»Schöne Leserin, auf ein Wort, bitte!«
»Wie denn, Monsieur? Jetzt sprechen Sie mich an? Das ist neu. Was für ein kurioser Rollentausch! Wo drückt Sie der Schuh?«
»Wenn ich sehe, Madame, wie eifrig Sie einen Band meiner Memoiren nach dem anderen lesen, wüßte ich doch zu gern, was Sie über Ludwig denken.«
»Ehrlich gesagt, nicht viel Gutes. Seine Abneigung gegen Frauen, der verspätete ›Vollzug‹ seiner Ehe, die Tatsache, daß er lieber mit seinen Favoriten lebte als mit seiner Gemahlin, sein verschlossener und schwieriger Charakter, all das hat ihn mir nicht eben liebenswert gemacht. Außerdem meinte ich, bei ihm einen Hang zur Bosheit zu erkennen, Sie sprachen davon, daß er die Leute, die er strafen wollte, ›tantalisierte‹, indem er sie durch Hinhalten glauben machte, sie könnten seinem Zorn entgehen. Ist das nicht etwas seltsam bei einem christlichsten König? Wie erklären Sie dieses Raffinement im Strafen?«
»Aus seiner Jugend, Madame, seiner durch seine Mutter und die Concinis unerträglich bedrückten Jugend. Damals lernte Ludwig warten, schweigen, nochmals warten und seinen Groll nähren, bis er mit sechzehn Jahren, nachdem er seine Anhänger sorgsam ausgewählt und mit Meisterhand ein Komplott geschmiedet hatte, überraschend und hart zuschlug. Die Concinis mußten sterben, seine Mutter in die Verbannung gehen. Und trotzdem heißt es bei den Hetzern vom Hof bis heute, er sei schwach, weich, ein Zauderer, eine Puppe in Richelieus Händen.«
»Wenn ich Sie recht verstehe, Monsieur, hat sich Ludwigs Gewohnheit, zu schweigen und die anderen hinzuhalten, mit der Zeit zu einer Regierungsmethode entwickelt. Er beschwichtigt seine Feinde durch Schweigen oder durch falsche Versprechen, und im gegebenen Moment, wenn sie schon glaubten, die Partie gewonnen zu haben, greift er durch. Demnach kann ich |212|mich im folgenden wohl auf dramatische Dinge gefaßt machen?«
»In der Tat. Es handelt sich um nichts weniger als eine Palastrevolution, die ein Scherzbold vom Hof als ›la journée des dupes‹, den ›Tag der Geprellten‹, bezeichnet hat, ein so treffender Ausdruck, daß er in die Geschichte einging.«
»Und wer waren diese Geprellten?«
»Die Königinmutter, Marillac und einige andere.«
»Und wer war es, der sie prellte?«
»Wer wenn nicht der König?«
»Der König?«
»Ja, Madame, der König! Ludwig ist viel eher ein Machiavelli denn ein passives Werkzeug in Richelieus Händen.«
»Prellerei, Monsieur, ist aber kein sehr appetitliches Verfahren.«
»Gemach! Sie haben recht, wenn die Geprellten gute und ehrenwerte Leute sind. Handelt es sich jedoch um eine Kabale, die sich verräterisch und aufsässig gegen ihren König richtet, die das Vaterland schwächt und kein anderes Ziel hat, als einen großen Staatsdiener zu vernichten, damit man Frankreich zum Vasallen Spaniens machen und nun in ganz Europa eine blutige Bartholomäusnacht gegen die Protestanten veranstalten kann, dann, Madame, ist solch ein Mittel erlaubt.«
***
Der »Tag der Geprellten« war der zehnte oder elfte November. Auch hier vermag die Geschichte das Datum nicht exakt zu benennen. Und ich kann es ebensowenig, weil ich ein paar Tage in Orbieu war, wohin Monsieur de Saint-Clair mich gerufen hatte, damit ich mit eigenen Augen sähe, welche Schäden ein Brand in den Pferdeställen verursacht hatte. So erfuhr ich die Ereignisse denn, als ich kurz darauf nach Paris zurückkehrte, vom Domherrn Fogacer, der ja immer glänzend informiert war. Doch wie hätte es auch anders sein können, da er im Dienst des Nuntius Bagni und mithin des Papstes stand?
Im übrigen nahm Fogacer, wie sich der Leser erinnern wird, den Spionen des Kardinals die Beichte ab, aus deren profanem Teil ich den Honig gewann, mit dem ich den Kardinal fütterte.
Der erste Akt der »Geprellten« hatte sich, wie man sah, zu |213|Lyon abgespielt: Der genesende, aber noch schwache Ludwig empfängt an dem Bett, das beinahe sein Sterbebett geworden wäre, nacheinander die beiden Königinnen, die ihn mit der Frage bedrängen, ob er endlich nun den Kardinal entlassen werde. Er bejaht, oder vielmehr gibt er vor, es zu bejahen. Aber um Richelieu wegzuschicken, sagt er zu der einen, müsse er warten, bis der Frieden mit Spanien unterzeichnet sei. Um Richelieu loszuwerden, sagt er zu der anderen, müsse er erst wieder in Paris sein. Beide Königinnen nehmen diese ausweichenden Antworten für bare Münze und verlassen strahlend die Szene.
