20

 

 

Die Attentäter rückten bedächtig vor. Sie verteilten sich. Sie wollten sich Zeit lassen und sichergehen, daß sie mich auch erwischten. Sie zogen linkshändige Dolche. Unwillkürlich runzelte ich die Stirn, als ich sie erblickte. Bei den verdammten Dingern handelte es sich um Piekser, Meuchelmörder-Dolche. Man hatte sie für den Gebrauch mit der linken Hand umgearbeitet, um sie als Main-Gauches zu benutzen. Piekser sind bösartige, der Gesundheit absolut abträgliche Waffen, die Rillen auf der Klinge sind mit Gift bestrichen.

»Paß auf ihre Main-Gauches auf, Nalgre. Gift.«

»Ja. Möge Opaz ihre Eingeweide verfaulen lassen.«

Von den sieben Meuchelmördern sahen die beiden in der Mitte am fähigsten aus. Die großen, kräftigen Burschen, der eine ein Rapa, der andere ein Brokelsh, waren die Anführer. Die anderen, bei denen es sich um die verschiedensten Diffs handelte, würden sich an die beiden halten und zweifellos versuchen, uns zu umgehen und von hinten zu erdolchen.

Da ich in einer zivilisierten Stadt Vallias ausgegangen war, hatte ich auf den Gürtel mit den Terchicks verzichtet, der seinen Platz sonst über meiner rechten Schulter hatte. Vielleicht hätte ich es angesichts der verflixten Probleme mit dem Phantom tun sollen. Nicht, daß ein Wurfmesser bei ihm viel ausgerichtet hätte. Aber nun konnte ich dem Anführer der Meuchelmörder keinen Terchick ins Auge werfen und sofort ein zweites Wurfmesser folgen lassen, das dem nächsten Cramph ins Auge fuhr.

Der unvermittelte Angriff ließ für keines der Rituale eines ehrenvollen Kampfes Platz. Diese Yetches waren auf Mord aus. Ohne sie aus den Augen zu lassen, während sie langsam herankamen, wandte ich mich energisch an Nevko. »Nalgre. Das hier geht dich nichts an. Geh mit Tobi ...«

Er lachte. In diesem Augenblick unmittelbar bevorstehender verzweifelter Aktion lachte Nalgre Nevko. »Ich erlaube nicht, daß du mich beleidigst. Außerdem, was Herrscher angeht, bist du recht vernünftig, wirklich, bei Vox!«

»Hm!« machte ich. »Was Herrscher angeht, wird es mich vermutlich bald nicht mehr geben.«

Nun ist Ihnen ja bekannt, daß ich, Dray Prescot, keinesfalls die Angewohnheit habe, darauf zu warten, daß der Feind den ersten Schritt tut. Der Rapa sah nach einer guten Wahl aus. Seine grünen und gelben Federn und der strenge Schnabel, der aussah, als könne er Granit zerhacken, boten mir ein Ziel, dem ich – Zair möge mir verzeihen – nicht widerstehen konnte. Mit einer schnellen Bewegung (mit aller nötigen Bescheidenheit muß ich sagen, daß ich mich wirklich schnell bewegte) ging ich auf ihn los.

Bevor der Rapa-Meuchelmörder wußte, wie ihm geschah, stand ich vor ihm. Die Krozair-Klinge sauste hinab. Seine Main-Gauche wurde beiseite gedrückt, als wäre sie nur eine weitere seiner Federn. Das große Krozair-Schwert hielt auf die Stelle zu, an der Hals und Schulter ineinander übergingen. Der Hieb war genau geplant. Ich hatte meine Gefühle voll unter Kontrolle. Sein befiederter Kopf flog nicht durch die Luft. Er klappte einfach zur Seite. Der Rapa blieb einen Augenblick lang noch stehen, dann brach er zusammen. Bevor er auf dem Boden aufschlug, stand ich wieder an Nalgres Seite. Ich muß sagen, ich war sehr schnell gewesen.

Nalgre Nevko sagte atemlos: »Das war ... schnell ... Jis.«

»Oh, aye.« Ich hielt mich nicht mit der Erwähnung der Tatsache auf, daß viele meiner Decknamen den Zusatz der Schnelle hatten.

