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Seit Generationen litt das Ansehen des Hauses Vorner unter einem unberechenbaren, abgründigen Wesenszug, und im Verlauf seiner wechselvollen Geschichte wurde der Familienname oft von Ehrlosigkeit beschmutzt. Tralgan, der junge Sohn Lord Nalgre Vorners, hatte ein fröhliches, umgängliches Wesen, das jeden bezauberte, der ihm begegnete. Darum hielten die Leute es durchaus für möglich, daß das verdorbene Blut schließlich doch noch verschwunden war.
Tralgan stand unter der Brüstung des Stadttores, das zum Schloß führte, und starrte entsetzt auf das Dutzend Armbrüste, die auf sein Herz zielten.
»Keine Bewegung, Tralgan! Der Richter wird nicht zögern, den Armbrustschützen den Befehl zum Schießen zu geben.«
Die finsteren Gesichtszüge des Richters bestätigten mit eisiger Autorität, daß Ornol Lodermairs Worte ernstgemeint waren. Er und der Richter standen Seite an Seite im Schatten des Torbogens. Die Schadenfreude und der hämische Triumph in Lodermairs Stimme trafen Tralgan wie ein geschleuderter Speer.
Seine vollen Lippen bebten vor Verzweiflung, die er jedoch mit Wut zu überspielen versuchte. Ornol Lodermair, ein Vetter, den Tralgan schon sein ganzes Leben lang verabscheute, meldete nun hochmütig den Anspruch auf das Schloß und die Ländereien von Culvensax an. Lord Nalgre Vorner, Elten von Culvensax, war gestorben, so wie nach Opaz' Willen für alle Männer irgendwann einmal die Stunde schlägt. Sein Sohn, der die Nachricht mit Trauer aufnahm, eilte sofort nach Hause, wo ihn bereits dieses Unglück erwartete.
»Ich bin der rechtmäßige Herrscher von Culvensax!« Tralgan sprach beherzt, aber das Zittern in seiner Stimme konnte er selbst nicht überhören. »Ornol, du maßt dir meine Rechte auf eigene Gefahr an!«
Lodermair entlockten diese Worte ein höhnisches Grinsen; er nahm sie nicht ernst. Der Richter sagte scharf: »Die Papiere sind alle in Ordnung. Der Letzte Wille des verstorbenen Elten Nalgre wurde in Anwesenheit von Zeugen verfaßt und bestätigt. Kyr Ornol Lodermair ist jetzt der rechtmäßige Elten von Culvensax!«
Im Licht der Zwillingssonnen von Scorpio funkelten die Stahlspitzen der Armbrustbolzen rubinrot und smaragdgrün. Der Sonnenschein spiegelte sich auf dem silbernen Pakmort an Tralgans Kehle. Bis der Tod des Vaters Tralgan nach Hause holte, um sein Erbe zu beanspruchen, hatte sein Lebensziel darin bestanden, die nächste Sprosse der Söldnerhierarchie zu erklimmen und sich den goldenen Pakzhan des Zhan-Paktuns an den Hals zu heften.
Die Szene vor dem Tor kam ihm irgendwie der Wirklichkeit entrückt vor. Viele der Bürger sahen mit weitaufgerissenen Augen zu, von den Speeren der Stadtmiliz in Schach gehalten. Der trockene Geruch nach Staub hing in der Luft; die Menschenmenge gab kaum einen Laut von sich.
Eine tiefe Röte stieg in Tralgans Wangen auf. Das grobschlächtige Gesicht mit den vollen Lippen und den aufgeblähten Nasenlöchern des Hauses Vorner brachte allen Anwesenden mit entsetzlicher Plötzlichkeit in Erinnerung, daß Elten Nalgre tatsächlich Tralgans Vater gewesen war; das Erbe des makelbehafteten Blutes war unverkennbar.
Seine rechte Hand ballte sich um den Schwertgriff an der rechten Seite. Denjenigen, die etwas davon verstanden, entging das keinesfalls, genausowenig wie die Tatsache, daß Tralgan nicht nach dem links in der Scheide steckenden Rapier gegriffen hatte. Er trug eine leichte, für die Reise geeignete Rüstung. Sein Diener, der ein Stück entfernt bei den Tieren von Speerträgern umringt war, sah mit einer Mischung aus Entsetzen, Bestürzung und Bedauern zu.
