Um recht zu verstehen, was nun zwischen den beiden Todfeinden in meinem Haus gesprochen wurde, muß ich auf den Konflikt zurückkommen, Leser, der seit langem zwischen Herzog Karl IV. von Lothringen und unserem geliebten Herrscher bestand.
Bemerkenswert ist, daß der Streit nicht von uns ausging, sondern vom Herzog, mag es auch unbegreiflich erscheinen, daß ein so kleiner Kater so oft einen Tiger zu reizen wagte. Der Grund für die Konfrontation war Gaston, der jedesmal, wenn er seinen Bruder herausfordern wollte, den Staub Frankreichs von seinen Stiefeln schüttelte und sich über die Grenze nach Lothringen flüchtete, wo er gute Unterkunft, freundschaftlichen Empfang und einen unbeirrbaren Verbündeten fand.
Karl IV. ging sogar so weit, wie man sah, für ihn eine kleine Armee aufzustellen, die ihm erlaubte, mit Hilfe von Montmorency den König von Frankreich zu bekriegen. Mehr noch, er gab ihm seine Schwester Margarete zur Gemahlin, die Hochzeit wurde heimlich gefeiert, ohne den König von Frankreich zu konsultieren: ein Affront, der uns, als er bekannt wurde, alle sprachlos machte.
Diese Politik Karls IV. erscheint tolldreist und abenteuerlich, und doch hat sie ihre Logik. Die Geschichte hat es so gerichtet, daß dem Herzog sein Herzogtum nur zum Teil gehört, Frankreich besitzt reiche und wichtige Städte dort, die Ludwig keinesfalls hergeben wird, für den Fall nämlich, daß die Kaiserlichen Frankreich angreifen sollten. Es sind für ihn gut bewehrte Bastionen, um eine von Osten kommende Invasion aufzuhalten und zu verzögern. Und deshalb wird der König von Frankreich niemals auf sie verzichten. Gaston gut zu empfangen, wenn er, um Ludwig unter Druck zu setzen, das Reich verläßt, kann von seiten des Herzogs als durchaus kluge Politik erscheinen. Denn solange der König von Frankreich keinen Dauphin hat, ist Gaston sein präsumtiver Thronfolger, und da Ludwigs Gesundheit |330|außerdem so prekär ist, kann der Herzog hoffen, daß Gaston, wenn er bald an Ludwigs Stelle tritt, zugänglicher für den Wunsch seines Schwagers sein werde, was die Herausgabe jener Städte an Lothringen betrifft.
Andererseits kann Ludwig die wiederholten Frechheiten des Herzogs von Lothringen nicht unbeantwortet lassen, namentlich die letzte und ärgerlichste nicht: die für Gaston bereitgestellte Armee.
Also marschiert Ludwig nach der Affäre von Castelnaudary in Lothringen ein, doch nicht, um es zu besetzen. Der östliche Nachbar würde es nicht dulden, wenn Frankreich sich so nahe an seiner Grenze vergrößerte. Im Augenblick geht es lediglich darum, Karl IV. zur Rechenschaft zu ziehen. Doch selber wortbrüchig, glaubt er Ludwigs Wort nicht, und weil er fürchtet, der König werde ihn festnehmen, schickt er ihm seinen Bruder, den Kardinal von Lothringen. Besagter Kardinal ist ein geschmeidiger Mensch. Wie ein Aal gleitet er auch durch die straffsten Finger. Ja und nein gehen bei ihm in eins. Was er heute gebilligt hat, verwirft er morgen. Und in unserem gegenwärtigen Fall ist er bereit, die Gaston geleistete Waffenhilfe zum Kampf gegen Ludwig zu bedauern. Doch verweigert er jede weitere Zusage; die wäre, sagt er, ein Eingriff in die Souveränität des Herzogs von Lothringen. Trotzdem bricht er die Brücken nicht ab. Je weiter die königliche Armee in Lothringen vordringt, desto häufigere Treffen gibt es mit dem Kardinal, aber stets ohne den Willen, zu einem Schlußpunkt zu kommen.
Der Leser wird sich erinnern, daß der Herzog von Savoyen Ludwig gegenüber die gleiche Verzögerungstaktik pflegte: Sowenig wie dem Savoyer nützte sie auch dem Lothringer. Ohne sich den Gesprächen mit dem Kardinal von Lothringen zu entziehen, der in diesen Verhandlungen seinen Bruder repräsentierte, marschierte der König bis ins Herz des Herzogtums, indem er nur jeweils innehielt, um die kleinen und großen Städte an seinem Weg zu unterwerfen. Derweise fielen Pont-à-Mousson, Lunéville und La Neuville in seinen Sack. Wieder empfing er den Kardinal und wieder ohne die geringste Konzession. Da belagerte Ludwig Nancy, und die Stadt Charmes fiel dem Comte de La Suze in die Hände. Nun kam es zu einer neuen Begegnung, in deren Verlauf der Kardinal endlich den Frieden |331|unterzeichnete. Doch am nächsten Tag entglitt uns der Aal abermals, der Herzog nahm sein Wort zurück, und ohne die Belagerung von Nancy aufzugeben, unterwarf der König jetzt Charmes, Épinal und Méricourt. So sehr es den Herzog verdroß, daß ihm sein Herzogtum Stück für Stück zerfiel, blieb er bei seinen knabenhaften Verzögerungen. Schließlich nahm Ludwig Nancy, und da unterwarf sich Karl IV., den Tod im Herzen. Dieser neue Feldzug war kurz, er dauerte vom fünfundzwanzigsten August bis zum fünfundzwanzigsten September, und Ludwig behielt ein großartiges Faustpfand: Nancy. Wenn du, Leser, eine Karte von Frankreichs Norden zu Rate ziehst, wirst du feststellen, daß Nancy die strategische Position von Toul, Verdun und Metz auf das glücklichste vervollständigt. Ein möglicher Angreifer von Osten müßte diese vier nahe beieinander liegenden Städte alle gleichzeitig belagern, um zu verhindern, daß eine, die er ausgelassen hätte, ihm in den Rücken fiele.