Und dann, inmitten dieses angeberischen Gehabes, erkannte ich den fatalen Fehler, bei Krun! In dem Augenblick, als ich den Rapa so unvermutet ausgeschaltet hatte, hätte ich im nächsten Zug den Brokelsh auf genau die gleiche Weise ausschalten müssen. Jetzt starrte der Cramph mich an und hob Rapier und Dolch auf eine Weise, die man kaum als bedrohlich bezeichnen konnte. Diese unwillkürliche Bewegung war eine reine Verteidigungsreaktion auf eine überwältigende Bedrohung. Seine haarigen Züge verzerrten sich zu einer Grimasse puren Hasses.

Beim Geräusch leiser Schritte hinter mir warf ich einen schnellen Blick über die Schulter. Tobi kam heran und meldete, er habe Finsi in die Obhut eines respektablen Pärchens gegeben, das nicht erstarrt vor Angst gewesen sei. Er musterte die verbliebenen sechs Meuchelmörder. »Dieser Rapa hatte einen häßlichen Unfall. Daß die immer versuchen müssen, sich den Vogelhals zu rasieren.« Er zog den Lynxter. »Also bleiben für jeden von uns noch zwei übrig, Doms.«

Das Unglück, dem einer ihrer Anführer zum Opfer gefallen war, hatte die Möchtegern-Mörder zum Innehalten gebracht. Aber es waren gewerbsmäßige Stikitche, die einen Auftrag übernommen hatten. Vielleicht hatte man ihnen den Namen des Opfers nicht genannt. Vielleicht war das der Grund für ihr langsames und wohlüberlegtes Vorrücken.

Hinter ihnen eilten Rampas der Ölige und sein Polsim-Kumpel aus der Tür. Die Stikitche setzten sich wieder in Bewegung und kamen vorsichtig näher. Draußen ertönte ein erstickter Aufschrei; einen Augenblick später schob sich ein Gesicht am Türpfosten vorbei. Diesem Gesicht, das so rot wie Zim leuchtete, folgte ein kräftiger Körper. Eine starke Hand hielt den kleinen Och am Ohr gepackt, und ich schwöre, daß Rampas' Füße kaum den Boden berührten. Deldar Vamgal der Arm erfaßte die Situation mit einem Blick und brüllte einen Befehl, ohne den Kopf zu wenden.

Im nächsten Moment füllte sich die Silberne Feder mit meinen Jungs vom Wachkorps.

Es war nur die Schwadron, die gerade Dienst hatte. Ich seufzte. Mein persönlicher Schutz hatte den Anstoß gegeben, zuerst die Schwertwache des Herrschers und dann die Gelbjacken des Herrschers ins Leben zu rufen. Sie litten schrecklich, wenn ich mich ins Abenteuer stürzte und sie zu Hause zurückgelassen wurden. Ich hätte wissen müssen, daß ihre Patrouillen mir überallhin in Gafarden folgten. Dennoch, bei Kurins Klinge! Es war ein schönes Gefühl, diese großartigen Burschen zu sehen!

Hikdar Ruben ti Drovensmot rief: »Jis! Alles in Ordnung?«

»Aye, danke, Ruben.« Ich deutete mit dem Schwert. »Was wollt ihr mit diesen Kleeshes anstellen?«

Die fassungslosen Meuchelmörder, die dort mit ihren Rapieren und vergifteten Dolchen herumstanden, sahen aus wie Schuljungen, die man beim Äpfelklauen erwischt hatte. Die auf sie gerichteten Armbrüste rührten sich um keinen Zoll.

»Unterzieht sie der hochnotpeinlichen Befragung.« Tobi sagte seine Meinung ziemlich nüchtern. Schließlich hatte er eine Zeitlang in Loh gelebt. Hikdar Ruben erstarrte. Die Hand, mit der er den Schnurrbart rieb, hielt abrupt inne. Nun war Ruben ein Bürger und Soldat des neuen Vallias. Er war aufgrund seiner vorbildlichen Leistungen befördert worden, und sein Leben gehörte dem Wachkorps. »Die Folter ist in Vallia nicht länger erlaubt!« stieß er in einem Tonfall hervor, der an den zuschnappenden Rachen eines Leems erinnerte. »Das hat unser Kendur befohlen!«

»Natürlich. Das habe ich gehört. Ich entschuldige mich.« Immerhin besaß Tobi den Anstand, das zu sagen. Er schob den Lynxter in die Scheide. »Aber bei Hlo-Hli, sie verdienen es!«

Die Wache trieb die Gefangenen hinaus. Rampas der Ölige ging am Ohr gehalten mit ihnen. Endlich konnte ich mich wieder um Finsi kümmern, um Yavnin, um das Phantom – und die einhundertundeins anderen Schwierigkeiten.