Der zweite Akt der »Geprellten« spielt sich zu Paris ab, im Petit-Luxembourg, wo die Königinmutter wohnt. Er wurde mir von Fogacer berichtet, der am frühen Morgen hört, daß die Königinmutter dem Hof habe mitteilen lassen, daß sie bis Mittag niemanden empfange außer dem König, weil sie am Tag zuvor Medizin genommen habe. Die Zocoli – denn sie ist die Überbringerin dieser Nachricht – teilt Fogacer noch eine zweite, verwunderlichere mit: Sobald der König in den Mauern der Königinmutter eintreffe, solle der Haushofmeister alle Türen des Palastes verriegeln. Die Zocoli setzt aber hinzu, daß sie für alle Fälle, sobald der Majordomus durch den Palast gegangen sei, heimlich den Riegel der Tür zur kleinen Kapelle wieder öffnen werde. Nachdem Fogacer der Zocoli Absolution erteilt hat, eilt sie, weil ich nicht erreichbar bin, zu Herrn von Guron, der flugs den Kardinal benachrichtigt.
Leser, nun stelle dir vor, wie der Kardinal die beunruhigenden Meldungen der Spionin aufnimmt, nach denen die Königinmutter den König am nächsten Tag einzuschließen gedenkt, um ihm die Leviten zu lesen. Erinnere dich bitte, daß ich sagte, alles bei Richelieu sei übergroß, die Empfindlichkeit wie das Genie. Um kleine Ursachen – wie den Nasenstüber, den der König ihm zu Nîmes versetzt hatte – erblaßt er, zittert, vergießt Tränen, doch das dauert nicht. Bald strafft sich Richelieu, wird wieder Herr seiner Seele und handelt nach reiflicher Überlegung mit gewohnter Energie.
Im Augenblick freilich fällt ihm jede Überlegung schwer, denn Vernunft und Erregung stoßen hart gegeneinander: Soll und darf er sich in das Vieraugengespräch der Königinmutter und des Königs einschalten? Materiell kann er es gewiß, die |214|kleine Tür zur Kapelle wird dank der Zocoli offen sein. Aber darf er in ein privates Gespräch zwischen dem König und der Königin einbrechen? Zieht er damit nicht Ludwigs Bannstrahl auf sich?
Andererseits, wird die Königin, die so Geheimes vorhat, die Situation nicht nutzen, um dem König wilde Verleumdungen über Richelieu und seine Verwandten vorzutragen, wenn er nicht zugegen sein kann, um sich zu verteidigen? Schon am Tag zuvor hat sie alle seine Angehörigen entlassen, die Richelieu in verschiedenen Stellungen ihres Palastes untergebracht hatte, und sich besonders gegen Madame de Combalet erbittert, der sie so ausgefallene Pläne unterstellte, wie den Grafen von Soissons heiraten zu wollen, der, nachdem er den König und Gaston vergiftet hätte, König von Frankreich werden solle und die Combalet Königin von Frankreich.
Weiß Gott, wie dieser Unsinn sich im armen Hirn der Königinmutter hat einnisten können, doch nun glaubt sie dran wie ans Evangelium.
War es nicht schon sehr demütigend für Richelieu, daß der König in Lyon beiden Königinnen seine Entlassung zugesagt hat? Seit ihrer Rückkehr nach Paris haben sie die Neuigkeit rings um sich verbreitet und jedem erstbesten ausgeplappert, so daß besagte Entlassung jetzt beim ganzen Hof herum ist und jederzeit erwartet wird. Richelieu merkt es zu jeder Stunde, an jedem Ort, die Höflinge geben sich gegenüber dem Minister, als stünden »außerordentliche Veränderungen« unmittelbar bevor. Das »außerordentlich«, ein Ausdruck von Richelieu selbst, bedarf keiner Erläuterung. Richelieu ist niedergeschmettert.
Diese Entlassung disputieren die Königinmutter und der König also zur Stunde hinter verschlossenen Türen, und für Richelieu ist die Versuchung groß, sich einzumischen. Aber groß sind auch die Gefahren. Ludwig hält ehern auf die Etikette. Er verlangt von seiner Entourage beständigen und kleinlichen Respekt. Er duldet nicht, daß man in seiner Gegenwart zu laut spricht, und schon gar nicht, daß man zankt oder schreit oder ungehörige und vulgäre Wörter gebraucht.
Nachdem er die Gefahren sorgfältig erwogen hat, entschließt sich der Kardinal. Er überschreitet den Rubikon. Zweifellos wird sein Eindringen in ein Gespräch des Königs mit seiner Mutter bei Ludwig Empörung auslösen. Doch weiß Ludwig |215|Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden. Wird diese eine Verletzung der Etikette ihn vergessen lassen, welche immensen Dienste der Kardinal ihm so viele Jahre geleistet und für die Ludwig ihm auch ohne Knauserei Dankbarkeit und Zuneigung bezeugt hat? Was die Königinmutter betrifft, so ist vorauszusehen, daß sie gegen Richelieu auf ihre Weise mit Heftigkeiten, Beschimpfungen und Anklagen losbrechen wird, auf die er, demütig, ergeben und ehrerbietig, ohnehin nichts erwidern darf. Und wenn sie dann die Beherrschung verliert und mit schimpflichen Worten seine Entlassung fordert, um so besser: Ludwig erträgt Bevormundungen nicht.
