9

 

 

Alles in dem runden Raum schimmerte weiß. Wände, Decke, Boden waren in einem auf Hochglanz polierten Weiß gehalten. Die Tür, durch die mich der zischende Stuhl gebracht hatte, schlug hinter mir zu. Ein letzter Schwaden roten Lichts verblaßte. Ich hatte weder das Grün Ahrinyes noch das prächtige goldene Gelb Zena Iztars gesehen. Jetzt umgab mich das Weiß polierter Knochen.

Im genauen Mittelpunkt des Raums befand sich ein einbeiniger Tisch. Auf der weißen Oberfläche standen ein Pokal und eine Karaffe.

Ich wartete nicht darauf, daß die unheimliche unsichtbare Stimme mir etwas zu trinken anbot, sondern trat hinzu und schenkte mir ein. Bei dem Wein handelte es sich um einen Roten mit einem vielversprechenden Blaustich, der durchaus süffig die Kehle hinunterrann. Ich erwähnte kurz Mutter Zinzu die Gesegnete.

Als die Stimme endlich erklang, rauschte sie wie Sereblätter im Herbst. »Dray Prescot!«

»Ich bin hier.«

»Es gibt Arbeit für dich.«

»Welch eine Überraschung.« Nun war ich weder beschwipst, noch wollte ich das Gegenstück eines galaktischen Selbstmordes begehen. Mit diesen unfaßbar alten und mächtigen Wesen durfte man nicht leichtfertig umgehen. Allerdings muß ich zugeben, daß selbst zu diesem späteren Zeitpunkt, als ich das Gefühl hatte, etwas besser mit den Everoinye auszukommen, ein paar sarkastische Bemerkungen nie fehl am Platz waren.

»Dir wird eine hohe Ehre erwiesen. Eine außerordentlich hohe Ehre! Du wirst einem Kregoinye zur Seite stehen, für den wir die größte Hochachtung empfinden. Er steht für all die Qualitäten, die wir von denjenigen verlangen, die uns dienen. Du wirst seinen Befehlen gewissenhaft nachkommen.«

Ich wollte es sagen. Ich wollte sagen ›Ihr sprecht doch nicht zufällig von dem alten Strom Irvil aus den Pinienbergen?‹ Aber ich hielt die alte schwarzzähnige Weinschnute geschlossen.

»Sieh her!« Bei diesen Worten fuhr ich herum. Die Karaffe war vom Tisch verschwunden. Dafür lag ein aus feinen, hochwertigen Eisenringen geschmiedetes Kettenhemd auf der weißen Fläche. »Du wirst die richtige Ausrüstung erhalten.«

Kettenhemden dieser Qualität waren mir nicht unbekannt. Als ich mich des primitiven Kettenpanzers des Binnenmeeres entledigte und die prächtige Rüstung anlegte, sagte ich: »Ihr schickt mich in das Land der Dämmerung.«

Die ganze Zeit zwang ich mich zu einem unbeteiligten Tonfall. Die Herren der Sterne hatten mich schon früher mit Ausrüstung versehen, aber es entsprach nicht ihren gewöhnlichen Gepflogenheiten. Normalerweise schleuderten sie mich nackt und waffenlos in die Tiefe. Ich wollte meine Überraschung vor ihnen verbergen.

Das kam mir zwar selbst kleinlich vor, aber ich konnte das unbestimmte Gefühl nicht abschütteln, daß dieses Verhalten ein gewisses Gleichgewicht in meine Beziehung zu den Herren der Sterne brachte. Zwar konnte ein einfacher Sterblicher nie hoffen, ihnen gewachsen zu sein; dennoch versuchte ich sie zu überlisten, wenn ich konnte. Das war gefährlich, ziemlich amüsant und einfach unumgänglich.

»Der Kregoinye heißt Surrey. Sei ihm ein guter Diener.«

Das war alles. Die Tür öffnete sich, der Stuhl zischte herein, hielt an, und ich setzte mich. Es ging die regenbogenfarbenen Korridore entlang und hinein in das blaue Licht des Skorpions.

