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an, »die sich noch an das Königliche Paar erinnern müssten - würdet Ihr Roc Trencavel und die Prinzessin Yeza wieder erkennen?«

Der alte Haudegen besann sich nicht einen Moment. »In jeder Verkleidung, unter Tausenden würde ich sie herausfinden!«, erklärte er spontan, und ein Leuchten ging über sein faltiges Gesicht. »Ich würde mich sehr glücklich schätzen, wenn es mir vergönnt wäre - sie fehlen mir«, setzte er seufzend hinzu und verbesserte sich sogleich, »uns allen!«

Kitbogha nickte. »Ich gebe Euch eine Hundertschaft an die Hand. Der offizielle Auftrag lautet, die beiden Seldschukenprinzen, die uns kaum gefährlicher werden können als sie sich selber - mit ihrer blödsinnigen Sucht täglich aufeinander einzuschlagen - « Kitbogha verbarg sein Missvergnügen nicht, raunzte dafür den Hauptmann an, »unverzüglich bis zum Euphrat zu eskortieren und überzusetzen.«

»Ich verstehe«, zeigte sich der Hauptmann sogleich verständig, »damit sie in ihre Stammlande zurückkehren und ihren alten Vater glücklich machen.«

»Der alte Seldschukensultan soll im Sterben liegen«, beschied ihn Kitbogha, »was ihnen der willkommene Anlass sein wird, die Nachfolge auszufechten.« Knurrend setzte er noch hinzu: »Ich will sie nicht länger zwischen den Füßen haben!« Der Oberkommandierende war mit seinen Gedanken sofort wieder bei der Sache.

»Ihr nehmt den Weg über die Oase Palmyra und schaut Euch dort um, wer eigentlich von diesen Derwischen das Sagen hat. Gelingt es Euch, den Mann zu überzeugen, dass er gut daran täte, mit Euch zu kommen, um dem Il-Khan förmlich zu huldigen, bringt ihn mit. Aber keine Gewalt, keine kriegerische Handlung! Habt Ihr mich verstanden?!«

»Gewiss!«, antwortete der Hauptmann sinnend. »Doch was ist mit dem Königlichen Paar? «

Kitbogha nahm befriedigt zur Kenntnis, dass er den richtigen Mann gewählt hatte. »Haltet Eure Augen offen«, er versuchte sich in die Lage seines Untergebenen zu versetzen. »Sollten sie nicht auf Mard' Hazab unserem Sundchak in die Hände gefallen sein und Euch in Freiheit begegnen, was ich mir für sie wünsche, teilt ihnen 138

mit, wie sehr wir alle sie vermissen, stellt Euch ihnen zur Verfügung, sie sicher heimzugeleiten.« Er dachte angestrengt nach, aber eine klare Anweisung fiel ihm nicht ein. »Doch tut ihnen keinen Zwang an. Es liegt in Eurem Geschick, Hauptmann, ob sie Eurer Einladung folgen werden.« Die beiden alten Kriegsmänner

schwiegen sinnend. »Ich bin mir nicht sicher«, rang sich Kitbogha dann ab, seine Zweifel in Worte zu fassen,

»ob die kleinen Könige uns noch lieben?«

DAS ANSEHEN DES EL-AZIZ hatte in den Augen der Nomaden einen nicht einmal mehr durch Blut

abzuwaschenden Schaden genommen. Der Schlag ins Gesicht von der Hand einer Frau war letztlich - allein als Gedanke - derart unvorstellbar, dass er Yeza wie durch einen mächtigen Zauber in die Stellung einer Priesterkönigin katapultierte, weit erhaben über Sitte und Ehre des Gezüchtigten und auch aller tief erschütterten Zeugen des Vorfalls. El-Aziz hingegen stürzte schlagartig aus dem Sattel eines Sultanssohns vor die Hufe des Gesetzes der Wüste. Niemand sprach ihn mehr an, selbst der willfährige Meister des Bades und sein ihm ergebener Koch der Köche vermieden es, das Wort noch an ihn zu richten, sondern hielten sich devot an die

»Erhabene Prinzessin«. Yeza jedoch hatte das Mitwirken der beiden an dem Komplott längst durchschaut und zeigte ihnen die kalte Schulter. Sie ritt alleine der Karawane voraus und duldete niemanden neben sich. Dass die Kamele der Nomaden hinter ihr den wieder eingerollten Kelim trugen, interessierte sie nicht. El-Aziz mochte ihn zu den Mongolen schleppen, um damit die Huld des Il-Khan wiederzuerlangen. Genauso gut hätte er sich seiner unterwegs in der Wüste entledigen können oder dem Nächstbesten schenken, der des Weges kam. Für sie existierte der Teppich nicht mehr, noch weniger als ihr unglücklicher >Befreier<, der wie ein Ausgestoßener hinterdrein trabte.

So erreichten sie den Tigris, fanden auch einen Fährmann, der sich jedoch weigerte, die schwere Teppichrolle auf sein Floß zu

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laden, das gewisslich allein unter ihrer Last - auch ohne die Kamele - absaufen oder kentern würde. Doch weder die Nomaden, geschweige denn Yeza, kamen dazu, den besorgten Mann zu überreden, denn von hinten drängelte sich plötzlich El-Aziz durch, riss seinen Scimtar aus der Scheide, sprang den Fährmann an wie ein Löwe, nur, dass er ihm statt seiner Zähne die Klinge an die Gurgel presste. Die Nomaden verhielten sich auch jetzt völlig indifferent; dem Hals entströmte bereits Blut, denn der gedemütigte Sultanssohn hatte bei dem Ausbruch angestauter Wut seine Schwerthand nicht unter Kontrolle, sie zitterte, und der scharfe Stahl schnitt sich immer tiefer in die gespannte Haut.

»Weder du Hurensohn«, schrie er ihn mit überschlagender Stimme an, gemeint war aber Yeza, die der Szene ostentativ den Rücken zuwandte, »ihn al ahira! — noch sonst wer werden mich hindern, dich zur Hölle zu schicken, wenn du nicht auf der Stelle - «

»Ich!«, sagte Yeza deutlich vernehmbar, ohne sich umzuwenden. »Lass ihn los -«

»Du, du -!«, stammelte El-Aziz, er brachte das Wort »Hure« nicht über die Lippen, schon weil sein verwirrter Geist, fieberhaft um seine verletzte Männlichkeit kreisend, krampfhaft nach einem Schwenk suchte, der ihn wieder in seine Rechte als Herr über dieses Weib einsetzte. »Küss mir die Füße«, zischte er sie an, »sonst -«, der Druck seiner Klinge ließ jetzt das Blut in Strömen aus der Wunde fließen.

»Komm her und hol dir, wonach es dich verlangt«, sagte Yeza, mit geradezu unterwürfiger Freundlichkeit, und drehte sich langsam zu ihm um. Sie tat ein Übriges, sie beugte das Knie und senkte ergeben ihren Blick. El-Aziz ließ sein Opfer keineswegs fahren, aber er löste seinen Scimtar von dessen Hals und trat mit der blutigen Waffe fuchtelnd auf Yeza zu, den malträtierten Fährmann an den Haaren hinter sich herzerrend. Um seinen Triumph für alle sichtbar zu machen, schlüpfte El-Aziz aus seiner Sandale und hielt Yeza den von Wüstensand und Uferschlamm verdreckten Fuß hin, gleichzeitig seine Klinge drohend erhebend. Die Nomaden verharrten schweigend.

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»Leck ihn sauber, Weib!«, schnaubte El-Aziz in einer Art, die er für furchterregend und vor allem respektgebietend hielt. Yezas langsamem Griff zurück zum Nacken unter ihr dichtes Blondhaar schenkte er keine Beachtung, weil sie die andere Hand demütig nach dem Fuß ausstreckte und sich zu ihm niederbeugte.

Danach ging alles blitzschnell. Ihre schlanken Finger umschlossen den kleinsten der Zehen wie die Scheren eines Krebses, rissen ihn über das gebeugte Knie, während schon ihr Dolch aufblitzte und geschwinder, als selbst die gebannt starrenden Nomaden es wahrnehmen konnten, einen Schnitt über den Handrücken seines Schwertarms zog. Mit einem Schrei ließ El-Aziz den Scimtar fallen und stürzte vorwärts, über die abgeduckte Yeza hinweg.

Als er versuchte, sich aufzurichten, stand sie schon über ihm, auf seiner Hand und hielt den Scimtar in einer Weise, die keinen Zweifel ließ, dass sie mit ihm umzugehen wusste und auch kaum zögern würde, es unter Beweis zu stellen. El-Aziz blieb also liegen, mit dem Gesicht im Uferschlamm.

Der zu Boden geschleuderte Fährmann rappelte sich als Erster auf. »Ihr seid es, Prinzessin«, keuchte er, »die mir befiehlt!«

Yezas Blick schweifte über die Fähre zu der wartenden Karawane mit dem Teppich. »Lasst Euch verbinden«, sie winkte den Meister des Bades herbei, »und setzt mich dann über!«, entschied sie. »Und danach alle anderen, so wie sie es wünschen. Als Letztes den Teppich!« Sie warf den Scimtar verächtlich dem El-Aziz vor die Füße, und ohne sich umzuwenden, betrat sie die schwankende Fähre.

Yezas heimliche Hoffnung war, dass das Gewicht der Rolle den Kahn schlussendlich unter Wasser drücken würde und der Teppich auf Nimmerwiedersehen in den Fluten des Tigris versinken würde. Aber ihre Rechnung ging nicht auf. Bereits am jenseitigen Ufer harrend, musste sie zusehen, wie die Nomaden mit Hand anlegten und unter äußerster Kraftanstrengung die Fähre samt der Rolle durch das lehmige Wasser hinüberzerrten.

Mit aufsteigender Wut beobachtete Yeza, wie das dunkle Ungetüm die trüben Wellen des Flusses teilte und sich unaufhaltsam auf sie zubewegte, bis die Fähre endlich zu ihren Füßen im Ufer-141

schlick auflief. Danach hatte sich die Rolle derart voll gesogen, dass alle Mann nicht mehr in der Lage waren, sie auf die geduldigen Kamele zu wuchten. Also wurde der Kelim zum Trocknen ausgebreitet.

Yeza musste tagelang warten, denn die Nomaden waren einerseits nicht gewillt, den angenommenen Auftrag unerfüllt im Stich zu lassen, andererseits auch nicht bereit, die Prinzessin schutzlos in die vor ihnen liegende Wüste ziehen zu lassen. Sie betrachteten Yeza als ein übernatürliches Wesen, dem sie sich voller Verehrung unterwarfen wie einer kriegerischen Göttin, aber den Kult ihres Tempels bestimmte das langsame Trocknen des Teppichs. Sie zogen eine unsichtbare Bannmeile um ihr Zelt am Ufer, die nur der Meister des Bades und der Koch der Köche ehrerbietig betreten durften. Yeza ertrug die Zeit mit zusammengebissenen Zähnen. Sie wünschte, Rog würde zu ihr zurückfinden.

