|314|SIEBZEHNTES KAPITEL

Zu Catherines neuerlichem Unmut schickte mich der König mit Fogacer im November 1632 nach Bordeaux, um dort Richelieu, Anna von Österreich und die Chevreuse zu treffen, die von Brouage zurückkehrten, denn Seine Eminenz hatte der Königin dort voller Stolz den Hafen gezeigt, den er aus einem bescheidenen Fischerort geschaffen und zu Lande mit Befestigungsbauten umgeben hatte. Es war tatsächlich ein bemerkenswertes Werk, doch Sie mögen sich vorstellen, Leser, wie groß das Interesse unserer kleinen Königin daran war.

Leider erkrankte Richelieu auf der Rückreise nach Bordeaux, und die bösen Zungen am Hof spotteten, er habe die Gesellschaft zweier Frauen nicht eine Woche ertragen können. Der König, der die Nachricht sogleich erfuhr, schickte, wie gesagt, Fogacer und mich aus, den Mediziner Fogacer, damit er den Minister heile, und mich, um zu verhindern, daß die Entourage der Königin sich Richelieus Schwäche zunutze machte, um ihm zu schaden.

Fogacer besuchte Richelieu und verhehlte mir nicht, daß es ihm ziemlich schlecht gehe. Er hatte einen Abszeß an der Afterpforte, dem die Ärzte mit Diät, Aderlaß und Purgationen beizukommen suchten. Auf Fogacers Rat beendete Richelieu die sinnlose Behandlung und ließ sich von einem guten Wundarzt operieren, der den Abszeß öffnete. Zwei Tage später war der Kardinal, gottlob, wieder wohlauf, nur noch geschwächt von der durchstandenen Diät. Aber wie einst die Köchin Malicou zu meinem Vater sagte: »Hunger ist eine Krankheit, die schnell geheilt ist, wenn man Brot im Kasten hat.«

Ich war in Bordeaux Gast im Haus des Gouverneurs, und kaum war Richelieu wieder auf dem Posten, erhielt ich Besuch von einem Frauenzimmer, das nur mit Mühe zu mir gelangte, so streng achtete man in Bordeaux auf Erscheinung und Manieren von Zugereisten. Man muß allerdings zugeben, daß die Zocoli mit ihrer grellen Schminke, ihrem großzügigen Dekolleté, ihren |315|gewagten Hüftschwüngen und ihrem hohen, überschleunigen Pariser Mundwerk einem Provinzler einiges Unbehagen einflößen konnte.

Monsieur de La Rousselle, der Majordomus des Gouverneurs von Bordeaux, ließ mich deshalb fragen, ob ich die Person kenne und ob ich sie zu empfangen wünsche. Natürlich bejahte ich es, eilte aber stehenden Fußes in meinen kleinen Salon zurück und überließ es Nicolas, meine Besucherin hereinzuführen. Denn stellen Sie sich vor, Leser, was Monsieur de La Rousselle gedacht hätte, wenn er hätte mit ansehen müssen, wie die Zocoli mir an den Hals fliegt und mich wie ein Schlänglein umwindet. Was sie freilich tat, aber später, nicht vor seinen Augen. Und weil ich wußte, daß nur eins auf der Welt die Zocoli wenigstens zeitweise von ihrem unersättlichen Appetit auf das starke Geschlecht abzulenken vermochte, ließ ich ihr sogleich Wein und Leckereien servieren, denen sie auch mit aller Lust zusprach.

»Kind«, fragte ich schließlich, »wie kommst du hierher?«

»Monseigneur, ich bin jetzt Zofe bei der Herzogin von Chevreuse, und weil sie mit der Königin Anna intim ist …«

»Intim?«

»Intimst. Sie folgt ihr auf Schritt und Tritt, also waren wir mit dem Kardinal in Brouage und sind jetzt wieder in Bordeaux. Aber die Bordelaiser sind ja fürchterlich.«

»Wieso? Es sind doch sehr gute, ehrenwerte und fleißige Leute.«

»Kann sein, Monseigneur, aber ich finde sie kalt wie Gurken. Da suche ich in der ganzen Stadt den Domherrn Fogacer, und überall stoße ich bei den Bordelaisern auf Abscheu und werde weggeschickt.«

»Du suchst den Domherrn Fogacer?«

»Ihr wißt schon, warum«, sagte sie augenzwinkernd.

