Kleine Männer
Wir Männer haben es nicht leicht, uns in einer weiblich dominierten Gesellschaft zu behaupten, besonders wenn wir noch klein sind und in die Grundschule gehen. Wenn ich meinen Sohn beobachte, wie er in seiner überwiegend von großwüchsigen Mädchen beherrschten Klasse 3A schwitzt, dann möchte ich nicht in seiner Haut stecken. Jede Woche berichtet eine andere meinungsbildende Zeitschrift, das männliche Chromosom sei bloß ein skurriles Abbild des weiblichen, ein Irrtum der Natur, für die erfolgsorientierte Fortpflanzung nicht wirklich notwendig – die pure Genombeschmutzung. Im Fernsehen wird das Aussterben des männlichen Geschlechts stellvertretend anhand von Tierfilmen prophezeit. Frösche, Vögel, Insekten. Die Männchen werden von den Weibchen aufgefressen oder bleiben noch auf dem Wege zur Braut irgendwo hängen. Besonders abstoßend finde ich die Dokumentation über alte Krokodile, die sich nicht mehr vermehren können, obwohl sie sich von weiblichen Krokodilen noch durchaus angesprochen fühlen. Nur haben sich im Laufe der Evolution ihre Geschlechtsorgane so unglücklich verkrümmt, dass sie nicht mehr zu den modernen Krokodilweibchen passen. Ich nehme solche Filme immer sehr persönlich. Ich frage mich, was das Ganze soll. Was will uns der Filmemacher damit sagen? Jede Woche diese alten Krokodile – zum vierten Mal in Folge –, und jetzt auch noch Merkel.
Eine unterschwellige Hetzkampagne gegen Männer ist im Gange. Das fängt schon in der Schule an. Dort ist der Druck auf die heranwachsenden Männer bereits enorm hoch. Sie müssen ständig den bösen Buben, den Hooligan abgeben, Fußbälle in Fenster kicken, einander auf dem Hof verhauen, Mädchen an den Zöpfen ziehen. Das fällt einem heranwachsenden Mann nicht leicht. Erst recht, wenn die Mädchen in der Mehrzahl sind und meistens einen Kopf größer und zehn Kilo schwerer. Trotzdem werden sie als das zarteste Glied der Evolutionskette behandelt. Wenn ihnen etwas gelingt, werden sie in den Himmel gelobt, wenn sie etwas nicht können, werden sie entschuldigt. Die Jungs dagegen stehen immer auf der Kippe. Ein falscher Schritt, und du wirst als Versager abgestempelt.
Bei meinem Sohn war es der Schwimmunterricht, der ihn aus der Fassung brachte. Als Junge darf er keine Angst vor dem Wasser haben, er muss immer der Beste sein, oder gar nicht erst antreten. Zuerst war er mit der »Seepferdchen«-Übung im flachen Wasser nicht klargekommen, dann war er eine Woche krank, und danach hatte er erst recht keine Lust mehr.
Auch bei seinem ersten Religionsunterricht ging nicht alles glatt. So deutete er zum Beispiel die Geschichte von Jesu Geburt völlig falsch. In seiner Darstellung spielte der Esel die herausragende Rolle. Alles drehte sich um den Esel, der mit einer schwangeren Frau unterwegs war und nicht wusste, wohin damit. Er lief wie ein Wilder durch die Gegend und bekam dauernd verwirrende Ratschläge von fremden Menschen erteilt. In der Nacherzählung meines Sohnes war eigentlich der Esel Gott. Und so wie diesem biblischen Esel geht es heute auch dem modernen Mann: Er läuft ins Nirgendwo, während alle anderen auf seinem Rücken sitzen und ihn dazu noch unentwegt hänseln.
Zu meiner Schulzeit gab es noch keinen Religionsunterricht. Damals saß der Schnurrbart noch am richtigen Fleck. Mindestens die Hälfte des Schulpersonals war männlich, und in unserer Klasse gab es immer genauso viele Jungen wie Mädchen. Ich weiß bis heute nicht, wie diese Gleichzahl im Sozialismus geregelt wurde. Ob die Staatsmacht zum Beispiel überflüssige Geschlechtsgenossen abtreiben ließ und beim unterzähligen Geschlecht extra nachhakte. Auf jeden Fall war immer ein geschlechtliches Gleichgewicht gewährleistet, zumindest in meiner Schule N 701.
