27. Ich Franzose, du blond!
Wie Katja ihren Matthieu kennenlernt
»Du bist mit einem Franzosen verheiratet?«, fragte Paula Katja vergnügt, nachdem sie ihren dritten Crémant bestellt hatten. Sie hatte dieses hübsche kleine Café zuvor noch nie gesehen. Was für ein Glück, dass sie an der Kasse nicht hatte zahlen können, sonst hätte sie Katja nie kennengelernt. Jetzt saßen sie hier schon seit bestimmt zwei Stunden und quatschten, während die Einkäufe warm wurden und der Käse sicher schon zu schmelzen begann. Aber das war Paula gerade vollkommen egal. »Das ist immer mein Traum gewesen, einen Franzosen zu heiraten und in einer schicken Wohnung in Paris zu leben und kleine süße bilinguale Kinder zu zeugen.« Katja musste schmunzeln, »Ja, so stellt man sich das vor, aber in Wirklichkeit ist es natürlich alles andere als einfach.« Doch das wollte Paula nicht hören. »Erzähl doch mal, wie hast du ihn denn kennengelernt?« Der Kellner kam und die beiden stießen auf gute deutsche Art auf ihre neue Freundschaft an. »Also«, begann Katja, »es war mitten in der Nacht, um genau zu sein morgens um halb vier. Ich stieg aus einem Taxi und hatte wunderbar gute Laune. Mit einer Freundin zusammen war ich in Kreuzberg durch die Bars gezogen und wir hatten jede Menge Blödsinn angestellt und ganz nebenbei war ich natürlich immer noch auf der Suche nach »dem Richtigen«. Die restliche Nacht wollte ich jetzt für einen minimalen Schönheitsschlaf nutzen, als mir auf der Straße ein ehemaliger Arbeitskollege entgegenkam. Bastien, ein Franzose, war mit einer kleinen Truppe Franzosen und ein paar wenigen deutschen Frauen unterwegs. Sie wollten noch in eine letzte Bar weiterziehen. Sie feierten irgendeinen Geburtstag und Bastien bat mich eindringlich: »Komm doch mit!« »Nein, ich muss jetzt meinen Schönheitsschlaf machen.« Er lachte »Du siehst nicht gerade müde aus.« »Bin ich auch nicht«, gab ich zu. »Na los, dann komm schon mit!« Das wiederholte er fünfmal, ehe ich mir einen Ruck geben konnte und mich der Gruppe anschloss. Nachdem ich mit Bastien gequatscht hatte, der schon lange eine deutsche Freundin hatte und auch schon seit Jahren in Deutschland lebte, tanzten wir alle noch ziemlich lange, tranken auch ziemlich viel und irgendwann stand ich mit Matthieu an der Bar. Wir unterhielten uns und flirteten ein wenig, wobei ich sofort das Gefühl hatte, dass man mit Franzosen automatisch flirtet, wenn man sich mit ihnen unterhält. Ich war mir ziemlich sicher, dass das an »dem Franzosen an sich« lag. Meine Erfahrung sagte mir: Entweder waren Franzosen extrem unfreundlich und abweisend oder sie flirteten, was das Zeug hielt. In beiden Fällen beherrschten sie die Kommunikation und man fühlte sich eigenartig unsicher. Ich flirtete also heftig zurück, denn das erschien mir die angemessene Kommunikation. Doch Matthieu unterbrach das Spiel, als er plötzlich sagte: »Du findest mich doch nur gut, weil ich Franzose bin.« Ich war perplex. Wer sagte ihm denn, dass ich ihn gut fand. War das so offensichtlich? Wieder war ein Vorurteil bestätigt: Er fand es anscheinend normal, dass deutsche Frauen auf Franzosen stehen, und musste ein paar Mal erlebt haben, dass sie vor allem mit ihm flirteten, weil er so einen wunderbaren französischen Akzent hatte. Aber ich wusste zu kontern: »Na, und du findest mich doch nur gut, weil ich blond bin.« Wir mussten beide lachen, denn Blondinenwitze und Franzosenklischees befinden sich in ein und derselben Liga: Beide wollen nur das eine und sind daher leicht zu haben. Dabei war Matthieu gar nicht draufgängerisch, was mich wiederum ziemlich irritierte. Wahrscheinlich wollte er gar nichts von mir. Er brachte mich brav nach Hause und ich war es, die ihm vor der Tür noch ihre Telefonnummer gab. Dann verschwand er in den hellen Morgen. Ich dachte nur: Komisch, diese Franzosen!« Paula und Katja mussten beide lachen.
