15
Susannah saß am Bestückungstisch und lötete gerade ein paar Leitungen auf einer Platine, als Mitchell Blaine in ihr Leben zurückkehrte. Vor fast einem Monat war er nach Boston geflogen. Bei einigen Telefonaten mit Sam hatte er keine Neigung gezeigt, sich anders zu besinnen und SysVal zu unterstützen. Jetzt nickte er ihr frostig zu, und sie geriet in einen unangenehmen Konflikt zwischen zaghafter Hoffnung und Bestürzung.
Natürlich freute sich Sam, ihn wiederzusehen, was er jedoch verhehlte. Die Lippen gekräuselt, musterte er Blaines marineblauen Anzug und die dunkelrote Krawatte. »Ist jemand gestorben? Du siehst wie ein verdammter Sargträger aus.«
»Nicht alle Leute besitzen dein Gespür für modisches Flair.« Spöttisch betrachtete Mitch die zerlumpten Jeans des jüngeren Mannes und das fadenscheinige T-Shirt, das sich fast durchsichtig über der breiten Brust spannte.
Susannah umklammerte das Löteisen noch fester und warf Sam einen scharfen Blick zu, um herauszufinden, wie er reagieren würde, nachdem sie wieder einmal mit Nichtachtung gestraft wurde.
Ohne Mitchs korrekten Anzug aus den Augen zu lassen, schlug Sam vor: »Treffen wir uns später im Mom & Pop’s.«
Sie erwartete, er würde noch mehr sagen – zum Beispiel seine Lebensgefährtin erwähnen. Dazu bequemte er sich jedoch nicht. Bereitwillig stimmte Mitch der Wahl des Restaurants zu. Einige Minuten lang unterhielten sie sich und inspizierten Yanks Fortschritte am Prototyp.
Sobald Mitch gegangen war, stellte sie Sam zur Rede, und er tat ihre Entrüstung mit einem Achselzucken ab. »Lass ihm Zeit. Wenn er dich besser kennt, wird er dich anders behandeln. Sei nicht so empfindlich«, mahnte er und griff nach ihr, um ihren Protest mit einem Kuss zu ersticken.
Aber ein neuer hartnäckiger Trotz erfasste sie, und sie wehrte die Annäherungsversuche ab. Aus unerfindlichen Gründen konnte Mitch sie nicht ausstehen, und er erweckte keineswegs den Anschein, dass sich daran irgendetwas ändern würde. Steifbeinig stand sie vom Bestückungstisch auf und flüchtete ins Haus, um ihre Gedanken zu ordnen. Sam folgte ihr nicht.
Am Abend ging sie mit ihren Kleidern ins Bad und zog sich um. Diesmal wollte sie nicht kampflos zusehen, wie sie erneut ausgegrenzt wurde. Zumindest nahm sie sich das vor. Doch sie wusste nicht, wie sie die nötige Courage aufbringen sollte. Nervös hantierte sie mit dem Knopf am Gurtband ihres Rocks. Dann schlüpfte sie in den billigen, lose gestrickten malvenfarbenen Pullover, den sie in Angelas Lieblings-Outlet-Laden gekauft hatte, und band ihr Haar im Nacken mit einem Tuch zusammen.
Angela kam ins Bad und zupfte die Löckchen zurecht, die Susannahs Gesicht umrahmten.
»Lass dich nicht herumkommandieren, Suzie.« Wie so oft spürte sie instinktiv, was in ihrer Umgebung geschah. »Zeig den Kerlen, was du drauf hast«, fügte sie hinzu und befestigte Klips mit Dreiecken aus rosa und violetten Perlen an Susannahs Ohrläppchen. »Als ich die letzten Juni in Vegas trug, gewann ich fünfzig Dollar an einem Spielautomaten. Dir werden sie ebenfalls Glück bringen.«
Gerührt lächelte Susannah und umarmte sie spontan. Mit Sams Mutter fühlte sie sich enger verbunden als früher mit ihrer eigenen.
Sam saß mit Yank in der Küche. Bei Susannahs Anblick hob er erstaunt die Brauen. Offenbar hatte er nicht erwartet, dass sie mitkommen würde. Die scharfen Kanten der Perlendreiecke stießen gegen ihren Hals.
»Wozu das ganze Getue?«, fragte Sam, sofort in der Offensive. »Das ist einfach nur ein Treffen.«
Statt zu antworten, ging sie zum Auto hinaus.