»Ich verstehe, aber dort, wo er wohnt, läßt man dich sicher nicht ein.«

»Wo wohnt er denn?«

»Im Palast des Bischofs.«

»Zum Teufel!« rief sie und warf die Arme hoch. »Es wird ja immer schlimmer!«

»Bitte, Kind, laß den Teufel aus, wenn du vom Bischof sprichst! Aber du hast Glück, der Domherr Fogacer speist heute zu Mittag bei mir. Soll ich dir auch ein Gedeck bringen lassen?«

|316|»Mit Freuden, Monseigneur.«

Es klopfte, doch nur leise, Nicolas hatte Scheu gehabt, unser Gespräch zu unterbrechen, und als er eintrat, warf er der Zocoli einen zugleich verstohlenen und begehrlichen Blick zu.

»Monseigneur«, meldete er, »Monsieur de La Rousselle ist noch einmal hier. Er fragt, ob Ihr den Herrn Marschall von Schomberg kennt, der ebenfalls im Palast wohnt. Wenn ja, meint er, würdet Ihr ihn vielleicht gern besuchen. Es geht ihm sehr schlecht.«

Ganz aufgeregt, eilte ich und fand meinen armen Freund totenbleich, um Atem ringend und mit geschlossenen Augen auf seinem Lager. Als ich seine Hand faßte, hob er kurz die Lider, es war, als wolle er etwas sagen, aber er konnte nicht. Er röchelte immer mehr, und nach wenigen Minuten war es mit ihm vorbei. Alle Anwesenden fielen auf die Knie, oft in Tränen, die man bei alten Offizieren nicht erwartet hätte, und begannen laut zu beten.

Bei allen gesellte sich zum Kummer die Bestürzung, so stark in sich gegründet war uns Schomberg immer erschienen, so voller Lebenskraft, als könne sie sich niemals erschöpfen. Nie hatte er im Feld, wie andere, an Erkältungen, Halsentzündungen, Reißen, Magenverstimmungen oder Darmkrankheiten gelitten. Er schien von den Göttern so begünstigt, daß man ihn für unverwüstlich hielt.

Fogacer flüsterte mir zu, daß er am Morgen noch all seine Pflichten erfüllt habe wie gewohnt, fröhlich habe er sein Mittagsmahl eingenommen, und plötzlich, als er sich vom Tisch erhob, sei er zu Boden gestürzt, blaß, keines Wortes mehr mächtig. »Man holte mich«, fuhr er fort, »aber er war schon im Sterben, und weil er nicht mehr beichten konnte, gab ich ihm die Letzte Ölung. Aber was hätte dieser Mann auch zu bekennen gehabt, der in dieser verderbten Welt aller Tugenden voll war?«

Da Fogacer mich wanken und wie von Sinnen sah, schloß er mich in die Arme und half mir niederzuknien, woran er wohltat, denn die Beine trugen mich nicht mehr. Da lag nun mein armer Schomberg, niedergestreckt wie ein bronzener Herkules, der von seinem Sockel gefallen war. Doch so erschüttert und unendlich traurig ich auch war, konnte ich doch keine Tränen vergießen. Und als ich beten wollte, war meine Kehle so |317|beklommen von dem Schmerz, den Gefährten zu verlieren, den ich außer meinem Vater am meisten auf der Welt bewundert hatte, daß ich nicht imstande war, mit den Dienern, den Offizieren und Freunden, die an dem Totenbett knieten, das Paternoster zu sprechen. Still, in meine Trauer versunken, nahm ich Abschied von dem guten Freund.

***

Als Fogacer die Totenandacht beendet hatte, trat ich zu ihm und sagte leise: »Bei mir wartet eine Büßerin mit italienischem Namen, die Euch die Beichte ablegen möchte.« – »In diesem Augenblick?« fragte Fogacer. »Mein lieber Domherr«, sagte ich, »Ihr wißt, der Dienst für den König duldet keinen Aufschub.« Bevor ich das Zimmer verließ, warf ich noch einen Blick auf den toten Schomberg und sagte mir schweren Herzens: Wie ist es möglich, daß dies der letzte Blick sein soll? Jede Religion, sagte mein Vater, verspricht uns ein Leben nach dem Tod, aber weil noch nie jemand aus dem Jenseits zurückgekehrt ist, der uns gesagt hätte, was an diesem Versprechen ist, beten wir, daß es doch wahr sein möge, und dieses tausendmal wiederholte Beten gibt uns Hoffnung.

Als ich mit Fogacer in meine Gemächer kam und den kleinen Salon betrat, saß die Zocoli, oder vielmehr lag sie, in dem schönsten Sessel dort, als ob sie schlafe, mit halbgeöffneten Lippen, glücklich, wohlig wie eine satte Katze, die sich vorm Feuer aalt. Unweit davon hockte Nicolas auf einem Schemel, die Ellbogen auf den Knien und das verzerrte Gesicht in beiden Händen. Ich hätte ihn nach dem Grund gefragt, doch hatte ich andere Sorgen.