***
Nach diesen Ausführungen über unsere Zwistigkeiten mit dem Herzog von Lothringen können wir in mein Hôtel des Bourbons zurückkehren, wo der Kardinal und die Herzogin von Chevreuse aufeinandertrafen. Ich sah dem nicht ohne Unbehagen entgegen, wußte ich doch, daß die Chevreuse Seine Eminenz einen »Stinkarsch« genannt hatte und daß er von ihr zu sagen pflegte, sie sei eine »leibhaftige Teufelin«. Doch alles ging äußerst liebenswürdig vonstatten. Sie setzte ihr hübschestes Lächeln auf, machte Richelieu mit zärtlichstem Augenaufschlag eine graziöse Reverenz, und Richelieu erwiderte den Gruß auf das höflichste. Hierauf nahm der Kardinal Platz und ergriff sofort die Initiative des Gesprächs. Zu meiner großen Überraschung bediente er sich dabei der Sprache des Hofes.
»Madame«, sagte er, »Ihr habt, glaube ich, verlangt, mich zu sehen. Und gleich allen Galanen, die Eure wunderbare Schönheit anzieht, folge ich Eurem Befehl.«
Bei einiger Überlegung fand ich, daß sich ein Tröpfchen Essig in diesen Honig mischte, denn man konnte darin eine pikante Reminiszenz jenes Briefes sehen, in dem die Chevreuse von Châteauneuf unbedingten Gehorsam verlangte.
Ob sie diese Spitze gewahrte oder nicht, die Dame ließ es |332|sich nicht anmerken, und ohne an Charme und Demut nachzulassen, schaute sie aus großen blauen Augen auf Richelieu.
»Eminenz«, sagte sie mit trauriger, klangvoller Stimme, »ich bin nicht blind für die Gefahr, in die ich mich durch vorwitzige kleine Intrigen selbst gebracht habe, die weder meinem Alter noch meinem Geschlecht entsprechen. Ich bekenne Euch, daß ich tief verstört bin bei der Vorstellung, daß mich jetzt eine so schreckliche Strafe treffen könnte, wie Seine Majestät sie seinem Siegelbewahrer auferlegt hat.«
»Allerdings, Madame«, sagte Richelieu ernst, »habt Ihr Seiner Majestät einige schlechte Dienste erwiesen, die dem Staat überaus hätten schaden können, wäre Majestät nicht so wachsam gewesen. Doch seid beruhigt, was Euch angeht, so hat der König noch nichts entschieden.«
»Das beruhigt mich in keiner Weise«, sagte die Chevreuse mit einer kleinen Schmollmiene, die ich ganz reizend fand.
Zu meinem Pech fand ich sie reizend, denn meine Catherine bemerkte es blitzschnell, und das verhieß nichts Gutes für unseren abendlichen Kopfkissenplausch.
»Indessen, Eminenz«, fuhr die Chevreuse fort, »kann die Indiskretion, die Ihr mir vorwerfen könnt, zweierlei Richtungen nehmen. Ich bin sowohl in der Lage, Euch jetzt eine Lothringen betreffende Information von großer und gefährlicher Tragweite für König und Reich zu enthüllen, als ich auch bewirken kann, diese Gefahr im Keim zu ersticken.«
»Madame«, sagte Richelieu mit einer Vorsicht, als bewegte er sich auf vermintem Gelände, »daß wir einander zunächst recht verstehen: Wenn ich Euch hier anzuhören bereit bin, heißt das nicht, daß ich einen Handel mit Euch schließen und etwas zu Euren Gunsten tun kann. Der König allein wird über Euer Los entscheiden. Aber vielleicht ist Seine Majestät in der Tat nachsichtiger gegen Euch, wenn Ihr Eure üblen Dienste durch einen Dienst von großer Tragweite beschließen würdet.«
»Eminenz«, sagte die Chevreuse, »auch wenn Eure Bedingungen mich ein wenig hart dünken, muß ich sie ja wohl akzeptieren. Hier zuerst meine Information: Ich weiß aus absolut sicherer Quelle, daß Karl IV. von Lothringen im Begriff steht, eine starke Armee zur Rückeroberung aller Städte auszuschicken, die Ludwig ihm genommen hat. Ihr lächelt, Eminenz, aber bitte hört mir weiter zu. Ich komme zum Wesentlichen. |333|Für den Fall, daß Karl damit scheitern sollte, hat er das formelle Versprechen des Kaisers von Österreich, Truppen zur Unterstützung seiner Armeen nach Lothringen zu entsenden.«
Schweigen trat ein, und obgleich Richelieus Gesicht undurchdringlich blieb, erkannte ich in seinen Zügen etwas wie Unwillen, so als sei er, der das Geheimnis natürlich schon kannte, das die Chevreuse ihm da »enthüllte«, erstaunt, daß auch sie es wußte, obwohl sie von früh bis spät überwacht wurde, obwohl man ihre Post öffnete und jeden ihrer Besucher verfolgte und identifizierte.