Ich wollte nicht ins Land der Dämmerung. Nein, bei Vox! In Urn Vennar wartete Arbeit auf mich. Der Azhurad konnte jeden Augenblick ertönen. Wenn ich dort unten im Land der Dämmerung in Havilfar festsaß, würde ich den großen Ruf zu den Waffen hören. Das war nicht das Problem. Die Schwierigkeit bestand vielmehr darin, den Weg zum Auge der Welt zurückzufinden. Ich verfluchte die Herren der Sterne!

An dem Ort, an den man mich schickte, stellte eine Waffe von der Art meines Krozair-Langschwertes eine Neuheit dar, um nicht zu sagen eine Quelle der Erheiterung. Die Bevölkerung des Landes der Dämmerung, die der Legende nach zu den ersten bekannten Völkern Havilfars gehörten, benutzte Thraxter und eine Vielzahl anderer tödlicher Eisenklingen, wenn sie miteinander kämpften. Wenn sie miteinander kämpften! Ha! Die Nationen des Landes der Dämmerung bekriegten sich ununterbrochen.

Die blaue Strahlung entführte mich in kalte und böige Winde. Ich fügte mich und wartete auf die Landung. Der verflixte Skorpion hatte in der Vergangenheit Transporte verpfuscht und mich fallen gelassen, als die wogenden Himmelsfarben miteinander kämpften. Mein Vertrauen in den riesigen Phantomskorpion hatte deshalb etwas gelitten.

Was die Krozair-Klinge angeht, nun, dieses erstaunliche Schwert ist mehr als nur ein einfaches langes Schwert. Dem äußeren Anschein nach eine gerade, beidseitig geschliffene Klinge, beschreibt der Stahl zwischen Griff und Spitze eine kaum wahrnehmbare Krümmung. Und es ist diese schlau durchdachte Krümmung, die den Besitzer in die Lage versetzt, jenen schneidenden Hieb anzubringen, der in einem Kampf so wirkungsvoll ist und der Klinge gestattet, die in dem Schlag liegende Wucht zu nutzen und ihn fortzusetzen. Die Krozair-Klinge würde sich unter meinen Umhang schmiegen, wie schon so oft bei früheren Gelegenheiten.

Mein Erstaunen über den Großmut der Herren der Sterne steigerte sich noch, als ich den Boden berührte. Gut, ich weiß, was Sie meinen: den scheinbaren Großmut; schließlich kannte ich sie.

Als sich der blaue Nebel klärte, fand ich mich zwischen zwei Säulen wieder, auf der obersten Stufe einer prächtigen Treppe. Ich war ohne zu stolpern oder direkt auf dem Rücken zu landen, aufrecht stehend abgesetzt worden. Die Zwillingssonnen waren fast untergegangen, so daß die Horde, die am Fuß der Treppe lärmte, von dem flackernden Licht der Fackeln in ihren schmutzigen Händen in ein unheimliches Licht getaucht wurde. Darunter befanden sich auch Männer in Rüstungen. Die in schmucke Uniformen gekleideten Wächter, die hier oben eine dünne Linie bildeten, waren meiner Meinung nach eine zu kleine Streitmacht, um den aus Leibeskräften brüllenden Mob aufzuhalten, falls er die Treppe hinaufstürmte.

Was sie riefen, manchmal gemeinsam im Chor, war im höchsten Maße unschön. »Tod den Diffs! Tod den Numims! Tod den Lords!«

Ein zweiter, ausführlicher Blick enthüllte die unheilvolle Tatsache, daß der rasende Mob allein aus Apim bestand, Homo sapiens sapiens wie ich.

Ein schneller Blick über die Schulter verriet mir, daß sich hinter der Treppe der Palast erhob. Bei den zerfließenden Augäpfeln und den eitrigen Mandeln Makki-Grodnos! Erwarteten die Herren der Sterne etwa von mir, mich mit dieser Horde anzulegen und sie im Alleingang aufzuhalten? Offenbar teilten die Wächter meinen Standpunkt, denn sie bewegten sich unruhig und fingerten an den Waffen herum. Ich war davon überzeugt, daß sie in dem Augenblick die Flucht ergreifen würden, in dem die ersten Mitglieder der blutdürstigen Menge in die Höhe stürmten.