Obwohl dieser Zwischenfall zweifellos als eine Art Farce geendet hatte, war er keinesfalls auf die leichte Schulter zu nehmen. Gut, es hatte keine blitzenden Klingen in einem verzweifelten Gefecht gegeben – nun ja, bei Krun, bis eben auf diesen einen schnellen Angriff! Aber die fast unerträgliche Anspannung hatte die Luft fast zum Knistern gebracht. Ich kann Ihnen sagen, der erbarmungslose, geplante Vorstoß der Meuchelmörder sorgte schon dafür, daß man an nichts anderes mehr dachte!

Nun mußte man diese beunruhigende Episode dorthin schieben, wohin sie gehörte – in die Vergangenheit. Wir fanden Finsis Mutter, ihr ging es gut. Ihr Mann war kürzlich gestorben, als er von einem bergabwärtsfahrenden Wagen fiel. Leise und unauffällig wurden gewisse Vorkehrungen für sie getroffen.

Im Verlauf der nächsten Tage entstanden in Gafarden ordentlich aufgebaute Zeltreihen und Küchenbuden. Der Herrscher von Vallia beehrte die Stadt mit seiner Anwesenheit. Sein Wachkorps, das mittlerweile viel größer als meines war – wie es sich gehörte –, schlug um die Stadt herum sein Lager auf, da meine Jungs die besten Unterkünfte in Beschlag genommen hatten. Drak sah keinen Grund, dies zu ändern. Wie er mir anvertraute, bereiteten ihm die hinterhältigen Morde große Sorgen, und er war entschlossen, ihnen auf den Grund zu gehen. Dann traf Inch ein, kurz darauf gefolgt von Seg, der es geschafft hatte, sich von seinen Herrscherpflichten zu befreien. Sie können sich sicher vorstellen, welch großartige Zeit wir miteinander verbrachten! Und dann tauchte auch wieder Yavnin auf, um seine Abwesenheit mit vielen Entschuldigungen zu erklären. Die Dame Ahilya war erkrankt – es ging ihr schon wieder besser, Opaz sei Dank –, und er war nicht von ihrer Seite gewichen. Er hatte eine Botschaft geschickt – hatten wir sie nicht bekommen? Wir schüttelten die Köpfe. »Dem werde ich noch auf den Grund gehen!« fauchte Yavnin. Wir alle verspürten Mitleid für den Boten, der seine Pflicht so vernachlässigt hatte.

Also fiel es mir zu, die Angelegenheit in die richtige Perspektive zu rücken. »Sei nicht zu streng mit ihm, Yavnin. Vermutlich ist er in die Panik geraten. Jedermann floh vor dem Phantom.«

Yavnin nickte. »Wie du wünschst, Jis.«

Das Leben mußte in seiner Routine und seiner oft hektischen Weise weitergehen. Der Nazabni Ulana Farlan gewährte man eine Audienz beim Herrscher, bei der Drak, der für ihre Lage durchaus Verständnis hatte, sie aber nicht darüber im Zweifel ließ, daß sie nach Vondium reisen mußte. Man würde eine neue Stellung für sie finden.

Um die Truppen beschäftigt zu halten, ordnete man eine große Prachtparade an. In zwei Tagen sollten die Regimenter antreten; Kapellen würden spielen, Fahnen geschwenkt werden, Aufmärsche stattfinden – kurz gesagt, ein gewaltiges Schauspiel sollte die Moral der Bevölkerung stärken. Was das Phantom daraus machen würde, darüber wagte ich gar nicht erst nachzudenken.

Der größte Teil des schnellen Reiseverkehrs findet in Vallia auf den Kanälen statt – die Straßen sind nicht im besten Zustand, um es höflich auszudrücken. Darum sind die meisten Drinniks der über Land Reisenden, die man außerhalb vieler Städte Kregens findet, auch nicht besonders groß. Unsere Parade sollte auf dem großen freien Platz stattfinden, der sich unmittelbar hinter dem Kanal mit dem Namen Der unbedeutendere Südkanal befindet. Auf der Stadtseite des Kanals hatte eine emsige Bautätigkeit stattgefunden. Die ganze Stadt wollte bei dem großen Ereignis dabeisein, und bei den Festlichkeiten würde viel gegessen und getrunken werden.

