29

Das gerippte Unterhemd klebte ihm am Rücken. Cord Petersen hockte im Rosenbeet und schnitt verdorrte Blüten aus den Büschen. Er überlegte gerade, ob Tattoos eigentlich schwächer wurden, wenn sich die Haut nach Sonnenbränden abschälte. Aber er hatte die Tattoos nun einmal, um sie zu zeigen, und auf sonnengebräunter Haut sahen sie eindeutig geiler aus. Im Knast, wo sie ihm ein paar der Bilder gestochen hatten, hatte er ja nicht so viel Sonne gesehen.

Er richtete sich auf und wischte sich den Schweiß von den Schläfen. Er hätte große Lust auf was zu rauchen, aber die Mittagspause war gerade erst vorbei, also musste das warten, zumal der Chef in der Nähe war. Der stand drüben auf der Leiter und machte die Krähen klar. Er selbst hätte das nicht gekonnt, unschuldigen Vögeln was antun, er war ja kein Tiermörder.

Die beiden Urlaubertussis hingen auf ihren Liegen unterm Sonnenschirm herum und schienen sich nicht dafür zu interessieren, was in der Birke abging. Der ältere der beiden Söhne des Verwalters hielt die Leiter, während sein Vater oben mit einem Müllgreifer die Krähennester samt Inhalt aus den Ästen pflückte. Man konnte das hilflose Fiepen der geschlüpften Kücken bis in das Rosenbeet hören. Der Chef hatte es so abgepasst, dass die Vogeleltern gerade auf Futtersuche waren, während er sein Gemetzel anrichtete. Drei Nester machte er platt. Petersen lachte bitter in sich hinein. Und so was nannte sich Biolandwirt.

Er selbst hätte keiner einzigen Krähe auch nur eine Feder krümmen können. Schließlich hatte er lange genug gesessen und jahrelang an sich herumtherapieren lassen. Für irgendwas muss das ganze Knastgesitze doch gut gewesen sein, hatte seine Mutter seitdem immer wieder gesagt, immerhin bist du deine Aggressionen losgeworden. Er hätte sie dafür würgen können.

Schließlich war er nun wirklich der Frieden in Person. Oder zumindest gewesen. Bis dieser Mann aufgetaucht war. Dieser dunkelhäutige Prinz Protz. Jeden Tag schön reiten und Bötchen fahren und tauchen im See und die Frauen anbaggern. Er hatte ihn beobachtet, wie super er sich mit den Mädels verstand, auch mit Lissy, und schon bald hatte er ihn gehasst wie die Pest. Die blanke Wut war zu ihm zurückgekehrt, alles Kiffen hatte nichts genützt, und wenn er ihm mal wieder ein Pferd von der Koppel holen musste, Hufe auskratzen, Putzen und Satteln, das volle Programm, da hatte er sich schon sehr zusammenreißen müssen, dass er dem Pferd nicht einfach mal voll auf den Mors klatschte, wenn der Typ gerade beim Aufsitzen war, damit es ihm unter dem Hintern wegrannte.

Auch wenn er der Herrschaft beim Aufsitzen half, musste er sich oft zusammenreißen. Denn er durfte sich für sie abschuften und sollte auch noch dankbar sein, dass sie ihm so großzügig einen Arbeitsplatz zur Verfügung stellten. Dabei taten sie so, als müssten Landleben und Biofraß einen Menschen zum Guten bekehren. Die hatten keine Ahnung, die Deppen. Von deren Sohn, diesem Hampelmann, ganz zu schweigen. Der mit seinen ganzen bescheuerten Freunden. Einmal ein bisschen schräg angeguckt, kriegten die doch schon das große Zittern. Das Einzige, was denen wirklich Sorgen bereitete, waren die Drogentests in ihrem Schnöselinternat nach den Ferien.

Aber immerhin war dieser Jon schon mal weg, und er, Cord Petersen, hielt den Schlüssel zu seinem zukünftigen Glück endlich in der Hand. Eigentlich war es fast zu schön, um wahr zu sein. Verträumt legte er den Kopf in den Nacken und sah in den Himmel. Wie oft hatte er diesen Wolken da oben schon hinterhergesehen und sich gewünscht, mit ihnen ziehen zu können.

