|118|SECHSTES KAPITEL

Ludwig trennte sich weder gern noch lange von Dienern, denen er voll vertraute. Gerecht, wie er war, bemühte er sich dennoch, jedem das Seine zuzugestehen. Obwohl er seine Gemahlin nicht gerade liebte, hatte er durchaus bemerkt, wie sehr ich an der meinen hing, und mir deshalb einen weit längeren Urlaub bewilligt, als ich zu hoffen gewagt. Dafür wußte ich ihm unendlichen Dank.

Die vierzig Tage, die ich mit meiner Penelope in meinem Ithaka verlebte, waren so köstlich, daß sie zu meinen liebsten Erinnerungen gehören. Versuche ich aber, davon zu sprechen, sträubt sich meine Feder. Weiß der Teufel, warum es uns so leichtfällt, über Kummer, Leid und Sorgen zu reden, während die Worte sich nur schwer einstellen, will man das Glück beschreiben.

Vielleicht rührt es daher, daß der Mensch doch mehr zur Hoffnung denn zur Verzweiflung neigt und im Grunde meint, Glück sei, ebenso wie gute Gesundheit, ein Zustand, über den es nicht viel zu reden gibt, weil er uns natürlich ist, während Kummer eine Art Krankheit ist und der Besprechung bedarf. Und wie hätten Catherine und ich in unserem natürlichen Wohlbefinden denken sollen, daß wir nicht auch von ebenso glücklichen Menschen umgeben seien: Monsieur de Saint-Clair mit seiner Lorena und Nicolas mit seiner Henriette?

Eine große Liebe, glaube ich, erlebt man wie unschuldig, ohne zu grübeln, ohne zu fragen. Erst wenn ein Paar sich fremd wird, beginnt der Mensch, der sein Liebstes verloren hat und sich auf einmal leer und einsam fühlt, sein leidendes Herz zu erforschen.

In der ersten Blüte einer großen Liebe läßt man sich einfach von der Woge tragen, nimmt die Dinge, wie sie sich eins aus dem anderen ergeben, ohne groß nachzudenken, und selbst eine Windstille kann Wonne sein. Sind die Körper glücklich ermattet, beginnt trauliches Geplauder, man redet nur Nichtigkeiten, |119|denen aber die Stimme, der Blick, ein Seufzer einen Sinn geben, der über die Worte hinausreicht.

Trotzdem kam es in unserem zärtlichen Beisammensein wenigstens zweimal zum Streit; mit ausgefahrenen Krallen und argwöhnischem Blick warf Catherine mir die beiden heißblütigen Schwestern von Susa vor, als hätte ich deren Blut in Hitze gesetzt. Ich ließ meinem Zorn über ihre wiederholten ungerechten Beschuldigungen freien Lauf und fragte mich wieder einmal, ob es nicht klüger gewesen wäre, meine Versuchungen zu verschweigen, da ich ihnen doch gar nicht erlegen war.

Solche kleinen Hakeleien zwischen Catherine und mir blieben jedoch folgenlos; weder bei ihr noch bei mir hinterließen sie Narben. Ich sagte mir, daß die Liebe zum anderen sicherlich die schönste, aber auch die unvernünftigste der menschlichen Leidenschaften ist, und wäre Catherine so wie ich auf lange Zeit in die Ferne gereist, hätte mich bestimmt dieselbe Eifersucht geplagt. Nur hätte ich es vielleicht nicht ausgesprochen, denn nie hatte auch nur der Schatten eines Verdachts ihren Ruf gestreift, während ich vor der Ehe das gentil sesso so unersättlich liebte, daß ich es, wo es mir unerreichbar war, doch wenigstens bewunderte. Wenn ich zum Beispiel im Louvre einen Saal betrat, wo sich zufällig nur Herren befanden, ohne daß ein einziger Reifrock der Versammlung Zauber und Farbe gab, verspürte ich sofort ein Gefühl von Unbehagen und Melancholie. Und da man im Louvre, wo alle Höflinge wie unter einer Glocke leben, ständig beobachtet wird, so wie man selbst ja beobachtet, hatten die höfischen Klatschmäuler diese meine Empfindlichkeit unfehlbar bemerkt und machten hinter meinem Rücken darüber ihre Verschen und Epigramme. Nun ja, am Hof ist niemand, nicht einmal Ludwig, vor solch kleinen Bosheiten gefeit.

In jenen vierzig Tagen mit Catherine waren wir nicht nur jeder durch den anderen glücklich, sondern auch einer so glücklich wie der andere, wenn wir Emmanuel in den Armen hielten. Schöne Leserin, wenn Sie der Gnade teilhaftig sind, Mutter zu sein, und liebende Mutter, die ihre Kinder in den Himmel hebt, nicht wahr, dann können Sie mir die väterliche Parteilichkeit vergeben, wenn ich behaupte, daß Emmanuel das schönste Söhnchen der Welt war und seine Mama die beste aller Mütter?

Man muß freilich zugeben, daß die Damen in diesem Reich, je höher sie gestellt sind, sich desto weniger um ihre Kinder |120|kümmern und diese Pflichten den Ammen und Kammerfrauen überlassen, die ja nun nicht immer die saubersten noch die sanftesten sind. Weil Catherine nicht genug Milch hatte, mußte auch sie eine Amme nehmen, die sie aber mit größtem Bedacht ausgewählt hatte, und sie wohnte jedem Stillen bei, scheute sich nicht, den Kleinen selbst zu wickeln und zu baden, und weinte er bei Nacht in der kleinen Stube neben uns, war sie noch vor der Amme bei ihm. Hätte Madame de Guise von all diesen Anstalten gewußt, hätte sie sie im höchsten Grad mißbilligt; sie wären ihr sehr bürgerlich, um nicht zu sagen gewöhnlich, erschienen.

