5
Kriminalhauptkommissarin Olga Island knallte die Autotür zu und atmete erleichtert aus. Noch während sie den Wagen über den holprigen Parkplatz oberhalb des Falckensteiner Strandes gelenkt hatte, war ihr der Schweiß in feinen Rinnsalen den Rücken hinuntergelaufen. Als sie nun im Schatten der Bäume den Kofferraum öffnete, kühlte die leichte Brise vom Meer ihre verschwitzte Haut. Den ganzen Tag schon hatte sie vor sich hin transpiriert, und ihr blaues T-Shirt über dem drallen Bauch zierte eine feine, helle Salzkruste.
Das Thermometer in ihrem Büro hatte bereits um acht Uhr morgens achtundzwanzig Grad Celsius angezeigt. Und obwohl die meisten Fenster den ganzen Tag offen standen, war es unter dem Dach der Bezirkskriminalinspektion in der Blumenstraße von Stunde zu Stunde heißer geworden. Wären sie Schüler gewesen und keine Kriminalbeamten, hätten sie hitzefrei bekommen. So aber mussten alle Mitarbeiter der Mordkommission, mit Ausnahme von Karen Nissen und Falk Taulow, die mit ihren Familien im Urlaub waren, an diesem Tag mehr oder weniger klaglos dem Feierabend entgegenschwitzen.
Olga Island, die erst im vergangenen Jahr von Berlin in die Stadt ihrer Jugendzeit zurückgekehrt war, hatte den Eindruck, dass der Sommer für die Polizei in Kiel eine eher ruhige Zeit war. Es gab mehr freie Parkplätze in der Innenstadt und weniger alkoholbedingte Exzesse. Die Kieler Woche, auf der sich die Einheimischen und ihre Gäste traditionell ein wenig austobten, war vorbei, und Stadt und Land schienen in eine träumerische Schläfrigkeit verfallen zu sein.
Diesen Montag hatte es allerdings einen noch ungeklärten Todesfall im Stadtteil Holtenau gegeben. Ein alter Mann war morgens tot auf einer Bank am Kanalufer sitzend aufgefunden worden. Auf dem Boden neben der Bank hatte ein altmodischer, mit Wappen besetzter Wanderstock gelegen, zwischen seinen Knien ein kleines Fernglas. Der Kriminaldauerdienst hatte einen Arzt verständigt, der bestätigte, dass der Tod wahrscheinlich in den frühen Morgenstunden durch Herzversagen eingetreten war. Der Mann war mit einem Bademantel bekleidet gewesen, in dessen Tasche die Chipkarte einer Krankenversicherung gesteckt hatte. Auf diese Weise hatten sie seine Identität schnell ermittelt. Es handelte sich um einen gewissen Hans Hinrichs aus einem Haus in der Kanalstraße. Ein Polizist hatte sich dort umgehört und von einer Bewohnerin erfahren, dass Hinrichs seit Jahren allein lebte und seine Wohnung schon seit vielen Monaten nicht mehr ohne Begleitung verlassen hatte. Das war dem jungen Beamten seltsam erschienen, und er hatte die Mordkommission informiert.
Die Leiche war daraufhin in die Gerichtsmedizin geschafft worden, aber die Untersuchungen hatten die Vermutungen des Arztes bestätigt, dass Fremdeinwirkung weitgehend ausgeschlossen war. Der Leiter der Mordkommission, der Erste Hauptkommissar Thoralf Bruns, hatte sich zusammen mit Kriminaloberkommissar Jan Dutzen die Wohnung des Toten angesehen, aber sie hatten nichts Auffälliges entdecken können. Island hatte mit dem Hausarzt und der Mitarbeiterin des mobilen Pflegedienstes gesprochen, die den Verstorbenen in den vergangenen Jahren betreut hatten. Beide hatten sich vom Ableben des Rentners wenig überrascht gezeigt.
Hans Hinrichs hatte seit Jahren an einer Angina Pectoris gelitten, einer schweren Herzinsuffizienz, und an einem sich fortentwickelnden Lungenemphysem, erfuhr Olga Island von Hinrichs’ Hausarzt. Die Angestellte der Pflegeengel GmbH aus Friedrichsort, an die Island verwiesen worden war, hatte kaum Zeit für ein Gespräch gehabt. Die Frau hatte bei laufendem Motor in dem kleinen Fiat ihrer Firma gesessen und durch das heruntergekurbelte Fenster energisch den Kopf geschüttelt.
