20
General J. B. Millett der bislang vor dem riesigen Radarschirm gestanden hatte, wandte sich zu Mike Borran herum, als der die Befehlszentrale betrat.
Wenn Millett etwas auf den Tod nicht ausstehen konnte, dann waren es Zivilisten, die ihm bei der Arbeit über die Schulter blickten. Selbst dann, wenn diese Zivilisten des amerikanischen Geheimdienstes waren. CIA-Agenten, deren Befehlsgewalt in Sonderfällen weiter reichte, als seine eigene.
„Ballywater ist oben?“, fragte Mike. Er war etwas außer Atem. Seine Stimme klang aus diesem Grund auch etwas schrill.
„Seit etwa drei Minuten“, nickte der General. „In genau 57 Minuten wird der Einsatz beendet sein. Dann können Sie mit dem Commander reden.“
Borran trat dichter an den Radarschirm heran. „Wer ist der andere?“, fragte er und deutete auf den zweiten grünen Punkt, der sich in dieser Sekunde vom anderen trennte, so hatte es den Anschein.
„Lieutenant Jim Brighton“, antwortete Millett. „Kennen Sie den etwa auch, Mister Borran?“
Mike schüttelte den Kopf. Sein Blick war auf das rote Telefon gerichtet, das neben Millett auf einem Pult stand.
Benson!, dachte Borran. Verdammt, Benson! Du musst anrufen! Vielleicht haben wir noch eine winzige Chance! Komm, ruf endlich an!
Das Telefon blieb tot.
„Ist das eine gefechtsmäßige Übung?“ General J. B. Millett schaute Borran an. Ein mitleidiges Lächeln zeichnete sich auf seinem Gesicht ab.
„Natürlich“, antwortete er. „Wir nehmen bei solchen Übungen immer den Ernstfall an.“
„Wie sind die Maschinen bewaffnet?“ Millett zündete sich eine Zigarette an. Misstrauen flammte in seinem Blick auf. Mit unruhigen Fingern strich er sich durch die Haare.
„Was sollen diese Fragen, Mister Borran? Ihr, von der CIA, wisst doch verdammt genau, wie eine F 15 bewaffnet ist.“
„Zwei infrarotgesteuerte Redeye-Raketen. Zwei Raketen mit atomaren Mehrfachsprengköpfen. Richtig?“
Millett nickte. „Wozu diese Fragen?“
„Ich will nur sichergehen“, antwortete Mike.
„Sicher? Das verstehe ich nicht.“
Mike winkte ab. Seine Gedanken überschlugen sich. Irgendwo unten auf dem Gebiet, das Ballywater überflog, hielten sich Abdul Abdalla und seine Mannschaft auf. In einem Gebiet, das man wegen seiner zerklüfteten Berglandschaft kaum durchkämmen konnte. Irgendwo dort unten lauerten die Araber und warteten. Auf Ballywater?
„Kann man mit einer F 15 irgendwo dort unten heruntergehen?“
Millett quollen die Augen aus dem Kopf. Er schaute Mike an wie einen Irren, dann brach er in ein schallendes Gelächter aus.
„Mann“, keuchte er. „Dort können Sie sogar mit einem vollbesetzten Jumbo-Jet heruntergehen. Nur nicht landen, Borran. Runtergehen kann man überall!“
Mike nahm sich auch eine Zigarette. Mit wachen Augen verfolgte er die grünen Punkte auf dem Schirm. Da gab es nichts Außergewöhnliches. Wie von Geisterhand bewegt, huschten die Punkte über den Radarschirm in vorgezeichnete Quadrate.
Darüber an der Wand eine riesige Karte Von Arizona, auf der es die gleichen Quadrate gab. So konnte man immer genau und schnell finden, an welcher Position die beiden Maschinen sich befanden. „Sonst noch Fragen, Mister Borran?“
„Haben Sie gewusst, dass Ballywater mit einem rauschgiftsüchtigen Fotomodell zusammenlebt?“
„Fotomodell“, nickte Millett. „Für das Privatleben meiner Untergebenen habe ich mich nicht interessiert und werde es wohl auch nicht tun. Das fällt nicht ...“ Mike winkte ab. Er deutete auf die riesige Karte. „Irgendwo hier wartet ein arabisches Kommandounternehmen, Millett.“
Millett drückte seine Zigarette aus. „Und? Was haben wir damit zu tun?“
„Die Leute haben Daisy Masterson, Ballywaters Freundin, in ihrer Gewalt. Dazu einen Kollegen von mir und noch eine andere Frau.“
Jetzt erst wirkte Millett gespannt. „Weiter?“
„In Nahost befindet der Bruder von Ballywater sich ebenfalls in Gefangenschaft. Man hat die beiden Kontakt zueinander aufnehmen lassen, Millett.“
„Auf was wollen Sie eigentlich heraus, Borran?“
„Auf eine ganz einfache Frage, Sir: Ist Jeffery Ballywater leicht erpressbar?“ Millett griff nach einer frischen Zigarette und ließ sich von Mike Borran Feuer geben. Dann schüttelte er zwar den Kopf, aber sehr überzeugend wirkte das auf den CIA-Agenten nicht.
