17
Johnnie McIntire erwachte auf der Pritsche eines geschlossenen Lieferwagens, der über eine unebene Strecke holperte. Von einer Seite auf die andere wurde der CIA-Agent geworfen.
An Händen und Füßen hatte man ihn zusammengebunden. Derjenige, der ihn gefesselt hatte, hatte sein Handwerk verstanden.
„Sind Sie wach?“
Die Stimme kam von rechts. Johnnie kniff die Augen zusammen. Verschwommen sah er den Schatten von Isabella del Rey. Sie saß in der linken Ecke des geschlossenen Kastenaufbaues. Die Hände etwas über den Kopf erhoben. Eine komische Haltung. Es dauerte einige Sekunden, bis Johnnie feststellte, dass man die Hände der jungen, schönen Frau dort an einem Holm gebunden hatte.
Johnnie ließ sich zu ihr herüberrollen und krümmte seinen Körper so in die Ecke des Wagens, dass er nicht mehr über die Ladefläche rollen konnte.
„Verdammt, was haben die Burschen mit uns vor?“, fragte er.
Johnnie hörte das trockene Schluchzen der Frau. Einige Zeit verstrich, dann brach das Schluchzen ab.
„Was fragst du mich“, kam es böse zurück. „Du bist schließlich von der CIA. Du müsstest es wissen.“
Johnnie stieß einen Fluch aus. Natürlich hatten die Araber inzwischen herausgefunden, welchem Verein er angehörte. Er befand sich in den Händen der Gegenseite und er wunderte sich darüber, dass man ihn nicht einfach ausgeschaltet hatte, wie es Sitte war in diesem Krieg der unsichtbaren Fronten.
„Keine Ahnung“, antwortete Johnnie. „Was hast du mit den Brüdern zu tun, Isabella?“
„Nichts“, kam es etwas leiser und etwas weniger ärgerlich zurück. „Ich habe sie nur einmal gesehen, als sie in Daisy Mastersons Appartement verschwanden. Und, verdammt, ich hätte deinem Freund gegenüber den Mund halten sollen. Die scheiß 200 Dollar haben mich in Schwierigkeiten gebracht. Jetzt frage ich mich ernstlich, ob ich noch jemals Gelegenheit dazu haben werde, das Geld auszugeben. Da gibt’s eine wunderschöne, teure Boutique ...“
„Keine Sorge“, sagte Johnnie im Brustton der Überzeugung. „Wenn die vorhätten uns auszuschalten, dann wäre es schon lange geschehen.“
So überzeugt wie es klang, war Johnnie McIntire gar nicht. Abdul Abdalla, der das Zepter schwang, würde sich ausrechnen, dass er mit einer CIA-Geisel etwas leichteres Spiel hatte. Egal, was er auch immer plante.
Innerlich stieß Johnnie einen saftigen Fluch aus. Dann wandte er sich wieder an Isabella del Rey.
„Nur die Nerven nicht verlieren, Baby“, sagte er leise. „Auf meinen Partner habe ich mich noch immer verlassen können. Und ich bin auch nicht ganz ohne, das kannst du mir glauben. Verlass dich darauf, wir beiden Hübschen werden zusammen in die teure Boutique gehen und dann kannst du dort wüten wie Lady Rockefeller. Das verspreche ich dir.“
Isabella del Rey lachte auf. „Und du bezahlst, he?“
„Nicht die Spur“, antwortete McIntire. „Der amerikanische Steuerzahler. Das ganze lassen wir unter Spesen laufen.“
„Und das geht so einfach?“
So einfach nun auch wieder nicht, dachte Johnnie, aber er nickte heftig.
Dann stoppte der Lieferwagen. Johnnie konnte sich in seiner Ecke nicht mehr halten. Quer rollte er durch den Wagen, zog automatisch den Kopf zwischen die Schultern und knallte mit der Seite gegen die Rückwand des Kastenaufbaues.