»Herr Hinrichs ist nie allein rausgegangen. Schon lange nicht mehr. Aber den schönen Ausblick auf den Kanal von seiner Veranda aus, den hat er immer sehr genossen.«
»Ist Ihnen an ihm in der letzten Zeit irgendeine Veränderung aufgefallen?«, hatte Island gefragt.
Der Pflegeengel hatte nicht lange nachdenken müssen. »Ich würde sagen, er war wie immer. Obwohl, wenn Sie mich so fragen, fällt mir gerade doch noch etwas ein. Herr Hinrichs war morgens in der letzten Zeit immer besonders verschlafen. Wenn ich zwischen sieben und halb acht bei ihm war, schlief er immer tief und fest und war kaum wach zu bekommen. Wenn ich ihn deswegen neckte, sagte er immer, er habe nachts den Kanal und die Schleusen beobachten müssen.«
»Hat er auch gesagt, warum?«
»Er musste irgendwas aufschreiben. Keine Ahnung, die werden manchmal etwas tüdelig, die alten Leute.«
»Haben Sie denn mal gesehen, was er aufgeschrieben hat?«
»Auf der Fensterbank zwischen den Blumentöpfen lag immer so ein Ringbuch. Eine Art Liste war das. Er hat sich Uhrzeiten notiert und von irgendwelchen Lichtzeichen oder Lichtern gesprochen. Keine Ahnung, was das sollte. Ich habe leider nicht so viel Zeit, dass ich mich auch noch mit solchen Sachen beschäftigen kann. Ich muss meine eigenen Listen abarbeiten.«
Bei der Teambesprechung am nächsten Morgen hatte Olga Island ihre Kollegen Bruns und Dutzen gefragt, ob sie Aufzeichnungen in der Wohnung des Rentners gefunden hatten. Dutzen war in sein Zimmer gegangen, hatte die Ringbuchkladde geholt und sie herumgereicht. Die Handschrift war krakelig gewesen, aber es war wirklich kaum mehr als eine dürre Liste mit Datumsangaben, Uhrzeiten, Namen von Schiffen und einigen merkwürdig unbeholfenen Ausdrücken.
Gemeinsam hatten sie den Fall noch einmal diskutiert, waren dann aber übereinstimmend zu dem Schluss gekommen, dass hier wohl nichts weiter zu tun war. Wäre der Mann zu Hause in seiner Wohnung gestorben, hätte man die Polizei vermutlich gar nicht erst hinzugezogen. Warum der Rentner das Haus verlassen hatte, würde sich wohl nicht mehr feststellen lassen.
Island wühlte im Kofferraum ihres Mazda und nahm ihren Rucksack heraus. Darin befand sich alles, was sie für einen Feierabend am Strand brauchte: ein Badelaken, der neue Badeanzug in XL, eine Literflasche Mineralwasser, ein Reiseführer über die Abruzzen und eine große Plastikdose mit geschmierten Broten und Apfelstücken. Seit Beginn ihrer Schwangerschaft war ihr ständig schlecht, oder sie hatte Hunger, oder beides gleichzeitig. Auf jeden Fall besserte sich ihre Laune stets, wenn sie etwas essen konnte. Am allerbesten schmeckten ihr zurzeit gutbürgerliche Gerichte, die sonst nicht gerade weit oben auf ihrem Speiseplan gestanden hatten. Sie konnte sich begeistern für Dinge wie Eisbein mit Sauerkraut, in Speck gebratene Scholle mit Bratkartoffeln oder Rinderrouladen mit Rotkohl. Aus diesem Grund hatte sie schon fünfzehn Kilo zugenommen, obwohl sie erst im sechsten Monat war. Der Bauch, den sie vor sich herschob, war nicht mehr zu übersehen, aber sie hatte beschlossen, an ihre Figur keinen Gedanken zu verschwenden. Wozu sollte sie sich Sorgen über ihr Äußeres machen? Männer interessierten sie gerade nicht besonders, und was Frauen dachten, war ihr auch egal.