Ich denke, der Kardinal wird, in makelloser Soutane wie stets, nicht ohne heftiges Herzklopfen durch die entriegelte Tür der kleinen Kapelle eingetreten sein. Als Oberaufseher des Hauses der Königinmutter kannte er jeden im Palast und gelangte ungehindert zu dem Salon, wo Mutter und Sohn sich im Gespräch befanden.
Der König ist allein gekommen, die Königinmutter hat nur zwei oder drei Kammerfrauen um sich, die aber in ihren Augen nicht existieren, womit sie sich sehr täuscht, denn eine davon ist die Zocoli, und ihr ist es zu verdanken, daß man erfahren hat, was an jenem Tag geschah, zumal sie als Frau eines Italieners das Kauderwelsch der Königinmutter sehr wohl verstand.
Als Richelieu den Salon betrat, wo die Begegnung statthatte, zeigte sich der König stark verärgert, daß der Kardinal sich ungerufen in sein Vieraugengespräch mit der Königinmutter einmischte. Weil er jedoch nicht wußte, daß sie befohlen hatte, alle Türen zu verriegeln, war er nicht weiter erstaunt, ihn zu sehen. Die Königinmutter hingegen war regelrecht sprachlos über dieses Erscheinen und mag sich in ihrer Einfalt gefragt haben, ob Richelieu etwa wie der Teufel die Kunst beherrsche, durch Mauern zu gehen.
Richelieu grüßte nacheinander mit tiefer Verneigung den König und die Königin, worauf ein längeres Schweigen eintrat. Der König wahrte, ohne einen Ton zu äußern, seine mißbilligende Miene, die Königin aber, hochrot im Gesicht, mit flammenden Augen, hochgehendem Busen, schien an dem Punkt, zu platzen.
»Ich bin fast sicher«, sagte in heiterem Ton Richelieu, »daß Eure Majestäten über mich gesprochen haben.«
|216|Kann sein, die Königinmutter hätte diese Intervention besser ertragen, wenn Richelieu mit dem ernsten Pomp eines spanischen Ministers gesprochen hätte. Der lockere Ton aber, den er gebrauchte, brachte sie vollends aus der Fassung, so daß sie ihrem Zorn freien Lauf ließ – und ich kann es nur wiederholen, wer die Königinmutter nicht in Wut gesehen hat, der hat nichts gesehen.
Zuerst plusterte sie sich wie eine Gans, die zum Angriff startet, dann sprudelte sie los, dabei rang sie Arme und Hände, raufte sich die Haare, knüpfte sogar ihr Mieder auf, während sie eine Sturzflut von Wörtern erschallen ließ, der kein Mensch gewachsen war. Sogar Henri Quatre, dem doch ein Organ zu Gebote stand, sich einem ganzen Heer mitzuteilen, hat nie vermocht, seine Gemahlin zum Schweigen zu bringen, wenn sie einmal im Zuge war. Und während sie schrie und gestikulierte, geriet sie gleichzeitig in immer stärkere Erregung, dicke Schweißtropfen liefen ihr übers Gesicht und zogen häßliche Spuren in ihre Schminke.
»Ebbene, sì! Noi parliamo di te!«1 schrie sie aus Leibeskräften.
»Madame, Ihr seid Königin von Frankreich«, sagte der König, »sprecht bitte Französisch und duzt nicht den Herrn Kardinal.«
Doch Ludwig begriff sofort, er hätte ebensogut versuchen können, einen Sturzbach mit einem Kiesel aufzuhalten.
»Ebbene sì! Noi parliamo di te come del più ingrato e più cattivo degli uomini!«2
»Madame, was tut Ihr?« sagte der König. »Ein Streit in meiner Gegenwart!«
»È vero tu mi devi tutto, miserabile! La tua situazione, il tuo potere, la tua fortuna. Io ti ho dato più di un milione d’oro!«3
»Madame«, sagte Ludwig, »es ziemt sich nicht, an die eigenen Wohltaten zu erinnern.«
»Aber was habe ich denn getan, Madame?« sagte mit bebender Stimme Richelieu, und Tränen rollten über seine Wangen.
|217|»Tu mi hai tradito! Traditore! Perfido! Furbo! Brigante!«1 »Aber Madame, Madame!« sagte der König. »Was macht Ihr? Was macht Ihr? Ihr streitet vor mir!«
»E tu vuoi maritare tua nipote al conte de Soissons, perfido!«2 »Madame«, sagte Ludwig, »das ist Küchenklatsch. Madame de Combalet kennt ihren Rang und hat nie an dergleichen gedacht!«
»Ebbene sì!« sagte die Königinmutter, indem sie sich an Richelieu wandte und noch einmal so laut schrie. »Tu vuoi maritare tua nipote, miserabile, al conte de Soissons! Basterà allora che il Rè e Gastone per colpa tua siano avvelenati. Ecco Soissons Rè! E la Combalet regina!«3
»Aber Madame«, sagte der König erschrocken, »wer hat Euch diese Heirat und diesen Doppelmord in den Kopf gesetzt? Das ist doch reiner Unfug!«
»Ma è vero!« brüllte die Königinmutter. »Ecco Soissons Rè! E la Combalet regina! Quella femmina da nulla! E il peggio, è la più grande puttana del reame! Un rifiuto di donna!«4
»Madame, Madame, was redet Ihr?« sagte der König. »Was tut Ihr? Ihr streitet, Ihr schreit in meiner Gegenwart ungehörige und anstößige Worte!«
Erschüttert, weinend fällt Richelieu vor der Königin auf die Knie, küßt den Saum ihres Kleides, versichert, wenn er sie gekränkt habe, so ohne es zu wollen. Er sei bereit, sich allem zu unterwerfen, was sie von ihm verlange, er werde sogar, um die Ehre der Königin zu decken, die Fehler anerkennen, die er nicht begangen habe, und wolle alles tun, was sie ihm zu befehlen beliebe. Kurz, er ist ganz Ehrerbietung, Unterwerfung und Demut. Aber er ist auch sehr geschickt: Weil er ihren heillosen Haß kennt, geht es gar nicht darum, die Königin zu besänftigen, vielmehr hofft er, den König durch seinen mustergültigen Gehorsam zu rühren.