Nun muß unbedingt erwähnt werden, daß die Parade keinesfalls den Militarismus verherrlichte. Natürlich wußten es die Menschen Vallias zu schätzen, daß die Freiheitsarmee das Land von der Zeit der Unruhe befreit hatte. Die geeignete Tätigkeit für einen Soldaten besteht darin, mit vielen Flaggen ordentlich zu marschieren und Kapellen zu bilden, die großartige Musik machen. Eine Armee sollte sich erst dann ernsteren Dingen zuwenden, wenn ihr Land und ihre Lieben bedroht werden. Und natürlich sofort Hilfe leisten, wenn Erdbeben, Überschwemmungen und Wirbelstürme das Land heimsuchten, bei Krun.

Sie können sich sicher das fröhliche Fest vorstellen, als Seg, Inch und ich diese glückliche Zusammenkunft feierten. Unter den dunklen Wolken, die über uns schwebten, nahm unsere Kameradschaft eine ausgelassene Note an; ich wage sogar zu behaupten, daß die dunklen Wolken überhaupt erst dafür den Anlaß boten. Die Ehefrauen waren nicht dabei; sie alle waren mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt. Selbst Silda war mit den Schwestern der Rose unterwegs, weshalb Drak seine Untersuchung allein durchführen mußte. »Weißt du, die SdR haben für eine Menge geradezustehen«, sagte er zu mir, nicht unbedingt ärgerlich, sondern eher schicksalsergeben.

In Gedanken an Delia konnte ich dem nur beipflichten.

Der Herrscher war natürlich in jeden Teil der Parade und der begleitenden Aktivitäten voll eingebunden. Seg und Inch hatten ihre eigenen mittelgroßen Juruks mitgebracht und würden ebenfalls daran teilnehmen. Trotz der festlichen Atmosphäre, die in der Luft lag, war ich mir eines tiefsitzenden Unbehagens bewußt, das ich jedoch nicht zu benennen wußte. Bei dem pustelübersäten Rüssel Makki-Grodnos, würde es am Tag der großen Parade eine schreckliche Katastrophe geben?

Ich mußte diese düsteren Vorahnungen einfach abschütteln. Seg und Inch gingen los, um ihren Pflichten nachzukommen, und da mir durchaus noch bewußt war, daß ich früher falsch gehandelt hatte, als ich neue Freunde zugunsten einiger alter einfach vernachlässigte, ließ ich meinen drei neuen Gefährten Botschaften zukommen, daß wir uns die Parade gemeinsam ansehen und danach feiern würden. Tobi wollte Tassie mitbringen, Yavnin die Dame Ahilya, und Nalgre Nevko machte eine Andeutung, daß er eventuell eine Begleiterin hätte.

Mir blieb nur noch übrig, den Chuktars der Regimenter meines Wachkorps zu sagen, daß ich von ihnen einen schneidigen Marsch erwartete und sie sich wie gewöhnlich um die Einzelheiten kümmern sollten. Als das erledigt war, konnte ich mich in Die Armbrust und der Leem verdrücken, eine anständige neue Taverne, wo ich meine drei Gefährten und ihre Damen treffen sollte. Ich nahm mir vor, mich auf ein fröhliches Fest einzustellen – und in eine Herrelldrinische Hölle mit allen düsteren Vorahnungen!

Bei Krun! Das ließ sich leicht sagen. Wie Sie sich sicher vorstellen können, bereitete mir eine verflixte Frage großes Kopfzerbrechen: Wer hatte das Attentat auf mich in Auftrag gegeben? Die Sonnen von Scorpio schienen prächtig, Menschen eilten in ihrer besten Kleidung und in gespannter, freudiger Erwartung umher, Straßenhändler priesen lautstark ihre Waren an, und das Geschäft zog kräftig an; Artisten zogen an Straßenecken staunende Mengen an – und hinter all diesem fröhlichen Treiben lauerte ein verdammter Cramph in den Schatten, der mich tot sehen wollte.