Die Nähe von El-Aziz blieb ihr hingegen erspart. Der Sultanssohn wurde gezwungen, sich abseits zu halten wie ein Aussätziger.

DIE MONGOLISCHE HUNDERTSCHAFT unter dem bewährten Hauptmann Dungai, den Kitbogha für diese

Mission ausgewählt hatte, bewegte sich zügig auf der alten Handelsstraße gen Osten in Richtung Palmyra. Nur, dass die beiden Seldschukenprinzen, die sie bis zur Grenze des Seldschukensultanats eskortieren sollte, vorne am Kopf des Zuges ritten, als seien sie die Feldherren und Speerspitze eines Kommandounternehmens. Alp-Kilidsch und der jüngere Kaikaus waren umringt von ihren eigenen Leuten, nicht vielen, aber allesamt tatendurstige Krieger. Einzig Rhaban, ihr alter Fechtmeister, sorgte immer wieder ausgleichend dafür, dass nicht mit zunehmender Entfernung vom Feldlager der Mongolen, die sie lange genug als Geiseln festgehalten hatten, es zu offenen Feindseligkeiten mit der diszipliniert nachfolgenden Hundertschaft kam. Je mehr die Freiheit der Steppe winkte, desto ungebärdiger verhielten sich

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die Prinzen. Längst hatten sie begonnen, aus dem Stand heraus zu wilden Wettrennen anzusetzen, wobei sie es nicht unterließen, im vollen Galopp aufeinander einzuschlagen, dass die Funken sprühten. Und der ihnen begeistert nachstiebende Haufen feuerte sie dabei noch an. Der Fechtmeister hatte alle Mühe, die beiden Kampfhähne immer wieder zur Raison zu bringen.

Von der Statur her waren sich Kaikaus und sein älterer Bruder ähnlich wie Zwillinge, was der Erstgeborene an Erfahrung und auch Tücke voraushatte, machte der Jüngere durch ungestümen Kampfesmut wett, der jedoch schnell in Jähzorn umschlagen konnte. Ihr Abstand zur nachfolgenden Hundertschaft vergrößerte sich teilweise derart, dass der Hauptmann fürchten musste, sie aus den Augen zu verlieren. Ihm wäre es nur allzu recht gewesen, wenn er sie auf diese Weise vom Hals gehabt hätte, doch der Befehl seines Oberkommandierenden war klar und schon kompliziert genug, denn es galt auch Palmyra, die seltsame Stadt der Derwische inmitten der Wüste, zu erkunden und wenn möglich zu einem symbolischen Akt der Unterwerfung zu bewegen. Wenn

Dungai an das ungezügelte Auftreten der Seldschuken direkt vor seiner Nase dachte, sah er eher größte Schwierigkeiten für seine Mission auf sich zukommen. Denn die ungebärdigen Prinzen hatten damit begonnen, Scheinattacken auf entgegenkommende Händlerkarawanen zu reiten, bei denen ihr Gefolge sie johlend bejubelte, wenn eines der Lasttiere verschreckt ausbrach und in die steinige Wüste flüchtete, wo die Treiber es mühsam wieder einfangen mussten. Auch Hirten mit ihren Herden, die der wilde Haufen überholte, mussten um das Leben ihrer Tiere fürchten, wenn sie voller Angst auseinander stoben. Hauptmann Dungai brachte ärgerlich seine Mannen auf schnelleren Trab, um den Abstand wieder aufzuholen. So stob die Kavalkade staubaufwirbelnd dahin, auf Palmyra zu ...

Sybille, die Fürstin von Antioch, hatte ihrer jüngeren Schwester Johanna, verheiratet mit dem Herrn Julian von Sidon und Beaufort, einen Besuch abgestattet. Ein besonderer Anlass dafür lag nicht vor, noch herrschte besonders innige Schwesternliebe zwischen den beiden Töchtern Hethums, des Königs von Armenien. Der ei-143

gentliche Grund bestand einzig und allein darin, dass die mit Ende zwanzig schon nicht mehr zur knospenden Jugend zählende Sybille sich an der Seite ihres wesentlich jüngeren Gatten Bohemund entsetzlich langweilte.

Somit war ihr jeder Vorwand recht, auf Reisen zu gehen, denn das erlaubte ihr, die kühnsten Ritter des Fürstentums als Begleiter zu erwählen und sich in Abenteuer zu stürzen. Zu den edlen Herren aus dem Süden Frankreichs musste sie bald auch Guy de Muret rechnen. Der Dominikaner hatte sich Sybille ursprünglich als Beichtvater angedient, aber mehr und mehr traten bei Guy recht weltliche Neigungen zutage. Eines Tages, zurückgekehrt von längerer Pilgerreise in den Süden, behauptete er, der ehrwürdige Patriarch von Jerusalem habe ihm in eigener Person Dispens erteilt, das Kreuz mit dem Schwert zu vertauschen. Guy de Muret gesellte sich zu seinen Landsleuten aus Okzitanien, übte sich im Waffenhandwerk, stellte ihrer Kammerzofe Alais nunmehr ohne jede Scham nach und vernachlässigte zusehends sein geistliches Amt zur Gänze. Sybille war es nicht einmal unrecht, solange die Form gewahrt blieb. Sie hatte nichts zu beichten! Schon gar nicht ob des Umstandes, dass die heißblütige Fürstin diesmal auf einen dieser Okzitanier ihr vor ungestillter Leidenschaft glühendes Auge geworfen hatte.

»Die armenische Sybille hat Feuer unterm Arsch!«, wie Guy de Muret, der streitbare Dominikaner, grinsend zum dicklichen Pons de Tarascon bemerkte, als der Dritte in ihrem Bunde, sicher der stattlichste und die anderen auch um Hauptes Länge überragende Terez de Foix, im Zelt der Fürstin verschwand.

»Denn nichts geht der Dame über den Dienst am vorderen Ofenloch!«, schnalzte sein Kumpan Pons fast neidisch, war er doch noch nie zum Beschicken des Feuerofens aufgefordert worden. Auch der drahtige Dominikaner, ein spitznasiges Fuchsgesicht, konnte sich nur auf seine blühende Phantasie stützen, denn die mitreisende Alais, mit der er gern im heimlichen Konkubinat gelebt hätte, diente der Fürstin als Hofdame und Zofe. Das schloss auch ihn von jeder handfesten Erfahrung als williger Heizer aus, schon ein solches Ansinnen hätte bei der milden und tugendhaften Alais einen denkbar schlechten Eindruck hinterlassen. Allerdings 144

hatte auch Sybille nie erwogen, die Dienste dieser beiden in Anspruch zu nehmen. Ihr reichten die Darbietungen von Terez voll aus, schließlich hatte sie mit Bedacht dessen Frau Berenice, vom Rang her ihre Erste Dame, in Antioch zurückgelassen, damit sich der Herr de Foix durch nichts abgelenkt oder gar gehemmt erweisen sollte.

Die kleine Reisegruppe bewegte sich - unter weiträumiger Umgehung von Damaskus - auf wenig benutzten Karawanenwegen gen Norden, denn man wollte es vermeiden, den Mongolen in die Arme zu laufen, und die Fürstin war sich nicht sicher, ob ihr traniger Dickkopf von Ehemann bereits dem Il-Khan gehuldigt hatte, wie sie ihm dringend vor ihrer Abreise ans Herz geigt hatte. Es hieß, die Mongolen stünden bereits vor den Toren der syrischen Hauptstadt, also hatte sich Sybille mit ihrem Favoriten dahingehend beraten, dass sie, quasi querfeldein, in der eingeschlagenen Richtung weiterziehen würden, bis sie auf die berühmte Handelsstraße von Palmyra stoßen würden. Dann sei man weit genug im Rücken der lästigen Mongolen und könnte auf diesem Weg unbehelligt über Homs zur Küste und nach Antioch heimkehren. Angeblich wimmelte der Antilibanon bereits von diesen kurzbeinigen Reitern auf ihren struppigen Pferden. Von dem gewiss einfacheren Seeweg hatte man ihr auf Beaufort abgeraten, weil die Küsten zurzeit von Piraten stärker denn je unsicher gemacht würden und sich keine der Hafenstädte so recht darum kümmere, weil alle wie gebannt auf das Vorrücken der Mongolen starrten - und die waren, weiß Gott!, keine Schutz vor Übergriffen garantierende Seemacht!

Sybille war diese Entwicklung sehr zupass gekommen, denn dieser weiträumige Umweg gab eine triftige Entschuldigung für ihr langes Ausbleiben ab und vergönnte ihr noch etliche Nächte mit ihrem Geliebten unterm Sternenzelt.

Dungai, der Hauptmann der Mongolen, hatte die Prinzen Alp-Kilidsch und Kaikaus samt ihrem Gefolge inzwischen insofern an die Kandare genommen, als er grimmig dafür sorgte, dass seine Leute ihnen ständig an den Fersen klebten, gleich welche Gang-141

art sie einschlugen. Doch als die Seldschuken die ihnen entgegenkommende kleine Reisegruppe erblickten, gab

's für sie kein Halten mehr. Eine vornehme Dame in einer verhangenen Sänfte auf dem Rücken eines Kamels, eine weitere, wohl ihre Zofe, hielt sich unverschleiert an ihrer Seite, bewacht von drei westlichen Rittern nebst einigen Knechten! Alp-Kilidsch und sein Bruder preschten vor, kaum, dass ihre eigene Truppe ihnen zu folgen vermochte. Sie prallten auf die drei Okzitanier, die schon die Schwerter gezogen hatten und eine schützende Kette vor den Tieren der Damen bildeten. Die Prinzen schickten ihren Fechtmeister vor, der die Söhne des Sultans aller Seldschuken förmlich vorstellte.

»Es geht meinen Herren nicht um Raub oder Besitz der Frauen«, erklärte er steif, »sondern um die Ehre der Damen -« Ehe Terez, Pons sowie Guy überhaupt begriffen, was im Gange war -außer, dass hinter den Vorgepreschten wie eine drohende Mauer eine Hundertschaft der Mongolen verharrte und offensichtlich nicht gewillt war, den Weg freizugeben, fuhr der Parlamentär fort, »so verlangen meine Herren danach, mit Euch, edlen Rittern des Westens, die Waffen zu kreuzen - Mann gegen Mann!«

Der Erste, der seine Sprache wieder fand, war Guy de Muret, der längst seine Kutte gegen eine blinkende Rüstung getauscht hatte. »Mit Euch nimmt unser Kleinster es alleine auf!« Er zeigte auf den pummeligen Pons, der sich sofort in die Brust warf, aber Terez verwies es ihm.