„Okay, Sir“, sagte Mike. „Versuchen wir es herauszufinden. Blasen Sie die Übung ab und lassen Sie die beiden Jäger zum Stützpunkt zurückkommen.“
„Sie sind verrückt, Borran!“
Benson in Washington hatte ähnlich reagiert.
Noch immer starrte Mike wie hypnotisiert auf das rote Telefon.
Warum läutete es nicht? Verdammt, war Benson wirklich blind? Sah er die tödliche Gefahr nicht? Nicht die verheerende Katastrophe, die es jeden Moment geben konnte, wenn er, Mike Borran, mit seinem Verdacht richtig lag.
„Blasen Sie die Übung augenblicklich ab, Millett!“, verlangte Mike noch einmal.
„Den Teufel werde ich tun, Borran. Ich sehe keinen verdammten Grund zu einem solchen Handeln.“
„Ballywater spielt falsch und arbeitet mit einer arabischen Terroristenorganisation zusammen.“
„Einen größeren Witz habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehört!“ Zwei andere Offiziere, die in der Nähe standen, konnten das verfolgen, was zwischen Mike Borran und Millett geredet wurde.
Mike drehte sich zu diesen beiden Männern herum.
„Sie werden sich später als Zeugen daran erinnern müssen, dass ich Millett den Befehl gegeben habe, die Übung abzublasen“, sagte der CIA-Agent sehr ruhig. „Auch daran, dass ich Millett gesagt habe, dass Ballywater mit Terroristen zusammenarbeitet.“
Millett lief rot an. Die beiden anderen zeigten keine Reaktion. Nur am kurzen Aufblitzen ihrer Augen konnte Mike erkennen, dass sie alles zur Kenntnis genommen hatten.
„Ich habe keine Ahnung wie weit ihre Befugnisse reichen, Mister Borran“, keuchte Millett. „Meine gehen so weit, dass ich Ihnen den weiteren Aufenthalt in der Leitzentrale untersage. Verschwinden Sie, bevor ich Sie durch die Militärpolizei herausbugsieren lasse!“
Schweiß stand Borran auf der Stirn. Er wusste genau, er war schon viel zu weit gegangen. Wenn er mit seinen Vermutungen nicht richtig lag, dann würde man ihn zur Rechenschaft ziehen, was sehr unangenehm für ihn werden konnte.
Aber verdammt, da gab es eine Gefahr, die die ganze Nation anging. Deutlich sah Mike sie vor sich. So plastisch, dass er sie beinahe greifen konnte.
„Colonel!“
Einer der Offiziere wandte sich zu Mike herum. Er trat einen halben Schritt weit nach vorn.
„Sind Sie General Milletts Stellvertreter?“
„Ja, Sir.“
„Sie übernehmen ab sofort das Kommando, Colonel!“
Millett kochte. Die Adern an seinem Hals quollen als dicke Stränge weit hervor.
„Dieser Mann ist wirklich wahnsinnig“, keuchte er und deutete dabei auf Mike Borran. „Colonel Williamson, Sie werden ...“
„Versuchen Sie, die Maschinen zurückzuholen, Colonel“, wandte Mike sich besonnen an Williamson. „Sie haben jetzt das Kommando und die Verantwortung für die Männer. Jeden Moment wird aus dem Pentagon die Bestätigung kommen.“
Williamson saß zwischen den Stühlen. Irritiert schaute er in die Runde. Da gab es niemand, der ihm seine Entscheidung abnahm. Dieser Fall war ein Novum. Noch niemals hatte ein Zivilist, auch kein CIA-Agent, die Befehlsgewalt von einem Offizier auf den anderen übertragen.
„Ich weiß wirklich nicht, Sir ...“
„Verdammt, Colonel, sind Sie nun Offizier, oder nicht? Brechen Sie gefälligst die Übung ab. Veranlassen Sie weiter, dass eine weitere F 15 bereitgestellt wird. Ich werde Ballywater nachfliegen und ihn notfalls abschießen!“
In genau diesem Moment läutete das rote Telefon.
„Gehen Sie ran, Colonel!“
Williamson hob ab und nahm augenblicklich Haltung an. Ein untrügliches Zeichen für Mike, dass Benson sich am anderen Ende der Leitung befinden musste.
„Yes, Sir“, sagte Colonel Williamson aufgeregt. „Alles verstanden, Sir. Ich gebe Ihnen Borran, Sir.“
Mike nahm den Hörer an sich. Es war Benson und seine Stimme klang ziemlich dünn.
