41. Mona Lisa mit Messer und Gabel
Warum Paula an den Tischmanieren scheitert
Die Schlange vor dem Louvre schien gar kein Ende nehmen zu wollen. Sie standen sich jetzt schon eine geschlagene Viertelstunde die Beine in den Bauch und es ging und ging nicht voran. »Irgendwie finde ich es fast besser, wir gehen einfach spazieren«, sagte Paula, die schlecht gelaunt war. »Quatsch!«, erwiderte Katja sofort. »Du kannst doch nicht ein Jahr in Paris gewesen sein, ohne ein einziges Mal die Mona Lisa im Original gesehen zu haben.« Da hatte sie auch wieder recht. »Wobei die Mona Lisa nicht mal das schönste Bild im Louvre ist. Und du wirst sehen, wie klein sie ist.« Katja erwartete irgendeine Reaktion, aber Paula hörte ihr gar nicht zu. »Was ist denn los mit dir? Wo drückt der Schuh?« Katja sagte das voller Humor, aber Paula war es ziemlich ernst. »Ach, irgendwie habe ich wirklich Probleme mit Claudine«, begann Paula. »Sie ist immer so perfekt oder zumindest will sie es sein. Und ich mache ständig alles falsch, so kommt es mir zumindest vor.« Katja ahnte, worum es ging, ließ Paula aber erst einmal reden. »Wir sitzen beim Abendessen, ich esse den Salat, sie schaut mich nur von der Seite an mit diesem Blick, der schon alles sagt. Dann essen wir Hühnchenkeulen, ich nehme sie in die Hand, um sie abzunagen, wieder kommt dieser Blick. Aber ich habe doch gelernt, dass man Geflügel in die Hand nehmen darf. Dann kommt die Nachspeise – Nektarinen. Die Dame des Hauses redet stundenlang darüber, ob sie jetzt schon reif genug sind oder nicht. Das ist mir echt zu viel. Ich nehme einfach eine Nektarine und beiße hinein. Punkt. Wieder dieser Blick. Da sehe ich, dass Madame die Nektarine mit Messer und Gabel isst. Ich versuche das auch – und schwups, fällt mir das ganze Ding unter den Tisch. Ich habe nicht nur meinen Rock eingesaut, sondern bin auch noch den Tränen nah. Musste Mona Lisa auch alles mit Messer und Gabel essen?«, fragte Paula schließlich und beide lachten. Die Schlange war noch lang genug, sodass Katja ihr in Ruhe antworten konnte.
Was ist diesmal schiefgelaufen?
Natürlich finden sich in Frankreich auch Menschen, die sich nicht an irgendwelche Vorgaben halten. Doch die meisten kleinen Franzosen und Französinnen bekommen in den frühesten Tagen ihrer Kindheit bereits Tischmanieren eingeimpft, denn diese gehören zum savoir vivre. Am guten, soll heißen richtigen Benehmen bei Tisch lässt sich die Erziehung ablesen und an der Erziehung die Stellung der Familie innerhalb der Gesellschaft. Das ist wichtig.
Zu diesen Tischmanieren gehört ohne Zweifel, dass man Hühnchenkeulen nicht in die Hand nehmen und wie ein Höhlenmensch abnagen darf, das wäre sehr unfein. In traditionellen Kreisen wird keine Speise mit der Hand berührt (außer Brot). Das gilt auch für Meeresfrüchte (Krebse und andere Schalentiere) und sogar für Obst. Es gibt Leute, die können eine Orange mit Messer und Gabel schälen, entkernen und essen. Auch wenn uns das manchmal an den Beginn des 20. Jahrhunderts erinnert, so legt man doch in vielen Kreisen in Frankreich großen Wert auf diese Manieren.
Was können Sie besser machen?
Grundsätzlich ist es natürlich immer ratsam, sich an die Tischmanieren eines Hauses anzupassen, wenn man von den Gastgebern respektiert werden will. Aber man muss es auch nicht übertreiben. Wenn Paula noch nie eine Nektarine mit Messer und Gabel gegessen hat, dann ist es wahrscheinlich ratsamer, es auch nicht zu versuchen. Zumindest dann nicht, wenn man es nicht alleine für sich schon einmal ausprobiert hat. Um zum Beispiel eine Orange mit Messer und Gabel zu essen, braucht es durchaus Übung. Die Frage ist: Warum sollte man sich das antun? Paulas Wille und Bereitschaft sich anzupassen, sind schon liebenswert an sich. Doch was für Paula ein Kulturunterschied ist, ist für Claudine ein Klassenunterschied, da diese sich wahrscheinlich nicht vorstellen kann, dass es in Deutschland üblich ist, Hähnchenschenkel im familiären Umfeld mit der Hand zu essen. Vielleicht könnte man dies thematisieren, um – wenn man sich denn mal aus Versehen daneben benommen hat – nicht den Eindruck zu hinterlassen, man hätte eine schlechte Kinderstube genossen. In vielen Situationen kann es durchaus hilfreich sein, sich vorab über die Tischmanieren zu informieren und sie im Falle des Falles auch zu beherrschen.
Die Top Five der Tischmanieren
- Sich gerade halten, nicht vorn auf der Stuhlkante sitzen, sondern hinten, der Rücken berührt die Lehne. Beide Füße stehen auf dem Boden, nicht ein Bein über das andere schlagen. Und die Beine erst recht nicht unter den Hintern schieben.
- Nicht den Kopf aufstützen, die Ellenbogen beim Essen vom Tisch nehmen. Sie nehmen sonst zu viel Platz ein und könnten den Nachbarn stören. Die Unterarme können locker die Tischkante berühren. Zwischen zwei Gängen, während der Konversation, ist es erlaubt, die Hände über dem Teller zu kreuzen, zusammenzufalten, und dazu die Ellenbogen auf den Tisch zu stützen. Aber möglichst dicht am Teller.
- Beim Essen, am Tisch, wird nie gelesen. Sie können mal darauf achten: In einem Café oder beim Hotelfrühstück wird man kaum ein Paar finden, das sich in seine jeweilige Lektüre vertieft. Der Esstisch gehört der Konversation. Und beim Sprechen wird das Besteck gern vorübergehend abgelegt.
- Vor und nach dem Trinken den Mund mit der Serviette abtupfen.
- Früchte mit Messer und Gabel essen.