Während ihm diese Gedanken durch den Kopf schwirrten, sah er zwei Leute in den Garten kommen, einen Mann und eine Frau. Mit einem Ruck beugte er sich nach unten, tief zwischen die Rosen. Er spürte nicht, wie die Dornen seine Arme zerkratzten und sich tief in die sonnenverbrannte tätowierte Haut ritzten. Verdammt, dachte er, warum sind die denn schon hier?

Island lag auf einer rückenergonomisch gestalteten Sonnenliege, die mit einem flauschigen, mintgrünen Handtuch bedeckt war, bewegte gelegentlich die Fußgelenke in den Stützstrümpfen und hielt sich das Buch vom kochenden Adel vor die Nase. Dem jungen Mann im Rosenbeet schienen Sonne und Hitze nichts auszumachen. Er war mit ausdruckslosem Gesicht dabei, die Büsche zu bearbeiten. Seine Haare hatte er zu einem Pferdeschwanz gebunden, aber die Tattoos auf seinen Oberarmen glänzten vor Schweiß. Einen kurzen Moment glaubte sie, auf seinem Arm ein Hakenkreuz zu erkennen, aber schon hatte er sich weggedreht, und sie war sich nicht mehr sicher, ob sie sich womöglich geirrt hatte.

Frau Dormann lag neben ihr, in einem für ihr Alter sehr gewagten Bikini. Sie hielt die Augen fest geschlossen, aber Island war sich sicher, dass sie die Ohren weit aufgesperrt hatte. Island beobachtete Peter von Dünen, der oben auf einer hohen Leiter stand, die einer seiner Söhne unten stützte. Mit einem Greifer fuhrwerkte er in einem der Krähennester herum. Er packte das Nest, zog es samt Inhalt aus der Astgabel und stopfte alles in einen Plastikeimer. Ein hilfloses Piepen war zu hören, die Küken im Nest waren in panischer Aufregung. Es war sicher nur eine Frage der Zeit, bis die Vogeleltern das Verbrechen an ihrem Nachwuchs bemerken und den Nesträuber angreifen würden. Aber noch herrschte Ruhe, und der Mann konnte ungestört mit dem nächsten Vogelbau weitermachen.

»Hast du dich über die Krähen beschwert?«, fragte sie ihre Nachbarin.

»Ich dachte ja nicht, dass sie ihm gleich sagt, dass er sie umbringen soll«, antwortete Lotti Dormann.

»Tut er aber gerade.«

»Pech.«

Island sah ihre beiden Kollegen in den Garten kommen. Sie sahen beide aus, als würden sie sich schon sehr auf den Feierabend freuen. Eben waren sie drüben beim Gestüt gewesen, um die Angestellten und Praktikantinnen zu befragen, insgesamt sechs junge Frauen zwischen sechzehn und zweiundzwanzig Jahren, die in der Mühle wohnten und sich dort drei Kammern teilten.

»Null Erkenntnisse im Stall«, hatte Franzen ihr von dort herübergesimst.

Peter von Dünen, der gerade von der Leiter stieg, reichte seinem Sohn den großen Eimer, in den er die Krähennester gefüllt hatte. Der Junge nahm den Eimer und trabte durch die Büsche davon.

»Ich hoffe, er lässt sie frei«, sagte Island.

»Unsinn, er ertränkt sie im See«, zischte Frau Dormann. »Ohne Eltern kommen die sowieso noch nicht zurecht.«

»Jetzt hätten wir noch ein paar Fragen an Sie …«

Dutzen war an die Leiter getreten, die Peter von Dünen gerade vom Baum abrückte.

»Muss das sein?«, fragte der Verwalter. »Sie sehen doch, dass es gerade nicht passt.«

»Uns schon«, sagte Dutzen und zündete sich wie selbstverständlich eine Zigarette an. Der Rauch zog durch den Garten.

Der Verwalter legte die Leiter auf den Rasen und schob sie zusammen.