Leider wurden die guten Tage nur zu bald Nächte und die Nächte wieder Tage und die Tage wieder Nächte; es lief die höllische Maschine der Zeit, so lang für Sterbende, für Liebende so kurz und ohne einen Halt.

Der vierzigste Tag neigte sich zum Ende, als ich unverhofften Besuch erhielt: Marschall Schomberg, mein vertrauter und unwandelbarer Freund, überbrachte mir den Befehl des Königs, mich unverweilt zu Richelieu in Nemours zu begeben, seiner letzten Etappe vor Fontainebleau, wo dann der König und die Königinnen ihn erwarten würden, um ihn zu ehren und zu den großartigen Erfolgen von La Rochelle und im Languedoc zu beglückwünschen. Der ganze Hof war bereits auf dem Weg nach Nemours, um ihm Beifall zu spenden und ihm das Ehrengeleit nach Fontainebleau zu geben.

Ich freute mich auf diese Feierlichkeiten und beschloß, am nächsten Morgen in aller Frühe mit Schomberg zu reisen. Catherine wollte nicht so schnell aufbrechen, sie benötigte wenigstens zwei Tage, um ihre Sachen zu packen, und weil sie keine Lust hatte, sich in das gigantische Reisegetümmel des Hofes zu stürzen, vereinbarten wir, daß sie, von meinen Schweizern eskortiert, mich am Wochenende in meinem Pariser Haus in der Rue des Bourbons einholen würde. Ich selbst kam ja ohne unsere Schweizer aus, denn Schomberg wurde von seinen Soldaten begleitet.

Die Reise nach Nemours in Schombergs Karosse war sehr instruktiv. Der Marschall erzählte mir, was sich in Nîmes zwischen Richelieu und dem König zugetragen hatte, als dieser, höchst inkommodiert durch die in der Stadt herrschende Hitze, beschloß, unverzüglich nach Paris zurückzukehren. Worauf der |121|Kardinal sagte, daß er sich seinem Wunsch gern füge, »sofern«, fügte er hinzu, »Seine Majestät zuvor Ihren feierlichen Einzug in Nîmes halte«.

Dieser Einzug nämlich war für Richelieu von großer politischer Bedeutung, denn hierbei sollte der König den Hugenotten von Nîmes sein Versprechen, daß er ihnen Kultfreiheit gewähre, bekräftigen. Kaum aber habe Richelieu ihm den Rücken gekehrt, sei Ludwig in flammenden Zorn geraten.

»Warum das?« fragte ich Schomberg verwundert.

»Wegen des ›sofern‹.«

»Welches ›sofern‹?«

»So laßt mich denn den Satz wiederholen. Der Kardinal sagte, er füge sich gern dem Wunsch des Königs, nach Paris zurückzukehren, ›sofern Seine Majestät zuvor Ihren feierlichen Einzug in Nîmes halte‹.«

»Und was war daran so schlimm?«

»Das ›sofern‹, das dem König unerträglich in den Ohren lag, und er ließ seinem Zorn vor Zeugen freien Lauf: ›Der Kardinal stellt mir Bedingungen. Habt Ihr das gehört? Man behandelt mich wie einen Knaben, dem man die Brote buttert! Man will erlauben, daß ich nach Paris gehe, sofern ich meinen Einzug in Nîmes halte! Und was, wenn ich mich weigere, meinen Einzug in Nîmes zu halten? Darf ich dann nicht nach Paris? Zum Teufel, bin ich ein Schuljunge? Ist der Kardinal mein Hofmeister? Gibt es auf der Welt etwas Starrsinnigeres als den Kardinal, der sich nicht im geringsten um meine Gesundheit schert? Mein Gott, diese greuliche Hitze hier! Soll ich mich etwa dem Herrn Kardinal zu Gefallen über das glühende Pflaster dieser Stadt schleppen? ›Sofern‹! Hat man je eine solche Unverschämtheit gehört?‹

Keine Stunde nach dem königlichen Zornesausbruch – über den die einen sich betrüben, die anderen jubilieren – hört Richelieu von einem seiner Lauscher, welche Worte gegen ihn gefallen sind: Er zittert, er errötet, er weint.«

»Er weint?«

»Ja, er weint! Bei diesem Mann hat alles Übermaß: das unerhörte Wissen, der scharfsinnige Verstand, die Arbeitskraft, der Wille, der unzähmbare Mut, aber, müßt Ihr wissen, mein lieber Herzog, eben auch die Empfindsamkeit. Doch unbesorgt, bald hat der Kardinal seine Tränen getrocknet, seine Augen gebadet, er eilt zum König und unterbreitet ihm, ganz Milch und Honig, |122|einen genehmeren Plan: ›Man gibt bekannt, daß der König seinen Einzug in Nîmes halten wird. Im letzten Moment stellt man den französischen Garden und den Schweizern aber einen Marschall voran, und ich erkläre dem Stadtrat, der König habe eiligst abreisen müssen, um der Ständeversammlung von Tarascon vorzusitzen, und dann bestätige ich Eure Versprechen, Sire, mit allem, was die Kultfreiheit betrifft, die Ihr der Stadt gewährt.«

»Wie merkwürdig«, sagte ich, »die Hetzschreiber in Gastons Diensten verklagen Richelieu, er tyrannisiere den König! In diesem Fall ist es das ganze Gegenteil!«

»Wartet’s ab, lieber Herzog. Die Geschichte nimmt noch eine pikante Wendung.«

»Ich höre.«

»Der König ist wieder im Lot, Richelieu geht heim, wieder einmal gerettet, jedoch tief traurig, tief bekümmert. Wie bei allen Nervösen schmerzt ihn, weil die Seele leidet, fast der ganze Körper. Er legt sich nieder, verbringt eine unruhige und gequälte Nacht, und als es ihm am Morgen nicht besser ist, bleibt er im Bett liegen. Und wie er so im Bette liegt, hört er in seinem Logis großen Aufruhr, Stiefel lärmen, Türen schlagen, plötzlich geht seine Zimmertür auf, und der König bricht wie der Sturmwind herein.

