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Die schleichenden Auswirkungen blinden Hasses nagten an Tralgan Vorners Gesundheit. Die Haut brannte ihm. Seine Augen fühlten sich an, als säßen sie auf Stielen. Er zitterte. Er schwitzte in der feuchten Kühle des Verlieses.
Vermoderte braune Knochen knirschten unter seinen Schritten. Sein starrer Blick glich dem eines flüchtenden Gefangenen, der die Werstings erspäht, die im Begriff sind, ihn anzuspringen und ihn in blutige Stücke zu reißen.
Das weiche, so unendlich normale Licht der Lampe rief in ihm einen tiefen Abscheu hervor, war es doch unvereinbar mit diesem Ort des Schreckens. Das Verlies überwältigte ihn. Die gebogenen Wände verhinderten jeden Versuch, sie zu erklimmen.
»Bei Chunformo, dem Sprenger aller Ketten!« Aufsteigende Galle brachte ihn zum Würgen. »Das ist nicht mein Ende!« Der zersetzende Haß nagte an ihm. Er blickte sich wild um und entdeckte eine Stelle im Mauerwerk, wo jemand Steine herausgebrochen und eine dunkle Öffnung hinterlassen hatte. Dieser Mensch war vermutlich der Besitzer der Knochen, die verstreut am Boden lagen. Wer immer er gewesen war, seine Werkzeuge lagen noch dort; Werkzeuge, die aus den Knochen eines armen Teufels gefertigt worden waren, den man vor Jahrhunderten hier unten ins Verlies geworfen hatte. Tralgan wurde von einer solchen Wut und dem Verlangen nach Rache erfüllt, daß er einen Knochen ergriff und sich wild auf die Wand warf.
Er schuftete wie ein Rasender, rang in der stehenden feuchten Luft keuchend nach Atem, hieb auf die widerspenstigen Steine ein. Ein seit langem toter Gefangener hatte mit diesem mühsamen Fluchtweg begonnen – und war gescheitert, war vor Vollendung des Fluchtwegs gestorben. Tralgan Vorner, verschwitzt, nur von einem Gedanken erfüllt, von brennender, böswilliger Leidenschaft angetrieben, würde nicht scheitern. Niemals, bei den verdorbenen Eingeweiden von Beng Shuna!
Wer auch immer die arme umnachtete Seele gewesen war, die auf die Wand eingehackt hatte, er – oder sie, bei Vox! – war weit vorgedrungen. Die herausgelösten Ziegel lagen sauber an der Seite aufgestapelt. Tralgan konnte sich in voller Länge in die Öffnung hineinschieben. Vor Anstrengung grunzend schob er sich wieder nach draußen, holte die Lampe und packte die Knochenwerkzeuge mit frischer Entschlossenheit. »Süßer Opaz!« keuchte er. »Steh mir bei in dieser Stunde!«
Er riß den nächsten Stein heraus, voller Angst, daß der provisorische Tunnel über ihm einstürzen könnte, und stieß auf festes Erdreich. Unter seinen wilden Stößen spritzte die Erde beiseite. Der Knochen zerbrach.
So fluchend, wie nur ein erfahrener Paktun fluchen konnte, kroch er rückwärts hinaus. Die Lampe tauchte die auf dem Boden verstreuten Knochen in ihr gelbes Licht. Tralgan wählte einen stabil aussehenden Oberschenkelknochen, stürmte zurück und hieb auf den Anfang des Tunnels ein, den er grub.
Die ganze Zeit über flackerte sein Geist wie eine Kerze auf dem Fenstersims, blieb jedoch stabil genug, um zu erahnen, daß er keinesfalls den Verstand verloren hatte. Vielleicht hätten diese Erlebnisse ausreichen müssen, um ihn makib werden zu lassen. Vielleicht hätte ihn der Wahnsinn in seinen Klauen halten müssen, wie man so sagt. Aber angetrieben von seinem Haß und seinem Verlangen nach Rache, hielt er sich für geistig gesund.
Ein Schulterblatt gab ein handliches Grabwerkzeug ab. Er war sich der Gefahr durchaus bewußt, in die er sich begab; das Einstürzen des Tunnels war unvermeidbar. Er mußte ihn abstützen. Aber womit? Tralgan Vorner, dessen Schweiß sich mit dem Dreck vermischt hatte und dessen Augen rotgerändert waren, lachte an diesem Schreckensort. Womit schon!
Die Knochen.