»Was sagen Sie zum Tod Ihres Feriengastes?«

»Tut mir leid«, murmelte er.

Island stützte das Buch auf dem Bauch ab und linste über den Rand. Ob Dutzen und Franzen wussten, dass man sie überall im Garten sehr gut hören konnte? Die Akustik auf den Sonnenliegen war jedenfalls ausgezeichnet.

»Wie war Ihr Verhältnis zu Jon Theissen?«

Island bemerkte, dass Petersen im Rosenbeet seinen Kopf hob. Sein Blick war neugierig, aber schon duckte er sich wieder und arbeitete in der Hocke weiter.

»Mein Verhältnis?« Peter von Dünen lächelte breit. »Für die Übernachtungsgäste bin ich nicht zuständig. Dafür habe ich keine Zeit. Das ist das Geschäft meiner Frau. Wir haben vollkommen getrennte Aufgabenbereiche. Dr. Tüx hatte nichts dagegen einzuwenden, als Lena ihn gebeten hat, die Gästezimmer weiter bewirtschaften zu dürfen.«

»Das ganze Anwesen wirkt ja ansonsten eher …« Dutzen räusperte sich. »… abgeriegelt.«

»Das ist eben Privatbesitz«, sagte von Dünen und zuckte mit den Schultern. »Aber die Familie Tüx hat immer viel Besuch. Jetzt während der Ferien sind Freunde des Sohnes hier.«

»Wie vertragen sich Zaun und Kameraüberwachung denn mit der Vermietung an Feriengäste?«

»Was geht das denn die Polizei an? Die Gäste meiner Frau haben damit kein Problem, wenn Sie das meinen. Wie die Eigentümerfamilie auch möchten sie sich sicher fühlen.«

Island sah, dass Dutzen die Stirn kräuselte und zu einer Erwiderung ansetzte, dann aber nickte und sich etwas in seinem Schreibblock notierte.

»Was wissen Sie über den verstorbenen Herrn Theissen?«

»Nichts.«

»Wann ist er angereist? Und wann hat er den Hof wieder verlassen?«

»Da müssen Sie meine Frau fragen. Das ist ganz allein ihr Bereich.«

»Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?«

»Wohl drüben bei den Pferden. An den Tag erinnere ich mich nicht mehr.«

»Dürfen alle Ihre Feriengäste auf dem Gestüt reiten?«, wollte Henna Franzen wissen.

»Normalerweise nicht. Es sind sehr hochwertige Tiere, die hier ausgebildet werden. Wir sind kein Ponyhof.«

»Aber Herr Theissen durfte die Pferde ausleihen?«

Von Dünen nickte.

»Wer hat ihm das erlaubt?«

Der Verwalter kratzte sich sein glatt rasiertes Kinn. »Die Chefin.«

»War der Tote denn mit der Familie Tüx bekannt?«

»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«

»Er soll oft im Gutshaus drüben gewesen sein.«

»Ich meine, er hat sich um das Archiv gekümmert, weil er irgendwas erforschen wollte.«

»Und er ist oft ausgeritten?« Franzen ließ nicht locker.

»Ja, schon.«

»Allein?«

»Mal mit den Stallmädchen und auch mal mit Frau Rubi-Tüx.«

»Mit der Gutsherrin persönlich? Kommt es oft vor, dass die Dame mit einfachen Feriengästen unterwegs ist?«

»Seit ich hier bin, nur mit dem Theissen. Sonst müssten Sie meinen Vorgänger, Herrn Lembke, fragen.«

Franzen schrieb sich etwas in ihr Notizbuch.

»Und der junge Mann, der bis eben die Rosen geschnitten hat, wer ist das?«

»Cord Petersen.«

»Ihr Stallknecht?«

»Das haben Sie gesagt.«

»Also?«

»Hilfsarbeiter. Er macht alles, was man ihm aufträgt.«

»Und wo ist er jetzt?«

»Cord!«, rief von Dünen durch den Garten. »Die Polizei will dich sprechen.«

Aber Petersen hatte sich schon längst aus dem Rosenbeet verdrückt.

Kanalfeuer: Ein Fall für Olga Island
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