Aus diesem Grund trug ich nicht mein eigenes Gesicht, als ich zu meiner Verabredung schlenderte. Unter dem vallianischen Leder befand sich das Kettenhemd aus dem Land der Dämmerung; statt der Kniehose trug ich eine lange Hose. Da ich auf Kregen nun einmal ein alter Hase war, hatte ich mein gesamtes Waffenarsenal angelegt. Ich war nicht so dumm zu glauben, nur weil wir einige Meuchelmörder gefangen hatten, würde man keine aus einer anderen Stikitchegilde heranschaffen.

Das Schild über dem Taverneneingang, das einen schleichenden Leem zeigte, auf den ein Bolzen einer gefährlich nahen Armbrust zielte, war hell und eindrucksvoll. Im Gegensatz zu einem berühmtem Tavernenschild vergangener Tage ging hier nicht das Gerücht um, es sei aus massivem Gold. Das Gebäude war neu und geschmackvoll mit Giebeln und Nischen und allen möglichen Skulpturen ausgestattet. Schöne gelbe Leinendecken bedeckten die Tische, es gab Blumen in Vasen. In die Luft gesprühtes Parfüm steigerte zweifellos den Eindruck der Vornehmheit.

Bei den kräftigen Düften rümpfte ich die Nase, als ich eintrat.

»Kadar die Klinge!« sagte Yavnin und erhob sich von seinem Stuhl. Die Dame Ahilya lächelte auf ihre gedankenverlorene, wunderschöne Weise. Als ich durch die Tür schritt, hatte mein Gesicht wieder seinen Normalzustand angenommen. Die anderen begrüßten mich, Tobi sehr jovial und seine Tassie mit roten Wangen. Nalgre Nevko stellte seine Begleiterin ernst als Cindy Cwolanda vor. Ihrem Namen nach kam sie aus dem nordöstlichen Vallia.

Plötzlich schwand das Licht. Schatten bildeten sich. Ein dürrer Languelsh, der für seinen Kaufmannsberuf zu protzig gekleidet war, rief: »Wirt! Bei Loomeel dem Habsüchtigen! Bring Lampen her!«

Das Zwielicht verstärkte sich noch, draußen donnerte es. Nath die Karaffe eilte mit Lampen herbei, gefolgt von seinen Schankmädchen. Wir hatten gutes Wetter erwartet, und so war dieses Gewitter eine böse Überraschung. Grelles Licht überzog die Fenster, der Donner folgte fast sofort. Cindy Cwolanda beugte sich zu mir herüber, das ausdrucksstarke Gesicht besorgt, die Lippen feucht. »Ich kann Donner und Blitz nicht ertragen ...«

Ihren Worten folgte ein ungeheuerliches Donnern, das an das explodierende Pulvermagazin eines Dreideckers erinnerte und das Gebäude zum Erzittern brachte. Die ganze Taverne vibrierte. Das Dach brach ein, und Holz und Mauerwerk regneten in die Tiefe. Gewaltige Staubmassen versperrten die Sicht. Mir blieb nichts übrig, als Cindy zu packen und mich zusammen mit ihr unter den Tisch zu werfen.

»Oh, Majister«, stammelte sie. »Oh, Jis!«

»Keine Angst, Cindy. Das ist nur ein Donnerschlag. Es ist gleich vorbei!«

Leute schrien, und Möbel stürzten um, Karaffen und Pokale zersplitterten, Ale und Sazz ergossen sich über den Boden. Ein bedrohliches Krachen über unseren Köpfen kündigte an, daß das Dach jeden Augenblick ganz zusammenbrechen würde.

»Alle Mann hinaus hier!« brüllte ich mit der alten weittragenden Vordecksstimme. »Hinaus!«

Blindlings vorwärtsstürmende Körper stießen zusammen, und das Schreien nahm kein Ende. Ich packte Cindy um die Mitte, hob sie hoch und hielt auf die Tür zu. Ein Bursche stellte sich mir in den Weg, und gerade, als ich an ihm vorbei wollte, sah ich zu meinem Erstaunen das narbige Gesicht Nath Swantrams, das um ein Haar mit dem meinen zusammengestoßen wäre. Er zuckte zurück, bekam sich wieder unter Kontrolle und hustete, als ihn eine Staubwolke einhüllte.

