Epilog

An einem kühlen, frischen, für das nordkalifornische Wetter typischen Januarmorgen übernahm Susannah die Position der Aufsichtsratsvorsitzenden der Falcon Business Technologies. Sie trug ihr konservativstes graues Kostüm, ihre schwarzen Pumps mit den niedrigsten Absätzen und ihre schlichtesten Ohrringe. Nur ein einziges anderes Schmuckstück gestattete sie sich – den massiven goldenen Ehering an der linken Hand, ein atemberaubendes Juwel, aber wegen der großen, glitzernden Diamanten vielleicht etwas zu protzig für den FBT-Geschmack.

Mehrere Männer erwarteten sie am Eingang des »Schlosses«, das Joel Faulconer erbaut hatte.

»Willkommen bei FBT, Mrs. Blaine.«

»Freut mich, Sie an Bord zu begrüßen.«

»Welch ein Vergnügen, Sie kennen zu lernen, Mrs. Blaine.«

»Nein – Miss Faulconer«, erwiderte sie. »Aber nennen Sie mich bitte Susannah.«

Da strahlten sie vor Entzücken – ein Dutzend Topmanager in dunklen Anzügen. Und alle wussten, dass sie dank der Vollmacht ihrer Schwester das größte Aktienpaket der Firma unter ihrer Kontrolle hatte. Vergeblich sah sie sich nach einem weiblichen Gesicht um, dann entsann sie sich, dass Frauen bei FBT nur selten die Grenzen des mittleren Managements überschritten.

Höflich geleiteten die Gentlemen ihre neue Chefin durch das Gebäude, als wäre sie nie zuvor hier gewesen, führten sie unter angeregtem Geplauder die stillen Korridore entlang und in Büros mit dicken Teppichen, öffneten ihr die Türen und umfassten ihren Ellbogen.

»Wir planen eine längere Orientierungsperiode für Sie, Susannah.«

»Am Anfang sollten Sie sich nicht mit zu viel auf einmal belasten.«

»Ein Spezialteam wird Sie beraten und Ihre Fragen beantworten ...«

»... unsere Firmenphilosophie erläutern ...«

» ... und Ihnen helfen, damit Sie unsere diversen Prozeduren nicht falsch interpretieren.«

»Dieses Team wird sich um alles kümmern. Also werden Sie nicht mit zu vielen Einzelheiten behelligt.«

»Am besten konzentrieren Sie sich vorerst auf die PR ...«

»... halten Pressekonferenzen ab ...«

»... geben Interviews.«

»Da Sie eine Frau sind, möchten Sie Ihr Büro sicher neu einrichten.«

»Ihre Sekretärin hat bereits eine Liste der Wohltätigkeitsveranstaltungen zusammengestellt, die Sie demnächst mit Mr. Blaine besuchen müssten.«

Mit kühlem, unergründlichem Lächeln inspizierte sie die Kantine des Spitzenmanagements und überlegte, wie sie den Raum in eine Tagesstätte für die Kinder der Angestellten verwandeln könnte. Zur ersten Kundschaft würde das kostbare Leben zählen, das unter ihrem Herzen wuchs.

Inständig wünschte sie, Mitch wäre in diesem Moment an ihrer Seite. Doch es würde noch mindestens sechs Monate dauern, bis er SysVal dem brillanten Team anvertrauen konnte, das die jugendliche Firma in eine reife, profitable Erwachsenenwelt führen würde. Sie würde die Zusammenarbeit mit ihm schmerzlich vermissen. Wenn er zu FBT überwechselte, würde Susannahs Schwangerschaft bereits weit fortgeschritten sein. Belustigt stellte sie sich seine Macho-Schritte in den ehrwürdigen Fluren vor. Der erste Mann in der Geschichte des Konzerns, der eine Generaldirektorin geschwängert hatte ...

Als drei sanfte Gongtöne aus dem Lautsprecher drangen, hob sie den Kopf. »Mr. Ames ins Sicherheitsbüro«, bat eine melodische Stimme, und Susannah versuchte sich auszumalen, wie die Frau das Personal vor einer japanischen Invasion auf dem Parkplatz warnen würde.

