13

„Jeffery Ballywater!“

Ballywater hatte den Wagen gerade vor der roten Schranke angehalten, die von zwei Militärpolizisten bewacht wurde. Er zuckte zusammen und drehte sich mit einem Ruck herum. Er kniff die Augen zusammen. Sekundenlang starrte er den großen, blonden Mann an, der in diesem Moment ebenfalls seinen Wagen verließ.

Ballywaters Gedanken überschlugen sich. Ganz hinten in seinem Kopf begann es zu ticken. Er kannte den Mann, der ihn gerade angerufen hatte, aber er konnte sich nicht an ihn erinnern. Trotzdem war er sicher, von diesem Mann ging eine Gefahr für ihn aus.

„Jeffery Ballywater!“

Mike Borran ging auf den Mann mit der tadellos sitzenden Uniform zu und streckte ihm die Hand entgegen. Ballywater schlug ein.

„Sie kennen mich nicht mehr, Jeffery? Oder soll ich Commander sagen?“

Ballywater winkte ab. „Helfen Sie mir auf die Sprünge.“

„Tommy“, sagte Mike. „Tommy und ich sind Freunde. Es ist schon einige Zeit her, Jeffery, aber Tommy, Sie und ich waren schon einige Male zusammen zum Essen.“

In Ballywaters Hirn klickte es. „Wie geht es Tommy? Ich habe lange nichts mehr von ihm gehört. Ist das ein gutes Zeichen?“

„Ganz sicher“, antwortete Mike. „Nehmen wir einen Drink zusammen, Jeffery?“

„Kommen Sie rein?“

„Jederzeit.“

Ballywater schaute ihn erstaunt an. Jedenfalls sollte es so aussehen. Mike jedoch war sicher, es lag etwas Gehetztes im Blick des Commanders. Es schien, als sei der gar nicht begeistert, Mike getroffen zu haben.

Ballywater schlug sich an den Kopf. „CIA“, sagte er. „Deswegen die Hektik, die seit zwei Tagen auf der Base herrscht. Was liegt an, Borran? Oder ist das ein Geheimnis?“

„Routinemäßige Überprüfung“, antwortete Mike. „Das ist alles.“

Zusammen mit dem Commander ging Mike ins Offizierscasino. Mike nahm einen Whisky, Ballywater einen Seven Up.

„Alkohol wäre mir lieber“, sagte er, „aber in einer halben Stunde beginnt mein Dienst. Vielleicht Unterricht, vielleicht ein Routineflug. Das weiß man niemals im Voraus. Raus damit, Mister Borran. Was liegt hier wirklich im Argen?“

„Wirklich nichts Bestimmtes“, wich Mike erneut aus. Damit hatte das Thema sich erschöpft. Noch einiges belangloses Zeug wurde geredet, dann war die halbe Stunde abgelaufen. Ballywaters Dienst begann. Mike sah ihn in der Baracke zwischen den Hangars verschwinden.

„Sind Sie ’n Freund vom Commander?“, fragte die Ordonanz.

Mike nickte und folgte dem Fingerzeig des Mannes mit der weißen Jacke, der auf das Titelbild eines Journals wies. Mike schaute den Mann fragend an.

„Daisy Masterson“, sagte der Junge. „Die Freundin des Commanders, Sir. Haben Sie das wirklich nicht gewusst?“

Das hatte Mike in der Tat nicht gewusst.

„Kann ich das Journal haben?“

„Macht zwei Dollar. Ich habe es gerade gekauft.“

Mike bezahlte, trank noch einen Kaffee und verließ das Casino.

Obgleich die Posten an den Sperren ihn inzwischen kannten und wussten, dass er von der CIA war, wurde er einer strengen Kontrolle unterzogen. Leibesvisitation. Genauso gründlich wurde sein Wagen durchsucht. Dann erst konnte er seinen Weg fortsetzen.

Mike fuhr bis zur nächsten Telefonzelle, nahm sich das Buch vor und suchte sich die Adresse von Daisy Masterson heraus.

Seventh Avenue. Eine vornehme Adresse. Das erstaunte Mike nicht bei einem Topmodell, das die Titelseite eines Journals schmückte.

Mike wusste selbst nicht warum er sie kennenlernen wollte. Es geschah aus einem unterschwelligen Gefühl heraus, dem er einfach nachgehen musste. Er läutete. Einmal, zweimal. Ohne Resonanz. Mike wollte sich schon wieder abwenden, als die Tür zum Nebenappartement geöffnet wurde.

Ein Mädchen mit einem dunklen Wuschelkopf schaute Mike taxierend an. Ärger blitzte in ihren Augen auf.