Ihr Freund Lorenz, der angehende Vater des Kindes, war wieder einmal den Sommer über in Italien, diesmal, um an einer anthroposophischen Sommerakademie einen mehrmonatigen Holzbildhauerkurs zu leiten. Sie hoffte, dass er wie versprochen im September zurückkehren würde, ohne allzu sehr von den Ideen Rudolf Steiners beseelt zu sein. Er hatte ihr versichert, er würde nach seiner Rückkehr aus Italien Wohnung und Atelier in Berlin-Kreuzberg aufgeben, um zu ihr und dem Kind nach Kiel zu ziehen. Aber sie war sich nicht sicher, ob er das tatsächlich tun würde.
Irgendwie war Lorenz nicht gerade der Vater, den man sich für ein Kind wünschte. Zwar hatte er das gewinnendste Lächeln der Welt, und sie konnte sich mit ihm stundenlang auf das Wunderbarste unterhalten. Allerdings war er auch ein Künstler, wie er im Buche stand, ruhelos und hyperaktiv, was seine Ausstellungsbemühungen und Vernissagebesuche anging, aber depressiv, wenn es mal wieder nicht klappte mit der Karriere. Vor allem liebte er es, seine Freiheit in vollen Zügen zu genießen. Immerhin rief er sie jetzt ungefähr alle drei Tage an und erkundigte sich nach ihrem Befinden. Das war eigentlich die größte Veränderung, die sie an ihm feststellen konnte, seit sie ihm vor vier Monaten am Telefon die freudige Botschaft eröffnet hatte, dass sie ein Kind erwartete.
In dem nicht abreißenden Strom von Badegästen wiegte sie gemächlichen Schrittes den Asphaltweg zum Strand hinunter. Es war einer der wirklich heißen Sommertage in Kiel, und der Strand von Falckenstein war auch jetzt, um sieben Uhr abends, noch proppenvoll. Sie ging über den Holzbohlenweg bis ans Wasser, zwängte ihren Bauch in den ansonsten viel zu großen Badeanzug, breitete das Handtuch aus und streckte sich rücklings darauf aus. Der Sand war weich und warm. Für eine Weile schloss sie die Augen und lauschte den Wellen, die durch den Lärm der Badegäste hindurch an den Strand schlugen. Der Geruch von Grillanzündern, Bratwurst und Sonnenmilch verschmolz mit dem Duft von Tang und Meerwasser zu einer sommerlichen Komposition. Sie seufzte. Genau so sollte ein Feierabend im Hochsommer sein.
Schon wieder knurrte ihr Magen. Um sich vom Essen noch ein wenig abzulenken, stützte sie die Ellenbogen auf und blickte aufs Meer. Segeljachten zogen vorüber. Ein Speedboot kam von Schilksee herüber und verbreitete ein monotones, alles übertönendes Motorengeräusch. Drüben auf der anderen Seite der Förde erkannte sie den Mastenwald der Boote im alten Hafen und in der neuen Marina, die Windmühle auf dem Berg und das Laboer Ehrenmal. Sie versuchte die Stelle an der Strandpromenade auszumachen, wo das Haus ihrer Tante Thea gestanden hatte. Dort drüben hatte sie ihre Jugend verbracht, mehr als zehn Jahre ihres Lebens. Und ihr fiel ein, dass Tante Thea die winzige, klamme Erdgeschosswohnung immer an Sommergäste vermietet hatte. Olga Island hatte sich jedes Jahr wieder gewundert, dass Leute freiwillig nach Laboe kamen, um dort Urlaub zu machen, denn sie selbst hatte sich oft einfach nur von dort weggewünscht. Nun war das alte Haus längst abgerissen. Tante Thea wohnte bereits seit Jahren in Berlin. Island beschloss, mal wieder bei ihr durchzuklingeln, denn sie hatte länger nichts von ihr gehört. Aber jetzt war sie dazu nicht in der Stimmung.
Sie räkelte sich. Gern hätte sie einfach so ein paar Tage am Strand gelegen, am liebsten mit jemandem in ihrer Nähe, der ihr gutes Essen servierte. Das würde ihr gefallen, und dem Kind, das manchmal Bewegungen in ihrem Bauch vollführte, sicher auch.