Neulich holte ich Sebastian vom Unterricht ab. Er saß auf dem Schulhof, ziemlich allein, hatte eine Beule am Kopf und die Hosentaschen voller Sand. Das sei kein Sand, sondern Lava, erklärte Sebastian. Er habe Vulkanausbruch gespielt.
»Es gibt zwei Dutzend Schüler in deiner Klasse. Warum musst immer du der Vulkan sein?«, regte ich mich auf.
Der Vulkan sei Marie-Luise gewesen, er habe lediglich den Ausbruch spielen wollen, verteidigte sich Sebastian. Doch sein Freund Peter habe ihn geschubst und sei früher ausgebrochen. Marie-Luise habe ihn daraufhin megastark verhauen, und jetzt seien sie ein Paar.
Mein Sohn hat eine eigene Zeitrechnung. Alles, was war, ist Vergangenheit, sagt er, alles, was kommt, ist Zukunft. Und alles dazwischen ist Mittelalter. In diesem Mittelalter haben Männer Kommunikationsprobleme, wenn es um die Annäherung an das andere Geschlecht geht. Und je kleiner die Männer sind, desto größer die Probleme. Ein Mann braucht Randale, um jemanden kennen zu lernen. Beim Randalieren kann er seine Qualitäten am besten entfalten. Eine sichere Nummer wäre zum Beispiel, ein Mädchen zu verhauen, um sich dann als Schutz vor sich selbst anzubieten.
In der Vergangenheit waren Mädchen leichte Beute für derartige Kommunikationsversuche. Man zog einfach an ihren langen Zöpfen, und schon war die Kommunikation hergestellt. Mädchen trugen lange Kleider, gingen nicht zum Karate- oder Judounterricht, und sie spielten nicht Fußball. Man schubste sie ein bisschen auf dem Hof, und schon war die Kommunikation da. In unserem heutigen Mittelalter aber sind lange Kleider und Zöpfe aus der Mode, weil die Eltern zu faul sind, Kleider zu bügeln und Zöpfe zu flechten. Die Mädchen des heutigen Mittelalters bieten keine Angriffsfläche mehr. Sie nehmen am Kampfsportunterricht teil, sie kicken Bälle in Fenster, sie können Fahrrad fahren und jonglieren. Sie sind außerdem noch aus einem rätselhaften Grund fast immer einen Kopf größer und zehn Kilo schwerer als die Jungs und können jeden verdreschen.
Eine Frage an die Wissenschaft: Wäre es nicht möglich, eine Zopfflechtmaschine zu entwickeln? Ist unser Mittelalter nicht gerade das Zeitalter der großen Entdeckungen, die uns das Leben erleichtern? Es wurden flüssige Tapeten erfunden, elektrische Nasenbohrer von Tchibo und beheizte Klobrillen. Der Weg zum absoluten Menschenglück nimmt durch diese Errungenschaften eine gewaltige Abkürzung. Es gibt sogar schon Hundefutter, das Hundescheiße leuchten lässt, damit der Mensch im Dunkeln nicht hineintritt. Aber es gibt noch immer keine Zopfflechtmaschine, die, auf jedem Schulhof installiert, die Kommunikationschancen der heranwachsenden Generation wesentlich verbessern würde. Mein Kind sucht derzeit unermüdlich nach neuen Wegen zum Vulkan. Er überredete mich, ihm eine präparierte Vogelspinne unter Glas auf dem Flohmarkt zu kaufen. Der Preis für diesen ausgetrockneten Kinderalbtraum war hoch: zwei Wochen ohne Computer und ohne Fernseher. Er ist trotzdem darauf eingegangen, denn er verband große Hoffnungen mit dem Insekt. Er nahm es mit in die Schule und erschreckte erst alle Kinder auf dem Schulhof, dann zeigte er die Spinne Marie-Luise und sagte, sie brauche keine Angst zu haben, solange er alles unter Kontrolle habe. Jetzt sind sie ein richtiges Paar.
