30
Abdul Abdalla hatte in dieser Nacht ein ungutes Gefühl in sich. Normalerweise war er ein ausgeglichener Mensch und unterlag keinen Gefühlsschwankungen. Heute aber fühlte er sich nicht gut. Und irgendwie war er sicher, dass es mit dem letzten Telefonat mit Borran zusammenhing.
Vielleicht hatte er doch einen Fehler begangen, als er Borran und Johnnie McIntire hatte Kontakt zueinander aufnehmen lassen. Sicher, es war nur belangloses Zeug geredet worden und McIntire hatte Borran nichts verraten, was der nicht ohnehin schon gewusst hatte.
Aber so belanglos das Gerede auch immer gewesen sein mochte, vielleicht war darin eine Botschaft verschlüsselt gewesen. Vielleicht riskierten die Amerikaner es doch.
Es war unwahrscheinlich, sicherlich, aber Abdul Abdalla zog es plötzlich in Erwägung.
„Was ist los mit dir?“, fragte Dschuhaiman.
„Weiß nicht“, antwortete Abdul. „Ich spüre, da liegt etwas in der Luft.“
„Unsinn“, widersprach Ali Dschuhaiman. „Die Amerikaner werden sich hüten. Selbst ein Idiot kann sich an den Fingern einer Hand ausrechnen, dass er keine Chance hat. Ein einziger Knopfdruck und dann ...“
Abdul winkte ab. Dschuhaiman hatte vollkommen recht. Er wusste es selbst, aber dieses beklemmende Gefühl wollte einfach nicht weichen.
„Du löst Muhaischi im Schuppen ab“, sagte er. „Sofort, Ali. Schließ dich ein und höre auf jedes Geräusch. Falls etwas geschieht, drückst du den Knopf. Ich traue den Amerikanern nicht mehr.“
„Du siehst Gespenster.“
„Möglich“, gab Abdul Abdalla zu. „Und wenn, dann umso besser für uns. Wir beißen hier unweigerlich ins Gras, wenn wir den Ernstfall proben.“
Dschuhaiman war das klar. Vor einigen Tagen noch hatte er oftmals darüber nachgedacht, aber jetzt, nachdem ihnen der Coup gelungen war, hatte er eigentlich keinen Gedanken mehr daran verschwendet. Erst jetzt, als Abdul es sagte, kehrte der Gedanke wieder in seinen Kopf zurück.
Natürlich bissen sie unweigerlich ins Gras, zusammen mit einer Vielzahl von Amerikanern zwar, aber das machte den Tod für einen Menschen auch nicht angenehmer. Er fröstelte und zog sich den Pullover enger um den Körper.
„Muhaischi wird sich um unsere Gefangenen kümmern. Etwas intensiver als sonst. Ich traue auch McIntire nicht. Ich selbst bleibe draußen im Gelände und halte die Augen auf. Alles verstanden?“ Ali Dschuhaiman nickte. Er verließ die Wohnhalle der kleinen Farm und ging mit geduckten Schritten über den dunklen Hof herüber zur Lagerhalle, in der die tödliche Fracht lagerte, die er einsatzbereit gemacht hatte.
Jedenfalls hoffte er es. Ganz sicher war er seiner Sache nicht, aber darüber hatte er keinen einzigen Ton verloren.
Er gab das Codewort durch. Sekunden später öffnete sich die Tür. Muhaischi stand da und starrte ihn erstaunt an.
„Es ist doch noch zu früh.“
„Abdul will es so“, antwortete Dschuhaiman. „Dein Platz ist bei den Gefangenen.“
„Was hat das zu bedeuten?“
„Wahrscheinlich nichts“, antwortete Dschuhaiman mit ruhiger Stimme. „Halt die Augen offen und melde jede Unregelmäßigkeit sofort an Abdul weiter.“
Die beiden wechselten ihre Plätze. Dschuhaiman schloss sich in dem Schuppen ein und legte auch die schweren Riegel vor die Tür. Hier konnte ihn nie und nimmer jemand herausholen. Seine Augen waren eng zusammengezogen und strichen über die Raketen. Bei dem Gedanken, durch einen kleinen Knopfdruck eine Katastrophe auszulösen, fröstelte er noch mehr.
„Ich werde es tun“, sagte er schließlich leise vor sich hin, zündete sich eine Zigarette an und kauerte sich zwischen den Raketen auf den Boden. Aus dieser Position heraus würde er die Auslöser der Raketen am schnellsten und sichersten erreichen. Und wenn er den Knopf gedrückt hatte, blieben ihm vielleicht fünf Sekunden, sich in Sicherheit zu bringen, bevor der Triebsatz zündete.
Währenddessen begab sich Muhaischi in das Hauptgebäude der Farm, unterhielt sich kurz mit Abdul und schaute dem Anführer nach, als der mit der Maschinenpistole unter dem Arm nach draußen in der Dunkelheit verschwand.
Das komische Gefühl, das Abdul Abdalla hatte, schien ansteckend zu sein, denn in diesem Moment spürte auch Muhaischi ein seltsames Ziehen in seiner Magengegend.
Um sich abzulenken, dachte er an die beiden Frauen, die zusammen mit McIntire eingesperrt waren. Er dachte an beide gleichzeitig und seine Gedanken regten ihn auf.