Rolle, aus der Burg schaffen. Aber dann kam ihm die geniale Idee, den Kelim als Verpackung einzusetzen, die Prinzessin unsichtbar in der dicken Rolle verborgen! Er schickte den Eunuchen sofort mit diesem Vorschlag zurück zu Yeza - und erhielt eine barsche Abfuhr. Um nichts auf der Welt wolle die Prinzessin mit diesem Teppich nochmals in Berührung kommen, und schon gar nicht hilflos zwischen seine Massen eingequetscht! El-Aziz ließ die Sache auf sich beruhen, er würde gewiss eine ihr genehme Lösung finden, ließ er ihr ausrichten, sie könne sich auf seinen Einfallsreichtum ebenso verlassen wie auf seine treueste Ergebenheit! Das möge die Prinzessin beruhigen und trösten, gab er dem Eunuchen mit auf seinen Weg in den Harem.

Im salet alfursan, dem hohen Rittersaal der Burg, tafelten der Emir und sein Gast allein zu zweit an der langen Tafel. El-Aziz hatte Yeza gebeten, für die nächsten Tage Unwohlsein vorzutäuschen, damit El-Kamil, gewohnt an ihre verschleierte Präsenz, sich nicht verwundere, wenn ihr Platz leer bliebe. Das würde ihnen bei der Flucht einen gewissen Vorsprung verschaffen. Die Prinzessin hatte eingewilligt, berichtete der Eunuch, aber verlangt, dass der Koch der Köche auch für sie das Essen bereitete, das ihr dann im Harem serviert werden solle. Diese vom besorgten Emir sofort bewilligte Variante brachte den schon um das Nachlassen seines Einfallsreichtums bekümmerten El-Aziz auf neue Gedanken. Erst einmal lenkte er das Gespräch wieder auf den kostbaren Kelim und stieß

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damit beim Emir offene Türen auf. Wenn der Herr Vetter, El-Aziz, es auf sich nehmen würde, den verdammten Teppich zu den Mongolen zu schaffen, hätte er, El-Kamil keine Probleme, sich von diesem Kleinod persischer Webkunst zu trennen. El-Aziz brachte den berechtigten Einwand vor, dass er zur Bewerkstelligung des Transports über weitaus mehr tüchtige Männer samt Lastkamelen verfügen müsste als nur über sein eigenes, völlig ungeeignetes Gefolge. Das hörte der Emir hoch erfreut, denn auch ihm kam ein Einfall: Er würde morgen einen Clan von Nomaden anheuern, die ausreichend Kamele und genügend Erfahrung hätten. Des Vetters Gesinde, den Meister des Bades und den Koch der Köche, hingegen wolle er gerne in seine Dienste nehmen, um seiner Herzensdame willen, die sonst oben im Harem den vortrefflichen Fähigkeiten dieser von ihr so geschätzten Künstler entsagen müsste. Es bedurfte nicht des vertraulichen Zwinkerns des schwarzbärtigen Vetters, um El-Aziz klar zu machen, dass er die beiden opfern müsste - oder zumindest einem recht ungewissen Schicksal auslieferte. Sie besiegelten ihren Pakt mit Handschlag und Bruderkuss. Angesichts der Unpässlichkeit seiner Gefangenen verzichtete der Emir auf einen Besuch in deren Gemächern. Er wollte früh aufbrechen, um persönlich die notwendige Karawane zu besorgen, und gedachte dies mit einem weiteren Erkundungsritt zu verbinden. Am späten Abend wolle er mit den besagten Nomaden vom Stamme der Seldschuken zurück sein. El-Aziz bestand darauf, im frühesten Morgengrauen des übernächsten Tages aufzubrechen, das hieße, die Leute müssten noch in der gleichen Nacht den Kelim hinaus zu ihren Kamelen schaffen und sie beladen. El-Kamil war alles recht. Ihm lag daran, diesen Teppich so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Und wenn er Unglück brachte - was Allah verhüten möge -, dann würde es nicht mehr ihn treffen, ma qadara allah, sondern seinen törichten Vetter, der sich immer noch Hoffnungen auf den Thron von Damaskus machte, und er könnte sich -

endlich von diesen djinn befreit - seiner Prinzessin ungetrübt erfreuen.

Am nächsten Abend - reichlich vor der üblichen Stunde des Nachtmahls und der erwarteten Rückkehr des Emirs

- bestellte El-Aziz

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den Koch und den Eunuchen zu sich. Dieser Meister des Bades, ein stämmiger, muskulöser Bursche, galt auch als ein Meister der Gifte. Sein Herr verlangte von ihm ein starkes Betäubungsmittel, das vorhalten sollte bis zum nächsten Morgen. Dies solle der Koch der Prinzessin in die abendliche Speise mischen. Wenn es dann seine Wirkung getan habe, sollten sie Yeza in den Kelim einrollen und diesen gut verschnüren, fertig zur Abholung durch die Karawane. Aber peinlich sollten sie darauf achten, dass ihr Opfer keinen Schaden nähme und vor allem gut und reichlich Luft bekäme. Er würde während dieser kritischen Phase der Operation den Emir davon abhalten, aufs Dach zu steigen, um nach dem Verpacken des Teppichs zu schauen, wie er auch verhindern müsse, dass den Heimgekehrten noch in der Nacht die Sehnsucht nach seiner Herzensdame übermanne. Den beiden Mittätern war nicht sehr wohl bei dem Gedanken, was der schwarzbärtige Emir mit ihnen anstellen würde, wenn er am nächsten Morgen die Flucht der Prinzessin bemerkte.

Als Erstes befahl der hagere Koch seinen Gehilfen, reichlich leere Körbe zu beschaffen, sowie etliche Bambusrohre, die durchgehend durchbohrt sein müssten - wie gewaltige Rohrflöten -, und alles auf das Dach zu bringen, dann machten sie sich an die Arbeit.

El-Aziz erwartete im salet al jursan den heimkehrenden Emir. Er hatte kalten Braten geordert und verschiedene Salate und harrte am gedeckten Tisch aus, bis kurz nach Mitternacht El-Kamil endlich mit der Karawane eintraf.

Der erste Küchengehilfe erschien, um die Speisenfolge zu erläutern und beiläufig mitzuteilen, die Prinzessin habe heute nur leichte Kost verlangt, denn ihr Magen spiele ihr übel mit. Der findige Gehilfe erfand noch unmissverständliche Gesten für heftigen Durchfall und Erbrechen hinzu, sodass dem Emir kaum danach war, sich dieser unerfreulichen und gewiss grässlich stinkenden Situation auszusetzen. Außerdem wurde ihm versichert, der Koch der Köche kümmere sich persönlich um die Zubereitung beruhigender Speisen und der Meister des Bades täte das Seine, damit die Kranke bald in heilsamen Schlaf versinke.