»Mir gebührt die erste Klinge«, befand er, ohne Widerspruch zu dulden. Kaikaus und Alp-Kilidsch sprangen gleichzeitig vor und rissen ihre Scimtare aus dem Gehänge. Aber ihr Fechtmeister trat ihnen entschieden in den Weg.

»Lasst mich diesem Fremden zuvor eine Lehrstunde erteilen, bevor Ihr Euch mit dem Blut Ungläubiger befleckt!«, und an Terez, Guy und Pons gleichzeitig gerichtet: »Wer von Euch stellt sich mir für die Lektion zur Verfügung?«, fragte er nicht einmal überheblich, sondern nur seiner Sache so gewiss, als läge der Waffengang schon hinter ihm. Die neugierigen Mongolen hatten inzwischen ein ordentliches Rechteck gezogen, dessen letzte offene Seite von der zusammenstehenden Reisegruppe mit der Sänfte, den beiden

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Damen und den sich davor postierten Okzitaniern gebildet wurde. Die beiden Prinzen hielten sich nur mühsam zurück, denn ihr Fechtmeister schnappte ihnen damit den schönsten der drei möglichen Gegner weg.

Terez zog sein Schwert, klappte sein Visier runter und ließ sein Pferd tänzelnd vorwärts schreiten. Der Waffenmeister hob lässig seinen Schild und -

»Nein!«, gellte da der schrill protestierende Schrei der Fürstin. Frau Sybille hatte den Vorhang ihrer Sänfte zur Seite gerissen. »Haltet ein!« Ihr gestreckter Arm wies auf eine Gestalt, die im gestreckten Galopp aus der Wüste heranfegte. Nach seiner Bewaffnung zu schließen, war es ein Mongole, auch schwang er seinen Krummsäbel in der gleichen Art wie dieses Reitervolk. In den Reihen der Hundertschaft entstand Unruhe, aber es war der Hauptmann Dungai, der plötzlich von seinem Pferd sprang und sich im Kotau zu Boden warf.

»Unser König!«, rief er seinen Mannen zu. »Unser junger König ist zurück!«

Ehe sie ihm noch nacheifern konnten, hatte auch Pons schneller als seine Gefährten den Reiter aus der Wüste erkannt, obgleich er ihm noch nie begegnet war: »Roc Trencavel!«, seine Stimme überschlug sich vor Begeisterung. »Er muss es sein! Trencavel, unser Held!«

Roc, in der Rüstung und auf dem Pferd des Khazar, setzte mit einem gewaltigen Satz in das Geviert, ließ sich erschöpft aus dem Sattel gleiten, sofort umringt von den drei Okzitaniern, umarmt allerdings nur von dem begeisterten Pons, während sich Terez vornehm zurückhielt und Guy de Muret noch mit seinem Gewissen als einstiger Mann der Kirche rang, schließlich war dies also der ketzerische Trencavel, den der Patriarch so sehnlich zur Hölle wünschte. Die beiden Seldschukenprinzen mit ihrem Fechtmeister standen fassungslos, keiner kümmerte sich noch um sie, geschweige denn, dass sich jemand mit ihnen duellieren wollte. Dann wurden sie auch noch von den aufgeregten Mongolen abgedrängt, die den fremden Ritter, diesen >König Trencaveh jubelnd hochleben ließen. Als Alp-Kilidsch und Kaikaus begriffen, dass es überhaupt

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nicht auffallen würde, wenn sie sich jetzt von ihrer Eskorte trennten, gaben sie ihrem völlig konsternierten Fechtmeister ein Zeichen und setzten sich ab. Quer durch die Wüste ritten sie von dannen in ihrem ohnmächtigen Zorn. Keiner beachtete ihr Verschwinden.

>Roc, der große Held< nahm dafür, dass ihm nicht im Geringsten klar war, wie er zu der Ehre kam, die ganze Aufregung mit kühler Selbstverständlichkeit hin, endlich widerfuhr ihm der lang ersehnte Respekt so, wie es dem >Trencavel< gebührte. Der einzige Wermutstropfen, den Roc schlucken musste, war, dass bereits die zweite Frage Yeza galt. Selbst ohne anwesend zu sein, zog sie sofort die Neugierde aller auf sich, ihr flogen die Herzen zu! Um vergleichbare Anerkennung zu erringen, von Hochachtung ganz zu schweigen, müsste er schon die Taten eines Herkules vollbringen! Roc wurde von den drei Okzitaniern den ihn dicht umdrängenden, Schulter klopfenden Mongolen aus den Armen gerissen und zur Fürstin gebracht, die eigens aus ihrer Sänfte herabstieg, um ihrem Retter zu danken, und ihn ausgiebig herzte und küsste. Alais, die errötend ihre wasserblauen Augen niederschlug, reichte ihm einen erfrischenden Trunk. Der Hauptmann der Mongolen besann sich des Auftrages, den ihm Kitbogha mit auf den Weg gegeben hatte. Immerhin hatte Dungai mit dem Trencavel die eine Hälfte des Königlichen Paares wieder gefunden. Er verneigte sich mehrfach vor Rog, und als es ihm endlich gelungen war, dessen Aufmerksamkeit zu erringen, brachte er mit fester Stimme sein Anliegen vor.

»Das Heer der Mongolen bittet Euch, sein Lager wieder als das Eure zu betrachten!« Ob des bei den Okzitaniern aufkommenden Unmuts hob Dungai seine Stimme. »Ihr seht mich bereit, Euch dorthin zu geleiten, wo der erhabene Il-Khan Hulagu und seine Gemahlin Dokuz-Khatun das Königliche Paar bereits sehnlichst erwarten!«

Seine letzten Worte wurden bereits übertönt von dem einhelligen Protest der Okzitanier, zu dem sich unüberhörbar das metallische Organ der Fürstin Sybille gesellte.

»Nie und nimmer!«, gellte es schneidend. »Ihr, liebster Trencavel, kommt mit uns nach Antioch!«, und gurrend fügte sie hinzu:

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»Dort will ich Euch über meine Ritter erheben, und an meiner Seite sollt Ihr an der Tafel sitzen!«

Das klang verlockend in den Ohren des Trencavel, zumal auch Terez, Guy und Pons sich nun um ihn drängten, um zu verhindern, dass ihnen ihr Held von den Mongolen entführt wurde. Hauptmann Dungai sah seine Felle wegschwimmen.

»Wir haben bereits eine Expedition ausgeschickt«, rief er stolz, wenn es auch nicht ganz der Wahrheit entsprach,

»die Eure Prinzessin Yeza heimführen wird, sodass das Königliche Paar sich wieder auf seinem Thron vereinigt

- «

>Yeza!< Rog wusste es besser, doch das verschwieg er geflissentlich, aber es gab den Ausschlag, sich für Antioch und die drei Okzitanier zu entscheiden. Wie immer es auch um seine damna stehen mochte, mit der Hilfe dieser neuen Gefolgsleute würde er Yeza wieder finden, befreien und nie wieder von ihr lassen!

»Richtet meinem väterlichen Freund, Eurem Oberkommandierenden, aus«, beschied er den untröstlichen Dungai, »dass ich rechtzeitig im Lager der Mongolen eintreffen werde, wenn sich die Prinzessin tatsächlich dort eingefunden hat!«

Die beiden Gruppen trennten sich. Die mongolische Hundertschaft nahm ihren Marsch nach Palmyra wieder auf, denn das war das Einzige, was dem Hauptmann blieb, wenn er nicht mit völlig leeren Händen vor seinen Oberkommandierenden treten wollte.

Die kleine Reisegruppe zog weiter die Straße in der Entgegengesetzten Richtung, um über Homs schließlich das Fürstentum im Norden Syriens zu erreichen. Roc ritt an der Seite der Sänfte der feurigen Sybille. Terez war es mehr als recht, dass die Armenierin ihm jetzt die kalte Schulter zeigte. In Antioch wartete seine Angetraute Berenice auf ihn, und die hatte ein feines Gespür für eheliche Untreue, gewisslich nicht gewillt, solche tatenlos hinzunehmen. Außerdem versprach das überraschende Zusammentreffen mit dem Trencavel neue, aufregende Abenteuer in Hülle und Fülle. Da wusste er sich mit seinen Kumpanen Guy und Pons einig: Mit Roc und Yeza würden wieder die guten alten Zeiten anbrechen, denn dass die beiden gar bald zum Königlichen Paar vereint, daran hegten die Okzitanier keinerlei Zweifel!

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Roc hingegen musste seine erheblichen Bedenken bekämpfen, ob der jetzt eingeschlagene Weg nicht der falsche war - gar ein Verrat an Yeza? Seine Selbstsucht gewann die Oberhand: Hatte er nach all der Schinderei und den erlittenen Demütigungen nicht etwas Wohlleben verdient?! Ein schlechtes Gewissen sollte ihn deshalb kaum plagen - vielleicht genoss Yeza gerade in vollen Zügen die Tatsache, von ihm getrennt zu sein? Sicherlich würde sie leichter, als es ihm gelang, mit diesem Schicksal fertig werden.

TAGELANG ZOG DIE KARAWANE mit dem Teppich durch die Wüste, Yeza einsam an der Spitze auf dem

Rücken eines Kamels, das die seldschukischen Nomaden ihr bereitwillig überlassen hatten, nachdem sie sich so eindrucksvoll gegen den Schwächling El-Aziz durchgesetzt hatte. Der Sultanssohn aus Damaskus hatte in den Augen der Seldschuken sein Gesicht endgültig verloren. Dass sie ihn noch bei sich duldeten, lag an dem Respekt für den Emir El-Kamil, der sie für diesen Transport angeheuert hatte. Ihre Ehre ließ nicht zu, den angenommenen Auftrag im Stich zu lassen. Nur legten sie keinen Wert darauf, den unglückseligen El-Aziz während des ganzen langen Ritts vor der Nase zu haben, weswegen er, flankiert von seinem Koch und dem Meister des Bades, die Nachhut der Karawane bildete.

Doch Yeza haderte mit sich, denn der Weg, den sie eingeschlagen hatten, würde eines Tages vor den Thronsesseln des Il-Khan und der Dokuz-Khatun im Feldlager der Mongolen enden, wo immer sich dies befinden sollte. Und genau dorthin, in die fürsorglichen Arme dieser betulichen Ersatzeltern, wollte sie auf keinen Fall zurück! Aber wohin sollte sie sich wenden?! Sie hatte keine Familie, die auf sie wartete, genau genommen hatte sie nur Roc, und der war ihr abhanden gekommen, hatte ihr wahrscheinlich den Rücken gekehrt, war wütend auf sie? Auch wenn er ihr damit keine Gerechtigkeit widerfahren ließ, sie, Yeza, war bereit, alle Schuld auf sich zu nehmen, sogar um Vergebung würde sie ihren Ritter bitten, die Rog allerdings großmütig gewähren musste - aber dazu musste sie ihn erst einmal wieder finden, und hier im

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trostlosen Osten würde sich ein Tatendurstiger wie Roc Trencavel nicht unnötig lange aufhalten. Ihn würde es an die belebte Küste gezogen haben, wo Kampf, Abenteuer und schöne Frauen auf jeder Burg, in jedem Hafen auf ihn warteten. Yeza sah das mit der gleichen Generosität, die sie auch für sich in Anspruch nahm - ab und an!