›Ich habe meine Meinung geändert!‹ sagt er mit rascher Stimme. ›Ich werde schleunigst an der Spitze meiner Soldaten meinen feierlichen Einzug in Nîmes halten! Und es versuche niemand‹, setzt er in scharfem Ton hinzu, ›mich davon abzubringen! Man würde mich ebenso schwer verärgern wie gestern, als man mich zu überreden versuchte, es zu tun!‹

Und erhobenen Hauptes geht er davon.«

Hierauf wandte Schomberg mir sein breites Gesicht zu. »Nun, was sagt Ihr dazu?« fragte er.

»Daß der Umschwung ein bißchen kindisch ist, aber gleichzeitig auch unendlich rührend. Ludwig ist ein Mensch, für den das Wort ›Pflicht‹ keine leere Hülse ist. Nachdem er Richelieu abgekanzelt hatte, muß ihm klargeworden sein, daß es wirklich allein seine Sache war, feierlich in Nîmes einzuziehen und den Einwohnern Sicherheit für ihre Zukunft und die freie Ausübung ihres Kults zu geben. Also fügt er sich, aber so, daß er Richelieu seinem Gesetz unterwirft.«

»Und die Szene hat noch einen Aspekt«, sagte Schomberg. |123|»Sie ähnelt doch stark einem Liebesstreit, der gut ausgeht, weil auf beiden Seiten die Liebe und Achtung zu groß sind, als daß ein Bruch in Frage käme.«

»Und an dieser Beobachtung merkt man«, sagte ich, indem ich den schönen Schomberg lächelnd ansah, »daß hier ein getreuer Ehemann spricht.«

Worauf Schomberg laut auflachte.

»Ha, mein lieber Herzog!« sagte er, »sind wir auf dem Gebiet nicht Brüder geworden? Wie ich hörte, wart Ihr in Italien der einzige Edelmann, der den Italienerinnen widerstand. Und unsere liebwerten Klatschmäuler vom Hofe waren herb enttäuscht, weil sie nicht wie früher allerhand Geschichtchen über Euch verbreiten können.«

***

»Monsieur, auf ein Wort, bitte!«

»Gern, schöne Leserin, ich bin ganz Ohr.«

»Sie und ganz Ohr? Daß ich nicht staune!«

»Wieso? Habe ich Sie jemals abgewiesen?«

»Nein, nein. Aber offenbar brauchen Sie mich doch nicht mehr.«

»Ich bitte Sie, warum denn nicht?«

»Weil jetzt die Frau Herzogin von Orbieu die Fragen stellt. Demnach ist meine Rolle beendet.«

»Schöne Leserin, wie kommen Sie darauf? Sie werden doch, nur weil Sie sich zurückgesetzt fühlen, was aber reine Einbildung ist, einen so vergnüglichen Umgang wie den unseren nicht abbrechen wollen? Hören Sie, Madame, wenn Catherine mich etwas fragt, werde ich ihr doch Antwort geben, nicht wahr? Und wenn Sie eine Frage haben, warum sollte ich nicht auch Ihnen antworten?«

»Mein Gott, wie froh und erleichtert ich bin! Ich sah mich schon in die Vorhöfe Ihres Wohlwollens verdrängt.«

»Aber, Madame, wie kommen Sie darauf? Reden Sie!«

»Gut denn! Zweierlei Fragen möchte ich Ihnen stellen, eine ganz kleine und eine große.«

»Die ganz kleine zuerst.«

»Monsieur, wie kommt es, daß Sie in dem italienischen Kapitel dieses Bandes die beiden Schwestern von Susa nur erwähnen, aber nicht beschreiben?«

|124|»Warum hätte ich sie beschreiben sollen? Es ist ja nichts passiert.«

»Der Graf von Sault wird Ihnen doch ausführlich von diesen reizenden Schwestern erzählt haben?«

»Aber, Madame! Graf von Sault ist ein Edelmann! Er plaudert nichts aus über die Schönen, die ihm ihre Gunst schenken. Madame, zu Ihrer großen Frage.«

»Ach, nun sind Sie mir böse! Ich habe wohl wirklich ausgespielt!«

»Nein, nein. Aber Sie müssen auch verstehen, daß mir diese Fräulein von Susa schon zu den Ohren heraushängen! … Madame, Ihre zweite Frage, bitte!«

»Na schön. Warum sind der Kardinal und Ludwig, wie ja vorher schon Henri Quatre, dermaßen gegen Spanien eingestellt?«

»Wenn Sie erlauben, Madame, dehne ich Ihre Frage auf ganz Europa aus: Warum wird diese Abneigung überall geteilt, in England, Holland, den Niederlanden, den lutherischen deutschen Fürstentümern, in Schweden, im Graubündischen Veltlin, im Mailändischen, in Mantua, in der Republik Venedig? Weil all diese Staaten, ob groß, ob klein, von den spanischen und österreichischen Habsburgern bereits überfallen und unterjocht wurden oder aber deren Überfall befürchten müssen, denn diese Habsburger bedrohen mit ihren machtvollen Pranken ganz Europa, sie verheeren Deutschland, und immer noch halten sie Frankreich in tödlichem Würgegriff.«

»Welcher der beiden Habsburger Zweige hat das Spiel eröffnet?«

»Spanien, der ältere. Er war der mächtigere, weil er über das amerikanische Gold gebot und eine Infanterie besaß, die Henri Quatre, der darin Fachmann war, als die beste Europas bezeichnete. Was war da verlockender, als die angrenzenden Staaten Stück für Stück zu verschlingen? Zumal Gott es so wollte.«