|218|Die Königinmutter versteht selbstverständlich nichts von diesen Feinheiten. Sie sieht ihren Feind am Boden und will ihn vollends zertreten.
»Voi siete furbo, miserabile. Anche le vostre lacrime sono false! Voi sapete recitare bene la commedia! Ma non sono che smorfie!«1
Hierauf wendet sie sich an Ludwig und erklärt in gebieterischem Ton, daß er wählen solle zwischen ihr und diesem Diener und daß sie an keinem Großen Rat mehr teilnehmen werde, solange Richelieu dort sei. Auf dieses Ultimatum antwortet Ludwig mit keiner Silbe. Er bittet Richelieu, sich zurückzuziehen. Dann grüßt er die Königinmutter und nimmt Urlaub, er habe es sehr eilig, sagt er, nach Versailles zu kommen. Und mit großen Schritten verläßt er den Salon.
Im Hof des Luxembourg warten seine Karosse, seine Musketiere und – Richelieu. Ludwig eilt an seinem Minister vorüber, ohne ein Wort an ihn zu richten, ohne ihn überhaupt eines Blickes zu würdigen, besteigt seinen Wagen, gibt dem Kutscher das Zeichen, die Pferde ziehen an, die Königlichen Musketiere sitzen auf, und der Zug verläßt den gepflasterten Hof mit einem Höllenlärm, der Richelieu wie Totengeläut in den Ohren gellen muß.
Er ist nicht der einzige, der dem Aufbruch zusah. Die Fenster des Luxembourg sind mit Höflingen besetzt, die kaum so lange warten, bis Richelieu zu Fuß seine nahe Wohnung erreicht hat, um der Königinmutter freudevoll zu melden, daß der Verräter nun endlich in Ungnade ist.
In Wahrheit ist dies erst der zweite Akt der »Geprellten«, und indem Ludwig zu niemandem ein Wort sagt, Richelieu nicht eines Blickes würdigt, läßt er den Hof und mithin die Königinmutter in dem Glauben, daß sie triumphiert habe und Richelieu verloren sei. Warum er so handelt? Ganz klar. Was Richelieu betrifft, so ist die scheinbare Ungnade nur vorgetäuscht, um ihn für seine Einmischung in das Vieraugengespräch zu bestrafen. Es ist nichts anderes als ein weiterer, etwas grausamerer Nasenstüber, wie Ludwig sie dann und wann seinem treuesten Diener versetzt, um ihn daran zu erinnern, wer |219|der König ist und daß man ihm den gehörigen Respekt schuldet.
Die Strafe ist hart, aber zeitlich begrenzt. Ludwig taucht seinen Minister in Höllenqualen, aber wenig später zieht er ihn heraus und schenkt ihm wieder seine Gnade.
Für die Königinmutter hingegen wird die Strafe erbarmungslos und ohne Ende sein. Doch gefällt es dem König in der Tat, sie zu »tantalisieren« und ihr vor den Demütigungen des Scheiterns die Wonnen des Triumphs zu gönnen. In Wahrheit ist er längst entschlossen, sich von den »Unzuträglichkeiten« der Königinmutter zu befreien, wie er sich in seinem maßvollen Stil ausdrückt. Und ihr scheinbarer Sieg hat noch einen anderen Vorteil. Er verleitet viele der Gegner, sich bloßzustellen, und die Lauscherinnen und Lauscher des Kardinals haben leichtes Spiel, sie zu identifizieren, ihre Reden und Pläne zu melden. Derweise kann die gesamte Kabale ohne die mindeste Duldsamkeit für deren Anführer zerschlagen werden.
In Versailles, fern vom Hof und von Paris, atmet Ludwig auf. Sein Sohn wird später dort dem Prunk huldigen. Er aber liebt die Einfachheit. Versailles ist damals noch ein Jagdhaus mit zwei, drei kaum möblierten Räumen. Es ist keine königliche Residenz. Nie werden der Große Rat noch die Minister und erst recht nicht der Hof dorthin eingeladen.
