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und Wand hörte und den Freunden voller Sarkasmus und unverhohlener Missbilligung zum Besten gab, erregte und belustigte die Zuhörer. Doch nur eine gewisse Zeit lang, dann begannen sich die Okzitanier ernsthaft Sorgen zu machen. Aus freien Stücken würde Roc sich nicht so schnell von der Unersättlichen losreißen, also war es an ihnen, den Trencavel zu >befreien<, damit er endlich seiner Pflicht nachkam und mit ihnen Losritt, Yeza zu suchen. Diejenige, die am meisten an Rocs Minnediensten litt, war Berenice, die hochaufgeschossene, ziemlich herbe Lebensgefährtin des Terez von Foix. Für sie gehörte das Königliche Paar zusammen! Jeder für sich von den beiden war ein gewöhnlicher Sterblicher, nicht besser und nicht schlechter als einer von ihnen, wobei sie sich selbst nicht mit einschloss, denn Berenice fühlte sich von der Natur ungerechterweise benachteiligt. Die Aura der besonderen, einzigartigen Bestimmung war ihnen nur als Paar gegeben! Berenice kannte Yeza nicht, weswegen sie auch nicht schlecht von ihr denken wollte. Aber sie verachtete aus tiefster, gestählter Brust die höchst liederliche Fürstin Sybille, die sie zudem im Verdacht hatte, auch ihren Terez nach Belieben zu missbrauchen. Vor allem schlug heimlich hinter mageren Rippen das Herz der hageren Berenice schwärmerisch für den edlen Ritter Trencavel. So wenig wie sie sich über ihre wahren - und vielleicht auch tieferen - Gefühle klar wurde, vermieden dies auch Terez und ihr kleiner Bruder Pons de Tarascon - von Guy de Muret ganz zu schweigen. Letztlich war das Einzige, das für sie alle zählte, die bevorstehende abenteuerliche Reise ins Ungewisse, die sich neu eröffnende Möglichkeit, als Erste Paladine von Rog und Yeza ungeahnte Heldentaten zu vollbringen. Damit wollten sie sogleich beginnen.

In der Kemenate der Fürstin mündete versteckt hinter der Wandtäfelung eine kupferne Rutsche, die in den Palastmauern verborgen hinabführte zu den Pferdeställen. Es war nicht etwa Sybille, die sie hatte einbauen lassen, aber sie hatte sie längst entdeckt und stolz ihrer Zofe gezeigt. Darauf fußte der Plan, den die drei ausheckten. Auf Berenice entfiel die heikelste Aufgabe, denn die ängstliche Alais war dafür nicht zu gebrauchen, sie würde sofort in Tränen

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ausbrechen oder sich sonst wie verraten, deswegen wurde die Gute gar nicht erst eingeweiht. Im

Ankleidezimmer lagen Kleider und Rüstung des Trencavel: Die mussten beiseite geschafft werden! Das sollte Berenice besorgen. Nur ein nackter Roc konnte die Fürstin in die Panik versetzen, die seine Freunde erzielen wollten ...

Am Abend verließen die drei Okzitanier, ohne Aufsehen zu erregen, das fürstliche Schloss. Mitten in der Nacht stürmten sie zurück mit brennenden Fackeln vor das Tor, schrien »Verrat!« und »Die Mongolen kommen!«. Im Hof des Schlosses veranstalteten sie dann einen derartigen Tumult, dass alle Ritter aus Schlaf, Suff oder von einer Küchenmagd erschrocken auffuhren, nach ihren Knechten, Pferden und Waffen brüllten, während die Okzitanier gut verteilt die wildesten Gerüchte ausstreuten: >König Hethum hätte Boten geschickt, den Trencavel zu warnen! Die Mongolen kämen, um sich Rocs zu bemächtigen! < Und das verstärkt durch handfeste Andeutungen: >Fürst Bohemund verlange, dass seine Frau Sybille sofort zu ihm ins Lager der Mongolen geschafft würde!<, die von der zitternden Alais umgehend der Fürstin hinterbracht wurden.

»Jemand hat Euch verraten!«, zeterte und jammerte Berenice im Vorzimmer. »Euer Gatte will den Kopf des Ehebrechers!« Sie trommelte mit ihren Fäusten an die Tür zum Schlafgemach, Alais fing prompt an zu heulen, als der nackte Trencavel sie einen Spaltbreit öffnete und die Zofe anherrschte, wo denn seine Kleider abgeblieben?! Frau Sybille wagte kaum aus dem Fenster hinabzuschauen in den Hof, wo immer mehr Fackeln aufflammten, Waffen klirrten und die Pferde schnaubten.

Mit dem Schrei »Rettet Euch, Trencavel!«, war Berenice aus dem Vorzimmer entwichen. Frau Sybille wickelte den Geliebten in ein Bettlaken und stieß ihn in die Öffnung der geheimen Fluchtröhre. Unten fingen ihn die Verschwörer auf, kleideten ihn hastig im Dunkeln an, Roc war viel zu aufgeregt, um zu fragen, woher sie plötzlich seine Rüstung hatten. Sie setzten ihn auf sein Pferd und stürmten mit dem Trencavel hinaus in den Hof.

Das Tor wurde aufgerissen, und mit ihm an der Spitze donnerte die Kavalkade aus der Burg, fegte durch die nächtlichen Straßen, preschte durch die tief

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eingeschnittene Schlucht des reißenden Wildbachs Onoplikes, der hier seinen Weg aus der Stadt nahm und Antioch durch das »Eiserne Tor« in der Mauer verließ, das eigentlich dafür gedacht war, den Feind davon abzuhalten, durch diese Klamm einzudringen. Kein Weg war besser geeignet, den Rittern aus Antioch zu zeigen, wie groß die Gefahr war, denn diese Pforte aus schwerem Eisengitter wurde nur in höchster Not, bei riskanten Ausfällen geöffnet.

Das fürstliche Schloss fiel - so plötzlich wie es aufgeschreckt war - wieder in friedlichen Schlummer. Frau Sybille hielt noch eine Zeit lang am Fenster Ausschau nach den Mongolen, verwies die schluchzende Alais des Zimmers und begab sich wieder in das zerwühlte Bett. Ganz geheuer kam ihr die Geschichte nicht vor, doch fühlte sie sich viel zu müde, um sich jetzt noch den Kopf zu zerbrechen. Morgen Früh würde sie Berenice zur Rede stellen -wohlig ermattet streckte die Fürstin ihre Glieder und ließ sich in den verdienten Schlaf fallen.

»DER MOND GEHT AUF«, rezitierte eine warme Stimme im nächtlichen Garten des beit al malikah, »und schwebend erheben wir uns mit ihm.« Öllichter hingen von den Zweigen und tauchten die Sträucher rund um das

»Haus der Königin« in magisches Licht. »Wer nichts sein Eigen nennt, hat auch nichts, was ihn am Schweben hindert.«

Yeza hatte es eingeführt, dass jeder, der von den Derwischen Palmyras die Lust dazu verspürte, sich in ihrem verwunschenen Garten unter wispernden Palmen einfand.

»Der kreiselnd sich drehende Derwisch fragt: >Warum sind weise Männer immer so furchtbar nüchtern? <«

Yeza hockte auf einer Bank mitten unter ihren Gästen, die anfangs Jalal al-Sufi angeschleppt hatte, die inzwischen sich aber auch von allein bei ihrer Königin versammelten.

» Und diese Weisen fragen: >Warum nur sind die tanzenden Derwische derart verrückt?<«

Alle lachten, Yeza klatschte dem Vortragenden Beifall. Wein gab

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es immer bei der Königin, und was passte besser zu einer Nacht der Poesie als die Verse von Rumi. Yeza lächelte dankbar zu Jalal hinüber, worauf der listige Derwisch sich sogleich schalkhaft erkühnte, sie in ihrer Mäzenatenhaltung zurechtzustutzen.

»Von Rumi, den ich Euch zu schätzen gelehrt, meine liebe Königin, stammen auch diese Worte.« Er stand auf und verbeugte sich vor Yeza. »Ein Derwisch, der freigiebig die geheimen Lehren verschenkt und sowieso alles, was er besitzt, mit der gleichen Großmut, mit der er seine Atemluft verströmt, der bedarf nicht Eurer Brosamen -

«

Yeza wusste nicht, ob der listige Jalal scherzte, sie beschloss, es heiter zu nehmen.

»Ein solcher Derwisch lebt von der Gunst einer ganz anderen Hand!«

Und weil die Königin lachte und allen Wein nachschenken ließ, sprang ein Jüngerer in die Mitte der Runde und wirbelte in tollen Sprüngen umher, während er krächzend sang: »Der Derwisch tanzt, tanzt wie die schimmernden Strahlenfinger der Sonne durch die Blätter dringen«, er drehte sich so schnell, dass er wankte, aber er hielt nicht inne. »Er tanzt von der Morgenröte bis in die Dämmerung —« Im Vorbeiwirbeln griff er sich Yezas Becher. »Sie sagen >Das ist Teufelswerk! <«, er verschüttete den meisten Wein beim Versuch, das Gefäß an die Lippen zu bringen. »Gewiss doch, der Teufel, der mit uns tanzt, ist voller Süße - « Ihm gelang endlich ein Schluck, der Wein rann ihm über die Brust, »- und voller Lust! Er selbst ist ein Tänzer der Ekstase!«

Er trat vor Yeza, um ihr den Becher zurückzuerstatten, sie aber hob die Kanne und füllte ihm reichlich nach, dass der Wein überlief. So verbrachten sie die Nacht, und wenn sich die Königin zurückzog, war das Fest noch lange nicht zu Ende, das hatte Yeza sich ausbedungen. So tranken und lärmten, sangen und tanzten die Derwische im Garten der Königin, bis die Lichter erloschen und der Morgen graute.

Die Tage benutzte Yeza, um bereits am frühen Morgen mit ihrem Fechtmeister Rhaban auszureiten, nicht nur um ihre beiden Pferde

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oder das Kamel im Gelände zu bewegen, sondern auch selbst im Gebrauch der Waffen nicht aus der Übung zu kommen. Mit Rhaban focht sie mit jeder Art von Schwertern, Degen und fein ziselierten Säbeln, vom schweren Scimtar bis zu leichteren Hieb- und Stichwaffen, die der Alte rund um Palmyra auftrieb. Yeza besaß schnell eine bemerkenswerte Sammlung, meist kostbare Einlegearbeiten, denn die Beduinen - kaum, dass sie mit Staunen und Respekt die kriegerischen Fähigkeiten ihrer Königin entdeckt hatten - schleppten wahre Kostbarkeiten der Damaszener Stahlschmieden in den Palast. Yeza übte sich auch in der Kunst des Bogenschießens, die sie bei den Mongolen erlernt hatte und worin sie es bald wieder zur Meisterschaft brachte. Doch mit nichts verblüffte sie ihren Lehrmeister mehr als mit ihrer Fertigkeit im überraschenden Schleudern des Wurfdolchs, den sie im Nacken, unter ihrer blonden Mähne verborgen, stets bei sich trug, wo sie stand und ging. Die Beduinen, die anfänglich dem Treiben ihrer Königin mit gelindem Entsetzen begegnet waren, verfolgten inzwischen jede ihrer Exerzitien mit stolzer Neugier und zunehmendem Enthusiasmus. Der Ort, den Yeza und ihr Lehrer sich dafür wählten, konnte gar nicht so abgelegen sein, dass nicht nach kurzer Zeit die ersten ihrer leidenschaftlichen Anhänger dort rundherum am Boden kauerten, jeden gelungenen Schlag von ihr mit murmelndem Beifall bedachten, während jede Attacke des alten Rhaban von Argwohn und gezischtem Missfallen begleitet war.

Immer mehr Zuschauer strömten zusammen, es musste sich jedes Mal wie ein Lauffeuer herumsprechen, wo die Königin sich gerade schlug, mit geschlossenen Augen ihre Pfeile ins Ziel schoss oder - zur größten Belustigung aller - ihren Wurfdolch dicht neben dem Hals ihres Lehrmeisters in den Stamm einer Palme sausen ließ. Yeza war in den Augen der Beduinen mehr als nur die Wiedergeburt der unvergessenen Zenobe, die Palmyra einst groß gemacht hatte, ihre Königin war die herabgestiegene Alilat, die wehrhafte Göttin der Weisheit und des Handels. Und da die Derwische ihnen nicht widersprachen, begannen einige der Jüngeren, heimlich den verfallenen Tempel der Göttin zu reinigen und sich selbst in Waffen zu üben, so wie sie es Yeza abgeschaut hatten. Vielleicht würde die

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Königin eines Tages einer Palastgarde bedürfen oder würde mit ihnen in einen Krieg ziehen. Darauf wollten sie vorbereitet sein.

Am Nachmittag ruhte Yeza, um dann, wenn die Sonne tiefer stand, in ihrem >Palast< Bittsteller und Delegationen zu empfangen, Streitigkeiten zu schlichten und Recht zu sprechen. Vor allem aber musste sie Geschenke entgegennehmen, nicht immer Kostbarkeiten von außerordentlichem Wert, sondern oft ergreifende Bekundungen der Verehrung, die das einfache Volk ihr entgegenbrachte. Die Beduinen liebten ihre Königin, sie hätten sich für sie in Stücke hauen lassen!

Selten, dass sie sich allein zu Tisch begab, fast immer hatte sie Gäste, lud sich Leute, die sie interessierten, an die Tafel, wobei sie nie Sorge um die Speisen tragen musste. Die Geladenen setzten ihre Ehre drein, die Tafel reich zu decken und mit dem Besten, das sie hatten, zu bestücken. Die Königin war Gastgeberin und Gast zugleich.

Aus der Chronik des William von Koebr uk

Da wir nur zu dritt waren - ich, der Rote Falke und David der Templer -, kamen wir sehr zügig voran. Derjenige, der immer wieder für Verzögerungen sorgte, war allerdings meine wehleidige Person, denn mein Hintern war einen solchen Ritt durch Gebirge und Steinwüste nicht gewohnt. Wir ließen die Burg Beaufort links liegen, denn ihr Herr Julian von Sidon galt als ausgemachter Straßenräuber, und bewegten uns den Litani hoch, um dann bei der Quelle, wo der Jordan entspringt, scharf nach Osten zu schwenken, auf Damaskus zu. Dort war der Emir mit seinem Weibe Madulain und diesem Sultanssohn Ali verabredet. Ich war hocherfreut, desgleichen mein einarmiger Freund David, dass uns dort auch Josh der Zimmermann erwarten würde, vor allem aber sehnte ich mich danach, aus dem Sattel zu kommen und meine geschundenen Körperteile von den Innenseiten der Schenkel bis zum

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verlängerten Rücken zu kühlen und mit größter Behutsamkeit zu pflegen. Ich träumte von zarten Händen, Salben und linderndem Puder. Vielleicht hätte ich doch auf dem Krak de Mauclerc ausharren sollen, dann wären mir wenigstens diese entsetzlichen Qualen erspart geblieben. Doch der Rote Falke und der Templer hatten mir nicht einmal die Wahl gelassen! Sie hielten mich wohl für ein Magneteisen, dessen pure Präsenz das Königliche Paar unweigerlich anziehen würde, ganz egal, wo es denn nun stecken würde! Ein verlorener Hufnagel im Wüstensand würde leichter aufzufinden sein - hier gab es nur getrocknete Disteln und Steine!

Doch wir erreichten die berühmte Sultansstadt schlussendlich, und dank der Beziehungen des Roten Falken wurden wir von der Torwache anstandslos eingelassen. Allerdings hatte unser Anführer zuvor von David verlangt, dass er seine geliebte weiße Clamys mit dem roten Tatzenkreuz der Templer ablegte. Christen, auch ihre Ordensritter, seien im offenen Damaskus durchaus willkommen, aber auf das provokant streitbare Emblem solle er lieber verzichten.

Ich hatte keinen Blick für das farbenfrohe Leben, das uns hinter den Mauern sofort umfing, noch für die prächtigen Bauten und die überall verführerisch angepriesenen Köstlichkeiten. Der Emir führte uns schnurstracks quer durch die Stadt, am Palast des Sultans vorbei und an der Großen Moschee Al-Omayyad hin zur Zitadelle, die in der äußersten Nordwestecke der Befestigungen sich auf einem schroffen Fels erhob. Mit letzter Kraft und vielen heiligen Schwüren, mich auf solche unsäglichen Strapazen nie wieder einzulassen, schleppte ich mich den steilen Torweg hoch und ließ mich stumm und vorwurfsvoll leidend in das Stroh der Pferdeställe fallen, wo wir unsere Tiere abstellten.

Der Rote Falke war mit dem Kommandanten der Zitadelle befreundet, weswegen er sein Weib und deren Begleiter hierher bestellt hatte, damit sie sich wieder mit ihm vereinten. Diese gute Beziehung bewirkte auch, dass ich auf eine Bahre umgebettet und in den Hamam getragen wurde. Es waren allerdings keine zartfingrigen Huris, die sich dort meiner annahmen, sondern ein bulliger >Bademeister<, der nun auch meine übrigen Gliedmaßen durch

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Schläge und kalte Güsse derart rabiat bearbeitete, dass ich keinem Teil meines Körpers mehr einen speziellen Schmerz zuzuschreiben wusste. Haris al hamam! So kann man auch geheilt werden!

Meine Freunde besuchten mich im Ruheraum, wo ich, in weiche Tücher gehüllt, meiner >Genesung< entgegenschwebte. Der Spott, den sie für mich erübrigten, war grausam, einzig Madulain hatte ein tröstendes Wort für mich übrig, weswegen der junge Ali, der mit gequälter Miene ihren Samariterdienst an mir mit ansehen musste - sie strich mir lediglich die Schweißtropfen aus der Stirn -, mir sogleich einen scheelen Blick zuwarf.

Josh der Zimmermann und David der Templer schienen nur an der Wiederherstellung meines Sitzvermögens interessiert, damit ich ihnen so bald wie möglich als Mitspieler zur Verfügung stand: Das Wesen-Spiel! Das hatte ich fast vergessen!

DER BAZAR VON DAMASKUS war ein dunkles Labyrinth, in das nur gelegentlich an den Kreuzungspunkten der unzähligen Gassen von oben ein Sonnenstrahl einfiel. Hier trat das Gewimmel offen zutage, fast so, als hätte ein Wanderer seinen Stab in einen Ameisenhaufen gestoßen. Doch ansonsten zogen sich die Röhren und Kolonnaden, Grotten und Gewölbe eher im schummrigen Licht durch diesen Bauch der großen Stadt, und das quirlige Treiben in ihnen blieb dem Fremden meist geheimnisvoll verschlossen. Der Kenner allerdings wusste genau, wo die unsichtbaren Trennlinien der einzelnen Handwerkerquartiere verliefen und welche Regeln zu beachten waren.

Der baouab, der oberste Haushofmeister des Sultanspalastes, ein agiler Mann, dessen höfliches Entgegenkommen über den durchaus ausgeprägten Sinn für den Erhalt seiner Macht hinwegtäuschen sollte, begleitete zwei soeben eingetroffene besondere Gäste zielstrebig zum größten und bedeutendsten Handelshof für Waffen aller Art. Es waren die gewaltigen Hallen einer Karawanserei, in denen verladen wurde, was unzählige Schmiede, Sattler und Kürschner, kunstfertige Hersteller von Kürassen, Helmen und Schilden, Brustpanzern und Beinschienen, Armbrüsten und Bol-180

zen, sonstigen Rüstungsteilen, Sätteln und Zaumzeug aus ihren Werkstätten anlieferten. Den beiden Herren, die mit dem Hofbeamten recht vertraulich umgingen, war nicht anzusehen, woher sie kamen und für wen sie tätig waren. Marc de Montbard, Komtur der Templergarnison von Sidon, ließ sich begleiten von einem alten Bekannten, Naiman, dem umtriebigen Geheimagenten des Mameluckensultans von Kairo. Der Kauf von

Damaszener Klingen war Vertrauenssache, vor allem, wenn es sich nicht um geschmeidig biegsame

Krummsäbel handeln sollte, sondern um Langschwerter, an deren Festigkeit und Härte höhere Ansprüche zu stellen waren. Außerdem verlangte der Templer jenes Harzgemisch zu kaufen, mit dem man die am besten federnden Bogen zusammenfügen konnte - und dieser Klebstoff war ein eifrig gehütetes Geheimnis der Bogenmacher! Doch das Gespräch der so unterschiedlichen Männer drehte sich um ganz andere Dinge.