»Gott wollte es?«

»Madame, Sie würden Philipp IV. höchlich erzürnen, erführe er, daß Sie das zu bezweifeln wagen! Darf ich Ihnen ins Gedächtnis rufen, daß dieser fromme und gewissenhafte König nichts unternimmt – auch nicht die opferreiche Eroberung Casales –, ohne zuvor seine Theologen zu konsultieren, und wenn ich ›seine‹ sage, dann mit Grund!«

|125|»Und zu welchem Schluß kamen sie?«

»Daß Gott die Einnahme von Casale gutheiße … Und als der König von Spanien sie über seine Großmachtpläne befragte, legten sie mit langen, beim Propheten Daniel entliehenen Zitaten dar, daß eine von Spanien dominierte Universalmonarchie in Europa Gott gefallen würde.«

»Ist das zu glauben? Und wie rechtfertigten sie diesen maßlosen Anspruch?«

»Damit, daß der Allerchristlichste König der bewaffnete Arm des Papstes sei und als einziger imstande, das Tridentinische Konzil in die Tat umzusetzen, das heißt überall in Europa die protestantische Ketzerei mit Feuer und Schwert zu vernichten.«

»Wenn ich das höre, Monsieur, schaudert’s mich.«

»Wen wohl nicht? Intoleranz und Grausamkeit sind menschliche Laster. Doch wie sich einer Gott nahe fühlen kann, der sich ihnen verschreibt, ist mir unbegreiflich.«

***

Als Schomberg und ich am zwölften September in Nemours eintrafen, hatte sich dort schon der ganze Hof eingefunden. Die Stadt war wie von einer neuen Population überschwemmt und das Gedränge auf den Gassen so groß, daß wir die Karosse verlassen und zu Pferde steigen mußten. In der unübersehbaren Menge von Fußgängern, die sich da unter ohrenbetäubendem Stimmenlärm um uns tummelte, sah ich zu meiner Verblüffung sogar schöne Edelherren und hohe Damen fürbaß gehen, die offensichtlich keinen anderen Weg wußten, zum Stadthaus zu gelangen, wo Richelieu sich befand. Sie stolperten auf dem holprigen Pflaster und verrenkten sich die Knöchel, man sah, daß ihnen diese Übung ungewohnt war. Und verwundert hörte ich auf einmal eine weibliche Stimme mehrmals »Mein Cousin!« rufen. Zuerst glaubte ich nicht, daß der Ruf mir gelte, als ich mich aber beim drittenmal im Sattel umwandte, erblickte ich die Prinzessin Conti, zu Fuß, ja, Sie lesen richtig: zu Fuß! Und rechts und links wurde sie von Graf von Sault und von Marschall Bassompierre eingehakt.

In Hof und Stadt nannte mich die Prinzessin Conti stets »mein Cousin«, um jedermann zu verhehlen, was jedermann |126|wußte, nämlich daß sie meine Halbschwester war und dieselbe Mutter hatte wie ich, die Herzogin von Guise.

»Mein Cousin«, sagte oder vielmehr schrie sie, denn anders hätte ich sie in dieser brausenden Volksmenge nicht verstanden, »ich wäre Euch mein Leben lang verpflichtet, wenn Ihr mich hinter Euch auf die Kruppe nähmt! Mir bluten die Füße!«

»Mit Freuden!« erwiderte ich, »wenn die Herren Euch zu mir heraufheben wollten? Ich weiß nur nicht, wie Ihr rittlings auf meiner Accla aufsitzen wollt mit Eurem Reifrock.«

»Daran soll es nicht scheitern«, sagte die Prinzessin. »Den zieh ich aus.«

»Aber, meine Liebe!« rief Bassompierre. »Habe ich recht gehört? In der Öffentlichkeit! Vor all den Leuten!«

»Warum denn nicht?« versetzte die Prinzessin in einem Ton, der zeigte, daß unser großer Bassompierre daheim nicht die Hosen anhatte.

Und schon tat sie, wie angekündigt, und das mit einer Behendigkeit, die bewies, daß auch eine sehr hohe Dame nicht immer einer Zofe bedurfte, um sich zu entkleiden. Graf von Sault und Bassompierre war dies weitaus peinlicher als ihr, und sie mühten sich nach Kräften, indem sie sie umstellten, die Entkleidung zu verbergen.

»Meine Accla«, sagte ich leise, indem ich ihre feinen Ohren liebkoste, »daß du mir jetzt nicht bockst! Du wirst gleich eine titelschwere, aber leichtgewichtige Prinzessin zusätzlich auf deinem Rücken tragen, und wenn du brav bist, bekommst du zur Belohnung heute abend eine große Kelle Honig.«

»Mein lieber Herzog«, sagte Graf von Sault, »glaubt Ihr, daß sie Euch versteht?«

»Das Wort ›brav‹ versteht sie sehr gut, und noch besser das Wort ›Honig‹; das genügt, daß sie das Ganze versteht.«

Und tatsächlich, Accla muckste nicht, als die Prinzessin Conti, von ihren galanten Helfern emporgehoben, sich auf ihrer Kruppe niederließ. Dann verlangte die Dame ihren Reifrock und knüpfte ihn sich wieder um die Lenden. Worauf sie mich mit beiden Armen umschlang und sich an meinen Rücken schmiegte.

»Meine Cousine«, sagte ich leise, mich zu ihr umwendend, »ist es nicht seltsam, daß Ihr Euch soviel Mühe macht, einen Minister zu sehen, den Ihr haßt?«

|127|»Oh, ja, ich hasse ihn und werde ihn sogar noch nach dem schmachvollen Tod hassen, den ich ihm wünsche«, erwiderte sie rasch. »Aber wenn Ihr, mein Cousin, den Hof besser kennen würdet, wüßtet Ihr, daß es Ereignisse gibt, wo man sehen und gesehen werden muß.«

»Vornehmlich gesehen werden, schätze ich.«

»Spottet ruhig, Verehrtester! Ihr werdet erleben, daß der Ruhm Eures albernen Kardinals schon morgen zerronnen ist und alle Welt bei Hofe allein von mir und meiner öffentlichen Entkleidung reden wird.«

Worin meine schöne Stiefschwester irrte, denn zur allgemeinen Verblüffung ereignete sich am folgenden Tag in Fontainebleau ein Skandal, der die Grundfesten des Staates erschütterte, und in dem gewaltigen Wirbel, den er auslöste, fiel die Entkleidung meiner schönen Cousine wie ein Blättchen ins Wasser.