„Ich möchte verdammt wissen, was so Besonderes an diesem Weib dran ist, Mann“, fluchte sie. „Tu’n Sie mir einen Gefallen?“

„Jeden!“

„Sagen Sie mir, was zieht euch wie magisch an? Die roten Haare, die Neugier, wie sie angezogen aussieht?“

Mike zuckte die Schultern. „Ich weiß es noch nicht. Ich habe sie noch niemals in Natura gesehen.“

„Aber Sie laufen ihr nach. Wie die Araber. Die scheinen auf rote Haare und lange Beine zu stehen.“

Der dunkelhaarige Wuschelkopf zuckte die Schultern. Sie packte den Saum ihres Rockes und zog ihn langsam in die Höhe. So hoch, bis die schwarzen Strapse auf dem weißen Fleisch zu sehen waren. Und das waren Beine, bei denen ein richtiger Mann augenblicklich einen trockenen Hals bekam.

„Sind die vielleicht nicht genauso gut wie die der rothaarigen Ausziehpuppe, Mann?“

Mike nickte begeistert. „Was sagten die Araber dazu?“

Die Dunkelhaarige zog die Nase kraus. „Die hatten für mich keine Zeit. Die verschwanden einfach in der Wohnung. „War Daisy Masterson zu Hause?“

„Natürlich nicht.“

„Warum natürlich nicht?“

„Bin ich ein Auskunftsautomat, Mister? Und wenn, muss man einen Automaten nicht auch füttern, wenn etwas herauskommen soll?“

Mike verstand. Es geschah selten, dass er für Informationen zahlte, aber diesmal schien es sich zu lohnen. Die Kleine mochte das ehemalige Modell nicht, war eifersüchtig auf Daisy, obgleich sie aussah, als könnte sie an jedem Finger zehn Kerle haben.

„Okay, gehen wir herein.“

„Einen Hunderter?“

„Warum nicht.“

„Ich heiße Isabella.“

„Mike“, stellte Borran sich vor. Er folgte dem Mädchen in ein gemütlich eingerichtetes Appartement. „Also?“, fragte er. „Warum war Daisy Masterson natürlich nicht zu Hause?“

„Bulle sind Sie keiner?“

„Ganz weit davon entfernt.“

„Okay. Dienstags ist ihr Tag, Mike. Dann besorgt sie sich neuen Stoff.“

„Ist sie süchtig?“

Isabella del Rey lachte auf. „Hast du vielleicht geglaubt, sie dealt mit dem Zeug, Mann? Solange sie aussieht wie jetzt, kommt sie leichter an die Dollars heran. Ein Bildchen hier, eine Sitzung auf der Couch da. Das läppert sich, Mann.“ Mike registrierte es, aber er wusste, das half ihm wenig weiter.

„Waren die Araber zum ersten Mal da?“, wechselte er das Thema.

„Ich habe sie niemals vorher gesehen.“

„Würdest du sie vielleicht wiedererkennen?“

„Einer sieht aus wie der andere.“

„Versuch es zumindest. Okay, Isabella?“

„Einen Hunderter?“

Mike konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. In Washington würde man sich über die Spesenabrechnung wundern. Er nickte.

„Kann ich von hier aus telefonieren?“ Isabella del Rey deutete auf das Telefon. „Das Gespräch ist im Preis inbegriffen.“

Es dauerte nur einen Moment, dann hatte Mike seinen Freund Johnnie McIntire an der Strippe.

„Verdammt, das geht nicht so schnell, Mike. Benson ...“

„Hör auf mit General Benson, Johnnie. Besorg mir die Bilder unserer arabischen Freunde. Ich komme in einer Stunde mit einem Mädchen vorbei. Vielleicht haben wir Glück.“

Mike legte auf, bevor Johnnie McIntire ihm etwas antworten konnte.

„He, Mann, was soll das?“, fragte Isabella del Rey. „Doch ein Bulle?“

Mike schüttelte den Kopf. „Keine Angst, du schaust dir einige Bilder an, bekommst dein Honorar. Es gibt kein Protokoll. Niemand wird dich mehr kennen, niemand sich an deinen Namen erinnern. Wie komme ich in das Nebenappartement?“

„Durch die Tür, wenn du sie aufbrichst, oder über den Balkon. Aber vorsichtig. Es liegen sieben Stockwerke unter dir.“

Keine Schwierigkeit für Mike. Über den Balkon drang er in das Nebenappartement ein.

Es herrschte nicht das Durcheinander, das Mike erwartet hatte. Nur der Kleiderschrank im Schlafraum stand offen. Es gab einige leere Bügel. Ein Koffer war vom Schrank genommen und auf dem Bett gepackt worden. Einige Unterwäsche lag vor dem Bett verstreut. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, die Wäsche aufzuheben und sie ebenfalls in den Koffer zu packen.

Das konnte nichts anderes bedeuten, als dass Daisy Masterson so schnell nicht zurückkommen würde.

Mike durchsuchte die anderen Räume. Es gab Bilder von Jeffery Ballywater. Fotografien von Daisy selbst und einen Zettel neben dem Telefon. Verdeckt von einem Journal, das halb über den Zettel geschoben worden war. Wahrscheinlich nur aus diesem Grund hatten die Araber den Zettel übersehen.