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Diese Nachricht war für El-Aziz das vereinbarte Zeichen, dass alles wunschgemäß verlaufen war und die Teppichrolle zum Abholen bereit lag. Nach Beendigung des gemeinsamen Imbisses trat er an der Seite des Emirs in den Hof der Burg, wo schon die Träger warteten. Er begleitete El-Kamil auch auf das Dach, denn er wollte sichergehen, dass nicht in letzter Minute etwas schief ging, der Emir zum Beispiel doch die Fürsorglichkeit verspürte, im Harem nach der Schlafenden zu schauen. Der Atem stockte ihm, als El-Kamil sich laut verwunderte, wie dick die Teppichrolle sei, derart gewaltig habe er sie keineswegs in Erinnerung. El-Aziz scherzte schlagfertig über die jedem Teppich innewohnenden guten Geister, die sich stets aufplusterten, wenn sie zusammengerollt würden, denn das hätten sie nicht gern. Der Emir dachte erschrocken an die bösen djinn, die er seinem Vetter unterschlagen hatte, und rührte nicht weiter an das Thema. El-Aziz hingegen ritt der sheitan. Als die Träger beim Hochwuchten der Rolle auf ihre Schultern sich über das erstaunliche Gewicht des Kelims beschwerten, setzte er noch perfide hinzu, dass die kleinen Geister sich aus Protest auch noch recht schwer zu machen verstünden, damit der Teppich dort bliebe, wo er lag. Der Emir trieb die Träger mit barschen Worten an, sie sollten sich nicht so anstellen! Er war heilfroh, als die klobige Rolle die Treppen hinunter zu den Kamelen geschafft war und diese die Last gleichmütig auf ihre Höcker verteilten. El-Kamil drängte seinen Vetter zum sofortigen Aufbruch, die Morgendämmerung hatte noch nicht einmal eingesetzt. El-Aziz umarmte ihn und fügte sich der Eile. Kurz darauf öffnete sich das Tor, und die Karawane verschwand in der Dunkelheit. Erschöpft ließ sich El-Kamil auf sein Ruhelager fallen.

Aus der Chronik des William von Koebr uk

Am Ende meiner unfreiwilligen Reise, dessen durfte ich gewiss sein, würde mich neue Schreibfron erwarten, dafür hatte mein gestrenger Zuchtmeister, der Secretarius mit Sicherheit gesorgt. Auch

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wenn seine Person, und vor allem seine Position innerhalb der geheimen Bruderschaft, nicht die ungeteilte Zustimmung aller in der Führungsspitze des Templerordens fand - wie mir das harsche, fast höhnische Eingreifen des mir unbekannten Kommandeurs mit der krächzenden Stimme bewies, dem ich meine

ausgewechselte Eskorte verdankte. Das ging wohl auf das Konto der berüchtigten Arroganz der Templer, denn Lorenz von Orta war nur - wie ich - ein Franziskaner!

Ich sah keinen triftigen Grund, mich im Glauben zu wiegen, dass - wie aus seinen Abschiedsworten zu entnehmen - am Zielort des Gefangenentransports, den man mir zuteil werden ließ - sich gar die ominöse Großmeisterin der Bruderschaft, die geheimnisvolle Grande Maitresse, persönlich herbeilassen würde, mich in Empfang zu nehmen. Ich wusste auch nicht, ob ich mir das wünschen sollte! Und wenn, was würde eine so hochstehende Persönlichkeit von mir armen Minoriten, außer Fleiß und strenge Pflichterfüllung, dann verlangen? Das beschäftigte mich, während ich in meiner engen tragbaren Zelle dem unbekannten Ziel meines Transports entgegenschaukelte. Durch das kleine - unnötigerweise vergitterte - Guckloch der Sänfte sah ich auf die breiten Ärsche der Rappen, auf denen die Ritter meiner Eskorte - ohne je ihre Hundsgugel nach mir, ihrem Gefangenen umzuwenden - über Berg und Tal trabten, von einer Burg zur nächsten. Ich sah ihre Rücken, die hochaufgerichteten Lanzen in ihren Fäusten, die Schwerter im Gehänge ihrer Sättel - aber nie ihre Gesichter! Die Sehschlitze ihrer wie Hundeschnauzen vorne spitz zulaufenden Helme gaben nicht einmal einen Blick auf die Augen frei. Über ihre Schultern geworfen, trugen sie allesamt karminrote Capes, auf denen schwarz das vierfach überhöhte Nagelkreuz der Kirche Sancti Sepulchri prangte, das Wappen des Königreiches von Jerusalem, wenn ich mich recht entsinne. Ich dachte sofort an Roc und Yeza, für die ich mich hier stellvertretend behandelt fühlte, eingepfercht in die dunkle Kiste eines zwar bestimmten, aber nicht erkennbaren Schicksals, vorwärts getrieben, getragen von der geheimen Macht, die auch ihnen den Weg vorgab. Doch zu welchem Ziel? Ich schloss die Augen, denn ob ich nun die Landschaft erkannte, die an mir vorbeizog,

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oder nicht, ich hatte keinen Einfluss auf das, was mit mir geschah. So musste sich auch das Bild des Lebens für

>meine Kinder< darstellen, wie ich sie, das Königliche Paar, immer noch trotzig nannte. Ein Leben an einer langen Leine, zwar reich verziert und kostbar anzuschauen, doch unzerreißbar wie eine schwere Eisenkette, unlösbar angeschmiedet an ein Konzept, das nicht sie selbst, sondern andere den Großen Plan nannten.

Die Ungewissheit über das Ziel meiner Reise fand ein vorläufiges Ende, als wir in der Abenddämmerung eine düstere Burg erreichten und meine seltsame, mir irgendwie zunehmend suspekt erscheinende Eskorte in den Hof der Festung einritt. Diesmal wurde ich nicht, wie sonst üblich, in irgendwelchen Kellerverliesen untergebracht, sondern in einem hellen Turmzimmer, dessen Fenster auf schroffe Berghänge hinausgingen, in der Ferne glaubte ich das Meer zu erkennen. Das ermutigte mich, den Mohren, der mich geleitete - das erste menschliche Gesicht nach langer Zeit, das sich mir zeigte -, zu fragen, wo wir uns befänden? Er rollte seine Augen und grinste mich an.

»Wenn es Euch dienlich ist, William von Roebruk«, sagte er höflich, »dann wisset, dies Kastell wird der Krak de Mauclerc geheißen!«

Damit ließ der freundliche Turbanträger mich allein, bis er mir mein Abendessen brachte und mir Wasser reichte, um mich zu erfrischen. Dazu bediente er sich einer Klappe in der Mauer. Dahinter hing an einem Seil ein hölzener Bottich, den er leicht ankippte und aus dem er mir das köstliche Nass aus geöffnetem Spundhahn in eine kupferne Schale goss. Ich wollte mich schon ermattet von den Strapazen der Reise zur Ruhe legen, als er nochmals erschien. Diesmal trug er einen siebenarmigen Kerzenleuchter in mein Gemach, das sofort im hellsten Licht erstrahlte. Mein Kammerdiener gab dazu keine Erklärung ab, sondern zog einen in schlichtes Leder gehüllten Packen hervor. Er löste die Verschnürung und legte das Bündel völlig leerer Pergamentblätter feierlich auf das Schreibpult.

»Diesen Blättern solltet Ihr noch heute Eure kostbaren Erin-

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nerungen anvertrauen!«, beschied er mich, verbeugte sich artig und verließ den Raum. Ich trat - nicht sonderlich schreibwillig -zum Pult, rückte den Kerzenständer zurecht, als ich von der Tür her vernahm, wie ein Riegel vorgelegt wurde, sich der Schlüssel drehte und sich mit metallischem Klacken die Bolzen im Schloss verhakten, dann erst entfernten sich leise die Schritte des Mohren. Die strenge Maßnahme galt kaum der Sicherheit meiner Person als vielmehr dem Schutz des zu erstellenden Manuscriptum. Bevor ich meiner zukünftigen Aufgabe näher trat, sollte ich mich meiner verschwitzten Reisekleidung entledigen, mich endlich erst mal waschen und vor allem in Ruhe gerade über den Anfang nachdenken. Also warf ich mich - so wie ich war - rücklings auf mein Lager ...

