42.

 

 

 

BERLIN  Judith Weinmann war gerade dabei aus dem Hotel auszuchecken, als ein junger Mann neben sie trat, seinen Ausweis vorzeigte und sie bat, mit ihm zu kommen. Sie versuchte eine gelassene Miene aufzusetzen, obwohl in ihrem Innern genau das Gegenteil der Fall war. War irgendetwas schief gegangen? Sie waren wohl nicht vorsichtig genug gewesen. Sie versuchte sich zu beruhigen. Versuchte sich an die Abmachungen im Ernstfall zu erinnern. Sie hatte alles auswendig gelernt und spulte die Sätze in ihrem Gedächtnis ab. Ja, sie hatte alles behalten, glaubte sie zumindest.

Der junge Polizist gab während der Fahrt kein einziges Wort von sich, nur das Funkgerät knisterte ab und zu und gab eine Meldung in Codewörtern von sich, die ein Normalsterblicher nicht verstand. Endlich hielten sie vor einem großen grauen Gebäude.

„Kommen Sie herein“, sagte ein gut aussehender Mann zu ihr und stellte sich als Sam O´Connor vor.

Judith betrat den Raum. Dann trafen sich ihre Blicke. Rafael Rodriguez saß auf einem Stuhl. Er sah müde aus. Jetzt hieß es, das Band in ihrem Kopf abspielen zu lassen.

„Okay. Sagen Sie immer noch, dass Sie alleine Kaffee trinken waren?“

Rafael ließ die Finger knacken und sah Sam wütend an.

„Das ist doch unglaublich. Sie spionieren mir nach? Ich wollte …“

Sam hob die Hand, unterbrach Rafael mitten im Satz und gab Juri ein stummes Zeichen. Daraufhin führte Juri Judith Weinmann wieder aus dem Raum und schloss die Tür hinter sich.

„So nun hoffe ich für Sie, dass sich Ihre beiden Geschichten decken. Wer ist die Frau und warum haben Sie sich mit ihr in der Cafeteria getroffen?“

Rafael kniff den Mund zusammen wie ein trotziges Kind.

„Na, was ist?“

„Wir haben uns zufällig getroffen. Sie ist eine alte Bekannte.“

„Ärztin?“

„Ja.“

„Wo kommt sie her?“

„Aus Israel. Wir haben uns vor Jahren mal hier in Berlin auf einem Kongress getroffen.“

Israel. Zum zweiten Mal in kurzer Zeit stolperte er über dieses Land. Erst der Brief von Ernst Ritter, jetzt diese Frau. Doch dazwischen lagen fünfzig Jahre. Eine Verbindung war also wirklich sehr zweifelhaft.

„Was macht sie hier in Berlin?“, fragte Sam weiter.

„Ich denke sie ist wegen des Kongresses hier.“

„Dann frage ich mich, warum sie gerade auschecken wollte.   Der Kongress beginnt doch erst übermorgen, oder nicht?“

„Fragen Sie sie doch selbst.“

„Worüber haben Sie sich unterhalten?“

„Über Gott und die Welt. Nichts Besonderes.“

„Bitte etwas genauer. Was heißt für sie Gott und die Welt?“, insistierte Sam und beobachtete Rafael, der bei der letzten Frage nervös geworden war. Sam konnte regelrecht den Adrenalinspiegel in den Adern seines Gegenübers steigen sehen.

„Belangloses eben. Ich habe ihr von meiner Reise erzählt. Venedig, Florenz, meiner Arbeit in Medellin.“

Sam glaubte dem Mann kein Wort. Sie hatten sich nicht zufällig getroffen, sondern waren verabredet gewesen. Dafür gab es zwei Zeugen.  Dann hatten sie leise geredet. Das machte niemand, der sich zufällig trifft. Was hatten die beiden also für ein Geheimnis?

Sein Handy brummte auf dem Tisch und Sam nahm das Gespräch an. Die Informationen, die er nun bekam, waren mehr als überraschend und würden Rafael Rodriguez wohl endgültig in die Knie zwingen.

 

Juri hatte in der Zwischenzeit in einem anderen Raum Judith Weinmann interviewt. Es waren die gleichen Fragen, die bei Sam auf einem Zettel standen und die Antworten der beiden waren fast deckungsgleich. Genau wie Sam konnte auch Juri das Gefühl nicht abschütteln, dass da irgendetwas faul war, nur beweisen konnten sie den beiden nichts. Sie ließen Frau Weinmann gehen und Rafael Rodriguez wurde wie ein unbekannter Krankheitserreger unter dem Mikroskop weiterhin beleuchtet.

„Wir haben gerade erfahren, dass Leila nicht Ihre erste Frau war, die auf unnatürliche Weise umgekommen ist. Warum erzählen Sie uns nicht mehr darüber, Señor Rodriguez?!“, fuhr Sam fort und war mehr als gespannt auf die Erklärung, die der Mann ihnen nun liefern würde.

Rafael Rodriguez stieß einen lauten Seufzer aus, dann verbarg er sein Gesicht in seinen Händen. Es war ein stummes Weinen, das sich nur durch das Beben seiner Schultern bemerkbar machte.

Er war nicht der erste Täter, den Sam vor einem Geständnis zusammenbrechen sah. Er wartete geduldig, bis der Mann sich wieder im Griff hatte und malte in der Zeit wie so oft Kreise zwischen seine Notizen.

Es dauerte eine ganze Weile bis Rafael Rodriguez wieder seinen Kopf hob. Mit seinem Handrücken wischte er über sein tränennasses Gesicht und begann zu erzählen …

 

 

Orchideenstaub
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