„Was ich gefällt habe, Borran, das ist eine verdammt einsame Entscheidung.“ Es folgte ein Fluch.
„Danke, Sir.“
„Darauf huste ich, Borran. Wenn Sie mit Ihrem Verdacht falsch liegen Mann, dann kann ich mit halber Pension nach Florida zum Angeln. Sie haben das Kommando. Die Leitung zu mir bleibt offen. Stellen Sie mir jemand an den Apparat, der mich über jeden Schritt unterrichtet. Wenn mir etwas nicht gefällt, werde ich es sagen. Ich will über alles unterrichtet sein, was sich in dem verdammten Arizona ereignet, Borran. Über absolut alles.“
Mike winkte Millett heran. „General Benson aus dem Pentagon. Erstatten Sie ihm Bericht über alles, was sich von diesem Moment an ereignet, Millett. Lassen Sie nichts aus.“
Mit versteinertem Gesicht nahm Millett den Hörer an sich. Er wollte etwas sagen, aber es schien, als habe Benson in Washington ihm augenblicklich das Wort abgeschnitten.
Colonel Williamson hatte inzwischen den Befehl, eine weitere F 15 startklar zu machen, weitergegeben. Dann schaltete er sich in den Bordfunk der beiden Maschinen ein, die sich im Einsatz befanden.
„Ende der Übung“, sagte er. „Drehen Sie bei und nehmen Sie direkten Kurs auf den Stützpunkt.“
Brightons Meldung kam augenblicklich. Er bestätigte den Befehl. Auf dem Radarschirm änderte ein grüner Punkt seine Position.
„Ballywater“, rief Williamson. „Commander Ballywater! Haben Sie den Befehl nicht verstanden?“
„Doch, natürlich, Sir.“ Ein hohles Lachen klang auf. „Doch darauf huste ich. Mein Einsatz ist noch nicht beendet. Für mich ist das alles auch keine Übung, sondern der Ernstfall.“
Williamson wurde bleich.
Am Telefon gab Millett die Reaktion von Commander Ballywater an General Benson weiter.
„Borran“, sagte Millett dann. „Das Pentagon überträgt Ihnen die Befehlsgewalt auf diesem Luftwaffenstützpunkt.“
Mike atmete erleichtert auf und schaute Williamson an.
„Wenn Brighton versucht, Commander Ballywater abzuschießen, Colonel, gibt es dann Schwierigkeiten wegen der Atomsprengköpfe an den Raketen?“
„Nicht, solange die von Ballywater nicht scharf gemacht worden sind, Sir. Das kann er von der Maschine aus machen.“
„Vom Boden aus ist das auch möglich?“
„Keine Schwierigkeit für jemand, der etwas davon versteht.“
Mike rieb sich den Schweiß aus der Stirn.
„Ballywater kann mithören, wenn ich Brighton diesen Befehl gebe, Sir“, sagte Williamson.
Mike nickte. Er unterschätzte die latente Gefahr nicht, die sich abzeichnete.
„Ist Brighton schnell? Ich meine, reagiert er blitzartig auf einen Befehl?“
„Das weiß ich nicht, Sir. Wir hatten einen solchen Fall noch nicht, dass ein Kamerad den anderen abschießen musste und wir haben ihn auch niemals wirklich in Erwägung gezogen.“
„Wir müssen es versuchen, Williamson. Lassen Sie Brighton Sichtkontakt zu Ballywater aufnehmen. Ordnen Sie einen Staffelflug zum Flughafen an.“ Williamson gab den Befehl durch. Auf dem Radarschirm gab es einige Verschiebungen der kleinen grünen Punkte, als die Maschinen erschienen.
Über Millett wurde General Benson unterrichtet. Kein Einspruch des Generals aus dem Pentagon. Der hatte sich zu einem Entschluss durchgerungen und wich nicht einen Millimeter von seiner Linie ab.
„Ballywater weicht aus, Sir“, sagte Williamson.
Auf dem Radarschirm zog einer der Punkte nach rechts weg. Williamson schwitzte sich die Seele aus dem Leib. Nervös zündete er sich eine Zigarette an.
„Verdammt, Borran! Ballywater scheint den Braten zu riechen!“
„Brighton soll ihm folgen, Colonel. Er muss ihn erwischen. Was ist mit meiner Maschine?“
„Startklar“, meldete sich jemand anderer zu Wort. „Runway one. Die Turbinen laufen bereits.“
Zwei Männer erschienen mit einer Fliegermontur, die Mike sich in aller Eile anlegte. Wohl war ihm nicht in der Haut. Er kannte den Maschinentyp der F 15, wusste wie man einen solchen Vogel flog, wusste aber auch, dass er Ballywater hoffnungslos unterlegen war, wenn es zu einem Luftkampf kommen würde. Bevor er sich abwenden und den unterirdischen Bunker verlassen konnte, geschah es.