|294|SECHZEHNTES KAPITEL

Schöne Leserin, ich bitte im voraus, mir zu vergeben, denn Ihre Augen werden abermals weinen. Und ich bekenne, daß auch mir das unglückliche Los großen Kummer macht, das den Herzog von Montmorency ereilte.

Die Götter hatten ihm alles geschenkt: eine hohe Abkunft, illustre Ahnen, ein Marschallamt von Frankreich, das Gouvernement einer Provinz, in der man gerne lebt, eine Erscheinung, die ihn am Hof zum Musterbild männlicher Schönheit machte, eine anbetungswürdige Gattin, die nur ihn anbetete, eine warmherzige und großmütige Liebenswürdigkeit, die ihm viele Freunde schaffte, eine so fabelhafte Gesundheit, daß sein Arzt ihm ein langes Leben verhieß, und nicht zuletzt war er dank seiner Besitztümer so vermögend, daß es für zwei oder drei Leben in Prunk und Verschwendung gereicht hätte. Und die Frage, schöne Leserin, die ich mir stelle, ist: Wie konnte Montmorency alles, was er war und was er hatte, aufs Spiel setzen für ein so törichtes, ich möchte fast sagen kindisches Wagestück wie jenes, das ich nun erzählen will, da man mit einem lateinischen Dichter doch von ihm hätte sagen können: »Er wäre zu glücklich gewesen, hätte er sein Glück gekannt.«

Es stimmt allerdings, daß er, wie man sah, ernsthaften persönlichen Groll gegen Richelieu hegte. Daß er seinen Titel Admiral von Frankreich und sein Prisenrecht verlor, hatte ihn um bedeutende Amtsbefugnisse und große Einkünfte gebracht.

Doch lebte er auch in einer Umgebung, in der jeder aus unterschiedlichen Gründen Richelieu haßte. Seine Gemahlin, Marie-Félicie des Ursins, mit den Medici verwandt, wünschte dem »Verfolger« der Königinmutter den Tod an den Hals. Der Bischof d’Elbène, den Montmorency bewunderte, dachte, wenn Richelieu gestürzt würde, könnte man endlich das Tridentiner Konzil umsetzen und die Protestanten mit Feuer und Schwert ausrotten. Und der Herzog von Guise, Gouverneur der nahen Provence, träumte ebenfalls von einer großen Zukunft. Die |295|Umstände schienen ja günstig. Die Gesundheit des Königs war heikel, Horoskope prophezeiten seinen Tod vor Jahresende, und selbstverständlich würden all jene, die sich vor diesem Tod in Gastons Lager sammelten, dann ihre Belohnung erhalten.

In den Sendschreiben, die Gaston über den Bischof von Elbène an Montmorency gehen ließ, karessierte er ihn sehr. Montmorency war von den drei Verschwörern der einzige, der das Kriegshandwerk verstand. Während der Belagerung von La Rochelle hatte er auf Ludwigs Befehl gegen Soubise gekämpft, der hinter den königlichen Linien »Schaden« anrichtete, und hatte ihn gezwungen, sich nach England einzuschiffen. Später hatte er sich im Italienfeldzug ausgezeichnet, als er dem Herzog von Savoyen Veillane und Saluzzo nahm.

Nichts beweist, daß Gaston für den Tag, da er König würde, Montmorency das Konnetabelnamt versprochen hat, eine höchste Würde, die zwei seiner Ahnen innehatten. Aber indem er ihm schrieb, daß die Armee, mit der er ins Reich einzumarschieren gedenke, vom Herzog von Lothringen und von den Spaniern rekrutiert worden sei, scheint er ihn willentlich hinters Licht geführt zu haben. Denn letztlich war wenig los mit diesem Heer: eine kleine Söldnerarmee aus miserablen Soldaten. Möglich ist aber, daß auch Gaston, der nur in seinen Träumen lebte und vom Kriegführen nichts verstand, sich als erster über deren Wert täuschte.

Sowie Gaston voll illusorischer Hoffnungen in Frankreich eindrang, wurde er abgefangen und verfolgt, aber nicht angegriffen, und zwar von der Kavallerie des Marschalls de La Force und von der Infanterie des Marschalls Schomberg, das heißt von zwei Formationen, die in Europa nicht ihresgleichen hatten. Schöne Leserin, jetzt fragen Sie vielleicht, warum besagte Kräfte, anstatt sich Gaston an die Fersen zu heften, seine armselige kleine Armee nicht sofort angriffen? Nun, La Force und Schomberg durften nicht das Risiko eingehen, in einem Kampf den potentiellen Thronfolger Frankreichs womöglich zu verwunden oder gar zu töten. Und das wußte niemand besser als Gaston, der sich aufgrund seiner Unantastbarkeit von Zeit zu Zeit erlaubte, das Schwert gegen seinen älteren Bruder zu ziehen, ohne die mindeste Gefahr zu laufen.

Außerdem zog er sich, sobald die Situation ihm ein wenig brenzlig erschien, immer rasch zurück und ging nach Hause, |296|das heißt zu den Feinden seines Vaterlands. Es war wirklich nur ein kleiner Krieg, in dem er sich glorios als Armeechef aufspielte und dann mit seinem Bruder wieder Frieden schloß, wobei er ihm ein paar Vorteile abnötigte, zumeist finanzielle.

Nichtsdestoweniger versuchte Gaston bei seinem Marsch durch Frankreich ins Languedoc und zu Montmorency die Städte an seinem Weg für seine Sache zu gewinnen, indem er verkündigte, er müsse den Minister stürzen, der den König versklavt habe.

Das Argument war ein bißchen grob und glich stark jenen Dummheiten, die tagtäglich von den Ausrufern auf dem Pont-Neuf zur Anheizung der Kabale ausgestoßen worden waren. Dijon ließ sich nicht darauf ein, auch nicht das Burgund und letztlich überhaupt keine Stadt, die Gaston für seine Sache zu gewinnen trachtete. Vielmehr schlugen sie ihm ihre Tore vor der Nase zu.