Nach einer kurzen Mahlzeit und ohne über Schombergs Tod zu sprechen, überließ ich den armen Nicolas seiner Zerknirschung und begab mich mit Fogacer und der Zocoli in das angrenzende Kabinett. Nachdem sie auch ihm berichtet hatte, daß sie nun Zofe bei der Herzogin von Chevreuse sei, die mit der Königin auf »intimstem« Fuß stehe, fragte Fogacer, wie sich dies äußere.

»Man geht buchstäblich nicht mehr auseinander!« sagte die Zocoli. »Man umarmt, man küßt sich, man schwatzt und tuschelt und heckt ständig diese und jene kleine Niedertracht aus. |318|In meiner Straße in Paris, die aber nicht den besten Ruf hat, würde man sagen, sie sind wie Hemd und Arsch.«

»Es geht um die Königin, Kind, um die Königin!« sagte fromm erschrocken Fogacer.

»Deswegen sage ich es ja auch nicht, Ehrwürden«, versetzte die Zocoli, »dazu habe ich viel zuviel Respekt vor den hohen Damen.«

»Kurz«, sagte ich, »es ist nichts wie Geplapper.«

»Geplapper, Vertraulichkeiten, Briefe, die man gemeinsam liest und verfaßt.«

»Politische?«

»Ich denke schon, die Herzogin schreibt zahllose Briefe in alle möglichen Länder: England, Lothringen, Niederlande, Spanien, die ja, soweit ich weiß, nicht alle Freunde unseres Königs sind. Aber die Herzogin ist auch ein As in Liebesbriefen. Die schreibt sie mit größter Sorgfalt, dazu macht sie zuerst Entwürfe, die ich ab und zu aus ihrem Papierkorb fische.«

»Und was steht in diesen Sendschreiben an ihre Bewunderer?«

»Ah! Die Herzogin ist gerieben und gewieft wie keiner guten Mutter Kind in Frankreich. Von ihren Bewunderern fordert sie Anbetung und Unterwerfung. Dafür verspricht sie alles, gibt aber nichts.«

»Und wer ist derzeit der Erwählte?«

»Monsieur de Châteauneuf.«

»Der Siegelbewahrer?«

»Derselbe.«

»Soso!« sagte Fogacer, die Brauen runzelnd und indem er sich in seinem Lehnstuhl straffte. »Das ändert alles!«

»Was meinst du«, fragte ich, »wie weit die Chevreuse es mit Châteauneuf treiben wird?«

»Bis er Richelieu haßt und alles tut, was sie will, und den König verrät. Darum behauptet sie, Richelieu sei in sie verliebt, damit will sie Châteauneuf von ihm trennen. Und sie verspricht ihm alles, wenn er sich ihr ergibt. Hier ist so ein Entwurf von ihrer Hand, wenn Ihr erlaubt, lese ich ihn vor.«

»Wir hören.«

»Ich versichere Euch, schreibt sie an Châteauneuf, daß ich Euch immer leiten werde, und ich befehle Euch, mir nicht nur zu gehorchen, um Eurer Neigung zu folgen, wenn Euch danach ist, |319|sondern um meinen Wunsch zu befriedigen, der darin besteht, absolut über Euren Willen zu gebieten.«

»Und ist der alte Narr dazu bereit?« fragte ich.

»Wenn man ihn mit ihr sieht, ja.«

»Wenn ich meinen Ohren traue«, sagte Fogacer, »ist die Sache ernst im höchsten Grade! Châteauneuf ist Minister, Mitglied des Großen Königlichen Rats, er kennt Staatsgeheimnisse. Dabei schient er in Wahrheit nicht mehr dem König und Richelieu zu dienen, sondern dieser erbitterten Feindin des großen Ministers.«

»Und wie reden die Damen, wenn sie allein sind, über den König und den Kardinal?«

»Ha, Monseigneur!« sagte die Zocoli errötend, »das wage ich nicht zu wiederholen, es ist zu grob und vulgär.«

»Wahrhaftig?«

»Wahrhaftig, Monseigneur! Sie reden untereinander wie die Fischweiber von den Hallen. Die wollen Königin und Herzogin sein? Ich würde mich schämen, deren Wörter in den Mund zu nehmen.«

»Tu es trotzdem.«

»Ich traue mich nicht.«

»Ich befehle es.«

»Wenn Ihr es unbedingt wollt? Als Seine Eminenz der Kardinal an seinem Abszeß litt, haben die Königin und die Chevreuse ihm einen Spitznamen gegeben, den sie immerzu wiederholten und über den sie sich totlachen wollten.«

»Wie lautete der Spitzname?«

»Stinkarsch.«

»Mein Gott!« sagte Fogacer, und sprachlos sahen wir einander an.