»Madame«, sagte er nach kurzem, »denkt Ihr wahrhaftig, daß Ihr Karl IV. überzeugen könnt, auf sein kriegerisches Projekt zu verzichten?«
»Eminenz«, erwiderte sie mit verblüffender Unverschämtheit, »nicht allein, daß ich mir sicher bin, den Herzog zur Umkehr bewegen zu können, denke ich sogar, daß ich die einzige bin, die es kann.«
Sollte man in diesem Zusammenhang von Unverschämtheit reden oder von Schamlosigkeit, das fragte ich mich, und ich sah Richelieus Gesicht an, daß auch er es sich fragte, war er doch allzu geneigt, in jeder Frau, und besonders in dieser, nur ein Gefäß der Sünden zu sehen. Allerdings zeigten Augen, Mund und Stimme der Chevreuse sowie eine Art Wallung, die ihren Körper durchpulste, daß sie sich ihrer ganzen Macht über den Herzog von Lothringen bewußt war und daß es ihr auch gar nichts ausmachte, wenn alle Welt den Grund dafür kannte.
»Madame«, sagte Richelieu, knapp und entschieden wie stets, sobald eine Angelegenheit auf den Punkt gebracht war, »so möget Ihr denn morgen zur Reise in Gesellschaft des Herrn Abbé de Dorat aufbrechen, dessen Rolle nur darin bestehen wird, in Form zu bringen, was Ihr mit dem Herzog von Lothringen beschließt. Herr Abbé de Dorat wird morgen mit einer Karosse und einer bedeutenden Suite bei Euch erscheinen. Alle Kosten dieser Reise trägt der König.«
Bei ihrer Rückkehr von Lothringen hätte die Chevreuse sagen können wie Julius Cäsar, als er Pharnakes II. bei Zela geschlagen hatte: Ich kam, sah und siegte.
Obwohl sie andere Waffen einsetzte, überzeugte die Chevreuse den Herzog von Lothringen doch im Handumdrehen, seine Armee zu entlassen. Damit erwies sie dem König von |334|Frankreich einen gewaltigen Dienst. Besagte Armee mag keinen Heller wert gewesen sein, doch wären die Kaiserlichen ihr zu Hilfe geeilt und in Frankreich und Lothringen einmarschiert, wäre dies ein sehr harter Brocken für Ludwig gewesen.
Nachdem die Chevreuse nach Frankreich zurückgekehrt war, hätte Richelieu der Herzogin, die sich für sein Gefühl mit dieser Mission von ihren Sünden reingewaschen hatte, ihre früheren Verirrungen gern vergeben. Aber Ludwig hörte nicht auf dem Ohr. Er war der Gerechte, vielleicht war er auch ein wenig eifersüchtig auf die Intimität seiner Königin mit jener Circe. Er schickte die Chevreuse in die Verbannung, eine überaus milde allerdings: auf ihre eigenen Güter in der Touraine, in ihr eigenes Schloß, wo sie empfangen konnte, wen und wann sie wollte. Sie durfte sogar nach Tours reisen, um mit Rechtsgelehrten ihre Interessen zu erörtern. In Wahrheit verbrachte sie dort lange Stunden bei ihrem Schuhmacher, ihrem Schneider, ihrem Juwelier. Sie umgarnte den achtzigjährigen Erzbischof von Tours, bis er ihr in der Stadt ein Hôtel vermietete, das ihm gehörte. Und mehrmals lieh er ihr große Summen, die sie ihm nie zurückgab. Woran du siehst, Leser, daß Begehren kein Alter hat.
Einige meinen, sie habe in Tours jüngere Liebschaften gehabt. Andere bestreiten es. Was mich angeht, so fand ich oft, daß die Chevreuse, eine so hohe Dame sie war, durchaus Gemeinsamkeiten mit der Zocoli hatte, und sowenig ich die Zocoli verdamme, verdamme ich auch die Herzogin. Doch habe ich bei Gelegenheit meinen Halbbruder, den Herzog von Chevreuse, einmal gefragt, warum er das Ehebett so schnell verlassen habe, und er antwortete mir, ohne mit der Wimper zu zucken: »Es war zu voll.«
***
»Nun, schöne Leserin, kein Wort? Hat es Ihnen die Sprache verschlagen? Wo bleiben Ihre klugen Fragen?«
»Ich habe mehrere, Monsieur, aber die erste ist so frivol, daß ich sie nicht zu stellen wage.«
»Madame, hinter einer frivolen Frage kann etwas Ernsthaftes stecken. Also, nur keine Scheu! Sagen Sie, was es ist.«
»Nun, ich habe mich gefragt, ob bei Ihrem ›Kopfkissenplausch‹ |335|an jenem Abend, nach dem Besuch der Chevreuse, Ihr flüchtiges Gefallen an einer Miene der Besucherin wirklich Folgen hatte?«
»Hm, eine echt weibliche Frage!«
»Ist sie ungehörig?«
»In meinen Augen nicht, und ich will auch darauf antworten. In dem Fall, liebe Freundin, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder man leugnet, oder man gesteht, und beides ist gleichermaßen von Übel.«
»Also haben Sie geschwiegen?«
»Nein, nein! Schweigen ist kränkend. Ich habe meiner Catherine ein sehr schwarzes Bild der leibhaftigen Teufelin entworfen und gesagt, auch wer sich für den Bruchteil einer Sekunde von ihren Schmollmienen verführen ließe, müßte ein kompletter Esel sein, ginge er ihr dauerhaft auf den Leim.«
»Eine geschickte Antwort.«
»Das sagte Catherine auch. ›Ja, ja, mein Herr‹, meinte sie, ›Ihr seid wirklich nicht auf den Mund gefallen!‹ Trotzdem, mangels Nahrung blieb das Feuer ein Strohfeuer.«
»Dann habe ich noch eine Frage, aber die hat es in sich, sie betrifft Gaston.«
»Was wollen Sie über Gaston wissen?«