DER EMIR SCHLIEF UNRUHIG den verbleibenden Rest der Nacht. Ihn plagten Träume, die ihn allemal als Gehetzten, Strauchelnden, als Verlierer sahen, was auch immer er unternahm, um den Bedrohungen, Fallstricken und brunnentiefen Löchern zu entgehen. Als er von den heißen Strahlen der Vormittagssonne geweckt wurde, fiel ihm auf, wie still es auf Mard' Hazab war, weder hatte der Koch ihm seinen Morgenimbiss, die geeisten Früchte und den bitteren Pfefferminztee, am Bett serviert, und als er sich erhob und leicht benommen zum marmornen Becken wankte, hatte der Meister des Bades nicht einmal das Wasser eingelassen. Von böser Ahnung befallen, stürmte El-Kamil hinüber in den Harem. Kein Wächter, keine Dienerinnen! Das breite Lager unter dem Baldachin, wo seine Geliebte ihn sonst zu erwarten pflegte, war leer, seiner damastenen Laken ebenso beraubt wie der seidenen Kissen: Die Prinzessin war entführt worden, dieser El-Aziz hatte sie ihm gestohlen!

Völlig sinnlos hastete er die Treppe hinauf auf das Dach, wo der Teppich gelegen hatte, und warf verzweifelte Blicke hinunter auf das zerklüftete Land, in der wütenden Hoffnung, die Flüchtigen noch zu Gesicht zu bekommen. Nichts! Grell schien die Sonne auf die schroffen Klippen und felsigen Schrunde. Der Emir raste die Stufen hinunter, brüllte nach

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seinen Wachen, seinem Pferd. Als er den Hof der Festung erreicht, tauchten verstört die ersten seiner Leute auf, viele waren es nicht, nur die Getreuesten. Sie zerrten sein Pferd aus dem Stall und umringten ihn fragend.

»Alle Mann auf die Pferde!«, schrie er ihnen entgegen, sie stoben auseinander. »Wieso sind es so wenige?«, fuhr er den alten Hauptmann seiner Wachen an.

Der senkte den grauen Schädel. »Sie haben uns verlassen«, murmelte er, »die meisten haben sich der Karawane angeschlossen.«

El-Kamil raffte die ihm verbliebenen Berittenen zusammen, ließ das Tor öffnen und stob mit der Kavalkade hinaus, den steilen Hang hinunter. Weit konnten die Flüchtlinge noch nicht gekommen sein, die Geschwindigkeit der Karawane bestimmte allemal der Teppich! Im nächsten Tal würde er den Verräter stellen! Der Emir kürzte wütend den Weg ab, preschte durch ein ausgetrocknetes Flussbett und eine tief eingeschnittene Klamm. In halsbrecherischem Ritt galoppierte der kleine Haufen in die vermutete Richtung, der Schwarzbärtige vorweg, die bereits abgeschlagenen Köpfe von El-Aziz und seinen Helfershelfern vor den blutunterlaufenen Augen -

El-Aziz blickte schwer atmend von der Anstrengung zurück, hinunter ins Tal. Dem Sultanssohn war klar gewesen, dass der hauchdünne Vorsprung niemals ausgereicht hätte, sich weit genug von Mard' Hazab und seinem nach der Entdeckung der Flucht mit Sicherheit vor Wut schnaubenden Emir abzusetzen. Er hatte also die Karawane mit Schmeicheleien und dem Versprechen zusätzlicher Belohnung dazu gebracht, das einladende, bequeme Flussbett zu verlassen und sich der quälenden, Mensch und Tier bis an die Grenzen der Belastbarkeit strapazierenden Anstrengung auszusetzen, in die Felsen der gegenüberliegenden Wand einzusteigen. Schließlich konnte er ja kaum den von El-Kamil gestellten Kameltreibern offenbaren, was es mit der Teppichrolle auf sich hatte. Endlich hatten sie den Scheitel des Felsenriffs erreicht und waren allesamt der Sicht von möglichen Verfolgern entrückt. Eine kurze Rast konnte El-Aziz den ermattet zwischen den Klippen Schatten

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suchenden Leuten nicht verweigern. Er warf einen letzten prüfenden Blick hinab in das Tal. Gerade wollte er sich befriedigt abwenden, da quollen aus den Felsen unter ihm, wie zornige Hornissen, die Verfolger, angeführt vom Emir selbst. Ohne sich zu bedenken, stürmte die Kavalkade genau in die Richtung, wohin sich nach menschlichem Ermessen die Karawane gewandt haben musste. El-Aziz sah lächelnd auf sie herab. Sein Blick eilte ihnen voraus, um sicherzugehen, dass sie längst verschwunden waren, bevor er mit seiner Karawane den Abstieg begann. Dann erblickte er die Staubwolke, die im gleichen Tal sich schnell vorwärts bewegte, es blitzten die Speere über den wohlgeordneten Reiterblöcken, ein, zwei, drei Hundertschaften der Mongolen trabten ihrem Ziel, der Festung Mard' Hazab, entgegen. Eine scharfe Biegung im Verlauf des Flusstales, eine weit vorspringende Felsnase verhinderte, dass sich der Emir und sein ungezügelter Haufen der Gefahr bewusst wurden, sie galoppierten direkt in ihr Verderben. Genau bei dem Knick würden sie aufeinander prallen - El-Aziz wandte sich ab. Er durfte die Gelegenheit nicht verstreichen lassen, den Vetter war er los, die Mongolen würden weiterziehen, um ihr Mütchen an Mard' Hazab zu kühlen. Vom Teppich wussten sie nichts, aber Yeza würden sie dort suchen. Er trieb die Karawane an, mit dem Abstieg zu beginnen. Am nächsten sicheren Ort wollte er dann die Rolle öffnen lassen und die Prinzessin aus ihrer unbequemen Lage befreien. Es stand nur zu hoffen, dass ihre Betäubung noch anhielt, denn sonst müsste die Arme in der stickigen Hitze sicher entsetzlich leiden -

Seinem Ärger über den protegierten Neffen seines Oberbefehlshabers konnte der General Sundchak nicht einmal Luft machen, als herauskam, dass dieser Schwachkopf sich hatte Pferd samt Waffen stehlen lassen. Die Anwesenheit des Bretonen, dieses besserwisserischen, ziemlich unverschämten Gesandten des französischen Königs, schützte Khazar vor der sofortigen Verhängung einer empfindlichen Disziplinarstrafe, die sonst für jeden Mongolen galt, der sich solches Vergehen zuschulden kommen ließ. Denn da war noch Baitschu, der späte, aber leibliche Sprössling des alten Kitbogha.

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Der forsche Knabe hielt fest zu Khazar, nicht weil der wesentlich Ältere sein Vetter, sondern weil er ihm vom Kopf her weit überlegen war, sodass er den Trottel vor sich herschieben konnte, wohin immer es ihm gefiel.