»Ich versuchte, diese Begegnung schnell zu vergessen, denn es ist ja allgemein bekannt, dass bei Franzosen toujours l’amour angesagt ist, und wenn Matthieu sich schon gleich am Anfang so zurückhaltend verhielt und nicht einmal nach meiner Telefonnummer fragte, dann konnte das alles nicht von großer Bedeutung sein. Die Franzosen gelten schließlich als die besten Liebhaber Europas, höflich und einfühlsam kommen sie doch schnell zum Wesentlichen. Und wenn man sich auf einen Franzosen einlässt, muss man mit viel Konkurrenz rechnen. Nicht umsonst gelten die französischen Frauen als besonders gut aussehend und in jeder Lebenslage perfekt gestylt. Frauen, die stets bemüht sind, zu gefallen. Koste es, was es wolle. Und das schien mir damals auch ratsam, wenn man den französischen Mann halten will, der sich à la Balzac oder Sartre nicht selten links und rechts ein paar Geliebte leistet. Nur mit Leidenschaft und Lust ist der Franzose zu ködern. Wenn überhaupt!
Ich war also recht erstaunt, als sich Matthieu urplötzlich, zehn Tage nach unserem ersten Treffen, bei mir meldete. Wir verabredeten uns auf einen Kaffee, und er fuhr mich mit seiner Vespa durch Berlin. Ein wunderschöner Nachmittag. Beim Abschied lud ich ihn zum Essen ein. Das war ein guter Vorwand, um sich wiederzusehen. Es war Spätsommer, noch relativ heiß, aber es gab bereits Kürbisse auf dem Biomarkt. Ich wollte Matthieu eine leckere Kürbissuppe kredenzen. Das Ergebnis fand ich trotz des hohen Verliebtheitsgrades gar nicht schlecht. Zum Kerzenanzünden war es noch zu hell und unser erstes Essen würde nicht das klassische Candle-Light-Dinner sein. Mir war es sowieso am wichtigsten, das Ganze so unverfänglich wie nur möglich zu gestalten. Der Franzose sollte sich bloß nicht einbilden, dass er und sein Akzent mir gefielen.
Matthieu war überpünktlich und aß die Suppe in wenigen Sekunden mit auffällig viel Brot auf. »Möchtest du noch einen Teller?«, fragte ich ihn etwas verlegen. »Nein, danke«, kam es wie aus der Pistole geschossen. »Bist du schon satt?«, fragte ich erstaunt. »Och ...« Ich hatte auch keinen großen Hunger, dafür war ich viel zu nervös. Schnell legte ich eine alte Edith-Piaf-Platte auf und sein Gesicht verzog sich. »Hast du nicht was anderes?«, nörgelte er. »Magst du Piaf nicht?«, fragte ich erstaunt. »Der Spatz von Paris« war für mich der Inbegriff des französischen Chansons. »Das ist eher die Generation meiner Eltern«, sagte Matthieu. Während ich weiter Rotwein trank, hörte er damit auf und saß in meinen Augen schier »auf dem Trockenen«. Ich überlegte fieberhaft, was ich ihm noch zu essen und zu trinken anbieten könnte. Das Einzige, was ich noch hatte, waren zwei halbwegs frische Äpfel. Ich staunte nicht schlecht, als er den Apfel genüsslich schälte und Stück für Stück verputzte, während ich einen Espresso zubereitete. Ich bat ihm den zweiten Apfel an, den er auch noch aß. Schließlich verabschiedete er sich relativ früh und ich blieb verunsichert zurück. Er müsse am nächsten Tag früh aufstehen, meinte er. Ich gab mir Mühe, das zu glauben. Doch ich wurde den Eindruck nicht los, dass irgendetwas nicht stimmte. Später konnten wir gemeinsam wunderbar über diesen ersten Abend lachen.«
Paula war richtig warm ums Herz geworden. Katja zahlte für beide, sie verabschiedeten sich mit Küsschen und beschlossen, sich ab jetzt regelmäßig zu treffen.
