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Die Verhältnisse in Prinzessin Didis Provinz Urn Vennar verschlimmerten sich unaufhaltsam. Ein Haufen unaufgeklärter Morde, die Nazabni entlassen, der neue Nazab auf der Reise hinterhältig ermordet. O ja, bei Vox, die Verhältnisse in Urn Vennar waren in einem ziemlich schlimmen Zustand.

Was war aus meinem Versprechen an Didi geworden? Sie können sich meine enttäuschten und aufgebrachten Gefühle sicher vorstellen. Gleichgültig, welchen Weg ich auch einschlug, es taten sich keine einfachen Lösungen auf. Was den Ersten Pallan anging, lag er krank zu Bett, da der Attentatsversuch seine Nerven angegriffen hatte. Daß ein geschätzter Diener Nath Verunders sich als so hinterhältig erwiesen hatte, brachte das ganze Vertrauensverhältnis zwischen Herr und Diener zum Einsturz. Nath Swantram zitterte zwischen den Laken und war für niemanden zu sprechen.

Als der verräterische Diener, Nath der Finioon, sterbend zusammenbrach, hatte er versucht, etwas zu sagen. Seine Lippen bildeten Worte. »Nein! Nein« hatte ich verstehen können, während das helle Blut zu Boden getropft war. »Nein. Der Herr ... ich habe ... Nein!«

Wer konnte schon sagen, was das zu bedeuten hatte?

Notgedrungen gab ich persönlich den Befehl, daß Nazabni Ulana in Urn Vennar blieb und der Unter-Pallan Nogal Venning für den Augenblick Nath Swantrams Pflichten übernahm. Nogal Venning entstammte einer uralten hochrangigen Familie. Seine Ideale von vallianischem Bürgertum waren meiner Meinung nach tadellos. Ich unterhielt mich kurz und energisch mit ihm, woraufhin er nickte und sagte: »Ich gelobe der Nazabni Ulana meine Loyalität, Majister, so wie meine Familie Vallia diente, lange bevor ...« Ihm wurde bewußt, was er da sagte, also unterbrach er sich und endete mit den Worten: »... wie wir es schon immer getan haben.«

Es war klar, was er ursprünglich hatte sagen wollen. ›... bevor ein haariger Graint von einem Klansmann aus Segesthes in Vallia einfiel und die Prinzessin Delia, Delia von den Blauen Bergen, als Braut beanspruchte.‹ Soweit es die Mehrzahl der Leute wußte, war das sogar korrekt.

Ich nickte auf eine energische und unparteiische Weise, die ich für angebracht hielt, und ließ ihn stehen.

Als man das Paketboot aufgeklart hatte, waren die Stikitche, die verstreut an Deck lagen, alle tot gewesen. Der Voller, ein ordentliches kleines Boot mit zehn Vartern, das den Namen Lilie trug, würde einer gründlichen Reinigung unterzogen und wieder dem Dienst übergeben werden.

Ich stattete Swantram einen Besuch ab. Die Wunde an seiner Wange war lächerlich, wie ich gesehen hatte, trotzdem saß er in gelbe Verbände gehüllt aufrecht im Bett. Er hatte seine persönliche Leibwache verstärkt. Seit ich im Verlauf der Kämpfe während der Zeit der Unruhe befohlen hatte, daß Vallia von Vallianern gerettet werden sollte, beschäftigten wir in der Freiheitsarmee keine Söldner mehr. Dieses Diktat hinderte Privatpersonen jedoch nicht daran, Paktuns als persönliche Juruks anzustellen. Swantram hatte eine kleine Armee aufgestellt. Wir tauschten ein paar Höflichkeiten aus. Dabei erfuhr keine Seite etwas Neues, und wir verabschiedeten uns voneinander mit Remberees, die so süß wie Honig waren.

Und welche Rolle spielte Nazabni Ulana in dem Ganzen? Sie schob ihr kleines rundes Kinn nach vorn und verkündete mit großer Entschlossenheit, daß, Opaz sei ihr Zeuge, sie die Provinz regieren werde, bis man einen neuen Nazab oder eine neue Nazabni ernennen werde. Ich kann Ihnen sagen, bei Krun, sie tat mir leid – sie tat mir von ganzem Herzen leid!