»Pallan! Ich habe dich gar nicht gesehen, als ich hereinkam.« Ich gab ihm einen Stoß. »Hinaus hier!«

Irgendwie stolperten wir nach draußen. Regen prasselte vom Himmel. Es donnerte erneut, aber diesmal war es schon wesentlich weiter entfernt. Es wurde wieder heller.

Swantram schüttelte sich. »Du hattest mir den Rücken zugewandt.«

Noch immer strömten Leute aus der Taverne Die Armbrust und der Leem. Cindy rief: »Da ist Nalgre!«

Nevko gesellte sich zu uns; Yavnin und Ahilya waren bei ihm. Augenblicke später fanden wir Tobi und Tassie. Der Regen ließ nach. Wir betrachteten die Taverne – vielmehr ihre Trümmer.

Kleine Flammenherde wollten sich festsetzen. Die zerschmetterten Lampen gaben sich alle Mühe, die Ruine in Brand zu setzen, aber der Regen war stark genug, um die Flammen zu löschen. Auf der Straße herrschte ziemliche Verwirrung, als Menschen ziellos umherliefen. Wir stellten schnelle und energische Fragen, und es wurde klar, daß niemand fehlte. Der Regen versiegte. Die Sonnen von Scorpio kamen rubinrot und jadegrün wieder zum Vorschein, wie sie es immer tun, und tauchten das Land in Farbe und Helligkeit.

Nevko nahm Cindy am Arm. »Was ist geschehen? Ich kam auf direktem Weg zu dir, aber du warst weg.«

Cindy kicherte verstohlen. Ehrlich gesagt handelte es sich unter diesen Umständen um ein ziemlich schelmisches Lachen. »Oh, ich habe mich zusammen mit dem Majister unter dem Tisch versteckt.«

Tobi lachte schallend, während Yavnin lächelte. Er sagte: »Alles ist vorbei. Wenn wir rechtzeitig zur Parade wollen, müssen wir jetzt gehen.«

Tassie legte den Arm um Tobi. »Ich bin ganz durchnäßt. Aber das trocknet schon wieder. Und ich möchte die Parade nicht verpassen.«

Die junge Tassie war nicht nur eine charmante Dame, sie war auch praktisch.

»Ja ... schon ... aber ich wage gar nicht daran zu denken, wie mein Haar aussieht«, sagte Ahilya. Alle waren höflich genug, es ihr nicht zu sagen.

Trotz ihrer Worte erholten sich die Damen noch immer von dem Schock ihrer Erlebnisse. Vielleicht würde die Parade die Dinge endgültig wieder ins rechte Lot rücken, vielleicht würde sie aber auch nur alles noch schlimmer machen. Die Entscheidung lag natürlich nicht bei mir. Die allgemeine Verwirrung legte sich allmählich. Menschen strömten auf die Kanalbrücken zu. Also schlossen wir uns ihnen an. Von Nath Swantram war keine Spur zu sehen.

Nun dürfen Sie nicht glauben, daß ich die Frauen verunglimpft habe, weil ich nur ihre Reaktion auf den Schock erwähnte, die Männer aber davon ausschloß. Das Gegenteil trifft zu. Dank ihrer Berufe und Lebenserfahrung waren die Männer einfach besser gerüstet, mit einer solchen Situation fertigzuwerden. Die Bürger bewegten sich nun mit größerer Eile. Sie füllten die Straße wie eine menschliche Flutwelle, und dann ... dann riefen Stimmen hinter uns ein Wort! Das Wort!

»Das Phantom! Lauft! Lauft! Das Phantom!«

Das ausbrechende Chaos hallte in den Himmel. Die Masse der Bürger, die die Straße entlangeilte, riß alles mit sich. Tobi und Tassie, die sich schnell beieinander unterhakten, wurden fortgedrängt. Yavnin brüllte noch: »Bleibt zusammen!« Dann wurde auch er abgedrängt, während Ahilya fast an seinem kräftigen Körper hochkletterte. Nevko packte Cindy und warf wilde Blicke um sich, aber auch sie wurden von der Menge fortgerissen.

Ich wollte zurückbleiben und mir das Ungeheuer noch einmal richtig ansehen, also setzte ich mich ein paar Herzschläge lang gegen die menschliche Flut zur Wehr. Es war einfach nicht möglich, die Menge in entgegengesetzter Richtung zu durchqueren. Panik, blindwütige, kopflose, wilde Panik, machte jede Vernunft zunichte.