Die Wächter stellten die gewöhnliche Mischung von Jurukkern dar, Rapas, Fristles, Numims, Khibils. Keine Pachaks. Und keine Apim.

»Prescot!« Die Stimme peitschte hart und gefühllos wie der Knall eines Zwölfpfünders. »Herkommen und den Kopf unten halten!«

Ich fuhr herum und sprang, aber nicht wegen der Schärfe des Befehls, sondern weil ich ein alter Hase bin. Der Satz in die Schatten geschah mit einer solchen Schnelligkeit, daß ich um ein Haar den Burschen umgestoßen hätte, der dort stand und mich mit einer braun behandschuhten Hand heranwinkte. Er wich zurück. Dann bewies er seine Qualitäten als Krieger, riß sich zusammen und hob das Kinn.

»Du bist verdammt schnell, Prescot!«

Ich sparte mir eine Antwort und warf einen Blick über die Schulter, um zu sehen, ob unser kleiner Beinahezusammenstoß Aufmerksamkeit erregt hatte. Die Wächter auf der Treppe traten von einem Fuß auf den anderen. Ein mutiger Bursche, der sich die erste Stufe hinaufwagte, und die kleine Juruk würde fliehen. Jenseits des Mobs erstreckte sich ein schlechtbeleuchteter Kyro, dessen gegenüberliegende Seite von Gebäuden begrenzt wurde. Nur undeutlich erkennbare Gestalten – hauptsächlich Frauen und Kinder – verrieten den Gemütszustand dieser Leute. Die Situation war klar. Das hier war eine Rebellion, und die Apim wollten die Diffs töten.

Ich wußte mit absoluter Sicherheit, daß im Inneren dieses großartigen Palastes die Löwenmenschen, die über diese Stadt herrschten, sich die Schwerter umgürteten, um herauszutreten und diesem verdammten Apim-Mob zu zeigen, wer der Herr war.

Und ihre Frauen und Kinder würden zitternd abwarten, was mit ihnen geschah. Eine ganz und gar häßliche Szene.

Der Grund, warum man zwei Kregoinye an diesen Ort geschickt hatte, war offensichtlich. Die herrschenden Numims sollten gerettet werden. Nun, ich hatte im Verlauf meiner Dienste für die Everoinye eine Menge Leute gerettet; diesmal schien es eine außerordentlich schwierige Aufgabe zu sein.

Als ich meine Aufmerksamkeit wieder Surrey zuwandte, bemerkte ich, daß er mich musterte, soweit es das schwankende Licht der entlang des Architravs aufgehängten Laternen zuließ. Er trug widerstandsfähiges schwarzes Leder über einem Kettenhemd, das, wie ich jede Wette eingegangen wäre, von demselben Ort stammte wie meines. Sein Rapier und die Main-Gauche machten einen brauchbaren Eindruck; das Schwert, das oberhalb des Rapiers angeschnallt war, erschien mir ungewöhnlich, und ich nahm mir vor, mir diese Klinge später einmal näher anzusehen. Die bemerkenswerteste Sache an Surrey war sein Hut. Er hatte eine hohe Krone und einen breiten, herabhängenden Rand und war mit Fairlingfedern geschmückt.

»Genug gesehen?« fragte er grob.

»Du sollst mich einweihen, was hier geschieht.«

»Ich kenne dich nicht, Prescot. Die Everoinye haben mir nur wenig über dich erzählt, einmal abgesehen davon, daß du keine Autorität magst.« Er sah fort, zu der ruhelosen Menge mit ihren Fackeln hinüber. »Dray Prescot – ich nehme an, du kommst aus Vallia und bist nach dem Herrscher benannt worden.« Er schnaubte und richtete den Blick wieder auf mich. »Welch ein Onker! Abdanken! Kannst du dir vorstellen, auf solche Macht zu verzichten?«

Sein Gesicht geriet in den Lichtschein einer der schwankenden Laternen. Fast fluchtartig zog er sich zurück in die Schatten. Das Gesicht – er war ein Apim – mit den scharfen Zügen trug einen Ausdruck angestauten Hungers. Der schwarze Schnurrbart bildete einen geraden Strich über dem Mund, der sich vor Ärger über das enthüllende Licht anspannte. Zumindest drängte sich mir dieser Eindruck auf, aber ich bezweifelte, daß er sich über sich selbst ärgerte, weil sein Gesicht ins Licht geraten war. Meinem Urteil nach war er ein Mann, der seine Autorität gern ausübte.