Tralgan blickte an dem Tor vorbei in die Höhe, wo sich Schloß Vornerstein gegen den Himmel abzeichnete. Er kannte jede Zinne und jeden Turm, jede Schießscharte, jedes Zimmer und jedes Versteck. Hier hatte er seine Kindheit verbracht. Unstimmigkeiten mit seinem Vater hatten gewöhnlich mit tosendem Gelächter geendet, während sie sich in die Arme fielen und versöhnten – welcher Sohn stritt nicht gelegentlich mit seinem Vater? An seine Mutter konnte er sich nicht erinnern. Jetzt wollte dieser Blutsauger und Schmarotzer Ornol Lodermair ihm alles stehlen. Die Faust ballte sich stärker.
»Zieh das Schwert, Tralgan, und du bist ein toter Mann.« Die schwülstige Leidenschaft in Lodermairs Stimme ekelte Tralgan an. Aber er entspannte den Griff. Er war tapfer und leichtsinnig, ja, aber er war nicht dumm.
Als er das Wort ergriff, war er selbst überrascht, wie ruhig und beherrscht seine Stimme klang. »Dieses Testament ist eine Fälschung. Mein Vater hat alles mir ...«
»Dein Vater hat alles mir hinterlassen, seinem Lieblingsneffen!«
Tralgan richtete den Blick auf den Richter. Der unterwürfige Mann blinzelte, schreckte aber keinesfalls zurück. »Ich verlange das mir zustehende Recht, von der Nazabni gehört zu werden. Sie regiert Urn Vennar im Namen des Herrschers und Prinzessin Didis. Ich bin ein treuer Untertan, und man wird mich anhören. Ihr könnt mich nicht davon abhalten ...«
»Ich kann tun, was ich ...«, begann Lodermair leidenschaftlich.
Der Richter legte ihm die Hand auf den Arm und brachte ihn zum Schweigen. »Was Kyr Tralgan da sagt, entspricht der Wahrheit. Der Fall kann der Nazabni vorgetragen werden.«
Tralgan fühlte, wie der Haß jede Faser seines Körpers erfüllte, während er zusah, wie der Richter eindringlich auf seinen Vetter einflüsterte. Lodermair nickte.
»Sehr gut.« Lodermair hob die Stimme. »Alle sollen sehen, daß ich ein gerechter Herr bin. Alles muß auf legale Weise erledigt werden. Der Fall wird der Nazabni Ulana Farlan in der Hauptstadt vorgetragen.«
Ja, da stand er, dieser Ornol Lodermair, fett, die Hände in die Hüften gestemmt, das Kinn vorgestreckt, triumphierend. Er trug das traditionelle vallianische Lederwams, als wäre er, wie Tralgan in seiner Wut und Verbitterung dachte, ein angesehener Vallianer. Aus dem Hut mit der aufgebogenen Krempe ragte ein Federbündel in Ocker und Silber, die alten Farben Vennars aus der Zeit, bevor die Provinz geteilt worden war. Er hob die linke Hand und gestikulierte ungeduldig in Richtung des Kapitäns der Wache. Drei Ringe funkelten an den Fingern der plumpen Hand. Während der Kapitän dem Deldar seine Befehle gab, fragte sich Tralgan nach einem plötzlichen und niederschmetternden Stimmungsumschwung, der Verzweiflung und Düsternis in ihm aufsteigen ließ, wie viele dieser Ringe wohl seinem Vater gehört hatten.
Die Rüstung des Deldars quietschte wie bei den meisten Deldars, als er seine Befehle auf die Art brüllte, die allen Deldars gemein ist; eine Abteilung Speerträger setzte sich in Bewegung und umzingelte Tralgan. Er sah die Kette. Sie brachten tatsächlich eine Kette mit, um ihn zu fesseln. Das vorbelastete Blut machte sich wieder bemerkbar und schnürte ihm die Luft ab; wieder kippte seine Stimmung.
Rote und grüne Lichtreflexe blitzten von den Kettengliedern auf, als die Zwillingssonnen Zim und Genodras' ihre vermengten Strahlen vom Himmel strömen ließen.
Der Deldar hob den Arm, in seiner Faust baumelte die Kette mit den Handschellen.
Tralgan schlug nur einmal zu und versetzte dem Burschen einen sauberen Hieb ans Kinn.