»Wenn ich mich recht entsinne, entwich er nach dem Desaster von Castelnaudary im November 1632 nach Brüssel. Darüber haben Sie nichts weiter gesagt, obwohl Sie ausführlich die Einnahme von Nancy erzählt haben, die ein Jahr nach Gastons Flucht aus Frankreich lag.«
»Das ist tatsächlich eine Lücke, Madame. Ich bewundere Ihre Aufmerksamkeit und Ihren Scharfsinn.«
»Wenn es eine Lücke ist, könnten wir sie nicht füllen?«
»Liebe Freundin, Sie glauben gar nicht, wie dieses ›wir‹ mir gefällt! Es beweist, daß meine Memoiren meinen Lesern ebenso gehören wie ihrem Autor. Machen wir uns also an die Arbeit. Diese neue Flucht läßt sich auf zweierlei Weise erklären. Unterwegs nach Brüssel, schreibt Gaston seinem Bruder, daß er Frankreich verlasse, weil der König sein Versprechen nicht gehalten habe, Montmorency zu begnadigen. Ein lügnerischer Vorwand, dem der König sofort energisch widerspricht: ›Weder Euch noch irgend jemand anderem habe ich ein solches Versprechen gegeben.‹«
|336|»Ich nehme an, Sie werden mir auch den wahren Grund nennen?«
»Gaston bekam es mit der Angst. Zum ersten hat es ihn erschreckt, daß Montmorency hingerichtet wurde, der ja nur ein Komplize jener Rebellion war, deren Anstifter und Anführer er, Gaston, gewesen ist. Wenn sein Bruder einen so hohen Herrn zum Tod verurteilte, konnte er seinen jüngeren Bruder dann nicht ebenso in ein Schloß einsperren, wie er es mit der Königinmutter gemacht hatte? Zum zweiten hat er, ohne seinen Bruder zu fragen, sich heimlich mit der Schwester des Herzogs von Lothringen vermählt. Und er weiß, daß sowohl die Wahl seiner Gemahlin – die Schwester eines geschworenen Feindes – als auch die nicht eingeholte Zustimmung des Königs wie schließlich das Geheimhalten der Zeremonie verwerflich sind und daß der König, der überall seine Spitzel hat, davon früher oder später erfahren wird. Und was wird Seine Majestät dann mit Gaston machen?«
»Aber warum geht er nach Brüssel und nicht wieder zu seinen Lothringer Freunden?«
»Gaston ist ein Hansnarr, sein Kopf dreht sich in alle Winde, aber dumm ist er nicht. Er weiß, daß sein Bruder nicht anders kann, als Karl IV. dafür zu strafen, daß er eine Armee gegen ihn aufgestellt und das Kommando seinem verlorenen Bruder übergeben hat. Wenn also Lothringen angegriffen und, wie vorauszusehen, besiegt wird, steht Gaston, wenn er dort angetroffen wird, als Verräter da. Außerdem regierte in Brüssel derzeit die Infantin Clara-Isabella-Eugenia über die Niederlande, eine Enkelin Heinrichs II. von Frankreich und Tochter Philipps II. von Spanien. Weshalb die Iberer sie geringschätzig die mezza francese, die Halb-Französin, nannten. Diese hohe Dame nun war von so großer Güte, daß sie sogar von den besetzten Niederländern geliebt wurde. Und wegen ihrer Popularität machte die Regierung in Madrid sie, als ihr Mann starb, zur Gouverneurin der eroberten Provinz.
Ich hatte das Glück, die Infantin Clara-Isabella-Eugenia oft zu sehen (wie ich diese klangvollen Vornamen liebe!), als Ludwig mich nach Brüssel entsandte, um Gaston zur Heimkehr nach Frankreich zu bewegen. Die Infantin drängte ihn ebenfalls in diesem Sinne, doch nicht etwa, weil sie ihn nicht liebte, im Gegenteil. Sie war vernarrt in ihn, weil er ihr durch seine Fröhlichkeit, |337|seine sprunghaften Einfälle und seine Liebenswürdigkeit den freundlichen Hof der Valois in Erinnerung rief, wo sie in ihrer Kindheit sehr glücklich war. Allerdings verschwieg Gaston ihr seine Eskapaden. Die hätte sie nicht gelitten, sie war sehr fromm. Als ich ihr begegnete, war die Infantin siebzig Jahre alt. Zuerst wußte ich nicht, was ich von ihr denken sollte, denn ich sah sie im schwarzen Gewand der Clarissinnen, ohne daß sie dem Orden angehörte. Der Leser weiß – verzeihen Sie, schöne Leserin, daß ich mich auch an ihn wende, ich möchte doch nicht, daß er sich ausgeschlossen fühlt –, ich mache einen großen Unterschied zwischen Frommen und Frömmlern. Die Frommen achte ich hoch, wenn sie nach den heiligen Geboten leben wie Schomberg oder wie Ludwig, aber ich hasse wie die Pest die Frömmler wie Marillac und Bérulle, für die das Evangelium nur ein Instrument der Macht ist.
Als ich die Infantin zum erstenmal in Brüssel sah, war sie, wie gesagt, siebzig, und es bedurfte nur weniger Worte und Blicke, bis ich in ihr die liebenswerteste alte Dame der Schöpfung entdeckte. Die Zeit, die auch die schönsten Gesichter aushöhlt und entstellt, hatte sie mit leichtem Flügel gestreift, sie war gealtert, ohne häßlich zu werden. Ihr Gesicht hatte eine Sanftmut, wie ein frisch erblühtes Mädchen sie kaum hätte aufweisen können. Während alte Gesichter für gewöhnlich die Spuren von Trauer und Bitternis tragen, war das ihre glatt und heiter, und ihre braunen Augen leuchteten vor Güte und Freundlichkeit für die Menschen, unter denen sie lebte.