Eine Lamnia-Frau wurde gegen mich gestoßen, prallte zurück und fiel auf die Knie. In den Armbeugen hielt sie zwei kleine Kinder. In der nächsten Sekunde wäre sie zu Tode getrampelt worden. Es blieb gerade noch genügend Zeit, sie hochzureißen, auf die Füße zu stellen und einen Arm um sie zu legen. Wir wurden mitgezogen, eingeklemmt zwischen den sich windenden Körpern. Lamnias gehören zu den erfolgreichsten Händler-Rassen Kregens, und diese Großmutter paßte auf die Nachkommen auf, während sich die Eltern die Parade ansahen. Ich konnte nicht mehr tun, als dafür zu sorgen, daß ihr und den Kindern nichts zustieß.

Sie wollte etwas sagen, ein paar Worte des Dankes, aber der um uns herum herrschende Lärm begrub alles unter sich, machte fast jeden klaren Gedanken zunichte. Wir wurden weiter nach vorn gestoßen. Der Kanal kam in Sicht, und die Leute drängten sich auf die Brücken. Der Kanal selbst schrumpfte zu einem kurzen Augenblick glitzernden Wassers zusammen, dann schossen wir auf der anderen Brückenseite an Land, wie Champagner aus einer geschüttelten Flasche.

Die Flucht nahm kein Ende. Die guten Leute kreischten und fuchtelten wild mit den Armen, während sie Hals über Kopf blindlings weiterstürmten, auf der Suche nach Lücken in den dichtgeschlossenen Reihen der Soldatenregimenter, die zur Parade angetreten waren. Ich erblickte Seg, der auf einer Zorca saß. Er rief etwas, ich konnte es nicht verstehen, aber die Jurukker wichen nicht beiseite.

Guter alter Seg.

Irgendwie schafften es die alte Frau und ich, uns aus dem wilden Mob zu lösen. Wir stießen hart gegen die vorderste Reihe von Segs Erstem Bogenschützenregiment. Der befehlshabende Jiktar erkannte mich. Schnell führte man die Lamnia und ihre Zwillinge nach hinten, dann kam Seg mit gerunzelter Stirn heran.

»Du darfst fragen!« sagte ich und schüttelte mich, um mein verrutschtes Waffenarsenal zu ordnen. »Das verdammte Phantom jagt uns.«

Seg deutete mit dem Schwert auf die andere Kanalseite. »Wo denn?«

Er hatte recht. Die Fläche zwischen den Häusern und dem Kanal lag offen und verlassen dar. Dort schlich kein Phantom herum.

»Hast du das verdammte Ungeheuer gesehen, mein alter Dom?«

»Nein.«

»Es muß die Leute, die ganz hinten standen, in eine andere Richtung gejagt haben.«

Wie gewöhnlich hatte Seg recht. Sobald eine Panik ausgebrochen war, stürmte eine Menschenmenge blindlings los und würde sich durch nichts aufhalten lassen. Ich wollte ihm zustimmen, sagte aber statt dessen: »Richtig. Aber da kommt es!«

Sofort rief Seg im Befehlston seinen Bogenschützen zu, sich bereitzuhalten. Deutlich war zu sehen, wie eine zitternde Bewegung die Ränge durchlief; das Regiment wich aber nicht.

»Wollen wir doch einmal sehen, was fünfhundert lohische Bogenschützen ausrichten können.« Der Tonfall meines Klingengefährten war ernst, aber in seinen Worten kam unmißverständlich der Jubel eines Meisters seines Fachs zum Ausdruck, der die Aussicht hatte, vor der größten aller Bewährungsproben zu stehen. Ich nickte. In diesem Augenblick galoppierten die Chuktars meiner Regimenter herbei, und wir klärten schnell, in welcher Reihenfolge geschossen werden sollte. Alle waren aufgeregt. Die Erwartung dessen, was da auf uns zukam, schuf eine knisternde Atmosphäre.

Das Phantom sabberte. Zu meiner Überraschung hatte es an der linken Hand alle fünf Finger. Der verwesende Schädel wackelte grotesk bei jedem Schritt. Jene beiden Abgründe unheiligen blutroten Feuers leuchteten unheimlich aus den Augenhöhlen. Es blieb stehen. Es bewegte sich ein paar Schritte zur Seite, dann wieder rückwärts, die Knochenarme drohend erhoben. Es setzte sich in Bewegung.