Der unglückselige Offizier stolperte zurück, stieß mit einigen seiner Speerträger zusammen, und alle stürzten in einem Gewirr aus Armen und Beinen zu Boden. »Niemand kettet mich an!« brüllte Tralgan mit noch größerer Stimmgewalt als zuvor der Deldar. »Diese Beleidigung meiner Ehre wird nicht hingenommen. Bei Vox, Ornol, du bist ein Cramph unter Cramphs!«
Chaos brach aus. Lodermair brüllte etwas über Rasts und Cramphs, Tapos und Squirms, während er mit den Armen fuchtelte. Der Richter trat klugerweise einen Schritt zurück. Die Speerträger warteten auf Befehle. Als zuständiger Kapitän der Wache schnauzte der Cadade seinen zu Boden gefallenen Deldar an, sofort wieder aufzustehen. Er musterte Tralgan. »Also gut, Kyr Tralgan. Keine Ketten. Begleite uns einfach zum Schloß – wenn du so freundlich wärst.«
Nun kannte Tralgan keinen der Jurukker der Wache. Es waren alles neue Männer, denn er war lange auf Abenteuersuche fort gewesen, vielleicht länger, als es gut gewesen war. Er sah allerdings, daß dieser Cadade, ein gewisser Jiktar Claydoin Ma-Le, sein Handwerk verstand. Es war ein Pachak mit zwei linken Armen und einer sehr energischen Art, wie es für die Pachak-Diffs üblich war. Also nickte Tralgan bloß und durchschritt das Tor in Richtung des Weges, der zum Schloß hinaufführte – seinem Schloß, sobald Prinzessin Didis Nazabni, die in ihrem Namen regierte, die Angelegenheit durchschaut und Recht gesprochen hätte.
Es gab keinen Zweifel, daß das Adelsgeschlecht der Vorner im Laufe der Perioden viele finstere und blutige Taten verübt hatte. Nalgre, sein Vater, hatte ... Tralgan beschloß, nicht mehr daran zu denken. Er wollte Freude und Frohsinn nach Culvensax bringen. Einige der Söldnerwächter, die sein Vater in Dienst genommen hatte, hatten sich als wenig vertrauenswürdig erwiesen. Vielleicht war diese neue Truppe aus einem anderen, besseren Holz geschnitzt. Der Jiktar Claydoin Ma-Le hatte sein Pachak-Nikobi gegeben und würde treu dienen. Tralgan war sich dessen nur zu bewußt; sein Vater hatte sie früher nie in Dienst genommen. Als Heranwachsender war das Tralgan nie aufgefallen. Er hoffte, daß sich sein Vater in seinen letzten Jahren geändert hatte.
Die Schloßfestung Vornerstein enthielt weitläufige Verliese, ein Vermächtnis der schlechten alten Tage. Man steckte Tralgan in keine Zelle; man brachte ihn in eine kleine Zimmerflucht im Tothturm. Der Cadade sagte etwas steif: »Man hat mir befohlen, dir zu gestatten, Rapier und Main-Gauche zu behalten. Deine restlichen Waffen mußt du abgeben.« Er gestikulierte mit der oberen linken Hand. »Eine Formsache.«
Tralgan blieb wohl keine Wahl, also schnallte er das Kampfschwert, die kurzschäftige Axt und die auf der rechten Schulter befestigten Terchicks ab. Man nahm ihm den langen vallianischen Dolch. Der Pachak erzählte ihm, daß er der Jungfrau mit dem Vielfältigen Lächeln noch keine zwei Monate diene. Er zögerte, und Tralgan gewann den klaren Eindruck, daß Jiktar Ma-Le auf seinem neuen Posten nicht besonders glücklich war.
»Elten Ornol Lodermair ...«, setzte der Pachak an.
Er wurde brüsk unterbrochen. »Ich bin der Elten!«
»Damit habe ich nichts zu tun, Kyr. Ich bin meinem Nikobi verpflichtet.«
Danach wurde eine Mahlzeit aufgetragen, und Tralgan aß, wie jeder Paktun ißt, wenn sich die Gelegenheit bietet. Er streifte unruhig durch die Gemächer. Wie lange würde die Nazabni brauchen, um diesen Verrat ungeschehen zu machen?
Ein Gon mit geschorenem Kopf trat ein, um ihm mitzuteilen, daß er in den Gemächern des Elten verlangt werde. Tralgan beherrschte sich und folgte dem Gon die Stufen zu den Räumen hinauf, die einst seinem Vater gehört und in denen er als Kind gespielt hatte. Lodermair hatte sich mit schwerbewaffneten Wachen umgeben; er teilte ihm mit höhnischem Grinsen mit, man habe der Nazabni eine Botschaft geschickt. »Wie du und die ganze Welt sehen können, bin ich ein gerechter Herr.«
Der Richter war nicht anwesend, und Tralgan hoffte, er werde so schnell machen, wie er nur konnte. Er war zuversichtlich, daß Prinzessin Didi in ihrer Provinz Urn Vennar kein Unrecht zulassen werde. Die Nazabni war die Tochter des alten Nazab Erinor Farlan, die vom Herrscher dazu eingesetzt worden war, Prinzessin Didis Provinz zu regieren. Es gab einen neuen Herrscher in Vallia, sein Name war Drak, und seine Frau Silda war die neue Herrscherin. Tralgan hatte volles Vertrauen in die Rechtsprechung Vallias und daß sie zügig erfolgte.