Montmorency beklagte sich später, daß Gaston, den er gebeten hatte, seinen Einmarsch zu verschieben, zu früh in Frankreich eingedrungen war, wodurch sein Verbündeter nicht die nötige Zeit hatte, das Volk im Languedoc zum Aufstand gegen die königliche Macht zu bewegen. Aber dies ist nur eine der Illusionen bei einer Unternehmung, die deren mehr enthielt. Früher oder später wäre es doch aufs selbe hinausgekommen. Von einigen Bischöfen abgesehen, die sich aus den bekannten Gründen zugunsten von Montmorency aussprachen, die aber in einem militärischen Konflikt wenig zählten, brachte Montmorency niemanden für seine Sache auf. Toulouse, die größte und schönste Stadt des Languedoc, ließ wissen, sie bleibe in Königstreue fest. Die Protestanten, die Ludwig unendliche Dankbarkeit für den Gnadenfrieden wußten, verschlossen sich jedem Ruf zur Rebellion. Abgesehen von ein paar Edelleuten, die sich Montmorency aus Freundschaft anschlossen, erhob sich die Bevölkerung nicht. Und Montmorency sah sich zu einem kleinen Gewaltstreich innerhalb der Ständeversammlung des Languedoc genötigt, die er in seinem Schloß Pezenas einberufen hatte.

Für mein Gefühl bedeckte er sich mit dem, was er dort vollbrachte, nicht eben mit Ruhm, und klug war es schon gar nicht. Zwischen dem König und den Ständen war jene erwähnte Vereinbarung über den Einzug der Taille getroffen worden, mit der |297|die Bürger zufrieden waren. Auch Montmorency hatte sie gebilligt und unterzeichnet. Und plötzlich nun, vor den versammelten Ständen, prangerte er sie an. Groß war die Entrüstung, und die königlichen Abgeordneten erhoben lautstarkes Gezeter, ohne daß jedoch unverschämte Worte fielen. Trotzdem faßte Montmorency einen Entschluß, der in den Annalen einzigartig bleibt: Er ließ die Abgeordneten, die ihn mißbilligten, festnehmen, und als der Erzbischof von Narbonne, welcher der Versammlung vorsaß, gegen die brutale Maßnahme protestierte, ließ er auch ihn einkerkern.

In der hierauf folgenden Konfusion beschlossen die ihm hörigen Abgeordneten, die Provinz zu bewaffnen, ohne jedoch zu sagen und klarzustellen, gegen wen man sie bewaffnete. Die dumme kleine List täuschte niemanden, und sowie der König erfuhr, was geschehen war, erklärte er alle, die seinen Bruder Gaston in seinem Vorhaben eines Bürgerkriegs unterstützten, des höchsten Majestätsverbrechens für schuldig.

Gleichzeitig ließ er, schnell wie stets in seinen Entscheidungen, die französischen Garden, die Schweizergarden und die Regimenter Navarra und Vervins zu den Waffen greifen und zog gegen die Rebellen. Allein diese Namen hätten Montmorency das Fürchten lehren müssen, hätte er dafür ein Gehör gehabt. Was ihn statt dessen das Fürchten lehrte und in Verzweiflung stürzte, war Gastons Armee, als dieser im Juli in Lunel eintraf.

Hafen der Gnade! Was für ein Sammelsurium armer Teufel das war! Ausgelaugt, humpelnd, hustend, erschöpft. Sie waren wohl zu schnell marschiert, ohne hinreichende Pausen an den Etappen, und waren zu schlecht ernährt.

Schlechte Katz, schlechte Ratz! Derartiges konnte man Ludwig nicht nachsagen, der fast wie ein Vater über die Gesundheit seiner Soldaten wachte. Und auch Richelieu nicht, der als bewunderungswürdiger Intendant dafür sorgte, daß Brot, Wein und Suppe pünktlich zur Stelle waren, daß die Verletzten sofort an den Etappen versorgt und die Kranken abgesondert und behandelt wurden.

Ich erzähle an späterer Stelle, wie, ich will nicht sagen der Kampf, aber das Scharmützel von Castelnaudary verlief, wo Gastons kleine Armee im Handumdrehen geschlagen und aufgerieben wurde. Montmorency, am ganzen Leib verwundet, |298|wurde ins Capitol, das Gerichtsgebäude von Toulouse, transportiert, sowohl um seine Wunden zu behandeln, wie um ihm den Prozeß zu machen. Noch vor dem Prozeß schickte Richelieu mich an sein Leidenslager, ein Besuch, der in keiner Weise vorwegnahm, was man über ihn beschließen würde: Tod oder Vergebung. Richelieu, der die Vernunft selber war, versuchte nur durch meine Vermittlung zu verstehen, was im Kopf dieses großen Feudalherrn vorgegangen war, daß er sich Hals über Kopf in eine Unternehmung hatte stürzen können, obwohl er von vornherein wußte, daß sie verloren war.

Ich befürchtete, daß Montmorency mich, der ich als eine der verdammten Seelen des Kardinals galt, gar nicht empfangen wollte, doch dem war nicht so. In der Abgeschiedenheit, in der er gehalten wurde, war er wahrscheinlich auf Nachrichten begierig. Sein Empfang war weder gut noch schlecht. Es ist schwer, hochfahrend zu sein, wenn man von Kopf bis Fuß mit Verbänden bedeckt ist. Der blutigste umgab seine Kehle, und ich fürchtete schon, er werde nicht reden können, der Arzt hatte mir gesagt, ihm sei, als man ihn vom Schlachtfeld trug, das Blut aus dem Mund geflossen. Tatsächlich war seine Stimme schwach und langsam, doch vernehmlich. Und seltsam, nicht ich, sondern er stellte die erste Frage.

»Herzog«, sagte er, »ich nehme an, Ihr wollt mir eröffnen, was man mit mir vorhat?«

»Keineswegs, Monseigneur.«

Herzöge und Pairs sind einander gleich, meine Anrede »Monseigneur« war von der Etikette diktiert und bezog sich auf seine illustre Abstammung und darauf, daß er Marschall war, was ihn eine Stufe über mich stellte.

Obwohl sein Gesicht gleichmütig blieb, merkte ich doch an einem Wimpernschlag, daß Montmorency in seiner jetzigen Lage für diese Höflichkeit nicht unempfänglich war.