In der ganzen Parade wurde der Schießbefehl erteilt.

Viele Bogenschützen waren anwesend. Einen Augenblick lang verdunkelte sich der Himmel, als die Pfeile durch die Luft jagten. Die genaue Abstimmung war von allergrößter Wichtigkeit, und die Regimenter schossen synchron. Hunderte von Pfeilen, mit Stahlspitzen versehen, zischten an dem Untoten vorbei, Hunderte bohrten sich in den Kadaver und zerschmetterten die Knochen.

Das Ungeheuer tanzte wie in ohnmächtiger Wut und taumelte zurück. Es stemmte sich gegen den Hagel gefiederten Todes und faßte wieder Fuß. Am ganzen Leib zitternd blieb es stehen; es sah aus wie ein Nadelkissen. Es unternahm einen Versuch, sich vorwärts zu bewegen, dann einen zweiten; beide Male erfolglos, fiel es zurück.

Dann versuchte es das Phantom ein drittes Mal, durch die herabregnenden Pfeile zu gehen. Es kam nicht weit. Knochenstücke fielen zu Boden.

»Das verdammte Ungeheuer schrumpft!« rief Seg.

»Aye«, sagte Inch, der herangeritten kam; er sah im Sattel lächerlich groß aus. »Ich hatte gehofft, wir könnten es in Stücke schießen. Aber jetzt ...« Er schwenkte die Axt.

Das Phantom sank in sich zusammen. Vermoderte Stoffstreifen sackten nach innen. Die Bestie wurde immer kleiner, bis nur noch der blanke Schädel aus einem Knochenstapel herausragte. Ein dumpfer Knall hallte durch die Luft, als plötzlich ein grelles Licht aufblühte und eine Staubwolke über das Pflaster wogte.

Es blieb nichts übrig.

Das Phantom hatte aufgehört zu existieren.

Ohrenbetäubender Jubel ertönte in den Rängen, und die Jungs schwenkten voller Triumph die Bogen. »Hai Jikai! Hai Jikai!«

Und damit war alles vorbei – bis auf den Jubel, und die Feier sollte noch lange dauern. Drak war der Meinung, daß die Geschehnisse besser als jede Parade waren, und die Regimenter erhielten dienstfrei, um sich zu verlustieren. Seg, wie immer ganz der sparsame Quartiermeister des Heeres, gab den Befehl, daß müde gewordene Soldaten die Pfeile wieder einsammeln sollten. In dieser Nacht war Gafarden ein einziges Fest. Als wir alten Kameraden am Abend zusammentrafen, wurden mit Draks Erlaubnis auch meine drei neuen Gefährten mitsamt ihren Damen dazugebeten.

Verständlicherweise gab es viel Gesprächsstoff. Wir hatten Gafarden von der Heimsuchung durch das Phantom befreit. Für die Nazabni Ulana Farlan mußte man eine neue Stellung suchen. Da war Nath Swantram, den man zum Gegenstand einer gründlichen Untersuchung machen mußte. Yavnin würde sich zum Dienst zurückmelden. Nalgre Nevko hatte dringende Geschäfte mit seinen reichen Kaufleuten zu erledigen. Tobi war noch immer in Tassie vernarrt, zum allgemeinen Erstaunen und zur stillen Erheiterung seiner Freunde.

Alles in allem hatte die Angelegenheit ein glückliches Ende genommen.

»Abgesehen von den armen Leuten, die umgebracht wurden«, sagte Tassie leise.

Wir stimmten ihr zu, einen Augenblick lang wieder ernst geworden. Es war Seg, der erneut die Stimmung hob. »Beim Verschleierten Froyvil! War das keine prächtige Schützenkunst?«

»Ja«, sagte Drak. »Gegen ein stählernes Bokkertu läßt sich schwer etwas sagen.«

Dem konnte ich nur zustimmen. Dann sagte ich: »Ich werde morgen in aller Frühe aufbrechen, um deine Mutter zu finden, Drak! Gleichgültig, wo auch immer sie ist.«

Bei Zair! Der Anblick von Delia von Delphond, Delia von den Blauen Bergen, wäre unvergleichlich schöner als die großartigste Bogenschützenkunst zweier Welten!