Khazars breiter Rücken gab ihm Deckung, und der tumbe Klotz hielt es auch noch für Verehrung, die der Jüngere ihm entgegenbrachte. Und Baitschu stand unter den Fittichen des Herrn Yves! So blieb dem verärgerten Sundchak als einzige Möglichkeit, Khazar eins auszuwischen, die, ihn offiziell zu befördern. Er übertrug ihm das Kommando über den Flankenschutz, überließ ihm die Hälfte der Hundertschaft, die die Nachhut stellte, und schickte ihn in die Wüste, in ein unbedeutendes, abgelegenes Seitental, wo weder Freund noch Feind zu erwarten, noch, dass es für die Sicherheit des vorrückenden Hauptteils der Strafexpedition ansonsten von irgendwelcher Bedeutung war.

So kam es, dass El-Aziz, der sich mit seiner Karawane - nach Umschiffung aller Gefährdungen und glücklich überstandenem Abstieg - bereits geborgen wähnte und nur noch nach einem Rastplatz Ausschau hielt, wo er endlich ungestört den Teppich entrollen könnte, sich plötzlich dem Mongolentrupp unter Khazar gegenübersah.

Sie waren ihm quasi auf die Füße gestiegen, denn Khazar sah nicht ein, warum seine Leute sich nicht neben ihren -diesmal gut bewachten - Pferden im Schatten der überhängenden Felsen eine ausgedehnte Ruhepause gönnen sollten. Da kamen diese Kamele von oben! Nun kannten sich Khazar und El-Aziz vom Audienzzelt des Il-Khan her, allerdings war beiden nicht so recht klar, was der andere hier zu suchen hatte. Doch der Sultanssohn war dem geförderten Neffen an Findigkeit überlegen, zumal der helle Baitschu nicht zugegen war. El-Aziz präsentierte frech seinen >Schutzbrief< mit dem Siegel Hulagus, wies auch auf die Teppichrolle, die er jetzt zum Il-Khan brächte, nachdem ihr Transport dem unglückseligen Atabeg aus den Fingern geglitten war. Das alles verwirrte, überforderte den gutmütigen Khazar. Er wünschte dem >Pagen<, der zum Iltschi des großen Hulagu aufgestiegen war, eine gute Reise und befahl seiner halben Hundertschaft, sich jetzt wieder zu erheben, um den befohlenen Flankenschutz Richtung Mard' Hazab fortzusetzen. Auch fand Khazar, dass alles schon deswe-119

gen seine Richtigkeit haben müsste, weil es letztlich gerecht war. Schließlich war ja auch er - trotz seines peinlichen Missgeschicks -zum Kommandeur befördert worden. In einer großen Staubwolke entschwanden die Mongolen.

El-Aziz übernahm den Lagerplatz, denn hier sprudelte eine Quelle aus dem Fels. Er ließ die Teppichrolle behutsam auf eine geeignete Fläche senken, die zuvor hastig von allen störenden Gesteinsbrocken gesäubert worden war. Langsam wurde das Prachtstück aus Täbriz entrollt, El-Aziz schaute neugierig zu, denn er wusste ja genauso wenig wie die Kameltreiber der Karawane, wie sein Koch und der Meister des Bades das Innere gestaltet hatten, das der Prinzessin als Kokon gedient hatte, aus dem sie jetzt als Schmetterling entsteigen würde.

Die Treiber rollten und rollten. Schließlich kamen die Körbe in Sicht, es waren sechs in einer Reihe, je zwei einander mit der Öffnung zugewandt, umgeben waren sie von langen Bambusrohren, die durch das Flechtwerk der Körbe gestoßen waren und so dem Ganzen die Wirkung einer luftigen Röhre gaben, die sich nahezu über die gesamte Breite des Kelims erstreckte. In allen drei riesigen Fischreusen steckten Menschen. Die beiden hinteren wurden als Erste auseinander gezogen, aus der einen hüpfte recht fidel der stämmige Meister des Bades, während man den hageren Koch der Köche nur mit Mühe aus seinem Käfig zerrte und halten musste, als man ihn auf seine wankenden Beine stellte. Beide grinsten mehr oder minder verlegen ihrem überraschten Herrn zu. Doch El-Aziz' Augenmerk war einzig und allein auf Yeza gerichtet. Er sprang auf und trat näher. Jetzt sah er auch, wie die Rohrflöten funktionierten: In die langen, ineinander gesteckten Bambusstangen waren jeweils in der Position des Kopfes reichlich Löcher gebohrt, durch die die Eingeschlossene Luft saugen konnte, wenn es ihr zu stickig wurde. Angenehm war es sicher nicht! Die Prinzessin war von Kopf bis Fuß in die dicken Seidenkissen verpackt, dann mit den Damastlaken umwickelt, wie eine Mumie, nur das Gesicht hatten die findigen Künstler frei gelassen, doch zu El-Aziz' Schrecken schien alles Leben aus ihr gewichen. Behutsam löste der immer noch zitternde Koch der Köche

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die Bandagen, während der behende Meister des Bades aus einem kleinen Flakon Yeza eine Essenz auf Mund und Nase tröpfelte. Es vergingen bange Sekunden, vor allem der schlotternde Koch starrte gebannt auf das blasse Gesicht - plötzlich riss Yeza die Augen auf, El-Aziz, dem edlen Retter, fiel ein Stein vom Herzen, groß wie ein Granitbrocken im Gebirge! Die letzten Lagen aus seidenen Kissen, die sie wohl vor Stößen bewahren sollten, wurden entfernt und Yeza vorsichtig von den starken Armen des Eunuchen hochgehoben. Als sie endlich wieder auf eigenen Beinen stand, schaute sie sich nur kurz erstaunt um. Dann entdeckte sie El-Aziz, der sie beglückt anstrahlte. Er hatte ein Amulett, das er um den Hals trug, hervorgezerrt und hielt es Yeza auffordernd hin.

»Dies zum Beweis«, tönte er voller Stolz. »Ich bin der Sohn und Erbe des Sultans von - «

Noch leicht schwankend, den Teppich keines Blickes würdigend, ging Yeza auf ihn zu, holte aus und schlug El-Aziz mit voller Wucht ins Gesicht, dass dem Hören und Sehen verging und er taumelte. Ungerührt betrachtete sie seine schmerzverzogenen, völlig verdatterten Züge. Dann fiel sie ohnmächtig dem hinzugesprungenen Meister des Bades in die Arme.

Aus der Chronik des William von Koebr uk

Ich erwachte - immer noch ungewaschen und in meiner verdreckten Kutte auf meinem Bett hingestreckt - nicht von der Sonne, die mir durch das Fenster darüber ins Gesicht schien, sondern vom knirschenden Geräusch des Sandes, mit dem mein krausköpfiger Diener und Kerkermeister die leeren Pergamentblätter aufraute. Er stapelte sie mit vorwurfsvoller Miene auf meinem unbenutzten Schreibpult und beschwerte sie, um sie glatt zu halten, mit einem faustgroßen Kieselstein. Die Kerzen in dem siebenarmigen Leuchter daneben waren allesamt niedergebrannt.

»Mir ist noch nichts eingefallen«, murmelte ich zu meiner Entschuldigung und stemmte mich von meinem Lager hoch. »Der

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Anfang ist immer das Schwerste - « Besser als jede Verteidigung meiner Säumigkeit war es, gleich zum Angriff überzugehen. »Außerdem habe ich Hunger!«

Der Mohr sah mich recht gelassen an und wies auf das frisch aufgefüllte Tintenfässchen nebst frisch geschnittenen Federkielen. »Ein Chronist, der nicht schreibt«, griente er mit stets gleichbleibender Freundlichkeit, »erwirbt ein umso größeres Anrecht auf ein reichliches Frühstück!« Er begab sich zur Tür und winkte mir mit dem Finger wie einem ausgehungerten Kater, als hätte er ein Schälchen Milch in der Hinterhand.