***
»Mein lieber Domherr, da Ihr hier zugegen wart, was geschah in Versailles zwischen Ludwig und Saint-Simon?«
»Nichts, was Saint-Simon nicht verraten hätte«, sagte Fogacer mit seinem langen, gewundenen Lächeln. »Aber er gab es nur hinter vorgehaltener Hand und sehr behutsam einigen wenigen zu verstehen, darunter mir, der ich, wie Ihr wißt, dem Nuntius Bagni diene.«
»Und was war das?«
»Ein Märchen, oder was meine Kirche eine apokryphe Geschichte nennt.«
»Was also?«
»Er behauptet, in Versailles angelangt, habe der König ihn gefragt, ob er seiner Meinung nach Richelieu entlassen solle. Darauf habe er für Richelieu gesprochen.«
»Da sehe einer«, rief ich, »wie dieser beschissene kleine Reitknecht dem Sieg nachträglich zu Hilfe eilt und sich eine Rolle beilegt, die er bestimmt niemals gespielt hat!«
»Ihr glaubt ihm nicht?«
»O doch!« sagte ich übertrieben eifrig. »Absolut!«
»Ich auch«, sagte Fogacer, »und der Nuntius Bagni ebenso. Denn nach Luynes hat Ludwig keinem seiner Favoriten mehr eine politische Rolle zugebilligt. Für mein Gefühl stand die Entscheidung des Königs schon fest, bevor er Versailles erreichte: Richelieu zu behalten und die Königinmutter fortzuschicken. Davon bin ich überzeugt, und ich denke, die Entscheidung fiel in dem Moment, als die Königinmutter zu Ludwig sagte, wenn er den Kardinal nicht entlasse, werde sie nicht mehr am Königlichen Rat teilnehmen. Mit anderen Worten, wenn er ihr nicht gehorche, lege sie den Staatsapparat lahm.
Ebensowenig glaube ich«, fuhr Fogacer fort, »daß Richelieu, in Paris allein seinen Höllenqualen überlassen, den Plan faßte, nach Pontoise zu fliehen und von dort nach Le Havre zu gehen, um sich in der Stadt, die ihm gehört, in Sicherheit zu bringen. Sein Freund, Kardinal de La Valette, will ihm hiervon abgeraten haben mit dem berühmt gewordenen Satz, der meines Erachtens ebenso apokryph ist: ›Wer das Vaterland verläßt, verliert es.‹«
»Die Geschichte kenne ich«, sagte ich. »La Valette erzählt sie des langen und breiten, indem er sich kräftig rühmt, aber auch ich bin überzeugt, daß sie falsch ist. Denn für den Kardinal hätte eine Flucht bedeutet, daß er die abseitigen, von der Königinmutter gegen ihn erhobenen Anklagen als wahr anerkannte. Vor allem aber – nach Le Havre zu fliehen, in die Stadt, die ihm gehört und wo er sich befestigen konnte, hätte Rebellion gegen den König bedeutet. Richelieu aber kannte sein Leben lang nur eine Pflicht, die in diesem Moment zu verleugnen Torheit gewesen wäre, nämlich auf die Befehle des Königs zu warten und, wenn diese kamen, ihnen zu gehorchen, wie immer sie lauteten. Aber, mein lieber Domherr – verzeiht meine Ungeduld –, wann rief Ludwig denn Richelieu nun zu sich?«
»Saint-Simon behauptet, daß er auf Befehl des Königs von Versailles aus einen ihm gehörigen Edelmann zu Richelieu geschickt habe.«
|221|»›Einen ihm gehörigen Edelmann‹, daß ich nicht lache!« sagte ich. »So spricht ein Prinz. Wie er sich bläht, unser neugebackener kleiner Herzog!«
»Nun, ich denke«, sagte Fogacer, »daß Ludwig nicht bis Versailles, das heißt drei Stunden, gewartet hat, um den Kardinal den Höllenflammen zu entreißen, in die er ihn gestoßen hatte. Kaum über die Stadtgrenze hinaus, wird er einen Musketier zu Richelieu geschickt haben, damit der Kardinal unverzüglich zu ihm komme. Was an sich eine außerordentliche Ehre war, denn Versailles ist, wie Ihr wißt, Ludwigs kleines Refugium. Dorthin lädt er außer Graf von Soissons niemanden ein, und er logierte Richelieu auch in dem Zimmer, wo sonst Soissons schlief. Ach, mein lieber Siorac! Wie sehr wünschte ich in diesem Moment, ich hätte mich verdoppeln können, um gleichzeitig sowohl in Versailles als auch im Palais du Luxembourg zu sein und zu erfahren, was zur selben Zeit beim König und was bei der Königinmutter geschah. Jedoch tröstete ich mich schnell über diese Unmöglichkeit, denn im Luxembourg spielte sich eine Komödie ab, nicht ohne tragische Züge, die ich um nichts auf der Welt hätte verpassen mögen.
Durch die Tatsache, daß der König ohne Blick, ohne Wort an Richelieu vorübergegangen war, fest überzeugt, daß Richelieus Ende gekommen sei, verkündigt die Königinmutter dies öffentlich, und schon läuft die Nachricht von Mund zu Mund und wird am ganzen Hof mit grenzenloser Befriedigung aufgenommen.«
»Beim Auftritt Marillacs war ich bereits dabei«, sagte ich. »Scheinheilig fragte er den anwesenden Staatssekretär Bullion: ›Was gibt es? Ist etwas vorgefallen? Sagt mir, was geschehen ist!‹ Damit wollte er wohl dem Hof weismachen, daß er nichts von den Unternehmungen der Königinmutter wisse, die er ihr höchstwahrscheinlich doch selbst eingeflüstert hatte. Sofort nach seinem Eintritt bestätigt ihm die Königinmutter, welch glänzenden Sieg sie davongetragen hat, und verkündet auch gleich, er solle, sobald der Kardinal verschwunden ist, dessen Amt übernehmen. Marillac nimmt ohne Zögern an, obwohl die Klugheit ihm hätte raten müssen, das Wort des Königs abzuwarten, um sich als sein Erster Minister zu betrachten.