Sie erreichten den Fluss Euphrat. Keine Fähre weit und breit, aber die Bauern, die an den fruchtbaren Ufern ihre Felder bestellten, erzählten bereitwillig von leicht passierbaren Furten weiter im Süden, dort, wo die Handelsstraße von Palmyra nach Bagdad den Euphrat kreuzte. So zogen sie den Fluss entlang, bis er tatsächlich immer breiter und somit auch flacher wurde. Haine von Zitrussträuchern, behäbig auskragende Feigenbäume und hohe Dattelpalmen breiteten sich beidseitig aus, das gegenüberliegende Ufer lag teilweise so weit entfernt, dass man die Menschen und Tiere auf der anderen Seite kaum zu erkennen vermochte. Diesmal bestand Yeza darauf, als Letzte den Fluss zu durchqueren. Sie hatte keine Lust, noch einmal auf die Ankunft des dämlichen Teppichs zu warten, und vor allem wollte sie sich die Chance offen halten, sich unter Umständen von der Karawane und damit von ihrem >Retter und Befreier< El-Aziz lösen zu können. Dieses windige Bürschlein - so vermutete sie zu Recht - hatte nichts anderes im Sinn, als die Prinzessin schnellstmöglich bei den Mongolen abzuliefern.

Vielleicht erhoffte sich der Tölpel zur Belohnung von des Il-Khan Gnaden nicht nur als Sultan in Damaskus inthronisiert zu werden, sondern auch noch die Hand Yezas, als zukünftige Suitana - lachhaft!

Die Karawane, die Tiere mit der Teppichrolle und deren Treiber sowie die sonstigen berittenen Begleiter stiegen als Erste in die kaum hüfthohen Fluten, sie hatten einen Einheimischen aufgetrieben, der die Furt kannte und die Untiefen zu vermeiden wusste. El-Aziz mit seinen beiden Begleitern wollte ihnen auf der Stelle folgen, sie machten Yeza Zeichen, sich ihnen anzuschließen. Doch die Prinzessin würdigte das Angebot nicht einmal einer Antwort. Sie stand mit ihrem Reitkamel oben auf der Böschung im Schat-151

ten der Palmen und tat so, als nähme sie weder das heftige Gestikulieren wahr noch höre sie die Rufe. Ihr Blick war wie gedankenverloren auf den träge dahinfließenden Euphrat gerichtet. Die Karawane hatte bereits die Mitte des Flusses erreicht, als El-Aziz sein Bemühen um Yeza aufgab und seinen beiden Dienern befahl, sich nicht länger um die Störrische zu kümmern. Rasch ließen sie ihre Tiere hinter den vorausziehenden Nomaden herwaten. Yeza beobachtete bewegungslos, wie beide Gruppen eine nach der anderen für sie allmählich verschwammen, das gegenüberliegende Ufer hatte sie verschluckt. Yeza verfolgte weder einen bestimmten Plan, geschweige denn, dass sie einen Entschluss fasste. Sie wartete einfach ab. Entweder würde El-Aziz sich bei den Nomaden durchsetzen und einige, genügend, Leute zurückschicken, um die Prinzessin mit Gewalt zu holen, oder es geschah nichts dergleichen. Dann war sie frei, allerdings auch Freiwild als allein reisende Frau. Mit der ersten Möglichkeit rechnete sie nicht ernsthaft, denn das Verhältnis zwischen dem Sultanssohn und den Seldschuken ließ einen solchen Einsatz zu seinen Gunsten kaum erwarten. Sie erfüllten die Verpflichtung, die sie eingegangen, das war der Transport des wertvollen Kelim. Von einer Prinzessin darin war nie die Rede gewesen, das war die höchst private Angelegenheit des El-Aziz, und sie würden den Teufel tun, sich da einzumischen.

Umso erschrockener war Yeza, als sich jetzt vom gegenüberliegenden Ufer ein stattlicher Haufen von Kamelreitern löste und in lockerer Formation durch die Furt trabte. Im Näher kommen erkannte sie bald, dass es die Nomaden waren, die sich - ohne die Teppichrolle - schnell auf sie zubewegten. Jetzt die Flucht zu ergreifen war sinnlos, die Reiter würden sie hetzen wie Geparden eine Gazelle. Blieb sie hingegen stehen, wo sie stand, würde sie keine gefährliche Erregung provozieren und das Aufkommen von Jagdfieber vielleicht vermeiden. Die ersten Nomaden erreichten die Uferböschung, sie mussten Yeza gesehen haben, doch schenkten sie ihr keinerlei Beachtung, im Gegenteil, sie schauten grimmig durch sie hindurch, als würde die junge Frau, allein auf dem Kamel, für sie nicht existieren. Einer nach dem anderen stob grußlos an ihr vorbei, keiner drehte sich nach ihr um, und als auch der letzte der

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Seldschuken wieder festen Boden unter den Füßen hatte und den anderen hinterdrein geprescht war, stand Yeza plötzlich wieder allein, doch ziemlich verwirrt. Was war geschehen? Träge flössen die grünbraunen Wasser des Euphrat zu ihren Füßen. Sie starrte angestrengt hinüber zur anderen Seite des Flusses, dort musste des Rätsels Lösung liegen, aber so sehr sie sich auch mühte, mit zusammengekniffenen Augen das Dickicht der

Uferböschung zu durchdringen - drüben bewegte sich nichts. Hatte El-Aziz die Unerfüllbarkeit seines dummen Knabentraums eingesehen und sich ohne die ersehnte Prinzessin auf und davon gemacht - unter Verzicht auf den Kelim, der dann ja auch keinen Sinn mehr machte? Hatte er sich mit den Nomaden überworfen, hatten sie sich geweigert, den Teppich bis ins Heerlager der Mongolen zu schleppen? Yeza lenkte ihr Kamel bis an des Flusses Strand, ritt dort für jedermann sichtbar auf und ab, um zu sehen, ob sich drüben etwas regte - nichts! So töricht konnte dieser Sohn eines Sultans ja wohl kaum sein, dass er glaubte, ihr eine Falle stellen zu können? Selbst bei williger Mitwirkung seines Kochs und des Eunuchen waren sie nicht Manns genug, eine wie Yeza zu fangen -

niemals! Die drei Helden hatten wahrscheinlich längst das Weite gesucht. Yeza sah nicht ein, warum sie weitere Zeit verlieren sollte, und trieb ihr Tier in die Fluten. Den Weg durch die Furt hatte sie sich einigermaßen gemerkt, doch überließ sie es ihrem Kamel, sich behutsam über die verborgene Kette von Sandbänken voranzutasten, schließlich hatte sie keine Eile.

Yeza hatte noch nicht die Hälfte des Flusses hinter sich gebracht, als aus den Büschen vor ihr drei, vier Reiter hervorbrachen und ihre Pferde zwangen, sich den lehmigen Fluten anzuvertrauen. Sie hielten keineswegs auf den Abschnitt zu, unter dem sich die unsichtbare Furt dahinschlängelte, sondern schlugen einen weiten Bogen, als wollten sie vermeiden, mit der einsamen Reiterin zusammenzustoßen. Yeza achtete nicht weiter auf sie, obgleich ihr auffiel, dass sie nicht wie Reisende mit schwerem Gepäck behangen waren, hingegen allesamt gut bewaffnet.

Sie war gerade schon bereit, sie aus den Augen zuverlieren, als sie merkte, dass die Reiter hinter ihrem Rücken nun doch auf die Furt zustrebten, als woll-153

ten sie ihr einen möglichen Rückweg abschneiden, auch gaben sie sich nicht länger den Anschein, sie hätten die Überquerung des Flusses im Sinn. Yeza spürte langsam, wie sie näher kamen, also trieb sie ihr Kamel zur Eile an, um schnellstmöglich Land zu gewinnen, denn die Vorstellung, hinterrücks von den Kriegern im Fluss angefallen zu werden, bereitete ihr Unbehagen! Sie überlegte noch, mit welcher Finte sie sich von den Verfolgern absetzen könnte, als zur linken Hand nun am Ufer ebenfalls drei Reiter erschienen, die ganz offensichtlich danach trachteten, ihr den einzig noch offenen Fluchtweg entlang des flachen Strandes zu versperren. Sie peitschte entschlossen ihr Tier über die letzten Meter, dass das Wasser aufspritzte, setzte mit mächtigem Sprung in den trockenen Sand, der den breiten Hufen des Kamels gegenüber den Pferden über längere Distanz einen Vorteil bringen musste. Yeza riss ihr Tier herum, da sah sie, dass ihre Verfolger aus dem Fluss bereits schräg dem Ufer zu ihrer Rechten zustrebten. So erklomm sie die sandigen Dünen - das Kamel scheute, Yeza erstarrte: Vor ihr ragten drei Köpfe wie absonderliche Pilze aus der Böschung: El-Aziz, flankiert von seinen Begleitern, bis zum Hals im Sand vergraben! Yeza erschauerte, aber sie zwang das Kamel, das Hindernis zu überwinden, ohne Zögern, um das schützende Buschwerk zu erreichen. Doch am Brechen der Äste zur Rechten wie zur Linken begriff sie schnell, dass die Schlinge sich zuzog, die Jäger hatten sie bereits in die Zange genommen, sie trieben ihr Wild genau dorthin, wohin sie es haben wollten, ohne sich zu zeigen. Die Zweige des Gestrüpps verbargen ihre Gesichter, aber Yeza glaubte - weniger ihr heftiges Atmen als ihr Gelächter zu vernehmen. Machten sich die Unbekannten über sie lustig?!

Das Grün lichtete sich abrupt zu bestellten Feldern, weiträumig umzäunt. Inmitten der Fläche lag ausgebreitet vor ihr der Teppich! Brüsk zügelte Yeza ihr Tier. Keinen Schritt weiter. Die Hitze, die Strapazen, die Entbehrungen, das alles, um jetzt mit diesem Anblick konfrontiert zu werden? - Yeza wurde schwarz vor den Augen, sie erinnerte sich nicht, ob sie ihrem Kamel, das sie bis hier treu getragen, noch das Kommando zuflüstern konnte, niederzuknien, sie sank, sank in immer größere Tiefen ...

