Eine lange Nacht in einem großen Himmelbett. Nackt lag sie in weißen, unschuldigen Laken und blickte am Morgen hinaus in den Wald. Die Zeit wollte nicht vergehen. Im goldenen Badezimmerspiegel sah sie eine Frau mit verwischter Wimperntusche, getrocknete Tränen auf ihrer Haut, das Telefon wie festgegossen in ihrer Hand.

Ein neuer Tag schlug auf sie ein. Warten. Tatenlos herumsitzen, sich verstecken in diesem schrecklichen Haus. Blum ertrug es kaum noch, die Zeit verging nicht, kurz vor Mittag hielt sie es nicht mehr aus und rief ihn an. Karl sollte ihr sagen, was er in Erfahrung gebracht hatte. Ob die Polizisten noch da waren, ob er schon mehr wusste als am Vorabend. Blum rechnete damit, dass wieder nur das Freizeichen sie quälen würde, doch Karl hob ab. Er war mit den Mädchen im Auto unterwegs, kurz angebunden, angespannt, er hatte kein schönes Wort für sie, keinen Trost, sagte nur, dass sie sich fernhalten sollte. Blum hörte die Mädchen auf dem Rücksitz, wie sie spielten, sie stellte sich das vertraute Bild vor, Uma und Nela auf dem Weg in die Kindergruppe, Karl am Steuer. Er sprach ganz leise, er wollte nicht, dass sie hörten, was ihr Opa sagte. Mit wem er sprach, dass er ihrer Mutter mit seinen Worten wehtat. Du darfst nicht zurückkommen. Auf keinen Fall. Du bleibst, wo auch immer du bist. Tauchst unter, rührst dich nicht vom Fleck. Hast du mich verstanden? Alles in Karls Stimme sagte ihr, dass er es ernst meinte, dass die Situation zu Hause eskalierte. Karl, der sonst der gutmütigste Mensch auf dieser Welt war, beschwor sie, fast war es eine Drohung, er warnte sie, eigentlich war es ein Befehl und keine Bitte. Egal, was passiert, du kommst nicht zurück. Dann legte er auf. Ließ Blum wieder allein. Ich kann jetzt nicht sprechen, hatte er gesagt. Kein weiteres Wort mehr. Nur Blum auf einem Barhocker. Mehr als allein. Der erste Gast seit zwanzig Jahren.

Nur die fleißige Hausdame kam irgendwann und schaute nach dem Rechten. Gertrud grüßte mit einem Lächeln und duldete es, dass Blum sich einfach an der Bar bedient und eine der teuersten Flaschen geöffnet hatte. Gertrud bemühte sich, freundlich zu sein, die Ablehnung vom allerersten Tag war zwar verschwunden, aber da war auch keine Zuneigung. Nichts mehr von dem Gefühl vom Vortag, die Liebe zu Björk in ihrem Gesicht, die Hände, die sich gehalten hatten. Es war nur noch Höflichkeit. Ich hoffe, du fühlst dich wohl. Wenn du schwimmen willst, lege ich dir frische Badetücher bereit. Nur belanglose Sätze, die sie Blum gemeinsam mit dem Abendessen an der Bar servierte. Nichts mehr über sich, über die Familie, über die Vergangenheit. Gar nichts.

Gertrud. Nur die Frage nach Ingmar beantwortete sie. Kurz bevor sie wieder verschwand, wollte Blum wissen, wo er war, was er machte, Blum wollte nicht länger allein sein in dem riesigen Haus. Nicht länger nur warten, ihrer Angst Raum geben, sie wollte sich ablenken, trinken, reden, irgendetwas tun, das den Tag kürzer machte, die Nacht. Mit Ingmar. Er ist wahrscheinlich dort, wo er immer ist, sagte Gertrud. In seinem Atelier im neunten Stock. Zimmer 937. Frühstück gibt es morgens ab acht. Dann drehte sie sich um und verließ das Haus. Sie wollte keine Nähe mehr, nicht mehr reden mit Blum. Müde und misstrauisch schlich sie zurück in ihr Reich, zurück ins Personalhaus. Lautlos fast.