»Und jetzt das Böseste, was sie vom König sagen«, befahl ich.

»Nein, nein, Monseigneur, das sage ich nicht! Auf gar keinen Fall! Das würde ich nicht einmal unterm Henkersbeil sagen.«

»Dann gib in deinen Worten wieder, was die Königin ihm vorwirft.«

»Nun, sie sagt, wenn sie noch keinen Dauphin habe, so läge das nicht an ihren dauernden Fehlgeburten, sondern weil der König es nicht bringt.«

|320|»Das ist unerhört!« sagte ich. »Wie kann die Königin mit solchen Unterstellungen den böswilligen Hofklatsch unterstützen?«

»Das heikle an der Sache ist«, sagte Fogacer, »wie man diese Bosheiten dem König mitteilen soll?«

»Wir werden sie nicht dem König sagen«, versetzte ich, »sondern Richelieu. Richelieu ist alles erlaubt.«

Hier ergriff zu unserer Verwunderung die Zocoli das Wort, um die Königin zu verteidigen.

»Monseigneur«, sagte sie, »man darf der Königin das nicht zu sehr verübeln. Der Hof hat sie wegen ihrer vielen Fehlgeburten dermaßen niedergemacht, daß sie nun versucht, die Schuld dem König zuzuschieben.«

»Dann mag der König ihr vergeben«, sagte Fogacer, »wie er es ja schon oft getan hat. Wir haben darüber nicht zu befinden, sondern nur diese Reden weiterzugeben. Ob sie gemein und verwerflich sind, ist nicht unsere Sache.«

Fogacer wollte vor der Zocoli aufbrechen, sicherlich um auf der Straße nicht in der Nähe der auffälligen Person gesehen zu werden. Als er ging, umarmte er mich und sagte mir ins Ohr: »Beweint den armen Schomberg nicht zu sehr. Eher kann man ihn doch beneiden: Er hat sein Leben so gut bestanden, von allen geliebt und verehrt.« Damit enteilte er in seinem hurtigen Schritt. Ich war mir weniger sicher, daß ein gut bestandenes Leben einen über den Tod trösten könne, doch tat mir Fogacers Freundschaft jedenfalls wohl.

Als die Zocoli ging, wollte sie Nicolas und mich umarmen, was ich gern zuließ, aber Nicolas entzog sich dem Frauenzimmer mit bekümmertem und grimmigem Gesicht. Als ich ihn fragte, was er gegen die Zocoli habe, stürzten ihm dicke Tränen aus den Augen.

»Monseigneur«, sagte er, »ich bin ein Schuft! Ich habe meine Henriette betrogen.«

»Mit der Zocoli?«

»Ja. Der Teufel hole die Hexe!«

»Nicht doch, eine so gute Spionin! Beruhige dich, Nicolas, vergiß die göttliche Barmherzigkeit nicht. Der Herrgott verdammt einen Sünder nicht so schnell, wenn er bekennt und bereut.«

»Ach, Monseigneur!« rief Nicolas, und die Tränen strömten ihm nur so über die jungen Wangen. »Das ist doch nicht das |321|Schlimmste. Das Schlimmste kommt erst, wenn ich in Paris meine Sünde Henriette beichten muß!«

»Du willst es ihr sagen?«

»Ist das nicht meine Pflicht?«

»Aber nein! Das hieße eine Dummheit nach der anderen begehen! Wieso willst du der Ärmsten einen solchen Kummer zufügen, der sie dazu verdammt, dir bis ans Ende der Zeiten zu mißtrauen?«

»Ich weiß nicht. Mein Beichtvater ist ein strenger Mann, es kann gut sein, daß er von mir verlangt, Henriette dieses Geständnis zu machen.«

»Dazu hat er kein Recht. Wozu soll man einer Unschuldigen Leiden bereiten? Beichte lieber dem Domherrn Fogacer. Er kennt das Leben und wird dich nicht verdammen wie so ein lebensfremder Priester.«

Sowie Nicolas wieder Mut gefaßt hatte, schickte ich ihn zu Charpentier, um auszurichten, daß ich um die Ehre bäte, Seine Eminenz baldmöglichst zu sprechen, ich hätte Interessantes zu berichten. Und Nicolas, den ich ermahnte, sich nicht am Ufer der Gironde zu vertrödeln, deren Breite ihn sehr beeindruckte, kehrte tatsächlich zurück wie der Wind und sagte, der Kardinal breche am anderen Morgen um acht Uhr auf nach Paris, ich solle ihm in meiner Karosse folgen, er werde mich an der nächsten Etappe empfangen.