Als er zurückkroch, mußte er blinzeln. Es fühlte sich an, als wäre jemand mit glühendheißem Schmirgelpapier über seine Augen gefahren. Die Asche aus den Brennöfen von Inshurfrazz verstopfte ihm den Mund; so, wie es ihn würgte, konnten es auch die Abfälle eines viel schlimmeren Höllenorts sein.
Der Weidenkorb enthielt die üblichen Rationen für einen Rudersklaven. Eine Kante trockenen Brotes, eine noch nicht allzu verdorbene Zwiebel und eine einigermaßen eßbare grüne Käserinde. Eine orangefarbene Kürbisflasche enthielt brackiges Wasser. Angesichts der Kürbisform verzog Tralgan den Mund. Es handelte sich um die gleiche Form, die auch sein Gefängnis hatte. Die Zusammenstellung des Proviants überraschte ihn nicht; es war die übliche Ration für einen Sklaven oder einen zum Tode Verurteilten.
Das Wasser half gegen den Geschmack im Mund.
Er nahm einen Knochen und die Lampe, schob sich durch die Maueröffnung und hieb wieder auf das feste Erdreich ein.
Beim dritten Schlag staubte es gewaltig, und das Erdreich geriet in Bewegung. Einen Augenblick voll namenlosen Entsetzens lang dachte er, die Decke werde einstürzen und ihn für alle Ewigkeit begraben. Die Erde wich vor ihm zurück. Ein Rauschen erscholl, das an zurückweichende Wellen erinnerte, die über ein Kieselbett strichen. Hilflos rutschte Tralgan zusammen mit dem nachgebenden Erdreich weiter, unfähig, den Sturz zu verlangsamen. Die Lampe kippte tun und erlosch. Umgeben von einer Dunkelheit, die so dicht war, daß Tralgan fühlte, wie sie in seine Seele eindrang, stürzte er mit dem Kopf voran einen Abhang hinunter.
Er landete unsanft. Außer Atem blieb er auf dem Rücken liegen und versuchte, wieder zu Luft zu kommen und sich zu sammeln. Frisches Erdreich prasselte auf ihn herab, und er wälzte sich ächzend herum und kroch los, bevor er begraben wurde. Eine Hand ausgestreckt, um mögliche Hindernisse zu ertasten, kroch er blindlings weiter.
Opaz! Davon war er überzeugt. Es war die Hand Opaz' gewesen, die die Wand aus Erde hatte einstürzen lassen. Opaz hatte ihn vor dem Ersticken errettet und davor, lebendig begraben zu werden. Er fühlte, wie sein Glaube erstarkte und seine Entschlossenheit sich festigte. Er wußte jetzt, daß sich seine Rache erfüllen würde.
Der fahle Lichtschimmer vor ihm war ein weiterer Beweis für die schützende Hand Opaz'. Eingegrabene Feuerkristalle sorgten für ein unheimliches blasses Licht, das die Umgebung erhellte. Für Vorner lag ein süßes Versprechen in dem Licht.
Als er sich von neuer Hoffnung aufgemuntert weiter in die Richtung begab, traf er auf Mauerwerk. Die Wände, bei deren Bau man auf Ziegelsteine verzichtet hatte, verströmten ein fast greifbares Alter. Hier, tief unter dem Palast, standen die Fundamente, die eigentlichen Wurzeln der Festung aus alter Zeit, die schon lange aufgegeben und vergessen waren. Welche Geschichten diese Steine hätten erzählen können!
»Und ich werde doch noch dafür sorgen, daß dieser herzlose Schurke Lodermair zur Hölle fährt!« stieß Tralgan hervor und marschierte weiter. »Und der Rest der Verräterbande mit ihm!«
Der Gedanke, sich an allen jenen zu rächen, die ihm Unrecht getan hatten, verhinderte, daß Tralgan Vorner den Verstand verlor, daß er in seiner Entschlossenheit nicht nachließ und stur weiterging. Er war müde, keine Frage, aber der Haß ließ ihn nicht zur Ruhe kommen.
Mit der Plötzlichkeit einer Naturkatastrophe wurden seine Hoffnungen hinweggefegt, so wie ein Wirbelsturm die zerbrechlichen Schilfhütten der Shalaam-Flußleute an ihrem Schlammdelta hinwegfegt. Er blieb stehen, mit offenem Mund, keuchend. Körperlicher Schmerz durchzuckte ihn.
Eine ebenholzschwarze Tür versperrte den Korridor. Die schwarze Fläche war übersät mit eingemeißelten Bildern. In dem unheimlichen Licht – die Feuerkristalle verbreiteten nicht die übliche weiße Helligkeit, sondern einen nebelhaften grauen Schimmer – schienen die phantastischen Bestien und Ungeheuer zum Leben zu erwachen, als wollten sie ihn verspotten.