Blum trank teuren Wein und fuhr mit dem Lift nach oben zu Ingmar. Sie musste sich entschuldigen bei ihm, sie hatte ihn zurückgewiesen, ihn schlecht behandelt, obwohl er nur helfen wollte. Blum wusste, dass es notwendig war, sie spürte es, ihr schlechtes Gewissen flüsterte es bereits den ganzen Tag über in ihr Ohr, sie wollte es gerne ungeschehen machen. Es zurücknehmen, was sie zu ihm gesagt hat. Sie wollte ihm sagen, dass es ihr leidtat. Und dann mit ihm trinken, über belanglose Dinge reden, über seine Kunst, über Filme und Musik. Blum wollte so tun, als wäre alles gut, als wäre nichts zwischen ihnen passiert. Sie war so allein, dass sie alles für ein bisschen Nähe getan hätte.

Blum lief den Gang entlang. Zimmer 937, Ingmars Welt. Hinter einer alten Zimmertür wartete eine Überraschung auf Blum. Wo man Betten, Kästen und ein Badezimmer vermutet hätte, öffnete sich ein wunderschöner Raum. Hell, weiß, eine Lichtkuppel an der Decke, groß, beeindruckend, ein Innenhof im neunten Stock. Es mussten mehrere Zimmer zusammengelegt worden sein, Ingmar hatte sich ein Paradies im Paradies erschaffen, einen Ort, an dem Blum sich sofort wohlfühlte. Kein Stuck, nichts Barockes hier, nur gerade Linien, klare Formen, weiße Wände, Glas und Steinböden. Mit offenem Mund und einer Flasche Wein in der Hand stand sie da und schaute. Ingmar war neben ihr, er hatte ihr Klopfen gehört und ihr die Tür geöffnet. Geduldig wartete er, bis sie den Raum erfasst hatte, bis sie ihn anschaute und etwas sagte. Leise. Es tut mir leid, flüsterte sie. Komm herein und mach die Tür zu, sagte er.

– Ich wollte dich nicht verletzen, Ingmar.

– Nein?

– Ich hatte Angst, Ingmar. Dass es noch schlimmer wird.

– Ich wollte dir nur helfen.

– Du darfst mich nicht immer ernst nehmen. Was ich gesagt habe. Ich bin dir sehr dankbar für alles, was du für mich getan hast. Dass ich hier sein darf. Dass du Karl das Telefon gebracht hast.

– Hast du mit ihm geredet?

– Ja.

– Und?

– Schaut nicht gut aus. Karl ist sehr beunruhigt, und das bedeutet nichts Gutes.

– Das wird schon wieder, Blum.

– Das wird es nicht. Das ist die Endstation hier, Ingmar. Ich kann nirgendwo sonst hin, es wird nicht mehr lange dauern, und ein ganzes Land wird mich suchen.

– Abwarten, Blum.

– Ich kann nicht mehr warten, ich tue den ganzen Tag nichts anderes, ich will nicht mehr, verstehst du? Ich ertrage es nicht mehr, hier herumzusitzen und nichts tun zu können. Ich halte das verdammt noch mal nicht mehr aus.

– Das verstehe ich. Deshalb ist es gut, dass du jetzt hier bist. Wir können reden, es fällt uns bestimmt etwas ein.

– Ich muss zu meinen Kindern, Ingmar.

– Du weißt, dass das nicht geht.

– Ich will es aber.

– Setz dich, Blum.

– Ich will mich nicht setzen, ich muss sie in den Arm nehmen, sie von dort wegholen, ich kann sie doch nicht einfach zurücklassen.

– Du wirst sie wiedersehen.

– Woher willst du das wissen?

– Ich weiß es einfach. Du wirst deine Kinder wiedersehen.

– Du solltest besser deine Finger von mir lassen, Ingmar.

– Warum?

– Ich bin nicht gut für dich.

– Warum solltest du nicht gut für mich sein?

– Schau mich an. Hör mir zu. Denk daran, warum ich hier bin.

– Ich mag dich.

– Ich habe Menschen umgebracht.

– Nicht, seit ich dich kenne.

– Es war ein Fehler, dass wir miteinander geschlafen haben.

– Hör auf, dir darüber Gedanken zu machen, Blum.

– Björk war deine Schwester.

– Jetzt setz dich doch bitte. Ich sagte dir doch, wir werden für alles eine Lösung finden.

– Werden wir das?

– Ja.

Er ging und öffnete eine Vitrine. Er holte zwei Gläser und kam zurück. Seine Behinderung sah sie nicht mehr, sein steifes Bein, Blum sah nur diesen Mann, der in diesem wunderschönen Raum Wein in Gläser füllte. Ingmar in weißen Hosen und weißem Hemd, unschuldig wirkte alles, fast wie im Himmel fühlte sie sich.