»Nach dem Gespräch mit Marillac ordnet die Königinmutter, die von ihrem Wutausbruch noch ganz aufgelöst ist, ihre |222|Kleider, läßt sich von ihren Kammerfrauen neu frisieren und schminken und streckt sich erschöpft, aber tief glücklich halb auf ihr Bett hin, den Rücken gegen das Kopfende des Himmelbetts gelehnt. Sie befiehlt ihrem Majordomus, die Türen ihres Gemachs zu öffnen. Sogleich strömt der Hof herein, der sich durch die Barrieren kaum im Zaum halten läßt. Dieser Menge entsteigt nun ein Konzert der Lobeserhebungen und Schmeicheleien für die Königinmutter. Sie schlürft sie in vollen Zügen. Sie genießt zugleich ihren Triumph und ihren Ruhm.«
»Ist es nicht unfaßlich«, fragte Fogacer, »daß sie so denken kann, da der König keinen Ton gesagt hat?«
»Für diese große Schreihälsin«, versetzte ich, »ist ein Schweigen eben bedeutungslos. Der König hat geschwiegen, also ist er einverstanden. Sie hat Richelieu verjagt, und in ihrem wirren, kindischen Kopf heißt das, sie hat die Macht zurückerobert und wird sie nun allein und unumschränkt wieder ausüben wie in der Zeit ihrer Regentschaft. Und schon verteilt sie, Marillac an ihrer Seite, glücklich und triumphierend Posten an ihre Favoriten. Ihr Gehirn ist so bestellt, daß sie vergißt, was sie vergessen will, und glaubt, was sie glauben will. Sie denkt nicht an das Jahr 1617, als der erst sechzehn Jahre alte König ohne Vorwarnung ihre beiden infamen Günstlinge exekutieren ließ und sie selbst in ihre Gemächer einsperrte, bevor er sie in die Verbannung schickte. Im süßen Rausch des ihr gespendeten Weihrauchs vergißt sie vor allem, daß der König der Gesalbte des Herrn ist und außer seiner Legitimität alle Instrumente der Macht in Händen hält: die gesetzgebenden Körperschaften, die Armee, den Staatsschatz. Mehr noch, sie vergißt, daß sie ihn nicht liebt, daß auch er sie nicht liebt, daß ihre Beziehungen lediglich Protokoll und Zeremonie sind und daß bei dem, was sie erwartet, kein Gefühl eine Rolle spielen wird.«
»Und wie war Euer Eindruck von ihr?« fragte Fogacer.
»Natürlich war die Verblendung der armen Königinmutter zu einigem Spott angetan«, sagte ich. »Seit seiner dramatischen Machtergreifung hat Ludwig einen täglichen Kampf gegen sie, gegen ihre Heftigkeiten und Verbohrtheiten geführt. Und da bildet sie sich nun ein, er werde ihr sein Zepter überlassen, nachdem sie ihn aufs neue tief verletzt hat, indem sie in seiner Gegenwart seinen Minister mit Beschimpfungen überschüttete. Trotzdem tat sie mir auch ein bißchen leid: Es war |223|nicht ihre Schuld, daß sie so borniert war, ohne jede Kenntnis und Bildung, ohne das geringste Wissen, und immer von höfischen Filous und Speichelleckern umgeben und von Fanatikern beherrscht. Wenn sie wenigstens ein bißchen Herz hätte, um ihr Ungenügen wettzumachen, aber sie hat nie jemanden geliebt, nicht ihren Gemahl, nicht ihre Freunde, nicht einmal ihre Kinder, mit Ausnahme von Gaston, dem sie trotzdem jedesmal die Leviten las, wenn sie ihn sah.«
»Und obwohl sie während ihrer Regentschaft und danach soviel Unheil angerichtet hat, tat sie Euch leid?« meinte Fogacer zweifelnd.
»Für mein Gefühl war es, wenn man übers Lachen hinaus war«, sagte ich, »doch auch ein jämmerliches Schauspiel, wie die dicke alte Frau, halb auf ihr glanzvolles Lager hingegossen, den Weihrauch dieser Schwätzer und Zierpuppen vom Hofe schlürfte, die doch allesamt nicht mehr als ein Spatzenhirn haben. Sie erlebte einen herrlichen Traum und ahnte nicht, wie nahe der Tarpejische Felsen dem Capitol liegt.1 Mein lieber Domherr, es ist wahrhaftig ein Jammer, daß der Herrgott Euch zu Euren liebenswerten Tugenden nicht auch noch die Gabe der Gleichzeitigkeit verliehen hat, sonst könntet Ihr mir jetzt noch erzählen, was sich in Versailles zutrug und wie Richelieu und der König einander begegnet sind.«
»Immerhin weiß ich Euch jemanden zu empfehlen, der Euren Wunsch befriedigen kann: Monsieur de Guron.«
»Guron? Wie kam der dorthin?«
»Richelieu nahm ihn mit nach Versailles.«
»Warum das?«
»Vielleicht bedurfte er bei diesem so überaus bedeutsamen Schritt seines Lebens einer freundschaftlichen Begleitung. Wie schade, daß Ihr, mein lieber Herzog, nicht in Paris wart, denn dann hätte er Euch mitgenommen.«
Kaum in meiner Karosse, gab ich dem Kutscher Befehl, zum Haus von Monsieur de Guron zu fahren, diesem treuen aller treuesten Diener von König und Kardinal.
