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Es war sieben Uhr dreißig, als der Verwalter am nächsten Morgen den roten Dodge Nitro vor dem Kühlhaus parkte, die Tür öffnete und durch die Kälteschleuse trat. Die meisten der bis zur Decke gestapelten Obstkisten waren um diese Jahreszeit leer, die neue Ernte würde erst in wenigen Wochen beginnen. Trotzdem herrschte in dem großen, fensterlosen Raum eine Temperatur von drei Grad und eine Luftfeuchtigkeit von sechzig Prozent, das perfekte Klima, um die eingelagerten Früchte im Kühlschlaf und auf diese Weise frisch zu halten.
Lena hatte ihn ins Kühlhaus geschickt. Sie wollte zu Mittag Apfelauflauf kochen und hatte ihn gebeten, fünf Kilo Äpfel mitzubringen. Er nahm den Jutebeutel, den seine Frau ihm in die Hand gedrückt hatte, und füllte Äpfel hinein. Da sah er hinter einem Stapel leerer Kisten etwas am Boden liegen. Er kniff die Augen zusammen. Er wollte nicht sehen, was er sah. Zuerst erkannte er die Schuhe, Bluntstones, die australischen Farmerboots. Das waren Schuhe, die im Stall oft getragen wurden, von Frauen wie von Männern, zu jeder Jahreszeit. Dann sah er die Jeans. Verdammt, dachte er. Er hatte mit den jungen Leuten auf dem Hof gewiss schon einiges erlebt, aber es war unwahrscheinlich, dass einer von ihnen gerade hier seinen Rausch ausschlief.
Peter von Dünen trat näher, und ihm wurde schwindlig. Cord Petersen lag auf dem Rücken, seine Augen waren geschlossen, aber er sah nicht entspannt aus, wie sonst, wenn er gekifft hatte und eingeschlafen war. Das Gesicht war verzerrt. Mit den Armen umklammerte er eine große, graue Wollfilztasche, von der nur die eine Hälfte noch richtig grau war. Die andere Hälfte war blutgetränkt. Auch das hellgrüne T-Shirt hatte sich vollgesogen und trug einen furchtbaren roten Fleck. In seiner Brust, ungefähr in Höhe des Herzens, steckte ein Messer. Der Schaft ragte heraus, ein dunkler Holzgriff.
Peter von Dünen schluckte entsetzt. Sein Blick blieb an der Tatwaffe hängen. Der Griff war deshalb so dunkel, weil das Messer im Laufe der Jahre schon so oft benutzt worden war. Das Holz hatte drei helle Kerben, die daher stammten, dass Wilhelm, sein jüngster Sohn, das Messer hatte verschönern wollen. Mit seinem eigenen kleinen Kindermesser, das er zu seinem achten Geburtstag bekommen hatte, hatte er die Kerben hineingeritzt, bis sein großer Bruder Eugen protestiert und ihn von weiteren Schnitzereien abgehalten hatte.
Keuchend rang von Dünen um Fassung, ein Irrtum war ausgeschlossen. In der Brust des Stallknechts Cord Petersen steckte das Messer, das seine Frau Lena immer benutzte, um Gemüse zu putzen oder Obst zu schälen. Sie hatte es vor Jahren aus der Küche des Vier Jahreszeiten in Hamburg mitgehen lassen. Es war ihr Lieblingsmesser.
Es war klar, was jetzt kommen würde. Die Polizei würde wiederkommen, und kein Stein würde auf dem anderen bleiben. Die Ruhe auf dem Hof war endgültig dahin.