Hätte Blum nicht gewusst, dass überall sonst die Hölle tobte, hätte sie sich diesem Gefühl einfach hingegeben. Dem Weiß, der Schönheit dieses Raumes, Ingmar, seiner Gutmütigkeit. Mit liebenswerter Beharrlichkeit bestand er immer noch darauf, ihr zu helfen, trotz allem, was er wusste, saß er neben ihr auf der Couch und redete mit ihr. Er hatte keine Angst vor der Mörderin, Ingmar blieb. Ohne groß darüber nachzudenken, verzieh er ihr, dass sie ihm wehgetan hatte. So verrückt es auch war, Ingmar tat gut. Er füllte die Leere, ein vertrauter Mensch, der ihr Mut machen wollte. Obwohl Blum keine Zukunft mehr hatte, kein Leben mehr, das sie mit ihm hätte teilen können, war er wie ein ruhiger Fluss, der sie mitriss. Überall war plötzlich Wasser, das durch eine schöne Winterlandschaft rann, in gleichbleibendem Tempo, liebevoll, Ingmar. Und Blum ließ sich treiben. Mit einem Weinglas in ihrer Hand.

Da war nur mehr dieser Raum. Sein Atelier, ein Rätsel, das sie versuchte zu lösen. Amüsiert schaute Ingmar ihr zu, wie sie nach seinen Bildern suchte, Blum ging herum mit fragenden Augen, sie suchte nach Erklärungen zwischen Farbtöpfen und Pinseln, sie starrte auf leere Wände. Und dann entdeckte sie in einer Ecke die schneeweißen Kaninchen. Ingmar schaute ihr gelassen zu, wie sie den Käfig öffnete und ein Kaninchen hochnahm, wie Blum es streichelte und weiter durch den Raum streifte. Was für ein süßes Tier, sagte sie, während sie wieder nach Ingmars Arbeiten suchte und verständnislos ihre Schultern nach oben zog. Keine Bilder, keine Kunst, nichts, das er geschaffen hatte. Nichts, das sie sehen konnte. Nur vier Kaninchen in einem Käfig. Vier Kaninchen im Paradies.

Ingmar schmunzelte, weil Blum ihre Verwunderung nicht verbarg. Ich dachte, du bist Künstler, sagte sie. Bin ich, sagte er und öffnete unvermittelt einen großen weißen Schrank. Und da waren sie, Hunderte von Bildern. Was normalerweise an Wänden hing, fand man hier zusammengerollt, ordentlich verstaut, verborgen in einem Schrank. Unzählige Leinenrollen, gestapelt vom Boden bis zur Decke, militärische Ordnung, nicht das, was man von einem Künstler erwarten würde, System bis in den letzten Winkel, alles lag in Reih und Glied. Seine Werke, katalogisiert, sie trugen Nummern, garantiert wusste er, welches Bild an welchem Platz lag. Ingmar. Blum schaute ihn an und streichelte das Kaninchen, das sich wohlig an sie schmiegte. Sie staunte, Neugier packte sie. Darf ich sehen, was du machst? Zeigst du mir deine Arbeiten? Ingmar lächelte. Gerne, sagte er und zog wahllos eine Rolle aus der Mitte seiner Sammlung. Blum ging gespannt einen Schritt zurück, während er das Leinen vorsichtig auf den Boden legte. Wie einen Schatz behandelte er sein Werk, stolz stand er auf und wartete. Auf Blums Reaktion. Darauf, was sie sagen würde. Was in ihrem Gesicht passierte. Darauf, dass sie mehr wollte.