»So ist es der Brauch auf Mauclerc - für Faulpelze und Verstockte!«, fügte er hinzu, als er mein verdutztes Gesicht sah. »Denn derer ist das Himmelreich - und das liegt in der Küche - und dem darunter befindlichen Weinkeller!«

Verstört folgte ich ihm durch das menschenleere Treppenhaus des Donjon, in dem mein Turmzimmer lag.

»Firuz«, stellte sich mein krausköpfiger Wärter vor, sich zufrieden auf die Brust klopfend, kaum, dass wir das Sockelgeschoss erreicht hatten, wo sich eine Tür in der Mauer auftat, »ist für Euer leibliches Wohl verantwortlich, ob Ihr nun schreiben mögt - oder es unterlasst!«

Mein Leibmohr führte mich bis hinab ins Souterrain und schob mich an der Küche vorbei in ein Kämmerlein, wo sich ein blanker Tisch mit einer Holzbank davor befand.

»Hier werdet Ihr in Zukunft Eure Nahrung aufnehmen, William von Roebruk«, eröffnete er mir mit der üblichen heiteren Bestimmtheit. »Pro Seite einen Napf voll, alle fünf einen Becher Wein!«

Er öffnete die Tür zur Küche, und herein trat eine stramme Maid mit wogendem Busen und rundem Steiß, die mir ohne Umschweife eine dampfende Schale Bohnen mit Speck vorsetzte.

»Vorschuss!«, grinste der Mohr und zog sich, der Magd den Vortritt lassend, zurück. Doch ich kratzte noch die letzten Löffel des kräftigen Mahls zusammen, da trat die holde Küchenfee schon wieder die Tür auf, weil sie mit beiden Händen den schweren Topf vor sich her trug. Sie grinste mir schelmisch zu und füllte mit der Kelle mir reichlich nach, fischte mir auch die besten Schwartenstü-

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cke heraus. Sie setzte sich zu mir auf die Bank und schob sowohl ihren Schenkel eng gegen den meinen als auch ihr Rotglühendes Gesicht zwischen mich und meinen Napf, sie schwitzte arg.

»Ich bin Gundolyn!«, hauchte sie mir ins Ohr, dass ich fürchtete, sie würde mir das Läppchen abbeißen. »Von mir kannst du so viel haben, wie 's dir schmeckt, William!« Das unverhoffte Angebot verwirrte mich, zumal ich einen fahren ließ, was Gundolyn nur herzhaft lachen machte. »Und wenn du Wein willst, komm mit mir in den Keller!?«

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen, ich stapfte hinter ihr die steile Stiege hinab in die Tiefe, es roch erst modrig und dann bei den trocken gelagerten Fässern gar würzig nach Quitten, Nüssen und gepresstem Saft sonnendurchglühter Reben in seiner schönsten Form. Gundolyn ließ den edlen Tropfen breitbeinig in das mitgebrachte Krüglein fließen und reichte es dem sie Bedrängenden nach hinten, ohne sich nach ihm umzuwenden. Ich hob es mit der einen Hand begierig an meine Lippen, mit der anderen ihren Rock, während mein Speivogel schon das Spundloch suchte. Die kundige Maid beugte sich weit und tief über das Fass, und schlürfend, vor Begeisterung schmatzend wuchs meine Bereitschaft, den Genuss lang entbehrter Wonnen zu erfahren, da erscholl oben an der Kellertür die aufgeregte Stimme des Mohren:

»Hohe Gäste, Gundolyn!«, rief Firuz hinab. »Lass alles stehen und liegen!«

Und die pflichtbewusste Magd verabschiedete - ohne Hast, aber auch ohne Mitleid - den liebesdurstigen Bettelmönch, zog den Rock über ihre weißen Arschbacken und stürmte die Stiege hinauf. Ich folgte ihr bekümmert, hatte aber wenigstens das geleerte Krüglein nochmals gefüllt - das meiste war eh verschüttet - und hockte mich oben in die Kammer, die meine Gaststube war. Der Mohr schaute eilends vorbei.

»Der Patriarch auf der Durchreise!«, ließ er mich knapp wissen und war schon wieder entschwunden. Dann sah ich Gundolyn schwerfüßig vorbeischieben, das Tablett beladen mit Braten und fetten Würsten, saftigen Schinken und ölig glänzenden Oliven, alles Leckereien, die für mich niemals aufgefahren würden!

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»Seine Eminenz«, rief sie mir wohlgemut zu, »tut noch einen Gast erwarten, mit dem er sich hier verabredet!«

Ich trank von meinem Roten, beruhigt, weil ich jetzt wenigstens wusste, wo ich den Krug wieder nachfüllen konnte. Draußen hastete der Mohr vorbei, mit einer kostbaren Kristallkaraffe. Schon die Purpur leuchtende Farbe des Weines ließ mich ahnen, dass es sich bei diesem Tropfen um einen lang gehegten und gut verborgenen Schatz handeln musste, aufgespart für solche Gäste wie den »Patriarchen von Jerusalem«! Dabei wusste in der terra scancta ein jeder, dass es sich bei Jakob Pantaleon, dem derzeitigen ranghöchsten Vertreter der Ecdesia catolica, um einen ehemaligen Schuster aus Troyes handelte. Entsprechend grob gegerbt und schlecht vernäht sei auch sein Auftreten - hatte man mir erzählt!

»Er sitzt jetzt im vertraulichen Gespräch«, teilte mir mein kraushaariger Gewährsmann mit, »mit Guy de Muret, dem Beichtvater der Fürstin von Antioch, einem Dominikaner!«

Also ein Renegat, wahrscheinlich ein abtrünniger, reumütiger ehemaliger Ketzer aus Okzitanien, ging es mir durch den dicken Kopf. Das sind die Schlimmsten!

»Und worüber reden sie?«, fragte ich mehr, um mich des eifrigen Informationsflusses würdig zu erweisen, interessieren tat mich das Geschwätz von zwei Klerikern nicht im Geringsten.

»Sie sprechen übel von einem Königlichen Paar!«, ließ mich Gundolyn wissen, die meine neugierig

erscheinende Frage mitbekommen hatte. »Auch über dich ziehen sie her«, lachte mich die Maid aus.

»Mehr noch scheinen sie höchstlich interessiert an der Chronik, an der du so fleißig schreibst!«, setzte Firuz grienend hinzu. »Du solltest es mit eigenen Ohren hören, William von Roebruk!«, stachelte er mich scherzhaft an, wechselte dabei mit der Küchenmagd einen Blick belustigten Einverständnisses.

»William im Eimer?!«, fragte Gundolyn zweifelnd glucksend zurück und betrachtete mich recht abschätzend, wo ich ihr doch als Stößer durchaus willkommen gewesen, »wenn der das Gewicht aushält?!«

Die beiden winkten mir, ihnen wieder in den Keller zu folgen.

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Diesmal ging es an den Weinfässern vorbei zu einem Brunnenschacht, der tief in den Felsen geschlagen schien, und auch nach oben verlief seine dunkle Röhre, reichte hoch hinauf ins Mauerwerk, wie ich feststellte, als ich meinen Kopf in die Höhle steckte. Ich hörte gedämpft die Stimmen der beiden disputierenden Geistlichen, auch fiel auf halber Strecke ein Lichtschein in den Schacht. An einem dicken Seil hing ein hölzerner Bottich. Ich begriff sofort, dass dies der Wasseraufzug war, mit dem auch mein Turmzimmer versorgt wurde, - ein wohlüberlegter, nie versiegender Trinkwasserquell für den Donjon der Burg in Belagerungszeiten! Ich stieß mich nicht an dem schweren Eisengitter, das ihn wie eine große Haube krönte.