Sie war eine Dame, die in ihrem Inneren voller Feuer und Leidenschaft war, während sie sich nach außen hin wie eine steife, kleine, graue Maus gab. Ihr fehlten die offensichtlichen weiblichen Reize Ahilyas. Es bestand keine Möglichkeit, daß der schneidige Jiktar des Luftdienstes sie schätzen lernte – zumindest im Augenblick nicht.

Die Leiche Nath Verunders wurde mit allen Ehren nach Vondium zurückgebracht, wo seine Witwe sie noch immer im Zustand der Fassungslosigkeit erwartete. Hätte sie nicht einer in den Wehen liegenden Enkelin beigestanden, wäre sie an der Seite ihres Ehemannes nach Norden gereist – und damit ziemlich wahrscheinlich in den Tod geflogen. Ich übersandte ihr mein tiefstes Beileid und versuchte, mich nicht schuldig zu fühlen, weil ich nicht am Begräbnis teilnehmen konnte.

Naghan Raerdu schlüpfte mit der üblichen Unauffälligkeit zu mir herein. Er trug ein dunkelgrünes Wams und eine graue Hose. Auf Kregen ändert sich die Mode nur langsam. Sobald die Frauen Kleidung entdecken, die bequem ist, neigen sie dazu, diesem Stil treu zu bleiben. Moden kommen und gehen, allerdings nicht mit der auf der Erde üblichen Schnellebigkeit, die den Neuheiten der Salons und des Laufstegs nachjagt. Die Männer stehen Veränderungen noch viel zögernder gegenüber.

Trotzdem gibt es Veränderungen. Das traditionelle vallianische Lederwams, Kniehose und hohe Stiefel bleiben die Kleidung, der man am häufigsten begegnet; in letzter Zeit waren lange Hosen auf dem Vormarsch – falls der Witz erlaubt ist.

Mein persönlicher Meisterspion berichtete, daß er eine Spur zu den Attentätern aufgetan habe. Diese Nacht fand ein Treffen statt. »Zwei Dinge, Jis«, fügte er hinzu. »Erstens bitte ich dich, dein Gesicht etwas zu verformen. Und zweitens – wie soll ich dich anreden?«

Raerdu gehörte zu der sehr kleinen und ausgesuchten Gruppe von Menschen, die über meine gesichtsverzerrenden Tarnkünste Bescheid wußten. »Einverstanden, Naghan. Was das Gesicht angeht, dürfte eine einfache Veränderung reichen.« Ich zupfte mir an der Nase. »Was den Namen angeht, was schlägst du vor? Ich überlasse es dir.«

Er lachte auf seine unscheinbare Weise. »Ich fasse das als eine Ehre auf, Jis.« Er dachte nach. »Larghos Ravan.«

»Gut. Ein Beiname?«

»Oh, sicher. Äh ... der Lautlose. Larghos der Stille.«

Als ich das hörte, mußte ich lächeln. Guter alter Naghan! Er wollte das Reden übernehmen – und das zu Recht. Das war sein Metier. Er hatte den Plan ausgearbeitet und würde in vertrauten Gewässern fischen. Er hatte mir einmal anvertraut, daß er von zu Hause weggelaufen war, um sich als Söldner zu verdingen, was er dann auch getan hatte. Danach wollte ihm sein Großvater, der alte Naghan das Faß, zeigen, wie das Leben eines Spions aussah, und stellte ihm eine Aufgabe.

»Ich mußte mich einer Bande von Meuchelmördern anschließen. Oben in Vondium, in der Stadt des alten Draks – du weißt, was ich meine?«

»O ja, ich kenne Draks Stadt.«

Naghan hatte bei den Meuchelmördern erfolgreich Aufnahme gefunden. Die einzigen Kitchews, die er erledigt hatte, waren Leute, die es der allgemeinen Meinung nach verdienten, zu den Eisgletschern von Sicce geschickt zu werden. Nun würde diese Erfahrung sich als unbezahlbar erweisen.