Mitch wartete bereits im Restaurant. Inzwischen hatte er den maßgeschneiderten Anzug mit einer dunkelbraunen Hose und einem goldgelben Sporthemd vertauscht. An seinem Handgelenk, auf dem rotblonde Härchen wuchsen, glänzte eine Rolex. Als Susannah auf ihn zuging, stand er zwar auf, bemühte sich aber nicht, sein Missfallen zu verbergen. Sam und Yank setzten sich rechts und links von ihm in die Nische, und sie nahm am äußeren Rand Platz, den Rücken so kerzengerade wie Großmutter Bennetts hölzerner Zollstock.
»Eigentlich ist das eine geschäftliche Besprechung, Sam«, begann Mitch und wies mit dem Kinn in Susannahs Richtung.
»Deshalb bin ich hier«, erwiderte sie, bevor Sam zu Wort kam.
Aus der Jukebox tönte ein Hit von Linda Ronstadt.
»Roberta kommt nicht«, sagte Yank unvermittelt, und Susannah warf ihm einen prüfenden Blick zu.
Da er nur selten belanglose Konversation machte, wollte er offensichtlich irgendetwas betonen. Aber was? Dass sie nicht hier sein dürfte? Oder stellte er einen Unterschied zwischen den beiden Frauen fest – zu ihren Gunsten?
Nun begann er eine abstrakte Figur auf das beschlagene Bierglas zu zeichnen – noch ein Diagramm? Konstruierte er sogar im Schlaf Schaltkreise? Vorläufig fiel es ihr leichter, Yanks Finger zu beobachten, als gegen die angespannte Atmosphäre in der Nische zu kämpfen.
Ein Kreis erschien. Vielleicht ein Transistor?
Zwei Punkte. Eine Kurve.
Oh, Yank hatte ein fröhliches Gesicht gezeichnet.
»Also, Mitch? Hast du schon einen Job bei IBM angenommen?« Sams Stimme vibrierte geradezu vor Sarkasmus.
»Darum wurde ich gebeten.« Die Kellnerin servierte die Pizzas, die Mitch bestellt hatte. »In den letzten Wochen bekam ich einige sehr interessante Angebote. Natürlich von den besten High-Tech-Firmen. Auch aus Detroit. Und die Soft-Drink-Leute konnten mich fast überzeugen.« Während sie aßen, beschrieb er die Einzelheiten der Offerten. Dazu gehörte auch eine von Cal Theroux, der für FBT arbeitete.
In wachsender Ungeduld hörte Sam zu. Dann schob er seine Pizza beiseite und lehnte sich in der Nische zurück. »Klingt völlig sicher, ungefährlich und vorhersehbar.«
Mitchs Augen verengten sich. »Welch ein Wunder, dass du SysVal so lange am Leben erhalten hast ... Du hast keine Ahnung, wie man ein Produkt verkauft, keine Organisation, keinen definierbaren Markt. Wirklich, deine exzentrisehe Firma ist geradezu ein Witz.« Gnadenlos zählte er weitere Mängel auf, bis Sams Lippen einen grimmigen Strich bildeten und Susannah das Gefühl hatte, jemand würde ihren Kopf gegen die Wand donnern. Yank zeichnete drei weitere fröhliche Gesichter.
Schließlich hatte Sam die Nase voll. Er zerknüllte seine Papierserviette und warf sie auf den Tisch. »Wenn wir so ein Witz sind – warum bist du dann hier, du Hurensohn?«
Zum ersten Mal schien sich Mitch zu entspannen. Langsam verzog sich sein breites, attraktives Gesicht zu einem Lächeln. »Weil ich dir rettungslos verfallen bin. Seit meiner Rückkehr nach Boston kann ich nur noch an SysVal denken. Ich habe mir eingeredet, ich würde einen Urlaub brauchen, und versucht, ein bisschen Freizeit zu genießen. Aber das funktioniert nicht.«
Unsicher richtete sich Sam auf. Noch wagte er nicht, an sein Glück zu glauben. »Heißt das ...«
»Ich bin drin. In Freud und Leid, bis zum Ende.«
Da grinste Yank, und Sams Freudenschrei erschreckte eine Kellnerin so sehr, dass sie einen Teller fallen ließ. »Großartig! O Gott, das ist ja fabelhaft!«
»Erst einmal müssen wir verhandeln«, wandte Mitch ein und hob eine Hand. »Ich stelle ein paar Bedingungen.«
»Welche?«, fragte Sam, kaum fähig, seine Aufregung zu zügeln.
