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Kemal Muhaischi war noch einmal zurückgekommen. Er hatte den großen, blonden Mann beobachtet, der sich für Daisy Masterson interessiert hatte und anschließend im Nebenappartement verschwunden war. Er hatte auch beobachtet, dass Isabelladel Rey wenig später zusammen mit dem Blonden abgefahren war. Diese Entdeckung hatte Kemal augenblicklich an Abdul Abdalla weitergegeben.
„Vielleicht hat das Mädchen euch beobachtet“, vermutete der arabische Terroristenführer. „Ich schicke dir Dschuhaiman. Nehmt sie euch vor. Ruft mich sofort an, wenn ihr etwas herausgefunden habt. Nichts auf eigene Faust unternehmen. Jetzt nicht mehr.“
Kemal Muhaischi verstand. Es war keine Schwierigkeit für den Araber, in Isabellas Wohnung zu kommen. Dort wartete er seit mehr als einer Stunde und wurde langsam aber sicher schon nervös.
Sekunden später fuhr Muhaischi wie elektrisiert zusammen. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss. Kein Zweifel. Isabella del Rey kam in ihr Appartement zurück.
Kemal Muhaischi stand auf und wechselte den Standort. Er stellte sich so, dass die aufschwingende Tür ihn verdeckte und Isabella ihn nicht sehen konnte, als sie den Raum betrat.
Die junge Frau ging zum Tisch, stellte die Handtasche ab und begann sich auszuziehen. Zuerst ein Bad, anschließend wollte sie sich mit den schnell verdienten 200 Dollars einen flotten Abend machen.
Kemal Muhaischi stand wie angewurzelt hinter der Tür und starrte auf die junge Frau, die gerade ihren BH ablegte und nun nur noch mit einem knappen Slip bekleidet war.
Als Isabella sich dem Bad zuwandte, entdeckte sie den Mann hinter der Tür. Sofort erkannte sie, es handelte sich um einen der Männer, die Daisys Appartement schon einen Besuch abgestattet hatten und deren Bilder sie eben aus einer Vielzahl anderer ausgesucht hatte.
Wie versteinert blieb die junge Frau stehen. Entsetzt starrte sie in den Lauf der Waffe, die Muhaischi auf sie gerichtet hielt.
„Keinen Ton, oder es wird dein letzter sein, Baby!“, schnauzte Kemal und zum ersten Mal fiel ihm auf, dass er die Tonart amerikanischer Gangster angenommen hatte.
„Was wollen Sie?“
Isabella del Rey war alles andere als prüde, nun aber hob sie die Hände und presste sie sich gegen den nackten Busen.
„Wer war der Blonde, was wollte er und wohin bist du mit ihm gegangen?“ Isabella zitterte. Verdammte 200 Dollar. Sie hätte einfach wissen müssen, dass 200 so schnell verdiente Dollar Schwierigkeiten nach sich ziehen würden.
Es kostete die junge Frau einige Selbstüberwindung zu lächeln.
„Er wollte mich“, antwortete sie schließlich und ließ die Hände wieder sinken. „Ist das so schwer zu verstehen?“ Muhaischi schwitzte. So wie Isabella del Rey aussah, war das wirklich nicht schwer zu verstehen. Nur, er traute ihr nicht.
„Warum seid ihr nicht hiergeblieben?“ Isabella zuckte die Schultern. „Meine Wohnung gefiel ihm nicht, vielleicht war ihm auch das Bett zu hart. Was weiß denn ich? Ich zerbreche mir nicht den Kopf darüber, wenn jemand zahlt.“
„Wie viel hat er gezahlt?“
„200 Dollar“, antwortete sie schnell. „Die befinden sich noch in meiner Handtasche. Willst du sie vielleicht sehen?“ Muhaischi wollte. Er kramte in der Handtasche und fand die beiden Hunderter. Die Kniffe in den Scheinen wiesen darauf hin, dass Isabella sie von ein und derselben Person erhalten hatte.
Ein Flittchen!, dachte er und atmete schon erleichtert auf, als Isabela del Rey etwas sehr Dummes tat.
Blitzschnell hatte sie sich die Bronzestatue gegriffen, die auf dem Sideboard stand. Die schleuderte sie dem Araber entgegen, der vor einigen Stunden schon einmal in Daisy Mastersons Appartement gewesen war.
Muhaischi sah die Gefahr im letzten Moment. Leicht konnte er dem Wurfgeschoss ausweichen. Krachend landete die Statue neben ihm an der Wand.
Isabella del Rey war alle Farbe aus dem Gesicht gewichen. In diesem Moment sah sie ihren Fehler ein. Sie hätte sich weiter ruhig verhalten und weiter die Rolle eines leichten Mädchens spielen sollen. Die hatte der Araber ihr sicherlich abgekauft, nachdem er die zweihundert Dollar in ihrer Handtasche entdeckt hatte.
Jetzt kam er mit riesigen Schritten heran, packte sie am Arm und schleuderte sie auf die Couch.
„Und jetzt die Wahrheit“, verlangte er in einem zischenden Tonfall, der Isabella eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Das klickende Geräusch, mit dem Muhaischi die Waffe entsicherte, ließ sie zusammenfahren. Abwehrend hob sie die Hände.
„Mein Gott, ich weiß nicht, wer der Mann war“, sagte sie schnell. Er hieß Mike und wollte zu Daisy.“
„Das Geld stammt von ihm?“
„Das ist die Wahrheit.“
Muhaischi trat einen Schritt dichter an die Couch heran. „Er wird es dir nicht geschenkt haben, weil er heute seinen sozialen Tag hatte. Wofür hast du es bekommen?“
Als Isabella zögerte, kam die Hand herangeflogen. So schnell, dass die junge Frau nicht mehr ausweichen konnte. Klatschend landete sie ihr mitten im Gesicht und schleuderte sie auf die Couch zurück.
„Mach mich nicht wütend. Wenn du weiterleben willst, musst du dich für die richtige Seite entscheiden und auspacken, Baby. Die richtige Seite bin ich. Verstanden?!“
Isabella nickte. Es brach aus ihr heraus wie aus einem Wasserfall.
Muhaischis braune Gesichtsfarbe wurde immer heller. Verdammt, Abdul Abdalla hatte wieder einmal den richtigen Riecher gehabt. Beinahe unheimlich, dieser sechste Sinn für eine drohende Gefahr.
Bevor Muhaischi noch etwas sagen konnte, läutete es an der Tür.