Die Steintür blockierte den Korridor. Es gab weder Architrav noch Kapitelle. Das balassfarbene Hindernis reichte von Wand zu Wand und von der Decke bis zum Boden, und es verhinderte jedes Weiterkommen.
Die in den Stein gehämmerten Worte, die einen Kreis schmückten, schimmerten eigenartig in dem unheimlichen Licht, und Tralgan konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß sie ihm unbeteiligte Verachtung entgegenschleuderten. Die Worte bildeten einen Fluch.
Angesiedelt zwischen den dargestellten Ungeheuern und Dämonen, versprachen sie jedem, der den Versuch unternahm, sich jenseits des Portals zu begeben, ihn mit dem Bösen schlechthin zu strafen.
»In eine Herrelldrinische Hölle mit eurem Fluch!« Tralgan warf sich gegen das schwarze Hindernis. Er strich mit steifen Fingern den Rand entlang, in dem Bemühen, eine Lücke, einen Schlitz, irgend etwas zu finden. Er tastete die wollüstigen Bildhauerarbeiten ab, auf der Suche nach einem vorstehenden Knopf, einem Hebel oder einem verborgenen Schalter, der die Tür öffnete.
Er fand nichts.
Daraufhin ließ ihn sein Willen im Stich, und er trommelte mit geballten Fäusten auf die Barriere ein, schrie und trat; dem Wahnsinn so nahe wie nur möglich, gelang es ihm dennoch, einen Rest seines eigentlichen Ichs zu bewahren.
Schließlich brach er am Fuß der Tür zusammen, doch selbst in diesem Augenblick versuchte er noch immer, auf das Hindernis einzuschlagen.
Wie lange diese erschöpfte Lähmung andauerte, vermochte er nicht zu sagen. Das unheilbeladene und oftmals grausame Blut der Vorners erkämpfte sich mit immer mächtigerem Pulsschlag den Weg durch seine Adern. Er hob den Kopf. Er war Tralgan Vorner. Er ließe sich nicht besiegen! Nein, bei Vox! Es mußte noch einen anderen Weg geben.
Er riß sich zusammen, achtete nicht auf die Schmerzen in den Gliedern, den Durst, das Grollen im Bauch. Er stand auf. Dann drehte er sich um, ging in die entgegengesetzte Richtung und ließ die dreimal verdammte Tür hinter sich. Und wieder schenkte ihm die Hand Opaz', an die er nun inbrünstig glaubte, neue Zuversicht. Zwischen den Steinen der Wand fand er einen schmalen, schrägen Spalt. Er atmete so gleichmäßig und flach wie möglich, um zu verhindern, daß ihm der Staub in Mund und Nase drang, und zwängte sich hinein.
Im metaphorischen Sinne hatte ihm Opaz' Hand vermutlich tatsächlich neuen Auftrieb verliehen; einen Schritt in den Mauerspalt, und er trat ins Leere und stürzte in die Tiefe.
Sie hatten in ihrer prächtig ausgestatteten Gruft geruht, während Reiche entstanden und wieder stürzten und Religionen an Einfluß gewannen und erneut in Vergessenheit gerieten. Es gab neun von ihrer Sorte, neun, die magische und mystische Zahl Kregens. Sie waren die neun Thaumaturgen von Sodan, die neun Zauberer, die vor langer Zeit versucht hatten, alle Macht an sich zu reißen und Vallia zu beherrschen.
Die Sarkophage, die in einem weiten Kreis angeordnet waren, die Fußenden nach außen gerichtet, waren übersät mit Inschriften. Sie glänzten. Nicht ein Staubkörnchen beschmutzte ihre funkelnde Pracht. König Rikto der Glorreiche hatte mit Hilfe einer List die neun Zauberer hier lebendig begraben und zumindest einen Hauch von Magie an ihrem letzten Ruheort erlaubt. Sie hielt allen Staub und Verfall von ihm fern.
Die neun Thaumaturgen lagen tief unter der Erde, doch das Dach ihrer Gruft erstreckte sich glasig und durchsichtig über ihnen. Feuerkristalle sandten einen sanften Lichtschein in den verschwenderisch ausgestatteten Raum. Purpurrote Behänge bedeckten die Wände. Überall funkelte Gold. König Rikto hatte in dem Kampf den Sieg davongetragen, dennoch stellte sich mit dem Erfolg ein tiefsitzendes, unbehagliches Gefühl drohenden Unheils ein. Diese üppige Umgebung, bei der man weder an Arbeit noch an Schätzen gespart hatte, sollte die ruhelosen Geister der Zauberer besänftigen.