Das Gewand der Clarissinnen hinderte sie nicht, die Haare in wohlgeformten Locken aufzustecken und von Kopf bis Fuß vor peinlicher Reinlichkeit zu strahlen. Sie sprach mit leiser, melodiöser Stimme, ein Zauber bei einer Frau.
Mir schien es offenbar, daß Gaston in ihr eine neue Mutter gefunden hatte, die ihn mehr liebte und für die er mehr Liebe empfand als für die eigene. Man möge sich aber nicht täuschen. Die Tatsache, daß die Königinmutter ihn seinem älteren Bruder vorzog – vor allem, weil Gaston nicht der König war und sie mit ihm keinen Machtkonflikt hatte –, bedeutete durchaus nicht, daß sie ihn mehr liebte, als ihr hartes Herz, ihr aufbrausender Charakter, ihr ewiges Grollen und dummes Trotzen es überhaupt vermochten.
Wer hätte gedacht, daß gerade die Frömmigkeit der Infantin |338|ihren Tod verursachen sollte? Im November 1633, als sie bereits stark hustete und geschwächt war, wollte sie unbedingt und gegen ärztlichen Rat an einer Prozession teilnehmen. Sie erkältete sich und starb am zweiten Dezember. Die Belgier bedauerten diesen Verlust sehr, ahnten sie doch, daß der spanische Nachfolger ihnen nicht mehr soviel Wohlwollen entgegenbringen würde wie die mezza francese. Aber mehr als alle weinte Gaston. Als der neue Gouverneur der Niederlande, der Marqués de Aytona, in Brüssel eintraf, war Gaston bei seinem bloßem Anblick klar, daß er fortan der Hölle näher war als dem Paradies.
Der Marqués war einer jener starren, rauhen und unendlich hochmütigen Hidalgos, die wähnten, der Herrgott habe Spanien auserwählt und ihm absichtlich das Gold Amerikas beschert, auf daß es mit Hilfe der österreichischen Habsburger in Europa eine universelle Monarchie gründe, der die Niederlande, Italien, Frankreich, England und die lutherischen deutschen Fürstentümer zu unterwerfen seien, um endlich in all diesen Ländern die protestantische Ketzerei auszurotten. Dieses fromme Ziel schloß indessen, und sei es nur als Hintergedanke, die gewalttätige Lust an der Eroberung und Besetzung keineswegs aus.
Als der Marqués zum Gouverneur der Niederlande ernannt wurde, lautete Madrids einzige Maßgabe hinsichtlich Gastons: ihn so lange wie möglich in Brüssel festzuhalten. Alles übrige war seinem Taktgefühl überlassen, aber sein Taktgefühl war nicht sehr entwickelt, der Marqués war viel zu hochmütig, um Takt zu haben. Er lud Gaston nicht mehr an seine Tafel und wies ihn seinem Gefolge zu, wenn er auf den Brüsseler Straßen paradierte. Gaston verstand, daß er kein Gast mehr war, sondern eine Geisel, und beschloß, die Niederlande heimlich zu verlassen, ohne den Marqués um Erlaubnis zu fragen.
Obwohl es Gaston nicht an Finesse gebrach, beging er doch den Fehler, zu der Königinmutter von seinen Fluchtplänen zu sprechen. Und schon plusterte sie sich wie eine Gans und stieß, ziegelrot im Gesicht, händeringend, zerzaust, zerrauft und schwitzend, ihr uns hinreichend bekanntes französisch-italienisches Gezeter aus. Erzählt wurde mir dies nicht von Gaston, sondern von seinem Rat, Monsieur de Puylaurens, der bei der Szene zugegen war, ebenso wie auf seiten der Königinmutter |339|deren Favorit, der Pater Chanteloupe, die während des Dialogs zwischen Mutter und Sohn – falls man das als Dialog bezeichnen will –, je nach dem Standpunkt der königlichen Person, der sie dienten, einander mit bösen Blicken maßen.
Kurzum, die Königinmutter entrüstete sich, daß der Sohn ohne sie, seine Mutter, nach Frankreich zurückkehren wolle. Sie beschimpfte ihn in jeder Weise und schrie, daß sie ihm das niemals erlaube, solange sie lebe.
Gaston verwahrte sich gegen die Schimpfkanonade, auch, sagte er, benötige er ihre Erlaubnis nicht, um nach Frankreich zurückzukehren. Es stehe ihr ja frei, dasselbe zu tun, dazu brauche sie nur Richelieus Bedingungen zu akzeptieren: nämlich Mathieu de Morgues, der für sie die ungehörigen Pamphlete gegen den König verfaßt hatte, und ihren Rat, den Pater Chanteloupe, der königlichen Justiz zu überstellen.
»Der Euch ein so schlechter Berater ist!« erlaubte sich Puylaurens, mit einem verächtlichen Blick auf Chanteloupe, hier einzuwerfen.
Die unerbetene Bemerkung hätte ihn am selben Abend fast das Leben gekostet. Als er bei einfallender Dunkelheit mit einigen Edelleuten die Treppe zu den Gemächern seines Herrn emporstieg, brach eine Schießerei gegen ihn los, die ihm nur einen Streifschuß beibrachte, einen seiner Gefährten aber schwer verwundete. Er hatte wenige Zweifel über den Urheber dieses Attentats und noch weniger Chancen, ihn dafür zu belangen.
Das Attentat wurde am dritten Mai 1634 verübt, und schon am folgenden Tag rief der Marqués de Aytona, hochfahrender denn je, Gaston zu sich und nötigte ihn, eine Erklärung zu unterzeichnen, durch die er sich verpflichtete, in den kommenden fünf Jahren auf jede Einigung mit dem König von Frankreich zu verzichten. Auch hierin bewies der Marqués seinen Mangel an Feingefühl, denn so enthüllte er Gaston, daß die Königinmutter, der einzige Mensch, den er ins Vertrauen gezogen hatte, seinen Fluchtplan an den Spanier verraten hatte.