Der Gon, der in seinem Dienergewand überaus kriecherisch aussah, führte ihn die Treppe hinunter. Er sagte kein Wort. Er stieß die Tür auf, und Tralgan betrat das Gemach.
Er erstarrte. Auf den ersten Blick war alles klar. Man hatte ihn hereingelegt wie einen grünen Jungen. Der Richter und der Cadade lagen leblos in der Mitte des Raums. Von ihrem Blut war eine Menge vergossen worden und in den Teppich aus Walfarg gesickert. Blutgestank hing schwer in der Luft. Tralgans Kampfschwert steckte in der Brust des Richters. Seine Axt ragte aus dem Schädel des Cadades. Die Mordszene hätte nicht eindeutiger sein können.
Mit gewaltiger Anstrengung bewahrte Tralgan die Beherrschung; er fuhr herum. Der Gon mit dem butterbeschmierten kahlen Kopf war verschwunden. Der schwere Klang nietenbeschlagener Stiefel hallte den Korridor entlang, und eine Abteilung Soldaten eilte herbei.
Vornweg marschierte ein prächtig befiederter Rapa und trieb sie an.
»Stillgestanden!« In der Stimme des Rapas schwang Autorität mit. Er trug die Rangabzeichen eines Hikdars, also war er vermutlich der Stellvertreter, der Shal-Cadade, des armen Teufels von Pachak, dessen Schädel Tralgans Axt gespalten hatte. »Was ist die Ursache dieses Lärms?«
»Das solltest du doch wissen!« stieß Tralgan hervor. Ihm war körperlich übel. Man hatte ihn mühelos in die Falle gelockt, und er war sich nur allzu deutlich bewußt, daß nichts, was er sagte oder tat, ihn aus diesem Schlamassel befreien konnte.
Danach nahmen die Geschehnisse schnell ihren Lauf. Die Scharade wurde bis zur letzten Szene durchgespielt. Lodermair verhaftete ihn, richtete über ihn und verurteilte ihn. Man schickte ihn ins Gefängnis, bis die Nazabni sein Schicksal verkündete.
Selbst da, als ihn sein Glück verlassen zu haben schien, setzte Tralgan große Hoffnungen in die vallianische Justiz. Er würde alles erklären. Das Testament würde sich als Fälschung erweisen. Auf seiner Kleidung war nicht ein Tropfen Blut zu finden gewesen. Welche Erklärung gab es dafür, nachdem das Blut der beiden armen Teufel doch überall verteilt worden war? Tralgan konnte bereits freier atmen. Er würde diese verzwickte Lage überstehen und sein Erbe antreten. Bei Vox, das würde er! In Vallia gab es Gerechtigkeit.
Schließlich war ein Nazab, der Gouverneur einer Provinz, einem Kov, dem höchsten Adelsrang, gleichgestellt. Eine Nazabni entsprach einer Kovneva. Solche Leute hielten schreckliche Macht in Händen.
Dergestalt voller Zuversicht, was seine Zukunft betraf, wurde Tralgan nicht so vom Haß verblendet, daß er kein Mitleid für den Cadade Jiktar Claydoin Ma-Le verspürte. Jedermann wußte, daß Pachaks voller Ergebenheit dienten. Dieses schreckliche Ende hatte er mit Sicherheit nicht verdient. Was nun den Richter betraf – sein Name war, soweit Tralgan verstanden hatte, Nath der Gerechte gewesen –, nun, vielleicht hatte er sein Schicksal verdient. Gerecht war er nun wirklich nicht gewesen.
Man brachte ihn in einem schwerbewachten Boot über die Kanäle in die neue Hauptstadt. Seit der Zeit der Unruhe gedieh in Vallia ein neues Bewußtsein für Freiheit und Tatendrang. Gafarden barst förmlich vor Geschäftstüchtigkeit und Handel. Die Stadt, der Prinzessin Didi in Erinnerung an ihren Vater diesen Namen gegeben hatte, war um eine uralte kleine Ansiedlung herum entstanden, die sich an einem vielversprechenden Standort befand. Obwohl sie erst kurze Zeit bestand, gedieh sie prächtig, und die Gafardener hatten vor, es in Zukunft zu noch mehr Wohlstand zu bringen. Man warf Tralgan in den Kerker der alten Festung, die über der Altstadt thronte. In den Gemächern darüber residierten die Honoratioren der Stadt. Hier wohnte die Nazabni Ulana Farlan und herrschte über die Provinz Urn Vennar.