Was mich angeht, so war ich entzückt, als der Kardinal auf die Freitreppe des Stadthauses trat und ein Beifall mit freudigen Rufen ohne Ende aufbrandete, aber nicht etwa nur seitens des Hofes, der doch vollzählig versammelt war, gut erkennbar an seinem prächtigen Gefieder, sondern auch von den Bürgern der Stadt, von Priestern, Kaufleuten, Marktschreiern, Maurern und Straßenarbeitern, ja sogar von Bauern aus den umliegenden Dörfern. Der Kardinal sagte nur wenige Worte, er sprach über die Wohltaten der endlich nun errungenen Einigkeit aller Franzosen, die das Reich in einem Maße stärken werde, daß der König die Angriffe des Feindes künftig siegreich bestehen könne.

So kurz seine Rede war, dünkte sie mich doch sehr geschickt, denn Richelieu verstand es, sich unauffällig Gerechtigkeit zu erweisen, gerade indem er allen Ruhm dem König zusprach. Das Ergebnis war, wie er es erwartete: Ludwigs Name wurde lauter und höher gepriesen als seiner.

Doch es wurde Abend, und in ganz Nemours war beim besten Willen keine Unterkunft aufzutreiben. Wie unsere Fouriere zu sagen pflegten: Nirgends ging mehr eine Nadel hinein. Zu guter Letzt bot Schomberg mir die eine Bank seiner Karosse, und er bezog die andere, nicht ohne einen unserer Junker samt unseren vier Pferden ins Lager der Musketiere des Kardinals zu schicken, damit der Kardinal uns am nächsten Morgen zu finden wisse.

|128|Und das war wohlgetan, denn in der Frühe erschien ein Gefreiter besagter Musketiere samt unseren Knechten und Pferden und sagte, er habe Order, uns zur Karosse des Kardinals zu geleiten.

Richelieu empfing uns mit einer Leutseligkeit, die ihm nicht alle Tage zu Gebote stand, und Schomberg fragte ihn, ob er mit der Wendung zufrieden sei, welche die Dinge in Frankreich und außerhalb Frankreichs genommen hatten. Wäre Schomberg nicht ein so schlichter und ehrenwerter Mann gewesen, hätte Richelieu, der Fragen ebensowenig liebte wie der König, ihm wohl eine Abfuhr erteilt. Doch sei es, daß er den langjährigen treuen Diener des Königs nicht vor den Kopf stoßen wollte, sei es, daß ihm bei dem Gedanken an all die gegen ihn gerichteten heimtückischen Intrigen das Herz überquoll, jedenfalls sprach er dies eine Mal rückhaltlos.

»Die Belagerung von La Rochelle«, sagte er, »der Sieg von Susa, die Befreiung von Casale, die Unterwerfung des Languedoc waren für den König große Erfolge, zu denen ich mein Bestes beigetragen habe. Doch vergolten werden diese Erfolge offensichtlich mit einem Haß, der, weil er Seine Majestät nicht erreichen kann, mich zu treffen droht. Nie wird es in diesem Reich an niedrigen und erbärmlichen Seelen mangeln, denen es angesichts der Tugend eines anderen nicht das Innerste zerreißt vor Begier, ihn zu vernichten, wenn sie könnten, nur weil er Vorzüge besitzt, die sie nicht haben.«

»Und doch, Eminenz«, sagte Schomberg, »habt Ihr allen Grund, mit dem Ergebnis Eurer unermeßlichen Arbeit zufrieden zu sein.«

»Ich bin zufrieden, ja«, sagte Richelieu, »aber offengestanden esse ich mein Brot in Schweiß und Sorgen.«

Hierauf herrschte großes Schweigen in der Karosse, weder Schomberg noch ich mochten diesem erschütternden Geständnis auch nur ein Wort hinzufügen. Recht bedacht, schien es mir aber, daß die Sorgen des Kardinals nicht gerechtfertigt waren und daß er die Entschlossenheit des Königs, ihn gegen seine Feinde zu verteidigen, unterschätzte. Wahrscheinlich lag es daran, daß Richelieu in seiner außerordentlichen Empfindlichkeit den königlichen Hieb von Nîmes als den härtesten empfand, denn der Zorn des Königs auf seinen Minister hatte sich öffentlich, unter demütigenden Bedingungen entäußert.

|129|Was der Kardinal uns soeben anvertraut hatte, mochte ihn selbst überrascht haben, denn gleich danach lehnte er seinen schmalen, schmerzenden Kopf an die lederne Rücklehne und schloß die Augen, nicht um zu schlafen, denke ich, sondern um deutlich zu machen, daß er kein weiteres Gespräch wünschte, bis wir in Fontainebleau einträfen.

Wir hatten Nemours so frühzeitig verlassen, daß erst eine Hälfte des Hofes in Fontainebleau eingetroffen war, als wir am Schloß anlangten, und dort nun meldete man Richelieu zu seiner großen Enttäuschung, der König sei noch nicht zurück von der Jagd. Jedoch sei die Königinmutter, verkündete der Großkämmerer, von seiner Ankunft unterrichtet und erwarte ihn mit den Höchsten des Hofes. Richelieu war verstimmt, denn immerhin hatte er am Vorabend in Nemours ein Billett erhalten, worin der König seine Freude auf ihr baldiges Wiedersehen ausdrückte.