Die Schreibkatze
Die Idee, unserem intelligenten Hauskater Fjodor die Möglichkeit zu geben, stellvertretend für alle Katzen der Stadt eine Kolumne zu verfassen, diesen Gedanken hatten wir schon lange. Die Chefredakteure des deutschen Feuilletons riefen bereits an: »Wann schreibt nun der Kater?«, fragten sie besorgt. Fjodor war ein idealer Kandidat für den ersten Katzenkolumnisten: Er sieht ziemlich durchgeknallt aus, hat einen Bart und ist dem berühmten russischen Schriftsteller Fjodor Dostojewski ähnlich. Er hat längst meinen Schreibtisch zu seinem Lieblingssitz auserkoren und setzt sich immer genau dazwischen: zwischen Mensch und Monitor. Wenn der Mensch eine Pause macht, um in der Küche eine Zigarette zu rauchen oder aufs Klo zu gehen, springt Fjodor heimlich auf der Tastatur herum. Ich habe ihn zwar noch nie dabei erwischt, aber schon öfter seine Ergüsse auf dem Monitor gelesen. Keine Frage, der Kater ist nicht dumm und hat bestimmt einiges zu erzählen. Er kann nur nicht richtig tippen. Auch seine Sprache ist karg. Mühsam haben wir innerhalb eines Jahres diese Katzensprache gelernt, in dem wir ihm ständig Fragen stellten. Es war wie ein endloses Katzen-Quiz mit kiloweise Katzenfutter, das es zu gewinnen galt. Nun wissen wir aber Bescheid. Wer denkt, hinter dem ständigen Miauen ließen sich Berge von Intellekt entdecken, der wird enttäuscht sein. Einmal »Miau« heißt »Nein!«, zweimal »Vielleicht später …«, und dreimal »Miau« hintereinander bedeutet so viel wie »Na klar!«.
Ich dachte, vielleicht kann mir der Kater seine Kolumne diktieren, wie es sein berühmter Namensvetter, der Schriftsteller Dostojewski, oft tat. Er war ein temperamentvoller Mensch; seine Gedanken flossen schneller, als seine Hand sich bewegen konnte. Wenn er eine neue Idee zu einem Roman hatte, flogen die verschmierten Blätter nur so durch die Wohnung. Sie wurden von seiner Sekretärin sorgfältig gesammelt und abgetippt. Später verzichtete Dostojewski gänzlich auf die Blätter und diktierte nur noch; die Sekretärin tippte, und so ging es viel schneller. Der freie Lauf seiner Phantasie war durch nichts mehr zu bremsen, er sprach und stotterte und stotterte und sprach. Doch die Sekretärin war noch schneller. Sie hatte den ersten und den zweiten Preis beim Schnelltipp-Wettbewerb gewonnen. »Und wie weiter?«, fragte sie gelangweilt. Das machte den Schriftsteller wahnsinnig. Er gab aber nicht auf, sondern lernte die Gebärdensprache, um sich beim Diktieren zu behelfen. Er diktierte und diktierte und heiratete schließlich die Sekretärin, damit er auch nachts diktieren konnte. Aus diesem Bündnis entstanden dreißig Bücher und vier Kinder.
Also setzte ich mir den Kater auf den Schoß und sagte: »Erzähl mal! Ich werde für dich tippen.«
Er wurde auf einmal ganz bescheiden. »Nein«, miaute er, »vielleicht später.«
Dann schloss er seine blauen Augen und erstarrte. In dieser Pose verbringt der Kater die meiste Zeit seines Lebens. Nur manchmal, wenn er merkt, dass die Wohnungstür offen ist, rennt er im Galopp ins Treppenhaus und die Treppe hoch Richtung Dachgeschoss, denn dort im vierten Stock wohnt eine dicke sterilisierte Tussi, die ihm seinen armen Katzenkopf total verdreht hat. Sie macht aber nie auf.
»Komm sofort runter, Fjodor!«, rufe ich ins Treppenhaus.
»Nein«, miaut er, »vielleicht später.«
»Dann komme ich jetzt hoch!«, rufe ich beschwörend.
»Na klar!«, antwortet er.
Manchmal im Sommer, wenn er auf dem Balkon in seinem Klappstuhl schläft, zuckt er und grabscht mit den Pfoten, als würde er ganz schnell etwas eintippen – einen Liebesroman oder eine Novelle, ein Gedicht an die dicke sterilisierte Tussi aus dem vierten Stock. Dabei ist er noch leidenschaftlicher als sein Namensvetter und schneller als dessen Sekretärin. Im Traum ist Fjodor ein großer Dichter. Wenn er aufwacht, ist er ein riesengroßer Kater, eine Burmakatze mit schickem Fell und runden blauen Augen.
»Guten Morgen, Kollege«, sage ich dann zu ihm. »Lust auf Wurst?«
»Nein«, sagt er. »Vielleicht später.«
»Na klar.«