»Eine gleichberechtigte Partnerschaft mit Yank und dir, jeder von uns übernimmt ein Drittel von SysVal. Als Gegenleistung garantiere ich euch einen Hunderttausend-Dollar-Kredit bei einer Bank. Damit sind wir in nächster Zeit nicht auf Risikokapitalgeber angewiesen.« Mitch öffnete eine Ledermappe, die er mitgebracht hatte, und zog einen goldenen Füllfederhalter hervor. »Selbstverständlich musst du Atari verlassen, Yank. Der SysVal I ist nur ein Spielzeug. Vergessen wir ihn. Wir müssen unsere Zukunft auf dem Prototyp aufbauen, den du gerade entwickelst. Deshalb solltest du dich mit nichts anderem befassen.«
»Aber mir gefällt’s bei Atari«, entgegnete Yank. »In ein paar Monaten kommt dieses neue Spiel raus.«
»Bist du verrückt?«, rief Sam. »Was wir vorhaben, ist doch viel wichtiger als ein gottverdammtes Videospiel.«
»Da bin ich mir nicht so sicher, Sam«, protestierte Yank ernsthaft. »Immerhin ist’s ein grandioses Spiel.«
Gequält verengte Sam die Augen und wandte sich zu Mitch. »Keine Bange, ich kümmere mich um ihn. Das verspreche ich dir.«
Jetzt begann Mitch Ausweichpläne zu erörtern, eventuelle Strategien, die ein Risikokapital betrafen, und Marketingkonzepte – aber Susannah hörte nicht mehr zu.
In ihrem Körper schienen sich alle Muskeln zu verkrampfen, ihre Beine aus Gummi zu bestehen, und ihr Puls raste viel zu schnell. Eifrig setzten sie ihr exklusives männliches Palaver fort und schnitten sie wie eine Hure, die ihren Zweck erfüllt hatte und nicht mehr gebraucht wurde. Nach einer Weile riss sie sich zusammen und versuchte, ihre heftigen Herzschläge zu beschwichtigen. Ihre Frage klang gepresst. »Und ich?«
Sofort war Sam auf der Hut. »Darüber reden wir später.«
Keine Szene, Susannah. Sei brav. Sei höflich. Die Stimmen aus der Vergangenheit flüsterten ihr eindringliche Befehle zu. Doch sie achtete nicht darauf, denn sie hatte von Sam Gamble gelernt, wie man sich kühn und selbstbewusst behauptete. »Nein. Darüber reden wir jetzt, weil es alle Anwesenden betrifft.«
Irritiert verschränkte Mitch die Arme vor der Brust. »Auch das steht auf der Liste meiner Bedingungen, Sam. Halt deine privaten Probleme von der Firma fern.«
Susannahs Wangen brannten. Das Gewicht auf eine Hüfte verlagert, zog Sam die Autoschlüssel seines Freundes aus der Hosentasche. »Hör mal, Suzie, nimm das Auto. In ein oder zwei Stunden komme ich nach Hause, und wir unterhalten uns. Okay?«
»Nein.« Wütend sprang sie auf und starrte die drei Männer an. In ihrem Hals pochte ein wilder Puls, und ihre Nerven waren so straff gespannt wie eine Violinsaite. Vor Zorn wurde ihr fast schwindlig, und das Spektakel, das sie den Gästen in den anderen Nischen bot, interessierte sie nicht im Mindesten. »Mit Ihren sonderbaren Bedingungen bin ich nicht einverstanden, Mr. Blaine.«
»Moment mal, Miss Faulconer ...«, begann Mitch mit einer wegwerfenden Geste.
»Jetzt bin ich an der Reihe. Offenbar hat Sam Ihnen ein paar wichtige Informationen vorenthalten. Wenn Sie mit ihm zusammenarbeiten wollen, sollten Sie wissen, dass er brillant ist, wenn’s um das große Ganze geht – aber miserabel, sobald es auf Einzelheiten ankommt. Das ist mein Job. Darauf hätte er Sie hinweisen müssen. Zum Beispiel habe ich das Geld für die ersten Single-Board-Computer aufgetrieben und unsere Rechnungen bezahlt. Und dafür gesorgt, dass wir von einigen Händlern in Atlantic City ernst genommen wurden. Ohne mich würde SysVal überhaupt nicht existieren, Mr. Blaine. Und das ist eine unbestreitbare Tatsache.«
Erst schaute sie Sam an, dann Yank. Mit einem giftigen Blick forderte sie die beiden auf, ihr zu widersprechen. Sam runzelte die Stirn, Yank studierte das Bierglas, und beide schwiegen.