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Sie sah Rogs Kopf aus dem Sand ragen, sie selbst drohte in der Düne zu versinken, erst waren es nur ihre Füße, dann umschloss der rutschende Sand ihre Waden, sie ließ sich auf ihre Knie fallen, kam dennoch keinen Schritt vorwärts, sie warf sich auf den Bauch, mit ihren nackten Händen versuchte sie das Haupt ihres Geliebten freizuschaufeln, immer neue Mengen Sand rieselten, stürzten in Bächen, machten ihr Bemühen zunichte, in ihrer Verzweiflung griff sie in sein lockiges Haar, um ihn aus diesem Mahlstrom zu zerren - und hielt seinen abgeschnittenen Kopf in den Händen! Da erwachte Yeza.

Eisen klirrte gegen Eisen, kreischend glitten die scharfen Klingen aneinander entlang, bis mit hartem Schlag das Heft dem spitzen Schrei des Stahls ein Ende bereitete. Auf dem Teppich fochten zwei junge Männer, und was wie ein grausiges Spiel anmutete, war längst ein Kampf auf Leben oder Tod. Alles, was dazu geführt haben musste, lag im Dunkel ihres Schwächeanfalls und ihrer tiefen Ohnmacht. Yeza kannte sie beide nicht, und doch war ihr sofort klar: Der Preis war sie! Man hatte sie auf den Sattel ihres Kamels gesetzt, diesen mit untergeschobenen Futtersäcken und allerlei Decken erhöht, sozusagen ein improvisierter Thron für die Prinzessin. Außer Yeza nahm niemand die Breitseite des Kelim ein. Zur Rechten wie zur Linken an beiden Schmalseiten saßen - mit gebührendem Abstand zur Teppichkante - die jeweiligen Freunde und Anhänger der beiden Duellanten und verfolgten mit vor Spannung gekrümmten Rücken jede Finte, jeden Schlag, doch schienen sie gehalten, weder Jubel noch Schrecken laut werden zu lassen - nur in ihren Gesichtern und Gesten spiegelte sich die Erregung, wurden schmerzhafte Treffer zuckend mit empfunden und geglücktes Ausweichen mit glänzenden Augen registriert.

Yeza gegenüber stand, als Einziger aufrecht, ein barhäuptiger älterer Mann im dunklen burnus, das war Rhaban, der Fechtmeister der Seldschukenprinzen. Alp-Kilidsch und Kaikaus mussten zu Beginn ihres Schlagabtausches die rechte beziehungsweise - von Yeza aus gesehen - die linke Seite des zur Kampfmatte genützten Kelims gewählt haben. Das ging aus dem Verhalten ihrer jeweiligen Parteigänger hervor. Inzwischen wechselten die Positionen

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mit jedem Sprung, mit dem sie einen Hieb nach der Kniekehle übersprangen, mit jedem Abducken, wenn die sausende Klinge auf den Hals zielte. Akrobatisch ließen sie sich rückwärts fallen, um noch im Salto den Scimtar nach dem Gegner kreisen zu lassen. Selbst die gewagtesten Ausfälle parierten sie eher durch gewandte Körperdrehung, als dass sie ihren kostbaren Damaszener Stahl zum Abblocken eines Hiebes einsetzten. Was sie vollführten, war eine hohe Schule der Fechtkunst. Ihr Meister hätte stolz auf seine Eleven sein können, wenn er nicht - vielleicht als Einziger außer Yeza - gespürt hätte, dass beide es längst darauf anlegten, den Bruder nicht einfach außer Gefecht zu setzen, sondern ihm unverhohlen nach dem Leben trachteten. Mehr noch der ungestüme Kaikaus als der bedächtigere Alp-Kilidsch. Die Schläge gerieten immer heftiger, immer

unbarmherziger. Längst bluteten beide aus klaffenden Schnittwunden an Armen, Schultern und kreuz und quer über der Brust. Rhaban, der als Einziger offen eine kunstvoll ziselierte Damaszener-Klinge in der Hand hielt, während alle anderen des Gefolges sich ihrer Waffen zuvor hatten entledigen müssen, sah sich genötigt einzuschreiten. Furchtlos sprang er aus dem Stand zwischen die beiden.

»Keinen Sieger gibt es unter Euch, meine Prinzen«, knurrte der Grauhaarige mit erstaunlicher Ruhe, während er Kaikaus mit blitzschneller Finte den Scimtar aus der Hand wirbelte, »dafür aber bald den Ersten, der verstümmelt verbluten wird!« Der drahtige Fechtmeister ließ Alp-Kilidsch, der sein Eingreifen hinterhältig ausnutzen wollte, bis kurz vor die Spitze seiner Klinge laufen, die er ihm überraschend unters Kinn setzte, dass dieser vor Schreck mit der Hand nach ihr griff und sich schnitt.

»Anmaßend tragt Ihr dazu bei, Rhaban!«, fauchte Alp-Kilidsch, seine blutige Handfläche ihm entgegenstoßend,

»doch habt Ihr darüber nicht zu befinden - «

»Nur einer kann den Preis gewinnen«, tönte jetzt auch Kaikaus, der seinen Scimtar wieder aufgeklaubt hatte und drohend schwang, »und der mag sich erst seines Besitzes erfreuen, wenn der Verlierer mit seinem Blut gezahlt!«

»Ich bitte Euch, meine Prinzen«, wandte sich der immer noch

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recht rüstige Rhaban weniger an die Streithähne, sondern sein Blick suchte Yeza, und Yeza verzog keine Miene, sondern sah kalt auf die beiden, die da glaubten, sie sei nichts anderes als eine Trophäe, eine über den Weg gelaufene Gazelle, die dem siegreichen Jäger zufallen müsste! Ihr kamen die Geister des Teppichs in den Sinn, und ihre Augen wurden grausam, und ihr Lächeln gerann zur schieren Provokation. Die jungen Männer fassten es als Herausforderung auf.

»Rhaban!«, rief Alp-Kilidsch mit ungewohnter Schärfe. »Stellt Euch nicht zwischen mich und Kaikaus, der noch nicht begriffen hat, wer hier sein Blut lassen wird!«

Das ergrimmte den Jüngeren, und er stieß wütend ins gleiche Hörn. »Verlasst den Teppich! Ihr seid die längste Zeit unser Meister gewesen, unser Herr wart Ihr nie!«

Rhaban sah ein, dass er von Yeza keine Unterstützung zu erwarten hatte, doch er wich nicht von seinem Platz zwischen den beiden.

»Legt Eure Waffe ab und tretet zur Seite!« Alp-Kilidsch fixierte dabei schon wieder seinen Bruder, und der war sich ausnahmsweise mit ihm einig.

»Das ist ein Befehl, Rhaban!«, verkündete er seinem Lehrer. »Und Ihr habt zu gehorchen!«

Der Fechtmeister warf seinen Scimtar auf den Teppich, verneigte sich mit ausdruckslosem Gesicht vor den beiden und auch vor Yeza und verließ rückwärts schreitend den Kelim. Er nahm dort Platz, wo er zuvor als Schiedsrichter gestanden, und starrte hinüber zu Yeza, als wären seine beiden Schüler aus Glas.

Ohne weitere Worte bückte sich Alp-Kilidsch und entfernte den Scimtar des Meisters wie einen störenden Knüppel, der ihnen zwischen die Füße geraten. Die Waffe schlitterte über den Kelim und blieb vor Yeza liegen.

Sie rührte sich nicht, auch nicht, als die beiden Seldschukenprinzen sich wieder anfielen wie wilde Tiere. Das Geschehen auf dem Teppich betraf sie nicht mehr, das war jetzt eine Sache der djinn. Hingegen brachte es die unerfreuliche Situation mit sich, dass Yeza sich gegen ihren starken Willen in das Dilemma des unglücklichen Fechtmeisters hineinzuversetzen

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begann. Aus dem ungewollten Mitgefühl erwuchs ihr unmerklich Zutrauen zu diesem zur Machtlosigkeit verdammten Mann. Der Kummer in seinen Augen, der zusammengekrümmte Rücken verrieten ihr, wie sehr der Lehrer darunter litt, dass die prinzlichen Brüder alles, was er ihnen seit Kindsbeinen beigebracht, jetzt dazu benutzten, sich gegenseitig umzubringen. Natürlich hätte er eingreifen, sich über seine Stellung als Diener und Untertan hinwegsetzen und mit der erwiesenen Überlegenheit seiner Fechtkunst wenigstens für diesmal das Schlimmste verhindern können, aber die Abfuhr, die Demütigung, die Alp-Kilidsch ebenso wie Kaikaus ihm hatten zuteil werden lassen, hielten ihn nun zurück. Es war, als hätte eine Lähmung Rhaban befallen, und Yeza, die ebenso gut schlichtend, die aufgeheizten Gemüter besänftigend, vermocht hätte, sich als Friedenskönigin zu bewähren, sie wusste, dass es der Kelim war, der das Böse wollte. Nachdem die Prinzen sich der Obhut, und damit der Aufsicht ihres Meisters entledigt hatten, fielen mit den Hemmungen jetzt auch die Regeln ritterlichen Kampfes. Blindlings rückwärts geschlagen, zog die Klinge Alp-Kilidschs einen feinen roten Strich quer über den Hals des Kaikaus, sofort quoll pulsierend das Blut aus der verletzten Schlagader. Instinktiv ließ sich Kaikaus nach vorne fallen, als suche er die Arme seines Bruders, dessen nächster schwungvoller Hieb so über ihn hinwegsauste. Kaikaus fiel vor ihm auf die Knie, Alp-Kilidsch stolperte über das Hindernis, seine Augen weiteten sich im grenzenlosen Erstaunen, als sich die Schneide des brüderlichen Scimtars in seine Weichteile fraß. Kaikaus hielt den Griff fest umklammert, bis der eigene heftige Blutverlust ihm schnell hintereinander Kraft und Bewusstsein raubte. Im Sterben schienen sich die Brüder noch einmal zu umarmen, dann bettete der Tod sie - unversöhnlich Kopf an Fuß - Seite an Seite auf dem Kelim.

DER >SAAL DER NORMANNEN< auf der Burg der Fürsten von Antioch war von schmuckloser Nüchternheit.

Es gab zwar zu beiden Seiten unter den hohen Fenstern Festgemauerte Steinbänke vor langen Eichen-158

tischen, die einzigen beweglichen Sitzgelegenheiten jedoch waren die lehnenlosen Hocker auf dem Podest rund um den marmornen Thron. Auf solch kargen Schemeln saßen im vertrauten Gespräch der junge Fürst und sein Schwiegervater, der König von Armenien. Es wäre Bohemund äußerst unangenehm gewesen, gegenüber dem wesentlich älteren Hethum einen erhöhten Platz einzunehmen. Dessen Gefolge und die Hofleute des Fürsten standen in Gruppen verteilt in der großen Halle. Eben war Fürstin Sybille, die Ehefrau Bohemunds und Tochter Hethums, mit ihren Damen aus dem Raum gerauscht, nachdem sie ihren Ärger kundgetan hatte, dass ihr

»Retter«, der edle Ritter Roc Trencavel, noch immer nicht gebührend bei Hofe empfangen und für seine großherzige Tat bedankt worden sei. Die Schuld hieran trage ganz offensichtlich ihr Herr Vater, während Bohemund vorzuwerfen sei, dass er sich - wie immer - nicht entscheiden könne, ihre Partei zu ergreifen!