Türen schlugen, arabische Worte wurden gewechselt. Die hintere Tür des Lieferwagens wurde aufgerissen. Grelles Sonnenlicht fiel ins Innere. Geblendet schloss Johnnie McIntire die Augen. Er spürte die Hände, die nach ihm griffen und ihn von der Ladefläche herunterzerrten. Erst als er auf dem trockenen Wüstenboden landete, öffnete er die Augen.
Über ihm stand der Mann, dem er im Appartementhaus das Nachsehen gegeben hatte. Ali Dschuhaiman. So wie der ihn anstarrte, konnte Johnnie sich ausrechnen, dass er wenig glücklichen Zeiten entgegensah.
Er versuchte noch, sich beiseite zu rollen. Der Tritt kam jedoch so schnell, dass Johnnie ihm nicht entgehen konnte. Die Schuhspitze senkte sich in seine Rippen. Es knirschte verdächtig. Johnnie spürte einen tierischen Schmerz. Die Luft wurde ihm knapp. Feurige Kreise tanzten vor seinen Augen.
„Als Nächstes werde ich dir die Ohren abschneiden, Mister CIA“, drohte Dschuhaiman mit zitternder Stimme. „Die brauchst du nämlich nicht mehr!“
„Bringt sie rein!“
Johnnie konnte wieder klar sehen. Sie hatten ihn auf eine alte, längst aufgegebene Farm gebracht. Ein verfallenes Gebäude. Die Zäune, die das Grundstück umgaben, waren an vielen Stellen gebrochen. Wind und Wetter hatten den totalen Verfall eingeleitet. Aber das langgezogene Haus sah nicht so aus, als würde es über dem Kopf von Abdul Abdalla zusammenstürzen, der in der Tür stand.
Muhaischi zerschnitt Johnnie die Fußfesseln und riss ihn mit einem Ruck auf die Beine. Sofort stürzte Johnnie wieder in den Staub. Das Blut schoss in seine Füße zurück, hinterließ einen atemberaubenden Schmerz. Es dauerte Sekunden, bis Johnnie es schaffte, sich wieder auf die eigenen Füße zu stellen. Er taumelte vorwärts. Um den Wagen herum. Dann sah er die beiden Sportmaschinen, die direkt hinter dem Haus, neben einem langgezogenen Schuppen standen. Der war groß genug, dass man die Sportflugzeuge darin unterbringen konnte.
Johnnies Gedanken überschlugen sich. Zwei Sportmaschinen mitten in der Wüste, abgeschirmt durch die hohen Berge, die sich rings um diese Ebene erhoben. Gerade weit genug, dass die Maschinen starten und landen konnten.
Hinter ihm wurde Isabella del Rey von der Ladefläche gehoben. Muhaischi erledigte das. Seine Finger tasteten während dieser Aktion gierig über den formvollendeten Körper der dunkelhaarigen Frau.
Johnnie erhielt einen Stoß in den Rücken. Er taumelte nach vorn, dem Eingang entgegen, den Abdalla inzwischen freigegeben hatte.
Der CIA-Agent landete in einer riesigen Wohnhalle, die noch erstaunlich gut erhalten war. Dicke Balken stützten die Decke. Rechts gab es einen offenen Kamin. Eine Kochstelle an der Frontwand. Ein langer Tisch, einige Stühle. Auf dem Tisch ein Funkgerät. Rechts neben dem Fenster, mit den halbblinden Scheiben, hing ein Telefon. Das deutete darauf hin, dass dieses Gebäude solange noch gar nicht leerstehen konnte.
Im Schatten der großen Halle stand eine zerschlissene Sitzgruppe. Und dort saß sie. Johnnie musste zweimal hin schauen, um es einmal glauben zu können.
Es konnte keinen Zweifel geben. Es handelte sich um Daisy Masterson. Um die Frau, die Johnnie erst einmal nackt auf dem Titelbild eines Journals gesehen hatte. Die Frau, von der Mike behauptete, sie sei die Freundin von Commander Jeffery Ballywater, dem Bruder des CIA Kollegen, der seit zwei Tagen in Nahost U-Boot spielte.