»Also steigt ein!«, forderte mich mein Leibmohr auf. »Haltet Euch gut am Seil fest!«

Ich stieg in den hölzernen Bottich, er nahm mich nur stehend auf und schwankte heftig in seiner Halterung. Der Mohr verschloss die Gitterhaube, ich kam mir vor wie ein Vogel im Käfig, allerdings musste ich den Kopf einziehen, um nicht an die Eisenstäbe über mir zu stoßen.

»Bequem ist es nicht!«, frohlockte Gundolyn und kniff mich Wehrlosen herzhaft in den Hintern. Dann zogen sie mich mit vereinten Kräften nach oben in den dunklen Schacht. Ich glitt an der Küche vorbei, wo auf dem Herdfeuer zwei Fische in der Pfanne schmurgelten - noch dufteten sie lieblich, doch würden sie wohl bald verkohlt sein, wenn die tüchtige Magd sich nicht sputete. Ich gönnte sie weder dem Jakob Pantaleon noch seinem Gast, diesem Dominikaner. Dann hielt mein Bottich vor einem hölzernen Paneel, und dahinter konnte ich jetzt Wort für Wort vernehmen, was sich die beiden zu sagen hatten, als säße ich mit ihnen am Tisch.

»... ich wusste, dass ich mich auf einen so exzellenten canis Domini wie Euch verlassen konnte, Guy de Muret!«, gab sich die süffige Stimme des Älteren jovial, die ich dem Patriarchen zuordnete. »So wie Ihr mir jetzt diesen unseligen Chronisten beigebracht habt, werdet Ihr unserer sancta ecdesia auch zur eisernen Hand gehen, um ihn seine ketzerischen Texte auswendig singen zu machen, die uns zu Jerusalem entgangen sind.« Der hohe Herr rülpste höchst

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vulgär, sein Gegenüber nicht zu Wort kommen lassend. »Haben wir den Fettwanst erst ausgewrungen wie einen Scheuerlappen, wird es an Euch sein, jegliche Spur von diesem elenden Minoriten zu tilgen - «

»Corpus mortuus?! Nicht mit mir!« Diese Aussage des Dominikaners beruhigte mich, doch nicht lange.

»Diente Guy de Muret nicht seinem obersten Herrn und Hirten, dem Papst, mit weitaus weniger Skrupeln als erfolgreicher Inquisitor? !«, höhnte der Patriarch. »Wollt Ihr den Nichtsnutz in vitam erhalten!?« Sein Spott troff ihm von den Lippen. »Bitte, er gehört Euch!« Der hohe Würdenträger lachte roh. »Mir geht es einzig darum, dass Ihr Eure geschätzten Fähigkeiten am noch Lebendigen zur Verfügung stellt!« Er redete jetzt mit eindringlichem Eifer auf den Dominikaner ein. »Diese Kunst des Erforschens verstockter Seelen und sich sträubender Leiber verlernt man nicht! Wichtig ist der Kirche nur, dass der Kerl die bisher verfasste Chronik herausrückt und sich von nun an des weiteren Schreibens enthält, als habe er sich die schmutzigen Finger gequetscht und verbrannt!«

»Eure Vorstellungen vom Wirken der Heiligen Inquisition sind immer noch von Daumenschrauben und

Scheiterhaufen geprägt!«, schlug der streitbare Beichtvater zurück, »doch will ich der Kirche noch einmal zu Gefallen sein!« Er legte eine Pause ein. »Ist dieser Auftrag jedoch erledigt«, sagte er leise, »entbindet Ihr mich meines Gelübdes?! Den Rest meines Lebens will ich als Ritter bestreiten, mit dem Schwert in der Hand!«

Das sonderliche Angebot schien dem Patriarchen überlegenswert, zumindest des Versuchs einer kleinen Erpressung. »Da ist dann noch diese Ketzerbrut!«, brach eine wohl lang angestaute Gehässigkeit hervor. »Diese verdammten Kinder des Gral müssen beseitigt werden, ehe sie die Herrschaft Satans in Gottes eigenem Land errichten, auf dem heiligen Boden, den der Fuß unseres Herrn Jesus Christus berührte! Sie müssen verschwinden, oder der Leib des Heilands findet keine Ruhe mehr in seinem Grabe!«

Diesmal zog sich das Schweigen noch länger hin. »Dafür besorgt Euch jemand anderen!«, sagte dann Guy de Muret. »Ich bin kein Assassine - und selbst auf die Gefahr hin, dass Ihr mir

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die Exkommunikation androht, bin ich nicht gewillt, mein neues Leben als Meuchelmörder zu beginnen, meine Ehre als Ritter zu besudeln!«

»Noch seid Ihr keiner!«, fauchte Jakob Pantaleon.

»Ihr irrt, Monsignore, aufgrund meiner noblen Herkunft bin ich es immer schon gewesen! Das könnt Ihr mir nicht nehmen!«

Der Patriarch lenkte ein. »Chronik gegen -?« Er verstummte, bevor er sein Angebot formuliert hatte, denn im Refektorium, wo die beiden saßen, wurden fremde Stimmen laut, offensichtlich waren neue Gäste eingetroffen.

Ich hatte eigentlich genug gehört, meine Beine drohten mir einzuschlafen. Ich wünschte, Gundolyn oder der Mohr würden mich jetzt wieder runterlassen, aber anscheinend hatten sie mich vergessen - oder waren anderweitig beschäftigt. Wütend - laut werden durfte ich ja nicht - rüttelte ich an dem Seil, dass der Bottich mit mir tanzte, aber niemand kümmerte sich um mich und mein übles Los.

Der Patriarch und sein unwilliger Inquisitor hatten sich erhoben, um die Neuankömmlinge zu begrüßen. Das Stimmengemurmel entfernte sich. Ich trat im Bottich von einem Bein aufs andere. Ich schlug mit der Faust an die Holzwand, an das Eisengitter über meinem Kopf. Plötzlich, ich hatte schon jegliche Hoffnung aufgegeben, setzte sich mein Gefährt ruckartig in Bewegung. Ich glitt abwärts, dem Weinkeller entgegen, wo sicher die liebe Gundolyn und mein guter Mohr meiner harrten, denn ohne ihre Hilfe konnte ich mich ja nicht aus dem vergitterten Bottich befreien. Langsam senkte sich das hölzerne Gefäß im Schacht durch die Decke des Gewölbes, doch dann sah ich keinen von den beiden auf mich warten, keine Spur! Und das Schlimmste war: Der Bottich hielt nicht inne in seiner Abwärtsbewegung. Ich wollte schreien, aber eine entsetzliche Angst schnürte mir die Kehle zu - Stück für Stück versank ich in der Tiefe, völliges Dunkel umfing mich in der Enge feuchten Mauerwerks. Zitternd vor Furcht lauschte ich wenigstens auf irgendein Geräusch - außer dem trockenen Knarzen des Seils, an dem ich herabgelassen wurde. Unsichtbare Fäuste schienen es zu bedienen, dann vernahm ich unter mir das leise Plätschern