»Retter vor wem?!«, mokierte sich König Hethum hinter dem Rücken seiner erbosten Tochter. »Mir ist aus ihrer verworrenen Schilderung der angeblichen >Heldentat< nicht die geringste feindselige Handlung seitens der Mongolen ersichtlich geworden!«

»Roc Trencavel ist mir lieb wie ein Bruder«, lehnte sich prompt Bohemund gegen den alten Ränkeschmied auf, der aus seinem Misstrauen über das Auftauchen des Trencavels in Antioch, seiner Ablehnung des Königlichen Paares wenig Hehl machte.

»Hergelaufener Abenteurer!«, schnaubte er verächtlich. »Bestenfalls eine Schachfigur in einem undurchsichtigen Spiel!« König Hethum legte seine beringte Hand väterlich auf das Knie Bohemunds. »Euer Fürstentum ist für diesen Trencavel verlockend wie Honig für einen jungen Bären!«, belehrte er den Jüngeren. »In Jerusalem ist dieser als >König< deklarierte Springer mit seinen Ambitionen gescheitert, in Akkon wollen die Barone keinen solchen Herrscher von des Il-Khan Gnaden, also bleibt ihm doch nur das prächtige, süße Antioch!«, verstrickte sich Hethum in seine Vorgefasste Meinung. »Ich würde mich an Eurer Stelle keinen Schritt weit von Fürstentum und Stadt entfernen, wüsste ich Roc Trencavel in deren Mauern!«

Bohemund lachte hellauf. »Seid Ihr es nicht, Hethum, der

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mich seit Tagen zu überreden sucht, ich sollte an Eurer Seite mich schleunigst ins Lager der Mongolen begeben, um Hulagu meinen Kotau darzubringen?« Leichtfüßig sprang der junge Fürst auf. »Allzu gern bleib ich hier -

zusammen mit meinem Freund und Blutsbruder Rog Trencavel, den ich jetzt sofort in seinem Quartier aufsuchen will, um ihm zu danken für den ritterlichen Dienst an meiner geliebten Frau — «

Der in Intrigen erfahrene Armenier sah ein, dass sein Bemühen in die falsche Richtung ging. »Ich kenne meine Tochter« grinste er boshaft, »sie wird schon einen Weg finden, den Helden zu belohnen.« Geschmeidig gab er sich sofort, nachdem er den Samen des Zweifels gesät, wieder milde entgegenkommend, als könne kein Wässerchen seine Gedanken trüben, geschweige denn irgendein Verdacht an der ehelichen Treue von Frau Sybille. »Vielleicht ist es sogar eine gute Idee, den Trencavel zum Hüter und Beschützer Eures Weibes und Eures Söhnleins zu bestellen, während Ihr an meiner Seite die längere Reise zum II-Khan antretet.«

Bohemund warf seinem Schwiegervater einen verwunderten Blick zu ob dieses sprunghaften Wechsels und verließ eiligen Schritts den Saal der Normannen.

Der Fürst hatte den drei Okzitaniern als Quartier die zwei Wehrtürme rechts und links des Sankt-Georg-Tores zugewiesen, nicht so sehr, dass er sie für besonders taugliche Wächter hielt, sondern um ihnen den schnellsten Weg durch das Tor zum Hafen von Sankt-Symeon anzubieten. Wenn sie dort ihr Unwesen trieben, brachte das allemal weniger Ärger mit dem Klerus in der Stadt, dem Patriarchen an der Spitze. Unmittelbar nach der Rückkehr von ihrer Reise, auf der sie sein Weib Sybille begleitet hatten, war Bohemund damit konfrontiert worden, dass jetzt auch Guy de Muret, deren bisheriger Beichtvater, sich seinen Landsleuten angeschlossen hätte. Wundern tat es ihn nicht, verdächtigte er den Dominikaner doch schon des Längeren, es mit der jungen Alais zu treiben, der weichbrüstigen Zofe seiner Frau Sybille, die der Fürst - zugegebenermaßen - selbst gerne beritten hätte. Jetzt hatte er das Nachsehen - und der Patriarch würde außer sich sein! Das Anstößige war 160

nicht so sehr die abgelegte Ordenskutte des Guy de Muret - noch das, was sich geil darunter verbergen mochte, sondern der Umstand, dass es sich bei Alais um eine moslemah handelte, die der Lehre des Propheten Mohamed keineswegs abgeschworen hatte. Also Unzucht eines ehemaligen Mönches mit einer heidnischen Syrerin! Am liebsten wäre Bohemund diese Bagage aus dem ebenso leichtlebigen wie ketzerischen Südwesten Frankreichs ganz losgeworden. Er neidete diesen Okzitaniern die Freiheit, die sie sich nahmen, sie tummelten sich allesamt wie Maden im Speck von Antioch und nutzten weidlich die großzügige Gastfreundschaft des Fürsten aus.

Das sollte sich nun mit dem Wiederauftauchen des Trencavel schlagartig ändern. Plötzlich sahen sich die Ritter aus Okzitanien zur Treuepflicht gegenüber dem Königlichen Paar veranlasst, und zwar vor allem zum minniglichen Dienst an der damna, der Prinzessin Yeza. Sie gerieten derart ins Schwärmen, dass Roc Stiche von Eifersucht verspürte.

»... und es gibt keinen Anhaltspunkt, Rog Trencavel«, insistierte Terez bei seinem hohen Quartiergast, »wohin sich die verehrte Prinzessin gewandt haben könnte? «

»Auf der Stelle reiten wir los und hauen sie da raus!«, bekräftigte Pons die Bereitwilligkeit der Freunde. Sie saßen im oberen Turmzimmer, durch die Fenster ging der Blick auf die mächtige Stadt, die ihren Wohlstand mit Mauern und Türmen umschloss, wie eine stolze Glucke ihre wohlgelungene Kükenschar.

Die Fragen waren Roc unangenehm, von dem Kelim und dem finsteren Emir mochte er schon gar nicht reden, zu beschämend war die Rolle, die man ihm dort aufgezwungen.

»Wo sie war, wird sie nicht mehr sein«, sinnierte er eher abweisend als abwägend. »Meine damna ist Manns genug, sich dorthin durchzuschlagen, wohin sie will - vielleicht ist sie schon auf dem Weg nach Antioch?« Rog streckte räkelnd seine Beine, doch untätig zum Hinwarten verurteilt zu sein, das wollten die neuen Freunde nicht hinnehmen.

»Dann reiten wir ihr entgegen!«, verkündete Pons seinen Taten-

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drang. »Wenn wir davon ausgehen«, fasste Terez zusammen, »dass die Prinzessin auf keinen Fall zu den Mongolen -«, und verfiel dann ob der dürftigen Lage an weiteren Informationen ins Brüten.

»Vielleicht sollten wir unsere Weiber um Rat fragen«, schlug Pons vor. Er hatte als Witwer gut reden, und so ging auch keiner darauf ein.

Berenice und Alais versahen ihren Dienst bei der Fürstin. Guy de Muret hatte die Frau seines Freundes Terez de Foix am Morgen zum Schloss begleitet. Einer von ihnen, das war so ausgemacht, begab sich jeden Tag >zu Hofe<, um - stellvertretend für die anderen - Fürst Bohemund die Referenz zu erweisen und sich seiner Huld zu versichern.

Reiter hielten am Fuße des Turmes. Ein Blick hinab zeigte, dass der Fürst sie mit seinem Besuch überraschte, Terez und Pons sprangen auf, Rog erhob sich gemächlich, aber immer noch rechtzeitig, um den die Treppe hinaufstürmenden Bohemund wortlos umarmen zu können. Lange dauerte die Umarmung, die mehr Fragen stellte als Antworten gab. Endlich löste sich der Fürst und sagte nur: »Und Yeza?!«

Seinen Ärger schluckend, ging Roc darauf ein. »Wenn Ihr, werter Bruder, die drei Herren hier entbehren wollt«, seine Gestalt straffte sich, »dann werde ich mich auf die Suche nach meiner geliebten damna machen!«

Der junge Fürst fackelte nicht lange. »Ich geb' Euch noch zehn Ritter obendrein, Roc Trencavel, samt Pferden und Knechten, damit Euer - unser aller Sehnen von Erfolg gekrönt wird.« Bohemund war weitaus mehr gerührt von der eigenen großmütigen Geste als etwa der unverhofft Beschenkte. »Ich wollte, meine Pflichten gäben mir die Freiheit, mit Euch auszuziehen zu dieser noblen Campagne!« Um sein feuchtes Auge zu verbergen, riss er den Trencavel stumm an sich, drehte sich um und stapfte die Treppen wieder hinunter.

Rog sah ihm nach. »Wie schön, wenn man so aus dem Vollen schöpfen kann«, murmelte er missgünstig. »Es scheint, der edle Fürst kann uns gar nicht schnell genug wieder loswerden!«

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Terez und Pons vernahmen beklommen diesen Ausbruch der Undankbarkeit und schauten angestrengt zum Fenster hinaus. Dabei hatte der Trencavel nicht Unrecht, in der Tat fühlten sie sich hinausgeworfen!

Kurz darauf erschien Guy de Muret. »Der König von Armenien legt noch fünf Reiter oben drauf, die mit Euch ziehen sollen«, informierte er Roc, »dafür verlangt er, dass Ihr morgen Früh Antioch verlasst.« Während Rog noch schluckte, fuhr der Fuchs ungerührt fort. »Die Fürstin Sybille lässt Euch ausrichten, dass solche Eile, wie sie ihr Herr Vater an den Tag lege, für die Nacht - « Guy zwinkerte dem Trencavel auf recht eindeutige Weise zu, »- und auch die nächsten Nächte nicht gelte. Sie erwartet Euch in ihren Gemächern!« Jetzt war es an Rog, den schadenfroh grinsenden Blicken der Okzitanier auszuweichen. Guy brachte seinen Auftrag zu Ende. »Fürst Bohemund bittet uns alle, in einer Stunde im Schlosshof zu erscheinen, damit er sich von uns, und vor allem von Euch, Rog Trencavel, verabschieden kann. König Hethum liegt daran, den bereits eingetroffenen Abgesandten der Mongolen zu zeigen, dass Antioch ihrer Aufforderung zur Huldigung größte Dringlichkeit beimisst.«

Rog hatte sich alles angehört. Ob er wollte oder nicht, ab jetzt musste er Führung beweisen.