»Wie lange will Herr An-Nasir«, wandte sich der Komtur an den Baouab, »seinen Sohn El-Aziz von den Mongolen noch als Fußmatte treten lassen?« Der Templer griff den Hofbeamten aufmunternd plump am Arm.

»Eine sinnlose Demütigung, wenn sich der Sultan doch nicht unterwerfen will«, ereiferte er sich, doch der Baouab ging nicht darauf ein, was sollte er auch sagen, weswegen Marc de Montbard noch einmal ins gleiche Hörn stieß. »Noch ist es Zeit für ihn, sich mit Kairo ins Benehmen zu setzen -«

Das lockte den Majordomus des Palastes aus seiner Reserve. »El-Aziz«, erklärte er stolz, »hat sich der Schmach bereits entledigt und das Lager der Mongolen erhobenen Hauptes wieder verlassen!«

Naiman lächelte bös. »Und wohin?! Nicht etwa ist er zu seinem unschlüssigen Vater zurückgekehrt! Nein, dieser Wirrkopf von Sohn sucht ihn noch zu übertreffen: Er hat sich aufgemacht, die Prinzessin Yeza zu befreien!«

Diese Eröffnung brachte den Templer zum Lachen. »Damit ist er wohl auf dem besten Weg vom Regen in die Traufe«, ließ er seinem Spott freien Lauf. »Wer immer sich auf die Sache der Prinzessin einlässt, hat seinen Kopf schon verloren!«

Der Baouab schwieg verstört, aber Naiman nahm den Gedanken hämisch auf. »Von allen Lösungen, nach denen Damaskus

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greift wie nach einem rettenden Strohhalm, ist die des Königlichen Paares, mit wem auch immer als Prinzgemahl, diejenige, der ein Scheitern so gewiss ist wie — «

»Eine solche Herrschaft von Ketzern!«, unterbrach ihn der Komtur trompetend. »Die will nun wirklich keiner -

außer den ignoranten Mongolen! Weder der christliche Patriarch noch die Juden von Jerusalem! Und der Islam schon gar nicht!«

»Und wie steht es mit den Templern?«, fragte Naiman lauernd. »Steht nicht die gleiche Macht hinter dem angestrebten Thron für Roc Trencavel und der Prinzessin Yeza«, er ließ den Komtur zappeln, der Baouab begriff eh nicht, worum es ging, »die auch über die Geschicke Eurer Ordensritter verfügt? «

Marc de Montbard musste die Kröte schlucken. »Im entscheidenden Augenblick, wenn es um das nackte Überleben geht, wird die Entscheidung zu Gunsten des Ordens fallen!«, gab er triumphierend preis.

Der Mann des Sultans von Kairo war es zufrieden, nicht so der Baouab. »Wenn einer nur den Erhalt seiner selbst im Sinne hat und keine höheren Ziele«, sagte er nachdenklich, »wird er nichts erreichen und zu Staub zerfallen!«

»Wir werden ja sehen«, entgegnete der Komtur trotzig, »wer dann ein solches Opfer bringen wird!«

Sie betraten ein verschwiegenes Kontor. Dessen Inhaber, ein würdiger alter Mann in einem kostbaren Burnus und mit schlohweißem Haar, betrachtete die Gäste mit durchdringendem Blick, während er sich vor dem Baouab verneigte. »Mit welcher tödlichen Waffe kann ich den Feinden unseres Glaubens diesmal dienen?«, fragte er mit unbeteiligter Höflichkeit. »Allah wird wissen, gegen wen er sie schlussendlich richtet.«

Die drei Herren sahen sich betroffen an, aber nur Marc de Montbard und der Haushofmeister ließen sich nieder zum angebotenen shai nana. Naiman, der Agent der Mamelucken, sah keinen Grund, länger bei ihnen zu verweilen. Er verließ eiligen Schritts den weitläufigen Waffenmarkt.

»Lieber Euch als unerbittlichen Gegner«, sagte der Alte zum Komtur gewandt, »als diesen zum Freund!«

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OBEN AUF DER ZITADELLE willigte der Rote Falke ein, überredet von seinem Freund, dem Kommandanten, sich mit einem »Abgesandten Kairos« zu treffen. Der Emir hatte bereits einige Erfahrung mit den Bemühungen des Sultan Qutuz, ihn, den Sohn des ruhmreichen und unvergessenen Großwesirs, wieder für die Sache Ägyptens, also der Mamelucken zu gewinnen. Doch seine Familie hatte diesen Emporkömmlingen nie gedient, und so war er auch eher bereit, der verdrängten Dynastie der Ayubiten, den Nachkommen des großen Saladin, seine Hand zu reichen, als diesem Qutuz, der zurzeit den Thron in Kairo innehatte. Sein Weib Madulain hasste die Mamelucken derart, dass er das Treffen ihr verheimlichen musste, weswegen der Rote Falke sie mit Ali hinab in die Soukhs der Stadt schickte, damit sie sich dort kaufen sollte, was ihr Herz begehrte.

Als der Kommandant ihm dann den inzwischen eingetroffenen Gesandten vorstellte, war die Enttäuschung des Emirs heftig, denn er kannte Naiman als einen der windigsten und völlig charakterlosen Agenten des ägyptischen Sultans. Empört wollte er grußlos den Raum auf der Stelle verlassen, doch obsiegten seine guten Manieren, schließlich wollte er auch seinen Gastgeber nicht vor den Kopf stoßen. Auch Naiman hatte sofort begriffen, dass der Emir alles andere als sein Freund war, doch auch unverhohlene Missachtung hinzunehmen gehörte zu seinem Beruf.

»Dass Ihr kein Anhänger meines Herrn, des Sultans, seid«, eröffnete er das Gespräch, kaum, dass sie allein waren, »finde ich immer noch bedauerlich, Fassr ed-Din, doch halte ich Euch - bis zum Erweis des Gegenteils -

für einen vaterlandstreuen Ägypter - «

»Ich habe nicht vor«, entgegnete der Rote Falke unwirsch, »noch sehe ich Veranlassung, Euch über meine Gefühle Rechenschaft abzulegen!«

Naiman schluckte auch diese Zurechtweisung. »Wie dem auch sei«, lenkte er ein. »Es kann für den Sohn des berühmten Fakhr ed-Din, der die Verteidigung seiner Heimat gegen die Ungläubigen mit seinem Leben bezahlte, keinen Grund geben, es mit den Mongolen zu halten, unseren erklärten Feinden!«

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Der Emir sah dem Agenten offen ins verschlagene Gesicht. »Grund nicht, aber Anlass!«, beschied er ihn bündig.

»Die Mongolen unterstützen den Plan«, fast wäre ihm das Wort vom Großen Plan herausgerutscht, »das Königliche Paar als Friedensfürsten in diesem Land einzusetzen. Und deren Sache habe ich zu meiner gemacht -

ob das nun Sultan Qutuz behagt oder nicht!«

Naiman wiegte den Kopf und versuchte sich verständnisvoll zu geben. »Der Il-Khan fördert dieses Vorhaben nicht aus selbstloser Liebe zu Roc Trencavel und Prinzessin Yeza«, gab er zu bedenken, »sondern sieht sie als nützliche Marionetten. Die Macht, die er zu etablieren gedenkt, wird von den Mongolen ausgehen, und ihre Eroberungswut wird auch an den Grenzen zu Ägypten nicht Halt machen!«

»Euer kleiner Geist, Naiman, kann die Herrschaft von Roc und Yeza nur unterschätzen«, griff er den Agenten frontal an, »die Idee zu dieser völkerverbindenden Krone stammt auch nicht von den Mongolen, selbst der Großkhan im fernen Karakorum ist lediglich dazu ausersehen, diese Inthronisierung durchzusetzen!« Der Rote Falke ließ sich dazu hinreißen, mehr preiszugeben, als er ursprünglich wollte. »Hinter Rog und Yeza steht eine ganz andere Macht!«

Naiman lächelte, er ließ nicht durchscheinen, dass ihm die geheime Bruderschaft und die geheimnisvolle Grande Maitresse ein Begriff waren, er sagte nur: »Und Ihr überschätzt die Möglichkeiten eines jeden fremden Herrschers auf dem Boden eines Landes, das der Lehre des Propheten folgt. Nicht einmal die geballte Macht aller Kreuzfahrerheere des Abendlandes hat hier das Königreich von Jerusalem auf die Dauer im Sattel halten können. Wie soll ein solches Unterfangen Euren Schützlingen gelingen? «

»Ihr tut jetzt so, als wäre das gewaltige Mongolenheer gar nicht mehr vorhanden!«, spottete der Rote Falke.

»Aber dessen Masse und Kampfkraft könnt Ihr nicht einfach wegreden!«

Naiman gab sich mitnichten geschlagen. »Wir, das syrische Volk oder das der Ägypter, stehen auf unserem ureigenen Boden, und nicht Tausende von Meilen entfernt in der Fremde! Deswegen erlaube ich mir, die Mongolen nicht sonderlich ernst zu nehmen!«

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»Sie werden Euch schon dazu bringen!«, schnaubte der Emir aufgebracht über den Unverstand des Agenten, der ihm so zäh und nicht ungeschickt Widerpart bot. »Was jedenfalls Roc und Yeza anbelangt, bin ich als einer ihrer Hüter berufen und werde dieser hohen Ehre auch nicht entsagen!«

»Ich will Euch meine Hochachtung nicht versagen, Fassr ed-Din«, der geschmeidige Agent verbeugte sich übertrieben tief, »doch hütet Euch, mit ihnen unterzugehen!« Er verließ rückwärts den Raum, auch wenn er nicht befürchten musste, einen wütenden Tritt zu empfangen. Zu sehr hatte er den Roten Falken, diesen Idealisten, beeindruckt. Jedenfalls schied er in dieser Meinung: Eines Tages würde es ihm doch noch gelingen, den Emir auf seine Seite zu ziehen - vielleicht sogar gegen dieses Königliche Paar einzunehmen. Naiman war da sehr zuversichtlich.

Der Rote Falke hingegen war unzufrieden mit sich selbst: Er hätte sich auf den Disput mit dieser Kreatur nie einlassen sollen. Madulain hatte völlig Recht!

Aus der Chronik des William von Koebr uk

Da uns die Zitadelle wenig Abwechslung bot, waren wir, David der Templer, Josh der Zimmermann und ich, der Franziskaner, hinabgezogen in die Soukhs der Stadt. Doch anstatt die Bauten zu bewundern, hatten wir uns in einer der Teestuben an dem belebtesten Platz des Bazars niedergelassen. Dort hockten wir zusammen, schmauchten an den Mundstücken der shisha und bedachten die vorüberhastenden oder schlendernden Menschen mit bissigen Kommentaren. Wir hätten den Beutel mit den Stäbchen mitnehmen sollen, kein Ort ist geeigneter für das Wesen-Spiel als eine mashrab shai in der Altstadt von Damaskus. Keiner hatte daran gedacht, aber das warfen wir uns jetzt gegenseitig vor, schnell so heftig, dass offener Streit zwischen uns ausbrach. Der tiefere Grund für die gereizte Stimmung meiner Gefährten lag in der Unbestimmtheit unserer Reise, ihrem ungewissen Ziel. Ich hatte meine Chronik, an die ich mich klam-185

mern konnte, aber die anderen hatte der Rote Falke mit seinem Elan überrollt, dass sie sich auf die Suche nach dem Königlichen Paar zu begeben hätten, wie weiland die Hirten oder besser die Drei Könige aus dem Morgenland nach dem Jesus-Kind! Doch denen wies wenigstens ein Stern den Weg, wir wussten grad' mal die ungefähre Himmelsrichtung, und das bedeutet weniger als nichts, wenn es in die Wüste geht, die sich im Norden und vor allem im Osten von Damaskus endlos erstreckt - eigentlich auch im Süden! Irgendwo in diesem Meer, steiniger Sand, wohin man schaut, mochten sich Roc und Yeza befinden, und ausgerechnet uns unerfahrenen Wüstenreisenden sollte es beschieden sein, sie zu finden!?

Grad' da fiel unser Blick auf Madulain, die mit dem jungen Ali an den Ständen der Silberschmiede entlangstrich, offensichtlich bemüht, ihn zur Annahme eines Schmuckstücks zu bewegen. Ich glaube, unter uns dreien, die wir die Szene beobachteten, war keiner, der nicht davon überzeugt war, dass die schöne Frau, die etwas von einer Raubkatze hatte, weniger im Gesicht als in ihren Gebärden, den Sultanssohn gelegentlich als Liebhaber duldete oder ihn auch zu Minnediensten heranzog. Ali schien unsicher in seiner Rolle, Madulain war ihm überlegen, und er versuchte sich gegen sie zu behaupten, indem er sich verweigerte und den starken Mann herauskehrte. Wir genossen amüsiert als heimliche Zuschauer das Schauspiel, wie sie ihm einen Armreif nach dem anderen aufdrängte, mal spielerisch mit leichter Hand, wie es ihre Art war, dann wieder ihn zärtlich umgarnend. Nicht, dass er kein Geschenk von ihr wollte, aber er war nicht bereit, es zu zeigen. Ali litt unter der Bravour, mit der Madulain das Spiel beherrschte, ich glaube, er wäre vor Scham im Boden versunken, wenn er gewusst hätte, dass wir Zeugen seiner >Niederlage< wurden, als sie ihm endlich den Ring überstreifte, den sie von Anfang an für ihn ausgewählt hatte. David und ich grienten uns belustigt zu, vielleicht mit etwas uneingestandenem Neid, nicht die Stelle des hübschen Burschen einnehmen zu können. Einzig der trockene Joshua rettete sich auf eine moralische Position, indem er uns empört fragte, ob wir diesem ehebrecherischen Treiben etwa zustimmen würden. Da haben wir ihn ausgelacht!

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Zurück auf der Zitadelle, musste ich in meinem Quartier feststellen, dass jemand meine Sachen durchwühlt hatte.

Meine wohlbehüteten Pergamente befanden sich zwar noch in meiner Pilgertasche, es fehlte auch keines, wie ich nach sofortiger Kontrolle feststellte, aber sie waren in Unordnung, als habe sie jemand durchgeblättert und dann hastig wieder an ihren Platz gestopft. Nun hatte ich mir seit dem letzten Anschlag auf die Chronik und ihren Verfasser angewöhnt, beschriebene Blätter am Leib zu tragen, so lange es irgend ging oder bis sich die Gelegenheit ergab, sie sicher irgendwo zu verstecken, wie ein Hund seinen Knochen verscharrt. Ich notierte mir lediglich in Geheimschrift, wo diese Schatzkästlein verborgen lagen, damit die Chronik nicht erst wieder in hundert Jahren ans Tageslicht geraten sollte. So habe ich auch auf der Zitadelle von Damaskus ein geeignetes Versteck ausgemacht, in dem ich alles, was ich seit dem Aufbruch aus dem Krak de Mauclerc zu Pergament gebracht, deponieren werde. Damit ist es Sache meiner Auftraggeber, die Chronik Stück für Stück einzusammeln und zusammenzufügen zum Großen Werk. Ich halte dieses Vorgehen für sehr verantwortungsvoll und bin stolz auf mich. Morgen Früh werden wir Damaskus verlassen.

DER FRIEDEN, DIE SCHÖNHEIT des Ortes und die Harmonie der menschlichen Begegnungen ließen Yeza

gelegentlich - und das auch nur insgeheim - daran zweifeln, ob ihr Leben in Palmyra nichts war als ein Traum.

Eigentlich fehlte ihr zu ihrem Glück nur noch, dass Roc Trencavel es an ihrer Seite erleben könnte. Von innerer Unruhe getrieben, ritt sie dann bei Sonnenuntergang noch mal alleine auf ihrem Kamel aus, streifte ziellos durch die Oase und besah sich, von niemandem gestört, die merkwürdigen Grabtürme, die verteilt in der hügeligen Landschaft standen. Sie erinnerten Yeza mehr an Fluchtburgen denn an hochaufragende Familiengrüfte, im Innern liebevoll ausgestattete Mausoleen. Die Türme hatten für sie nichts Unheimliches, sie strahlten eine Ruhe der Selbstverständlichkeit aus, man lebte mit seinen Toten. Zugleich gemahnten sie an die

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Vergänglichkeit der eigenen Existenz, doch das empfand Yeza fast jedes Mal, wenn sie die Welt besonders schön erlebte und ihr eigenes Los darin als fast beneidenswert.

So war Yeza auch nicht sonderlich erstaunt, dass sie bei einem ihrer Lieblingstürme zwei Reiter antraf, die dort bereits abgestiegen waren, als hätten sie auf Yeza gewartet.

»Yves der Bretone!«, grüßte sie heiter gelassen den finstertraurigen Ritter mit seinem riesigen Schwert, der Einbruch der Außenwelt musste ja eines Tages erfolgen. »Ihr gehört zu dem Kreis von Menschen, die einen offensichtlich von der Wiege bis zum letzten Atemzug begleiten, ohne dass man weiß, auf welcher Seite sie stehen.«

Yves lächelte verlegen und schob den Knaben vor, den er mit sich führte. »Das ist Baitschu, der jüngste Spross Eures alten Verehrers Kitbogha, dem er allerdings ausgerissen ist.«

Baitschu grinste Yeza auf ihrem Kamel an, wenig Schuldgefühle zeigend, dafür aber unverhohlene Neugier für die Reiterin. »Und Ihr seid unsere Prinzessin«, gab er sich forsch, »deren Verlust meinen Herrn Vater nicht minder betrübt. Alle Mongolen suchen nach Euch!«

Yeza hielt sich an den Bretonen, dem die Offenheit des Knaben nicht zu passen schien. »Herr Yves findet jeden«, spottete sie, »und wenn er dafür in die Hölle hinabsteigen müsste!« Sie besann sich und gab sich als konziliante Herrscherin. »Doch Palmyra gleicht eher dem Paradies auf Erden und ist damit kaum der rechte Ort für ein auf Recht und Ordnung versessenes Raubein wie den Bretonen.« Ein prüfender Blick auf Yves zeigte ihr, dass der diese Sicht der Dinge gar nicht spaßig fand, doch ihr lag daran, gleich Klarheit zu schaffen. »Macht es Euch einfach, meine Herren: Ihr habt mich nicht gesehen, weder dort droben im lichten Himmel«, sie wies auf die blutrot untergehende Sonnenscheibe im Westen, »noch im dunklen Reich der hier friedlich ruhenden Toten.«

Sie schloss behutsam die Tür zu der steinernen Gruft. »Und jetzt folgt mir bitte, damit ich Euch gastlich in meinem Hause bewirten kann!«

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Yeza wendete ihr Kamel und lenkte es zurück zum Palast der Zenobe, ohne sich nach den beiden umzudrehen.