Rotbraun auf Weiß. Weißes Leinen und rotbraune Farbe. Geschüttet, verschmiert, gespritzt. Das erste Bild, das er ihr zeigte, und auch das zweite, sie unterschieden sich kaum. Auch das nächste Bild, das er aus dem Schrank nahm, war den anderen ähnlich. Und das nächste auch. Blum bat ihn, noch weitere Bilder vor ihr auf dem Boden auszubreiten, sie konnte nicht glauben, dass es immer dasselbe war, nur Rotbraun auf Weiß. Der einzige Unterschied bestand darin, wie er die Farbe aufgetragen hatte. Es war nichts Besonderes in ihren Augen, es berührte sie nicht. Schon hundertmal da gewesen, es fesselte nicht, faszinierte nicht. Es war nicht das, was sie erwartet hatte. Überall am Boden seine Bilder. Wo Steinboden gewesen war, lagen jetzt seine Werke, ein skurriles Bild, als Blum sich an die Wand stellte und in den Raum schaute. Blutflecken überall, offene Wunden, wo sie hinsah, der Raum, der eben noch rein gewesen war, war jetzt verletzt. Jedes einzelne Bild schrie, man sah, wie Ingmar litt, wie zerrissen er war, wie kaputt. Ein Meer aus Schmerzen war es, Bild für Bild erzählte, was in ihm war. Was er fühlen musste, wenn der Schrank geschlossen war, wenn die Bilder tief verborgen an ihrem Platz lagen.

Vielleicht fünfzig von dreihundert Werken waren es, die er ihr zeigte, nur eine Auswahl, ein Blick in seine Seele, der ihn nackt zeigte, verletzt. Blum stand da und schaute. Sagte nichts, die ganze Zeit über hatte sie nur das Kaninchen gestreichelt. Auch Ingmar schwieg, er sah ihre Enttäuschung, er sah in ihrem Gesicht, was sie dachte, Blum konnte es nicht verbergen. Sie empfand Mitleid für ihn, Ingmar tat ihr leid, für sie war er in diesem Moment nur der verwundete kleine Junge, der seine Mutter verloren hatte, der Künstler, der es nicht geschafft hatte, sich zu etablieren, der erfolglos irgendwelche Aktionisten kopierte. Der reiche Sohn, der sinnlos auf seinem Luxusspielplatz herumtollte. Nicht mehr.

– Du kannst es ruhig sagen.

– Was?

– Dass du lächerlich findest, was ich mache.

– Das tue ich nicht.

– Es ist nicht so, wie du denkst.

– Was denke ich denn?

– Dass ich ein armes Schwein bin.

– Das denke ich nicht.

– Doch, das tust du, Blum.

– Ich kenne mich nicht aus mit Kunst.

– Die Bilder gefallen dir nicht.

– Wie gesagt, Ingmar, ich habe keine Ahnung von Kunst. Was du hier machst, was es zu bedeuten hat. Ob es gut ist oder nicht.

– Du denkst, dass ich verrückt bin.

– Gar nichts denke ich, Ingmar. Ich bin Bestatterin, ich kümmere mich um tote Menschen, damit kenne ich mich aus. Aber nicht mit Bildern.

– Ich arbeite schon sehr lange an dieser Serie.

– Schaut so aus.

– Es ist mehr, als du denkst. Viel mehr.

– Bitte glaub mir, Ingmar. Du könntest mir auch einen Picasso hinlegen, und ich würde dasselbe denken wie jetzt. Nämlich gar nichts.

– Falls du denken solltest, dass es etwas mit meiner Mutter oder Björk zu tun hat, dann irrst du dich.

– Wenn du das sagst.

– Leo und ich haben uns auf der Akademie intensiv mit dem Tod auseinandergesetzt.

– Mit dem Tod?

– Ja.

– Du und Kuhn?

– Wir haben unsere Abschlussarbeit zusammen geschrieben. Über das Sterben in der Kunst.

– Gefällt dir, was dein Freund macht?

– Ich denke, es ist eine Notwendigkeit. Er muss das machen, er kann nicht anders. Genauso wie ich.

– Kuhn muss also Menschen ausstopfen?

– Ja.

– Das ist doch sinnlos.

– Alles hat einen Sinn.

– Nein.

– Dass du hier bist zum Beispiel.

– Es ist Zufall, dass ich hier bin.

– Ist es nicht.

– Was dann?

– Schicksal. Und es hat unmittelbar mit dem Sterben zu tun.

– Unsinn.

– Jetzt denk mal nach, Blum. Du hast entdeckt, dass du eine Schwester hast, die gestorben ist. Kurz bevor man den Kopf und die Beine in dem Grab gefunden hat.

– Und?

– Du bist hier, weil jemand gestorben ist.

– Schwachsinn, Ingmar.

– Es ist Schicksal, dass du jetzt hier stehst und meine Arbeiten betrachtest. Und der Motor für alles war der Tod.

– Alles hat also einen Sinn?

– Ja.