»Ziemlich viel auf einmal!«, seufzte er und sehnte sich nach dem warmen Fleisch der armenischen Sybille. Doch dann raffte er sich auf zum tatkräftigen Helden, der von ihm erwartet wurde. »Packt Eure Sachen«, befahl er forsch, »und macht Euch bereit zum Ausritt ins große Abenteuer!«

YEZA HATTE IHR KAMEL gegen ein Pferd eingetauscht. Der Tod der beiden Prinzen hatte ihr sogar die Wahl zwischen deren edlen Hengsten gelassen. Niemand hatte ihr den Zugriff verweigert. Für die Seldschuken, die die Söhne ihres Sultans bis zum bitteren Ende begleitet hatten, war Yeza die einzig rechtmäßige Nachfolgerin -

quasi die Witwe beider. Der alte Fechtmeister Rhaban hatte ihr als Erster gehuldigt,

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kaum, dass Alp-Kilidsch und Kaikaus von ihren Getreuen zur letzten Ruhe gebettet waren. An die Gestade des Euphrat zurückzukehren, schlug niemand vor - alles, was sich dort abgespielt hatte, sollte der Vergangenheit angehören, insbesondere der blutbefleckte Kelim, den keiner mehr anfassen wollte. Sie ließen ihn einfach liegen.

Yeza, die an der Spitze des kleinen Trupps ritt, war das nur recht. Sie hätte auch nie die Sprache auf die drei Köpfe im Ufersand gebracht, aber der leicht versetzt hinter ihr reitende Fechtmeister glaubte, seiner neuen Herrin eine Erklärung schuldig zu sein. Yeza ließ ihn berichten, ohne besonderes Interesse zu heucheln. Rhaban fasste sich kurz. Die Nomaden vom Stamme der Seldschuken, deren Tiere die Teppichrolle getragen hatten, erkannten beim Aufeinandertreffen mit den Prinzen sogleich in Alp-Kilidsch und Kaikaus die Söhne ihres Sultans. Auf rüdes Befragen des sofort in Fesseln geschlagenen El-Aziz kam schnell heraus, dass es dem Sohn des Sultans von Damaskus weniger um den Kelim ging als um die noch erwartete >Prinzessin<, die er am jenseitigen Ufer des Euphrat zurückgelassen hatte. Da El-Aziz feige verweigerte, für seine Dame sich mit einem von ihnen zu duellieren, aber ein Wort das andere gab, entbanden die Söhne des Sultans die Seldschuken von ihrer eingegangenen Treuepflicht, sodass diese keinen Finger rührten, als jetzt das Gefolge sich den Schwächling griff. Seine zwei Begleiter, wohl sein Leibkoch und der Eunuch, wurden gezwungen, ihren Herren lebend bis zum Hals einzugraben.

»Bevor ihnen selbst die Köpfe abgeschnitten wurden -«, beendete der Fechtmeister ungerührt seinen Bericht,

»damit sie ihm als Begleiter dienten, auf seinem qualvollen Weg in den Tod, der ihn sicher bald ereilen wird.«

Yeza schauerte, aber nichts sollte sie dazu bringen, sich nochmals in die Nähe des Kelims zu begeben. Rhaban respektierte ihr Schweigen, doch irgendwann musste er ihr die Frage stellen, welches denn das Ziel sei, das sie zu erreichen trachte. Das waren auch genau die Gedanken, die Yeza durch den Kopf gingen. Sie wollte sich mit Roc vereinigen. Der einzige Anhaltspunkt, den sie hatte - wenn er nicht zu den Mongolen zurückgekehrt war -, blieb Antioch. Dort hatten sie beide einen Freund in dem jungen Fürs-164

ten Bohemund, mit dem sie einst Blutsbrüderschaft geschlossen hatten.

Alle diese Fragen erübrigten sich kurz darauf, sie näherten sich bereits der Oasenstadt Palmyra, als ein ungeordneter Trupp von Kamelreitern ihnen säbelschwingend und fahnenschwenkend entgegenkam. Die

Beduinen hegten mitnichten feindliche Absichten, im Gegenteil: Sie zügelten plötzlich ihre Tiere, und ein einzelner kleinwüchsiger Mann löste sich aus ihrer Mitte und stolperte wild mit den Händen fuchtelnd auf Yeza zu.

»Oh, meine große, einzige Liebe!«

Es war Jalal al-Sufi, der verrückte Derwisch! Wie lange hatten sie sich nicht gesehen!?

»Der ständige Gedanke an Dich, grad' er war es, der mich fern von Dir gehalten!«

Wie lange hatte er Yeza nicht mit seinen stets griffbereiten Versen des großen Jalaluddin Rumi beglückt!?

»Vor meinen Augen stets das Bild Deines Antlitzes, wie blind hat es mich gemacht!«

Der kleine Derwisch, dem das Alter nichts anzuhaben schien, hüpfte aufgeregt ihrem Pferd vor die Hufe, dass es wiehernd sich auf den Hinterläufen erhob, was Jalal al-Sufi nicht im Geringsten beeindruckte.

»Volltrunken ist der Liebende vor Lust und Wonne - Frei ist er und wie von Sinnen! Hingegeben tanzt er in wilder Leidenschaft und berauschter Wildheit!«

Yeza hatte ihre liebe Müh, den Schwall an poetischen Ergüssen abzuwehren, sie sprang von ihrem Pferd und umarmte den Kleinen. Endlich wieder ein bekanntes Gesicht und eine Person, der sie vertrauen konnte! Fragend deutete sie auf die festlich gestimmte Beduinenmeute hinter dem Derwisch. Atemlos berichtete Jalal al-Sufi.

Ein Trupp Mongolen, eine Hundertschaft, sei in Palmyra erschienen und habe nicht nur die Unterwerfung verlangt, sondern auch Geiseln, die ihnen ins Feldlager des Il-Khan folgen sollten. Das erregte sowohl den Unmut der Derwische, die in der reichen

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Oase die geistige und weltliche Führungsmacht darstellten, sondern kränkte auch den Stolz der freien Beduinenstämme, die ringsherum als Nomaden hausten, dort ihre Märkte abhielten und sich als

Karawanenführer verdingten. Doch ehe es zum Aufstand kam, erschien aus dem Nichts ein Schamane, eine merkwürdige Gestalt, begleitet von einem Bären. Dem sei es mühelos gelungen, die erhitzten Gemüter zu beruhigen, die Mongolen akzeptierten ihn als Botschafter und zogen befriedigt mit ihm und einer mit kostbaren Geschenken versehenen Gesandtschaft ab. Doch zuvor hatte dieser weise Mann, der sich Arslan nannte, ihm, Jalal, noch einen wertvollen Hinweis gegeben: Palmyra sei der von guten Geistern auserwählte Ort, an dem das Königliche Paar wieder zusammenfinden sollte.

»Wie?!«, unterbrach ihn Yeza erregt. »Roc Trencavel in Palmyra? !«

Der Derwisch geriet in Verlegenheit. »So hätte es sollen sein!«, seufzte er. »Aber der Hauptmann der Mongolen musste zugeben, dass er Roc nicht habe halten können -« Yeza verbarg ihre Enttäuschung nicht. »Nur noch wenige Meilen von Palmyra entfernt, habe der Trencavel es vorgezogen, sich mit alten Freunden nach Antioch zu begeben - «

»Dachte ich mir 's doch!«, schnaubte Yeza ärgerlich, wieder einmal war es die Macht der bösen djinn, die ihr Glück vereitelte.

»Immerhin wussten wir jetzt«, strahlte Jalal al-Sufi sie an, »dass Ihr, Yeza, vom Euphrat her im Anmarsch wart -

«

Die Angesprochene antwortete nicht. Eine ungeheure Welle von Müdigkeit umfing sie. War denn aller Kampf umsonst?! Warum musste Roc mal wieder seinen Dickkopf durchsetzen?!

»Gefangene unserer granitschwer wiegenden Gedanken - « Durchschaute der Derwisch sie, machte er sich über sie lustig? »... stoßen wir uns an federleichten Nichtigkeiten - «

Es war ihr, als renne sie gegen eine Wand von weichen Kissen an - »Mag kommen, was kommen mag: So soll es sein!« Nur mit halbem Ohr hörte sie zu, wie Jalal ihr vorschlug, mit ihm nach Palmyra einzuziehen. Der kleine Derwisch nahm seine gesungene Einladung selbst nicht sonderlich wichtig, sodass er auch Yezas

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mögliche Reaktion für gering erachtete. Er sprudelte sein Glück heraus. Sowohl die hohe Geistlichkeit, seine Derwischbrüder als auch die Beduinen würden sich glücklich schätzen. Und schon sprang er wieder wie ein Vögelchen auf den nächsten Ast, egal, was Yeza grad' empfand. »Und wenn wir dann trunken sind von dieser großen, einzigen Liebe«, jubilierte er. »Mag kommen, was kommen mag: So soll es sein!«

Erschöpft bestieg Yeza ihr Pferd. Es war wohl ihr Schicksal, Haltung zu beweisen, ganz gleich, woher sie die Kraft nahm. Sie rief den Fechtmeister und die verbliebenen Seldschuken zu sich. Letztere entließ sie in ihre Heimat im fernen Turkistan und traf mit dieser Aufforderung auch auf keinerlei Widerstand. Der alte Rhaban hingegen bat sie inständig, ihn auch fürderhin in ihre Dienste zu nehmen. Treu wolle er ihr dienen, denn nach dem Tod der Prinzen habe er sonst keinen Herrn mehr, dem er sich nützlich machen könne - Yeza willigte ein und gab das Zeichen zum Weiterritt, auf Palmyra zu.

IM HOF DES NORMANNEN-SCHLOSSES zu Antioch hatte sich eine starke Versammlung aller Granden und

Ritter des Fürstentums eingefunden. Ein Gutteil von ihnen, um Bohemund das Geleit zu geben, denn er sollte, darauf legte sein Schwiegervater größten Wert, nicht wie ein armer Bittsteller vor dem Il-Khan auftreten, sondern wie ein Verbündeter von Rang. Die anderen waren gekommen, um Bohemund ihre Ehrerbietung zu bezeugen, auch wenn es vielen übel aufstieß, dass ihr Fürst, der sich nicht einmal dem Kaiser von Byzanz gebeugt hatte, jetzt diesen Barbaren aus dem fernen Osten huldigen sollte. Aber es war wohl nicht zu ändern.

Wer von ihnen den Vorbeizug des mongolischen Heeres - nach der Eroberung von Aleppo - gesehen hatte, hieß die Zweifler schweigen.

Roc hatte Mühe, sich zum Fürsten und dessen prächtiger Entourage durchzudrängeln, die wenigsten kannten ihn, auch wenn die meisten schon von dem Königlichen Paar gehört hatten. Zu seinem gelinden Erschrecken kam jetzt König Hethum der fabelhafte

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Einfall, wie gut es sich doch machen würde, wenn Roc Trencavel sich ihnen einfach anschlösse, das würde bei den Mongolen gewiss einen hervorragenden Eindruck machen. Rog tauschte mit Bohemund einen verzweifelten Blick, der den davon abhielt, die - alles andere als spontane - Idee seines Schwiegervaters weiter zu verfolgen.