So geschah es. Und ich war es zufrieden, denn diese letzten Novembertage waren sehr kalt und die Karosse des Kardinals angenehm warm durch die Glutbecken, auf die man die Füße stellen konnte.

Richelieu, dem die Tage immer zu kurz waren, hieß mich ohne Umschweife berichten, was ich von der Zocoli gehört hatte. Und ich tat es, so genau und so knapp ich konnte.

Er schien mir stark pikiert zu sein von dem schmutzigen Wort der Königin und der Chevreuse, seine Hinterfront betreffend, doch tat er es als nichtig ab. In ernstliche Erregung versetzte ihn hingegen, daß Châteauneuf sich zum Sklaven der Chevreuse machte. Trotzdem bezeigte er in dieser Sache Zweifel. Und wie hätte ein Mann wie er, von so großer seelischer Festigkeit und überdies so wenig empfänglich für weiblichen Zauber, sich auch in einen Graubart hineinversetzen können, der einer erzkoketten Frau verfallen war?

|322|Gewiß, er wußte bereits, daß Châteauneuf den Ehrgeiz hegte, ihm nachzufolgen, und daß er, als er zu Bordeaux an seinem Abszeß erkrankte, an die Chevreuse geschrieben hatte, er sei »höchst ungeduldig zu erfahren, ob Seine Eminenz an diesem Leiden sterben werde«. Doch war Châteauneuf zu dem Zeitpunkt noch nicht soweit, Verrat zu begehen. Um den Zweifel des Kardinals darüber zu zerstreuen, wie groß die Macht der Chevreuse über ihren alternden Galan war, legte ich ihm jenen Entwurf vor, in dem die Dame in hochmütigen Worten von Châteauneuf unbedingten Gehorsam forderte. Richelieu war baff, und er geriet in große Sorge, daß Châteauneuf den diabolischen Reifröcken Staatsgeheimnisse verraten haben könnte.

Wenn ich mich recht entsinne, dauerte die Reise ungefähr zehn Tage, bis wir Paris erreichten, und die Kälte wurde immer bissiger, je weiter wir nach Norden kamen. In Paris angelangt, ließ Richelieu meine Karosse ohne mich ins Hôtel des Bourbons fahren, samt einem Billett an die Frau Herzogin von Orbieu, worin er ihr sagte, daß er mich zum König mitnehme, mich aber vor Mittag zu ihr schicken werde.

Der König strahlte, seinen Minister wiederzusehen, den einzigen Menschen, den er wirklich liebte und in den er uneingeschränktes Vertrauen setzte. Er drückte ihm beide Hände und bezeugte ihm durch seine Blicke die innigste Freundschaft. Es versteht sich, daß auch ich noch ein wenig von diesem warmherzigen Empfang profitierte, was mir großes Vergnügen bereitete.

Gemäß der Verabredung zwischen Richelieu und mir berichtete ich Seiner Majestät, was die Zocoli mitgeteilt hatte, mit Ausnahme der ungezogenen Reden über Seine Majestät, die Richelieu nicht ohne Grund Ludwig lieber im Vertrauen sagen wollte.

Der König war nicht sonderlich erstaunt, als er von dem Verhältnis zwischen Châteauneuf und der Chevreuse hörte wie auch von der Tyrannei, die sie über ihn ausübte.

»Jetzt ist alles klar«, sagte er. »Erinnert Ihr Euch, wie wir in Lothringen die kleine Festung angriffen, die nach unseren Informationen schwach und schlecht verteidigt wurde, und wie wir plötzlich eine starke Garnison vor uns hatten? Es war offenbar, daß unser Plan verraten worden war. Und das kann nur |323|Châteauneuf gewesen sein, der in seiner schuldigen Schwachheit die Chevreuse in unseren Angriffsplan einweihte, die davon sofort den Herzog von Lothringen unterrichtet hat.«

Hierauf sagte mir Seine Majestät, daß er am folgenden Tag nach Saint-Germain gehe und daß er Weisung erteilt habe, dort auch Gemächer für die Herzogin von Orbieu und mich zu reservieren. Zu Catherines großer Enttäuschung wurde jedoch nichts daraus, denn wegen ihrer Schwangerschaft hatte sie ständig mit Übelkeit und Erbrechen zu kämpfen, so daß ich sie im Hôtel des Bourbons zurücklassen mußte.

Der fünfundzwanzigste Februar 1633 hat sich meinem Gedächtnis unverlierbar eingeprägt, denn an jenem Tag versammelte Ludwig im großen Saal von Saint-Germain den Ministerrat und den Großen Königlichen Rat, was noch nie vorgekommen war und woraus mehr als einer mutmaßte, daß etwas geschehen würde, weshalb unruhige Blicke vom einen zum anderen gingen, bis die Tür sich hinter uns schloß.