Genau in der Mitte, dem Punkt, auf den alle neun Köpfe zeigten, erhob sich ein Marmor-Altar. Er war ebenfalls auf König Riktos Bitte dort aufgestellt worden. Einst hatte er den Tempel von Sodan geschmückt, wo so viele finstere Riten vollzogen worden waren, daß die Leute behaupteten, dort verpeste der Gestank des Bösen die Luft. Der gotteslästerliche Stein wurde zusammen mit den neun Thaumaturgen von Sodan sicher begraben.
Zeitalter waren vergangen. König Rikto war mittlerweile in Vergessenheit geraten; sein Name wurde in keinem der Hyr Lifs, die mit soviel Sorgfalt in den Bibliotheken bewahrt wurden, auch nur erwähnt. Wie seine Epoche war auch er vergessen.
Seit Jahrhunderten hatte kein Laut die hier lastende Stille durchbrochen. Nichts regte sich. Kregen hätte die Zwillingssonnen von Scorpio umkreisen können, bis der Planet am Ende in das rote Feuer Zims gestürzt wäre, ohne daß sich hier etwas verändert hätte.
Und als wäre der jüngste Tag endlich herangebrochen, zersplitterte das Dach. Glasscherben flogen durch die Luft und regneten auf die Sarkophage. Der Lärm erschütterte die äonenalte Stille. Eine fallende menschliche Gestalt brach mit wild rudernden Armen und Beinen durch das Glasdach.
In den sonnigen Hochländern jenseits der Eisgletscher von Sicce verspürte König Rikto der Glorreiche ohne jeden Zweifel einen plötzlichen, durch Mark und Bein gehenden Stich.
Tralgan Vorner fühlte sich, als hätte man ihn gevierteilt und die Stücke in alle vier Ecken Kregens verstreut. Ein Glassplitter ragte ihm aus dem Oberschenkel, und er zog ihn mit einem plötzlichen wilden Ruck heraus. Aus dem Schnitt quoll dunkles Blut. Er fluchte, dann beachtete er die Wunde nicht weiter – als Paktun hatte er weitaus schlimmere Verletzungen davongetragen – und sah sich mit weitaufgerissenen Augen um.
Wo in einer Herrelldrinischen Hölle war er gelandet? Ein Glasdach, hier, tief im Inneren der Erde? Gold, verschwenderische Ausstattung, neun Sarkophage, eine Gruft von atemberaubender Pracht, ein Opferaltar? Er riß ein Stück Stoff aus seiner ohnehin schon zerlumpten Kleidung und wickelte es um das verwundete Bein. Dann stand er auf und prüfte die Belastbarkeit. Nun, bei Vox, er konnte noch immer stehen und gehen – aye, und laufen, wenn es sein mußte.
Der wichtigste Teil dieser seltsamen Kammer befand sich genau am anderen Ende. Er zwang die vom Sturz verursachten Schmerzen, die ihn zusammenzucken ließen, in den Hintergrund seines Bewußtseins und setzte sich humpelnd in Bewegung, auf den Torbogen zu, hinter dem die Stufen einer nach oben führenden Treppe lagen.
Es bestand durchaus die Möglichkeit, daß diese Treppe auf der anderen Seite der dreifach verdammten schwarzen Tür endete, aber er verdrängte den Gedanken. Sollte es sich tatsächlich so verhalten, mußte er eben seinen ganzen Haß und das Verlangen nach Vergeltung, das noch immer hell in ihm loderte, dazu benutzen, um nicht aufzugeben.
Er stieg in die Höhe, immer eine Stufe nach der anderen. Er erreichte einen Treppenabsatz und ging einen vergoldeten Gang entlang. Schließlich kam er zu einer Tür aus Gold. Und wußte, ohne daß ihm auch nur der geringste Zweifel kam, daß er vor der anderen Seite der schwarzen Tür stand. Er befeuchtete sich die Lippen, dann versetzte er der Goldtür einen Tritt, der ihm weh tat, drehte sich auf dem Absatz um und stieg die Treppe wieder hinab.
Es war offensichtlich. Welche Menschen auch immer dort unten begraben lagen – man hatte sie nicht wiedersehen wollen. Man hatte sie von der Welt abgeschottet. Die Tür sperrte sie ein. Ende der Geschichte.
