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Jeffery Ballywater war pünktlich. Um exakt 22.00 Uhr erreichte er das Gelände des Drive Inn und Motels. Der Portier stellte keine Fragen, er händigte Jeffery Ballywater den Schlüssel zum Bungalow 13 aus.

Ballywater parkte den Wagen direkt vor der Tür. Schwere Gardinen waren vor die Fenster gezogen. Nur ein schwacher Lichtschimmer fiel nach draußen.

Ballywater hatte nichts anderes erwartet. Natürlich erwartete man ihn. Er fragte sich nur, was man von ihm verlangte. Nachdem, was man über ihn gesammelt hatte, konnte das nicht wenig sein.

Gefasst betrat Ballywater den Bungalow. Im Livingroom brannte Licht. Mit dem Fuß stieß er die Tür auf. Er erwartete, einigen Männern gegenüberzutreten. Aber da gab es nur Daisy Masterson, die auf der Couch lag. Bekleidet mit einem durchsichtigen Morgenmantel, der von ihren Reizen mehr freigab, als er verdeckte.

Sie lag da, lächelte Jeffery Ballywater an und erhob sich langsam. Ihr Blick war klar, ihre Bewegungen kontrolliert. So trat sie Jeffery Ballywater entgegen, blieb einen Schritt vor ihm stehen und ließ sich dann einfach nach vorn, in seine ausgebreiteten Arme fallen.

Ballywater hielt ihren zitternden Körper fest. Er spürte die Tränen, die Daisy über das Gesicht rannen, die sein Hemd durchdrangen und seine Haut benetzten.

„Oh, Jeffery“, sagte sie. „Wir sind verloren. Es ist meine Schuld.“

„Ruhig, Baby.“ Ballywater strich ihr über das lange rote Haar, das ihr bis weit über die Schultern hinabreichte. „Was ist passiert, Baby? Wer sind die Leute? Was verlangen sie?“

„Das kann Daisy nicht wissen, Mister Ballywater.“

Die Tür zum Schlafzimmer hatte sich geöffnet. Ballywater ließ Daisy los. Entgeistert starrte er die drei Araber an, die den Raum betraten. Keinesfalls bedrohlich. Auf den ersten Blick hätte man sie für geladene Gäste halten können.

Unwillkürlich dachte Ballywater an seinen Bruder, der im Auftrag der CIA in Nahost eingesetzt war und dessen Bilder er ebenfalls auf dem Videoband hatte sehen können.

Zuerst wurde Ballywater bleich, dann rot. Es sah aus, als wolle er sich auf die drei Araber stürzen.

„Wenn Sie durchdrehen, verschlimmern Sie Ihre Situation nur, Commander Jeffery Ballywater!“

„Ich habe die Polizei verständigt.“ Abdul Abdalla lächelte. „Mit soviel Dummheit hätten sie es nicht einmal zum Sergeant gebracht, Commander“, antwortete der Araber. „Zum anderen ist nicht die Polizei, sondern der Geheimdienst für uns zuständig. Und das haben Sie auch verdammt schon in dem Moment gewusst, als Sie Ihren Bruder auf der Mattscheibe gesehen haben. Die Aufnahmen sind zwei Tage alt, Commander. Es geht ihm von Tag zu Tag schlechter. Es liegt an Ihnen, ob Tommy mit dem Leben davonkommt. Es liegt auch an Ihnen, ob Daisy mit dem Leben davonkommt. Von Ihnen selbst wollen wir erst gar nicht reden. Sie sind ein Mörder, nicht einen Deut besser als wir. Also tragen Sie den Kopf nicht so hoch.“

Jeffery Ballywater zuckte zusammen. Er folgte dem Wink von Abdalla und setzte sich in einen der Sessel. Nervös zündete er sich eine Zigarette an.

„Was, verdammt, wollen Sie?“

„Blutvergießen vermeiden, Menschenleben retten und Sie zum reichen Mann machen, Ballywater. Sobald Sie unsere Forderungen erfüllt haben, können Sie und Daisy mit unserer Hilfe und einer Million das Land verlassen. Vielleicht nach Südamerika. Es ist alles vorbereitet.“

„Was wird aus meinem Bruder?“

„Er wird in die Staaten zurückkehren. Niemand wird erfahren, dass er etwas mit der Sache zu tun hatte.“

Jeffery Ballywater rauchte einige heftige Züge. Dabei schaute er Daisy Masterson an. Das Licht der Deckenbeleuchtung ließ den Stoff des Morgenmantels noch transparenter erscheinen. Im Grunde war sie nackt. Ihre Schönheit traf Ballywater wie ein Faustschlag in den Magen.