Gafarden mochte eine neue Stadt mit prachtvollen Gebäuden sein; doch die finstere Unterwelt hatte sich bereits eingenistet. Unauffällig in dunkle Gewänder gekleidet, brachen wir auf, während die Jungfrau mit dem Vielfältigen Lächeln die Welt in ihr rosarotes Licht tauchte. An der Ecke zur Küferallee lungerte ein Mädchen herum. Ihr Gewand, das einst teuer gewesen war, war rettungslos zerlumpt. Ihr Gesicht war hager bis zur Auszehrung, unter den Augen lagen dunkle Ringe. Sie erweckte den Anschein, in ihrem kurzen Leben böse mißhandelt worden zu sein.

Sie und Naghan tauschten die Worte ›Sompting‹ und ›Fraling‹ als Parole aus.

In Vallia gab es keine Sklaven mehr. Als wir diesem dürren, mißhandelten Mädchen folgten, verspürte ich wachsende Wut. Auch wenn es sich bei ihr um keine Sklavin handelte, wurde sie offensichtlich wie eine Sklavin behandelt. Sie war eine junge Apim, und wir folgten ihr durch die Küferallee in einen Stadtteil, der, obwohl er weit von dem heruntergekommenen, unhygienischen Zustand der Aracloins entfernt war, aus einem verwirrenden Labyrinth schäbiger Gassen bestand. Offensichtlich betraten wir die Altstadt, um die herum die neue Stadt entstanden war. Hoch über uns thronte der Palast, der sich wie ein schwarzes Schiff von den Sternen abhob.

Unsere Führerin hieß Paline, und angesichts der bösen Ironie, die in diesem Kontrast lag, wirkte ihre Situation noch verwerflicher – aber ich hielt meine alte schwarzzähnige Weinschnute geschlossen. Zumindest für den Augenblick. Der Raum, in den sie uns brachte, stank nach abgestandenem Ale, verschüttetem Wein und verschimmelnden Essensresten. Die Decke war niedrig. Die Männer, die unter einer einzelnen Mineralöllampe saßen, trugen alle Masken.

Ihre Kleidung entsprach normaler vallianischer Abendgarderobe, meistenteils durchaus gediegen, gelegentlich teuer und mit Gold- oder Silberspitze versehen. Von den schwarzen Masken abgesehen hätten diese Männer eine ganz normale abendliche Zusammenkunft im Freundeskreis darstellen können. Und natürlich abgesehen von dem Raum, der mich zunehmend bedrückte. Je schneller wir das hier hinter uns gebracht hätten, desto besser.

Einer der Kerle brüllte Paline an, weiteren Wein zu bringen, und versetzte ihr eine Ohrfeige, als sie an ihm vorbeiging. Er war ein Fristle mit braunem und weißem Pelz. Ich merkte mir den Blintz.

Naghan übernahm die Gesprächsführung, und das Vorgeplänkel war schnell erledigt. Wir hatten einen Auftrag zu vergeben. Wir hatten das nötige Gold. Als der Meuchelmörder am Kopf des Tisches nach dem Namen des Kitchew fragte, erlebte ich ein ziemliche Überraschung, als Naghan, mein Meisterspion, in aller Ruhe sagte: »Der Erste Pallan, Nath Swantram, auch als Nath der Clis bekannt.«

»Wir können diesen Auftrag nicht annehmen.«

»Gut.« Raerdu strahlte sie an. »Sehr gut. Ich hoffe, ihr werdet mir meine kleine List nicht übelnehmen. Es ist besser, wenn wir uns von Anfang an richtig verstehen.«

Die Männer am Tisch rutschten unruhig auf ihren Stühlen herum. Ihr Anführer grollte: »Das ist es. Wir haben deine Absicht sofort verstanden.« Paline kam hereingerannt, einige Flaschen an die schmale Brust gedrückt. Der Anführer breitete die Hände aus. »Nennt mir den Kitchew.«

»Nazabni Ulana Farlan.«

Eine lange Pause entstand, als Paline um den Tisch ging und einschenkte. Die Spannung in dem engen Raum stieg. Die Mineralöllampe warf übertrieben lange Schatten. Ich schwöre, der Gestank wurde schlimmer.