Sie ließ ihnen Gemächer zuweisen und bat dann zu Tisch, zu dem auch Jalal und einige seiner Derwisch-Freunde geladen waren. Das Essen verlief wortkarg, die Ankunft der beiden Gäste lastete auf ihrer Königin, glaubten die feinfühligen Derwische schnell als Grund erkannt zu haben. Kaum waren die Speisen abgeräumt und wurde nur noch Wein kredenzt, machte Jalal al-Sufi tastend den Anfang im Zitieren der Poesie des von Yeza so geschätzten Jalaluddin Rumi. Wie auf geheime Verabredung richteten sich jedoch Wort und Gehalt gegen den mürrischen Bretonen.

»In jeder Kunst beschlagen zu sein, stehst Du Dich an zu behaupten, - Kenntnis alles Wissens sei Dir zu Eigen, der Du nicht einmal zu hören vermagst, was Dein eigenes Herz Dir sagt - «

Die Königin lächelte dünn, Herr Yves folgte dem Text insofern, dass sein Mienenspiel vorgab, nicht zugehört, geschweige denn die Verse auf sich bezogen zu haben. Der kleine Derwisch ließ es sich nicht verdrießen.

»Solange bis Du diese einjachen Worte nicht vernehmen kannst, wie willst Du dann zu den Wahrern des Geheimnisses zählen, zu den Reisenden auf dem Weg, der das Ziel ist?«

Yeza spendete ihm Beifall, in den auch der Knabe Baitschu einfiel, der nichts verstanden hatte, aber die Königin großartig fand. Der Bretone blieb verschlossen. Er gab sich zwar Mühe, nicht allzu finster dreinzuschauen, wirkte damit aber wie ein Mann, dem das Leben nur Grund für eine unendliche Traurigkeit bereitgehalten hatte.

Königin Yeza ließ den Garten illuminieren, die Tischgesellschaft begab sich zu den Sitzgelegenheiten unter den Palmen. Die vollen Becher kreisten, Herr Yves nippte höflich an dem seinen und verlangte dann Wasser für Baitschu, seinen Schutzbefohlenen. Das ließ den nächsten Derwisch in den Ring springen.

»Wenn Du eine Perle finden willst, dann Stocher' nach ihr nicht in Pfützen! Perlensucher tauchen in die Tiefe des Ozeans!« Während der junge Derwisch mit der krächzenden Stimme noch innehielt, um die Wirkung seines Gedankens zu überprüfen, übernahm ein anderer flugs dessen Fortführung.

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»Und wer wird die Perle finden? - Alle, die wiederauftauchen aus den Wassern des Lebens - und immer noch durstig.«

Er war es, der den Applaus einheimste, was den Bretonen zwar nicht zum Lächeln brachte, aber immerhin hatte er stirnrunzelnd zugehört. Yeza verschenkte ihr Lächeln mangels der erhofften Reaktion an Baitschu, der mit dem neben ihm sitzenden Rhaban ins geflüsterte Gespräch gekommen war.

»Ist die Prinzessin die Perle des Meeres?«

»Mehr noch«, entgegnete ihm der alte Fechtmeister, »sie ist das Wasser des Lebens und die Taucherin!«

Da erhob sich der Bretone, verneigte sich zu den erstaunten Derwischen und dann vor der Königin. »Ihr sollt nicht denken!«, hub er an, seiner Sache erstaunlich sicher. »Verliert Euch nicht in dem Fadengespinst Eurer Gedanken. Euer Denken wirkt wie ein Schleier vor dem Antlitz des Mondes - «

Kenner des großen Rumi, allen voran Jalal al-Sufi, mussten sich eingestehen, dass Yves dessen Lyrik Wort für Wort beherrschte.

»Dieser Mond ist Euer Herz«

Die Erkenntnis machte den sonst um keine Replik verlegenen Derwisch sprachlos.

»- und solches Denken verhüllt wie ein Mantel Euer Herz!«

Auch die Derwische starrten gebannt auf den Vortragenden.

»So lasst die Gedanken fahren! Lasst sie grad' fallen, fallen in das große Wasser!«

Es erhob sich kein tosender Beifall. Das war auch gut so, denn Herr Yves war vor der Königin stehen geblieben, aber was er nun sprach, war an alle gerichtet. »Ich werde Yeza«, er verbesserte sich todernst, »Isabel, Prinzessin Esclarmunde du Mont y Sion«, der Angesprochenen stockte der Atem, »nicht allein Eure Königin, sondern Königin aller«, man hätte eine Nadel fallen hören, selbst die Zikaden hatten ihr Zirpen eingestellt, »ich werde die Prinzessin von Palmyra hinwegführen - « Der Rest ging unter in einem Wutschrei der Derwische.

Yeza war aufgesprungen. »Dazu gehören zwei, Bretone!«, fauchte sie ihn kalt an.

Yves verbeugte sich, nahm Baitschu an der Hand, murmelte:

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»Ihr erlaubt, dass ich mich zurückziehe?!«, und verschwand in seinem Gastgemach.

Yeza ließ den Aufgebrachten neuen Wein einschenken, reichlich, aber die Stimmung war dahin, der Abend verdorben. Nach und nach verließen die Gäste den Garten der Königin.

»Ich hätte den Kerl umbringen können!«, schnaubte Rhaban.

»Versucht das lieber nicht!«, sagte Yeza und verabschiedete den empörten Fechtmeister. Sie hatte das Bedürfnis, jetzt allein zu sein. Sie war es.

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DER PREIS EINES KOPFES

Aus der Chronik des William von Koebr uk

Unsere kleine Reisegruppe war jetzt schon einige Tage unterwegs, aber immer noch ließ es der Emir, unser unwidersprochener Anführer, an einer klaren Vorgabe fehlen, welchen Weg wir einschlagen sollten. Wir waren jetzt wieder die gleiche Gesellschaft, die zu Jerusalem beschlossen hatte, die Suche nach dem Königlichen Paar aufzunehmen, aber wir spürten, der Rote Falke wusste auch keine Erfolg versprechende Methode, zu diesem Ziel zu gelangen. Genau genommen - auch wenn ihm niemand von uns einen offenen Vorwurf machte - irrten wir planlos in der Wüste umher. Ich war mir sogar sicher, dass wir uns - statt nach Nordosten - inzwischen südlich der Höhe von Damaskus bewegten. Da wir uns reichlich mit Proviant und Wasser versehen hatten, hielt sich der Unmut in Grenzen. Schließlich hatte keiner von uns eine Lösung parat, die wenigstens einen Schimmer von Hoffnung auf Erfolg angeboten hätte. Das Einzige, worauf wir uns, nach einem Machtwort des Roten Falken, verständigt hatten, war, die beschwerliche Reise auf Kamelrücken anzugehen. Etwas anderes hätten sich die meisten von uns gar nicht leisten können. Lediglich der junge Ali, dieser Sultanssohn, hatte gemault, dass er es gewohnt sei, hoch zu Ross -ein scharfer Blick des Roten Falken ließ ihn verstummen, zumal er auch bei Madulain keine Unterstützung fand. Die Prinzessin der Saratz, Eheweib des Emirs, zeigte ansonsten eher Nachgiebigkeit gegenüber den Launen des hübschen Burschen. Die völlig unterschiedliche Zusammensetzung unserer Reisegesellschaft war eine weitere Ursache für unser langsames Vorwärtskommen.

Joshua der Zimmermann und David der einarmige Templer

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schienen den Marsch durch die Wüste nur deshalb auf sich genommen zu haben, um jeden Abend ihrem in einem Beutel mitgeführten Wesen-Spiel frönen zu können. Kaum neigte sich die Sonne dem Horizont zu, drängten sie klagend, völlige Erschöpfung vortäuschend, auf die Suche nach einem geeigneten Rastplatz, breiteten sofort eine Decke aus und machten sich an den Aufbau der Pyramide aus den farbigen Hölzchen. Weil ihnen mit Jalal, dem Sufi, der vierte Mann abhanden gekommen war, hatten sie Madulain überredet, die allerdings schnell Gefallen an dem klugen Spiel fand und uns Männer bald durch blitzgescheite Findigkeit und kühne Kombination verblüffte.

Ich selbst konnte mich, aufgrund alter Freundschaft, sowieso der Teilnahme nicht verweigern. Schon immer hatte ich versucht herauszubekommen, wer das Spiel eigentlich in unseren Kreis eingeführt hatte, denn diesbezüglich wartete jeder mit einer anderen Version auf. Josh der Kabbaiist verwies gern auf frühe Funde im Bereich des Tempelbergs, die eine jüdische Benutzung der Symbole zur Übermittlung geheimer Nachrichten während der römischen Besatzungszeit nahe legten. David hingegen bestritt weder das Alter noch den geschichtsträchtigen Ort, behauptete aber, dass die vermutlich einst in Hörn geschnittenen Zeichen die entscheidenden Hinweise bei den ersten Grabungen der Templer unter den Pferdeställen Salomons, also der heutigen Al-Aqsa-Moschee, lieferten. Um nicht gänzlich unbedarft dazustehen, vertrete ich mit bissigem Vergnügen die ebenfalls nicht beweisbare These, der divinatorische Ursprung läge im Zweistromland, schließlich handele es sich um astrologische Symbole und die Kunst ihrer Deutung habe dort ihren Anfang genommen. Wie auch immer, unserem schnelleren Fortkommen diente die Spielleidenschaft nicht, sehr zum Ärger des Roten Falken, der sich wohl ein zielstrebigeres Verhalten unseres wild zusammengewürfelten Haufens vorgestellt hatte. Doch da fiel ihm schon sein eigenes Weib in den Rücken. Mit kühnem Zugriff hatte Madulain gerade den unaufmerksamen Joshua um den wertvollen Caput draconis gebracht, auch »Der Hohepriester«

genannt, und damit ihr Spiel zum Abschluss gebracht, als unbestrittene Siegerin.

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Ich hatte mich einerseits zu unbescheiden in meinen Ansprüchen festgelegt, aber in der Durchführung zeigte ich mich nicht wagemutig und konsequent genug. Von allem irdischen Besitz hatte ich mir Überfluss erhofft und Hungersnot geerntet, von der Macht, dem Herrschergeist des von mir verehrten Jupiters, Glanz und Wissen und Reichtum - und was ist William von Roebruk geblieben, wenn er ehrlich ist mit sich selbst? Ein Bettler ist allemal besser dran!

Das Wesen-Spiel ist schonungslos, wenn man sich vor der Deutung nicht drückt! Aber diese Einblicke ins Innerste - auch ins Innerste der Welt, in der wir leben, macht seine Sucht aus. Jeder von uns erhält reichlich Schläge, und doch halten wir sofort wieder die Backe hin!

Zu unserem Glück lagen noch reichlich Oasen in der hügeligen Landschaft, die uns jeweils einen guten Vorwand lieferten, mal wieder eine Rast einzulegen. Der Rote Falke war darüber zunehmend verärgert, aber auf Befragen

- wir schickten sein Weib vor - wusste auch er nicht zu sagen, was denn nun seine Strategie sei. Das Aufstöbern des Königlichen Paares stellte sich unbestreitbar als die Suche nach einer Nadel in einem Heuhaufen dar, nur, dass hier das getrocknete, duftende Gras durch Berge von Sandkörnern ersetzt wurde, endlos und fast gleichförmig für unsere Augen zogen sich die Dünen dahin. So genommen hatten unsere Spieler nicht einmal Unrecht, die Chance, auf die Gesuchten zu stoßen, würde sich durch hektische Bewegung keineswegs verbessern. Genauso gut konnte man sich hinsetzen und einfach warten, ob sie nicht zufällig gerade hier vorbeikämen, zumal ein solches Verfahren im Schatten von Palmen und bei frischem Wasser aus dem

Ziehbrunnen seine Vorzüge hatte. Und so stand auch einer neuerlichen Partie nichts im Wege.

Josh, unser Zimmermann, versuchte diesmal sein Glück im Unglück. Er verbarg seine Intentionen nicht, als er uns - gegen alle Gepflogenheiten - schon gleich zu Beginn den Cauda draconis, den Drachenschwanz, zeigte und dann begierig nacheinander alle Zeichen der Erniedrigung an sich zog, die Feuersbrunst, die Hurerei 194

und den Meuchler aus dem solaren Prinzip des Feuers, auf der Kehrseite des Mondes raffte er den Sklaven, den Siechen und den Ertrunkenen, krönte seine Sammlung auch noch durch das seltene Seeungeheuer, doch dann raubte ihm Madulain den merkurialen Giftmischer und David griff sich schnell den Spion, obgleich der Templer mit seinem geraden Charakter besser seine Finger von den luftigen Zeichen der Spiritualität, wie Dichter und Künstler generell, lassen sollte. Ich empfand diesen plötzlichen Hang zu den Niederungen menschlichen Verhaltens bedenklich, sogar unheilvoll und beschloss, mich gegen diese »Deszendenz« zu stemmen, indem ich um den »Sitzenden Drachen« alle Elemente in ihrer reinen und positiven Form zu versammeln suchte, es fiel mir auch nicht schwer, denn keiner meiner Mitspieler machte sie mir streitig. Doch mangelnde Opposition bereitet keinen Lustgewinn!

Die Sonne stand schon tief, als aus der Wüste eine Karawane auftauchte und ganz offensichtlich auf den gleichen Ort zuhielt, den wir besetzt hatten. Der Rote Falke hieß uns sofort, alle verfügbaren Schläuche und Beutel mit Wasser aus dem Brunnen zu füllen, bevor diese Menschen und Tiere sich über das kostbare Nass hermachen würden. Dafür mussten wir sogar unser Spiel unterbrechen, aber die Vorsichtsmaßnahme war uns allen einsichtig - selbst Ali. Wir rückten enger zusammen, je näher die Fremden kamen, denn der erste Eindruck, den sie auf uns machten, war alles andere als vertrauenerweckend.

»Tuareg!«, zischte der Rote Falke seiner Frau zu, »der Wüste schlimmste Räuber!«, die daraufhin ihr hijab tief in die Stirn zog und ihren Kopf senkte, um nicht unnötige Begehrlichkeit aufkommen zu lassen. »Wenn die sich bis hierher verirrt haben«, flüsterte Madulain, »dann sind sie besonders gefährlich.« Ali, dessen Hand sofort zur Waffe gezuckt war, wurde von dem Emir mit festem Griff daran gehindert, durch eine solche Geste die Ankömmlinge zu provozieren. Sie waren in so starker Überzahl, dass Gegenwehr nicht den geringsten Sinn machte, außerdem hätte sie allein auf dem Roten Falken und vielleicht noch auf dem einarmigen David gelastet, denn wir, der traurige Rest, wussten nicht einmal, wie

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man mit einem Scimtar umging - abgesehen davon, dass keiner von uns eine solche scharfe Klinge sein Eigen nannte. Der Emir erhob sich und trat dem Anführer, einem dicken Kerl mit riesigen Ohrringen, lächelnd entgegen. Der grinste breit und sagte, nach Austausch der üblichen Begrüßungsfloskeln:

»Nachdem Eure Leute schon so aufmerksam waren, für uns das Wasser zu schöpfen, ist es nur recht, dass die schöne Frau«, sein fleischiger Finger zeigte auf Madulain, »es uns jetzt zum Willkommen kredenzt!« Das war keine Anfrage, sondern eine klare Aufforderung, der nicht nachzukommen ein großer Fehler gewesen wäre, denn nach dem Gesetz der Wüste stellt sich durch Darbieten und Annahme eines solchen Trunks unverletzliche Gastfreundschaft her - wenn denn diese Räuber solche Gesetze achteten!

Der Rote Falke gab also Madulain einen Wink, dem nachdrängenden Gefolge des Anführers aus unseren Beuteln und Schläuchen zu trinken zu geben. Dieser Vorgang, den wir alle mit angstvoller Spannung verfolgten, verlief ohne Zwischenfälle, im Gegenteil, die wilden Gesellen bedankten sich jeder mit einer Verbeugung vor der mutigen Saratz.

Währenddessen hatte der Dicke den Roten Falken beiseite genommen und ihm gezeigt, mit welcher »Ware«

seine Karawane unterwegs war.

»Wir haben da einen wunderschönen Kelim, zwar in seiner Größe etwas ungewöhnlich«, er schnalzte mit seinen fetten Lippen, »er wäre die höchste Zier einer jeden bedeutenden Moschee -von Aleppo bis Damaskus oder gar Kairo! Den wollen wir Euch günstig verkaufen!« Das war ebenfalls kein Angebot, sondern ein kaum verbrämter Wunsch, an den Inhalt unserer Geldbeutel zu gelangen.

Der Rote Falke sah das auch so. »Es war schon immer mein brennender Wunsch, der großen Moschee Al-Omayyad von Damaskus ein solches Schmuckstück von bleibendem Wert zu stiften, schon um des Friedens meiner Seele willen«, holte er weit aus, das breite Grinsen des Anführers bis zu den Ohrringen ausdehnend,

»doch sind meine Gefährten und ich nicht ausgezogen, um einen Bazar zu besuchen, sondern um nach dem Schicksal von in der

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Wüste zwischen Euphrat und Tigris Verschollenen zu forschen, deswegen führen wir solche Barmittel, die Euer großherziges Geschenk als Gegengabe wert sind, nicht mit uns - weswegen mich tiefe Scham erfüllt!«

Das Grinsen des Dicken schnurrte zusammen, bis es unter der Knollennase Platz hatte. »Dann sollen die edlen Wohltäter mal zusammenlegen«, schlug er sogleich vor, tiefste Betrübnis zeigend, aber auch schnelle Anpassungsfähigkeit, »um Allah zu beweisen, was sein Lob ihnen wert ist - «

Da wir alle mitgehört hatten, griffen wir seufzend in unsere Taschen, zogen die Geldbeutel und leerten ihren Inhalt in das Tuch, mit dem der Dicke bei uns Mann für Mann unsere Münzen einsammelte. Das Ergebnis war nicht berauschend, aber offensichtlich war der Kelim, den wir noch gar nicht zu Gesicht bekommen hatten, entweder gestohlen - oder es gab für die Räuber sonst einen Grund, ihn loswerden zu wollen. Der Dicke rang mit sich, ob unsere Kollekte einen annehmbaren Gegenwert für eine solche monströse Rarität darstellte, wie er sie beschrieben. Das tat sie sicher nicht, und ihm musste es wohl Leid getan haben, sich für ein Almosen von dem Prunkstück zu trennen.

»Ich hätte da noch - bi qudrat allah - ein anderes Angebot«, wandte er sich wieder an den Roten Falken, »das uns durch Allahs Fügung in die Hand gefallen ist, wir haben ihn nämlich aus dem Ufersand des Euphrat ausgegraben - « Er gab seinen Leuten einen Wink, und sie zerrten eine gefesselte Gestalt herbei, einen jungen Mann mit wirrem Blick, wahrlich ein Bild des Elends! Wie einem wilden Tier hatten die Räuber ihm einen Ast als Knebel in den Mund gepresst, sodass er kaum zu atmen, nur zu röcheln vermochte. Einer trat ihm in die Kniekehlen, damit er vor uns auf die Knie fiel, wobei das menschliche Bündel flehentlich die Hände hob, die mit dem Strick zusammengeschnürt waren, an dem die edlen Retter ihr Opfer wohl mit sich geschleift hatten.

»Der Kerl behauptet, El-Aziz, der einzige Sohn des Sultans von Damaskus, zu sein«, ließ uns der Dicke ungerührt wissen, »den könnte ich Euch gegebenenfalls überlassen - angesichts der beschränkten Mittel - « Er ließ uns durchaus den Vorwurf heraushö-

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ren, »mit denen Ihr Euch auf Reisen begeben habt. Ich lass Euch die Wahl!«, fügte er geschmeidig an, obgleich er nicht sonderlich gewillt war, uns die Entscheidung zu überlassen.