»Um eine Firma zu betreiben, genügt die Vision nicht, und ein genialer Verstand ebenso wenig. In jedem Unternehmen braucht man jemanden, der die banale Arbeit erledigt, der sich um alltägliche Details kümmert, und das ist mein Job. Falls hier irgendwer glaubt, er könnte mich ausbooten, irrt er sich ganz gewaltig.«
Sam senkte den Kopf. Zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, hielt er ihrem Blick nicht stand. Nur Mitch schaute sie an. Er war ausgebufft. Das merkte sie. Und seine steife, konservative Fassade verbarg die Instinkte eines Straßenkämpfers.
»Sind Sie nicht ein bisschen zu melodramatisch, Miss Faulconer? Vielleicht wäre es besser, Sie würden ihre romantischen Probleme vom Geschäft trennen.« In seiner seidenweichen Stimme schwang kaum verhohlene Herablassung mit.
Da war niemand, der ihr half. Nur sie selbst. Ihre Intelligenz, ihr Mut. Wenn sie sich jetzt nicht gegen diesen Mann behauptete, würde er sie für immer abservieren. »Mit meiner privaten Beziehung zu Sam hat das nichts zu tun. Von Anfang an haben Sie mich absichtlich ignoriert, Mr. Blaine. In Zukunft werden Sie das bleiben lassen. Wie ich bereits sagte – Sam hat kein Gespür für Einzelheiten. Deshalb überrascht es mich nicht, dass er vergessen hat, eines dieser Details mit Ihnen zu erörtern.«
»Und das wäre?«
»An SysVal sind bereits drei Personen beteiligt. Das wurde vertraglich festgelegt. Und ich gehöre zu diesen drei Partnern.«
Ruckartig hob Sam den Kopf. Angesichts seiner Verwirrung durchschaute sie ihn sofort. Er erinnerte sich tatsächlich nicht an das Papier, das sie ihm am Nachmittag vor dem Flug nach Atlantic City unter die Nase gehalten hatte.
»Diesen Vertrag haben wir alle unterzeichnet, Mr. Blaine, obwohl sich einer von uns nicht darauf zu besinnen scheint.« Dass dieses Dokument nicht notariell beglaubigt und wahrscheinlich illegal war, verschwieg sie. Wieder einmal verwandelte sich das Partygirl in eine Bauernfängerin.
»Ich verstehe«, murmelte Mitch.
Nur ganz leicht hatte ihre Stimme zu zittern begonnen. »Ich bin nicht nur Sams Betthäschen, Mr. Blaine, obwohl Sie mich offenkundig dafür halten. Ob es Ihnen passt oder nicht – ich bin die Präsidentin von SysVal.«
»Quatsch! Dieser Titel bedeutet gar nichts!«, stieß Sam hervor. »Den Namen Faulconer haben wir nur auf den Visitenkarten verwendet. Das war deine Idee.«
»Und ohne meinen Namen auf diesen Visitenkarten würde es uns gar nicht geben.«
Sams Arm schnellte über den Tisch hinweg. Unsanft packte er ihr Handgelenk und zog sie auf den Sitz hinab. In seinen Augen glitzerte kalte Wut. »Willst du’s uns verderben? Verdammt noch mal, du wirst alles vermasseln! Was für einen Unterschied macht es denn, wie wir SysVal aufteilen? Wenn wir heiraten, ist’s ohnehin egal.«
Sekundenlang musste sie die Augen schließen, weil es so wehtat. In ihrem Herzen schien sich ein Messer zu drehen, mit tödlichem Diamantschliff. Beinahe hätte sie sich zusammengekrümmt. Wann immer sie versucht hatte, mit Sam über seine Gefühle zu reden, über eine gemeinsame Zukunft, war er ihr ausgewichen. Und jetzt benutzte er ein Eheversprechen als Köder, den er ihr vor die Nase hielt, um sie zu manipulieren. Damit sie alle seine Wünsche erfüllte... Ihr wurde heiß und kalt. Zum ersten Mal fragte sie sich, ob SysVal das alles wert war.
»Wenn ich bei Atari kündige, bin ich nicht mehr krankenversichert«, erklärte Yank zusammenhanglos.
Mit diesem Einwand gab er ihr wenigstens eine Gelegenheit, sich zu fassen. Später, wenn sie allein war, würde sie über Sams emotionalen Verrat nachdenken. Jetzt musste sie sich zwingen, Geschäftliches von Privatem zu trennen, so wie die Männer seit Jahrhunderten. Als wäre sie ein Kind, das in einem Sandkasten spielt, würde sie alle Gefühle vergraben, um sie später wieder hervorzuholen.