»Monseigneur«, fuhr ich fort, »wenn ich gekommen wäre, um Euch mitzuteilen, was über Euch beschlossen ist, wäre ich in Begleitung des Siegelbewahrers erschienen.«

»Richtig.«

Er verstummte, und weil ich seine siedende Angst spürte, versuchte ich ihn ein wenig aufzuheitern.

»Monseigneur, noch ist keine Entscheidung gefallen. Der König und sein Minister beraten noch über Euch.«

|299|»Ha!« sagte Montmorency mit tiefer Bitterkeit, »ich weiß, wie die Dinge in solchem Fall ablaufen. Richelieu legt dem König ein Memoire vor, worin er zuerst für Milde plädiert und dann für Strenge. Nach der Verteidigung die Anklage. Wenn Ihr mir versprecht, meine Worte nicht zu wiederholen, sage ich Euch, daß ich dieses Vorgehen für scheinheilig halte.«

»Monseigneur, ich verspreche, Eure Worte nicht zu wiederholen«, sagte ich.

»Und warum?« fuhr er fort, sich selbst die Frage stellend, auf die er sicherlich meine Antwort hören wollte. »Weil Richelieu, wenn er den Tod des Sünders will, viel zu schlau ist, um seiner Anklage nicht mehr Biß zu geben als seiner Verteidigung. Es ist also eine falsche Unparteilichkeit, die sich als echte ausgibt.«

Montmorency schwieg, das Reden hatte ihn angestrengt. Und dem, was er gesagt hatte, konnte ich eigentlich nur zustimmen. Weil ich aber weder zustimmen noch widersprechen durfte, blieb ich stumm. Außer im Politischen war Montmorency ein feinsinniger Geist, er erriet, was ich dachte, und wurde zugänglicher gegen mich. Ich erinnere mich, daß Fogacer mir einmal sagte: ›Nicht nur weil er schön, sondern auch weil er feinsinnig war, waren die Damen in ihn vernarrt.‹ Das schöne Geschlecht mag weder Tölpel noch Trottel.

»Nun, Herzog«, sagte er mit einem Anflug von Munterkeit, »was wollt Ihr denn von mir wissen?«

»Monseigneur«, sagte ich, »Gott sei Dank, bin ich kein Richter und kein Prokurator. Dennoch wage ich Euch zu fragen, warum Ihr Euch auf den Angriff bei Castelnaudary eingelassen habt, obwohl Ihr doch vorher schon wußtet, daß die Geschichte verloren war.«

»Oh! Das wußte ich noch viel eher! Ich wußte es gleich, als Gaston nach Lunel kam und ich sein Heer sah. Beim Anblick dieses jämmerlichens Haufens war mir klar, daß der beim ersten Zusammenstoß mit den Königlichen zerrieben würde.«

»Und wußtet Ihr zu dem Zeitpunkt, Monseigneur, daß der König jeden des höchsten Majestätsverbrechens für schuldig erklärte, der Gaston unterstützte?«

»Das wußte ich.«

»Wußtet Ihr, daß Schomberg Castelnaudary besetzt hatte und die Stadt befestigte?«

»Auch das wußte ich.«

|300|»Wußtet Ihr, daß Ludwig an der Spitze seiner Eliteregimenter das Rhônetal herunterkam, um auf Euch zu treffen, so daß Ihr nicht nur von Schomberg im Westen bedroht wart, sondern auch von dem von Norden anrückenden König?«

»Ich wußte es.«

»Und was beschloß Gaston in dieser Lage?«

»Castelnaudary zu erobern und Schomberg anzugreifen.«

»Aber von Lunel nach Castelnaudary ist es ein weiter Weg, in welchem Zustand war denn Gastons elende kleine Armee, als sie ankam?«

»Elend eben.«

»Ihr hattet also keine Hoffnung zu siegen?«

»Keine.«

»Was wolltet Ihr dann, als Ihr kämpftet?«

»Für mich?«

»Ja, Monseigneur, für Euch.«

»Nach letztem heißem Kampf den Tod.«

»Gab es keine andere Lösung? Zum Beispiel konntet Ihr Gaston verlassen, der selbst ja weder Gefangenschaft noch Tod riskierte, und lieber den Weg ins Exil nehmen wie Guise.«

»Allerdings, das hätte ich tun können. Aber das wäre gegen die Ehre gewesen.«

Ich war sprachlos.

»Es wäre gegen die Ehre gewesen?«

»Natürlich! Ich hatte Gaston mein Wort gegeben. Konnte ich ihn verraten?«

Ich hatte große Lust, ihm hierauf zu antworten, daß es Schlimmeres gab, als Gaston gegenüber sein Wort zu brechen: nämlich den König zu verraten. Ich weiß nicht, ob Montmorency meinen Gedanken erriet, aber seine Müdigkeit vorschützend, setzte er unserem Gespräch jäh ein Ende. Mit vielen Dankesworten schied ich, ziemlich erstaunt über seine Offenheit, die mich sehr anrührte, denn ich spürte die Verzweiflung heraus, seinen Tod verfehlt zu haben, wie er ihn gewünscht hatte: inmitten der Schlacht und die Waffe in der Hand.

***

Nach seinem Sieg bei Castelnaudary nahm Schomberg den Weg nach Paris und wählte als letzte Etappe Montfort-l’Amaury, |301|weil er mich auf meinem Landsitz Orbieu besuchen wollte. Ich freute mich darüber und Catherine ebenso, denn in ihren wie in aller anderen Augen war der Marschall das Musterbild ehelicher Treue, und wäre es nach ihr gegangen, hätte ich ihn viel öfter gesehen, damit seine Treue auf mich abfärbe. Wenn ich ihr entgegenhielt, daß ich sie noch nie betrogen hatte, erwiderte sie, bis jetzt ja, aber sie sei ständig in Unruhe, denn sowie eine hübsche Frau irgendwo auftauche, würden meine Augen leuchten und mein Körper durch sein Beben verraten, wie groß mein Appetit sei.