Ich schaute betroffen auf die Mitleid heischende Gestalt. Auch wenn es kein Sultanssohn sein sollte, regte sich bei mir sofort das anerzogene christliche Erbarmen, und das erlaubte keinen Zweifel, wie sich der Minorit William von Roebruk zu entscheiden habe. Aber ich war der Einzige, der dem leidenden Menschensohn den Vorzug geben wollte. Josh der Zimmermann und David der Templer hatten ganz anderes im Sinn und sprachen es auch offen aus.

»Für unser schönes Geld«, erklärte der Kabbaiist mit Nachdruck, »wollen wir wenigstens eine nützliche Unterlage zum Wesen-Spiel, und die könnte dieser Kelim für uns Spieler großzügig bieten!«

»Ein entlaufener Sklave hingegen«, pflichtete ihm der Templer bei, »lässt sich nicht einmal als vierter Mann einsetzen und wird uns höchstens das knappe Wasser wegsaufen!«

Madulain schüttelte nur verneinend ihr kühnes Haupt, und Ali starrte den angeblichen Thronprätendenten zwar mit einer merkwürdigen Mischung von Misstrauen und Gier an, doch ebenfalls bar allen Mitgefühls.

Unser Emir, primus inter pares, überflog rasch das klare Abstimmungsergebnis. »Meine Gefährten«, ließ er den enttäuschten Dicken wissen, »haben sich für den Kelim entschieden - «

»Den wir endlich zu Gesicht bekommen sollten!«, hakte der Zimmermann begehrlich nach. »Ihr könntet ihn jetzt vor uns ausbreiten.«

Der Dicke ließ das menschliche Bündel entfernen und gab den Befehl, den Teppich auszurollen. »Wahrhaftig, ein prächtiges Stück orientalischer Webkunst!«, rief Joshua begeistert aus. Was mich störte, ja abschreckte, waren die unverkennbaren Flecken auf dem Teppich, die nur von vergossenem Blut herrühren konnten.

Aufgeteilt war dieser Kelim in eine Unzahl von rechteckigen Feldern, die bedeckt waren mit geheimnisvollen Symbolen und Fabelwesen der Mythologie. Ich kam nicht dazu, mich näher mit ihrer versteck-198

ten Bedeutung zu befassen, die mein Interesse wachgerufen, denn wie kleine Kinder hüpften sogleich Joshua und David auf die in glühend leuchtenden Farben verwobene Ornamentik, um in der Mitte der Fläche ihren Beutel mit den Stäbchen des Wesen-Spiels auszuleeren. Es war meine kluge Prinzessin der Saratz, die ob des gewiss überwältigenden Anblicks keineswegs die Übersicht verlor und den Dicken, der seinen Leuten schon den Befehl zum Aufbruch geben wollte, unverblümt anging.

»Wie stellt Ihr Euch denn vor, dass wir diesen Riesenteppich mit uns schleppen sollen, wenn Ihr uns nicht die Kamele und Treiber überlasst, die ihn bisher transportierten!?«

Der beleibte Anführer erlaubte sich ein freches Grinsen. »Ich sah Euch schon mit Euren zarten Schultern unter seiner Last zusammenbrechen - «

Madulain musterte ihn kühl. »Ist das die Art, wie man mit Freunden verfährt, mit denen man gemeinsam getrunken?«

Dem Dicken imponierte ihre mutige Sprache, irgendetwas bewog ihn, sich mit dieser Frau nicht anzulegen.

Verschmitzt kniff er die Augen zusammen. »Ich werde Euch die notwendigen Tiere und ihre Leute überlassen, für drei Tage, die man braucht, um Damaskus zu erreichen. Dort vor den Toren werdet Ihr sie mir

zurückerstatten - «

»Ah!«, mischte sich der junge Ali ein. »Ihr wollt den Sohn des Sultans -?«

»Spricht dieser elende Hurensohn die Wahrheit«, fuhr ihm ungehalten der Dicke ins Wort, »dann wird der edle Prinz uns von seinem Vater in Gold aufgewogen. Ist er ein dreister Lügner, bleiben immer noch Prügel und dann der Sklavenmarkt!« Er bedachte seine Kapitalanlage mit einem auffordernden Fußtritt. »Damaskus zahlt auch für Lumpen die besten Preise!« Der Dicke, selber sicher kein Targi, beorderte die finsteren Treiber, sich zu uns zu gesellen, die Anweisungen, die er ihnen in ihrer Mundart erteilte, verstand ich zwar nicht, aber sie nickten einverständig. Ihre Mienen flößten mir wenig Vertrauen ein, so beschloss ich, auf der Hut zu sein. Die Tuareg, von ihrer schweren Last befreit, ritten hurtig von dannen. Die Gefährten riefen mich und Madulain ungeduldig zum

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Wesen-Spiel. Zu meinem Erstaunen drängte sich Ali auf den Kelim und verlangte, mitspielen zu dürfen. Da Madulain keine Anstalten machte, ihren Platz zu räumen, sondern sich im Schneidersitz bei der bereits errichteten Pyramide niederließ, verzichtete ich großmütig auf mein Recht als Stammspieler. Mir lag heute mehr daran, die anderen zu beobachten und dabei den Kelim zu studieren, der in meinem Kopf eine seltsame Verbindung mit Spiel und Spielern einging, die sich mir noch nicht erschlossen hatte. Wie Ali, der ja das Wesen-Spiel höchstens vom Zuschauen her kannte, obgleich er mir als Kiebitz nie aufgefallen war, sich nun bewähren würde, machte mich ebenfalls neugierig. Wenngleich ich keine Sympathien für den auf mich verschlagen und hinterhältig wirkenden Sultanssohn empfand, verblüffte mich seine rasche Auffassungsgabe. Weniger erstaunte mich die Art und Weise, mit der er sein Spiel anging. Die Fabelwesen ließ er außer Acht, doch auf alle Drachen stürzte er sich, den »Fliegenden« hatte er schon mindestens dreimal aufgenommen. Dazu passte - das musste ich zugeben - natürlich der unstete Merkur, der Verräter genauso wie der Mars als gemeiner Meuchler und der Fall des herrscherlichen Jupiters in die Niederungen der Sklaverei. Dass er - in völliger Selbstüberschätzung - sich auch noch das pneumatische Zeichen für Irrsinn zulegte und im Meer des Gemüts nach der Schwermut fischte, zeigte mir ganz deutlich, wessen Geistes Kind er war, ein Kranker an der Seele! Wie weit dieser Prozess der Zersetzung schon fortgeschritten war, zeigte Ali seinen Mitspielern nur kurz darauf. Ihm fiel der zum Cardinal erhobene, spirituelle Sohn des Hohepriesters und des Hermaphroditen in die Hand, eine Drachengeburt also, und er sprang auf und schrie hysterisch:

»Sieg! Sieg! Ich bin der Größte!« Er schaute triumphierend um sich, auf seine verlegen ihre Nasen in ihr Spiel versenkenden Mitspieler herab. Nur Madulain hielt seinem flackernden Blick stand, sie lachte ihm hell ins Gesicht. »Keiner soll wagen, an meiner Überlegenheit zu zweifeln!«, schrie er wieder.

Das taten diese Frechen nun doch. Joshua der Zimmermann machte sich zum Sprecher der peinlich Berührten.

»Euer Spiel, junger Herr«, sagte er streng nach kurzem Augenschein, »geht

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nicht auf! Und außerdem ist es aufgrund seiner wirren Komposition nichts wert!«

Ali starrte ihn fassungslos an, dann trat er in die restliche Pyramide, dass die Stäbchen flogen. »Mit Betrügern und Falschspielern geb' ich mich nicht ab!«, fauchte er hasserfüllt und raste quer über den Kelim in die anbrechende Dunkelheit.

Für mich war ganz offensichtlich, dass Ali diesen Streit vom Zaum gebrochen hatte, um als >Beleidigter< das Feld zu verlassen. Nur, zu welchem Behufe? Mir fiel allerdings auch auf, dass sich die meist heitere und geistvolle Atmosphäre völlig gewandelt hatte, seitdem das Spiel auf dem Kelim ausgetragen wurde. Die Spieler reagierten gereizt, neigten zu Boshaftigkeiten und Intoleranz. Oder bildete ich mir das alles nur ein? Jedenfalls verspürte ich keine Lust, kehrte den Gekränkten heraus, als mich die Gefährten jetzt aufforderten, den frei gewordenen vierten Platz zu besetzen. Da ich mich also verweigerte und auch die Dämmerung schon einsetzte, zerstörten die übrigen Spieler verärgert die schon errichtete Pyramide, stopften die Stäbchen in den Beutel und verließen den Kelim, ohne noch ein weiteres Wort an mich Spielverderber zu richten. Man begab sich missgelaunt zur Nachtruhe. Ich behielt den Teppich im Auge samt den uns überlassenen Kameltreibern, die ihn am morgigen Tag Richtung Damaskus befördern sollten. Mir war der Argwohn gekommen, ihr Anführer könnte ihnen befohlen haben, bei Nacht den uns verkauften Kelim wieder zu entwenden. Ich verwarf zwar solches Misstrauen bald mangels handgreiflicher Verdachtsmomente -die Leute hatten sich bei ihren Tieren schlafen gelegt -, starrte aber dennoch gebannt auf das Objekt unserer Begierde, für das wir einen armen Menschen geopfert hatten. Ich versuchte zu beten. Plötzlich durchfuhr mich die Angst, jemand könnte mir die Blätter meiner Chronik entwendet haben. Ich griff nach meiner Pilgertasche - aber die beschriebenen Pergamentseiten waren vollständig!

Über dem leeren Kelim erhoben sich, sie stiegen aus ihm auf, seltsame, körperlose Wesen, wie Rauchschleier von kleinen, unsichtbaren Öllämpchen, sie drehten und tanzten über seine sich endlos dehnende Fläche, die Geister lullten mich in den Schlummer.

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Als ich am nächsten Morgen unsanft von Josh geweckt wurde, lag zwar der Kelim noch so da wie am Abend zuvor, aber die Treiber mit den Lastkamelen waren verschwunden. Mich überraschte das keineswegs, auch nicht, dass Ali fehlte -

Der Rote Falke war wütend auf sein Weib, das sich um den Abtrünnigen sorgte, anstatt eine Lösung parat zu haben, wie wir den schweren Teppich bewegen könnten. Von mir aus konnten wir ihn auch liegen lassen, allerdings wäre es schade gewesen um das prachtvolle, ziemlich einzigartige Exemplar! Hingegen bestanden der Templer und der Kabbaiist - gestern Abend noch heftig zerstritten - darauf, bei dem Kelim auszuharren, bis eine

- von Gott - oder wem? - gesandte Lösung in Sicht, verhieß doch der unfreiwillige Aufenthalt mitten in der Wüste noch etliche Runden anregenden Wesen-Spiels.

Ich glaube, ich war der Einzige, der noch einen Gedanken an den eigentlichen Grund unseres Aufbruchs aus Jerusalem verschwendete, an die so feierlich beschworene Suche nach Roc und Yeza, unserem Königlichen Paar.

EIN BLICK DURCH DIE RITZEN der geschlossenen hölzernen Fensterläden bestätigte die

Befürchtungen, die den Knaben Baitschu - mehr als die Erwachsenen - während der Nacht geplagt hatten: Der Palast der Zenobe wurde belagert, von allen Seiten war er von wild entschlossenen Beduinen umstellt. Noch wagten sie keinen Sturm auf das Anwesen, aber Mutige rückten in kühnen Sprüngen immer näher. Sie kauerten hinter den Bäumen und Sträuchern, als fürchteten sie, gesehen zu werden. Vereinzelt erschollen jedoch wütend ausgestoßen die ersten Rufe.

»Unsere Königin!«, schrien sie. »Gebt unsere Königin frei!« Im Patio drängten sich nicht nur die Pferde der Eingeschlossenen, an den Wänden hockte auch stumm und verängstigt das Gesinde. In der Mitte des Innenhofs standen sich Yves und Yeza gegenüber, abseits von ihnen mit versteinertem Gesicht Rhaban, neben sich Baitschu, der mit großen Augen das Geschehen ver-202

folgte. Der Fechtmeister kochte innerlich, in seinem Kopf kreiste nur der eine Gedanke, Yeza aus dieser Zwangslage zu befreien. Die ersten Beduinen mussten sich bis zum Portal vorgearbeitet haben, Schläge hallten bis in den Patio und zerrten an den Nerven der dort Versammelten.

»Klopf!«, tönte da die Stimme Jalals, der bislang wie unbeteiligt zwischen den Dienern gesessen hatte. »Poch! -

und Er wird Dir öffnen die Tür.«

Yeza musste lachen, doch sie war die Einzige.

»Verschwinde!«, rezitierte der Sufi. »Und Er bringt Dich zum hellen Scheinen wie die Sonne.«

»Sagt ihm, er soll uns verschonen!«, wandte sich Yves an Yeza, die das Absurde der Situation genoss. »Oder ich bringe ihn zum Schweigen!« Der Bretone stand zum Kampfbereit wie ein Erzengel in voller Rüstung vor Yeza, nur, dass er das Visier seines Helmes noch nicht heruntergeklappt hatte, aber dafür stützte er sich auf das Heft seines breiten Zweihandschwertes.

»Schickt ihn lieber hinaus, damit er freien Abzug für Euch erwirkt, Bretone!«, entgegnete sie schnippisch, erreichte aber, dass der Derwisch abwehrend die Hände hob und von nun an schwieg.

Der Blick des Angesprochenen verfinsterte sich. »Yeza, Ihr habt immer noch nicht begriffen, dass ich das ausführe, was ich angekündigt habe«, er sah sie fest an, »also werdet Ihr Palmyra mit mir verlassen!«

Wieder dröhnten Schläge gegen die Pforte des Hauses.

»Welchen Zwang wollt Ihr ausüben, Bretone, damit ich Euch folge?« Auch sie blickte ihm furchtlos in die Augen. »Den der Schärfe Eures Richtschwertes? «

»Dessen bedarf es nicht!«, erwiderte Yves, ohne auf ihren Ton einzugehen. »Die Kraft der Hände, die es halten, reicht, um Eure Widerspenstigkeit zu bezwingen!«

Da platzte dem alten Rhaban der Kragen. »Ich ertrag das nicht länger!«, schrie er mit hochrotem Kopf. »Lasst die Königin gehen oder ich -«, er riss den neben ihm stehenden Baitschu an sich und presste ihm seinen Scimtar an den Hals. »Ihr geht jetzt hinaus«, rief er Yeza zu, »und Herr Yves soll Euch folgen!« Der rühr-203

te sich nicht, doch seine Hände umkrampften den Schwertknauf. »Lasst die Waffe fallen!«, fauchte ihn Rhaban an, »wenn Ihr nicht schuld - «

Sein Scimtar zuckte am Hals des verängstigten Knaben, dann fiel er ihm polternd aus der Hand. Mit einer blitzschnellen Bewegung hatte Yeza ihren Wurfdolch geschleudert - genau zwischen Elle und Speiche seines Schwertarms. Rhaban ließ Baitschu fahren und brach in die Knie, hart auf die Fliesen des Patio. In die Erstarrung hinein donnerten jetzt Stöße gegen das Tor, aber auch die Stimme des Derwischs erhob sich wieder.

»Lass Dich fallen«, flüsterte er, »und Er wird Dich emporheben in den Himmel!«

Baitschu starrte seine Retterin entgeistert an, leuchtenden Auges, den Tränen nah. Der Bretone tat einen Schritt auf Rhaban zu, der ergeben sein Haupt senkte. Doch nicht der Blitz des Richtschwerts fuhr ihm in den Nacken, nur die Klinge wurde ihm mit einem Ruck aus dem Unterarm gezogen.

»Gehen wir!«, sagte Yeza trocken, als Yves ihr wortlos den abgewischten Dolch zurückerstattete. »Ihr nehmt mich als Geisel«, forderte sie den Bretonen auf. »Baitschu soll uns mit den Pferden folgen - «

»Und was führt Ihr wirklich im Schilde?«, fragte Yves zwischen verhohlener Bewunderung und offenem Misstrauen.

»Das werdet Ihr sehen, Bretone.« Yeza war wieder die Königin. Sie trat zum Tor und hieß die Knechte, es zu öffnen. Die Beduinenmeute davor wich erschrocken zurück. »Gebt den Weg frei«, forderte sie von denen, die zuvorderst standen, »und tastet niemanden an, der mir folgt - im Guten wie im Bösen!«

Das galt für Yves den Bretonen, der mit gezücktem Schwert hinter ihr stand. Enttäuscht wandten sich die Beduinen ab und verließen mit gesenkten Häuptern den Platz vor dem Palast der Zenobe.

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SCHON NACH WENIGEN STUNDEN, bereits in der benachbarten Oase, hatten die Kameltreiber der

Räuberbande sich wieder mit dem Dicken, ihrem Anführer, vereint, der schon auf sie wartete, um sogleich aufbrechen zu können. Er war keineswegs erfreut, dass sie ihm Ali mitbrachten. Doch der kam gleich zur Sache.

»Ich bin gekommen«, erklärte er dem Dicken kühl, »um Euch den Sklaven abzukaufen.«

Der beleibte Anführer witterte sofort das Geschäft, auch wenn er sich mühte, genauso gleichmütig aufzutreten wie sein Gast. Seine wippenden Bartspitzen verrieten seine Gier.

»Ihr seid also zu der Überzeugung gelangt, dass es sich um den Sohn des Sultans von Damaskus handelt?«

»Seid Ihr das nicht?!«, hielt Ali ihm entgegen, lenkte aber überlegen feixend ein. »Fragt ihn nach dem Namen der Favoritin seines Vaters An-Nasir!«

Der Dicke schaute etwas verwundert, schickte aber seinen Leibwächter, einen baumlangen Nubier mit einem besonders breitklingigen Krummsäbel, los. Die scharfe Waffe steckte in der Schärpe vor seiner nackten Brust.

Ali schaute dem riesigen Neger versonnen nach. Die hämische Lache des Dicken riss ihn aus seinen Gedanken.

»Von dem könnte ich Euch in handliche Stücke hacken lassen«, schlug er seinem Besucher spielerisch vor, um dann gleich in den Tonfall eines Händlers auf dem Bazar umzuspringen. »Was wolltet Ihr mir denn zahlen? «, fragte er lauernd.

Der riesige Leibwächter kam zurück und flüsterte seinem Herrn nur ein Wort ins Ohr. Der Dicke grinste. »Nennt mir die Summe und den Namen der Frau«, verlangte er mit freundlichem Lächeln. »Wenn beides stimmt, dann sind wir im Geschäft!«, er sah prüfend dem Käufer ins Gesicht, doch Ali verzog keine Miene. »Wenn nicht, habt Ihr verloren, Geld und Leben!«

Ali hielt dem Blick stand. »Clarion«, sagte er gelassen, was der Dicke gegen seinen Willen mit einem Nicken bestätigte, »doch die dreißig Goldstücke, die ich Euch zahlen werde, trage ich nicht bei mir«, jetzt hielt Ali das Heft in der Hand, »wenn Ihr also zum

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Abschluss gelangen wollt, dann gebt mir jemanden mit, am besten Euren schwarzen Muskelprotz, dem ich die Summe aushändigen kann.«

Der Wohlbeleibte dachte nach, wo denn wohl der Haken an dem vorgeschlagenen Handel versteckt sein könnte.

Er ließ sich nicht gern übertölpeln. »Mit dem Gefangenen?!«, versuchte er schnell noch eine Barriere zu seinem Schutz zu errichten.