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von Wasser - ein unterirdischer Saal tat sich zu meinen Füßen auf, kreisrund, an seinen Wänden blafften Fackeln ringsherum und tauchten den Raum in flackerndes Licht, steinerne Sitzbänke waren im Schatten der Nischen zwischen den Säulen erkennbar. Mein Bottich kam zum Stillstand. Ich baumelte nur einen Fuß hoch über dem Wasserspiegel des unterirdischen Quells, der als Brunnen gefasst sich inmitten des Raumes erhob. Keine Menschenseele ließ sich sehen, nur die gespenstischen Schatten der flackernden Fackeln huschten über die Wände. So konnte ich mir den Vorraum zur Hölle vorstellen, wenngleich das Wasser zu meinen Füßen weder dampfte noch kochte, im Gegenteil, es wirkte eher eiseskalt in seiner tiefdunklen Klarheit. Nach allem, was mir der Patriarch zugedacht hatte, tat ich auch wohl gut daran, mit dem Schlimmsten zu rechnen. Meine einzige Hoffnung war die Unlust dieses ehemaligen Inquisitors. Mein Blick fiel hinunter zu meinen Füßen, und ich bemerkte mit Schrecken, dass jemand den Spundhahn aus meinem hölzernen Bottich entfernt hatte. Schweigend betraten vermummte Gestalten das Rund des Raumes. Sie trugen allesamt kardinalsrote lange Gewänder, die oben in steife, spitze Kapuzen übergingen. Gemessenen Schritts nahmen sie, ein jeder in seiner Nische, auf den Steinbänken Platz. Stechend waren die Augenlöcher der überhohen Hüte auf mich gerichtet.

»Satansdiener William von Roebruk«, eröffnete die in der Mitte thronende Gestalt, der Patriarch, wie ich sofort an der Stimme erkannte, die Verhandlung. »Gesteht, dass Ihr im Wissen um den so genannten Großen Plan nach diesem handelt und Euch somit außerhalb des Segens und des Schutzes der allein selig machenden Kirche gestellt habt!?«

Ich wusste, dass ich mein Leben verloren hatte, denn es bedurfte wohl nur des Schnippens seiner Finger, und ich würde so lange unter Wasser getaucht werden, bis mein Geist als letzte Luftblase blubbernd aus mir weichen sollte. Das machte mich widerborstig. »Ich folge seinem Befehl, ohne ihn zu kennen«, sagte ich mannhaft. »Ich bin stolz darauf, ihm zu dienen!«

Das eisige Schweigen, das mir entgegenschlug, ließ mir den Quell unter meinen Füßen von wohliger Wärme erscheinen.

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»Ihr wisst also nicht, wo dieses ketzerische Pamphlet verborgen gehalten wird?« Langsam senkte sich mein Zuber dem Brunnenschacht entgegen, das kalte Wasser trat glucksend durch das offene Spundloch ein und umspülte schnell meine Füße bis zu den Knöcheln, doch das reizte meine Aufsässigkeit erst recht.

»Das will ich Euch gern verraten«, stieß ich mutig hervor, »denn nie werdet Ihr Eure ringgeschmückten Tentakel auf dieses exemplum purum et divinum legen können: Die Botschaft vom Heil der Welt, die Kunde vom Kommen der Friedenskönige tragen die wissenden Hüter längst in ihrem Herzen!«

Es erging kein Signal, mit dem Absinken meines Bottichs innezuhalten, mir wurde es arschkalt, vor allem ums Gemachte herum, was weit unangenehmer war. Die Herren wirkten völlig versteinert, endlich ergriff der Inquisitor das Wort. »Herzen kann man herausreißen«, sagte er trocken, »doch Eures, William, wird Euch bald zwischen Beinen und Arsch hängen!«

»Dort spüre ich schon nichts mehr«, entgegnete ich mit klappernden Zähnen, »wenn Ihr noch etwas Nützliches von mir zu erfahren wünscht, dann zieht mich rasch wieder hinauf - oder ertränkt mich zur Gänze!«

Ich vernahm ein meckerndes Lachen. »Seht Ihr, William, wir kommen uns schon näher.« Tatsächlich hob sich der Bottich, das Wasser lief plätschernd aus dem Spundloch, ich verspürte das Bedürfnis, mich meiner nassen Hosen zu entledigen, nur war es dazu viel zu eng. »Ihr berichtet dem hier versammelten hohen Tribunal jetzt alles, was Ihr über die angebliche >Bedeutung< des Königlichen Paares wisst, über seine so genannte

>Bestimmung<?« Guy de Muret legte geradezu wärmende Freundlichkeit in seine Stimme. »Uns interessiert im Besonderen, welche herausragenden Umstände ausgerechnet diese beiden Ketzerkinder dazu ausersehen haben, jene aberwitzige Rolle einzunehmen?«

Ich besann mich nicht lange, eh mir mein armer Speivogel gänzlich abfror, war ich gewillt, ihnen Mäuler und Ohren mit den Gerüchten voll zu stopfen, die mir höchst unterschiedlich bislang zu Gehör gekommen waren. Ein keineswegs nachweisbares Wissen um die Herkunft von Roc und Yeza konnte dem Inquisitor wenig

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nützen, hingegen meinen Lieben kaum schaden. Auch wenn ich den sinistren Spitzhüten das Erfahren der kostbaren Blutslinie eigentlich nicht vergönnte - und diesem ungehobelten Patriarchen schon gar nicht -, irgendein Opfer musste gebracht werden!

»Die Geschichte von der jungfräulichen Kastellanin der Ketzerburg Montsegur«, hub ich an zu erzählen.

»Esclarmunde mit Namen - nicht zu verwechseln mit der berühmten Hüterin des Gral - «

»- die damals schon längst nicht mehr lebte!«, unterbrach mich Herr Guy unwillig, doch sachkundig.

»Zur Hölle gefahren!«, schnaubte der Patriarch, was mich nur anstachelte.

»Als die Bedrohung Okzitaniens und seines freien, >reinen< Glaubens -« Seinen Zorn kaum verbergend, stieß der Daumen seiner beringten Hand zitternd nach unten, worauf sofort wieder kaltes Quellwasser meine Gliedmaßen umspülte. »Als die Bedrohung des >reinen< Glaubens durch Rom und Frankreich«, keuchte ich dagegen an, »immer größer wurde.« Der junge Inquisitor setzte sich durch, mein Bottich stieg noch einmal, und ich fuhr bibbernd fort: »- machte sich die junge Esclarmunde zusammen mit ihrem greisen Vater auf, den Stauferkaiser Friedrich um Hilfe zu bitten - «

»Seht ihr?!«, wandte sich der Patriarch zeternd an sein collegi-um secretum. »Seht ihr, welch Abgrund von Häresie?!«

Ich unterbrach seinen Ausbruch mit überlegener Ruhe. »Sie reisten in die Höhle des Löwen, nach Apulien.« Ich wartete ab, bis ich die Aufmerksamkeit aller wieder erlangt hatte. »Doch nichts lag Friedrich ferner, als seine schützende Hand den ketzerischen Okzitaniern zu reichen, zumal er mit dem französischen König in engster Allianz stand. Der Kaiser wies ihr Ansinnen brüsk zurück, doch nicht das Fleisch des jungen Weibes«, jetzt konnte ich sie sabbern hören, leise röcheln. »In seiner sattsam bekannten Geilheit fiel der Staufer nächtens über Esclarmunde her, bevor er sie von seinem Hofe jagen ließ.«

»Hoho!«, dröhnte die grobe Lache des Patriarchen, in die alle anderen einfielen. Ich ließ sie sich auf die Schenkel schlagen und wartete.