Kurz bevor sie einnickte, musste sie noch einmal an den toten Rentner denken. Sie hatten keine Angehörigen ermitteln können. Anscheinend gab es niemanden außer dem Arzt und den Pflegerinnen, der nach ihm gesehen hatte. Wie viele solche Fälle hatte sie schon erlebt? Viel zu viele. All die alten oder noch gar nicht mal so alten Menschen, die nicht selten völlig isoliert in ihren Wohnungen lebten und starben. Berlin war voll davon. Kiel auch.
Der Rentner, der früher beim Finanzamt gearbeitet hatte, hatte ein Sparbuch mit ein paar Hundert Euro hinterlassen. Geld, das nicht mal für Bestattung und Wohnungsauflösung reichen würde. Wenn diese Dinge erledigt waren, würde nichts von ihm übrig bleiben. Was mochte er an den Schleusen beobachtet haben? Hatte es ihn vielleicht so aufgeregt, dass er deswegen einen Herzanfall erlitten hatte?
Lautes Kreischen unterbrach ihre Gedanken. Ein paar Badenixen in Bikinis spielten im flachen Wasser Volleyball. Sie ließen dekorativ ihre nicht gerade schmalen Hüften kreisen und lachten wild. Am Strand hatten sich einige junge Männer im Halbkreis um einen Grill versammelt und ließen Bierflaschen ploppen.
Island überlegte, ob sie ein Bad nehmen sollte, aber dann aß sie stattdessen ein paar Brote und blätterte in ihrem Reiseführer. Eine Wanderung in den Abruzzen war zwar erst einmal in weite Ferne gerückt, aber sie durfte ja schließlich noch träumen.
Gegen halb zehn Uhr brach sie auf. Der Rückweg führte sie an einem Kiosk vorbei, der noch geöffnet hatte. Sie konnte nicht anders, als sich eine doppelte Portion Pommes frites mit Ketchup und Mayonnaise zu bestellen. Mit großer Freude verspeiste sie die fettige Angelegenheit und wischte sich anschließend die Finger an der Serviette ab. Da klingelte ihr Handy.
»Thoralf hier. Bist du noch wach?«
Island ließ ihren Blick über den Strand wandern. Es war noch immer taghell, lediglich im Westen, hinter dem Wäldchen, zog eine orange gefärbte Wolke auf, die den Sonnenuntergang ankündigte.
»Aber hallo«, sagte sie, spürte aber sofort, dass der Erste Kriminalhauptkommissar nicht zum Spaßen aufgelegt war.
»Im Ostuferhafen hat es einen Zwischenfall mit zwei Toten gegeben«, sagte er ernst.
»Ich bin noch am Strand, fahr aber gleich los«, sagte sie automatisch.
»Warte mal.«
»Warum?«
»Am Fährterminal soll es eine Schlägerei zwischen Lkw-Fahrern gegeben haben. Dabei ist der Fahrer eines Gefahrguttransporters auf ungeklärte Weise zu Tode gekommen. Außerdem ist ein Mitarbeiter der Fährlinie gestorben, der als Einweiser arbeitete.«
»Zwei Tote bei einer Schlägerei?«, fragte Island ungläubig.
»Soweit wir wissen, ist aus dem Gefahrguttransporter Flüssigkeit ausgelaufen. Die Feuerwehr ist mit dem Chemiebekämpfungstrupp der Ostwache vor Ort. Die haben den Tank hoffentlich bald abgedichtet und das ausgelaufene Zeug beseitigt. Zwei weitere Personen sind offenbar mit dem Gift in Kontakt gekommen und auf dem Weg ins Krankenhaus. Ich fahre gerade mit Dutzen rüber zum Hafen, um mir einen Überblick zu verschaffen. Es ist sicher nicht schlau, wenn du da hinkommst.«
Im Hintergrund hörte Island einen deutlichen Unmutslaut. Jan Dutzen schien über den Verkehr zu fluchen und auf das Lenkrad einzudreschen. Island vermutete, dass ihre beiden Kollegen gerade auf dem Ostring unterwegs waren, der auch am späten Abend immer noch dicht befahren war.
Island stopfte die Pommes-frites-Schale in einen überquellenden Mülleimer am Zaun des Minigolfplatzes. »Ich bin in zwanzig Minuten da«, sagte sie, ohne nachzudenken.