Ich sagte: »Ich warte.«

»Sehr gut. Tu, was ich dir sage, und alles wird gut.« Dann erklärte er mir den Auftrag. Wir befanden uns in Larnydlad, einer Stadt des unabhängigen Kovnats Larnydria. Wir sollten den Kov und dessen Familie retten. Es gab ausreichend Grund zu der Annahme, daß ihn seine Gefolgsleute mitsamt seinen Gutwetterfreunden bereits im Stich gelassen hatten. Die Wächter würden bald flüchten. Es hing alles an uns beiden Kregoinye. Das war nun wirklich nichts Neues, aber ich verzichtete auf die Bemerkung. Wir mußten nur in Bewegung bleiben, dann war alles in Ordnung.

Während seiner kleinen Ansprache hatte ich den wütenden Mob in meinem Seemannsauge behalten. Nun weiß ein Bursche, der in Nelsons Navy Erster Leutnant auf einem Vierundsiebziger gewesen war, wie der Anführer einer Meuterei aussieht. Dort unten standen zwei vielversprechende Kandidaten, die gestikulierten und die anderen aufwiegelten.

Es gab nur eine richtige Taktik für diesen Fall: einen kleinen Trupp aussenden und sie verhaften. Ihrer treibenden Kraft beraubt, würde sich die Menge auflösen. So sah zumindest die Theorie aus. Bei den riesenhaften Oberschenkeln und den grotesken Hüften der Heiligen Dame von Belschutz, der Trupp würde natürlich allein aus meiner Person und aus diesem Surrey bestehen, falls er mich begleitete.

Ich nahm an, daß er genügend Mut für diese Aufgabe hatte, und so überraschte es mich, als er, nachdem ich ihm meinen Plan erklärt hatte, den Kopf schüttelte. »Nein! Versuch nicht, einen Platz einzunehmen, der dir nicht zusteht. Vergiß nicht, ich gebe hier die Befehle.«

Das stimmte, so hatten es die Herren der Sterne befohlen. Trotzdem unterschied sich diese anmaßende Haltung doch beträchtlich von dem Führungsstil, den meine anderen Kregoinye-Kameraden Pompino, Mevancy und Fweygo an den Tag gelegt hatten.

»Also gut.« Dann fügte ich mit einer Ironie hinzu, die er vermutlich nicht zu schätzen wußte: »Nach dir.« Im Ernst, er hätte von der Erde rekrutiert sein können.

Er warf mir einen scharfen Blick zu, als würde er etwas aus meinem Tonfall heraushören, das oberflächlich betrachtet gar nicht da war, nickte, daß der Federschmuck in Bewegung geriet, und verschwand in den Schatten zwischen den Säulen.

Offensichtlich kannte er den Weg, denn er ging ohne Zögern und führte mich prächtig ausgestattete Korridore entlang, deren Wände mit zimmergroßen Gemälden und dicken Vorhängen geschmückt waren. Es war niemand zu sehen. Sie hatten sich bestimmt alle aus dem Staub gemacht.

Nach kurzer Zeit bewegten wir uns im Laufschritt. Das kam mir gelegen, da diese Angelegenheit schnell erledigt werden mußte. Wir liefen am leeren Thronraum vorbei. Dahinter schlossen sich luxuriöse Privatgemächer an. In einem kleinen Schlafgemach fanden wir, was wir suchten.