Eine Stunde lang ließ sie sich die diskreten Ermahnungen und verschleierten Befehle noch gefallen, dann entschuldigte sie sich und betrat das Chefbüro. Im Vorraum wurde sie von einer Schar identisch gekleideter Assistentinnen empfangen, die lederne Aktenmappen und gelbe Schreibblöcke schwenkten und alle durcheinander redeten.

»Mrs. Blaine, wenn ich Sie über Ihre Termine in dieser Woche informieren dürfte ...«

»Mrs. Blaine, Ihre erste Pressekonferenz haben wir für ...«

Abwehrend hob sie eine Hand. »Ich heiße Faulconer. Nennen Sie mich Susannah. Und die nächste Person, die auch nur ein einziges Wort zu mir sagt, wird – das schwöre ich – die Verantwortung für die Reinigung aller Kaffeekannen in diesem Gebäude übernehmen.«

Dann kehrte sie allen den Rücken, betrat das Privatbüro des FBT-Aufsichtsratsvorstands und schloss die Tür.

Abgesehen von den Blumensträußen mehrerer Leute, die ihr zum Einstand gratulierten, hatte sich seit Joel Faulconers Lebzeiten nicht viel in diesem Raum verändert. Langsam wanderte sie umher, berührte vertraute Möbel und Gegenstände – die Bücherregale und tiefen Besuchersessel, die Stehlampe aus Messing. Zu beiden Seiten der breiten Fensterfront hingen goldgelb und blau gemusterte Vorhänge, eine exakte Reproduktion jener schweren Stoffbahnen, an die sie sich erinnerte. Der massive Schreibtisch ihres Vaters mit der polierten Malachitplatte beherrschte nach wie vor den Raum. Dahinter hing der bronzene FBT-Falke an der Wand, die Schwingen weit ausgebreitet, um den Globus zu umfassen, auf dem er hockte.

Erst jetzt wurde ihr so richtig bewusst, welch schwierige Aufgabe sie erfüllen musste. »O Daddy, was mache ich denn hier?«

Aber an diesen Tag sprach der Vater nicht mit ihr. Vielleicht wusste er, was sie plante.

Um sich abzulenken und zu fassen, öffnete sie die Glückwunschkarten, die aus den Blumenarrangements ragten. Eine stammte von Paige und Yank. Inzwischen war das alte Gästehaus auf Falcon Hill in ein Labor umgewandelt worden, das dem neuesten Stand der Technik entsprach. Yank hatte beschlossen, freiberuflich zu arbeiten. Seine Projekte verteilte er auf SysVal, Sam und andere Auftraggeber, die seine Fantasie anregten. Es amüsierte Susannah unendlich zu beobachten, wie der Mann, den früher nicht einmal eine nukleare Explosion aus der Konzentration seiner Arbeit gerissen hätte, sofort den Kopf hob, wenn Paiges leise Schritte erklangen. Wie er sich erst aufführen würde, wenn sie ein Kind bekam, konnte sich Susannah kaum vorstellen.

Ihre Stiefkinder hatten ihr ein Dutzend Rosen geschickt. Das fand sie sehr aufmerksam, wenn sie auch vermutete, dass Mitch sie dazu angestiftet hatte. Die beiden waren wundervoll, und sie freute sich, dass sie die zweite Ehefrau ihres Vaters freundschaftlich akzeptierten.

Von Angela hatte sie ein Arrangement aus Nelken, Löwenmäulchen und Margeriten bekommen. Bisher war sie die Einzige, der Susannah und Mitch von dem Baby erzählt hatten. Da hatte sie prompt verlangt, das Kind müsse sie »Na Na« nennen. »Nicht ›Granny‹«, hatte sie betont und über die Silbernieten an den Ärmeln ihrer neuen roten Lederjacke gestrichen. »Dafür bin ich zu jung. Aber ›Na Na‹ klingt hübsch.«

Mit diesem Angebot rührte sie Susannah und Mitch, und beide ahnten im Voraus, welch eine liebevolle Großmutter sie sein würde, ganz egal, wie sie genannt werden wollte.

