Brainfuck
„Die Realität als eine Form der Illusion erkennen und die Illusion als eine Form der Realität, ist so notwendig wie nutzlos.“
(Fernando Pessoa, Das Buch der Unruhe)
»Drecksbauer, verdammter!« Gerd Stiller fluchte ausgiebig in seinen Helm. »Hast wohl deinen letzten Sehtest beim Tierarzt gemacht, was?!«
Das war knapp gewesen. Die Fußrasten hatten den Asphalt berührt, so tief hatte er in der Kurve gelegen, als er des Traktors gewahr wurde, der aus dem Waldweg bog. Die Kawasaki aus der Schräglage nehmen, bremsen, nach links ziehen, noch mal bremsen – er verfehlte die Motorhaube um Zentimeter. Leicht verwundert registrierte er seine, für einen Fünfzigjährigen erstaunlich ausgeprägten Reflexe. Hinter der nächsten Biegung ließen Wut und Verwunderung nach, der Schreck setzte ein. Gerds Körper begann zu zittern. Das Werbeschild eines Waldcafés flog an ihm vorüber, zeitgleich mit der Erkenntnis, dass er dringend eine Pause brauchte. Das Motorrad rollte leise knirschend auf dem kiesbestreuten Parkplatz aus. Gerd saß ab und umrundete sein Bike.
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Für einen kurzen Moment zerriss die Wirklichkeit um ihn herum. Der Vorderreifen berührte das mannshohe Hinterrad des Traktors. Das Gummi wurde zusammengedrückt, die Felge begann, sich zu verformen.
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Der Geruch von heißem Metall stieg ihm in die Nase. Er schüttelte den Kopf. Was war das? Er beschloss, dass er unter Schock stand. Die Nachwirkungen des Adrenalinstoßes, ausgelöst durch das halsbrecherische Ausweichmanöver, verwirrten seine Gedanken. Er ging neben dem Gefährt in die Hocke und betrachtete den Motorblock. Alles in Ordnung. Kein Öl trat aus, alle Schrauben schienen zu sitzen. Es war seine erste Ausfahrt mit der Kawasaki 650 Z, einem Liebhaberstück aus dem Jahr 1979, die er einen ganzen Winter lang liebevoll restauriert hatte.
Gerd blickte sich um. Sein Motorrad war das einzige Fahrzeug auf dem Parkplatz. Er musterte das Gebäude eindringlich. Es wirkte geöffnet. Seltsam, dass bei diesem schönen Wetter nicht mehr los ist, dachte er.
Er legte den Helm auf die Sitzbank und stakste mit weichen Knien zum Eingang. Der Innenraum machte einen hellen und gemütlichen Eindruck, mit Tischen und Stühlen aus Buchenholz, zu denen der lange Bartresen aus dunklem Holz einen angenehmen Kontrast bildete. An der Seite dieses Tresens lehnte eine schlanke Blondine, deren weiße Schürze ihm verriet, dass sie die Bedienung sein musste.
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Die Felge barst, Speichen rissen. Die Vorderradgabel knickte nach hinten weg, Reifen und Schutzblech kollidierten mit dem Motorblock, drehten sich zur Seite und nahmen den Auspuff mit. Die letzten Umdrehungen des sterbenden Motors knallten wie Böllerschläge. Arme und Schultern wurden gestaucht. Die Daumengelenke brachen. Das Hinterrad hob von der Straße ab.
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Gerd blieb nichts anderes übrig, als sich an der nächstgelegenen Stuhllehne festzuhalten. Langsam kehrte das Bild seiner Umgebung zurück.
»Fehlt Ihnen was?«
Die Blonde stand neben ihm und berührte seinen Arm. Sie klang besorgt.
»Nein, nein«, beeilte sich Gerd zu versichern, »ich hatte gerade einen Beinahe-Unfall, aber machen Sie sich keine Sorgen, es ist alles in Ordnung.«
Er zog den Stuhl zurück, dessen Lehne er umklammert hielt, und setzte sich. Er lächelte die Frau an, um ihr zu zeigen, dass wirklich alles in Ordnung war.
»Einen Kaffee und einen doppelten Cognac hätte ich gern.«
Die Bedienung nickte und stöckelte zur Bar. Sie stöckelte tatsächlich. Erstaunt erkannte Gerd, dass sie schwarze High Heels mit mindestens acht Zentimeter hohen Absätzen trug. Seltsame Kleidung für eine Bedienung.