Die geisterhafte Leere des verlassenen Palastes konnte an den Nerven zerren. Der Ort verbreitete Unbehagen. Seltsamerweise brachte der Mann, der bei unserem Eintreffen aufsprang, die Normalität zurück. Er schwang ein Schwert und schleuderte uns Flüche entgegen. Er trug eine Rüstung, und sein Löwenmenschengesicht verzerrte sich vor Zorn und Verachtung.

»Ihr mörderischen Apim! Ich werde euch zeigen, wie ein Numim zu sterben versteht!«

Surrey breitete die Arme aus. »Kov!« rief er. »Wir wollen dich retten, nicht töten! Steck dein Schwert weg! Wir müssen uns beeilen.«

Der Kov sah mit weitaufgerissenen Augen an uns vorbei; seine Schnurrbarthaare sträubten sich. »Ihr seid nur zu zweit – aber ihr seid Apim. Wie kann ich euch glauben?«

»Durch unsere Taten. Nun, Kov, bitte ...«

Der Numimlord war nicht alt, obwohl auf Kregen das Alter der Leute wegen der außerordentlich langen Lebensspannen oft schwer einzuschätzen ist.

Auf einen leisen Ruf vom Bett her drehten wir uns alle um. Eine Frau versuchte sich aufzusetzen, hielt mit einem schmerzvollen Keuchen inne und sank zurück. Ein einziger Blick auf ihr kalkweißes Haar und die abgemagerte Gestalt verriet, daß sie an der gefürchteten Krankheit namens Chivrel litt. Kreganer haben eine Todesangst vor Chivrel. Das war also der Grund, weshalb die Everoinye uns geschickt hatten.

Zwei löwenmähnige Kinder krochen unter dem Bett hervor. Ein strammer Junge und ein bemerkenswertes hübsches Mädchen; sie waren herzzerreißend jung. Da hatten Surrey und ich ja wirklich ein Problem am Hals.

Surrey sprach mit konzentrierten, wohlüberlegten Worten und machte den Numims begreiflich, daß sie das Vorhaben, viel mitnehmen zu können, aufgeben mußten. »Nur ein paar Juwelen, damit ihr etwas zu essen kaufen könnt.« Im Handumdrehen war die Flucht organisiert.

»Du wirst Kovneva Esme tragen«, befahl Surrey. »Kov Randalt wird sich um seine Kinder kümmern. Ich gehe voran.«

Nun gab es hier zwei Dinge, die die Entscheidungen vorgaben. Erstens stand Kov Randalt Todesängste um seine kleine Familie aus. Zweitens strahlte der Kregoinye Surrey das nötige Selbstbewußtsein aus, um Befehle zu geben, die auch befolgt wurden. Vielleicht war es von beidem etwas. Auf jeden Fall eilten wir aus dem Schlafgemach und begaben uns in den rückwärtigen Teil des Palastes. Kovneva Esme wog nicht mehr als ein Schulmädchen. Randalt wandte sich an mich. »Hast du keine Angst, dich mit Chivrel anzustecken?«

»Es ist nicht ansteckend. Beeil dich.«

Einige geräumige Gemächer weiter blieben wir einen Augenblick lang an der Kreuzung zweier Korridore stehen. Surrey sah sich um. Ich stand neben ihm, während Randalt die Kinder beruhigte. Ich sagte leise und energisch: »Ich würde es begrüßen, wenn du mich Jak nennst. Ich benutze den Namen ...«

Er sah mich an, und ein flüchtiges Lächeln huschte über seine Lippen. »Du auch? Ich benutze den Namen Surrey. Mein richtiger Name ist Otto – aber nenn mich nicht so. Hast du einen Beinamen? Manchmal werde ich auch Otto die Lanze genannt.«

Da ich nicht bereit war, die vielen Namen abzuspulen, mit denen man mich gerufen hatte, sagte ich bloß: »Du hast ihn bereits benutzt.«

Er dachte kurz nach. »Ah! Als du in die Schatten gesprungen bist. Ich hatte die Warnung, den Kopf nach unten zu nehmen, noch nicht ganz ausgesprochen.«

»Du warst ziemlich – brüsk.«

»Ja, nun, ich war erregt und davon überzeugt, man hätte dich gesehen.« Er deutete auf den linken Gang. »Kommt.«

Nachdem wir das Pappattu erledigt hatten, schlichen wir weiter.