Mittlerweile hatte Sam seinen Griff um ihren Arm gelockert, und sie befreite sich. Dann schlang sie die Finger auf dem Tisch ineinander, um zu verhindern, dass sie zitterten. Vorerst würde sie Sam vergessen und sich ausschließlich auf Mitchell Blaine konzentrieren. »Sie besitzen das Ansehen und die Erfahrung, die uns fehlen. Andererseits haben wir etwas, das Sie brauchen. Ich habe mich über Ihre Kariere informiert, Mr. Blaine. Manchmal waren Sie ein bisschen zu kühn für Ihre Arbeitgeber. Nicht wahr? Sicher waren Sie frustriert, weil einige Ihrer innovativsten Ideen von Männern abgebremst wurden, die noch konservativer waren als die andere – die spießige Seite ihres Wesens.«
Susannah glaubte eine gewisse Verblüffung in seinen Augen zu lesen und nutzte ihren Vorteil.
»Bei SysVal werden Sie das dynamische kreative Klima finden, das Sie gesucht haben – und das Sie von Ihrer Langeweile erlösen wird. Da wir völlig unerfahren sind, haben wir keine vorgefasste Meinung über diese oder jene Methode. Wir wollen eine menschliche progressive Firma von Grund auf organisieren – ein Unternehmen, das die Menschen ebenso wichtig nimmt wie sein Produkt. Wenn Sie unser vierter Partner werden möchten, würden wir drei uns freuen, Mr. Blaine. Aber da ich die Präsidentin von SysVal bin, stelle ich meine Bedingungen.« Ohne Sams halb erstickten Laut zu beachten, fuhr sie fort: »Ihr Angebot eines Hunderttausend-Dollar-Kredits ist großzügig, aber nicht großzügig genug, falls Sie eine gleichberechtigte Partnerschaft wünschen. Ich kümmere mich um die Buchführung, Mr. Blaine. Wenn wir den selbstständigen Computer sofort auf den Markt bringen wollen, ohne uns an einen Risikokapitalgeber zu wenden, brauchen wir die doppelte Summe. Außerdem ersuche ich Sie, möglichst bald fünfundzwanzigtausend Dollar von Ihrem eigenen Vermögen zu investieren. Damit würden Sie Ihr aufrichtiges Engagement beweisen und uns über dringende finanzielle Probleme hinweghelfen.« Zu Yank gewandt, fragte sie: »Einverstanden?«
Geistesabwesend nickte er.
»Sam?«, fragte sie und zwang sich, ihn anzuschauen.
Die Zähne so fest zusammengepresst, dass sich ein weißer Ring um seine Lippen gebildet hatte, schüttelte er den Kopf. »Was zum Teufel bildest du dir eigentlich ein? Mitch hält alle Trümpfe in der Hand. Und wir sind gar nicht in der Position, mit ihm zu feilschen.«
»Oh, doch. Das ist unsere Firma. Und so wichtig es auch wäre, dass er bei uns einsteigt – letzten Endes haben wir das Sagen. Trifft das zu, Mr. Blaine?«
»Bis zu einem gewissen Grad, Miss Faulconer. Nur bis zu einem gewissen Grad.« Seine leise Stimme war fast ein Flüstern. Trotzdem schwang kalte Autorität darin mit. »Ohne mich wird Ihre Firma bald vom Erdboden verschwinden.«
»Ohne Sie«, erwiderte sie seelenruhig, »wird Sam einen anderen Geldgeber finden.«
Tiefe Stille sank auf den Tisch herab. Zum ersten Mal seit dem Beginn der Auseinandersetzung geriet Mitchs Fassung ein wenig ins Wanken, und Susannah nutzte erneut die Gunst der Stunde. »Unterschätzen Sie ihn nicht, Mr. Blaine, das wäre ein Fehler. Sam ist dreist, arrogant und ein lausiger Organisator, wenn’s um Details geht. Dafür wurde er mit einem Talent gesegnet, das kaum jemand besitzt – und das fast niemand richtig anzuwenden weiß. Er kann vernünftige Leute veranlassen, völlig verrückte Dinge zu tun.«
»Vernünftige Leute wie Sie, Miss Faulconer?«
»Und wie Sie, Mr. Blaine.«
Eine Zeit lang schaute er sie nachdenklich an, dann stand er auf und warf ein paar Dollarscheine auf den Tisch. Wortlos verließ er das Restaurant.
Draußen war die Luft kalt. Während er den Parkplatz überquerte, beschleunigte er seine Schritte. Mit ärgerlichem Stakkato klapperten die Sohlen seiner Halbschuhe auf das Pflaster. Er war von klein auf stolz auf seinen analytischen Verstand gewesen, seine Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, ohne sich von Emotionen beeinflussen zu lassen. Und an diesem Abend hatte er gründlich versagt.