»Ist es nicht ungerecht«, sagte ich zu Nicolas, »daß die Frau Herzogin mich schuldig spricht, bevor ich es bin?«

»Um Vergebung, Monseigneur«, sagte Nicolas, »aber mit allem Respekt muß ich sagen, daß die Frau Herzogin vielleicht nicht so unrecht hat, wenn sie Euch in der Weise schildert beim Anblick einer hübschen Frau.«

»Nicolas«, sagte ich streng, »du bist ein Verräter. Als mein Junker müßtest du meine Partei ergreifen.«

»Vor der Frau Herzogin«, meinte Nicolas mit dem unverschämtesten Lächeln, »tue ich das immer. Aber Euch gegenüber wäre es mir irgendwie peinlich zu lügen.«

»Die Pest über dich, Kerl!« rief ich. »Jetzt nimmst du mich auch noch hoch! Nicolas, habe dir schon einmal eine Ohrfeige gegeben?«

»Nein, Monseigneur, solche Art Herr seid Ihr nicht.«

»Trotzdem, mach dich drauf gefaßt, wenn du mich noch einmal schraubst.«

Hiermit packte ich ihn beim Genick, natürlich ohne ihm wirklich weh zu tun. Und was glauben Sie? Der Schlingel lachte und lachte, unter Grimassen, als ob ich ihn erwürgen wollte.

Doch zurück zu Schomberg, Leser, der mir, obgleich er sich prächtiger Gesundheit erfreute, traurig verstimmt erschien. Catherine ließ uns nach dem Essen allein, angeblich um nachzusehen, ob Emmanuel auch gut schlafe, in Wahrheit aber, weil sie sich einfach nie an ihm satt sehen konnte.

Als ich Schomberg nach dem Kampf bei Castelnaudary fragte, sagte er, er könne mir keinen zusammenhängenden Bericht geben, er sei auf dem Schlachtfeld zu Hause, aber wenn er die Dinge in Worte fassen solle, fühle er sich außerstande. Ich solle ihm sagen, was ich wisse, dann werde er es ergänzen.

|302|So trug ich ihm denn vor, was ich darüber gehört hatte. Schomberg lauschte mir, bald nickte er, bald schüttelte er den Kopf und hob die Augen gen Himmel, was ja wohl heißen sollte, daß meine Darstellung alles andere als wahrheitsgetreu war.

»Ach, mein Freund«, sagte er am Ende, »es stimmt alles nicht: der Weg wie der Kampf. Gaston kam nach Lunel, wo er mit Montmorency zusammentraf, nicht über Toulouse, sondern über die Auvergne.«

»Mir wurde erzählt, Toulouse habe ihm nicht die Tore öffnen wollen.«

»Das hat Toulouse verkünden lassen, aber dazu kam es nicht, weil Gaston gar nicht dort entlangkam. Dijon hat ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen. Und als er sich trotzdem den Stadtmauern näherte, schoß man eine Kanonensalve ab, eine Kugel hätte ihn beinahe getroffen. Und wie Ihr seine Söldner schildert, das bleibt noch weit unter der Wirklichkeit. Tatsächlich waren das Galgenstricke, die, ohne irgend Befehl zu haben, plötzlich ein Dorf überfielen, Frauen und Mädchen, sogar Kinder vergewaltigten, die Häuser ausraubten und Beute wegschleppten und zum Schluß alles in Schutt und Asche legten. Als Gaston diese Heldentaten sah, drohte er den Plünderern und Mädchenschändern mit dem Strick. Die Antwort ließ nicht auf sich warten. Am nächsten Morgen war ein Drittel seiner Armee verschwunden.«

»Machten denn die Edelleute, die er unterwegs rekrutierte und die sich ihm aus Haß auf Richelieu anschlossen, den Verlust nicht wett?«

»Sehr unzureichend. Viele, die Gaston aus der Ferne versprochen hatten, sich ihm anzuschließen, entzogen sich in der Nähe. Andere, die zu ihrem Wort stehen wollten, sprachen sich davon frei, als sie den Söldnerhaufen erblickten, mit dem Gaston gegen die Königlichen antreten wollte.

Was mich betrifft, so erfuhr ich von den Spionen, die ja überall auftauchen, wo das Reichsinteresse es erfordert, auf den Tag genau, was in Gastons Lager in Lunel vor sich ging. So hörte ich, daß sie ein Triumvirat gebildet hatten, denn am Ende hatte auch der Comte de Moret, Henri Quatres Bastard, der die Flucht der Königinmutter nach La Capelle begünstigt hatte, sich Gaston und Montmorency angeschlossen.

|303|Als ich von den Spionen wissen wollte, wer von dem Trio befehligte, war die Antwort: im Prinzip alle drei, aber in Wahrheit keiner. So unglaubhaft mir das zuerst erschien, erwies es sich in der Folge dieses Abenteuers doch als dramatisch zutreffend.

Durch die Spione wußte ich von der Absicht der Rebellen, mich in Castelnaudary anzugreifen und, wenn sie mich geschlagen hätten, das Languedoc zu erobern. Mir verschlug es die Sprache. Mich, Schomberg, angreifen, der ich so gut befestigt war, und womit denn, Herrgott? Mit einer Kavallerie, die knapp achthundert Pferde faßte, und einer halb so starken Infanterie, die aus Taugenichtsen bestand. Und das verrückteste war, sie wollten mich in meinen Mauern angreifen, ohne Leitern, ohne Kanonen und wahrscheinlich sogar ohne einen einzigen Sprengsatz, um mein Tor aufzusprengen! Zum Teufel, ich verstehe bis heute nicht, was für eine Kinderei das war.

Als sie ankamen, hatte ich zwei Möglichkeiten: in den Mauern bleiben und sie mit Kanonensalven und fortlaufendem Musketenfeuer empfangen. Aber diese Lösung hatte den Nachteil, daß ich sie zwar vertreiben konnte, aber nicht schlagen. So beschloß ich, sie auf schwache Distanz zu meinen Mauern herankommen zu lassen, auf ein rechts und links von Steilhängen begrenztes Gelände, so daß sich ihrerseits jede schwenkende Bewegung ausschloß. Außerdem war das Gelände von einem Flußlauf gesäumt, der zwar keine richtige Verteidigung bildete, weil man ihn leicht zu Pferde überspringen konnte, aber eine Art moralische Grenze. Die Rebellen mußten sie überschreiten, um die Getreuen des Königs mit dem Degen in der Hand anzufallen.