Anscheinend war er doch kein so schlechter Kerl. Vielleicht mußte man die Arroganz, die ich entdeckt hatte, der gefahrbeladenen Situation zuschreiben. Er war der Anführer, und Opaz weiß, daß die Anführer den größeren Teil der Bürde tragen. Aber daran hatte er bei seiner Bemerkung über die Abdankung des Herrschers von Vallia nicht gedacht.

Surrey, der in Wirklichkeit Otto die Lanze war – hieß er dann jetzt nicht Surrey die Lanze –, stieß eine vergoldete Flügeltür auf und teilte uns im gleichen Atemzug mit, sie führe in einen Vorraum für Leute, die durch den Hintereingang hereinkämen. Ich blickte an Surrey vorbei und sah die Bescherung. Verkrümmte Körper lagen in roten, rutschigen, trocknenden Pfützen. Der würgende Gestank vergossenen Blutes erfüllte die unbewegliche Luft.

»Das also ist mit ihnen geschehen!« stieß Kov Randalt hervor.

Die zwischen den toten Apim liegenden Leichen der Numimkrieger gaben traurig Zeugnis von dem Widerstand, den sie geleistet hatten. Das erklärte die Szene vor dem Palast. Nach diesem blutigen Beweis zu urteilen, hatte es Jurukker gegeben, die treu zu Kov Randalt gehalten hatten.

»Kümmere dich um die Kinder, Kov!« Ich stieß es heraus, ohne nachzudenken oder zu zögern, mit dem Tonfall eines Herrschers, der Befehle gibt, die augenblicklich befolgt werden.

Er zuckte zusammen. Dann erkannte er die Wahrheit in meinen Worten, beugte sich über die Kinder und hielt ihnen die Augen zu. Bei Krun, auf Kregen sind Kinder hart im Nehmen – wie sehr man es sich in einer vollkommeneren Welt auch anderweitig wünschen würde.

Kovneva Esme, die in eine Decke eingewickelt in meinen Armen lag, stöhnte auf. Die Kinder fingen an, in ihren hohen Stimmen Fragen zu stellen. Der häßliche Geruch bereitete ihnen Unbehagen.

Dicke Säulen stützten das Dach, unter dem die Schatten lauerten. Die Lampen waren nicht nachgefüllt worden; sie qualmten und verbreiteten unbeständiges Licht, so daß wir uns vorkamen, als stünden wir mitten in einem Schattenspiel.

Ein weißer Schemen flatterte aus dem hohen Zwielicht. Eine weiße Taube kreiste kurz in der Luft. Mit einem anmutigen Schwingenschlag drehte sie um, stieg wieder in die Höhe und verschwand.

Nicht sicher, ob Surrey dieses Phänomen gesehen hatte, wollte ich ihn danach fragen, als er sich entschlossen in Bewegung setzte, den Kopf nach hinten wandte und rief: »Kommt schon. Schnell.«

Dieser Blick über die Schulter war sein Verhängnis.

Ein Mann trat aus der Deckung einer dicken Steinsäule. Für den Bruchteil einer Sekunde wurde sein Körper in ein blaues Licht aus einer unbekannten Quelle getaucht. Er baute sich vor Surrey auf, bevor der Kregoinye den Kopf wieder nach vorn gewandt hatte.

»Beweg dich nicht, oder du bist ein toter Mann!« Die Stimme war honigsüß, die Worte von wilder Entschlossenheit erfüllt. »Du! Laß die Kovneva herunter. Sachte!« Eine Schwertspitze drückte gegen Surreys Kehle. »Gesteht eure Niederlage ein. Euer Entführungsversuch ist gescheitert. Ich will euch nicht beide töten, aber, Jalam der Vernünftige ist mein Zeuge, ihr verdient es, voller Verachtung in die Eisgletscher von Sicce geschickt zu werden!«

Ein heller Blutstropfen erschien an Surreys Hals, dort, wo sich die Schwertspitze unbarmherzig in die Haut bohrte.