Nein, sie war nicht wie Louise. Niemals würde die Frau, die in dieser miesen Kneipe den Kampf mit ihm aufgenommen hatte, sieben Ehejahre einfach wegwerfen. Stattdessen würde sie von ihrem Mann verlangen, die Dinge zu ändern, die sie störten. Trotz ihrer hochnäsigen Art war Susannah Faulconer eine Kämpferin – nicht ganz die Dilettantin, für die er sie gehalten hatte.
Aber vielleicht irrte er sich. Möglicherweise war er wegen seiner drohenden Scheidung traumatisiert und nicht mehr imstande, Frauen richtig einzuschätzen. Er nahm den Schlüssel seines Mietwagens aus der Hosentasche und steckte ihn ins Schloss. Was würde geschehen, wenn sie ihren Willen durchsetzte? Würde sie sich bald langweilen und eine neue Abwechslung suchen?
»Mr. Blaine?«
Widerstrebend drehte er sich um.
Obwohl sie mit schnellen Schritten auf ihn zukam, wirkte sie nicht überhastet. Das war ihm von Anfang an aufgefallen – die kontrollierten Bewegungen, die Ruhe, die sie ausstrahlte, die verschlossene, kühle Miene. Darin erinnerte sie ihn an Louise. Nein, nicht ganz ... Jetzt, wo er Miss Faulconer in Aktion sah, erkannte er, dass sie jemand anderem glich. Aber wem?
Sie blieb neben ihm stehen. Den Blick von ihrem Gesicht abgewandt, zog er den Autoschlüssel aus dem Schloss. »Haben Sie mich noch nicht genug zusammengestaucht, Miss Faulconer?«
Nicht mehr ganz die selbstbewusste Frau, die sie eben noch gewesen war, begann sie zu sprechen – und verstummte. Voller Genugtuung beobachtete er ihr Zögern. In Konfrontationen mit Frauen ließ er sich nicht gern ausstechen, schon gar nicht von blutigen Anfängerinnen.
»Nur noch eins – ich möchte wissen, warum Sie mich nicht mögen«, gestand sie. »Wegen meines Vaters, nicht wahr?«
So ernst war sie, so korrekt. Wieder einmal hatte er das seltsame Gefühl, er wäre ihr schon einmal begegnet. »Ihr Vater ist mir nicht sympathisch, Miss Faulconer. Aber ich respektiere ihn. Er hat nichts damit zu tun.«
Zufrieden registrierte er, dass er sie mit seiner Antwort verwirrte.
»Was ist es dann? Habe ich irgendetwas verbrochen? Was ich heute Abend sagte, daran kann es nicht liegen. Seit wir uns kennen, spüre ich Ihre Abneigung.«
Offenbar wollte sie nicht lockerlassen. Er war allerdings genauso fest entschlossen, nicht erneut ins Hintertreffen zu geraten. Von Louise würde er ihr ganz sicher nicht erzählen. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, das Thema fallen zu lassen?«
Sie biss auf ihre Unterlippe, und da wusste er, dass sie noch nicht mit ihm fertig war.
Zu seiner eigenen Überraschung hörte er sich sagen: »Was immer ich ursprünglich über Sie dachte – heute Abend haben Sie’s geändert.«
Langsam zogen sich ihre Mundwinkel nach oben, zaudernd und liebenswert. Gegen seinen Willen lächelte auch er.
»Ist das ein Kompliment?«, fragte sie.
»Ganz eindeutig, Miss Faulconer.«
Und dann merkte er, was ihm so vertraut an ihr war. Die perfekten Manieren, die ruhige Höflichkeit, die stählerne Willenskraft. An Louise erinnerte sie ihn nicht, sondern an ihn selbst.
Die Erkenntnis nahm ihm fast den Atem, und dann spürte er völlig unerwartet, wie sich seine Stimmung erhellte. In diesem Moment traf er seine Entscheidung. Noch während er sprach, ahnte er den neuen, gefährlichen Kurs voraus, den sein Leben einschlagen würde. »Also gut, ich akzeptiere Ihre Bedingungen, Miss Faulconer. Aber seien Sie Ihrer Sache nicht zu sicher, denn ich werde unablässig über Ihre Schulter spähen.«
»Okay, Mr. Blaine, und ich werde zurückschauen.«
Da lachte er. Auf ihre Art war sie genauso unverschämt wie Sam Gamble. Doch das vertuschte sie diskret. Er stieg in den Wagen und drückte auf den Knopf, um die Fensterscheibe zu öffnen. »Erzählen Sie Ihren Partnern, vielleicht fällt mir ein besserer Name für den neuen Computer ein als SysVal II.«
»Oh?«
»Vielleicht sollten wir ihn nach Ihnen nennen.«
Erstaunt hob sie die Brauen. »Nach mir?«
»Ja.« Mitch beugte sich aus dem Fenster. »Wie wär’s mit ›Hot Shot‹?«
Ihr Gelächter klang so melodisch wie das Läuten volltönender Glocken. »Meinen Sie das ernst? Hot Shot? Ein Superass, ein Klassetyp? Ich?«
»Sie, Miss Faulconer«, bestätigte er, schloss das Fenster und legte den Rückwärtsgang ein. Immer noch lächelnd, schaute sie dem Auto nach, bis es auf den Highway fuhr. Hot Shot ... So hatte sie noch niemand genannt. Natürlich war das albern, aber nett.