»Mir genügt der Kopf!« Ali sah ihn kalt an. »Es geht mir nur um die hamsa, das Amulett, das der Kerl um den Hals trägt - «

DER STEINHAGEL PRASSELTE gegen das Gemäuer des allein stehenden Turmes. Es war der gleiche, den

Yeza schon des Öfteren gewählt hatte, wenn sie in der Stille mit sich ins Reine zu kommen suchte und wo sie auch mit Yves zum ersten Mal in Palmyra zusammengestoßen war. Yeza liebte den Ort. Die Ruhe der Toten in ihren marmornen Sarkophagen übertrug sich auf sie. Sie ließen sich auch jetzt nicht stören, sondern schützten die kleine Gruppe, die sich hierher geflüchtet hatte. Vielleicht fiel der Verdienst auch dem Bretonen zu, der breitbeinig in der Türöffnung stand, die verwitterten Bohlen als Schild nutzend, und mit seinem Schwert jeden empfing, der leichtsinnig oder todesmutig die schmale Treppe hinaufstürmte. Die Stufen waren bedeckt mit Körpern derer, die sich dennoch nicht davon abhalten ließen, den unerbittlichen Wächter zu überwinden. Yeza und Jalal al-Sufi, der sich ihnen unaufgefordert angeschlossen hatte, kauerten im Halbdunkel der schlotartigen Grabkammer und lauschten dem Geräusch der Steine, die an dieser Schutzwehr des Bretonen abprallten wie Hagelkörner, den Schreien der aufgebrachten Angreifer, die sich gegenseitig anfeuerten und vergeblich gegen den Mann anbrandeten, den sie erschlagen mussten, wollten sie ihre geliebte Königin behalten.

Baitschu, der findige Knabe, war im Innern den Schacht zwischen den Grabkammern hinaufgeklettert, um durch die schmalen Lüftungsschlitze oben in der Mauer hinauszuspähen. Er sah als Erster, bevor noch die Eingeschlossenen ein Nachlassen der Atta-206

cken wahrnahmen, dass die Hauptmacht der Beduinen sich beim Tempel der Alilat zusammenrottete, dort, wo die Derwische hausten. Doch es blieben immer noch genug, um den einsamen Turm mit einem dichten Ring von Kämpfern zu umgeben, die jetzt zwar nicht mehr blindlings in das Schwert des Bretonen rannten, ihm dafür nun mit gezielteren Steinwürfen, vereinzelt auch Pfeilschüssen zusetzten. Yves zog sich so weit im Türrahmen zurück, dass er nur noch die Stufen vor sich im Blickfeld behielt. Baitschu vermeldete aufgeregt, er sähe Mongolen, mehrere Hundertschaften rückten von Osten kommend auf das Herz von Palmyra zu ...

General Sundchak befand sich auf dem Rückmarsch von der erfolgreich abgeschlossenen Strafexpedition. Er führte den gefangenen Emir von Mayyafaraqin mit sich, damit der Il-Khan den Aufrührer, der es gewagt hatte, die Abgesandten der Mongolen anzutasten, grausam zu Tode bringen konnte. El-Kamil wurde in einem engen Käfig transportiert, damit jeder im Lande sehen sollte, wie es einem erging, der sich gegen das Gesetz der Sieger empörte. Das leidige Problem mit dem Königlichen Paar hatte sich dem General nicht gestellt, seine Leute hatten weder Yeza noch Roc in der erstürmten Feste Mard' Hazab aufgegriffen, also konnte man ruhigen Gewissens alle abschlachten, die sich auf der Burg befanden, Männer, Frauen, Kinder. Er hatte dieses Mard' Hazab dem Felsboden gleichgemacht, auf dem es stand. Sundchak war zutiefst befriedigt und wollte nun nichts wie zurück zum Heerlager des Hulagu, um sich von dem Il-Khan belobigen zu lassen. Schon gar nicht war er gewillt, sich mit diesen aufgebrachten Beduinen und den sie aufhetzenden Derwischen auseinander zu setzen, auch nicht, als Khazar, der die Nachhut befehligte, jetzt aus den Derwischen herausquetschte, dass sie Yves den Bretonen als Geisel gefangen hielten, damit er ihnen ihre Königin nicht entführte. Und diese sei Königin Yeza, die lang gesuchte Prinzessin Yeza!! Das geschah dem Bretonen grad' recht, hämte der General unbeeindruckt, was mischte er sich ein in dieses vertrackte Getue um das Königliche Paar, das aus Sundchaks Sicht die klare Linie der Weltherrschaft der Mongolen nur belastete! Nichts als ein törichtes Zugeständnis an diesen un-207

ordentlichen Westen, Länder der untergehenden Sonne, wie das Reich des unbotmäßigen Königs der Franken, in dessen Namen dieser Herr Yves auftrat. Und die Prinzessin Yeza? Alle guten und bösen Dämonen mögen ihn, Sundchak, davor bewahren, dass er es mit der aufsässigen Person noch jemals zu tun bekäme! Barsch fertigte er Khazar ab, auch als der darauf hinwies, dass Baitschu, der Sohn des Kitbogha, sich ebenfalls in Gefahr befände.

Das sei nicht ihm, sondern dem Bretonen anzulasten und kein Grund, sich hier, in diesem staubigen Nest inmitten der Wüste und voller Skorpione, noch länger aufzuhalten.

Nun stand der Käfig mit dem El-Kamil schon längere Zeit mitten zwischen seinen Bewachern und den ihn neugierig begaffenden Beduinen. Der Emir, der genau wusste, was ihm blühte, wenn er lebend im Lager der Mongolen eintreffen würde, sah in den erregten Beduinen von Palmyra seine letzte Chance. Dass er sich ihnen zu erkennen gab, hätte allein nicht viel bewegt, aber er hatte die Geschichte von Yeza und Yves mitbekommen und tat nun lauthals kund, die Mongolen steckten mit dem Bretonen unter einer Decke und seien nur gekommen, um nun mit Gewalt sich der Königin zu bemächtigen. Die Todesangst verlieh El-Kamil die Zunge Sheitans, er hielt sich an die Derwische, denen die plötzliche Anwesenheit der fremden Teufel so wenig geheuer war, wie sie den Stolz der Beduinen kränkte. Es ging um >ihre< Königin, niemand sollte sie ihnen rauben! Sundchak war der Letzte, der mit dem schnell schwellenden Aufruhr beschwichtigend umgehen konnte, die Beherrschung der Lage glitt ihm aus den Händen, als die Beduinen versuchten, den Emir aus seinem Käfig zu befreien, und die ersten Steine flogen. Der General gab den Befehl zum Angriff ...

Im Turm der Gebeine herrschte mitnichten eine gedrückte Stimmung, aber die Spannung hielt unverändert an.

Baitschu berichtete von seinem Ausguck, dass die mongolischen Reiter die Beduinen vor sich hertrieben, zusammenschössen und abstachen. Genaueres konnte er aus der Entfernung nicht ausmachen, auch nicht, wel-208

ches Schicksal den Derwischen blühte, nach denen Yeza immer wieder besorgt fragte.

»Wer nicht sein Heil in der Flucht sucht, hat nicht die geringste Aussicht, seinen Kopf zu retten«, stellte Yves lakonisch fest, »aber sie werden nicht fliehen.«

»Sie lieben das Leben!«, wagte Yeza einzuwenden. »Sie leben, um eins zu sein mit dem großen, einzigen Geliebten!«

»Die meisten Lebenden gehen strampelnd und kreischend ihrem Tod entgegen, doch nicht so die Seele, die um den Geliebten weiß«, traute sich jetzt der Derwisch wieder einige Verszeilen nachzuschieben, die er für passend hielt. »Der Tod ist für sie weder grausam noch schmerzlich, er ist nichts als ein Schritt näher zu ihm, dem Großen, dem Einzigen.« Jalal warf einen Blick zu Yves, doch der ließ ihn fortfahren. »Wer vor dem Tod davonläuft, der muss wieder und wieder sterben! Erst das nenne ich wahrhaft grausam und schmerzlich!«

»Das klingt zwar eher nach Hinrichtung, wenn einer vom Scharfrichter zum Schafott gezerrt wird«, sagte Yeza leichthin, »doch bin ich es gewohnt, dem Tod ins Auge zu schauen. Seit Anbeginn«, fügte sie sinnend hinzu,

»bestand das Leben des Königlichen Paares aus nichts anderem!«

Yves hatte die massige Tür so weit zugezogen, dass nur noch ein Spalt offen stand. Aber es versuchte keiner mehr, bis zum Turm vorzudringen. Baitschu bestätigte, dass ihre Belagerer sich ausnahmslos - unter Hinterlassung der Toten, die den Treppenaufgang säumten - zurückgezogen hätten. Die meisten wären ihren angegriffenen Stammesbrüdern zu Hilfe geeilt - einige aber auch geflohen.

»Die mongolischen Reiter beherrschen das Feld!«, vermeldete der Knabe von oben mit Stolz.

Eigentlich könnten sie jetzt den Turm verlassen, sich ihre Pferde holen, die hoffentlich noch im Innenhof des Palastes der Zenobe stünden, und davonreiten, schlug Yeza vor.

Yves runzelte die Stirn. »Wie lange wart Ihr nicht mehr bei den Mongolen, Isabel Esclarmunde du Mont y Sion?«, stellte er Yeza die Frage und beantwortete sie gleich selbst. »Das Königliche Paar hat inzwischen mehr Feinde im eigenen Lager als noch Anhänger«,

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erklärte er ihr mit besorgtem Ernst. »Sundchak gehört auf keinen Fall zu Euren Freunden.« Der Bretone senkte seine Stimme zum Flüstern, Baitschu musste es nicht hören. »Wenn wir hier entdeckt werden, dann lässt er Euch kaltblütig töten - und mich gleich dazu.« Es wurde sehr still in dem engen Turm.

»Vielleicht täte er Recht daran«, sagte Yeza leise. »Ich bringe den Menschen nur Unglück - «

Jalal verwehrte ihr mit Vehemenz den Gedanken. »Keiner besitzt die Macht, die göttliche Bestimmung zu beeinflussen - kulu sheien min iradatu allah\« Der Derwisch wirkte plötzlich sehr gelöst. »Nicht einmal ich, der ich Euch nach Palmyra brachte, bin schuldig am Schicksal seiner Bewohner noch die Mongolen, die es hierher verschlug - alles ist Allahs Wille!«

In das Schweigen rief Baitschu: »Sie schwärmen aus, unsere Reiter bewegen sich auf uns zu!« Seine Stimme überschlug sich vor Begeisterung für die siegreichen Hundertschaften.

»Schrei nicht so laut!«, raunzte Yves den eifrigen Beobachter an, der daraufhin erschrocken verstummte. »Sie kommen näher!«, flüsterte er aufgeregt.

Yeza wünschte, sie könnte den unbedachten Knaben von da oben an den Füßen herunterzerren oder ihm wenigstens die Hand auf das Plappermaul pressen, denn Baitschu begann jetzt, zwischen den obersten Sarkophagen herumzuhüpfen. »Es ist Khazar!«, rief er jubelnd. »Khazar führt die Reiter an!« Erst jetzt merkte er, dass keiner seine Freude teilte.

Yves, der sich im Schatten hielt, äugte angespannt durch den offenen Türspalt. Ohne sich nach ihr umzudrehen und ohne Widerspruch zu dulden, richtete er das Wort an Yeza. »Ich werde allein hinausgehen«, befahl er heiser.

»Ihr rührt Euch nicht, bis ich Euch hole!« Er schob die Bohlentür beiseite und trat mit gezücktem Schwert aus dem Turm. Es war Khazar, der ihm entgegenschritt.

»Noch jeden Gefangenen habe ich befreit!«, deklamierte leise der Derwisch, seine Erleichterung war spürbar in der hohen Gruft. »Die Zähne des Drachen, ich zwang sie auseinander!« Jalal lächelte Yeza aufmunternd zu.

»Selbst den dornigen Pfad der Liebe, ich bestreute ihn mit Rosen!«

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ALI, DER SOHN DES LETZTEN, gestürzten und ermordeten Ayubitensultans von Kairo, ließ den schwarzen Leibwächter des dicken Oberhaupts der Räuber vor sich herreiten. Das Amulett, das er jetzt um den Hals trug, brannte ihm auf der Brust, als würde die silberne, fein ziselierte Hand aus glühendem Eisen sein. Der dicke Anführer der Tuareg hatte ihm das Lederband mit der hamsa eigenhändig, fast väterlich umgehängt.

»Zahlt Ihr nicht«, hatte er dabei gemurmelt, während seine fleischigen Hände noch seinen Hals tätschelten,

»wird dieses Leder - «, und er drehte das Band zusammen, bis es Ali zu würgen begann, »Euch zu eng werden!«

Dann hatte er ihn losgelassen.

Ali fuhr sich jetzt noch an den Hals, als würde ihm die Luft abgeschnürt. Er durfte sich nicht gehen lassen.

Als er genügend Abstand zwischen sich und die Oase gebracht hatte, wo die Tuareg auf die Rückkehr des riesigen Nubiers warteten, hieß Ali ihn halten und absteigen. Der Schwarze hielt den Sack mit dem abgeschnittenen Kopf unschlüssig in der einen Hand. Es tropfte dunkel in den Sand. In der anderen hielt er seinen mächtigen Scimtar umkrampft. Ali ließ ihn zehn Schritt nach vorne tun, dann sieben zur Seite, drei zurück und noch zwei zur anderen. Der Riese stapfte zunehmend verwirrt durch die Dünen. Dann befahl Ali ihm zu graben, mehr rechts, nein, höher, weiter links. Der Herumgescheuchte stieß brummend seinen Scimtar in den Sand und begann mit bloßen Händen ein Loch zu graben. Er wühlte sich tiefer und tiefer, seine Pranken waren wie Schaufeln - aber Gold kam keines zum Vorschein. Der Riese fühlte sich zum Narren gehalten. Ärgerlich schnaufend schickte er einen fragenden Blick hinauf zu Ali, der immer noch - und im sicheren Abstand - auf seinem Kamel hockte.

»Nun werft den Sack hinein und schaufelt das Loch wieder zu!«, lautete der Befehl, der Schwarze war über diese Frechheit empört.

»Und das Gold?!«, bellte er, seinen Argwohn bestätigt sehend. Er schätzte bereits ab, ob er mit einem gewaltigen Satz den Unverschämten von seinem Tier reißen könnte - da flogen die ersten

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Goldmünzen neben ihm in den Sand, er musste aufpassen, wo sie landeten, er klaubte rechts, er klaubte links. Ali hatte seinen Leibgurt, verborgen unter dem weiten burnus, gezogen und warf ihm die abgezählten Goldstücke zu wie Almosen, nur immer mehr und immer schneller, sie fielen in das Loch, wurden von herabrieselndem Sand verschüttet, rutschten unter den blutigen Sack - als der Riese fast verzweifelt und blind vor Wut über die ihm angetane Schmach nach seinem Peiniger schaute, um sich auf ihn zu stürzen, ihn mit bloßen Händen zu erwürgen, da waren Kamel und Reiter schon unerreichbar weit von ihm entfernt - und er hatte noch längst nicht alle dreißig Münzen beieinander, auf denen sein Herr bestehen würde. Und so verschwand Ali aus seinem Blickfeld -

Aus der Chronik des William von Koebr uk

Gekettet an ein Brunnenloch in der Wüste - als Oase konnte man die drei mageren Dattelpalmen beim besten Willen nicht bezeichnen -, hockten wir nun auf diesem Kelim und vertrieben uns die Zeit mit dem Wesen-Spiel.

Wenn ich bedenke, mit welch ungestümem Tatendrang wir uns in Jerusalem aufgemacht hatten, einzig das Forschen nach dem Königlichen Paar Rog und Yeza hatten wir uns auf die unsichtbare Fahne geschrieben, und jetzt hingen wir, samt unseren noblen Vorsätzen, schlaff auf diesem Ungetüm von Teppich herum, den wir uns von den Tuareg hatten andrehen lassen. Wohl oder übel, denn eine Wahl hatten uns diese räuberischen Berber nicht gelassen, aber nun einmal in seinem Besitz, zwang uns auch keiner, dass wir uns wie Sklaven dieses zugegebenermaßen sehr prächtigen Kelims verhielten. Wir hätten die uns abgepresste Kaufsumme einfach als recht günstigen Preis für unser Leben ansehen, den Teppich der Wüste oder zukünftigen Besuchern der Oase überlassen können und wären frei von allem Ballast weitergeritten. Es war wie verhext! Zumindest Joshua, unser Kabbaiist, und David der Templer waren ihrer Spielleidenschaft wie im Rausch verfallen, seitdem der Kelim ihnen als Unterlage diente. Sie hätten jedem

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mit Mord gedroht, der es wagen sollte, ihnen den Teppich unter den Ärschen wegzuziehen oder sie von ihrer Spielwiese zu vertreiben! Aber auch der Rote Falke nahm eher hin, dass sie ihm sein Weib abspenstig machten -

die Prinzessin der Saratz zählte längst zum festen Stamm der unentbehrlichen Mitspieler -, als dass er ein Machtwort gesprochen hätte. Ihm lag nichts an diesem Kelim, und doch wirkte der Emir wie gelähmt, als hätte schleichendes Gift sein edles Blut befallen, seitdem wir Eigentümer des Teppichs geworden waren - oder umgekehrt: Der Kelim beherrschte uns wie ein böser djinnl Und da zum Wesen-Spiel vier Leute benötigt wurden und Ali seit der letzten Nacht verschwunden, riefen mich die bereits um die Stäbchenpyramide Versammelten mit unflätigen Beschimpfungen herbei, weil sie endlich beginnen wollten. David der Templer hatte schon mit dem Austeilen begonnen. Nach Durchsicht meiner zwölf Stäbchen sah ich für mich die Möglichkeit, die

»Elementaren Prinzipien« mit den »Wesentlichen Neigungen« zu kombinieren. Mir lag - nach den Turbulenzen der letzten Zeit und auch angesichts der zunehmenden Gereiztheit meiner Partner - an einem Spiel der Harmonie! Da Madulain, die ihren Ärger über Ali noch nicht geschluckt hatte, und Joshua, der sich über die Anwürfe des Burschen doch mehr erregt hatte, als er zeigen wollte, sich gegenseitig in den trügerischen Untiefen des Wassers und des Mondes bekriegten, konnte ich mein friedvolles Anliegen nahezu unbehelligt vorantreiben.

Auch David kam mir nicht ins Gehege. Mein einarmiger Freund schien sich diesmal zwischen Aer, der Luft, und dem vielgesichtigen Hermes der Spiritualität verschrieben zu haben. Ich beobachtete seine Strategie aufmerksam, war er doch der Einzige, mit dem ich mich bei den von mir begehrten Fabelwesen würde auseinander setzen müssen. Noch schien der Templer zu schwanken zwischen Okkultismus und Inspiration, zwischen dem Gift der Schlange und dem Gegengift des Medicus. Diese stete Wechselwirkung würde ihm noch zu schaffen machen, wenn ihm nicht der Lapis ex coelis, das »Höchste Wesen«, wundersam aus dem Gezerre zwischen Feuersalamander und den Krallen des Phönix erretten sollte.

»Wir werden schon wieder gestört!«, rief Josh der Zimmer-

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mann verärgert und warf seine Stäbchen auf den Teppichboden. Ich drehte mich langsam um, schon um Madulain kein diebisches Schielen in mein Spiel zu schenken, worauf die Saratz stets aus war wie eine Elster. Es waren offensichtlich Ritter aus den Kreuzfahrerstaaten der Küste, die sich bis hierhin vorgewagt - oder verirrt hatten. Ich erkannte die Fahnen Antiochs und die des armenischen Königs. Als die Reiter sich sicher waren, dass wir nur wenige waren und auch kein Köder für einen Hinterhalt, kamen sie in gelockerter Form näher. Der Rote Falke hatte sich erhoben, doch es war sein Weib Madulain, die plötzlich mit einem wilden Schrei aufsprang, in ihrem Ungestüm die Pyramide über den Haufen stieß und mit dem Ruf »Roc Trencavel!« den Emir auf den Anführer der Ritter hinwies.