Bruns ließ sie gar nicht ausreden. »Ich muss dich wohl nicht erst auf das Mutterschutzgesetz aufmerksam machen. Mit dem Giftzeug da ist nicht zu spaßen.«
»Okay.« Natürlich war sie nicht versessen darauf, mit einem sechs Monate alten Baby im Bauch an einen toxischen Ort zu fahren. Außerdem würde sich die Polizei sowieso im Hintergrund halten, bis die Feuerwehr die Gefahr beseitigt hatte. Allerdings würde sie bei den nachfolgenden Ermittlungen kaum richtig beteiligt sein, wenn sie die Lage nicht in Augenschein nehmen konnte. Das verursachte ihr schon jetzt ein unangenehmes Gefühl von Unzulänglichkeit.
»Wenn es dich tröstet«, sagte Bruns, »hätte ich was anderes für dich.«
»Und zwar?«
»Ich habe gerade Hauptmeister Stark von der Polizeistation in Achterwehr in der Leitung und würde ihn gern zu dir durchstellen. Es gibt bei ihm gewisse Unklarheiten.«
»Bitte«, sagte Island und lauschte dem Klicken im Lautsprecher.
»Stark.« Die Stimme klang nasal.
»Island, Mordkommission. Worum geht’s?«
»Ich befinde mich im Dorf Groß Nordsee im Haus von einer Frau Marxen. Die Dame hat uns vor einer Stunde angerufen und uns gebeten, bei ihr vorbeizukommen. Sie hat heute Morgen an der Badestelle am Flemhuder See einen Toten gesehen, sagt sie.«
»Und?«
»Wir sind zusammen mit Frau Marxen zu der fraglichen Stelle gefahren, aber da war niemand.«
»Na, dann war der wohl doch nicht so tot, wie er aussah«, meinte Island spöttisch.
»Kann sein. Ich frag mich aber trotzdem, ob wir noch was tun sollten?«
»Sie haben alles gründlich abgesucht?«
»Selbstverständlich. Aber außer einem blutbesudelten Handtuch haben wir nichts gefunden.«
»Sie haben das Handtuch gesichert?«
»Es liegt in einem Müllsack in meinem Kofferraum.«
»Sonst noch irgendetwas?«
»Nein.«
»Kein platt gedrücktes Gras, wo das Handtuch gelegen hat? Und keine sonst irgendwie auffälligen Spuren?«
»Nichts.«
»Glauben Sie, dass an den Beobachtungen der Zeugin was dran ist?« Island war etwas außer Atem geraten, denn sie erklomm gerade die Anhöhe zum Falckensteiner Parkplatz.
Hauptmeister Stark zögerte wieder. Er ging offenbar in einen anderen Raum, denn als er leise antwortete, umgab seine Stimme ein starker Hall. »Die gute Frau hat, gelinde gesagt, eine ganz schöne Fahne, wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Sie ist betrunken?«
»Also, lallen tut sie nicht, aber nüchtern ist sie auch nicht.«
»Na, dann«, meinte Island. »Sagen Sie der Zeugin, ich komme gleich morgen früh bei ihr vorbei. Hoffentlich ist sie da wieder nüchtern.«
»Natürlich. Sollen wir weiter nach dem angeblichen Toten suchen?«
»Gehen Sie bitte noch einmal das Gelände ab, bevor es ganz dunkel wird. Nehmen Sie Taschenlampen mit, und sperren Sie die Augen auf. Wenn Sie irgendetwas Bemerkenswertes finden, rufen Sie mich an, ja? Konnte Frau Marxen den Mann denn näher beschreiben?«
»Um die dreißig soll er gewesen sein. Mit hellen, krausen Haaren, aber dunkler oder zumindest gebräunter Haut.«
»Ein Farbiger?«
»So genau wollte unsere Zeugin sich nicht festlegen.«
»Wird jemand, auf den diese Beschreibung passt, in Ihrem Zuständigkeitsbereich vermisst?«
»Sieht nicht so aus«, antwortete Stark und schnäuzte sich.
»Dann sprechen wir uns morgen früh wieder«, sagte Island, deren Tatendrang im Laufe des Telefonats auf null gesunken war. Sie hatte ihren Wagen erreicht und warf den Rucksack auf den Rücksitz. Während sie sich mühsam hinter das Steuer quetschte, rülpste sie ungeniert.