»Monseigneur«, sagte Nicolas, »darf ich etwas fragen?«
»Speisen wir bei Monsieur de Guron?«
»Nein. Wir laden ihn auf den Abend zum Souper zu uns ein.«
»In Anbetracht der Stunde, die es jetzt ist, und der Beredsamkeit von Monsieur de Guron steht zu fürchten, daß wir zu spät zum Mittagessen kommen.«
»Richtig.«
»Die Frau Herzogin wird ärgerlich sein und sich beunruhigen.«
»Kann sein.«
»Sie wird Euch womöglich Vorwürfe machen.«
»Holla! Die Frau Herzogin von Orbieu macht mir nie Vorwürfe. Höchstens ein paar Bemerkungen.«
»Meine Henriette mir aber auch.«
»Vermutlich, Nicolas.«
»Und was machen wir dann, Monseigneur?«
»Wir sind gegen unsere Gemahlinnen ganz Reue und Unterwerfung.«
»Aber warum?«
»Weil sie recht haben, Nicolas. Es ist sehr mißlich, das beste Essen der Welt bereiten zu lassen und es dann allein zu verspeisen.«
»Aber für meine Verspätung kann ich nichts. Ich gehorche nur meinem Herrn.«
»Und ich den meinen. Es ist höchst wichtig für mich, schnellstens zu wissen, was sich in Versailles zwischen Richelieu und dem König abgespielt hat.«
»Warum sagen wir der Frau Herzogin nicht diesen Grund?«
»Weil Entschuldigungen solcher Art eine Frau nicht besänftigen. Besser, ich verspreche ihr zum Ausgleich ganz ergebenst ein kleines Geschenk.«
»Gütiger Himmel, Monseigneur! Dann muß ich das auch tun.«
»Tu es, Nicolas! Darf man der armen Henriette ein Geschenk vorenthalten?«
»Es ist nur, Monseigneur, daß ich nicht das nötige Geld dafür habe.«
»Das übernehme ich.«
»Monseigneur, Ihr seid der beste Herr, den es gibt!«
|225|»Ich tue für dich nur, was meine Herren für mich tun, und nur so, glaube ich, kann die Welt besser werden.«
Leser, da ich dir hiermit im voraus andeute, was Nicolas und mich bei unserer Heimkehr erwartete, überlasse ich es deinen ehelichen Erfahrungen, dir die Szenen auszumalen, und überspringe die Stunden, bis Monsieur de Guron zur Abendstunde an meiner festlichen Tafel erschien.
Als Vielfraß und Feinschmecker in einem erwies Monsieur de Guron dem Mahl große Ehre, das Catherine mit größter Sorgfalt komponiert hatte und für das der wortreiche Gast ihr nicht nur das Lob des Kenners zollte, sondern wovon er die Hälfte auch ganz allein verschlang.
Zu gern hätte Monsieur de Guron noch länger bei Tisch verweilt, um sich an Catherines und Henriettes Anblick zu weiden, doch zog ich ihn fort in mein Kabinett, begierig, seiner Erzählung zu lauschen.
»Die versöhnliche Begegnung des Königs und des Kardinals«, sagte er, »ereignete sich in zwei Akten, einem ersten im Beisein von Saint-Simon, dem Marquis de Mortimar, Monsieur de Beringhen und mir. Der zweite, zwischen dem König und Richelieu, fand ohne Zeugen statt, und ich wüßte darüber nichts, wenn Richelieu mir anderntags nicht das Wesentliche mitgeteilt hätte. Der erste Akt war Sentiment, der zweite Politik.«
»Der erste also.«
»Als Beringhen öffnete, trat Richelieu ein, indem er den König anblickte, als würde er von Gottvater in seinem Paradies empfangen; und er eilte, vor ihm niederzuknien. Ludwig hob ihn sogleich empor, faßte ihn bei den Schultern, drückte ihn an sich, und er hätte ihn auf beide Wangen geküßt, glaube ich, wenn sie von Tränen nicht so naß gewesen wären. Und auf Richelieus leidenschaftliche Dankesworte erwiderte er nüchtern, da er in ihm den besten und ergebensten Diener gefunden habe, sei er der Ansicht, daß es seine Pflicht sei, ihn zu beschützen. Wenn der Kardinal es an Dankbarkeit oder Respekt gegenüber der Königinmutter hätte fehlen lassen, würde er gewiß anders handeln. Doch sei das bei weitem nicht der Fall. Was die Königinmutter angehe, so sei sie durch die Lügen und Machenschaften höfischer Intriganten der Kabale ausgenutzt worden. Und, was immer sie künftig auch sagen und tun |226|werde, gegen Intrigen werde er ihn, seinen besten und ergebensten Diener, immer verteidigen. Nun, mein lieber Herzog, was sagt Ihr dazu?«
»Daß der König Richelieu Gerechtigkeit erweist, ohne deshalb seine Mutter zu belasten. Womit er sich diplomatisch zeigt. Er will nicht als ›schlechter Sohn‹ dastehen, weder in Frankreich noch im Ausland. Was den zweiten Akt angeht, den vertraulichen zwischen dem König und Richelieu, so vermute ich, daß Richelieu Euch nicht ohne Grund davon erzählt hat.«