Was mich anlangt, so kam ich am vierten Mai nach Brüssel mit zwei Briefen für Gaston, beide vom König geschrieben und einander widersprechenden Sinnes. Der eine verkündete Gaston in rauhen und schroffen Worten, daß er nicht mehr nach Frankreich heimkehren dürfe, weil seine Forderungen unzumutbar |340|seien. Der zweite, den Nicolas unter seinem Hemd versteckte, enthielt für Gaston einen Reisepaß mit dem königlichen Siegel, mit dem er nach Frankreich einreisen konnte, auf welchem Weg und durch welche Stadt er wollte. Wie ich mir gedacht hatte, wurde mein sämtliches Gepäck, als ich die erste Nacht in einem sehr reinlichen Brüsseler Gasthof verbrachte, in der Nacht durchwühlt, und der erste Brief des Königs verschwand, doch rührte, wie erwartet, niemand an die Kleider von Nicolas. Und so konnte ich Gaston am nächsten Tag den königlichen Paß überreichen. Kaum hatte er ihn geöffnet und einen Blick hineingeworfen, war er auf dem Gipfel des Glücks; in seiner unverstellten Art fiel er mir um den Hals und umarmte mich unter Tränen. Und als wäre ich plötzlich sein bester Freund, erzählte er mir sein Leben seit dem Tod der Infantin Clara-Isabella-Eugenia bis hin zu dem Streit mit seiner Mutter und dem Mordversuch, dem Puylaurens beinahe zum Opfer gefallen wäre. Diesen Verrat, so schloß er leidenschaftlich, werde er seiner Mutter nie und nimmer verzeihen.
Nun war guter Rat teuer. Auch Puylaurens wußte keinen Ausweg. Und so schlug ich Gaston vor, der Königinmutter zuerst einmal zu erklären, daß er alles Unrecht an ihrem Streit auf sich nehme.
»Donner und Doria!« sagte Gaston zähneknirschend.
»Aber Hoheit«, sagte ich, »dies wäre der berühmte kleine Löffel Honig, den Euer erhabener Vater zur captatio benevolentiae zu verabfolgen empfahl.«
Ich weiß nun nicht, ob das lateinische Zitat oder die Autorität seines Vaters größeren Eindruck auf Gaston machte, jedenfalls schluckte er seinen Groll erst einmal hinunter und bat mich seufzend fortzufahren.
»Sodann beruhigt Ihr die Königinmutter damit, wovon sie sicherlich schon weiß, daß Ihr Euch vor dem Marqués de Aytona verpflichtet habt, noch fünf Jahre in Brüssel zu bleiben, und daß Eure edelmännische Ehre es erfordert, Eurem schriftlich gegebenen Wort treu zu sein.«
Leser, es amüsierte mich im stillen, Gaston dies zu sagen, hatte er doch sein Leben lang nie seine Treueide oder Unterschriften in Ehren gehalten. Doch eingedenk seiner eigenen Unbeständigkeit, hatte er gegen diese Komödie nichts einzuwenden.
|341|»Kurzum«, schloß ich, »Ihr seid nunmehr gewillt, nicht zu fliehen, sondern in Brüssel zu bleiben und Eurer betrübten Mutter Gesellschaft zu leisten.«
»Verdammt, mein Cousin«, sagte Gaston, der in seiner Begeisterung die Metaphern durcheinanderbrachte. »Euer Plan ist göttlich! Ihr müßt der Teufel sein! Was meint Ihr dazu, Puylaurens?«
»Daß der Plan ausgezeichnet ist, Hoheit, und daß man ihn schnellstens ins Werk setzen sollte.«
Puylaurens lächelte mir zu, und ich lächelte ihm zu, spürte ich doch, wie ungeduldig der Mann war, nach Paris zu kommen und sich des Herzogtums zu erfreuen, das Richelieu ihm versprochen hatte, wenn es ihm gelänge, den Bruder des Königs zur Heimkehr nach Frankreich zu bewegen.
***
Durch die üblen Folgen seiner vorigen Indiskretionen belehrt, hielt Gaston seinen Fluchtplan nun absolut geheim und weihte nur mich in ihn ein, weil ich dabei eine Rolle spielen sollte, wie ich noch darlegen werde.
Am siebenten Oktober unterrichtete Gaston den Marqués, daß er mit seinen Edelleuten in einem wildreichen Waldgebiet südlich von Brüssel jagen wolle. Wonach er zum Abend im nahen Barfüßerkloster die Vesper hören und die Mönche, wenn möglich, um Mahl und Nachtlager ersuchen wolle. Eine Jagd, die so fromm enden sollte, konnte der Marqués nicht verbieten, und so brach Gaston mit seiner Suite am achten Oktober in aller Herrgottsfrühe auf nach besagtem Wald. Er durchquerte ihn aber ohne Aufenthalt, denn sein wahres Ziel war die französische Feste La Capelle, fünfundzwanzig Meilen von Brüssel entfernt.
Gaston hatte berechnet, daß die Strecke in achtzehn Stunden zu bewältigen sein müßte, wenn man stetigen Trab hielte, ohne jede Pause, sogar ohne zu trinken, das heißt, die Reiter konnten bei diesem Gewaltritt nicht anders, als ihre Pferde zuschanden zu reiten. Deshalb bat er mich, der ich einen Tag vorher abreiste, unterwegs in Mons anzuhalten und dort ein Dutzend gute Pferde zu mieten oder zu kaufen, damit man sie gegen die erschöpften Pferde austauschen könne.