„Sind wir jetzt komplett?“, wandte Johnnie sich an den Führer der arabischen Terrorgruppe.
Abdul Abdalla nickte mit verschlossenem Gesicht. „Überkomplett, McIntire“, sagte er mit böse klingender Stimme. „Isabella und dich hatten wir eigentlich nicht an Bord haben wollen. Aber euch werden wir ja schnell wieder los, wenn wir Schwierigkeiten bekommen.“
Genauso hatte Johnnie es sich vorgestellt. „Und was ist mit dem Haschvogel?“, fragte Johnnie, während er auf Daisy Masterson deutete, die ohne Zweifel schon wieder unter Drogen stand.
„Sie wird die Staaten verlassen“, antwortete Abdalla, doch er sah dabei nicht so aus, als würde er das wirklich ernst meinen. „Zusammen mit Commander Jeffery Ballywater. Aber das hast du doch schon lange gewusst, McIntire.“
Nichts hatte Johnnie gewusst, doch er nickte. Abdul Abdalla sollte gar nicht erst auf die Idee kommen, dass er, McIntire, und Mike Borran wie die blinden Hühner durch den Fall gestolpert waren.
„Glaubst du wirklich, dass es gelingt?“, fragte er zweifelnd.
„Das hat mit Glauben nichts zu tun, McIntire. Ich weiß, es wird gelingen. Alles ist vorbereitet. In zwei Stunden ist es so weit. Dann wird die Weltöffentlichkeit nach Arizona schauen. Die Meldungen werden sich überschlagen und Angst wird sich ausbreiten wie eine Seuche.“ Johnnie starrte den Araber an. Das war kein Witz. Der Bursche war sich seiner Sache vollkommen sicher. Das hieß nichts anderes, die Araber hatten hier gearbeitet und Vorbereitungen getroffen, lange bevor Sardanna auf Jusuf ben Dalbeis Wagen aufmerksam geworden war und Alarm geschlagen hatte. Lange bevor Tommy Ballywater in Nahost auf Tauchstation gegangen war.
Nicht freiwillig, das wusste Johnnie jetzt. Sie hatten den amerikanischen Geheimagenten von der Szene gefischt. Er war ein nicht unwesentlicher Teil des Planes, den man sich ausgedacht hatte.
„Es waren amerikanische F 16 mit denen die Israelis das Atomkraftwerk in Bagdad angegriffen und zerstört haben“, sagte Abdul Abdalla.
Dagegen konnte Johnnie nichts sagen. Das war eine Tatsache, die sich nicht aus der Welt schaffen ließ.
„Es gibt Leute bei uns, die sind davon überzeugt, es ist nicht allein das Werk der Israelis gewesen. Es gibt Leute, die sind überzeugt davon, die CIA hat die Hände im Spiel gehabt.“
„Das ist Unsinn!“
„Möglich“, antwortete der Anführer der arabischen Terroristentruppe. „Das interessiert mich nicht. Ich habe meinen Auftrag. Der hängt nicht davon ab, ob die Amerikaner die Hände im Spiel hatten.“
Obgleich es erdrückend heiß hier in dieser Wohnhalle war, begann Johnnie zu frieren.
Er war sich seiner Sache noch nicht sicher, aber er glaubte zu ahnen, was die Araber planten. Unvorstellbar wenn sie es wirklich durchführten. So wie es im Moment aussah, deutete alles darauf hin, dass Abdul Abdalla seine Vorbereitungen so vorbildlich getroffen hatte, dass nichts mehr aus dem Gleis laufen konnte.
„Bringt ihn runter in den Keller. Zusammen mit Isabella del Rey“, ordnete Abdul Abdalla an. „Aber vorher wird er für uns ein Telefongespräch führen.“
„Ganz sicher nicht“, antwortete McIntire entschlossen, obgleich er schon jetzt sehr genau wusste, dass er gar keine Chance hatte, sich dagegen zu wehren.