Wäre Gastons Armee eine richtige Armee gewesen, von einem kriegserfahrenen Hauptmann befehligt, hätte besagter Hauptmann zunächst gewartet, bis alle seine Kämpfer versammelt wären, und dann hätte er, außer Reichweite der gegnerischen Musketen, die Lage studiert, bevor er angriff. Das sind simple Grundsätze, mein lieber Herzog, die der gesunde Menschenverstand diktiert; alles andere lehrt einen das Gelände und das feindliche Feuer. Aber schon als ich einige Mann als Vortrupp ausschickte, begriff ich, daß sie in einer Ordnung vorrückten, die überhaupt nicht erkennen ließ, wer den Angriff führte. Der Comte de Moret kam mit seinen Edelmännern als erster, dann Montmorency mit den seinen, und zum Schluß |304|marschierte endlich Gaston, obwohl er nach dem Geblüt der erste der drei war, der die Rebellion angestiftet hatte. Vor allem aber machte mich baff, daß ihre Attacke wild drauflos erfolgte, ohne Sammlung der Truppen, ohne Abstimmung der Chefs, gerade wie es jedem einzelnen einfiel.

Und sowie der Comte de Moret die königliche Armee erblickte, in Schlachtordnung angetreten, die Musketiere in drei Reihen gestaffelt, zu beiden Seiten die Reiterei, alle schweigsam, ernst, gesammelt, da befiel ihn eine Art Wahnwitz, er drückte sein Pferd über den Graben, warf sich in die Attacke und riß die ihm nachfolgenden Edelmänner mit in den Tod.

Die Schlächterei näherte sich dem Ende, als Montmorency hinzustieß, und als er Moret und die Seinen zerhauen und zerfetzt sah, setzte auch er wie von Sinnen mit seinen Edelleuten über den Graben und stürzte sich, den Degen in der Faust, ins Gewühl. Nun waren die Musketen noch nicht neu geladen, darum wurde es diesmal ein Reiterkampf, wie es sich gehört. Der Herzog hieb mit dem Säbel um sich, wurde von Säbeln getroffen, schließlich aus dem Sattel geworfen und gefangengenommen.«

Leser, hiermit beendete Schomberg seinen Bericht, doch will ich hinzufügen, was er nicht gesagt hat oder nicht sagen wollte. Als endlich Gaston aufs Gelände kam, war alles vorbei. Dabei können Sie sich denken, Leser, wie gern auch er sich in die Schlacht gestürzt hätte, doch sogleich umdrängten ihn seine Diener, seine Räte, seine Edelherren und baten ihn, es nicht zu tun, es wäre sein Tod gewesen. Und ich setze hinzu: auch ihrer.

Also zog Gaston alles, was ihm an Truppen blieb, zurück zum Biwak, und als er am nächsten Tag zur Besinnung kam, schrieb er dem Kardinal-Infanten, der die Niederlande regierte: »Mir blieb das Schlachtfeld«, was buchstäblich zutraf, denn Schomberg war nach dem Scharmützel hinter die Mauern von Castelnaudary zurückgekehrt, nur war es militärisch erzfalsch, denn Gaston hatte den Comte de Moret verloren, den Herzog von Montmorency und eine große Zahl von Edelleuten, das heißt den kampffähigsten Teil seiner kleinen Armee. Die Söldner hatten sich eher gedrückt. Dessen ungeachtet scheute sich Gaston nicht, Schomberg am nächsten Tag einen neuen Kampf anzubieten.

|305|»Und was habt Ihr ihm geantwortet, mein lieber Schomberg?«

»Er bot mir den Kampf doch nur an, denke ich, damit ich ablehnte. Und deshalb sagte ich: ›Monseigneur, Ihr habt gestern wider Willen viele Eurer Edelleute getötet. Ich würde es mir verübeln, Euch heute noch mehr zu töten, und das ohne allen Sinn, denn in Kürze wird der König hier sein mit seiner starken Armee.‹

Gaston ritt stolz davon, als hätte er mich besiegt, und wie ich nachher hörte, schickte er Herrn von Chaudebonne nach Montpellier, wo der König war, um mit ihm in Verhandlung zu treten.«

***

Für die Zeit der Verhandlungen mit seinem Bruder blieb Ludwig in Montpellier, Gaston mußte in Béziers haltmachen, die Verhandlungen führten ein Staatssekretär und Herr von Chaudebonne.

Und hier, Leser, trat so deutlich wie nie Gastons Torheit, um nicht zu sagen sein kindisches Wesen, zutage. Obwohl sichtbar und kläglich besiegt, forderte er von seinem Bruder den Mond, einige seiner Forderungen überstiegen so jedes Maß, daß sie nur noch lächerlich waren. Hier sind sie.

Erstens sollte der Herzog von Montmorency begnadigt und freigelassen werden. Zweitens sollte die Königinmutter ihre Besitztümer zurückerhalten. Drittens sollte der König seinem Bruder eine Million in Gold geben, damit er dem König von Spanien und dem Herzog von Lothringen die Kosten erstatten könne, die sie für seine Armee bezahlt hatten.

Es versteht sich von selbst, daß Gaston nichts von alledem bekam, nur die königliche Vergebung für sich und jene seiner Edelleute, die mit ihm vor Castelnaudary gewesen waren. Die Klausel schloß diejenigen seiner Räte aus, die in Brüssel geblieben waren, Le Coigneux, Monsigot und Vieuville, die der König und der Kardinal für die eigentlichen Anstifter von Gastons Rebellionen hielten. Als Gaston Gnade für Montmorency verlangte, antwortete der König ungerührt: »Montmorency hat gegen meine Truppen gekämpft, er wurde ergriffen, wie er eine Armee gegen mich führte, und der Degen in seiner Hand war blutig vom Blut meiner treuen Untertanen.«

|306|Der Satz gab Gaston zu denken, er konnte ihn auf sich selbst beziehen. Er sah sein Leben bedroht, und weil er sich in Frankreich nicht sicher fühlte, floh er wieder nach Brüssel.