Was ist diesmal schiefgelaufen?
Das Vorurteil, dass Franzosen ständig nur an das eine denken und sich unablässig Geliebte leisten, trifft in der Regel nicht zu. Nur weil in französischen Filmen und Büchern viel die Rede von Untreue und Sex ist, kann man daraus nicht den Schluss ziehen, dass Franzosen grundsätzlich mehr betrügen oder leidenschaftlicheren Sex haben als wir Deutsche. Unsere westlichen Nachbarn unternehmen allerdings nichts, um das Klischee des wilden, heißblütigen Franzosen zu zerstören, im Gegenteil: Sie sonnen sich in diesem Vorurteil, denn der Ruf, der ihnen da vorauseilt, ist ja nicht der schlechteste. Auch wenn Katja ihren Matthieu als guten Liebhaber bezeichnet (was sie später tut), sollte man also nicht enttäuscht sein, wenn der Franzose, auf den man selbst trifft, nicht dem Klischee entspricht. Matthieu hatte wirklich einen anstrengenden Tag vor sich, von dem er Katja erst hinterher erzählte. Als gewissenhafter Mensch wollte er sich nicht mitten in der Woche »die Kante geben« – und Katja vor allem behutsam kennenlernen. Sie war verunsichert, weil er eben nicht dem Bild entsprach, das sie im Kopf hatte.
Aber das eigentliche Fettnäpfchen war die Suppe: Franzosen essen zwar Suppe, klar, aber nicht unbedingt im Sommer, wenn es warm ist. Und niemals als Hauptspeise. Wenn man im Kreise der engsten Angehörigen speist, kann man als Dame des Hauses auch mal »nur« eine Suppe kredenzen. Allerdings nur mit Fleisch- oder Fischeinlage. Eine Mahlzeit ohne Fleisch oder Fisch ist für den Durchschnittsfranzosen keine Mahlzeit. Suppe als Vorspeise und dann ... zumindest eine Quiche mit Speck. Katja und Matthieu haben später noch oft Kürbissuppe zusammen gekocht, aber bevor er an jenem Abend nach Hause fuhr, hielt er noch an einem Dönerstand.
Was können Sie besser machen?
Wenn Sie einen Franzosen oder eine Französin kennenlernen, dann wundern Sie sich nicht, wenn hemmungslos geflirtet wird. Das heißt aber nicht, dass es sofort »zur Sache« geht. Seien Sie nicht enttäuscht, wenn hinter dieser Flirtoberfläche zunächst einmal gar nicht der direkte Drang zur Tat steht. Das heißt nicht, dass dies nicht gewünscht ist, sondern dass Flirten an sich nicht unbedingt mit einer Absicht verbunden ist, sondern vielmehr zum guten Ton gehört. Sie können also auch zurückflirten, ohne dass Sie sich damit in eine prekäre Lage begeben oder irgendwelche Versprechungen machen. Wenn es Ihnen zu viel wird, dann ziehen Sie nicht gleich die Notbremse, oft reicht es auch, sich einfach wieder zurückzunehmen.
Und was, wenn Sie einen Franzosen zum Essen zu sich nach Hause einladen? Kein Problem, Franzosen mögen in der Regel deutsches und besonders österreichisches Essen sehr gerne – Sie müssen also nicht zum Französischkochbuch greifen. Schnitzel, Gulasch oder Käsespätzle sind ziemlich Erfolg versprechend. Und, kommen Sie Franzosen oder Französinnen jungen bis mittleren Alters nicht mit Edith Piaf. Das ist die Musik ihrer Eltern, der heute 60- bis 90-Jährigen. Die Chansons von damals werden heute von jungen Songwritern wie Benjamin Biolay, Coralie Clément oder Emilie Simon auf alternative Art und Weise interpretiert. Darüber hinaus hat sich der französische Hip-Hop unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen durchgesetzt und internationale Anerkennung erfahren.