Ali Dschuhaiman lachte blechern auf. „Er ist ein sehr tapferer Mann“, wandte er sich an Abdul, bevor er überraschend noch einmal in Aktion trat, ohne dass Abdul eine Chance hatte, seinen Mann zu stoppen.
Der erste Tritt traf McIntires Beine und schleuderte ihn zu Boden. Der zweite Tritt traf ihn beinahe an der gleichen Stelle, an der er schon einmal die Spitzen der Schuhe von Dschuhaiman gespürt hatte.
„Verdammt, tottreten kannst du ihn später!“, schrie Abdul Abdalla.
Diesmal dauerte es bedeutend länger, bis Johnnie sich wieder in die Senkrechte rappeln konnte.
„Das sind Argumente, die bei mir nicht ziehen“, knirschte er durch die Zähne.
Abdul Abdalla hob die Waffe, die er plötzlich in der Hand hielt. Der Lauf deutete auf Isabella del Rey, die zitternd mitten im Raum stand.
Ihre weit aufgerissenen Augen waren auf Johnnie McIntire gerichtet. So schaute ein Reh, das man in die Enge getrieben hatte. Ihre roten, vollen Lippen sprangen auf. Ein gellender Schrei ließ McIntires Trommelfelle vibrieren. Gleichzeitig dachte er an das Versprechen, dass er der schönen Frau gegeben hatte. Er wollte mit ihr einkaufen, in der teuren Boutique.
„Wen soll ich anrufen?“, fragte er mit heiserer Stimme.
„Deinen Freund Mike Borran“, bekam er zur Antwort. „Sag ihm, er soll sich ganz ruhig verhalten.“
Johnnie taumelte zum Telefon. Seine Finger stachen in die Wählscheibe. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete er Isabella del Rey, die noch immer zitterte, deren Gesicht aber nicht mehr von der Angst vor dem nahen Tod verzerrt wurde.
Verdammt, er hatte keine andere Wahl. Er brachte es nicht fertig, das Leben dieser Frau zu opfern. Sicher gab es einen anderen Weg, den Plan der Araber zu durchkreuzen.
Alles hing in diesem Moment an Mike Borran. Jetzt musste er wieder einmal unter Beweis stellen, dass er nicht nur einer der besten CIA-Agenten war, sondern auch die Geheimwaffe des amerikanischen Geheimdienstes.
Ein Mann, der sich unsichtbar machen konnte, seit es vor Jahren in den Kensington Labors in Los Angeles zu einem folgenschweren Unfall mit einer von ihm entwickelten Laserkanone gegeben hatte.
Unbekannte Gammastrahlungen waren ausgetreten. Strahlen, die die Molekularstruktur seines Körpers aufgehoben und ihn unsichtbar gemacht hatten.
Zwei Stunden lang hatte dieser Zustand damals angedauert, dann war er wieder sichtbar geworden.
Jetzt, im Laufe der Zeit, war es Borran gelungen, die Unsichtbarkeit zu steuern. Jetzt konnte er sich für zwei Stunden selbst von der Bildfläche verschwinden lassen, wenn er sich auf das Unglück vor Jahren konzentrierte. Die Umwandlung zur Unsichtbarkeit kündigte sich mit einem bohrenden Kopfschmerz an. Zwei Stunden lang hielt die Unsichtbarkeit an, dann wurde er, durch einen erneuten Kopfschmerz gewarnt, wieder sichtbar.
Eine für die Wissenschaftler unerklärliche Sache, aber sie hatte Mike zum besten und gefährlichsten Agenten des amerikanischen Geheimdienstes gemacht.
Johnnie McIntire dachte daran, als er sich den Hörer gegen das Ohr presste.
Egal, welchen teuflischen Plan die Araber sich auch immer ausgedacht hatten. Borran musste ihn durchkreuzen.
Das Freizeichen dröhnte McIntire in den Ohren. Zehnmal schellte es. Er warf schon einen fragenden Blick zu Abdul Abdalla, der alles über einen gegengeschalteten Verstärker mithören konnte, als am anderen Ende der Hörer abgehoben wurde.