Mike nahm den Zettel an sich und machte sich auf dem gleichen Weg wieder in das Appartement von Isabella del Rey.

Isabella hatte sich umgezogen. Besonders glücklich schien sie nicht über das, was man mit ihr vorhatte. Aber das Geld lenkte ihre Schritte.

McIntire hatte sich die Bilder aus Washington durchgeben lassen. Er sortierte gerade die Konterfeis der Araber, von denen man ganz sicher war, sie hatten hier mit Untergrundorganisationen zu tun.

Isabella del Rey ließ sich Zeit. McIntire, der noch von nichts wusste, nuckelte nervös an einer Zigarette. Auch Mike ließ Isabella in Ruhe. Sie trank zwei Whisky, dann richtete sie sich auf.

„Wer von euch zahlt mich aus?“

Mike legte zwei Hunderter auf den Tisch. Isabella schob zwei Bilder beiseite.

„Kein Zweifel?“, fragte Mike.

„Meine Augen sind noch in Ordnung, Süßer. Alles Übrige auch. Wetten?“

„Schon gewonnen“, winkte Mike ab, obgleich er innerlich gar nicht so kühl war, wie er sich äußerlich gab. Er rief eine Taxe für Isabella del Rey und wartete, bis die junge Frau verschwunden war.

Dann erzählte er Johnnie McIntire mit knappen Worten, was sich am Nachmittag ereignet hatte.

Man identifizierte die beiden Männer, die Isabella aussortiert hatte, als Ali Dschuhaiman und Kemal Muhaischi. Männer, die man leicht mit Abdul Abdalla in Verbindung bringen konnte. Aber allesamt Leute, die man nicht als politische Wirrköpfe bezeichnen konnte, die mit blutigen Taten den Lauf der Welt ändern wollten. Sie alle arbeiten nur für Geld. Man konnte sie für jeden Terrorakt einkaufen. Die Elite dessen, was es auf dem freien Mike zu kaufen gab.

Die Telefonnummer fiel Mike ein, die er in Daisys Appartement gefunden hatte. Er wählte die Nummer. Niemand meldete sich. Über die Zentrale ließ Mike sich die Adresse des Teilnehmers heraussuchen.

Al Winter. 3545 Second Avenue.

Damit war Mike immer noch nicht schlauer, aber er hatte es im Gespür, dass Winter mit den Schwierigkeiten zu tun hatte, die die Araber ihnen auf irgendeine Art und Weise bereiten wollten.

„Wie gefiel dir Isabella del Rey, Johnnie?“, wandte er sich an seinen Freund.

„Ausgezeichnet.“

Der Ire knurrte und zündete sich eine Zigarette an.

„Aber ich habe das Gefühl, dass sie sich nichts aus großen, starken, rothaarigen Männern macht.“

„Lass es auf einen Versuch ankommen, Johnnie.“

„Und wozu das alles?“

„Daisy Masterson ist Commander Jeffery Ballywaters Freundin. Sie ist süchtig, bekommt den Besuch zweier Araber, die man mit Abdul Abdalla in einen Topf werfen kann und die holen einige Sachen aus ihrem Appartement. In Nahost spielt Tommy Ballywater, Jefferys Bruder, U-Boot. Unter der Nummer, die ich neben Daisys Apparat gefunden habe, meldet sich niemand. Verdammt, ich neige nicht dazu, den Teufel an die Wand zu malen, Johnnie, aber da läuft einiges aus dem Gleis. Wir sollten nichts anbrennen lassen, Freund.“

Der Meinung war McIntire auch. Er war schon verschwunden, als Mike noch einmal Verbindung mit Washington aufnahm.

„Haben Sie inzwischen Kontakt zu Tommy Ballywater bekommen, General?“

„Noch nicht.“

„Dachte ich es mir doch. Veranlassen Sie, dass man Commander Ballywater überprüft, der auf unserem Luftwaffenstützpunkt Geschwaderführer ist.“

„Mit welcher Begründung?“

„Tommy Ballywater und der Commander sind Brüder, General. Seine Freundin ist süchtig und unterhält Verbindung zu Arabern. Zu Männern wie Kemal Muhaischi und Ali Dschuhaiman. Genau wie der Tote Utaibi lassen sich diese beiden mit Abdul Abdalla in Verbindung bringen. Sieht so aus, als hätten wir das Killerkommando beisammen.“

„Und den Commander wollen Sie mit einreihen?“

Mike zuckte die Schultern, doch das konnte der General natürlich nicht sehen.

„Ich will auf Nummer sicher gehen.“

„Ich melde mich morgen bei Ihnen im Hotel, Borran. Bis dahin haben wir alles über den Commander zusammengetragen. Aber ich denke, ich werde Sie enttäuschen müssen.“

„Das würde mich freuen, General.“

Das Gespräch war beendet. Mike zog sich um, um sich auf den Weg in die Second Avenue zu machen. Al Winter interessierte ihn.