Leser, nun höre, wie der Empfang sich abspielte. Ich betrat vor Richelieu den großen Saal, wo die Königinmutter thronte, und war nach tiefer Verbeugung vor Ihrer Majestät im Begriff, ihr die Ankunft des Kardinals zu melden, als sie mich in jener schroffen und garstigen Art ansprach, die sie für Größe hielt.

»Nun, Herzog«, sagte sie, »wo ist unser Mann?«

»Madame«, sagte ich, »der Herr Kardinal war kaum seiner Karosse entstiegen, als er von einer Menschenmenge umringt wurde. Seine Musketiere mußten ihm einen Weg bahnen, was seine Zeit brauchte, doch in Kürze wird der Herr Kardinal sich Eurer Majestät zu Füßen werfen.«

Sie erwiderte nichts darauf, sondern sah von mir ab auf ihr Diamantarmband, das sie um ihr Handgelenk kreisen ließ. Eine Unhöflichkeit, die jeder von ihr kannte, der nicht mindestens Marschall von Frankreich oder Prinz von Geblüt war. Nicht grundlos sagt Saint-Simon von ihr, sie sei »in höchster Weise borniert« gewesen, und vermutlich sprach sich in dieser Borniertheit aus, welchen außerordentlichen Rang sie sich beimaß. Wie mir berichtet wurde, sagte sie, nachdem sie zum zweitenmal von ihrem Sohn verbannt wurde: »Ich mußte ertragen, was eine Frau von minderem Rang als ich nicht so geduldig gelitten hätte.« Dieser Satz scheint mir von einer Einfalt, daß ich mich scheue, seinen Sinn zu ergründen. Meinte sie, daß eine Königin trotz ihres Ranges leide wie ihre Kammerfrau? Und wäre |130|dies der Sinn, wie sollte man ihr nicht recht geben? Auch gegen die Großen dieser Welt benehmen sich Krankheit und Tod sehr ungezogen.

Ich verneigte mich also ein zweites Mal und trat, wie es das Protokoll befahl, drei Schritt zurück, grüßte von neuem und gesellte mich zur Gruppe der Großen und der hohen Damen, wo ich gute Aufnahme fand, bei den Damen, weil sie mich als ihren großen Bewunderer kannten, und bei ihren Galanen, weil auch jene, die nicht an unseren Kämpfen teilgenommen hatten, sich unserer Siege freuten. Kurz, ich mischte mich unter sie und blickte wie alle zur Königinmutter mit einem Respekt, dem Sie, Leser, wären Sie zugegen gewesen, nicht hätten trauen dürfen, denn hinter ihrem Rücken nannten einige von uns sie »Jesabel«, kein sehr schmeichelhafter Spitzname, wie Sie sich aus der Bibel entsinnen werden.

Und während ich so nach ihr blickte, sagte ich mir, daß man, wenn man alt wird, ja nicht unbedingt schlank bleiben müsse wie meine Patin1, die Herzogin von Guise, immer noch elegant in Gestalt, Haltung und Gang. Denn leider glich die Königinmutter ihr in diesen Punkten ganz und gar nicht. Dem guten Essen, dem Schlaf und den Süßigkeiten hold, stand sie mehr als üppig im Fleisch, und ihr Gesicht wurde von Hängebacken und einem Doppelkinn entstellt.

Was für ein Jammer, daß nicht eine gute Fee ihr die Hälfte ihres Gewichts wegzaubern konnte, denn sie war so prunkvoll geputzt, ihr hellblaues Seidengewand über und über mit Perlen besetzt, und ihren Nacken umgab ein hoher, diamantenübersäter Spitzenkragen. Schöne Leserin, verzeihen Sie, wenn ich Ihnen die drei Kolliers nicht im einzelnen beschreibe, die sie unter ihrem Doppelkinn trug, auch das halbe Dutzend kostbarer Ringe an ihren Fingern nicht, denn meine Augen hafteten gänzlich an dem prächtigen Armband an ihrem linken Handgelenk, auf das sie sehr stolz sein mußte, weil sie es immerzu ins beste Licht zu rücken trachtete.

Dieses berühmte Kleinod hatte eine Geschichte. Die Königin hatte es zu Anfang des Jahrhunderts von italienischen Juwelieren |131|erworben. Und es war unstreitig das größte, schwerste und kostspieligste Diamantarmband, das es seinerzeit in Europa gab. Vierhundertfünfzigtausend Livres sollte es kosten. Als Henri Quatre diesen Preis hörte, platzte er vor Zorn: »Und Ihr habt es genommen!« schrie er. »Sankt Grises Bauch, Madame, Ihr seid so verrückt! Ihr seid verrückt, daß man Euch fesseln sollte! Wollt Ihr das Reich ruinieren? Vierhundertfünfzigtausend Livres! So viel, um eine ganze Armee gegen unsere Feinde aufzustellen! Gebt diese blöden Steine den gerissenen Juwelieren zurück, die sie Euch angedreht haben. Ihr könnt todsicher sein, daß ich sie nie und nimmer bezahlen werde.«

Die Juweliere waren tatsächlich sehr schlaue Leute. Da der König unbeugsam blieb, trafen sie mit der Königin eine Abmachung, die für sie vorteilhafter nicht sein konnte: Die Königin hatte ihnen jährlich eine hohe Zinsrate auf die vierhundertfünfzigtausend Livres zu zahlen, und das blieb bis zu dem Tag, an dem sie diese Summe bezahlen konnte. Die Königin war begeistert. Sie akzeptierte und zahlte besagte Zinsen Jahr für Jahr, und als sie durch Henri Quatres Ermordung Regentin wurde, legte sie Hand an den Staatsschatz der Bastille, bezahlte die Juweliere und vergeudete den Rest mit törichten Festen. Man hätte die Königinmutter in großes Erstaunen versetzt, hätte man ihr gesagt, daß dieses Armband sie mit den alljährlichen Zinsen und der Kaufsumme, die sie am Ende beglich, das Doppelte des ursprünglichen Preises gekostet hatte.

