25
Der Morgen graute über Arizona, als man ihn aus dem Kellergewölbe der alten Farm herausholte.
Johnnie McIntire hatte in dieser Nacht noch kein Auge zugetan.
Im Gegensatz zu Isabella del Rey, die irgendwann vor Erschöpfung eingeschlafen war. Selbst jetzt, als man ihn holte, wachte die junge Frau nicht auf.
„Ich will dir etwas zeigen, McIntire“, sagte Abdul Abdalla. „Ich hoffe nur, deine Nerven sind stark genug, und du drehst nicht einfach durch.“
Johnnie McIntire dachte an den Anblick einer Mündung, aus der ihm der Tod entgegenschlagen würde. Das ließ ihn natürlich nicht kalt, auch ein CIA-Agent wurde gerne alt, aber das konnte ihn auch nicht aus der Ruhe bringen. Dieses Ende hatte jeder einkalkuliert, der sich dem Geheimdienst verschrieben hatte.
Johnnie folgte Abdul Abdalla nach draußen bis vor den langgezogenen Schuppen, dessen Tür nun weit offen stand.
Was er sah, stellte ihm den Atem ab.
Drei fahrbare Lafetten. Raketenabschussbasen, zusammengetragen aus aus gemusterten Heeresbeständen, nach hier gebracht, vielleicht Stück für Stück und liebevoll wieder zusammengebaut. Kriegsinstrument, über das alte Militärs die Nase gerümpft hatten. Jetzt war es wieder einsatzbereit.
Genau wie die drei Raketen, die man inzwischen auf die Lafetten installiert hatte. Und über diese Raketen, das stellte Johnnie McIntire auf den ersten Blick fest, würde niemand die Nase rümpfen können.
Eine Redeye, zwei andere, ähnliche Typen. Unzweifelhaft mit atomaren Mehrfachsprengköpfen.
Ali Dschuhaiman legte gerade letzte Hand an die gefährliche Fracht. Dschuhaiman sah übermüdet aus. Genau wie Abdalla und Kemal Muhaischi. Aber ihre Gesichter waren gezeichnet vom Triumph des Erfolges, den sie in dieser Nacht zweifelsohne errungen hatten.
McIntire versuchte sein Entsetzen mit einem schiefen Lächeln zu überspielen.
„Falls ihr die Dinger wirklich zündet, fliegen sie euch mitsamt den schrottreifen Lafetten um die Ohren“, sagte er.
Abdul Abdalla erwiderte das Grinsen und sah dabei aus wie ein Tiger kurz bevor er sein Gebiss in den Nacken eines Opfertieres gräbt.
„Vielleicht, McIntire“, sagte er. „Vielleicht aber auch nicht. Dann fliegen hier in Arizona zwei Atomreaktoren in die Luft. Was glaubst du wohl, wie viele Menschen dabei ihr Leben verlieren, he?“
McIntire versuchte erst gar nicht, darüber nachzudenken.
Abdallas Gesicht entspannte sich wieder. Ali Dschuhaiman trat von den Lafetten zurück und rieb sich die feuchten Hände an der Hose trocken. Sein nackter Oberkörper glänzte.
„Weißt du auch, was ich mir Schönes für dich ausgedacht habe, McIntire?“, fragte er böse.
„Ganz bestimmt etwas Nettes bei deinem ausgesprochen guten Charakter“, antwortete Johnnie.
Dschuhaiman grinste. „Sicher“, antwortete er. „Du sollst als Erster einmal von ganz nah in einen Atomblitz sehen können. Wir werden dich als Maskottchen an die erste Rakete hängen, die wir abfeuern. Wie gefällt dir das, Mann?“
„Damit erfüllst du mir direkt einen Herzenswunsch“, antwortete Johnnie und zeigte Dschuhaiman die Zähne. „Du bist ein wirklicher Freund. Allah wird es dir lohnen.“
Kemal Muhaischis Schlag traf McIntire in die Nieren und schleuderte ihn zu Boden. Japsend schnappte er nach Luft. Nur langsam zerplatzten die Sterne die vor seinem geistigen Horizont aufgegangen waren. Der Schmerz wich und ganz hinten in seinem Kopf meldete sich ein Gedanke, der ihm sagte, dass er die Araber nicht reizen durfte.
Von diesem Moment an war er nutzlos für Abdul Abdalla und sein Kommandounternehmen. Die hatten ihr Ziel erreicht. Sie konnten ihn ausradieren und kein Hahn würde mehr nach ihm krähen.
Mühsam rappelte sich Johnnie in die Höhe.
„Was ist mit Ballywater?“, fragte er.
„Der ist in Sicherheit“, sagte Abdul Abdalla.
„In absoluter Sicherheit“, fügte Dschuhaiman hinzu und handelte sich einen vorwurfsvollen Blick seines Anführers dafür ein.
Johnnie McIntire wusste sehr gut, was diese absolute Sicherheit zu bedeuten hatte. Und aus Abdul Abdallas Reaktion las der CIA-Agent noch etwas anderes heraus.
Abdalla hatte gar nicht vor, sich mit einem Blutbad aus den Staaten zu verabschieden, wenn es sich eben umgehen ließ. Er hatte auch nicht vor, Daisy Masterson, Isabella del Rey und ihn, McIntire, zur Hölle zu schicken. Abdul rechnete vielmehr damit, dass der Zauber hier sehr bald vorbei war und dann brauchte er sie dafür als Garanten, dass er unbeschadet wieder aus diesem Land herauskam.
Deshalb die beiden Sportmaschinen. Für nichts anderes als die Flucht waren die bestimmt.
Und Garanten für einen reibungslosen Abzug waren die Geiseln. Abdul würde dem Wort eines amerikanischen Unterhändlers sicherlich niemals trauen, sondern mit seinen Gefangenen auf Nummer Sicher gehen wollen.
Also verdammt keine akute Lebensgefahr für Daisy, Isabella und für ihn selbst, McIntire.
Noch war nicht aller Tage Abend, und noch gab es Mike Borran. Der würde alles daransetzen, sie hier nicht verkommen zu lassen, wenn ihm die Flucht nicht aus eigener Kraft gelang.
„Was bezweckt ihr eigentlich?“, fragte Johnnie.
„Das wird eurer Regierung gerade übermittelt.“