Es war tatsächlich Roc, er musste mich erkannt haben, aber er schaute ostentativ, ja fast verächtlich weg, als er uns auf dem Teppich erblickte. Roc sprang ab und schritt - gemessen an der Begeisterung, die ihm entgegenschlug - eher mit lässiger Selbstverständlichkeit auf den Roten Falken zu. Jeder, die wir hier versammelt waren, kannte den Trencavel gut genug, dass auch er sich an unsere Gesichter erinnern musste, doch Roc ignorierte uns verbliebene Spieler völlig. Madulain wurde mit den üblichen Wangenküssen bedacht, die er auch kühl mit dem Emir austauschte.

Der Rote Falke war doch immerhin - wie in gewisser Weise auch ich - eine der wichtigsten Figuren gewesen, die damals am Montsegur - und seitdem eigentlich ohne Unterlass - den Kindern des Gral zu rettenden Hütern wurden?

Ich verstand Rocs befremdliches Verhalten nicht! Uns, die wir mangels des vierten Mannes das Spiel zwangsläufig unterbrochen hatten, bedachte er lediglich mit einem mürrischen, wenig einladenden Blick, bis wir uns dann erhoben und vor ihn traten, um ihn zu begrüßen. Ich muss sagen, ich fühlte mich unter meinem Rang behandelt. Schließlich verband mich, den Älteren, eine tiefe Freundschaft mit Roc Trencavel, und das seit seinen Kindesbeinen! Er umarmte mich, sagte: »Ach, William« in einem Ton, dass ich das ungesprochene »Schön, dich mal wieder zu sehen« wie einen kalten Guss zu spüren bekam.

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Meinen Gefährten erging es nicht besser - allerdings hatten sie nie dieses innige Verhältnis zu Rog, auf das ich zurückblicken konnte. Die Ritter aus Armenien, es waren fünf an der Zahl, hatten sich freundlich zu uns gesellt, genauer gesagt, drängten sie sich sofort um die einzige Frau in unserer Gesellschaft. Das war Madulain, und wenn auch ihr Mann wenig begeistert dreinschaute, die gebürtige Prinzessin der Saratz übernahm sogleich mit Würde und Herzlichkeit die Rolle der damna und Gastgeberin. Hingegen fiel mir auf, dass der wesentlich größere Haufen der Herren aus Antioch in einem Abstand verharrte, der mir feindselig erschien, als hätte jemand eine unsichtbare Schranke zwischen ihnen und denen errichtet, die ihr Anführer Roc Trencavel gerade begrüßte,

- oder, dass sie nichts mit uns zu tun haben wollten. Erst waren sie forsch auf unser Lager zugeritten, doch plötzlich rissen die Vordersten ihre Pferde herum, kehrten uns den Rücken und scharten sich dicht gedrängt um ihre Fahne. Gut, die Antiocher sind für ihren Hochmut verschrien, mir schien es ein schon fast beleidigendes Verhalten! Doch anscheinend kümmerte das niemanden außer mich! Aller Augen und Ohren waren einzig auf den Trencavel und den Emir gerichtet. Selbst der weithin sichtbare, in seinen dunkelglühenden Farben auch kaum übersehbare Kelim stellte mit keiner Silbe Bestand des Gespräches dar, das sich jetzt zwischen Roc und dem Roten Falken entspann. Der Ton wurde schnell gereizt und aggressiver. Es ging um die Suche nach Yeza.

Für den Emir war es selbstverständlich, dass sie beide - nach diesem glückhaften wie unverhofften Zusammentreffen - ihre Kräfte vereinen würden, um gemeinsam alles zu unternehmen, Roc und Yeza glorreich wieder zum Königlichen Paar zu erheben. Dafür habe man sich auf den Weg gemacht! Das klang nach einem Vorwurf des Roten Falken und sollte es auch wohl sein.

Rog verbat sich prompt diese Einmischung in sein Leben. Was Yeza anbelange, so würde diese ebenfalls - so stehe jedenfalls zu hoffen - in der Lage sein, sich frei zu entscheiden, welches der ihr angemessene Weg sei! -

Ein schnödes Wort zog das nächste nach sich, der Emir rief seine Frau zu sich.

»Wir haben hier nichts mehr verloren«, erklärte er ihr bitter.

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»Mir wäre wohler ums Herz, ich wäre Roc Trencavel auch nie begegnet.«

Madulain versuchte ihn zu versöhnen, sie griff nach Roc, um ihn zu sich und den Roten Falken heranzuziehen, doch der drehte ihr den Rücken zu und schüttelte sie ab. Eine derartige Brüskierung alter Freunde war auch mir zu viel. Als der Emir jetzt, gefolgt von der tief bekümmerten Madulain, auf sein Reittier zuging, raffte ich mich auf und trat tapfer vor den Unleidlichen.

»Ich hoffe, Roc«, sagte ich mit doch wohl belegter Stimme, »dass wir uns nicht das letzte Mal gefunden haben.«

Ich fühlte einen Kloß im Hals. »Wenn es eine weitere Gelegenheit geben sollte, wünsche ich mir eine Stimmung, die der herzlichen Freundschaft entspricht, die ich für dich und Yeza stets empfunden habe und die ich euch halten werde bis ans Ende meiner Tage.«

Mir waren nun doch die Tränen gekommen, und ich fiel schluchzend dem Trencavel um den Hals. Er ließ mich ausheulen, dann löste er sich aus meiner Umarmung und rief mit düsterer Stimme hinter dem Roten Falken her, der ob meines Weinkrampfs stehen geblieben war.

»Einen anderen Empfang hätte auch ich mir vorstellen können, anstatt meine Freunde - oder die sich als solche ausgeben - offensichtlich beim Spiel zu stören!«

Das war zwar an die Adresse von Joshua und David gerichtet -wohl weniger an Madulain -, ich hingegen konnte mir den Schuh anziehen, doch der Emir gab sich unversöhnlich, so sehr sein Weib ihn auch bedrängte, auf Roc zuzugehen. Er schaute Roc nur lange schweigend an, bevor er sich endgültig abwandte.

Das rang dem nun erst recht erregten Trencavel eine weitere Erklärung ab. »Ich will gern mit Yeza wieder vereinigt sein«, wandte er sich an mich, »aber nicht mit der Hilfe von Leuten, die sich dem vertrauten Umgang mit diesem Kelim anheim gegeben haben!«

Ich hätte brennend gern gewusst, was er eigentlich gegen unsere harmlose Spielleidenschaft hatte, auch wenn er es jetzt auf den Kelim schob, der uns als bequeme Unterlage diente, doch ich wollte die Begleitung des Emirs nicht verlieren, der schon sein Reitkamel bestiegen hatte. Ich hatte mich festgelegt und wollte nun auch 216

nicht klein beigeben. Doch wenigstens wünschte ich mich von meinen Gefährten aus Jerusalem zu

verabschieden, ihnen meine Entscheidung zu erklären, auch, wenn sie diese »Fahnenflucht nicht akzeptieren würden. Ich lief also zum Roten Falken, gerade als auch sein Weib bei ihm eintraf.

»Es liegt mir fern, Euch umzustimmen, aber angesichts der schon tief stehenden Sonne«, bettelte ich, »lasst uns den Aufbruch doch bitte auf morgen Früh verschieben?!«

Ich hatte wenig Hoffnung auf sein Einlenken gehegt, aber es war Madulain, die sich für meinen Vorschlag und damit für meine Nöte verwandte. Wir rangen gemeinsam dem Roten Falken ab, dass wir an anderer Stelle der Oase unser Nachtlager aufschlagen würden - getrennt von Rog und seinem Haufen schon durch den Kelim, der seit den Streitigkeiten verlassen auf dem sandigen Boden lag, sprungbereit in seiner leuchtenden Düsternis wie ein vielfarbig gescheckter Tiger - wenn es eine derartige Bestie denn geben sollte! Die goldgelben Strahlen der Abendsonne, die durch das Blattwerk der Büsche drangen, zeichneten immer neue, pausenlos ihre Gestalt verändernde Figuren auf den mich sowieso schon beunruhigenden Teppichgrund. Auch der Haufen aus Antioch lagerte in gebührender Distanz am Rande der Oase, ohne dass bislang auch nur einer der Ritter uns seine Aufwartung gemacht hätte.

KAUM WAR YVES DER BRETONE an der Seite von Khazar davongeritten, machte sich im Turm der Gebeine eine gewisse Erleichterung bemerkbar. Baitschu war zur Tür gesprungen und spähte hinaus. Die meisten aus der Mongolentruppe waren bereits aus seiner Sichtweite entschwunden, sie begleiteten ihren Anführer Khazar und den Bretonen, der ihren Schutz zwar nicht angefordert hatte, ihn aber klugerweise akzeptierte. Ehe Yeza den Knaben zurückhalten konnte, war Baitschu hinausgeschlüpft und lief auf die noch bei ihren Pferden herumstehenden Leute seines Vetters zu, er kannte die meisten, und sie wussten, dass er der Sohn ihres Oberbefehlshabers Kit-217

bogha war. So konnten sie ihm auch schlecht sein Verlangen nach zwei von ihren Pferden abschlagen. Sie mochten den munteren Knaben und nahmen dafür auch den zu erwartenden Anraunzer in Kauf. Also gaben sie ihm, was er wünschte, und Baitschu kehrte stolz mit den beiden Pferden zum Turm zurück. Yeza hatte ihn mit Bangen - und einer gewissen Rührung erwartet. Unrecht hatte der wache Bursche ja nicht: Sie musste die Gelegenheit beim Schöpfe packen und sich aus dem Griff des Bretonen befreien - wenn jetzt nicht, wann dann noch!? So kam sie ihm lächelnd entgegen, was für Baitschu schon die größte Belohnung seiner eigenmächtigen Handlung darstellte, denn er hatte damit gerechnet, die heißverehrte Prinzessin erst noch zur Flucht überreden zu müssen. Dass Yeza jetzt wie selbstverständlich ihn als ihren Begleiter, Beschützer akzeptierte, überwältigte ihn, und er blinzelte verlegen hinüber zu Jalal, der Yeza hinausgefolgt war.

Dem Sufi war sofort klar gewesen, dass dies die Stunde des Abschieds von einem Traum war, dem Traum von der Wiederkehr der großen Königin Zenobe, der Errichtung einer einzigartigen Herrschaft der Geistesliebe und der Poesie, einer Zeit des ungetrübten Glücks für die Derwische von Palmyra! Es war ein Traum geblieben - ihm fiel nicht einmal eine passende Verszeile Rumis ein. Ehe sich noch Yeza nach ihm umwenden konnte, trat der Sufi zurück in das Dunkel des Gemäuers. Er wollte ihr das Scheiden nicht schwer machen, denn er konnte seine Tränen nicht zurückhalten.

So ritt Yeza mit Baitschu an ihrer Seite durch Palmenhaine der Oase davon. Erst als Palmyra schon zwischen den schlanken Stämmen entschwunden war, erkühnte sich der Knabe, seiner Herzensdame die Frage zu stellen:

»Wohin soll ich Euch führen? «

Yeza schenkte ihrem jungen Ritter ein wehmütiges Lächeln. »Das Paradies lassen wir soeben hinter uns -

unwiderruflich, wenn ich das übliche Vorgehen eures Generals Sundchak bedenke«, fügte sie bitter hinzu, schaute aber nicht etwa zurück, wo über den Palmenwipfeln Rauchsäulen aufstiegen. Baitschu hatte bereits mehrfach diesen Blick hinter sich geworfen, schon aus Furcht vor Verfolgern.

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»Ihr wollt also nicht zu den Mongolen zurückkehren?« Er wagte nicht, sie dabei anzuschauen. »... die Euch von Herzen zugetan«, schob er seine versteckte Liebeserklärung nach.

»Doch«, sagte Yeza, sie nahm den Jungen und seine Nöte ernst, »aber zuvörderst will ich mich wieder mit Roc Trencavel vereinen!« Sie wollte nicht mit seinen Gefühlen spielen, »und dazu muss ich mich wohl aufmachen, ihn zu finden - «

Baitschu bewies sich als Mann. »Liebt der Euch?«, brachte er mit trockener Stimme hervor. Yeza musste lachen.

»Nicht so wie ich ihn«, versuchte sie ihr Verhältnis zu Roc zu erklären, ganz einfach war das nicht. »Aber wir gehören zusammen!«

Baitschu gab sich einen Ruck. »Dann werde ich Euch zu ihm bringen und Euer beider Ritter sein!«

Einer spontanen Regung folgend, beugte sich Yeza aus dem Sattel, nahm den Kopf des Knaben in beide Hände und drückte dem Überraschten einen Kuss auf den Mund. Dann gab sie ihrem Pferd die Sporen, und sie galoppierten beide den Weg dahin, von dem sie nicht wussten, wohin er führte.

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DER UNERBITTLICHE ABGANG DES SULTANS VON DAMASKUS

Aus der Chronik des William von Koebr uk

In der Oase wurden die Schatten der drei mageren Palmen im Licht der Abendsonne immer länger. Rings um den Brunnen hockten Roc und seine Getreuen, zu denen ich mich nicht mehr zählen durfte, weswegen wir, der Rote Falke, sein Weib Madulain und ich, abseits lagerten - und zwischen uns erstreckte sich beunruhigend der Kelim mit seinen seltsamen Ornamenten, symbolhaft verwobenen Zeichen und Linien. Der Teppich barg ein Geheimnis, nur schwante keinem von uns, welches! Nicht einmal Joshua, der erfahrene Kabbaiist, wusste die eingewebten Strukturen wenigstens annähernd zu enträtseln. Er kauerte im Schneidersitz am Rande der dunklen Fläche, aus der mich Teufelsfratzen und glühende Augen anstarrten, als wären sie der Hölle entstiegen immer noch mit ihr unheilvoll verbunden. Ich hätte mich nicht verwundert, wenn der Kelim sich in einen siedendheißen Teersee verwandelt hätte, so fremd wie er hier in der Wüste lag.

David, der einarmige Templer, der Josh gegenübergesessen hatte, erhob sich und schritt quer über den Kelim langsam auf mich zu. Wahrscheinlich sollte er mich bewegen, wieder an ihrem Spiel teilzunehmen. Die beiden taten mir Leid, aber ich konnte den Roten Falken nicht vor den Kopf stoßen, nachdem ich mich ihm unterstellt hatte. Deswegen kam ich David gleich zuvor, als er endlich bei mir anlangte.

»Ich schlage vor«, sagte ich und wies auf die in einiger Entfernung immer noch um ihre Fahne gescharten Ritter aus Antioch, »wir statten den Herren, die mit dem Trencavel kamen, einen Be-220

such ab, denn ich bin neugierig zu erfahren, warum sie uns so schnöde meiden, als wären wir nicht gut genug für sie - «

Zu meinem Erstaunen sagte David, dass er eben das vorhätte, denn da müsse ein tieferer Grund für eine offensichtliche Verstimmung vorliegen.

»Vielleicht sind auch sie vom Verhalten des Trencavel so sehr enttäuscht«, bot ich an, »dass sie ihm die Gefolgschaft aufkündigen wollen?«

David schüttelte abweisend den Kopf, und wir machten uns zu Fuß auf den Weg. Noch bevor wir bei der Gruppe angelangt waren, lösten sich drei, vier Ritter aus ihr und kamen uns entgegen. »Den einen kenne ich«, gab mir David mit gepresster Stimme zu verstehen, »jetzt begreif ich auch die Zurückhaltung, die sie an den Tag legen«, knurrte er, »es ist der am weitesten links Schreitende - «

Ich nahm die bezeichnete Person verstohlen ins Visier, sie machte mir den Eindruck eines schnürenden Fuchses.

»Guy de Muret hat allen Grund, uns zu meiden, dich wie mich!«

Jetzt gingen mir die Augen auf. »Der vom Krak de Mauclerc!?«, rutschte es mir vielleicht zu laut heraus, denn der Fuchs nahm Witterung auf und fixierte mich mit stechendem Blick, was mich empörte. »Mit dem habe ich noch ein Hühnchen zu rupfen!«, zischte ich meinem Begleiter zu, doch der enthielt sich jeder weiteren Stellungnahme. Wir waren inzwischen uns so weit näher gekommen, dass es - der einen oder der anderen Seite -

zukam, das erste Wort der Begrüßung auszusprechen. Das tat David.

»Willkommen, Freunde des Trencavel!« Damit war das Eis gebrochen, aber schon sah ich mich Guy de Muret gegenüber, der seine Kutte als Dominikaner inzwischen mit einer Ritterrüstung vertauscht hatte.

»William von Roebruk«, sprach mich der Kerl mit falscher Freundlichkeit an, »lasst uns ein paar Schritte beiseite tun!« Ohne meine Einwilligung abzuwarten, führte er mich von den anderen weg in die Wüste. »Ihr haltet mich für den Inquisitor«, begann er ohne Umschweife, »der Euch nach dem Leben trachtete?« Er hielt mich am Arm fest und zwang mich, ihm ins Auge zu sehen.

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»Nein!«, stieß er aus. »Ich habe Euch zwar peinlich befragt, wie man mich geheißen, aber Euren Tod durch gemeines Ertränken - « Ich ließ ihn reden. »Das hatte ich von vornherein abgelehnt!« Obgleich mir viele Fragen auf der Zunge brannten, hüllte ich mich weiterhin in verbissenes Schweigen. »Jakob Pantaleon schalt mich einen zahnlosen Hund seines Herrn, als ich mich seinem Willen widersetzte und Euch wieder hochziehen ließ aus dem Brunnen, den er Euch als kaltes Grab zugedacht - das müsst Ihr glauben!«

Ich vermied es, ihn anzuschauen, und murmelte nur: »Mag sein!«

Guy de Muret schien verzweifelt, zumindest spielte er die Mischung zwischen Zerknirschtheit und heldenhaftem Pathos sehr geschickt. »Ich werde es Euch, euch allen beweisen«, rief er aus, »dass ich ebenso treu zu Roc Trencavel stehe wie Ihr, dass ich bereit bin, mein Leben für das Königliche Paar zu geben!«

Ich war keineswegs überzeugt von seiner Läuterung von Saulus zu Paulus, doch was sollte ich tun?! So entgegnete ich trocken: »Wenigstens weiß ich von nun an, wenn mir eine Seite der von mir zu schreibenden Chronik fehlt, bei wem ich sie suchen muss!«

Guy nahm meinen Sarkasmus für bare Münze. »Ich werde über Euren Schlaf wachen wie ein Erzengel, William, und über die Chronik wie ein feuriger Drache!«

Da musste ich lachen. »So lange niemand die beiden gegeneinander vertauscht!« Ich schlug ihm aufmunternd auf die Schulter -nicht minder falsch in der Gesinnung, wie ich sie meinerseits Guy de Muret unterstellte. »Alles andere wird die Zukunft zeigen!«

Am Horizont der Wüste versank als feuerrote Scheibe das Sonnengestirn. Wir gingen zurück zu den anderen, mit denen David, mein einarmiger Templer, inzwischen bereits Freundschaft geschlossen hatte. Mich - und meine ruhmreiche Vergangenheit als »Hüter« der Kinder des Gral - kannten alle, wie ich mit einiger Befriedigung feststellen konnte. »Die Drei Okzitanier«, so nannte Pons, dicklicher Spross des Vizegrafen von Tarascon und der Jüngste im Bunde, voller Stolz sich und seine Gefährten, waren mit dem Schicksal und der geheimnisvollen Bestimmung von Roc Trencavel

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und Yeza Esclarmunde vom Hörensagen noch von ihrer gemeinsamen Heimat her vertraut. Unbestrittener Anführer der Bande war Terez de Foix, zweifellos auch der Größte und Schönste, und er galt auch als die stärkste Schwerthand von allen dreien, angeblich ein Bastardsohn des edlen Grafen von Foix. Und zu diesen zählte nun auch wieder ihr Jugendfreund Guy de Muret, nachdem er seinen Irrweg als canis Domini endlich verlassen und zu seinen alten Kumpanen zurückgefunden hatte.