Endlich betrat Richelieu den Saal und trat gemessenen Schrittes vor den Thron, wo die Königinmutter saß. Das Schweigen, das herrschte, wurde noch tiefer. Die Großen des Hofes hielten streng den Mund und spitzten das Ohr, um jedes Wort zu erlauschen, das der Kardinal zur Königinmutter sagen und das sie dem Minister antworten würde, der ihrem Sohn bei seinen Feldzügen so vortrefflich gedient hatte.

»Madame«, sagte Richelieu, »es ist mir eine große Freude, Eure Majestät wiederzusehen nach so vielen Siegen, die den Armeen des Königs zu danken sind und die Euch, Madame, Eurer Majestät und Eurem Sohn einen Ruhm einbringen, der noch durch künftige Jahrhunderte hallen wird.«

Wie in allen Lebenssituationen, ob im Großen Königlichen Rat oder im persönlichen Gespräch, wußte Richelieu unfehlbar die den Umständen und seinem jeweiligen Gespächspartner |132|gemäßen Worte zu finden, und niemand wunderte sich über dieses so gewandte und wohlgeformte Kompliment. Was die Anwesenden jedoch verwunderte oder vielmehr sprachlos machte, war das Verhalten der Königinmutter. Denn sie gab dem großen Minister, diesem treuen königlichen Diener, dem das Reich soviel verdankte, keine Antwort: Hoch aufgerichtet, mit verkniffenen Lippen und eisigem Blick maß sie ihn verächtlich von oben herab. Wäre diese Haltung nicht so verletzend gewesen, hätte ich sie komisch gefunden. Denn offenbar waren dieses kränkende Schweigen und diese verächtliche Haltung gegenüber dem Werkmeister unserer Siege vorbedacht und im voraus zurechtgelegt worden, womöglich sogar vor einem Spiegel geprobt. Nur war die Königinmutter leider eine schlechte Komödiantin: Sie chargierte.

So verletzt der Kardinal von einem so unerwarteten Empfang im Innern auch war, wartete er doch ehrerbietig, sehr bleich, aber beherrscht, daß die Königinmutter ihn beurlaube. Was sie nun in arge Bedrängnis brachte, denn einmal zu eisigem und verächtlichem Schweigen entschlossen, wußte sie nicht mehr heraus, und je länger das währte, desto künstlicher wirkte es, gegen alle Regeln des Protokolls.

Schließlich setzte der Kardinal der Peinlichkeit selbst ein Ende: Er grüßte die Königinmutter, indem er in seine Verneigung allen Respekt legte, den er ihr schuldete, wich drei Schritt zurück, verneigte sich wiederum tief und ging. Alle diese Bewegungen entsprachen den protokollarischen Regeln und wurden mit der Grazie ausgeführt, die man am Hof von einem Edelmann erwartet.

Kaum hatte Richelieu die Schwelle des Saals überschritten, da hob ein Raunen an, die Anwesenden machten einander sotto voce1 tausenderlei und, wie mir schien, für die Königinmutter meistenteils nachteilige Bemerkungen, denn auch wer den Kardinal nicht liebte, fand, sie sei in Schroffheit und Verachtung zu weit gegangen, Richelieus Anteil an unseren Siegen war unumstritten.

Währenddessen betrachtete ich die Königinmutter mit aller Aufmerksamkeit und hatte den Eindruck, daß sie höchst zufrieden war, so hart mit Richelieu gebrochen zu haben. Wahrscheinlich |133|bildete sie sich in ihrem bißchen Gehirn sogar ein, daß sie aufgrund ihres Ranges den Krieg nur gewinnen könne, den sie diesem »Hanswurst von Kardinal« soeben erklärt hatte.

Wenn Richelieu eines Balsams für seine Wunde bedurfte, brauchte er hierauf nicht lange zu warten. Von der Jagd zurück, empfing ihn der König – laut den Worten des Kardinals – »so liebreich und zugewandt, wie es sich gar nicht sagen läßt«. Und als er ihn um ein vertrauliches Gespräch bat, willigte der König ein, worauf er sich mit ihm in ein Kabinett begab, in welches Richelieu mich als Zeugen des Vorgefallenen mitnehmen durfte, denn der König sollte nicht denken, er übertreibe seine Herabsetzung durch die Königinmutter. Tatsächlich hatte die Szene sich ja ohne Worte abgespielt, und nichts ist so schwierig, wie Mienen zu beschreiben.

Richelieu gab dem König einen nüchternen Bericht, und zum Schluß wandte er sich an mich, damit ich seine Aussage bestätige. Doch Ludwig unterbrach ihn.

»Monsieur d’Orbieu«, sagte er, »Euer Zeugnis ist unnötig. Ich glaube dem Kardinal. Ich kenne das theatralische Gehaben nur zu gut, mit dem die Königinmutter von ihrem Olymp herab ihre tiefste Verachtung bekundet. Mehr als einmal habe ich das als Kind erlebt. Wenn man wie sie das vorstehende Kinn der Habsburger geerbt hat, fällt es leicht, Mienen zu ziehen, die man für vernichtend hält.«

»Sire«, sagte Richelieu, »es ist nur so, daß die Königinmutter, die zweite Person im Staate, mich öffentlich beleidigt hat. Unter diesen Umständen kann ich Euch nur bitten, akzeptieren zu wollen, daß ich mich von den Geschäften zurückziehe.«

»Oh, davon kann gar nicht die Rede sein! Keinen Augenblick!« sagte Ludwig mit aller Festigkeit. »Ich will, daß Ihr die Staatsgeschäfte weiterführt. Habt Ihr bedacht, welch großen Eklat und Schaden Eure Demission nicht nur im Reich, sondern auch im Ausland auslösen würde? Was die Königinmutter angeht, beunruhigt Euch wegen ihrer Mimik nicht. Früher oder später mache ich mich von ihren Ungehörigkeiten frei und setze damit auch dem Treiben der Kabalen ein Ende.«

Wir verließen das Kabinett, der König schied von uns, und der Kardinal nahm mich mit zu den Räumen des Schlosses, die ihm zugeteilt waren. Seine Diener, sein Majordomus, ein Hauptmann und zwei Musketiere waren bereits am Werk, die einen, |134|die Zimmer zu säubern, die anderen, den Wachdienst einzurichten.