Als er die Begräbniskammer wieder betrat, schmerzte die Enttäuschung schlimmer als die Wunden oder der Zeh, den er sich an der Tür gestoßen hatte. Er konnte nicht zulassen, neben diesen Toten sein Grab zu finden. Er hatte eine Aufgabe zu erfüllen. Sein Haß mußte ihm neue Zuversicht verleihen, seine Rache erfüllt werden.
Er war hungrig und durstig; aber vor allem war er müde. Ein Paktun kann mit leerem Bauch schlafen und muß das auch erschreckend oft tun. Tralgan fand zwischen den vielen Möbelstücken ein gepolstertes Sofa, warf sich darauf und schlief sofort ein.
Als er erwachte, war er zwar noch immer steif und wund, aber immerhin fühlte er sich etwas erfrischt. Nur seine Eingeweide protestierten. Hier gab es nichts zu essen, das war offensichtlich. Selbst wenn es hier jemals Nahrung gegeben hatte, um den Ibs der Leute ihre Reise durch die grauen Nebel zu erleichtern, war sie mit Sicherheit schon vor Jahrhunderten verfault. Es gab viel Gold und noch mehr Juwelen. Tralgan Vorner war ein Söldner, ein Mort-Paktun. Er würde diesen Ort nicht verlassen, ohne so viele Edelsteine wie nur möglich einzustecken, gewiß doch, bei Bonny Nath Makchun, dem König der Räuber!
Mit der Gewissenhaftigkeit eines gewohnheitsmäßigen Plünderers untersuchte Vorner die Kammer. Der Ort war unheimlich. Er ließ nicht zu, daß die Stille, die bedrückenden purpurnen Wandbehänge und die Allgegenwärtigkeit des Grabes ihn einschüchterten. Nur die Juwelen nehmen und dann nichts wie weg! Der Altar in der Mitte bot für jeden Plünderer einen prächtigen Anblick. Der Marmor war mit eingesetzten Edelsteinen übersät. Ein einzelner Smaragd, der auf der Steinplatte funkelte, die zweifellos dazu gedient hatte, Jungfrauen im heiratsfähigen Alter die Kehlen aufzuschlitzen, zog Tralgans Aufmerksamkeit an.
Er berührte ihn. Seltsamerweise war er locker.
Nun war ihm während dieses Aufflackern seiner söldnerischen Raffgier bewußt geworden, daß der Schatz, den er da berührte, seiner Rache auf unschätzbare Weise nützlich sein konnte. Damit konnte er Männer und Frauen kaufen. Er konnte jene mit seinem Haß verfolgen, die ihn verraten hatten. Habgier vermengte sich mit Haß, und diese beiden Gefühle brachten die Luft in der Kammer beinahe zum Brodeln.
Vielleicht lag es an König Riktos Magie, die diesen Ort sauber halten sollte. Vielleicht war es auch der Haß allein, der von Vorner ausging. Zweifellos hatte er etwas Magisches an sich. Tralgan nahm den Smaragd.
Das Knirschen hörte er zuerst. Ein heftiges Kribbeln fuhr ihm durch den ganzen Körper und beseitigte alle Schmerzen. Grünes Feuer hüllte ihn mit einem Zischen ein und wob ein knisterndes Netz, das smaragdgrüne Flammenzungen ausspie.
Tralgan schrie auf und richtete sich auf, starrte in die Runde und sah voller Grauen den Kreis der neun Sarkophage.
Bronzene Gongs erklangen und hallten ohrenbetäubend durch die Kammer. Die Sarkophage bewegten sich. Sie bewegten sich! Geschmeidig drehten sie sich, bis die Kopfenden nach außen und die Fußenden auf Tralgan zeigten.
Die Steinplatten hoben sich, dann schwangen sie zur Seite. Im Inneren der golden schimmernden Sarkophage kam jeweils ein zweiter Deckel in Sicht. Sie klappten beiseite und enthüllten ... Tralgan Vorner schrie auf.
Leiber erhoben sich aus den Grabstätten. Verweste Leichen von Männern und Frauen, deren vermoderte Gewänder von der verfaulten Haut rutschten. Die neun toten und zerfallenen Körper der Thaumaturgen von Sodan erhoben sich und kreisten Tralgan Vorner ein.
Er ließ den Smaragd fallen. Er fuhr am ganzen Leib zitternd herum, zuerst in eine Richtung, dann in die nächste, in dem Wissen, daß diese schrecklichen augenlosen Knochengesichter ihn mit einem Blick anstarrten, dem nicht die kleinste Kleinigkeit entging.
»Nein!« stieß er würgend hervor und streckte abwehrend die Hände aus. »Nein!«
Die neun Leichen grinsten.