»Der vierte Ritter, den Ihr hier seht, William von Roebruk«, gab der dicke Pons noch zum Besten, »ist ein falscher Hase!« Der Dicke ließ sich genüsslich Zeit, während meine Augen flink hinüberwanderten zu der hochgewachsenen, schlanken Gestalt, die sich neben Terez de Foix erhob. Ein schlankes, kühnes Gesicht, das dem kaum einen Finger größeren Ritter in Fragen der Anmut den ersten Rang durchaus streitig machen konnte.

»Doch im Sattel und im Stechen steht sie ihren Mann, Berenice Comtesse de Foix -mein Schwesterlein!« Pons war nicht minder stolz auf sie als ihr Ehemann Terez. Ein edles Paar, musste ich neidvoll eingestehen, während Berenice ihren Helm abnahm und ihr volles dunkles Haar ausschüttelte.

»Schaut sie Euch nur recht schön, Bruder William!«, frotzelte mein neuer Freund Guy de Muret sich anbiedernd.

»Ihr müsst lange kein Weib mehr vor dem Klöppel gehabt haben, dass Ihr diese hagere Stute so begehrlich mit Euren Augen verschlingt!«

Ich ärgerte mich über solche Vertraulichkeit, die mir - was wohl beabsichtigt - meinen Lusttraum schmälerte, hatte ich mich doch schon zwischen diesen zachen Schenkeln eingebettet. Der ranke Knabenarsch wollte mir plötzlich nicht mehr recht gefallen. »Schert Euch zum Teufel, Guy de Muret!«

Als hätte Berenice unseren Disput erahnt, schenkte sie mir ein liebreizendes, schüchternes Lächeln. »Lasst uns jetzt alle zusammen hinübergehen zu Roc Trencavel, um ihn unserer Gefolgschaft zu versichern«, forderte sie uns auf, »die wir übrigens nie infrage gestellt!«

Das war an mich gerichtet, und ich musste die ranke Pallas Athene jetzt bitter enttäuschen. »Auf mich zählt nicht«, warf ich so

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bedeutungslos hin wie mir möglich, »ich werde Euch morgen - für einige Zeit - verlassen!«

NICHT DIE FRÜH EINSETZENDE HITZE des Frühjahres machte den Damaszenern zu schaffen, sondern das

untätige Verhalten ihres Sultans hatte sich lähmend über alles Leben der syrischen Hauptstadt gelegt. An-Nasir zeigte sich nicht mehr in der Öffentlichkeit, die Tore des Palastes blieben verschlossen. Dann hieß es, die Zitadelle würde durch zusätzliche Truppen in einen Verteidigungszustand versetzt, der es erlauben würde, sie zu halten, bis Hilfe eingetroffen sei. Hilfe von wem?! Aleppo war gefallen, die Emire von Shaizar, Hama und Homs hatten sich nacheinander dem Heer der von Norden langsam, aber unaufhaltsam heranrückenden Mongolen unter ihrem Il-Khan Hulagu ergeben, das hatte in den Soukhs der Altstadt und im Bazar auch niemand anders erwartet, und die noch eintreffenden Handelskarawanen aus der Gegend konnten die wesentlich schneller reisenden schlechten Nachrichten auch nur bestätigen. Dann kam das Gerücht auf - oder der Palast hatte es gestreut -, aus dem Süden rücke eine gewaltige Armee der Ägypter heran, nur gesehen hatte sie keiner, abgesehen davon, dass immer weniger Händler noch von dort sich ausgerechnet nach Damaskus begaben, um sich dem wohl

unvermeidlichen Schicksal der Stadt auszuliefern. Der Handel in den einst so geschäftigen engen Straßen der Soukhs kam langsam zum Erliegen. Als schließlich mitten in der Nacht die Armee des Sultans ausrückte, nahm jeder an, es handele sich um die angekündigte Verstärkung der Garnison auf der Zitadelle, denn die Bevölkerung erwartete von An-Nasir, dass er, wenn auch durch hohe Mauern gut geschützt, in ihrer Mitte ausharren, ihr Los teilen würde. Doch die Truppen riegelten alle Zufahrtswege zum Palast ab, bis hin zur Moschee, schlössen den Bazar und rückten dann - ohne die Zitadelle auch nur in ihre ringförmige Bewegung mit einzubeziehen - bis zum Bab as-Saghir vor, dem wichtigsten Tor in der Stadtmauer - gen Süden! Dieses Manöver beunruhigte die Bürger sehr, denn sie hatten gehofft, dass die Wälle

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der Stadt nicht bemannt würden, schon um nicht den Zorn der Mongolen heraufzubeschwören. Vor allem, welchen Sinn sollte es machen, die Südmauer zu verteidigen, wo doch der Ansturm mit Sicherheit aus dem Norden zu erwarten war? - Dann hieß es, man habe den Elefanten des Sultans gesehen, umgeben von der Leibwache des An-Nasir, das deutete auf ein kriegerisches Unternehmen hin. War doch eine Armee der Mamelucken im Anmarsch, um die bedrohte Stadt zu entsetzen? Die Damaszener schliefen schlecht in dieser Nacht - oder gar nicht! Ihre Häuser zu verlassen schien ihnen nicht ratsam. Die Palastgarde wie auch die Wachen sprangen sowieso in solchen Situationen recht rüde mit der Bevölkerung um, und heute wirkten sie besonders gereizt. Die Nachrichten vom Truppenaufmarsch waren höchst widersprüchlich, es sickerte durch, dass es zu einer Meuterei gekommen sei, doch keiner wusste zu sagen, warum, beziehungsweise: Wer gegen wen?

Jedenfalls zogen Soldaten kreuz und quer durch die Innenstadt, Leute, die in der Nähe der Mauern wohnten, wollten Waffenlärm gehört haben, berichteten von Tumulten in der Nähe des Bab as-Saghir, es sollte zu Plünderungen gekommen sein, aber auch zum massenhaften Niederlegen von Waffen. Als der Morgen graute, trauten sich die Händler des Bazars als Erste hinaus. Vor ihren Läden und Bänken stapelten sich weggeworfene Rüstungsteile, Helme, Brustpanzer, Spieße und vereinzelt auch wertvolle Scimtars, teure, scharfe Klingen, für die Damaskus so berühmt war. In den Bogengängen und Balken der überdachten Soukhs baumelten an dünnen Stricken halb nackte Männer mit schlaffen Hälsen - Deserteure? Aufrührer? Von den Soldaten war nichts mehr zu sehen, eine unangenehme Ruhe war eingekehrt. Es wurden Stimmen laut, am as-Saghir-Tor sei völlig unbeaufsichtigt der Elefant gefunden worden. Der Sultan habe mit wenigen Getreuen die Stadt verlassen, von seinem Hofstaat sei ihm nur seine Favoritin gefolgt, nebst einigen seiner schwarzen Leibwächter aus dem Sudan.

Die Palastgarde und die Truppenteile, die nicht desertiert waren - wie zum Beispiel die Seldschukensöldner -, hätten sich auf der Zitadelle verschanzt. Keiner wusste zu sagen, ob An-Nasir sich nun zur Flucht entschieden hatte oder dazu, gemeinsam mit den Ägyptern den Kampf gegen

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die Mongolen aufzunehmen. Dagegen sprach allerdings der zurückgelassene Kriegselefant, auf dessen Rücken der Sultan in die Schlacht zu ziehen liebte. Die Mitnahme seiner Favoritin gab auch keine Antwort auf die Frage, denn diese Dame, sie galt als eine Tochter des Kaisers der Deutschen, pflegte selbst zu entscheiden, wohin sie ging - und der Sultan ließ sie stets gewähren. Jedenfalls, so berichteten Hirten, sei der kleine Zug im frühen Morgengrauen gen Süden, in die Wüste gezogen.

Aus der Chronik des William von Koebr uk

Die Nacht brach schnell herein über der namenlosen Wasserstelle in der Wüste, an der wir uns nun schon seit drei Tagen aufhielten. Der Ausdruck »wir« traf die merkwürdige Situation nicht korrekt, denn inmitten der Oase lagerten Roc und seine Okzitanier, mit denen er aus Antioch aufgebrochen war, verstärkt durch zehn Ritter des dortigen Fürsten Bohemund und weiteren fünf, die der König von Armenien beigesteuert hatte, nebst den dazugehörigen Knechten und Knappen. Dazu kamen aus Jerusalem meine Freunde, Josh der Zimmermann und David der Templer, die mich jedoch inzwischen nicht mehr als solchen anerkannten, denn ich hatte mich dem Roten Falken und seiner Frau Madulain zugesellt - und mich damit nicht nur mutwillig, sondern auch rücksichtslos gegenüber ihren Interessen ausgeschlossen. Das bezog sich sowohl auf den aus freien Stücken geschaffenen räumlichen Abstand zu ihnen, war aber von mir vor allem als Protest gegen das unakzeptable Verhalten Rocs gedacht. Für sie waren wir drei »Abtrünnige« bereits am Abend abgereist. Dass wir uns noch in Sichtweite aufhielten, war nur auf mein dringliches Bitten hin geschehen und durch den Hinweis auf die einbrechende Nacht. Wir waren also da, und doch gab es uns nicht!

Schuld daran war dies Ungeheuer von Kelim! Flach hingestreckt zwischen uns trug er mehr zu unserer Trennung bei als ein klaftertiefer Graben bestückt mit Mauern und Türmen. Allerdings

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war der Teppich nicht die alleinige Ursache für das Zerwürfnis. Mit seinem Auftauchen, dem gierigen, herzlosen und letztlich feigen Erwerb, hatte sich nur klar und schonungslos offenbart, dass unser aller Beweggründe keineswegs frei waren von Eigensucht, Gleichgültigkeit und vielleicht noch schlimmeren charakterlichen Mängeln.

Ich will mich da gar nicht ausschließen. Mein bisheriges Verhalten wies bis zum überraschenden Eintreffen des Trencavel schon kein Ruhmesblatt auf, und dass ich mich zu diesem Schritt eines offenen Affronts gegen ihn durchgerungen habe, liegt sicher mehr in der erlittenen Kränkung begründet als in einem überzeugten Empfinden für Recht und Unrecht meinerseits. Ich war beleidigt!

Doch keineswegs so sehr, dass ich nicht Gefahr lief, rückfällig zu werden, eine winzige Geste der Versöhnung hätte mir gereicht. Deswegen hatte ich meine Decke auch gleich am Rande des Kelims ausgebreitet, sodass man mich sehen musste und wieder herbeirufen mochte. Doch es geschah nichts dergleichen, keiner nahm noch Notiz von mir.

Inzwischen hatte der harte Kern der Spieler, also der Kabbaiist und der Templer, die Mitte des Teppichs mit einem Kranz von Öl-lichtern bestückt, so befand sich die Pyramide in einem magischen Kreis von flackernden, rußenden Flammendochten. Die neuen Mitspieler hatten sie aus dem Trupp der Okzitanier rekrutiert, den pummeligen Pons und Guy den Fuchs. Terez und Berenice leisteten dem Trencavel Gesellschaft, sie kehrten -

wohl auf Verlangen Rocs - dem Kelim ihre Rücken zu. Ich konnte ihre Silhouetten gegen den Widerschein des langsam niederbrennenden Lagerfeuers sehen. Die übrigen Ritter hatten sich schlafen gelegt.

Es waren gewiss die aufreizenden Ornamente dieses Teppichs der Unzucht, die mich nach einem Weib verlangen ließen, oder der Umstand, dass unweit von mir ich die verschlungenen Leiber des Roten Falken und der Saratz wahrnehmen konnte, wenn auch unter einer alles verhüllenden Decke. Sich die fleischliche Vereinigung mit einer Frau vorzustellen, die gerade ein anderer befriedigt, verschafft zwar wohlfeile Lust, taugt aber wenig zu Wachträumen mit offenem Ausgang - höchstens zu einem feuchten! So steigerte

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ich mich beim Anblick der schlanken Rückenpartie der Berenice in Phantasien ganz anderer Art. Schon die Tatsache, dass sie zwischen zwei Männern saß, ihrem eigenen und dem Trencavel, erhöhte den Anreiz, mich ihr heimlich zu nähern, ungemein, konnte ich mir doch vorstellen, dass sie mir ihr Hinterteil im geheimen Einverständnis hinschob, ohne dass die anderen es spitzkriegten. Es war vor allem die Idee ihrer biegsamen Taille, übergehend in die straffe Wölbung ihres Bauches, keusch das dunkle Dreieck zwischen harten Schenkeln verbergend. Ich vermochte mir nicht vorzustellen, dass Terez sein Weib ähnlich aufreizend empfand - was verband die beiden so Ungleichen, was hatte Berenice noch darüber hinaus zu bieten, das sie so fest zusammenschmiedete? Dabei hatte ich sie in Verdacht, dass sie heimlich den Trencavel verehrte, der sich aber aus ihr nichts machte, denn einem Vergleich mit Yeza vermochte sie wohl kaum standzuhalten! Yezaü Allein schon der beschämend oft und jetzt plötzlich wieder aufkommende, sträflich sündige Gedanke an den Leib der Prinzessin verbot sich mir ja wohl absolut! Absolutissime! Ich durfte meinem Klopfspecht, diesem elenden Verräter, derlei Sinnen nicht durchgehen lassen! Nicht einmal im Traume! Ich wälzte mich auf den Bauch und erstickte die böse Geilheit. Da war es allemal besser, sich an das sublimierende Wesen-Spiel zu halten!

Hätte Roc Trencavel mitgespielt, wäre es ihm - da war ich mir sicher - zugefallen, im Zeichen des Jupiter zu stehen, als Fürst und als Despot. Doch er zeigte dem Wesen-Spiel bislang die kalte Schulter.

Der dicke Pons von Tarascon hingegen warf sich mit Inbrunst auf alles, was ihm ansonsten versagt blieb, auf Mars, den großen Krieger, und auf Frau Venus, doch heraus kamen nur die Unbillen eines unsteten

Soldatenlebens und billige Hurerei. Hier in der Wüste nicht einmal das!

Guy, der ehemalige Dominikaner, schlug sich wider mein Erwarten betont wacker in den festen und

unerschütterlichen Dominanzen des klassischen Herrscherpaares Sonne und Mond. Zusätzlich zum in sich ruhenden Sitzenden Drachen hatte er sich sowohl den Priester der heiligen Flamme als auch sein Pendant, die Pries-228

terin der Quelle, erwählt, beides Zeichen von Schöpferkraft wie auch der Macht der Phantasie. Guy de Muret ging auffällig still und bedächtig zu Werke, als wollte er mich, der ich immer noch an seiner Zuverlässigkeit zweifelte, eines Besseren belehren. Diese mir vorgegaukelte Seriosität vergrößerte indes meinen Argwohn gegenüber einem, der so mir nichts, dir nichts seine Mönchskutte abgestreift hatte und in einen weltlichen Ritterharnisch geschlüpft war! Es ging ja auch weniger darum, mich ob der Attacke auf meine Chronik zu versöhnen, als um den Beweis seiner Loyalität gegenüber Roc Trencavel, dem Königlichen Paar insgesamt.

Die Unterbrechung, die das Spiel erfuhr, musste gegen Mitternacht erfolgt sein. Mir war es nicht gelungen, mich wach zu halten, denn ich hörte zwar deutlich die Stimmen der Spieler, sah aber nicht ihre Züge - das ermüdet auf die Dauer!

Ich fuhr auf, weil neben mir ein Reiter rücksichtslos sein Kamel auf den Teppich trampeln ließ. Auch die Spieler brachten ihre Empörung lautstark zum Ausdruck, David der Templer fuhr den späten Gast barsch an, sich auf der Stelle zu entfernen, doch der ließ sein Tier auf dem Kelim niederknien und stieg ab, ohne sich um die Proteste zu kümmern. Es war Ali, der zurückgekehrt war. Da ihn keiner fragte, wo er abgeblieben war, trat er trotzig in den Kreis der Öllichter und verlangte sogleich wieder mitzuspielen, als wäre das sein angestammtes Recht. Die beiden Okzitanier waren verunsichert, doch der einarmige Templer widersetzte sich.

»Stellt Euch erst mal unserem Herrn Roc Trencavel vor!«, befahl er dem Unverschämten kühl. »Der entscheidet, ob Ihr überhaupt in unseren Reihen aufgenommen werdet, denn Euer Roter Falke hat sich von uns verabschiedet

- «

»Samt seinem Weibe Madulain«, setzte Josh der Zimmermann anzüglich hinzu, »und unserem lieben William!«

Mir wurde gleich warm ums Herz, aber dieser Ali wurde sofort frech. »Ich kann mich nicht entsinnen, dem Emir jemals Rechenschaft abgelegt zu haben über mein Tun und Lassen«, rief er schrill, damit der Rote Falke es selbst im Schlaf mitbekommen sollte. »Genauso wenig wünsche ich mir einen neuen Herrn!«

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Roc musste dem lautstarken Disput aufmerksam zugehört haben, denn unter der Führung des Terez de Foix betraten jetzt einige, noch schlaftrunkene Ritter aus Antioch den Teppich, griffen sich erst das Kamel, das sie zur Seite führten, und zwangen dann Ali mit gezückten Schwertern, nicht etwa ihnen zu folgen, sondern seinen Scimtar abzulegen.

»Roc Trencavel wünscht«, teilte ihm dann Terez höhnisch mit, »heute nicht mehr von Euch gestört zu werden -«

Er gab Pons einen unmerklichen Wink, sich von seinem Platz zu erheben. »Hingegen erwartet er von Euch, dass Ihr ohne weiteren Verzug an dem Spiel teilnehmt!« Ali warf sich wütend wie ein trotziges Kind auf den Teppich, doch das beeindruckte Terez nicht im Geringsten. »Das ist ein Befehl!«, ließ er ihn wissen, und die Ritter packten den Strampelnden, schleiften ihn an den freien Platz zwischen den Spielern und pressten ihn mit Nachdruck mit seinem Arsch auf den Teppichboden.

»Eben wolltet Ihr spielen!« Statt einer Begrüßung warf ihm Guy de Muret, der das Austeilen der Pyramide übernommen hatte, seine abgezählten Stäbchen vor die Knie. »Nun spielt auch gefälligst.« Zähneknirschend, denn hinter ihm standen immer noch Terez und die Ritter, seinetwegen aus dem Schlaf gerissen, die ihn liebend gern verprügelt hätten, und grün vor Wut nahm er die Spielsteine auf.

Josh der Zimmermann und David der Templer ließen sich weder von der Aufsässigkeit des Ali noch von den drohenden Handgreiflichkeiten der rabiaten Rittersleut aus der Ruhe bringen, sie zogen geübt ihren Spielrhythmus durch, warfen ab, nahmen auf, ohne Emotion zu zeigen. Nur als der Sultanssohn völlig wirr längst abgelegte, und damit »verbrannte« Stäbchen für sein Spiel reklamierte, nahm ihn Joshua sich zur Brust.

