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Warum geht alles so schnell kaputt?

Als wir vor zwei Jahren in eine neue Wohnung zogen, dachte ich ernsthaft darüber nach, eine Tischtennisplatte in meinem Arbeitszimmer aufzustellen. Heute bekomme ich nicht einmal mehr ein Schachbrett da rein. Das Boot ist voll – und nicht mit Blumen und Fanpost, sondern mit kaputten elektronischen Geräten: Rechner, Monitore, Telefone, Videorekorder … Letzte Woche verabschiedete sich sogar mein fast neuer DVD-Player! Dabei wirkte er noch so frisch und gesund. Man kann dafür natürlich leicht den Kindern die Schuld in die Schuhe schieben, die den DVD-Player laufend verwirrten, indem sie ihm eine Scheibe Jagdwurst statt eines Films reinschoben. Ich glaube aber eher, dass der Kapitalismus schuld ist. Es fängt mit dem Überangebot an, das uns zickig und entscheidungsschwach macht. Frustriert blättert man in der endlosen Speisekarte der Konsumgesellschaft, die täglich dicker, poetischer und handgeschriebener wird. Wir können gar nicht wissen, was wir wirklich gerne hätten, denn diese Erkenntnis gewinnt man nur durch Vergleich.

Aber wer wagt es schon, alles Angebotene auszuprobieren? Dafür reicht kein Menschenleben aus. Um einen festen Standpunkt in diesem Meer des Angebots zu gewinnen, versuchen es viele mit Verzicht. Diese aufgeklärten Nonkonformisten senken ihre Bedürfnisse bewusst auf das Lebensnotwendige, zum Beispiel im Bereich der Hauselektronik: Sie sagen Nein zu Playgames. Sie sagen Nein zum Fernseher und noch mal Nein zum schnurlosen Irgendwas. Alles, was sie für ihre Freizeit brauchen, ist ein kleiner Laptop mit CD-Brenner sowie ein Handy mit eingebautem Fotoapparat, vielleicht noch ein DVD- oder MP3-Player für unterwegs und basta!

Für den Kapitalismus ist eine solche Askese ein harter Schlag. So kann er nicht arbeiten, das Kapital zirkuliert dabei nicht richtig, und die ganze Ökonomie gerät ins Stocken. Der Kapitalismus muss den zickigen Konsumenten fest an sich binden, ihn abhängig von seinen immer neuen Waren machen. Also produziert er schlechte Waren, die gut aussehen, aber schnell kaputtgehen. Bestimmt wäre es bei dem heutigen Stand der Technik ein Klacks, ewig haltende Videorekorder aus Stahl in jeder Wohnung zu installieren, große Fernseher in die tragenden Wände einzubetonieren und einen zweiundsiebzig Jahre dauernden Film laufen zu lassen als ultimativen Kick für das ganze Leben: immer spannend, immer humorvoll, vor zwanzig Uhr süß und kinderfreundlich, zur späten Stunde ungemein erotisch – ein Film für alle, ein Quotenkiller, mit täglichem Happyend, konkurrenzlos. Der Sozialismus hätte es bestimmt so gemacht.

Aber sein schlauer Widersacher ist an solchen Glanzleistungen gar nicht interessiert. Stattdessen verkauft der Kapitalismus Zeichentrickfilme auf DVD gleich in zehn Sprachen, meistens in solchen, die kein Schwein versteht. Dieses Überangebot hat zur Folge, dass meine Kinder sich ihre Zeichentrickfilme bevorzugt auf Finnisch oder Japanisch reinziehen, nachdem sie die deutsche Fassung bis zum Überdruss genossen haben. Das eine Kind schreit neuerdings gerne »Hoschimori!« und behauptet, es heiße auf Japanisch: »Der Zug kommt«. Das andere Kind behauptet, das wäre finnisch und würde »Ich liebe dich« bedeuten. Oft stecken sie gleich zwei Filme übereinander in den DVD-Player, drücken auf alle Knöpfe gleichzeitig oder versuchen, das Innere des Geräts mit einem Strohhalm (»Tschassiro« auf Japanisch) zu untersuchen. Jetzt ist der Player, wie gesagt, kaputt. Mancher wird sagen, die Kinder seien daran schuld. Ich denke aber doch: Es ist der Kapitalismus.