Es trat Stille ein, und das ging schnell, so sehr fürchteten die Räte und Minister die Ermahnungen des Königs, der die Schwätzer zur Ordnung zu rufen pflegte wie ein gestrenger Schulmeister.

»Meine Herren«, sagte der König mit kalter, klarer Stimme, »ich muß Euch heute erneut in Erinnerung rufen, daß alles, was im Ministerrat wie im Großen Rat gesprochen wird, Staatsgeheimnis ist. Ihr habt diese Dinge weder in Teilen noch im Ganzen irgend jemandem weiterzugeben, sonst macht Ihr Euch strafbar gegen die Sicherheit des Staates und des Königs. Jeder Verstoß gegen diese Regel wird künftig unnachsichtig bestraft.«

Ludwig ließ seinen Blick über die Versammelten gleiten und bei Châteauneuf innehalten.

»Monsieur de Châteauneuf«, sagte er in schneidendem Ton, »ich bitte Euch, mir die Siegel zu übergeben.«

Weiß wie Leintuch und schlotternd, trat Châteauneuf vor. Sogleich wichen die Minister und Räte, die sich auf seinem Weg befanden, beiseite, als hätte er die Pest.

Strauchelnd erklomm der Unglückliche die zwei Stufen, die zum König führten, der den Ratsdiener die Siegel entgegennehmen hieß. Nun mußte Châteauneuf aber noch den Schlüssel abgeben, der zu dem Kasten gehörte und den er pflichtgemäß |324|an einer Kette um den Hals trug. Das dauerte seine Zeit, denn Châteauneuf vermochte das Zittern seiner Hände nicht zu beherrschen, als er das Schloß der Kette öffnen wollte. Endlich gelang es, und er überreichte dem Ratsdiener, was so lange seine Ehre gewesen war. Damit aber war seine Demütigung noch immer nicht zu Ende, denn der Gardehauptmann, Monsieur de Gordes, verkündete nun mit unnötig lauter Stimme, daß er ihn in Haft nehmen müsse.

***

Schöne Leserin, wie Sie sehen, war Monsieur de Châteauneuf der zweite Siegelbewahrer, der bei Ludwig in Ungnade fiel. Wie sein Vorgänger verbannt und auf Schloß Angoulême eingesperrt, wurde er jedoch, anders als jener, durch seine Leidenschaft fürs schöne Geschlecht gerettet. Er verliebte sich in eine Kammerjungfer, die ihn morgens an- und abends auskleidete. In so milder, und ich würde sagen, zärtlicher Gefangenschaft überdauerte Monsieur de Châteauneuf sehr gut und kehrte, als Ludwig XIII. 1643 starb, quick und munter zurück an den Hof. Durch eine Frau hatte er alles verloren und dank einer anderen überlebt, sagte mein Vater, und als Doktor der Medizin setzte er hinzu: »Manchmal kann ein Gift auch zum Heilmittel werden.«

Der König machte Châteauneuf keinen Prozeß, denn als man sein Haus durchsuchte, fanden sich zwar in großer Zahl Briefe von Madame de Chevreuse, die zweifelsfrei die Indiskretionen des Ministers bewiesen, doch von Richelieu befragt, war Châteauneuf längst nicht so verstört wie erwartet. »Ich bezichtige mich, soviel man will«, sagte er, »die Damen zu sehr geliebt zu haben, aber das übrige sind Weibersparren und Spielereien.« Das Ungewöhnliche an der Affäre war, daß er wenigstens in diesem Punkt recht hatte, denn außer dem Herzog von Lothringen, der die Chevreuse liebte und sich ihre Indiskretionen zunutze machte, nahm keiner der feindlichen Herrscher im Ausland diese ernst, weil sie von einer Frau kamen. Und namentlich der eingebildete spanische Minister Mirabel bemerkte, als er einen Brief unserer Chevreuse erhielt, diese Franzosen hätten alle nicht für zwei Heller Verstand im Kopf. Wenn jene Frau, die sich so schlau wähnte, eines Tages erführe, daß sie verrückt ist, |325|würde sie den Kopf in ihrem Reifrock verstecken. Hiermit warf er ihren Brief ungelesen in den Papierkorb. Womit er selbst, um seinen eigenen Satz abzuwandeln, töricht handelte, wo er sich klug wähnte, denn der Brief enthielt Indiskretionen, die ihm höchst nützlich gewesen wären bei seinen Unternehmungen gegen Frankreich.