»Nur ein Narr versucht das Meeresungeheuer, stehend für Wasser, feucht und kalt, mit dem Wesen der Materie zusammenzubringen, sei es als Besitz und Überfluss, sei es in Armut und Hungersnot!«, belehrte er Ali unwillig.

»Dafür stünde das Einhorn, mit allen vieren auf der Erde als aristotelisches Element!« Doch damit nicht genug!

Genüsslich schnaubend fügte er noch hinzu:

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»Der Merkur in seinen negativen Aspekten, wie Giftmischer, Dieb und Verräter, mag Euch ja sehr liegen, aber weder könnt Ihr ihn ins sonnige Bett der Aphrodite schmuggeln noch einem ehrlichen Kriegsmann unters Wams jubeln! Eure Herangehensweise grenzt an fortgeschrittenen Wahn, doch Geisteskrankheit müsstet Ihr ganz anders darstellen!«

Ali biss sich auf die Lippen und verweigerte für den Rest der Partie jedes Engagement. Er zog lustlos seine Spielsteine aus der Pyramide und warf sie seinen Mitspielern hin, ohne auch nur einen Blick auf sie zu werfen.

Ali zeigte seine Wut, indem er gar nicht daran dachte, jetzt - wie alle anderen -mit Hand anzulegen, die Stäbchen neu zu mischen und eine Pyramide zu errichten. Dass er sich erhob, bekam ich schläfriger Zaungast schon nicht mehr mit, spätestens bei diesen mich langweilenden Spielpausen nickte ich regelmäßig ein.

Ich wurde der Unruhe erst gewahr, als eine harsche Auseinandersetzung an mein Ohr drang. Sie fand zu Füßen meines Lagers statt.

»Ich habe genau gesehen«, fauchte Guy de Muret den Ali an, »wie Eure Hand in Williams Beutel glitt - « Ich tat so, als ob ich fest schliefe, blinzelte aber hinüber, wo in Reichweite meine Pilgertasche lag mit den Schreibutensilien und den Pergamenten der Chronik. Die beiden hockten davor in Lauerstellung wie Gockel kurz vor dem Hahnenkampf. »Ihr wolltet die Dokumente stehlen!«

»Da täuscht Ihr Euch gewaltig!«, verteidigte sich der Sultanssohn frech. »Ich war im Begriff, meine Notdurft zu verrichten, so suchte ich nach etwas Besserem als Sand, um mir den Arsch abzuwischen!« In der Tat hatte Ali die Hosen halb heruntergelassen und wies dem zornigen Inquisitor Guy seinen nackten Hintern. »Macht Euch nicht lächerlich!«

Guy stopfte die Pergamente ärgerlich in den Beutel zurück. »Lasst Euch nicht noch einmal erwischen!«, blaffte er den Tatverdächtigen an und packte mir zur Beruhigung die Pilgertasche dicht neben meinen Kopf, der ich mich weiterhin schlafend stellte.

Ali verzog sich in die Dunkelheit, als müsse er jetzt wirklich dringend scheißen. Für mich hatte er die Hosen nur deswegen

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schnell abgestreift, um die Pergamente ungesehen in seinen Beinkleidern zu verstauen. Guy stapfte zurück auf den Kelim zu seinen Mitspielern. Ich konnte ihm eine gewisse Anerkennung für diesen Freundschaftsdienst nicht versagen.

FÜR DIE NACHT hatten die beiden einsamen Reiter Aufnahme bei am Wege lagernden Beduinen gefunden.

Yeza und Baitschu wurden zuerst mit unverhohlenem Misstrauen beäugt, ein junges blondes Weib der Franken allein unterwegs mit einem fremdartigen Knaben - Mongolen hatten die hier ihre Herden weidenden Hirten bislang noch nicht zu Gesicht bekommen -, doch dann siegte die Neugier, und sie wurden mit größter Herzlichkeit in das Zelt gebeten. Sofort wurde für die Gäste ein Zicklein geschlachtet, und als das Festmahl endlich vorüber war, wurden die Fremden geradezu genötigt, hier ihr Haupt für die Nacht zum Schlaf zu betten.

Obgleich Yeza protestierte, wurden Frauen und Kinder aus der schützenden Behausung vertrieben, damit nichts die Ruhe der teuren Gäste stören sollte. Die Männer schliefen sowieso draußen bei ihren Tieren. Baitschu, der völlig in seiner Beschützerrolle aufging, ließ sich, in eine Decke gerollt, gleich hinter dem Eingang nieder, während Yeza auf einem Stapel von Schafsfellen ihre bereits vorbereitete Schlafstelle fand. Während der Mongolenknabe als treuer Wächter noch aufmerksam den fremdartigen Stimmen auf dem Vorplatz lauschte, die riesengroßen Schatten der vor den Feuern vorüberhuschenden Menschen erregt mit staunenden Augen in sich aufnahm, war Yeza schon eingeschlafen. Keiner weckte sie des Morgens, mit rücksichtsvoller Leisigkeit hatten ihre Gastgeber ihr Tageshandwerk wieder aufgenommen. Die Sonne kroch schon gleißend und Hitze

verströmend den Himmel empor, als Baitschu sich räuspernd traute, die Aufmerksamkeit der wohlig

schlummernden Prinzessin auf sich zu lenken. Sie traten vor das Zelt. Kaum, dass sie in das Licht .zu blinzeln vermochten, erhob sich vor ihnen die Silhouette des Bretonen. Herr Yves überschüttete die beiden Ausreißer nicht etwa mit Vorwürfen, noch gab er sich verlegen.

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»Ihr habt klug gehandelt, Prinzessin«, sagte er trocken, »Palmyra auf dem kürzesten Weg zu verlassen«, er zurrte den Sattelgurt seines Pferdes fest, im Lederfutteral zur Seite steckte das gewaltige Richtschwert, »und ausreichend Distanz zwischen Euch und den General Sundchak zu bringen!« Im Hintergrund sah Yeza die sich nähernde Hundertschaft des Khazar. »Das ist bereits die Nachhut!«, klärte Yves sie auf.

Yeza gab Baitschu einen Wink, sich seinem älteren Vetter wieder zuzugesellen, sie versüßte ihm die knappe Verabschiedung mit einem kleinen komplizenhaften Lächeln. Das versöhnte den Knaben, und beglückt schwang er sich auf seinen Gaul. Auch Yeza bestieg ihr Pferd, verabschiedete sich von dem Ältesten der Beduinen und folgte dem ungeduldigen Bretonen.

»Zur Salzsäule erstarrt wärt Ihr«, ließ Yves mit gekünstelter Beiläufigkeit Yeza wissen, die gesenkten Hauptes an seiner Seite ritt, »grad' wie Lots Weib, wenn Ihr hättet anschauen müssen, wie Sundchak seine Soldaten in Palmyra hausen ließ - « Selten hatte Yeza den Bretonen in solcher Weise angeschlagen erlebt, ihre eigene Betroffenheit, selbst ihre Schuldgefühle in den Schatten stellend. »Die Leiber der Frauen aufgeschlitzt, die Schädel der Kinder zertrümmert - «

Sie schwieg, und Yves ließ es bei dieser Schilderung bewenden. Beide ritten sie inmitten der Nachhut, die von Khazar angeführt wurde. Neben ihm trabte voller Stolz Baitschu. Yves hatte auf diesen Maßnahmen bestanden.

Der blutrünstige General hatte für den Bretonen nur ein verächtliches Schnauben übrig gehabt, als der zusammen mit Khazar im Palast der Königin erschienen war, um die dort zurückgelassenen Pferde zu holen.

»Hat Rhaban das Massaker überlebt?!«, fragte Yeza in banger Hoffnung.

»Nein«, antwortete ihr Yves. »Doch ich hielt ihn todgeweiht in meinen Armen. Trotz seiner Verletzung hatte er die Leute Sundchaks hindern wollen, Euer Kamel zu schlachten«, schob Yves schonungslos als Erklärung nach.

»Treue zieht den Tod an, wie Blut das Fliegengeschmeiß.« Der Bretone verbreitete keine tröstlichen Illusionen.

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»Ich musste den zäh mit dem Tode ringenden Fechtmeister dem Sufi überlassen, als der sich von mir verabschieden wollte - « Der harte Yves kämpfte um seinen zur Schau getragenen Gleichmut. »Jalal versprach mir, bei ihm auszuharren. Der Weg, den die Königin jetzt wohl gehen müsste, sei gewiss nicht der seine.« So lautete sein letzter Gruß. Nicht einmal ein Vers von Rumi sei ihm eingefallen, angesichts des Desasters, das über seine Brüder aus Palmyra hereingebrochen war.

Mehr noch als Trauer verspürte Yeza die schreckliche Hoffnungslosigkeit, in die der kleine Sufi gefallen sein musste. Und das Schrecklichste war, auch sie hätte kein Wort des Trostes zu spenden vermocht. Alles, an was sich Yeza auch zu klammern versuchte, es waren immer nur Selbstvorwürfe, die über sie herfielen wie böse djinn in der Nacht.

»Ich hätte mich dem General stellen sollen, sichtbar freiwillig für die Beduinen, und hätte so vielleicht - «

»Nichts hättet Ihr damit erreicht«, schnitt Yves sie kurz, »außer, dass Ihr in den gleichen Käfig gesperrt worden wärt, wie der Emir von Mayyafaraqin!« Yeza zuckte unwillkürlich zusammen. »Denn El-Kamil war es, der die Beduinen aufhetzte, nicht um Euretwillen, sondern um sein eigenes, erbärmliches Leben zu retten.«

»Oder zumindest seinen Tod in der Schlacht zu finden«, mischte sich Khazar ein, der sich - samt Baitschu - zu den beiden hatte zurückfallen lassen, »der dem, was ihm nun blüht, vorzuziehen ist wie jeder Zipfel des Paradieses dem Flammenmeer der Hölle!«

Sowohl der Bretone wie auch Yeza schauten erstaunt auf den stämmigen Mongolen, der bisher solcher Bildersprache unverdächtig war. Doch dieser - wohl zu belustigte - Blick machte Khazar auch deutlich, dass er das Gespräch der beiden gestört hatte. Er gab seinem Tier die Sporen und schloss wieder zu seinen Leuten auf.

Baitschu folgte ihm.

»Und doch hätte ich dies Opfer bringen sollen, schon um meiner Seele willen«, beharrte Yeza, kaum dass sie wieder allein waren, auf ihrem Anteil der Schuld.

»Damit müsst Ihr leben, was viel quälender ist als der gräss-

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lichste Tod«, beschied sie der Bretone sarkastisch. »Die Erlangung Eurer Bestimmung, ihre Durchsetzung, ist dazu angetan, noch viel Leid über die Erde zu bringen.« Herr Yves verfiel - sicher gegen seinen Willen - in den belehrenden Ton eines Priesters - der Beruf, den er einst angestrebt hatte. »Dagegen mag das Eure wiegen wie ein Sandkorn in der Wüste!«

Yeza sah ihn fest an. »Es kostet mich nur einen schnellen Stoß, und ich bin dieser Fesseln ledig!«

Yves wusste, dass sie auf ihren verborgenen Dolch anspielte und dass sie ihn geschwinder zur Hand haben würde, als er sie daran zu hindern vermochte. »Dagegen steht«, hielt er ihr entgegen, sie nicht aus dem Auge lassend, »das Friedenskönigtum, diese gewaltige Verheißung, die dem Königlichen Paar mitgegeben!«

Soviel Emphase verwunderte Yeza. »Der Große Plan ist mitnichten eine Prophetie von Gottes Gnaden«, widersprach sie Yves vehement, »sondern das ehrgeizige Vorhaben sehr kühn planender Menschen - ob weise, sei dahingestellt!« Sie erstaunte selbst über die Klarheit, mit der sie ihre Rolle darin sah.«Und >Verheißung< ist somit auch kein Wert an sich, besonders, wenn sie sich nicht erfüllt!« Yeza sann weniger der Wirkung als dem Sinn ihrer Worte nach. »Dem Wesen des Menschen entspricht aber der Krieg - «

Wenn sich jemand nicht geschlagen gab, war es der Bretone. Zur Durchsetzung von Gesetz und Gerechtigkeit fügte er noch die Pflichterfüllung als hohes Gut hinzu. »Der Menschen Sehnen gilt jedoch dem Frieden! Ihn zu suchen, ihr Schicksal - und deswegen könnt Ihr nicht aufgeben - nicht einmal Euch selbst!«

Aus der Chronik des William von Koebr uk

Wir, der Rote Falke, seine Frau Madulain und meine Wenigkeit, der Minorit William, waren am frühen Morgen noch vor Sonnenaufgang von der Oase aufgebrochen, während Roc und seine Gefährten noch schliefen. Selbst die unermüdlichen Wesen-Spieler

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hatten irgendwann in der Nacht ihrem zwanghaften Wahn nicht länger nachgegeben, immer noch eine neue Runde, die letzte, die allerletzte bestreiten zu müssen. Der Kelim lag jedenfalls in den frischen Farben des Morgentaus verlassen da, nur die Reste der Stäbchenpyramide erhoben sich in seiner Mitte wie ein Häuflein verbrannter Knochen. So fand sich auch keiner zu unserem Abschied ein, darauf hatte ich auch nicht mehr gezählt, wenngleich ich mir eine versöhnliche Geste gewünscht hätte.

Nach den Berechnungen des Roten Falken befanden wir uns in der Höhe von Philippolis, dessen Ruinen aber auf die Entfernung und im bereits hellen Tageslicht nicht auszumachen waren, und wir beschlossen auf Damaskus im Norden zuzuhalten. Doch gerieten wir immer tiefer in die Wüste, weil wir den letzten Karawanenweg verfehlt hatten. Da wegen der drohenden Mongolengefahr immer weniger Handelsreisende den Weg in die Stadt suchten, verwehten Sand und Winde schnell alle Spuren, die die Kamele normalerweise hinterlassen. Hohe Sanddünen trugen zusätzlich dazu bei, dass man leicht die Orientierung verlor. Wir richteten uns nach dem Stand der Sonne, die immer unbarmherziger auf uns niederbrannte, und hofften, irgendwann auf wüstenerfahrene Beduinen zu stoßen, die uns in die angestrebte Richtung weisen sollten. Doch ob wir uns nun mühsam die sanften Kämme hinaufquälten oder in den Tälern gegen das Versinken in den Sandwehen ankämpften, immer waren wir allein -

bis wir plötzlich eines äußerst seltsamen Zuges ansichtig wurden, der sich in Entgegengesetzter Richtung quer durch die Wüste bewegte.

Es waren keine gewöhnlichen Reisenden, das sah ich schon an der stattlichen Kamelkarawane, die ihnen folgte, alle Tiere schwer bepackt mit Truhen und Körben, Kisten, Fässern und Säcken. Es handelte sich auch nicht um reiche Kaufleute. Fasziniert starrte ich auf die voranschreitenden Herrschaften. Ein bizarrer Hofstaat in prächtigen, für eine solche Reise völlig ungeeigneten Gewändern. Ich erkannte auch, außer wenigen bewaffneten Reisigen, leicht gekleidete junge Weiber auf den Kamelen - vielleicht Tänzerinnen? -und herumlaufende Zwerge. Über einer schwergewichtigen Gestalt wurde sorgsam ein Baldachin gehalten, Diener fächelten dem fet-236

ten Riesen Kühlung zu, an seiner Seite ritt eine unverschleierte Frau, die sich nur durch einen Schirm gegen die Sonne schützte. Sie mussten uns jetzt ebenfalls erblickt haben, denn sie hielten an, was für uns eine Einladung bedeutete, näher zu kommen. Der Rote Falke, dessen Augen schärfer waren als die meinen, hielt mich, der ich gleich lostraben wollte, zurück.

»Für mich ist das An-Nasir, der Sultan von Damaskus«, sagte er mit leiser Stimme zu seinem klugen Weib, »er muss aus seiner Stadt geflohen sein!«

»Der Vater des -?«, fragte ich betroffen.

Der Emir winkte ungehalten ab. »Über das peinsame Zusammentreffen mit seinem Sohn sollten wir lieber schweigen, William«, flüsterte er mir zu, als hätte es an mir gelegen, dass wir den Armen schmählich seinem Schicksal überlassen hatten. Doch ich nickte einverständig, zumal der Rote Falke jetzt eine weitere Person erspäht hatte, die auch ich kannte. »Jene imratun kheir muhad-jaba an seiner Seite ist Clarion von Salentin, seine Favoritin!«

»Lasst uns nicht unhöflich sein!«, drängte jetzt die kluge Saratz. »Auch wenn wir ihnen keine Hilfe anzubieten haben, sie werden uns sicher den Weg nach Damaskus weisen können!«

Wir ließen unsere Tiere den Hang hinabsteigen und hielten auf die stattliche farbenprächtige Gruppe zu.

Es war der Sultan, und es war auch Clarion, die uns sofort erkannte und es dem riesigen Fettkloß mitteilte. Die Leibwächter ließen uns daraufhin absteigen und näher treten. Auf Geheiß der Favoritin wurde uns von den Dienern nach Rosen duftendes Wasser mit leichtem Minzgeschmack als Erfrischungstrank gereicht. Clarion hatte sich von ihrem Reittier gleiten lassen und begrüßte uns mit großer Herzlichkeit. Für An-Nasir war es wohl ein zu großer Aufwand, von seinem Kamel gehievt zu werden, obgleich mehrere starke Männer dafür

bereitstanden. Der Rote Falke richtete seinen Blick fragend hinauf zu der massigen Gestalt, doch stand es dem Sultan zu, das Gespräch zu eröffnen.

»Ich habe mich entschlossen«, schnaufte der von seiner Sänfte herab, die Last war auf zwei Kamele verteilt, »bei meinem Bruder

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im Amte, beim Sultan von Kairo, Beistand zu erfragen - gegen die heranrückenden Mongolen - «

Der Rote Falke war nicht gewillt, so zeigte sich, dem vormals mächtigen Herrscher zu Gefallen die Lage schön zu reden. »Das hättet Ihr schon längst - «, begann er, aber Clarion unterbrach ihn voller Spott.

»Was glaubt Ihr, Emir, treibt Seine Hoheit hier inmitten der Wüste seit dem Tag, an dem wir Damaskus verlassen mussten?« Sie schob die Antwort gleich nach. »Vielleicht sollte ich mich doch den Mongolen unterwerfen?< Also Kehrtwendung, zurück Richtung Damaskus! >Oder wäre es doch günstiger, zusammen mit den Ägyptern den Mongolen die Stirn zu bieten? < Also gleich wieder umgedreht, Richtung Askalon, oder sonst wo zur Grenze im Süden!« Clarion schilderte das alles höchst amüsiert, als wolle sie die bittere Situation nicht wahrhaben, in der sich der Sultan befand.

»Wie stellt Ihr Euch eigentlich vor, edler An-Nasir«, wandte sich der Rote Falke daher streng an den Herrscher,

»werden die Mamelucken auf Eure Schwäche reagieren?«

»Wieso Schwäche?«, schnaubte das Nilpferd. »Ich biete Kairo ein Bündnis an!«

»Und Ihr geht ernsthaft davon aus, der Mameluckensultan marschiert sofort los, um Euren Thron zu retten?!« Da An-Nasir außer Schnaufen nichts von sich gab, fuhr er fort. »Wenn sich Kairo in den - vermutlich unvermeidlichen - Krieg verwickeln lässt, dann wird, bei einem Sieg der Ägypter, ganz Syrien der Preis sein -«

»Und wenn sie ihn verlieren?«, fragte Clarion keck dazwischen.

»Dann fangen sie ihn erst gar nicht an!«, gab ihr der Emir zur Antwort. »Sie werden ihren besten Heerführer schicken, Baibars, den Bogenschützen!«