Durch einen Tränenschleier las Susannah, was die frühere Schwiegermutter ihr geschrieben hatte. »Du wirst stets meine Tochter bleiben. Hau sie alle vom Sockel, Kindchen.«

Nun ging sie zum Schreibtisch. Nach kurzem Zögern nahm sie in dem wuchtigen Ledersessel Platz, der ihrem Vater gehört hatte. Auf der Malachitplatte lag die vertraute Schalttafel, mit der er die Obeliskenbrunnen ein- und ausgestellt hatte. Susannah notierte sich, dass sie das Gerät entfernen lassen würde. Von solchen Machtsymbolen hielt sie absolut nichts.

Als sie den Notizblick beiseite schob, entdeckte sie ein Päckchen, in Silberfolie gewickelt. Sicher nicht von Mitch ... Sein Geschenk hatte sie an diesem Morgen auf dem Nachttisch gefunden, als sie erwacht war, und vor seinen Augen ausgepackt – schwarze Reizwäsche mit dem aufgestickten FBT-Logo, ein Vorrat, der für eine ganze Woche reichen würde.

»Dress for Success«, hatte er geflüstert. Dann hatte er sie geküsst, bis sie schier erstickt war, und hatte sie aus dem Bett und unter die Dusche gezogen. Dort hatten sie sich leidenschaftlich geliebt.

Eine Zeit lang drehte sie das silberne Päckchen hin und her, bevor sie das beiliegende Kärtchen öffnete. Darauf stand in Blockbuchstaben: ERINNERE DICH AN DEINE WURZELN. SAM.

In dem Päckchen fand sie ein kleines goldenes Amulett, eine perfekte Nachbildung des Blaze. Während sie es in der Hand hielt, sagte sie sich, kluge Spitzenmanager müssten erkennen, dass Veränderungen nicht über Nacht eintreten dürften. Die sollte man langsam vornehmen, denn plötzliche Umwälzungen bedrohten und verunsicherten die Menschen. Kluge Chefs verstanden den Wert von Taktgefühl und Geduld.

Nachdenklich sah sie sich in dem großen Büro um. Hier war Sam von ihrem Vater gedemütigt worden.

»Du hast dich geirrt, Daddy«, flüsterte sie. »Hättest du bloß auf ihn gehört.«

Das Amulett in der Hand, stand sie auf und ging zu den Nussbaumschränken. In einem der Fächer entdeckte sie das Lautsprechersystem, in einem anderen die aufwändige Stereoanlage, die Cal installiert hatte. Susannah nahm eine Kassette aus ihrer Handtasche und schob sie in den Rekorder.

Lächelnd betrachtete sie den kleinen Blaze und wisperte: »Für die Kids in der Garage.« Dann ergriff sie das Mikrofon und schaltete die Lautsprecheranlage ein. »Ladys und Gentlemen, hier spricht Susannah Faulconer. In einer Stunde ist meine Tür geöffnet. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mich sprechen wollen, sind willkommen. Stellen Sie sich an! Die Position spielt keine Rolle. Wer zuerst kommt, malt zuerst. Meine Tür bleibt geöffnet, bis alle da waren. Und zeigen Sie, was Sie drauf haben, denn von jetzt an werde ich diesen Konzern ins Chaos stürzen. Sämtliche gewohnten Prozeduren und Philosophien sind erst einmal abgeschafft. Und wenn wir alles so clever wie möglich umgekrempelt und Glück haben, werden wir die Welt verblüffen.« Grinsend drückte sie auf die Starttaste des Kassettenrekorders.

Während rockige Rolling-Stones-Rhythmen die heiligen FBT-Hallen erfüllten, setzte sie sich wieder hinter den Schreibtisch, legte die Füße auf die Malachitplatte und wartete, bis der erste entrüstete Aufschrei an ihr Ohr dringen würde.