»Charpentier! Wo ist Charpentier? Ich brauche Charpentier! Wo, zum Teufel, ist Charpentier?« rief ungeduldig der Kardinal, indem er durch die Zimmer eilte.

»Eminenz«, sagte der Majordomus mit jener Langsamkeit und Schwerfälligkeit, die diesem Amt anzuhaften scheinen, »Euer Herr Sekretär ist nicht hier.«

»Wo ist er denn?«

»Eure Eminenz schickten ihn mit einer Nachricht zum Herrn Marschall von Bassompierre.«

»Richtig! Richtig!« rief der Kardinal, »und bei allen Heiligen«, setzte er aufgebracht hinzu, »nun ist er weg, wo ich ihn am nötigsten brauche.«

Dieser Vorwurf war von so schreiender und komischer Ungerechtigkeit, daß er es selber merkte. Auf der Stelle wurde er ruhig und wandte sich lächelnd an mich.

»Mein Cousin«, sagte er, »würdet Ihr Euch sehr erniedrigt fühlen, wenn ich Euch bäte, nach meinem Diktat einen Brief an die Königinmutter zu schreiben?«

»Eminenz, ich würde mich überhaupt nicht erniedrigt, vielmehr hoch geehrt fühlen. Wie Ihr vielleicht noch wißt, habe ich Euch schon einmal in Eurer Karosse als Sekretär gedient.«

»Ja«, sagte Richelieu, »und ich weiß auch noch, wie hurtig und elegant Eure Schrift war.«

Ich schlürfte diesen Löffel Honig mit gebührendem Respekt, und als ein Diener Briefbogen, Tinte und einen ganzen Satz Federn brachte, wählte ich mir die bestgespitzte, tauchte sie ins Tintenfaß und wartete. Und Sie glauben ja nicht, Leser, mit welchem Frohlocken ich das Diktat des Kardinals zu dem nachfolgenden Brief aufnahm. Denn dieser Brief war durchaus nicht das Spiel von Katz und Maus, sondern, umgekehrt, das Spiel einer Maus, die den Krallen der Katze entwischt ist und sich nun den Spaß macht, dieser den Schnurrbart zu kitzeln.

 

Madame, ich habe am heutigen Tag die gleiche Leidenschaft, Euch zu dienen, wie ich sie immer hatte. Da ich aber sehe, daß ich Euch mißfalle, empfinde ich die größte Pein, die ich je empfand, und bitte Euch gutzuheißen, daß ich mich zurückziehe. Mit Respekt lege ich alle Ämter in Eure Hände, die ich |135|von Euch erhielt. Mit mir nehme ich meine Verwandten, die in Eurem Dienst standen. Glaubt bitte, daß ich, auch wenn ich Euer Wohlwollen verloren habe, mich gleichwohl nicht von dem entbunden fühle, was ich Euch seit vierzehn Jahren schulde. Ich bleibe Euer Diener bis zum letzten Seufzer meines Lebens. Inständig bitte ich Euch, beim König dafür einzutreten, daß er meine Demission annimmt, mein Entschluß in diesem Punkt ist so unumstößlich, daß ich lieber sterben wollte, als am Hof zu bleiben zu einer Zeit, da mein Schatten mir Pein bereitet.

Kardinal von Richelieu

 

Dieses Briefchen, das nur scheinbar liebevoll und respektvoll nur an der Oberfläche war, wurde mir in einem Zug diktiert, und während ich es, so schnell ich konnte, aufs Papier warf, bewunderte ich Richelieus Eleganz und Wortreichtum – besonders jenes »da mein Schatten mir Pein bereitet« am Ende des Diktats. Der Kardinal rief seinen Majordomus, faltete, siegelte das Sendschreiben und übergab es ihm mit der Order, es sogleich der Königinmutter zu überbringen. Dann erhob er sich, öffnete ein Fenster, atmete tief durch, doch als sein Blick auf die Menge der Höflinge fiel, die da unten wartete, schloß er besagtes Fenster und wandte sich zu mir.

»Die Herren dort warten auf Euch. Wenn sie Euch fragen, wie es jetzt mit mir steht, was antwortet Ihr ihnen?«

»Daß der König«, erwiderte ich nach kurzem Nachdenken, »den Herrn Kardinal über den ersten Empfang, der ihm hier bereitet wurde, getröstet hat.«

»Nein! Nein!« rief lebhaft Richelieu. »Das geht nicht! Das hieße die Königinmutter kritisieren! Sagt nur, daß ich getröstet bin, ohne zu sagen, worüber.«

Dann fuhr er fort: »Mein Cousin, die Fouriere haben Euch im Schloß bei Monsieur de Guron logiert. Sagt ihm, er möge gegen Abend das Gesinde entfernen. Höchstwahrscheinlich wird Euch zur Vesperzeit ein Frauenzimmer besuchen.«

»Eminenz«, sagte ich, »darf ich, da ich ihr die Tür öffnen muß, ihren Namen wissen?«

»Ihr seid ihr schon begegnet.«

Und die Stimme dämpfend, als ob die Wände Ohren hätten, setzte er hinzu: »Es ist die Zocoli.«