Plötzlich hörte sie Schritte hinter sich, und ihr Lächeln erlosch. Sams Hand berührte ihre Schulter. »Was zum Teufel treibst du eigentlich?«, fragte er eher müde als wütend. »Also wirklich, du bist der letzte Mensch auf der Welt, dem ich psychische Probleme wegen irgendwelcher Machtpositionen zugetraut hätte.«
Sie wollte ihm eine bissige Antwort geben, ihm wehtun, so wie er sie verletzt hatte. Doch der Kampfgeist, den sie für die Diskussion mit Mitchell Blaine aufgeboten hatte, verebbte. Sie folgte Yank zum Duster, der völlig schief in der nächsten Reihe parkte, und Sam blieb ihr auf den Fersen.
»Wenn du weiterhin so idiotische Machtspiele inszenierst, wird die Firma nicht funktionieren. So was dürfen wir uns verdammt noch mal nicht erlauben!«
Yank tastete seine Hosentaschen ab, auf der Suche nach dem Autoschlüssel. Vom kalten Nachtwind erfasst, flog Sams Haar empor. Schmerzhaft begann Susannahs Herz zu pochen. Warum musste er so stur sein, so fanatisch?
»Diesen Deal hast du total verbockt, Suzie. Alles hast du versaut – alles, wofür wir so hart gearbeitet haben – alles, wovon wir träumen ... Beinahe habe ich das Gefühl, du bist uns absichtlich in den Rücken gefallen.«
Geistesabwesend strich Yank über seine Hemdtasche. »Das hat sie nicht getan. Oder, Susannah?«
»Nein«, stimmte sie zu.
»Gar nichts hat sie verbockt, Sam.«
»Was heißt das?« Sams Blick irrte zwischen den beiden hin und her. »He, Yank, wovon redest du? Hat Mitch was zu dir gesagt, Suzie?«
Ohne zu überlegen, wieso Yank Bescheid wusste, würgte sie hervor: »Mitch hat meine Bedingungen akzeptiert, und er wird SysVals vierter Partner.«
Da leuchtete Sams Gesicht auf, als wäre ein ganzes Sonnensystem in ihm explodiert. »Tatsächlich? Er ist einverstanden? Fabelhaft! Einfach gigantisch!« Außer sich vor Begeisterung riss er sie an seine Brust. Aber der Moment geteilter Freude, den sie inbrünstig herbeigesehnt hatte, war ihr verdorben worden. Nun ließ er sie los, um beide Arme in die Luft zu werfen. »Oh, das wird fantastisch!« Den Kopf im Nacken, begann er, in blumigen Worten die Revolution auszumalen, die sie entfesseln würden. So groß wie Yank oder Mitch war er nicht. Aber während er mit weit ausholenden Gesten die Luft durchschnitt und die Nacht mit den Pailletten seiner Träume erhellte, wirkte er weitaus größer als die beiden.
Da spürte sie wieder seine Energie, die sie so magnetisch anzog, jene unbeugsame Willenskraft, die sie zu seinem glänzenden Regenbogen führte. Und sie wollte so gerne mit ihm hinaufsteigen ... Aber diesmal leistete irgendetwas in ihrem Innern entschiedenen Widerstand. Als er sah, wie erstarrt sie dastand, verstummte er. Einige Sekunden lang musterte er sie, dann wandte er sich zu seinem Freund. »Suzie und ich gehen ein bisschen spazieren, Yank. Warte auf uns, okay?«
Nun suchte Yank den Boden zu seinen Füßen ab.
