Weil es nicht anders sein kann, weil alles zu schön gewesen wäre, zu einfach. Weil es nicht aufhören kann, weil das Glück einen großen Bogen um Blum macht, weil sie einmal eingetaucht ist in diesen Sumpf und nicht wieder herauskommt. Dem Bösen die Hand geschüttelt hat, Gott gespielt hat. Und dafür wird sie jetzt bestraft, das Schicksal schlägt wieder zu. Von einem Moment zum anderen ist es wieder vorbei, ihr neues Leben, das mit dem Abschiedskuss auf Karls Wange begonnen hat. Eine Klinge beendet es. Ein Messer, das ihre Haut berührt, das ihr sagt, dass sie stehen bleiben soll. Stillstehen. Zuhören. Tun, was er sagt.
Blum weiß sofort, was passiert, dass sich wieder jemand ihrem Glück entgegenstellt. Ein stinkender, schwer atmender Mann, ein gieriger kleiner Drecksack, der das große Geld gerochen hat, es ist ein alter Bekannter, der hinter ihr auftaucht. Einer der Männer, die seit Tagen hier herumschnüffeln. Seine Stimme, Blum erinnert sich sofort an diesen schmierigen Ton. Schrettl. Der Privatdetektiv, der bereits vor zwei Jahren versucht hat, sie zu erpressen, Geld aus ihrem Leid zu schlagen. Schrettl, eine widerliche Made, ein Kleinkrimineller, der durch Zufall herausgefunden hat, was sie getan hat. Sie hat ihm gedroht damals, sie hat ihm klargemacht, dass er sterben würde, wenn er sie nicht in Ruhe lässt. Eindringlich. Blum hat keinen Zweifel daran gelassen, sie hat ihm Angst gemacht, ihn verscheucht, wie einen räudigen Hund. Jetzt ist er wieder da. Selbstzufrieden, mächtig, übermütig, hinter ihr. Kein Polizist, sondern Schrettl. Ein Gauner, dem jedes Mittel recht ist, an Geld zu kommen. Ein Kopfgeldjäger, der die Belohnung will, die die Familie des Schauspielers ausgesetzt hat. Blums Kopf für das Geld. Das Monster in der Falle, ein Messer an ihrer Kehle, das sagt, dass es vorbei ist. Schrettls Stimme. So sieht man sich wieder. Wir gehen jetzt ganz langsam zum Vordereingang, hast du das verstanden? Jeder soll sehen, wer dich zur Strecke gebracht hat. Und komm nicht auf die Idee, dich zu wehren, der Polizei wird es nämlich egal sein, wenn du ein paar Kratzer abbekommst. Wie in einem schlechten Film ist alles. Ein Angreifer, der lautlos aus dem Nichts gekommen ist und sie bedroht, ein dummer Idiot, der meint, er könne sie aufhalten. Er zwingt sie, mit ihm durch den Garten zu gehen. Zum Haupteingang, zu den Polizisten und den Kameras. Kleinlaut zum Schafott.
Blum. Wie sie dasteht. Die Reisetaschen fallen lässt, das Messer spürt. Wie ihr alles wieder einfällt. Was sie durchgemacht hat, was sie ertragen hat, das Zimmer, die tote Zunge in ihrem Mund. Alles, was sie erlitten hat, seit dem Moment, in dem sie Mark ausgelöscht haben. Blum spürt es. Das Messer und den Wunsch, davonzurennen. Die Ohnmacht, dieses Ausgeliefertsein, die Tatsache, dass Schrettl für sie entscheidet, dass er ihr Schicksal in die Hand genommen hat. Er sagt ihr, wie es weitergehen soll, er will, dass sie um die Ecke biegt und dass die Polizisten ihr Handschellen anlegen. Wieder sperrt sie jemand in ein Zimmer, keine Fenster, keine Türen, kein Wasser. Nur Schrettls Flüstern, sein Hochmut, sein Atem mitten in der Nacht in Innsbruck, kein Meer weit und breit, kein Boot, mit dem sie davonsegeln kann. Nur sie und Schrettl hinter dem Haus. Keiner sieht sie, keiner hört sie, sie muss schnell sein, darf nicht länger warten, nicht länger überlegen, sie muss ihn überraschen, kämpfen. Sie entscheidet, nicht Schrettl. Blum, nicht er.
Wie die Klinge in ihre Haut eindringt. Blum spürt den Schnitt knapp oberhalb ihres Schlüsselbeines. Es ist ein brennender Schmerz, warmes Blut fließt über ihre Haut. Doch kein Laut, nur ihr Ellbogen, der seinen Kopf trifft. Ihn aus der Bahn wirft, ihn stumm macht. Kein Schrei, nicht von ihr, nicht von ihm. Das Messer fällt aus seiner Hand, er versucht, sich zu fangen, zwei Sekunden lang ist er außer sich, benommen starrt er sie an, schaut zu, wie sie das Messer nimmt und zusticht. Zu schnell ist sie, zu schwerfällig ist der fremde, gierige Mann. Bevor er schreien kann, kommt die Klinge in seinem Körper an, bevor er die Meute auf sie hetzen kann, liegt ihre linke Hand auf seinem Mund. Mit der rechten sticht sie erneut zu. Sie will nur, dass er still ist, dass er aufhört, sich einzumischen. Blum will, dass er sie gehen lässt, dass er ihr nichts mehr tun kann. Deshalb sticht sie ein drittes Mal zu. Bis er vor ihr zusammenbricht.