***

Einige Tage nach der Festnahme von Monsieur de Châteauneuf erhielt ich einen Brief der Herzogin von Chevreuse, überbracht von einem ihrer Reitknechte, der bei dieser Gelegenheit keine Livree trug. Dieser Brief setzte mich in Verlegenheit, denn da ich in den Augen der Chevreuse ein Satansbraten war, weil ich treu zum König und zu Richelieu stand, hatte sie mich nie sehen wollen, »nicht einmal gemalt«, obwohl ihr Gemahl mein Halbbruder war, der mich »mein Cousin« nannte und mir gelegentlich einige Zuneigung bezeigte.

Das Briefchen der Chevreuse lautete wie folgt:

 

Mein Cousin (mein Gott, welche Ehre sie mir da erwies!), ich würde Euch heute nachmittag gern besuchen. Wenn Euch das paßt, komme ich in einer Mietdroschke, damit Eure Nachbarn nicht an meinem Wappen erkennen, wer ich bin, und ich werde maskiert sein, wenn mein Junker an Euer Tor klopft.

Eure Cousine

Marie-Aimée de Chevreuse

 

Ich zeigte den Brief Catherine, die wollte, daß ich ablehnte, doch weil der Besuch offenbar politisch war, konnte ich es nicht. Ich riet ihr, wenn sie die Teufelin nicht sehen wolle, sich bei angelehnter Tür in dem Kabinett neben meinem Salon aufzuhalten.

»Nein, nein«, sagte Catherine hochgemut. »Vor Raubkatzen habe ich keine Angst. Ich habe selbst meine Krallen. Ich werde zugegen sein.«

Während des ganzen Mittagessens sagte Catherine keinen Ton, und ich wiederholte ihr vergeblich, daß ich den Tricks und Mittelchen dieser neuen Circe gar nicht zum Opfer fallen könne, zum ersten, weil ich meine Catherine liebe und nie eine andere lieben würde, und dann, weil diese gräßliche Chevreuse |326|eine erbitterte Feindin Richelieus, des Königs und des Staates sei, mithin eine Verräterin an König und Vaterland.

Mein Reden nützte nichts, so überzeugt war Catherine, daß kein Mann, ich sowenig wie jeder andere, der Schönheit, Raffinesse und Koketterie solcher Frauen widerstehen könne.

»Zum Glück werde ich zugegen sein!« sagte sie mit Nachdruck und kampfentschlossener Miene.

Hierauf ließ sie sich in ihrem Zimmer umkleiden, frisch frisieren und schminken. Und während sie ihre Waffen schärfte, sandte ich dem Kardinal durch Nicolas ein paar Zeilen, denen ich den Brief der Chevreuse beifügte, und versprach ihm einen baldigen genauen Bericht. Nicolas, der in Kürze wiederkam, verkündete mir, der Kardinal habe ihm die hohe Ehre erwiesen, ihn zu empfangen, und ihm gesagt, die Nachricht scheine ihm von großem Interesse, er werde darum selbst bei mir hereinschauen, um die Chevreuse zu sehen und zu sprechen.

Schöne Leserin, nun stellen Sie sich folgende Szene vor: Von meinem Majordomus geleitet, betrat Madame de Chevreuse den großen Salon, wo wir sie erwarteten, und da beide Damen einander gleichzeitig eine Reverenz machten, rundeten sich ihre Reifröcke auf das graziöseste um sie. Hierauf erhoben sie sich mit Gesichtern, die von der Freundschaft strahlten, die sie füreinander empfanden, und grüßten sich mit einem Kopfneigen. Betrachtete man die Sache unparteiisch, hatte Madame de Chevreuse bereits große Herablassung gezeigt, indem sie nicht wartete, daß meine Catherine sie als erste grüßte; sie stand im Adelsrang ja weit über ihr. Was das Lächeln betrifft, das sie nun tauschten, so hätte man meinen können, zwei Duellanten grüßten einander höflich mit den Degen, bevor sie mit wildem Eisengeklirr aufeinander losfuhren.