***

Was mich betrifft, so ging ich auf Richelieus Befehl nach Toulouse und blieb dort, bis Montmorency verurteilt und hingerichtet war, dann kehrte ich zurück nach Paris, wo meine süße Geliebte mich über all die Schrecken dieses Bruderkriegs tröstete. Doch der Kardinal – der alles wußte, auch meine Heimkehr – ließ mir nur einen glücklichen Tag mit Catherine, dann ließ er mich durch einen Musketier zu sich holen. Ohne viele Worte zu verlieren, wollte er wissen, was Montmorency mir bei meinem Besuch in Toulouse gesagt hatte, als ich an seinem Leidenslager war. Meinen Bericht hörte er begierig an und speicherte alles in seinem phänomenalen Gedächtnis. Schließlich kam ich zu dem Punkt, daß Montmorency sehr bald begriffen habe, daß die Sache verloren war, er Gaston aber nicht im Stich lassen wollte, weil das gegen seine Ehre ging.

»Die Ehre!« rief der Kardinal. »Diese großen Herren führen immer dies eine Wort im Mund! Aber die Ehre respektieren sie nur untereinander! Jenseits ihres kleinen Kreises wird sie mißachtet und vergessen. Montmorency hat Ludwig dreimal Treue geschworen. Das erstemal bei der Krönung, das zweitemal, als der König ihn zum Marschall von Frankreich ernannte, und das drittemal, als er Gouverneur des Languedoc wurde. Und was hat Montmorency mit diesen Schwüren und Treueiden gemacht? Mit Füßen getreten hat er sie, ohne daß sein Gewissen sich jemals meldete. Erinnert Euch, was die Guises seinerzeit aus Heinrich III. gemacht haben: einen armen König ohne Hauptstadt. Und was tat unsere Königinmutter, als sie Regentin war? Die Ärmste lief den Großen mit Goldsäcken nach, um sie wieder zum Gehorsam zu rufen, was sie jedoch lediglich anregte, ihr neue Rebellionen zu bieten.«

Und nach einem Schweigen setzte Richelieu, indem er ein Wort Ludwigs aufgriff, hinzu: »Monarchisch wird dieser Staat nur, wenn der König gegenüber diesen Leuten seine Fänge und Krallen schärft.«

***

|307|Zurück im Hôtel des Bourbons, zog meine Catherine mich gleich in den kleinen rosa Salon mit, den sie so liebte. Was Richelieu von mir gewollt habe, wollte sie wissen. Und weil es um keine Geheimnisse ging, erzählte ich.

»Und hat er auch nach Montmorencys Prozeß gefragt?«

»Das brauchte er nicht. Er war ja, wenn auch streng verborgen, dabei. Hingegen hat der König sich völlig ferngehalten, er blieb in seinen Gemächern im erzbischöflichen Palast. Und jeden Abend ließ er sich von Richelieu unterrichten.«

»Fahrt fort, Lieber.«

»Bevor der Prozeß begann, schickte der Kardinal Monsieur de Guron zu Montmorency, um ihn darauf hinzuweisen, daß er als Herzog und Pair ein Recht darauf habe, in Paris verurteilt zu werden und nicht in Toulouse. Worauf Montmorency erwiderte: ›Nein, nein, ich streite nicht um mein Leben.‹«

»Und wie betrug er sich vor den Richtern?«

»In Toulouse heißen die Richter Capitouls, nach dem Capitol, wo sie sitzen.«

»Capitouls, wie hübsch! Aber armer Montmorency!« setzte sie hinzu, »wie mag er sich in diesem Capitol gefühlt haben?«

»Was glaubt Ihr denn, meine Liebe? Daß er im Kerker saß? Hafen der Gnade! Er schlief in einem schönen Zimmer, von zwei Dienern umsorgt.«

»Und wie benahm er sich im Prozeß?«

»Mit vollendeter Grazie. Freimütig beantwortete er die Fragen der Capitouls, auch wenn sein Freimut ihn noch mehr belastete. Bei seinen Geständnissen zeigte er weder Großmäuligkeit noch bravura, sondern eine Art höflicher Reue. Vollkommen gewiß, welches Urteil die Capitouls über ihn fällen würden, ließ er sich für den Tag des Abschieds vom Leben ein Gewand aus reinweißem Leinen machen.«

»Reinweißes Leinen! War das nicht ein bißchen knabenhaft?«

»War es nicht auch ein bißchen anrührend?«

»Aber warum weiß?«

»Ich denke, Montmorency wollte, wenn er seine irdische Strafe abgebüßt hatte, im Kleid der Unschuld vor Gott erscheinen.«

»Und was wurde aus seinem riesigen Besitz?«

»Kurz vor der Verurteilung erfuhr er, daß seine Güter auf Befehl |308|des Königs konfisziert werden sollten.1 Er schrieb an den König und bat, über gewisse Möbel verfügen zu dürfen. Der König stimmte zu. Und Montmorency vermachte Richelieu einen kleinen Salon, dessen Hauptstück ein Gemälde von Caracci war, das den Tod des heiligen Sebastian darstellt. Dies war keine captatio benevolentiae2 noch eine Bitte um Gnade, er wollte einfach wiedergutmachen, daß er dem Kardinal das Gemälde unfreundlich verweigert hatte, als der ihn einmal darum bat.«

Hier unterbrach Catherine unvermittelt meine Erzählung und wollte wissen, bei wem ich in Toulouse gewohnte habe.

»Bei Graf de la Haute-Frau, dem Gouverneur der Stadt. Allerdings sah ich ihn nicht oft, er war sehr beschäftigt.«

»War er verheiratet?«

»Ja, und seine Frau Françoise ist, Gott sei Dank, die beste Wirtin, zu allen gut und herzlich, zu ihren Kindern wie auch zu ihren sehr geliebten Enkelkindern.«

»Und wie sah sie aus?«

»Blond, blaue Augen.«

»Und die Figur?«

Da haben wir’s! dachte ich und fühlte mich im stillen mächtig gekitzelt.