Die zierliche Frau, die ihr Haar immer zu einem Knoten geschlungen trug, hatte die Regierungsgeschäfte nach dem Tod ihres Vaters, des Nazabs, erst kürzlich übernommen. Sie war noch immer in Trauer. Die Macht der Nazabs und Friedensrichter, die die imperialen Provinzen verwalteten, ging nicht automatisch auf den Erben über. Ulana Farlan mußte von Prinzessin Didi in ihrem Posten bestätigt werden und den Segen von Didis Onkel erhalten, dem Herrscher Drak von Vallia.
Sie verließ sich völlig auf ihren Ersten Pallan, Nath Swantram. Als Erster Minister der Provinz wußte er alles, was zu wissen wichtig war. Der ehemalige Soldat, der nun viele Eisen in Form einer Vielzahl von Geschäften im Feuer und es so zu Wohlstand gebracht hatte, verfolgte die Ziele, die für jemanden seiner Stellung, seines Reichtums und seiner Skrupellosigkeit typisch waren.
Seine Nase und sein linker Mundwinkel waren von einem Schwerthieb entstellt, den er in einer längst vergessenen Schlacht erhalten hatte. Die Narbe war geblieben, sowohl körperlich als auch seelisch. Manchmal nannte man ihn Nath der Clis. Das störte ihn nicht, es gab auf Kregen viele Männer, die den Namen Nath der Clis trugen. Seine Gewänder waren verschwenderisch mit Gold versehen, obwohl er während der Trauerzeit etwas weniger prächtige Kleidung trug.
Als er an dem hellen, luftigen Morgen nach Kyr Tralgans Einlieferung in die tief unter ihm befindlichen Kerker das Amtsgemach des Nazabs betrat, verspürte er besonders gute Laune. Das Trinkgelage am vergangenen Abend in seinen Privatgemächern hatte ihm einen prall mit Gold gefüllten Beutel eingebracht. Er konzentrierte sich auf die kleingewachsene Frau, die steif und mit streng nach hinten gekämmtem Haar am Schreibtisch saß. Nein, das war nicht länger das Amtsgemach des Nazabs. Es war jetzt das Gemach der Nazabni. Nun, wenn seine Pläne Erfolg zeitigten – was, bei Klass dem Räuber, auch geschehen würde –, würde er der Nazab und dies sein Amtsgemach sein.
Die beiden besprachen die anliegenden Tagesgeschäfte in streng sachlichem Tonfall, bis Nath der Clis schließlich sagte: »Da wäre dann noch der Mord in Culvensax. Das heißt, eigentlich sind es zwei Morde.« Er berichtete die schrecklichen Einzelheiten der Geschichte. »Es besteht kein Zweifel an Kyr Tralgans Schuld. Die Entscheidung wegen seiner Hinrichtung ist reine Formsache. Es wäre nicht klug, Prinzessin Didi damit zu belästigen. Außerdem« – er schwenkte eine beringte Hand – »besucht sie gerade König Zeg am Auge der Welt.«
»Ah, ja.« Ulana Farlan verließ sich auf diesen Mann, aber sie war sich bewußt, daß sie allein herrschen mußte, und zwar in der Öffentlichkeit. Sie mußte Entscheidungen treffen. Dennoch, Nath Swantram verstand sich in Staatsgeschäften. Sein Rat war tadellos. Wenn sie mit jedem kleinen Problem zur Prinzessin rannte, würde ihre Glaubwürdigkeit sehr bald Schaden nehmen.
»Es besteht kein Zweifel an Kyr Tralgans Schuld?«
»Nicht im mindesten.«
Nath der Clis legte das Todesurteil auf den Schreibtisch.
»Das ist ein Teil meiner Pflichten, an die ich mich niemals gewöhnen werde. Ich weiß noch, wie sehr mein Vater es haßte, Todesurteile zu unterzeichnen.«
»Ja, Gerechtigkeit und Pflicht sind harte Zuchtmeister«, sagte der Pallan glatt.
Nazabni Ulana Farlan, Gouverneurin von Prinzessin Didis imperialer Provinz Urn Vennar, unterschrieb Kyr Tralgans Todesurteil, ohne zu zögern.