Dazu trat - nicht frei von Eigensucht - die sich dem jungen Fürsten aufdrängende Überlegung: Sollte er etwa den Glanz seines Auftritts bei Hulagu dadurch schmälern, dass er sich an die Seite -und damit in den Schatten - Rocs stellte und der berühmte Trencavel die ungeteilte Aufmerksamkeit des Il-Khan auf sich zog?

»Wir haben nicht das Recht«, gab er scheinheilig zu bedenken, »die an uns ergangene Einladung auf unsere Freunde auszudehnen - «

Roc nahm diese Lösung dankbar entgegen. Er verabschiedete sich hastig und begab sich zurück zu seinen Leuten. Dem aufmerksamen Auge Hethums entging nicht, dass zumindest die drei Okzitanier - in voller Rüstung, die Pferde bepackt - offensichtlich zur alsbaldigen Abreise bereitstanden. Er winkte Guy de Muret zu sich und schlug ihm mit falscher Freundlichkeit vor, sie könnten doch den ersten Teil des Weges zusammen reiten. Sofort mischte sich Terez de Foix ein, der den Armenier nicht leiden konnte, erstens wolle man sich erst noch gen Osten wenden, um nach der Prinzessin Yeza Ausschau zu halten, und zweitens könne sein Weib Berenice mit Fug und Recht von ihm erwarten, dass er die letzte Nacht mit ihr verbrächte. Das leuchtete Hethum zwar nicht im Geringsten ein, denn er konnte nicht verstehen, was der doch recht ansehnliche Ritter an einer solch hageren Ziege finden mochte, denn so sah Herr Hethum die - zugegebenermaßen - etwas knochige, männlich wirkende Hofdame seiner Tochter. Diese flachsblonde Amazone! Nicht einmal ein ordentlicher Steiß, auch ihre flache Brust hätte ungepresst unter jeden Kürass gepasst! Wie dem auch sei, andere drängten herbei.

Den Trencavel hatte der König aus den Augen verloren.

Die Fürstin Sybille stand am Fenster ihres auf den Hof hinausgehenden Schlafgemachs, das hatte sie ihrem Mann versprochen, um

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mit einem Tüchlein zu winken, wenn er durch das Tor hinausritte. Sie sah, wie die Ritter jetzt ihre Pferde bestiegen und wie die schweren Flügel des Tores weit geöffnet wurden. Sybille lehnte sich über die Brüstung und zog das Tüchlein. Ihr Mann schaute zu ihr auf und grüßte sie voller Stolz. Die ersten Ritter zogen an ihrem Fürsten vorbei, Frau Sybille winkte - sie spürte, wie eine kräftige Männerhand von hinten ihr Gewand hochstreifte, das Fleisch ihrer Schenkel dabei begehrlich anpackte -

»Winkt«, befahl ihr Roc, hinter sie tretend. »Winkt nur weiter!«

Sybille beugte sich weit vor und wedelte beglückt mit dem Tüchlein.

»Schaut nur, Euer treues Weib!«, hielt König Hethum seinen Schwiegersohn an, noch einmal einen Blick zurück, hinauf zum Fenster zu werfen.

»Grausam ist ihr Schmerz, mich so lange missen zu müssen!«, pflichtete ihm Bohemund mit stolzgeschwellter Brust bei, erhob sich in seinen Steigbügeln und winkte heftig gestikulierend zurück. Sybille musste es gesehen haben, denn sie breitete jetzt beide Arme aus, als wollte sie ihn ein letztes Mal umfangen. Bohemund richtete männlich seinen Blick nach vorn, das Schloss und seine Fenster entschwanden aus seinem Blickfeld.

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DAS ZERBRECHLICHE GLÜCK VON PALMYRA

DIE URALTE HANDELSSTADT PALMYRA, inmitten der

nordsyrischen Wüste gelegen, präsentierte sich Yeza als eine bizarre Anhäufung von Tempelruinen und säulenbestückten Kolonnaden, die vom ehemaligen Reichtum und Luxus zeugten. Die eigentliche Oase, mit ihrem belebten Bazar immer noch Schnittpunkt wichtiger Karawanenstraßen, hatte sich rund um diesen Bezirk bröckelnder Schönheit und versunkener Macht ausgebreitet, ihn aber respektvoll unangetastet gelassen. Hier hausten die Derwische in den beiden noch einigermaßen erhaltenen Heiligtümern des Gottes Baal und der Alilat, streitbare Schutzherrin der Weisheit und des Handels. Gleich daneben erhob sich der >Palast< jener heißverehrten Königin Zenobe, die es gewagt hatte, den Römern zu trotzen, womit sie zwar die Verwüstung von Palmyra heraufbeschwor, sich aber für immer und ewig einen Platz in den Herzen der Beduinen sicherte.

Jalal hatte es als anerkannter und allseits beliebter Sufi keine Schwierigkeiten bereitet, die Derwische davon zu überzeugen, dass mit Yeza die glückhafte Wiedergeburt der großen Zenobe den ärmlichen Hütten widerfahre -

schließlich sei die Bedrohung durch die Barbaren aus dem fernen Land der Mongolen durchaus vergleichbar mit der - in den Köpfen des Volkes immer noch gegenwärtigen - einstigen Unterdrückung durch die verhassten Römer. Nachdem er dieserart die hohe Geistlichkeit des Ortes auf seine Seite gebracht hatte, sprang der Funke unvermeidlicherweise auf die Beduinen über, entfachte im Handumdrehen einen wahren Feuersturm an Begeisterung, denn von durchziehenden Karawanen und den stets auf ruheloser Wanderung begriffenen Derwischen war längst auch der Ruf vom Königlichen Paar, den sagen-170

haften »Friedenskönigen«, bis nach Palmyra gelangt. Jedenfalls wurde Yeza bereits am Rande der Ruinenstadt von einer jubelnden Menge erwartet, und eine feierliche Delegation der Derwische, die hier - entgegen ihrem eigenen Selbstverständnis - in den Augen des Volkes die Priesterschaft stellten, geleitete >die Königin< zum Palast der Zenobe. Dass ihr der königliche Gemahl fehlte - schuld daran waren allemal die Mongolen! -, wurde Yeza unter diesen besonderen Umständen herzlich gern nachgesehen. Viele der herbeigeströmten Beduinen versicherten Yeza ihres Mitgefühls für den Verhinderten. Zur Steigerung des Missverständnisses rückten schon die Klageweiber an, als gelte es bereits seinen Verlust hinzunehmen. Spitze Schreie der Begeisterung mischten sich mit Trauertrillern, dass keiner mehr in dem Tumult noch ein Wort verstand! Die Kinder hingegen zeigten nur das eine heftige Verlangen, die >Königin< zu berühren, ein Stück von ihr zu erhaschen, sei es einen Fetzen ihres Kleides oder ihrer Haut.

Jalal al-Sufi sah sich genötigt, die Derwische energisch aufzufordern, Yeza vor derartiger Berührung mit dem rasenden Volk zu schützen. Nur dank des Schutzschildes ihrer in Ekstase erprobten Körper gelang es dem entsetzten Rhaban, die Königin schleunigst in den Palast zu verfrachten.

Palast?! Yeza traute ihren Augen nicht. Das verfallene Gemäuer musste seit Jahren als Schafstall gedient haben, eingetrocknete Köttel bedeckten die Mosaikböden der Gemächer, gackernd und aufgeregt flatternd stoben Scharen von Hühnern aus den Fensteröffnungen, im Gebälk nisteten unzählige Schwalben, dort, wohin kein Licht gelangte, hingen ungehalten zirpende Fledermäuse von der Decke.

Yeza hatte zwar keine festen Vorstellungen von ihrem Leben als Königin, doch sie war mitnichten verärgert, eher amüsiert. Der alte Rhaban machte sich sofort als Majordomus nützlich. Unter seiner Anleitung fegten und reinigten bereitwillige Helfer das Haus, vor dem sich die Menge jetzt verlief. Yeza betrat den verwilderten Garten, wo ihre beiden Pferde und das Kamel standen. Jalal al-Sufi hatte ihr eine Hängematte zwischen schattenspendenden Bäumen

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anbringen lassen und erfreute sie mit köstlichen Gedanken seines geliebten Meisters Rumi.

»Es herrscht Nacht, sagen sie, aber ich weiß nichts von Tag oder Nacht. Das Einzige, das ich kennen will, ist das Antlitz des Einzigen, der die Himmelssphären mit seinem Licht erfüllt.«

Der kleine Sufi saß ihr zu Füßen. »Oh, Nacht, Du gibst Dich nur so dunkel, weil Du Ihn nicht kennst«, schwärmte er mit leiser, sanfter Stimme. »Oh Tag, zieh aus und lerne von Ihm, was es heißt, so hell zu scheinen-

«, verstummend hingjalal al-Sufi den Worten nach.

Zwei junge Mädchen fächerten die warme Wüstenluft zur linden Kühle. Sanft schaukelnd fiel Yeza zum ersten Mal nach langer Zeit in tiefen Schlummer.

IN DEN STALLUNGEN des fürstlichen Schlosses zu Antioch lagerten seit drei Tagen sowohl die Ritter aus Okzitanien als auch die zehn Männer, die Bohemund bereitgestellt hatte, und die fünf des armenischen Königs, allesamt mit ihren Knechten. Nur einer ließ sich nicht sehen, das war Roc. Der Warterei leid, hatten sich die Herren seines Gefolges längst in der Halle fürs Gesinde niedergelassen, gleich neben den Küchenräumen, und ließen sich von den Mägden bedienen. Es hieß, der Trencavel habe sich allein auf Erkundungsritt begeben, um sich schlüssig zu werden, in welche Richtung er sich wenden sollte, um nicht den Mongolen in die offenen Arme zu reiten. Die drei Okzitanier hielten sich abseits, schon um nicht den hinter vorgehaltener Hand aufkommenden Spott über ihren Herren ertragen zu müssen. Was die anderen nur vermuteten, sie wussten es - dank ihrer Weiber: Roc teilte seit der Abreise von Bohemund das Bett der Fürstin, die sich von Alais das Essen und reichlich gekühlten Wein in ihrer Kemenate servieren ließ. Dies waren nur die kurzen Unterbrechungen ihrer erstaunlichen Wollust, wie Alais errötend berichtete, oft wartete Frau Sybille nicht einmal ab, dass die vertraute Dienerin die Reste der hastig verschlungenen Speisen abräumte. Berenice, der Ersten Hofdame, oblag zwar nicht der Dienst in der Kemenate, aber was sie im Vorzimmer durch Tür