Gottlob passierte nichts dieser Art, die Chevreuse warf weder Zaubersprüche noch unsichtbare Netze über mich, und ich ließ mir nichts von der Erregung anmerken, die ich, offen gestanden, bei ihrem Anblick empfand. Bis zu diesem Tag hatte ich Madame de Chevreuse nur von fern am Hof gesehen, die treuen Diener des Königs und Richelieus mieden ja die Nähe jener Leute, die der Kabale frönten, und die wiederum flohen unsereins wie einen Aussätzigen. Es war also das erstemal, daß ich sie mit eigenen Augen unmittelbar vor mir sah und sie mit zarter, melodiöser Stimme das Wort an mich richtete.

|327|Obwohl nicht hoch gewachsen, war sie doch so schlank, daß sie groß wirkte. Schlank, sage ich, nicht mager, denn an Rundungen fehlte es vorn wie hinten nicht. Ob sie schön war, kann ich nicht sagen, wahrscheinlich fehlten ihr dazu ein paar Grade. Aber ganz sicher war sie überaus hübsch, und gerissen, wie sie war, trug sie jene kindliche und fragile Miene zur Schau, die viele Männer anzieht, für mein Gefühl aber sehr zu Unrecht. Das Oval ihres Gesichts war vollkommen, ihre Züge fein ziseliert, die Augen tiefblau, die Stirn sehr schön und von langen, seidigen blonden Haaren umwogt, und ihre Lippen schließlich, die sie vielfach einsetzte bei ihren verführerischen Mienen, waren üppig und reizend gezeichnet. Auch wenn sie nicht sprach, ließ sie sie ein wenig offen, als ob sie Küsse erwarte. Monsieur de Bautru, der große Witzbold am Hof, sagte von ihr: »Wenn ich sie so ansehe mit ihrem halbgeöffneten Mündchen, fehlte nicht viel, und ich würde mich auf sie stürzen und durch alle Pforten in sie eindringen, die sie will.«

Das Schweigen zwischen Catherine, der Chevreuse und mir begann peinlich zu werden, so beschloß ich, es zu brechen.

»Madame«, sagte ich liebenswürdig, doch ohne zu lächeln, »Ihr verlangtet mich zu sehen, also werdet Ihr mir etwas zu sagen haben.«

»In der Tat, mein lieber Herzog«, sagte Madame de Chevreuse. »Obwohl ich bisher aus bekannten Gründen ja wenig Umgang mit Euch hatte, vergesse ich doch nicht, daß Ihr der Halbbruder meines Gatten seid und daß er Euch ›mein Cousin‹ nennt. Ich bin also berechtigt, falls Ihr es erlaubt, Euch ebenfalls ›mein Cousin‹ zu nennen und Euch um Beistand anzugehen.«

»Meine Cousine«, sagte ich, »Euer Familiengefühl ist ein wenig neu für mich, doch will ich ihm gern entsprechen, wenn Ihr mir bitte sagen wollt, worin ich Euch dienlich sein kann.«

»Mein Cousin«, erwiderte sie mit umflorten Augen, doch ohne daß eine Träne über ihre Wange geflossen wäre, die ihre Schminke verdorben hätte, »ich bin tatsächlich in großer Ratlosigkeit. Der König hat Monsieur de Châteauneuf verbannt, und mich entsetzt der Gedanke, daß Seine Majestät morgen ebenso mit mir verfahren könnte.«

»Meine Cousine«, sagte ich, »Ihr wißt, was der König Euch vorwirft. Und denkt Ihr nicht, daß er Grund hat, Euch übelzuwollen wegen der bösen Streiche, die Ihr ihm gespielt habt, |328|ungeachtet der kleinen Spöttereien, mit denen Ihr ihn persönlich traft?«

»Wie!« sagte die Chevreuse unbedacht, »die weiß der König auch?«

»Der König weiß alles, meine Cousine. Und er kennt auch die Briefe, die Mittler, die Kuriere, die Verhandlungen … Glaubt mir, meine Cousine, Ihr könnt den Mund nicht auftun, ohne daß er nicht quasi im voraus weiß, was Ihr sagen werdet.«

»Dann bin ich verloren!« schrie Madame de Chevreuse.

»Das habe ich nicht gesagt.«

»Nein, nein! Ich sehe es doch aber! Mein Schicksal steht bereits fest. Man wird mich von der Königin wegreißen, vom Hof, von Paris und mich abschieben in einen verlorenen Winkel der Provinz, damit ich künftig ein Klosterleben führe!«

»Nach meiner Kenntnis ist auch das nicht entschieden.«

»Ah, mein Cousin! Wenn ich Euch um eine riesige Gunst bitten dürfte, so wäre es, beim Kardinal zu erwirken, daß er mich auf ein paar Minuten empfängt, um ihm meine Reue zu bekunden und meinen Wunsch, von nun an dem König und ihm zu dienen.«

»Madame, wenn das Euer Anliegen ist, so ist es, kaum ausgesprochen, auch schon erfüllt. Ich habe den Kardinal über Euren Besuch bei mir informiert, er wird in wenigen Augenblicken hier sein.«

»Gott im Himmel!« rief Madame de Chevreuse und sank beinahe in Ohnmacht, was sie indes nicht zur Gänze tat, sie beherrschte ihre Ohnmachten ebenso gut wie ihre Tränen.