Sie kam mit einem Tablett an den Tisch. Mit Wohlwollen nahm er zur Kenntnis, wie sie sich beim Servieren weit nach vorn beugte. Sie trug keinen BH, deutlich konnte er die Ansätze ihrer Brustwarzen erkennen.
Ich sollte sie fragen, ob sie sich zu mir setzt, außer mir sind keine Gäste hier, sie hat sicher Zeit. Gerd nahm den Cognacschwenker, hob ihn an den Mund und schloss genießerisch die Augen.
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Er wurde von der Sitzbank gerissen. Der rechte Stiefel verfing sich zwischen der verformten Gabel und den Resten des Auspuffs. Bänder rissen, Leder zerfetzte. Der Tank und die linke Abdeckung des Batteriefachs brachen aus den Halterungen.
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Der Schnaps brannte in der Kehle. Hat mich böse mitgenommen, sagte er sich, ich bin definitiv zu alt für solche Stunts! Die Blonde zog den Stuhl neben ihm zurück und ließ sich geschmeidig darauf nieder. Es schien, als wäre ihre Bluse jetzt noch weiter geöffnet und ihre Haare länger und lockiger.
»Kann ich etwas für Sie tun?«, fragte sie schnurrend.
»Es geht wieder …«, antwortete er und dachte: Ich wüsste genau, was du tun könntest, du geiles kleines Stück.
»Ich bin die Heidi«, stellte sie sich mit einem Lächeln vor, »und ich mag große, starke Männer wie dich.«
Ihr Timbre hatte einen Klang, der die Härchen an seinen Unterarmen zum Aufstehen zwang. Und nicht nur die.
»Ich heiße Gerd«, erwiderte er mit rauer Stimme, »und ich finde dich auch … nett.«
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Er prallte mit dem Oberkörper gegen den Aufbau der Landmaschine, wurde herumgewirbelt. Das Schlüsselbein und mehrere Rippen brachen. Das Motorrad zeigte mit dem Heck nach oben, schleuderte nach links weg.
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Ein Rascheln holte Gerd zurück. Heidi war aufgestanden. Sie begann, sich ihres Rocks zu entledigen. Begleitet von einem Hüftkreisen ließ sie ihn zu Boden rutschen. Der Anblick hielt ihn davon ab, über die neuerliche Halluzination nachzudenken. Mit aufreizend langsamen Bewegungen öffnete sie die letzten Knöpfe ihrer Bluse. Ihr Vorbau war herrlich. Fest und rund. Sie glitt auf Gerds Schoß und küsste ihn. Seine Hand tastete nach ihren Brüsten, fand einen Nippel und massierte ihn. Sie stöhnte wohlig auf und ihre Zunge spielte fordernd mit seiner. Seine Finger wanderten kess tiefer und berührten den Saum ihres Slips.
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Das Wrack donnerte gegen die Einstiegstreppe des Traktors. Die Verschraubungen des Motors barsten, er brach halb aus dem Gestänge. Seine Lederjacke verfing sich in Nabelhöhe an einem vorstehenden Metallteil. Leder, Haut, Bindegewebe und Muskeln wurden zerfetzt und die Reißgeräusche vereinten sich zu einer grausamen Melodie.
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Gerd legte die Hände an die Ohren. Er wollte das nicht hören, wollte nicht weiter darüber grübeln.
»Du brauchst eine gründliche Ablenkung«, gurrte Heidi.
Sie erhob sich und zog ihn mit auf die Füße. Die Hände mit den langen, rot lackierten Nägeln lasziv an seinem Körper abwärts gleiten lassend, ging sie vor ihm in die Knie. Er vergrub seine Finger in ihren Locken und beobachtete fasziniert, wie sie seinen Gürtel öffnete.
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Er kam frei. Das Eisen hinterließ eine blutige Spur an der Innenseite des linken Schenkels. Einer, zwei Mittelstreifen zogen unter ihm vorbei. Seine Gedärme flatterten wie eine Fahne hinter ihm her. Hart prallte der Kopf auf den Straßenbelag. Über das Helmvisier zeichneten sich lange Kratzer. Etwas brach an seinem Nacken. Er überschlug sich mehrmals, blieb auf dem Rücken liegen.
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Gerd atmete tief durch. Er lächelte in Heidis Gesicht, das zu ihm aufsah. Langsam zog sie den Reißverschluss auf. »Jetzt gehöre ich ganz dir!«