»Schön rund.«

»Und natürlich hattet Ihr sie sehr gern.«

»Natürlich hatte ich sie sehr gern.«

Schon hörte ich etliche Schlänglein um mein armes Haupt zischen, doch ehe sie mich beißen konnten, sagte ich lieber rasch die Wahrheit.

»Mein Lieb, was habt Ihr dagegen? Ist es nicht selbstverständlich, daß ein Bruder seine Schwester zärtlich liebt?«

»Was sagt Ihr da? Madame de la Haute-Frau ist Eure Schwester? Aber Ihr habt nie von ihr gesprochen!«

»Doch, doch. Als ich meine beiden Brüder in Nantes besuchte, habe ich Euch gesagt, daß ich in Frankreichs Süden zwei Schwestern habe, die beide gut verheiratet sind.«

»Und Eure andere Schwester?«

»Sie heißt Elisabeth, ist sehr elegant, geistreich und führt alles, was sie tut, aufs beste.«

|309|»Und liebt Ihr sie so wie Françoise?«

»Genauso, nur hatten wir, aufgrund unserer Charaktere, früher allerlei Streitigkeiten.«

»Ihr müßt ja auch zugeben, mein Herr Gemahl, daß Ihr kein einfacher Charakter seid.«

»Madame, nur Heilige haben einen einfachen Charakter, und das ist kein besonderes Verdienst, denn sie sind unvermählt.«

Worauf Catherine lachte, was mich sehr erleichterte, denn sie hätte mir die kleine Spitze ja auch übelnehmen können.

»Zurück zu unserer traurigen Geschichte«, sagte sie.

»Traurig war sie wahrhaftig, meine Liebe, denn das höchste Majestätsverbrechen lag klar am Tage. Die Geständnisse des Angeklagten bestätigten es voll. Es gab keinerlei mildernde Umstände. Am dreißigsten Oktober 1632 wurde der Herzog von Montmorency von den Capitouls zur Enthauptung auf der Place du Salin verurteilt. Einem Brauch von Toulouse gemäß, wurde das Urteil zweimal verlesen, das erstemal im Gerichtssaal, das zweitemal in der Kapelle des Capitols.

›Meine Herren‹, erklärte Montmorency mit großer Höflichkeit, ›ich danke Euch und Eurer ganzen Körperschaft, der ich auszurichten bitte, daß ich dieses Urteil der königlichen Justiz als einen Spruch der göttlichen Barmherzigkeit betrachte. Bittet Gott, daß er mir die Gnade erweise, die Hinrichtung christlich zu erleiden.‹«

»Die Worte klingen gewiß höflich«, meinte Catherine, »aber auch widersprüchlich. Wie kann man ein Todesurteil als Spruch der göttlichen Barmherzigkeit bezeichnen? Göttliche Barmherzigkeit drückt sich nicht aus durch das Beil.«

»Vielleicht war Montmorency durch das gerade vernommene Urteil denn doch verstört. Inzwischen hörte es auch der König im erzbischöflichen Palast, in Gegenwart von etwa dreißig Höflingen, die angstbeklommen vernahmen, daß ein hoher Herr wie Montmorency durch das Henkersbeil sterben sollte wie der letzte Mörder.

Vielleicht um den Anwesenden Schweigen zu gebieten, begann der König mit Monsieur de Guron eine Partie Schach zu spielen. Und große Stille herrschte im Gemach, als es an der Tür klopfte. Monsieur de Charlus trat ein, fiel nicht ohne Pomp vor dem König aufs Knie und sagte: ›Sire, ich komme vom Herzog von Montmorency, um Euch sein Kollier des Heilig-Geist-Ordens |310|und seinen Marschallstab, mit dem Ihr ihn ehrtet, zu überbringen und Euch zu sagen, daß er mit sichtlichem Mißvergnügen stirbt, Euch gekränkt zu haben, so daß er, weit entfernt, den Tod zu beklagen, zu dem er verurteilt wurde, ihn zu milde findet für das von ihm begangene Verbrechen.‹«

»Mein Freund«, sagte Catherine, »was für ein Jammer, daß er dieses ›sichtliche Mißvergnügen‹ nicht früher verspürt hat. Aber wer ist dieser Monsieur de Charlus? Ich höre seinen Namen zum erstenmal.«

»Ein Edelmann mit gutem Herzen und boshafter Zunge. In diesem Moment aber war Monsieur de Charlus alles andere als boshaft, sondern von tiefem Mitgefühl bewegt. Tränen rannen ihm über die Wangen, und immer noch auf Knien vor Seiner Majestät, küßte er ihm die Füße und bat ihn, die Exekution des Herzogs von Montmorency auszusetzen. Hierauf fielen auch alle anwesenden Höflinge aufs Knie und flehten einstimmig um Gnade für den Verurteilten.«

»Und der König?«

»Er hob die Hand. Schweigen trat ein. Und mit ebenfalls von Kummer verzerrtem Gesicht, doch ohne Tränen, sprach Ludwig Worte, die mich durch ihre Strenge erschreckten. ›Nein, meine Herren‹, sagte er, ›es gibt keine Gnade. Montmorency muß sterben. Man darf sich nicht grämen, wenn ein Mensch sterben muß, der es so sehr verdient hat. Man darf nur beklagen, daß er durch seine Schuld in so tiefes Unglück gefallen ist.‹ Was sagt Ihr dazu, meine Liebe?«

»Daß der König ihn ebensogut in die Bastille hätte sperren können wie Bassompierre.«

»Nein, nein! Die beiden Fälle liegen sehr verschieden. Bassompierre ist kein großer Feudalherr und Herzog mit illustrem Namen wie Montmorency. Bassompierre ist Soldat, und ein guter Soldat. Er hat sich zu einem Komplott gegen den Kardinal verleiten lassen, als der König krank in Lyon lag. Das ist kein höchstes Majestätsverbrechen. Er hat intrigiert, aber er hat nicht die Waffen gegen seinen König erhoben. Aus Montmorencys Todesurteil hingegen spricht die ernste Sorge über Gastons neue Strategie. Als Gaston Orléans befestigte, hat er vier Herzöge zum Abfall und zum Kampf gegen den König bewogen. Und weil es nicht zum Kampf kam, war Verbannung ihr Los. Im Fall Castelnaudary konnte Gaston zwei der höchsten |311|Herzöge auf seine Seite ziehen, Guise und Montmorency. Guise floh rechtzeitig ins Ausland, aber Montmorency hat gekämpft, und der König hat an ihm ein Exempel statuiert, das den anderen Herzögen eine energische Warnung sein soll, künftighin nicht auf Sirenengesänge zu hören. Stellt Euch vor, meine Liebe, wenn sich im Reich fünf, sechs Herzöge und Provinzgouverneure gleichzeitig gegen ihren Herrscher erheben! Wäre das nicht die Gelegenheit, von dem die Spanier, Lothringer und Kaiserlichen träumen, um unsere Grenzen zu überschreiten und in unser Land einzufallen?«