Schrettl. Und das Messer in ihrer Hand. Blum steht nur da und schaut auf ihn hinunter. Wie er sich krümmt, wie er zuckt und leise stöhnt. So lange, bis sie Ingmars Stimme hört, bis sie seine Hand auf ihrer Schulter spürt. Bis er ihr das Messer aus der Hand nimmt, ihren Kopf in seine Hände nimmt und sie zurückholt. Komm schon, Blum. Wir müssen weg von hier. Er hält sie davon ab, noch weiter zu gehen, ihren Hass loszuwerden, jemanden zu bestrafen für das, was passiert ist. Irgendjemanden. Mit einem Messer in ihm wühlen, bis er tot ist, so lange zustechen, bis er nicht mehr atmet, bis er nichts mehr sagen, sie nicht mehr verraten kann. In Gedanken hat sie es getan. Wäre Ingmar nicht durch das Loch im Zaun geklettert, wäre Schrettl jetzt wahrscheinlich tot.
Liebevoll drückt Ingmar ein Taschentuch auf die kleine Wunde an ihrem Hals. Er nimmt sie in den Arm, mit Ruhe, so als wären sie bereits in Sicherheit, völlige Gelassenheit in seiner Stimme. Wir müssen ihn von hier wegbringen, Blum. Man darf ihn nicht finden, er wird sonst Alarm schlagen. Wir beide werden ihn jetzt in den Wagen laden, wir werden ihn mitnehmen und zu einem Arzt bringen. Wir müssen dafür sorgen, dass er nicht stirbt, Blum. Was er sagt. Ingmar. Wie weit weg alles ist, wie bedeutungslos. Und wie sehr sie sich in diesem Moment danach sehnt, wieder im Liegestuhl am Strand zu liegen. Wie so oft in den letzten Jahren möchte sie auch jetzt die Uhr zurückdrehen und die Augen schließen. Nur das Meer hören, die Wellen und nicht Ingmars Stimme. Nichts davon, dass sie Schrettl retten, ihn versorgen müssen, dass sie vor drei Minuten ein Messer in seinen Bauch gestoßen hat. Nichts davon will sie wissen, doch Ingmar besteht darauf, er übernimmt das Ruder, er entscheidet für sie.
Blum. Ohne weiterzudenken, tut sie, was Ingmar ihr sagt. Während er die Taschen in das Wohnmobil bringt, versucht sie, das Blut zu stoppen. Benommen drückt sie ihre Hand auf Schrettls Bauch, alles ist eine große Wunde, diese Nacht, ihr ganzes Leben. Offen und blutig. Wunden, die Ingmar zügig schließt. Mit Klebeband kommt er zurück, ohne zu zögern, macht er Schrettls Mund zu, er knebelt ihn, klebt seine Arme zusammen, seine Beine. Gemeinsam wickeln sie das Klebeband um Schrettls Leib, sie machen ihn transportfähig. Lautlos fast, so als hätten sie das schon oft gemacht, ein eingespieltes Team, Schritt für Schritt. Langsam, sagt er. Wir dürfen keinen Fehler machen. Und steck das Messer ein, Blum. Ingmar treibt sie an, sie ziehen den Körper über das Gras. Alles geht schnell, Blum tut, was er ihr sagt. Wie einfach es wäre, ihn liegen zu lassen, doch Ingmar hat recht. Sie würden ihn finden, wenn es hell wird, er würde reden, sie würden die Kinder nicht mehr aus den Augen lassen, wahrscheinlich würde man sie irgendwo an einen geheimen Ort bringen. Blum würde keine Gelegenheit mehr bekommen, Uma und Nela in den Wagen zu laden und mit ihnen davonzufahren. Alles wäre vorbei, wenn Schrettl liegen bliebe. Deshalb zerren sie den Leib durch das Loch im Zaun. Hinaus auf die Straße.
Keiner sieht sie, keiner hört sie, verborgen im Dunkel, dort, wo niemand sie vermutet. Schrettls Körper verschwindet aus dem Garten der Familie Blum, das Wohnmobil schluckt ihn. Da ist keine Spur mehr von ihm, kurz bevor es hell wird. Da ist nur ein leises Rauschen, das man hört. Wasser, mit dem Ingmar das Blut vom Gras wäscht. Kurz noch der Gartenschlauch in seiner Hand, dann steigen sie in den Wagen und fahren los.