»Monsieur, auf ein Wort, bitte.«
|342|»Schöne Leserin, müssen Sie mich wirklich in dieser dramatischen Episode unterbrechen?«
»Es tut mir leid, Monsieur, ich bekenne mich schuldig.«
»Ein solcher Satz, liebe Freundin, ist bei einer Dame reine Koketterie. Doch Scherz beiseite, nun stellen Sie Ihre Frage schon.«
»Gaston flieht. Das freut mich. Aber was wird eigentlich aus seiner Gemahlin, Margarete von Lothringen?«
»Wieder eine sehr weibliche Frage!«
»Da ich ein Weib bin, Monsieur, sind all meine Fragen weibliche. Soll ich, um Ihre Memoiren zu lesen, das Geschlecht wechseln?«
»Das wäre ein Jammer.«
»Monsieur, wollten wir Scherze nicht beiseite lassen?«
»Um Gnade, liebe Freundin, Gnade! Sie sollen das weibliche Vorrecht des letzten Wortes gern behalten. Was Margarete angeht, so hätte sie, zart, wie sie war, diesen infernalischen Ritt von Brüssel nach La Capelle nicht durchgestanden. Und Gaston mußte sie, den Tod in der Seele, der Fürsorge der Königinmutter überlassen.«
»Die Ärmste tut mir leid.«
»Nein, nein! Sie brauchen sie nicht zu bedauern. Margarete war so wunderbar sanft und lieb, daß sie die Tigerin zähmte, die sie in ihrer Einsamkeit sogar liebgewann, so daß man ihr Margarete geradezu aus den Armen reißen mußte, als es soweit war, sie ihrem Gemahl wiederzugeben. Doch war dies für das Paar noch nicht das Ende der Prüfungen. Mit seiner heimlichen Vermählung ohne Einverständnis des Königs hatte Gaston einen jahrhundertealten Brauch verletzt und mithin einen Präzedenzfall geschaffen, den weder der König noch Richelieu dulden konnten. Sie unternahmen alles, um diese Ehe zu lösen, doch wenn sie hierzu auch die Zustimmung der französischen Geistlichkeit erhielten, blieb der Papst, Gastons letzte Hoffnung, bei seiner Ablehnung.«
Aber das ist eine lange Geschichte, die ich jetzt nicht erzählen kann, denn ich bin hier in Mons mit meiner Schweizereskorte und den Pferden, die ich gekauft habe, die aber kaum ausreichend sein dürften, die zu Tode gerittenen Tiere zu ersetzen. Mir ist natürlich klar, daß etliche meiner Leser die mörderische Anstrengung barbarisch finden werden, die den armen |343|Tieren auferlegt wurde. Es ging aber nicht anders, um der Verfolgung der spanischen Reiter zu entkommen, die den Flüchtigen nachsetzten und ihnen ohne Skrupel den Garaus gemacht hätten, wären sie in ihre Hände gefallen.
In Mons ließ ich meine Karosse hinter mir her zuckeln und bestieg meine Accla, von Nicolas und den Schweizern gefolgt. Gaston und seine Suite waren inzwischen zu mir gestoßen. Schon neigte sich der Tag, und wir fürchteten, daß der restliche Ritt in der Dunkelheit und auf schlechten Wegen sehr schwer werden würde. Als aber die Sonne unterging, stieg am Horizont ein herrlich runder, großer und leuchtender Mond auf, unzweifelhaft ein Geschenk des Himmels, denn mein Lebtag hatte ich nie einen so großen Mond gesehen. Freilich blieb er nicht so groß, je höher er am Himmel emporstieg, trotzdem behielt er seine wunderbare Helligkeit, man hätte in seinem Licht ein Buch lesen können.
Endlich kamen die hohen gezinnten Mauern von La Capelle in Sicht, und kaum langten wir vor dem Tor an, als die Trompeten im Innern der Festung Alarm schmetterten, von allen Seiten Lichter und Leute herbeistürzten und wer weiß wie viele Musketenläufe sich von den Zinnen herab auf uns richteten.
»Wer da?« rief eine starke Stimme.
»Monsieur«, rief Gaston, »ich bin Monsieur, der Bruder des Königs.«
»Ihr wollt mich wohl hochnehmen!« sprach die grobe Stimme von oben, »Monsieur, das kann jeder sagen!« Und Gastons ganze Suite brach in Lachen aus. »Schert euch weg, ihr Tagediebe, oder ihr kriegt Musketenfeuer zu schmecken!«
»Hoheit«, sagte ich zu Gaston, »darf ich mit dem Gouverneur reden?«
»Bitte, tut es!«
Ich trat einen Schritt vor.
»Baron du Becq, kann ich Euch sprechen?«
»Noch so einer! Woher weißt du meinen Namen, Strolch?«
»Ich bin ein Freund Eures Vorgängers, Monsieur de Vardes, mit dem gemeinsam ich verhindern konnte, daß die Feste La Capelle ihr Tor der aus Compiègne geflüchteten Königinmutter öffnete.«
»Wie ist Euer Name, Monsieur?« fragte der Baron schon höflicher.
|344|»Monsieur, ich bin der Herzog von Orbieu, Pair von Frankreich, und der Edelmann, der als erster zu Euch sprach, ist tatsächlich Monsieur, der Bruder des Königs, Herzog von Orléans und Graf von Blois. Er hat einen Reisepaß mit der Unterschrift und dem Siegel des Königs, der ihm erlaubt, nach Frankreich einzureisen. Wenn Ihr wollt, komme ich über die Zugbrücke und lege Euch den Paß vor.«
Nun, bald waren wir alle glücklich in der Festung, und der Gouverneur bat Gaston kniefällig um Vergebung.