Der Anführer der Stikitche traf eine Entscheidung. »Wir haben bereits das Stahl-Bokkertu auf die Nazabni gemacht.«

»Ja, das schon«, sagte Naghan mit einer unbestimmten Geste. »Aber ihr habt versagt.«

Das gefiel ihnen nicht, bei Krun!

»Geht.« Der Anführer trank seinen Pokal leer und hielt ihn Paline hin. »Kommt in zwei Tagen wieder. Vergeßt nicht, man wird euch im Auge behalten.«

Naghan stand sofort auf. »Einverstanden. Remberee, Koters.«

Das war ein hübscher Anflug von Sarkasmus. Ich bezweifelte, daß ihn diese Mörderhorde zu schätzen wußte. Wir gingen wortlos hinaus.

Auf der schmutzigen Straße sagte ich: »Wir werden in zwei Tagen wiederkommen, o ja. Und, bei Vox, wir werden eine Abteilung der Wache mitbringen!«

»Oh, sie werden sich nicht zweimal am selben Ort treffen.«

»Sie werden uns im Auge behalten, haben sie gesagt.«

Naghan kicherte leise. »Sie werden es versuchen. Der ärmlich gekleidete Och an der Ecke dort – er gehört zu ihnen. Ein Stück weiter wird noch einer herumlungern. Wir können nicht auf dem direkten Weg in den Palast zurück.«

Jetzt, da wir den abscheulichen Raum verlassen hatten, fühlte ich mich schon viel besser. Ich kann ehrlich sagen, daß ich mich auf unser Vorhaben freute; es würde zumindest etwas dabei helfen, das aufgebrachte Blut zu reinigen.

»Sei ehrlich, Naghan, was hältst du von ihnen als gewerbsmäßige Meuchelmörder?«

»Nicht viel. Ich frage mich, ob sie überhaupt zur Gilde gehören.« Dann fügte er scharf hinzu: »Hast du einen Plan?«

»Keinen richtigen Plan, nein. Ich würde diesem verdammten Fristle nur gern die Zähne in den Hals rammen und die junge Paline dort herausholen.«

»Ja. Das gefällt mir. Das ist ein guter Plan.«

Wie Sie sehen, war sogar der ansonsten unerschütterliche Naghan der Unscheinbare von dem Geschehen in dieser Lasterhöhle berührt worden.

Was den Fristle anging, ob Maske oder nicht, ich würde ihn wiedererkennen. Ihm fehlte ein Stück vom linken Ohr. Naghan war das ebenfalls nicht entgangen.

Mittlerweile hätten sich die Stikitche in ihre Schlupflöcher zurückgezogen, und Paline würde in einer Dopahöhle schuften; also mußten wir die Spione loswerden, die man auf uns angesetzt hatte. Ich wies Naghan darauf hin, daß er sein berühmtes Kunststück, sich in Luft aufzulösen, leichter durchführen konnte, wenn wir uns trennten. Er protestierte, er lasse mich auf keinen Fall allein, und ich erklärte ihm, daß ich einfach mein Wams wenden mußte, um ihm eine andere Farbe zu verleihen, und mir ein anderes Gesicht zulegen mußte. Das sah er sofort ein, sagte »Remberee« und ging los. Ich sah zu, wie er an der Laterne an einer Straßenecke vorbeiging, schneller als ein Wimpernschlag mit den Schatten verschmolz und verschwunden war.

Nicht ganz zufrieden mit dem Verlauf des Abend, kehrte ich zum Palast zurück.

Ich kam an einem abgerissen aussehenden Polsim vorbei, der sich mit besorgtem Gesichtsausdruck in alle Richtungen umsah. Ich grunzte: »Mondlicht.« Und ging weiter.

»Oh, Mondlicht«, erwiderte er und fuhr damit fort, die Straßen abzusuchen.

»Schlechtes Cess für dich, Dom«, murmelte ich. »Such schön weiter.«

In dieser Nacht kam der Schlaf nicht mit seiner gewohnten Schnelligkeit.