„Um was geht es?“, fragte er mit spröder Stimme, während er verwundert feststellte, dass keiner der Araber sich für die Reize von Daisy interessierte.

„Um die nächste Nachtübung, die für morgen angesetzt ist, Commander Ballywater.“

„Sie sind verdammt gut unterrichtet.“ Abdul Abdalla lächelte geschmeichelt. „Das ist unser Job“, antwortete er. „Wir wissen, dass Sie unter gefechtsmäßigen Bedingungen den Ernstfall proben, an den Sie gar nicht glauben. Das heißt mit anderen Worten, Ihre Bewaffnung an Bord wird komplett sein.“

Das war vollkommen richtig. „Und?“

„Es wird zu einem Zwischenfall kommen, Commander.“

„Zu welchem?“

„Sie verlieren die Raketen an einer Stelle, die wir Ihnen noch bekanntgeben.“

Ballywater brach der Schweiß aus allen Poren gleichzeitig aus.

„Raketen mit Atomsprengköpfen“, keuchte er.

Abdul Abdalla nickte knapp. „Richtig“, sagte er. „Atomsprengköpfe, die Sie von der Maschine aus scharf machen können. Aber das werden Sie nicht tun, Commander. Das ist alles.“

„Sie sind verrückt, Mann!“

„Zerbrechen Sie sich darüber nicht den Kopf“, antwortete Abdalla. „Denken Sie an Daisy und an Ihren Bruder. Vielleicht auch an die eine Million und an ein ruhiges Leben in Südamerika. Man wird Sie nicht suchen, sondern annehmen, dass Sie tot sind.“

Ballywater brauchte einen Drink. Er schenkte sich einen doppelten Whisky ein und stürzte ihn auf einen Zug herunter.

„Verdammt, was haben Sie mit den Raketen vor?“

„Unsere Sache, Commander. Wir lassen Sie jetzt mit Daisy zwei Stunden lang allein. Sie sind wirklich ungestört. Niemand von uns wird sich in der Nähe aufhalten. Denken Sie nach, oder nehmen Sie von Daisy und Ihrem Bruder Abschied. Anschließend jagen Sie sich selbst eine Kugel durch den Schädel. Ein schneller Tod ist angenehmer, als ein Leben in der Zelle und jede Nacht die Angst davor, dass man Sie wegen dem Mord an Ihrer Frau hinrichtet.“

Abdul Abdalla gab seinen Leuten einen Wink. Sekunden später hatten die Araber den Bungalow wirklich verlassen. Trotzdem vergewisserte Jeffery Ballywater sich noch einmal davon, dass sie wirklich allein waren. Dann nahm er sich noch einen Drink.

„Du hast eine Waffe dabei, Jeffery“, sagte Daisy Masterson. „Erschieß erst mich, dann dich. Es ist der einzige Weg, wenn du die Bedingungen nicht akzeptierst. Bislang haben sie mir nichts getan. Ich habe Angst vor dem, was sie mir antun, wenn du ein falsches Spiel versuchst, Jeffery. Fürchterliche Angst. Ich bin nicht sehr tapfer.“

Ballywaters Gedanken überschlugen sich. Er konnte sich nicht konzentrieren. Er starrte Daisy an, nahm ihre unwiderstehliche Schönheit in sich auf und wusste genau, er würde niemals auf sie schießen können. Genauso wenig wie er sich selbst erschießen konnte. Verdammt, er hing am Leben. Schon mehr als einmal war eine Rakete wegen eines technischen Defekts über der Wüste von Arizona verloren worden. Natürlich waren sie von dazu ausgebildeten Spezialsuchtrupps allesamt wiedergefunden worden.

Im gleichen Atemzug dachte er an seinen Bruder Tommy und an das Zuchthaus.

Der Mord an seiner Frau lag zwei Jahre zurück, aber Mord verjährte nicht. Daisys Aussage, wie immer sie auch zustande gekommen war, würde ihn hinter Gitter bringen. Schon damals hatten sich Zweifel an den Aussagen wegen dem Tod seiner Frau ergeben. Jeder hatte gewusst, dass es in der Ehe gekriselt hatte und es mit Daisy Masterson durchaus ein Motiv gegeben hatte, das Seil absichtlich loszulassen, an dem June gehangen hatte.

Langsam trat Jeffery Ballywater auf Daisy Masterson zu, die wie eine schöne Statue im Raum stand und ihn aus großen, angstvoll geweiteten Augen anstarrte.

„Wir werden leben, Baby“, sagte er leise, als er sie in die Arme nahm. „Egal wo, aber wir werden zusammenleben und das alles ganz schnell vergessen. Genau wie wir die Sache mit June, meiner Frau, vergessen haben. Keine Angst, Baby, wir werden leben!“