***

»Leser, die Frau Herzogin von Orbieu will von der Hinrichtung Montmorencys nichts hören, aus Angst, daß es sie zu sehr aufwühlt. Darf ich darum dich um Gehör bitten für meinen Bericht? Immerhin weiß ich interessante Einzelheiten, die ich dir doch nicht vorenthalten möchte.«

»Monsieur! Ich staune! Wie? Ich traue meinen Ohren nicht. Sie schließen Ihre schöne Leserin zum erstenmal vom Gespräch aus?«

»Ich schließe sie nicht aus, ich will nur nicht, daß auch sie in Tränen zerfließt. Zunächst müssen Sie wissen, daß ein Herzog, der zum Tod verurteilt ist, selbst dann noch einige Privilegien genießt. In Toulouse ist es Brauch, daß die Hinrichtung zwei Stunden nach dem Urteilsspruch vollstreckt wird. Man gewährte Montmorency einen ganzen Tag, mit seinem Gewissen ins reine zu kommen. Er erhielt die Erlaubnis, Briefe zu schreiben, und er schrieb drei. Aus Gründen, die ich nicht kenne, ließ der König aber nur einen davon passieren, den an seine Frau Gemahlin. Weiter sollte die Hinrichtung laut Urteilsspruch öffentlich, auf der Place du Salin, stattfinden. Der König befahl, daß sie ohne das Volk statthabe, im Hof des Capitols, und daß nur der Profoß mit seinen Wachmannschaften, die Capitouls und nicht zuletzt der Nuntius Bagni zugegen seien, den ich als Dolmetscher begleitete und der dem Papst einen wahren Bericht der Hinrichtung geben sollte. Denn weil abzusehen war, daß die Schreiberlinge in Gastons Sold nicht verfehlen würden, Falschmeldungen und Niederträchtigkeiten über das Ereignis auszustreuen, wollte der König diese im voraus dementieren.

|312|Ludwig gewährte also Montmorency alle Gnaden, die er konnte, sogar die, von Henkershand nicht berührt zu werden.«

»Und warum?«

»Der Henker, Leser, galt als schimpfliche Person, und die bloße Tatsache, von ihm berührt worden zu sein, war entehrend. Und es gibt noch eine Besonderheit, auf die ich hier hinweisen will. Ohne daß man dies im mindesten beabsichtigte, war die Tatsache, in Toulouse geköpft zu werden, bei allem Unglück eine Art Privileg, denn das Hinrichtungsverfahren war so sicher, daß es die Möglichkeit ausschloß, daß der Henker den ersten Schlag verfehlte und zum großen Leiden und Qual des Delinquenten zwei- oder gar dreimal zuschlagen mußte. Das nämlich war zum Entsetzen der Anwesenden dem armen Marschall von Marillac einige Monate zuvor geschehen. In Toulouse bewegt sich das Beil innerhalb zweier Pfosten, die mit Schienen versehen sind.1 Der Kopf des Verurteilten wird zwischen diese hölzernen Pfosten gelegt, der Henker braucht nur die Sperre zu lösen, die das Beil in einem Klafter Höhe festhält, und dieses saust in den Schienen mit Blitzesschnelle hernieder, seine Schnelligkeit und sein Gewicht geben ihm eine solche Wucht, daß es mit einem Schlag den Kopf vom Rumpf trennt.

Mir hämmerte das Herz, als Montmorency, von seinem Beichtiger begleitet, ein Kruzifix in Händen und in seinem weißen Gewand, im Hof des Capitols erschien. Wie er durch die hohe Tür heraustrat, blieb er stehen und sah zur Statue Henri Quatres auf.

›Was schaut Ihr, Monseigneur?‹ fragte ihn der Priester.

›Ich schaue auf das Bildnis des großen Königs, dessen Patenkind zu sein ich die Ehre hatte. Ich erinnere mich seiner als eines sehr guten und großmütigen Fürsten.‹

War es eine verschleierte Kritik an der Strenge, die der Sohn dieses großen Königs gegen ihn anwandte? Ich weiß es nicht. Wäre das der Fall gewesen, hätte Montmorency inzwischen vergessen, daß Güte und Großmut Henri Quatre nicht abhielten, einen seiner besten Leutnants, den Marschall von Biron, zum Tode zu verurteilen, ebenfalls wegen Hochverrats.

Leichtfüßig stieg Montmorency die Stufen zum Schafott |313|hinauf, und als er vor dem Henker stand, sagte er, der solle ihn nicht berühren. Worauf der Henker mit allem Respekt erwiderte, daß er es aber müsse, seine Haare seien zu lang für das Beil. Da ließ Montmorency ihn den Schnitt ausführen, verband sich selbst die Augen, hatte aber Schwierigkeiten, seinen Kopf auf den Block zu legen. Damit diese Schwierigkeiten nicht für Feigheit gehalten würden, sagte er laut, sein Hals trage noch mehrere Wunden von Castelnaudary, darum sei es schwer, ihn richtig zu legen. Dann ermahnte er den Henker achtzuhaben, daß sein Kopf nicht vom Schafott zu Boden rolle, und als er endlich eine bequeme Lage gefunden hatte, sagte er mit starker Stimme: ›Schlag getrost zu.‹ Und hinzu setzte er: ›Herr Jesus, nimm meine Seele gnädig auf.‹

Das Beil sauste nieder, und das Blut spritzte so hoch, daß es die Statue von Henri Quatre befleckte.«