»Laßt gut sein, Baron«, sagte Gaston, »Ihr habt Eure Pflicht getan. Macht es noch besser, indem Ihr uns zu essen und zu trinken gebt. Wir haben achtzehn Stunden gedarbt, und ich sterbe vor Hunger.«
***
Am nächsten Morgen erwachte ich mit einer Erkältung und Fieber. Baron von Becq schickte mir den Arzt Marcellin, der mit einem Taschentuch vor der Nase an mein Lager trat.
»Keine Bange, ehrwürdiger Doktor«, sagte ich, »ich habe nicht die Pest.«
»Woher wollt Ihr das wissen, Monseigneur?« fragte der Doktor.
»Mein Vater, der Marquis de Siorac, hat zu Montpellier die Medizin studiert und mich einige Grunddinge gelehrt.«
»Und was habt Ihr Euer Ansicht nach?«
»Eine fiebrige Erkältung.«
»Die wir wie behandeln?«
»Kein Aderlaß! Kein Klistier! Keine Diät! Nur Bettruhe und ein wenig Chinin.«
»Monseigneur, leider habe ich kein Chinin. Aber in Vervins ist ein Haus der Jesuiten. Die beziehen es aus Amerika und verkaufen es zu einem Preis, der einem die Tränen in die Augen treibt.«
»Gut, dann schicke ich meinen Junker mit gutgefüllter Börse nach Vervins.«
»Füllt sie doppelt gut, Monseigneur, sonst geht Ihr leer aus.«
Hierauf bezahlte ich den Doktor Marcellin für meine eigene Diagnose und mein eigenes Rezept, dann schickte ich Nicolas mit doppelt gefüllter Börse, mir besagtes Chinin zu beschaffen.
|345|Es klopfte, und Gaston trat herein, Puylaurens im Gefolge.
»Mein Cousin«, sagte Gaston, »ich komme, von Euch Abschied zu nehmen. Der König erwartet mich in Saint-Germain, ich kann ihn nicht länger warten lassen, ohne ihn zu kränken. (Ach, wie oft, dachte ich, hat er ihn im Lauf der letzten vier Jahre gekränkt?) Ich werde nicht versäumen«, fuhr Gaston fort, »Seiner Majestät zu sagen, wie gut Ihr mir mit Rat und Tat bei meiner Flucht geholfen habt, deren Haupthindernis meine Mutter war. Kommt uns nach, sobald Ihr auf den Beinen seid.«
Nun, das Pulver unserer teuren Jesuiten stellte mich binnen zwei Tagen wieder her, so daß ich zum Aufbruch blasen konnte. Weil ich diesmal behaglich in meiner Karosse reiste, traf ich am zweiundzwanzigsten Oktober 1634 in Saint-Germain-en-Laye ein, das heißt nachdem die beiden Brüder sich bereits versöhnt hatten.
Ich wurde sehr gut empfangen vom König und von Richelieu, öffentlich wie vertraulich.
»Beinahe hätte Gastons Zorn auf seine Mutter alles verdorben«, sagte Ludwig. »Zum Glück wart Ihr mit gutem Rat zur Stelle, und ich will Euch dafür danken. Wie wäre es mit dem Marschallamt?«
»Ach, Sire, ich verstehe nichts vom Krieg«, sagte ich.
»Oder soll ich Euch zum Provinzgouverneur ernennen?«
»Sire, das wäre für mich eine Strafe: ein Leben fern von Eurer Majestät.«
»Oder Gesandter in London?«
»Nein, nein, Sire! Ich begehre nichts von alledem, ich bin glücklich, wenn ich Euch dienen darf wie bisher: durch kleine Missionen hier und dort in Europa.«
»Mein Cousin«, sagte der König, »daß Ihr Gaston halft, aus Brüssel zu entkommen, war keine kleine Mission. Ihr habt dem Staat einen großen Dienst erwiesen.«
Das Gespräch mit Richelieu war ebenso schmeichelhaft und vielleicht noch erfreulicher.
»Mein Cousin«, sagte er, »macht mir eine Aufstellung der Ausgaben, die Ihr bei dieser Mission hattet, und vergeßt dabei nicht«, setzte er mit leisem Lächeln hinzu, »das bewußte Pülverchen Chinin.«
Er wußte eben immer alles, man merkte es bei jeder Gelegenheit. Nach jenem leisen Lächeln fuhr er in ernstem Ton fort: |346|»Letztlich hat Gastons freiwilliges Exil uns sogar Gutes gebracht. Dank Castelnaudary konnten wir einen gewaltigen Schlag gegen unsere hohen Feudalherren führen. Solange Ludwig lebt, fangen sie keine Revolte mehr an. Und dank Gaston und seinen Eskapaden konnten wir Lothringen erobern, und diese Eroberung ermöglicht uns eine entschiedene Stärkung unserer Ostgrenze, denn wie es aussieht, steht uns ein Krieg mit den Kaiserlichen bevor. Kurz, ich kann Euch sagen, daß Gaston uns trotz allem Anschein Gutes erwiesen hat, sowohl durch sein Fortgehen wie durch seine Heimkehr. Die nämlich ist eine empfindliche Schlappe für die Spanier, die mit Gaston ihr kostbarstes Unterpfand für den kommenden Krieg verlieren. Und in der schweren Zeit, die uns erwartet, gibt Gastons Rückkehr der königlichen Familie neuen Zusammenhalt und mithin dem Volk neues Vertrauen, das uns nur nützen kann. Der einzige dunkle Punkt bleiben einige gefährliche Räte in Gastons Entourage. Doch werden wir mit Gottes Hilfe auch dieses Problem bewältigen, ohne daß ich schon weiß, wie und wann. Die Zukunft wird es erweisen.«