»Sicherlich nicht, mein lieber Herzog«, sagte Guron, »zumal er mir erlaubt oder, wenn Euch das lieber ist, empfohlen hat, es Euch weiterzusagen und, ohne jede Einschränkung, auch den Domherrn Fogacer einzuweihen, mithin den Nuntius und mithin den Papst.«
»Daran sieht man, wer den König die subtilen Umwege der Diplomatie gelehrt hat. Mein lieber Guron, ich bin ganz Ohr.«
»Nun, nachdem die Zeugen sich entfernt hatten, wiederholte Richelieu dem König, wie unendlich dankbar er Seiner Majestät sei, daß Sie ihn vor seinen Feinden beschütze. Nachdem er das Problem aber in seinem Geist gedreht und gewendet habe, denke er, er tue am besten daran, sich jetzt von den Geschäften zurückzuziehen. Denn auch wenn er die Königinmutter überaus ehre und niemals die Absicht gehegt habe, ihr zu schaden, sei er sich doch klar darüber, daß sie auf immer unversöhnlich sei. Es sei also leider vorauszusehen, daß diese Aversion ständig unlösbare Schwierigkeiten hervorrufen werde. Immer wieder würde er der Undankbarkeit, der Tyrannei, der Willkür geziehen werden, und unter solchen Bedingungen hätte er nicht mehr die notwendige Autorität, seine Aufgabe gut zu erfüllen. Er verehre sie unendlich, doch dürfe es nicht sein, daß er ungewollt die Ursache andauernder Zwistigkeiten zwischen der Königinmutter und ihrem Sohn werde, darum wolle er lieber gehen und sich in der Einsamkeit seines Landsitzes verschließen. Nun, mein lieber Herzog, was haltet Ihr von dieser schönen Auslassung?«
»Einerseits, daß sein Blick in die Zukunft alle Aussichten hat, sich zu bewahrheiten: So starrsinnig, wie die Königinmutter ist, wird sie nicht versäumen, sich tagtäglich neu gegen ihn zu erbittern. Andererseits bietet sich dem König unter dieser Voraussicht eine neue Wahl. Die Königinmutter hat Seiner Majestät |227|in ihrer groben und vulgären Art ein Ultimatum gestellt: entweder Richelieu oder ich. Sehr viel liebevoller und feiner, doch allein dadurch, daß er dem König seine Demission anbietet, schlägt Richelieu Schritt für Schritt, natürlich unausgesprochen, aber doch deutlich, die Alternative vor: Früher oder später wird Eure Majestät zwischen der Königin und mir wählen müssen. Interessant wäre nun zu wissen, was der König geantwortet hat.«
»Seine Antwort war klug und klar. Einerseits lehnte er Richelieus Demission entschieden ab: Der Kardinal müsse das Ruder der Geschäfte in der Hand behalten, das sei ein unwiderruflicher Befehl. Dann erklärte er, daß er seine Mutter respektiere, daß er aber ›mehr seinem Staat als seiner Mutter verpflichtet sei‹. Schließlich sagte er – ein Satz, der mich durch seine Anspielungen ziemlich saftig dünkte –, ›wenn die Königinmutter imstande wäre, ihm beim Regieren mit weisem Rat zu helfen, wäre er glücklich, sich ihrer Hilfe zu bedienen. Doch leider! (ein Seufzer) leider könne sie das nicht!‹ Im übrigen, fuhr er fort, handle es sich nicht um die Königinmutter, sondern um die höfische Kabale (ein Wort, das Ludwig nie ohne Zähneknirschen aussprach). ›Die Kabale ist es, die diesen Sturm angefacht hat. Und an die Kabale werde ich mich halten!‹«
Und wirklich, gleich am nächsten Morgen, ohne jemanden zu konsultieren, nicht einmal Richelieu, griff der König durch. Sein Vorgehen war methodisch, rasch und unnachgiebig. Bei den Hetzern, die bislang nur von der »Schwäche und Weichlichkeit« des Königs gesprochen hatten, war das Staunen groß, und die Tränen und das Zähneknirschen fanden kein Ende. Was die Königinmutter anging, wurde sie, vorerst jedenfalls, nicht angetastet. Doch sowie der Hof erfuhr, daß der König Richelieu nach Versailles gerufen habe, stand das Luxembourg auf einen Schlag verödet, und die Königinmutter sah sich verzweifelt allein. Ohne daß es ihr im mindesten bewußt wurde, hatte ihre wütende Attacke auf Richelieu ihr selbst geschadet. Sie schob ihre Niederlage natürlich jenem Riegel zu, den man, wie sie glaubte, vergessen hatte zu schließen. Sie verwechselte »Ursache« und Wirkung, ohne zu bedenken, daß die Ursache eine ganz andere Wirkung hätte zeitigen können, zum Beispiel, wenn sie Richelieu nicht so zügellos angegriffen hätte.