– Dass ich mich hier verstecken muss? Dass ich meine Kinder nicht sehen kann? Das meinst du? Dass ich nie wieder zurückkann? In mein Haus, in mein Leben, nie wieder? Meinst du das?

– Nein.

– Was meinst du dann, Ingmar? Da steckt kein höherer Sinn dahinter, glaub mir.

– Das ist Kunst, Blum. Etwas Neues entsteht.

– Ich bin mir nicht sicher, ob es sinnvoll ist, dass wir weiter so darüber reden.

– Ich habe mich mein ganzes Leben lang mit dem Sterben beschäftigt, Blum.

– Ich auch. Und deshalb verstehe ich nicht, was du hier machst. Erklär es mir bitte, die immer selbe Farbe, die zusammengerollten Bilder, was soll das?

– Ich male es.

– Was?

– Das Sterben.

– Ich wusste doch, dass mir das zu hoch ist.

– Nein, nein, Blum. Es ist ganz einfach. Ich halte den Augenblick des Todes auf der Leinwand fest, diesen kleinen Moment, in dem das Licht ausgeht. Die Millisekunde, in der es dunkel wird.

– Und wie machst du das?

– Willst du das wirklich wissen?

– Ja, Ingmar. Jetzt wo du dein ganzes Schaffen vor mir ausgebreitet hast, können wir auch darüber reden. Außerdem habe ich nichts anderes zu tun, wie du weißt. Ich habe viel Zeit, dir zuzuhören.

– Bist du dir sicher?

– Alles, was mich daran hindert, zu viel zu denken, ist gut. Also leg endlich los.

– Es könnte sein, dass dich das verstört.

– Keine Sorge, mich verstört so schnell nichts.

– Wie du meinst, dann setz dich, ich zeige es dir.

Blum ließ sich in das weiße Sofa fallen. Mit Gewalt versuchte sie, nicht an Karl zu denken, jeden aufkeimenden Gedanken verwarf sie, sie schob ihn von sich weg, legte das Telefon aus der Hand. Neben dem Kaninchen, das auf Blums Schoß kauerte, war da nur Ingmar, nur das, was er ihr zeigen wollte, seine Kunst, die Entstehung einer weiteren Wunde. Es war ein Vertrauensbeweis, Blum war davon überzeugt, dass er gewöhnlich niemanden zusehen ließ, wenn er malte. Ingmar war aufgeregt, er wirkte nervös, seine Mundwinkel zitterten, so als hätte er Angst, dass sie es nicht gut finden könnte. Als wäre Blums Urteil wichtig für ihn, als würde gleich etwas Großes passieren, für das er sie unbedingt begeistern wollte.

Ingmar. Wie eindringlich er sie anschaute. Und wie es aus seinem Mund kam. Blum. Du bleibst sitzen, egal was passiert. Hast du mich verstanden? Du bleibst sitzen, versprochen? Blum verstand ihn nicht, aber sie versprach es. Sie war gespannt und neugierig, ihre Blicke lagen auf Ingmar, auf seinen Händen. Er bückte sich, räumte die Bilder am Boden behutsam zur Seite und befestigte eine leere Leinwand an der Wand. Blum war froh, dass sie einfach nur dasitzen durfte, dass sie nichts tun musste, sie hatte keine Idee, was kommen würde, was so befremdlich sein konnte, dass er das Bedürfnis gehabt hatte, sie davor zu warnen. Alles war ihr recht, fast war sie dankbar. Nichts entscheiden zu müssen, einen Augenblick lang nicht an das Telefon denken zu müssen, das vor ihr lag. Nur Ingmar.

Er stand da und fragte sie noch einmal, ob sie bereit wäre, ob es losgehen könnte. Blum nickte nur, innerlich schüttelte sie den Kopf, machte sich lustig über ihn, sie wartete gespannt auf seine Vorführung, so wie sie es immer getan hatte, wenn Uma und Nela ihr die neuesten Kunststücke vorgeführt hatten. Kindertheater im Hotel Solveig, trotzdem bemühte sie sich, ihm das Gefühl zu geben, dass sie ernst nahm, was er tat. Den großen Künstler, der mit einem Lächeln auf sie zukam und ihr das Kaninchen aus den Händen nahm. Liebevoll streichelte er es. Vier Sekunden lang war alles noch friedlich. Dann schleuderte er es mit voller Wucht gegen die Wand.

Totenhaus
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