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»Zurück auf dem Montsegur fühlte sich die Gedemütigte alsbald guter Hoffnung. Das muss sich rund vier Jahre vor dem Fall der Ketzerburg zugetragen haben - «

»Es geschah im Jahre des Herrn 1244, dass dort oben wieder das Kreuz aufgerichtet wurde«, präzisierte Guy de Muret, doch der Patriarch zischte frohlockend dazwischen:

»Und unten an seinem Fuße warteten die Scheiterhaufen!«

Ich ließ die Begeisterung erst abklingen, bevor ich den zweiten Faden aufnahm. »Ungefähr zur gleichen Zeit suchte eine hochschwangere Nonne Zuflucht auf dem Montsegur.«

»Hört, hortü«, hechelten die Spitzhüte begierig. »Graviäüas monachae in cauda nefarii causa!"

Guy de Muret machte mir Zeichen fortzufahren. "Es musste sich bei der Unbekannten um eine Dame aus höchstem Adel handeln, wohl von königlichem Blut - und zwar von einer dynastischen Seite, sodass die Geschichte, wenn sie denn herausgekommen wäre, ein politischer, mehr noch für die christliche Geistlichkeit ein Skandal gewesen war!« Ich genoss das geschluckte Entsetzen. »Aber ihre Abstammung blieb - dank der mächtigen Bruderschaft, die ihr diese Zuflucht verschafft hatte - bis heute im Verborgenen. Über die Vaterschaft wurde viel gemunkelt. Es hieß, der einzige männliche Nachkomme des unglückseligen - von der Ecclesia catolica verräterisch und tückisch ermordeten - >Perceval von Car-cassonne< habe bei seinem Versuch, das väterliche Erbe zurückzuerobern, davor in der letzten Nacht die Liebe dieser jungen Frau empfangen. Am nächsten Morgen fiel er im Kampf.« Das Tribunal unterbrach mich nicht, ich strebte einem zügigen Ende entgegen, von dem ich nun wieder einen mir gnädigen Ausgang erwartete. »Die von unsichtbaren Händen geschützte Nonne und die junge Kastellanin kamen etwa zur gleichen Zeit auf dem Montsegur nieder.

Esclarmunde brachte ein Mädchen zur Welt, die Fremde einen Sohn. Gleich nach der Geburt verschwand die Unbekannte wieder und ließ den Knaben in den Händen der jungen Wöchnerin Esclarmunde zurück, die beide Kinder an ihrer Brust großzog - «

Es herrschte kein Schweigen der Betroffenheit, eher einer gewissen Enttäuschung, dass ich ihnen keine satanischen Akte of-131

fenbart hatte, den großen incubus. Oder hatten sie von mir hören wollen, dass Roc und Yeza von einer Mutter Leib geboren, also in Wahrheit Geschwister waren? Damit hätten sie als >Paar<, und noch dazu als

>Königliches<, eine Angriffsfläche geboten, mit der die Kirche sie ohne Mühen von jeglichem Throne fern halten, ja die physische Vernichtung ihrer blutschänderischen Existenz hätte betreiben können. Ich hatte - der Stolz beflügelte mich - meinen Lieben wohl doch den rechten Dienst erwiesen, dass ich die wild rankenden Legenden als ehrlich bezeugte Geschichte aufgetischt hatte.

»Sie wurden also nicht christlich getauft?!«, stellte der Patriarch unlustig fest.

Jetzt ritt mich der Teufel. »Nie und nimmer!«, rief ich aus. »Sie wurden in die Gleyiza d'amor aufgenommen, was Ihr die Ketzerkirche nennt, als sie im zarten Alter von drei oder vier Jahren die schützende Gralsburg Hals über Kopf verlassen mussten. Doch fühlten sich beide zeit ihres jungen Lebens, und soweit ich dies verfolgen durfte, dem >reinen< Glauben zugetan, dem Vertrauen auf den Parakleten, den Erlöser vom Übel dieser irdischen Welt!«

»Sie müssen vernichtet werden!«, brüllte der Patriarch. »Ausgerottet mit Stil und Stumpf, ehe ihr böser Samen über uns kommt, um Christi willen!«, wandte er sich, mit beiden Armen fuchtelnd, beschwörend an die Mitglieder des geheimen Tribunals, während gleichzeitig mein Bottich sich rasant wieder mit Wasser zu füllen begann, die unsichtbaren Folterknechte, die das Seil bedienten, mussten ihn wohl missverstanden haben.

»Das wird Euch nicht gelingen!«, schrie ich gegen ihn an. »Eher wird Gott Euch zermalmen, Jakob Pantaleon, elender Flickschuster!«

Diese Bloßstellung war zu viel für ihn. »Fahr zur Hölle, dämlicher Minorit!«, waren die letzten Worte, die ich noch vernahm, dann rauschte mein Bottich in die Tiefe, die Wasser schlugen über meinem Kopf zusammen, ich schnappte nach Luft, schluckte das flüssige Eis, es drang mir in die Lungen und ins Gehirn mit tausend Nadeln, ich erstickte und platzte zugleich - dann spürte ich nichts mehr ...

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WILLIAM LAG AUF DEM NACKTEN STEINBODEN der Küche von Mauclerc, lediglich eine

Strohmatte hatten sie ihm unter den entblößten Torso geschoben. Nicht erlebt hatte er, jedenfalls nicht bei Bewusstsein, wie der Rote Falke auf seinem Brustkasten kniete und mit verzweifeltem rhythmischem Pressen sich bemühte, das kaum noch schlagende Herz wieder in Gang zu setzen. Sein Freund David, der einarmige Templer, sorgte dafür, dass der Kopf des Minoriten in der Seitenlage blieb, um das stoßweise austretende Wasser abfließen zu lassen. Schließlich hatte Williams kräftiges Herz wieder zu klopfen begonnen, und sie flößten ihm vom scharfen Branntwein ein, mit dem sie seine ausgekühlten Gliedmaßen immer wieder eingerieben und abgerubbelt hatten. William schlug erstaunt die Augen auf.

»Wo bin ich?«, fragte er matt die über ihn Gebeugten.

»Nicht im Himmel«, spöttelte David. »Guy de Muret hat von seinem Recht Gebrauch gemacht, einem

tolldreisten Bruder des heiligen Franz die Hölle zu ersparen!«

»Er war es, der Euch samt Käfig aus dem Brunnen ziehen ließ -der Patriarch konnte es nicht hindern!«, fügte der Rote Falke erklärend hinzu.

»Und wo kommt Ihr her, wenn ich also nicht im Himmel noch in der Hölle bin? «

»Wir sind deine Schutzengel«, grinste David, »denn du bist an einem weitaus übleren Ort gelandet: Mauclerc gehört dem Patriarchen - «

»Ach, deswegen kannte auch keiner hier den Lorenz von Orta - «

»Gott sei Dank beklagte sich der Herr Secretarius aber noch rechtzeitig bei uns, als du nicht dort eintrafst, wohin er dich hatte schicken wollen - «

»So sind wir gerade dann hier angelangt«, verkürzte der Emir die Ausführungen seines Begleiters, »als der Herr Inquisitor völlig hilflos neben der Wasserleiche stand, die er mithilfe der schluchzenden Köchin und des zitternden Mohren aus dem vergitterten Bottich hatte befreien können.«