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Auf der Rückfahrt summte Frau Dormann leise eine Melodie, während Island versuchte, nicht an die Gondeln von Venedig und an Lorenz zu denken.
»Machen wir mal wieder, so eine kleine Ausfahrt, was?«, meinte Frau Dormann, als sie sich vor dem Verwalterhaus verabschiedeten.
»Gern«, antwortete Island.
Zurück auf dem Zimmer, öffnete sie sofort ein weiteres Glas Würstchen. Noch während sie kaute, schaltete sie zum ersten Mal seit ihrer Ankunft den Laptop ein, verband ihn per Kabel mit dem Zimmeranschluss und begab sich ins Internet. Bei ihren E-Mails war wieder keine Nachricht von Lorenz. Sie suchte im Netz nach dem Namen Lissy Heinke, fand aber nichts, nicht einmal bei Facebook.
In der Nacht schlief sie unruhig. Das Dach des Hauses hatte die Hitze des Tages gespeichert, trotz der offen stehenden Fenster war es im Zimmer warm wie in einem Backofen. Sie träumte von Berlin, von einem chaotischen Einsatz in einer dunklen Gegend. Um kurz nach drei Uhr nachts wachte sie auf. Die Zunge klebte ihr am Gaumen. Sie ging ins Bad und füllte sich einen Zahnputzbecher mit Wasser. Zum Trinken setzte sie sich in den Sessel unter dem Fenster. Am östlichen Himmel war schon schwach die Dämmerung zu erahnen.
Plötzlich ging drüben auf dem Hof mit einem Schlag wieder die Beleuchtung an. Warum waren die da drüben so nachtaktiv? Waren die jungen Freunde des Sohnes nachts in irgendwelchen Dorfdiskos unterwegs? Sie hatte immer gedacht, dass High-Society-Kids doch eher in irgendwelchen Nobelklubs in angesagten Großstädten abhingen. Sie starrte auf die Scheunendächer, bis das Licht wieder erlosch. Dann wurde in der ersten Etage des Gutshauses in mehreren Zimmern die Beleuchtung angeschaltet. Island griff nach dem Fernglas, aber diesmal waren alle Vorhänge zugezogen.
Morgens um acht meldete sich das Handy.
»Moin«, grüßte Hans-Hagen Hansen fröhlich und energiegeladen. »Du wolltest doch etwas über die Handtücher wissen.«
Island rieb sich den Schlaf aus den Augen. »Stimmt.«
»Das von dir abgelieferte Handtuch befindet sich im Labor des Landeskriminalamts. Mit großer Sicherheit stammt der Blutfleck von dem Toten, der auf der Baustelle gefunden wurde.«
»Ich habe es befürchtet.«
»Ansonsten kauf dir endlich mal ein neues Handy. Das Foto von der Wäscheleine ist ja miserabel. Auf den ersten verschwommenen Blick hin würde ich sagen, die Handtücher auf der Leine könnten Onkel und Tanten von dem blutigen Lappen sein.«
»Wie bitte? Ich bin noch nicht ganz wach.«
»Das von dir abgelieferte Handtuch besteht laut Herstellerangaben aus reiner, feiner Biobaumwolle. Erzeugt und verarbeitet in der Volksrepublik China. Man kann diese Handtücher über einen Internetversandhandel für Biokleidung bestellen, das Stück für hundertfünfzig Euro. Die Tücher auf der Leine könnten von derselben Firma stammen. Ich geb dir mal die Webadresse des Händlers. Da kannst du dir die Handtücher ansehen und bei Gelegenheit checken, ob du bei deiner nächsten Exkursion zur Wäscheleine einen Einnäher der Firma findest. Ansonsten brauche ich natürlich ein paar Fasern, dann kriegen wir den Herstellernachweis gerichtsverwertbar hin. Aber gesetzlich brauchbare Beweise wie bei normalen Mordermittlungen interessieren dich im Moment ja nicht.«
»Witzbold«, sagte sie.
»Ehrlich gesagt kann ich da gar nicht drüber lachen. Ich soll dir übrigens etwas von Bruns ausrichten. Geht gar nicht, hat er zu deinen Eigenmächtigkeiten gesagt.«
»Dann richte ihm doch bitte noch mal aus, dass ich gerade Urlaub mache und mich hier einfach nur als neugieriger Privatmensch ein bisschen umschaue«, sagte sie und legte auf.