Sam zog den Duster-Schlüssel aus seiner eigenen Hosentasche und warf ihn seinem Freund zu. »Allzu lange wird’s nicht dauern.« Dann nahm er Susannahs Arm und zog sie zum Einkaufszentrum zurück. »Bist du immer noch zu feige, um mir den Fehdehandschuh hinzuwerfen? Du bist unglaublich sauer. Aber statt zu kämpfen, schmollst du lieber.«
Seltsam, ein Teil ihrer Courage kehrte plötzlich zurück. Lag es an seiner Nähe? Besaß er die magische Gabe, seine Energie aus seinem Körper in ihren zu leiten? »Vor einem Streit mit dir fürchte ich mich nicht. Im Augenblick frage ich mich nur, ob du’s wert bist?«
Noch ehe die Worte über ihre Lippen kamen, konnte sie nicht fassen, dass sie so etwas tatsächlich aussprach. Beinahe strauchelte sie, und sie wusste, wie tief sie ihn verletzt hatte. Welch ein eigenartiges Gefühl zu erkennen, wie viel Macht sie über ihn ausübte. Sie trat auf den Gehsteig. Auf dem Pflaster lag eine Eistüte in einer hässlichen braunen Pfütze. Sie gingen an der Tür von Mom & Pop’s vorbei. Vor dem Schaufenster der chemischen Reinigung blieb Susannah stehen. Blindlings starrte sie ein Brautkleid an, das in einem großen Karton ausgestellt war. Wieder einmal entrang sie ihrer Seele den Mut, um zu sagen, was sie nicht verschweigen durfte.
»Versuch nie wieder, mich auszuschließen, Sam.«
»Glaubst du, das hätte ich getan?«
»Ja. Erst hast du mich abserviert – und dann ein Eheversprechen als Köder benutzt, um mich bei der Stange zu halten.«
»Allmählich wirst du paranoid. Ich nahm einfach nur an, eines Tages würden wir heiraten. Der Frauentyp, der jahrelang glücklich und zufrieden in wilder Ehe lebt, bist du nun mal nicht.« Er nahm eine Hand aus seiner Jackentasche und legte sie auf ihre Schulter. »Tut mir Leid, Suzie, ich hatte wirklich nicht vor, meine Macht zu demonstrieren. Ich verstand bloß nicht, dass du so versessen darauf bist, bei jedem t den Querstrich zu malen und ein Pünktchen auf jedes i.«
»Für mich stand viel mehr auf dem Spiel als i-Punkte.«
»Das sehe ich anders. Wir sind ein Paar, nicht wahr? Was der eine hat, gehört auch dem anderen.«
So ernsthaft, so überzeugend ... Aber diesmal ließ sie sich nicht übertölpeln. »Wenn das so ist – warum bist du nicht ausgestiegen?«, fragte sie sanft. »Warum hast du nicht gesagt: ›Ich halte mich da raus, Mitch, deine Partnerin soll Susannah sein. Was sie hat, gehört auch mir!‹?«
Abrupt nahm er seinen Arm von ihren Schultern. »Lächerlich! Nicht einmal logisch. Das Ganze war meine Idee. Und SysVal bedeutet mir alles.«
»Ich habe meinen Vater verloren, Sam. Auch mir bedeutet SysVal alles.«
Sobald ihm der Sinn ihrer Worte bewusst wurde, entspannten sich seine harten Züge. Unsicher lächelte er – ein bedauerndes, reumütiges Lächeln. In ihrem Herzen begann ein bisschen Eis zu schmelzen. Er neigte sich zu ihr, seine Stirn berührte ihre, und ihre Lider senkten sich. So standen sie eine Zeit lang zusammen, die Augen geschlossen, Stirn an Stirn.
»Tut mir Leid«, flüsterte er.
In ihrer Kehle stieg ein Schluchzen auf, das sie sofort bezwang. Auf keinen Fall wollte sie in Selbstmitleid baden. »Ich möchte so wichtig für dich sein wie die Firma.«
»In meinem Herzen bist du mit SysVal vereint.«
So blieben sie noch eine ganze Weile stehen, seine Stirn an ihrer. Dann streiften sich die Nasen und die Lippen. Doch sie küssten sich nicht.
»Ich liebe dich, Suzie«, beteuerte er leise, und seine Stimme klang sehr jung und voller Angst. »Manchmal bin ich verrückt, das weiß ich. Und du musst versprechen, mich niemals zu verlassen. Bitte, Baby, ich brauche dich so dringend. Oh, mein Gott, ich liebe dich. Versprich mir, dass du immer für mich da sein wirst.«
Ganz fest umfasste er ihre Hände, und seine Finger schienen ein unzerreißbares Band zu bilden. In diesem Moment erkannte sie, wie leidenschaftlich sie ihn liebte. Ihre Kehle verengte sich, und sie konnte nicht sprechen – die Worte nicht hervorwürgen, die er sich wünschte. Stattdessen öffnete sie die Lippen und küsste ihn verzweifelt.