11
An diesem Abend stürmte Angela Gamble wie die Rhythmusgruppe einer Straßenband in die Garage – scheppernde Talisman-Armreifen, klappernde Stilettos, klirrende, mit Münzen geschmückte Zigeunerohrringe.
»Da bin ich wieder, Sammy Bammy!« Die Arme ausgebreitet, rannte sie zu ihrem Sohn, ein rosaroter Blitz in einem Jogginganzug aus Gaze, mit einem metallischen Fischschuppengürtel. Die schulterlange, üppig gesprayte Haarwolke bewegte sich kaum.
»Hi, Mom.« Sein Lächeln erreichte die Augen nicht hundertprozentig. Nur halbherzig erwiderte er die Umarmung.
Sie pflanzte einen schmatzenden Kuss auf sein Kinn und tätschelte seine Wange. »Zum Lohn für die Schwierigkeiten, die du wahrscheinlich in meiner Abwesenheit hattest.« Ohne Atem zu holen, raste sie zu Yank und kniff ihn in den Hintern. »Oh, was für stramme Bäckchen! Hast du mich vermisst?«
Blinzelnd drehte er sich um. Susannah, die gerade einen Karton mit elektrotechnischen Teilen auspackte, beobachtete erstaunt, wie sich ganz langsam ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete. »Hallo, Angela.«
Zweiundvierzig Jahre alt, war Mrs. Gamble klein und zierlich, trotz ihrer schrillen Aufmachung recht hübsch und in einen erbitterten Kampf gegen das nahende mittlere Alter verstrickt. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, drückte einen innigen Kuss auf Yanks Lippen, dann tätschelte sie ihn noch heftiger als zuvor ihren Sohn. »Für all die Mühe, die du in meiner Abwesenheit hattest.«
Zerstreut rieb er sich die Wange, schenkte ihr noch ein Lächeln – diesmal eher vage – und griff nach seinem Logikanalysator.
Nun wandte sich Angela zu Susannah. »Hi, Schätzchen, ich bin Angela Gamble. Sind Sie Sammys neue Freundin?«
Susannah stellte sich vor, und Angela starrte sie neugierig an.
»Irgendwie kommen Sie mir bekannt vor ... Warum, Sammy?«
»Weil sie dich an die Schauspielerin erinnert, die wir vor ein paar Monaten im PBS-Sender gesehen haben«, erwiderte er leichthin und sortierte ein paar Kondensatoren.
»Ich sehe nie PBS. Diesen ausländischen Akzent halte ich nicht aus. Und ich vergesse niemals eine Frisur. Nur wenige Frauen tragen heutzutage noch so einen Knoten.«
Aus unerfindlichen Gründen hatte Susannah das Gefühl, sie müsste sich entschuldigen. »So frisiere ich mich nicht immer. Manchmal lasse ich mein Haar offen.«
»An Ihrer Stelle würde ich’s schneiden lassen. Knapp bis unters Kinn. Mit langen Strähnen an der Oberfläche, damit es voll, aber nicht verspielt wirkt. Wie der neckische Typ sehen Sie nicht aus.«
Da diese Ratschläge offenherzig und gutmütig erteilt wurden, konnte Susannah ihr nichts übel nehmen. »Okay, ich denke drüber nach.«
Angela musterte sie weiterhin stirnrunzelnd. »Wie war doch gleich Ihr Nachname?«
»Faulconer«, antwortete Susannah zögernd.
Ein Funken des Erkennens zuckte über Angelas Gesicht, und sie quietschte: »Das glaub ich nicht! Über Sie habe ich eine Story in der Zeitung gelesen, nicht wahr? Sie sind die Tochter von diesem hohen Tier, die vor ihrer eigenen Hochzeit getürmt ist! Oh, mein Gott! Weißt du, wer das ist, Sammy? Das ist Susannah Faulconer! Die sollte diesen Kerl heiraten. Und da platzt ein anderer Kerl auf einer Harley ins piekfeine Hochzeitsfest rein und ...« Mitten im Satz verstummte sie und drehte sich zu Sam um. »Ach, du meine Güte!«, hauchte sie. »Das warst du!« Ohne Vorwarnung begann sie entzückt zu kreischen. Wie eine Mini-Flamencotänzerin trommelte sie mit ihren Bleistiftabsätzen auf den Boden. »O Sammy, das hätte ich mir denken können, als ich den Artikel las und so ein komischer Schauer über meinen Rücken rann! Du bist genauso wie dein Alter! Wenn er das bloß mitkriegen würde!«
Sam versteifte sich. Dann trat er einen Schritt vor. »Susannah wird für eine Weile hier wohnen.«
»Oh, großartig! Einfach großartig! Hätte ich’s gewusst, wäre ich schon letzte Woche zurückgekommen. In Vegas ist sowieso nichts los. Seit Elvis so wenig Schlagzeilen macht, ist diese Stadt nicht mehr das, was sie mal war. Außerdem musste ich mir dauernd Audreys Gejammer anhören, weil sie ununterbrochen fetter wird. Jedenfalls ist der King immer noch der King ...«
Abrupt fiel Sam ihr ins Wort. »Hast du Lust, Spaghetti zu kochen? Klar, es ist ziemlich spät, aber wir sind alle verdammt hungrig.«
Überrascht schaute Susannah ihn an. Vorhin hatte sie gefragt, ob sie was zu essen machen sollte. Das hatte er abgelehnt.
»Ja, natürlich, Baby.« Angela streichelte sein Kinn und umarmte Susannah. »Bleiben Sie bei uns, so lange Sie wollen, Schätzchen. Und wenn Sie sich über Sammy ärgern, sagen Sie’s. Mit vereinten Kräften werden wir ihn in Schach halten.« Klirrend und bimmelnd verließ sie die Garage.
Noch am selben Abend übersiedelte Susannah in Angelas Nähzimmer, obwohl Sams Mom mehrfach betont hatte, sie sei nicht prüde.
Wütend über Susannahs Entschluss, warf er ihr kleinkarierte Ansichten vor. Aber sie konnte unmöglich sein Bett teilen, während seine Mutter auf der anderen Seite des Flurs schlief. Sie waren nicht verheiratet, nicht einmal verlobt. Darüber hatten sie nie gesprochen.
Am nächsten Morgen wurde sie von Angela in der Küche abgefangen, bevor Sam erwachte. »Kommen Sie, Schätzchen, unternehmen wir was gegen Ihren Haarknoten.«
Entschlossen ignorierte sie Susannahs Protest, scheuchte sie in den Pretty Please Salon und drückte sie in den Sessel. Zwanzig Minuten lang schwatzte sie, ließ ihre silberfarbene Schere klappern und kürzte Susannahs Haar, bis die Spitzen ihre Schultern nur leicht berührten.
Nun konnte Susannah nach wie vor einen französischen Knoten schlingen oder die Haare auf dem Scheitel hochstecken. Aber ein paar federige Strähnchen milderten die eckigen Konturen ihres Gesichts und kräuselten sich im Nacken. Dieser Stil unterschied sich nicht so sehr von ihrem früheren, dass sie sich unbehaglich fühlte, wirkte aber legerer und jugendlicher als alle ihre bisherigen Frisuren. Zweifellos würde Cal Theroux die Veränderung missbilligen. Doch sie hatte das Gefühl, sie wäre von einer alten, lästigen Bürde befreit worden.
Sam drehte sich im Bett um und tastete vergeblich nach Susannah. Erbost runzelte er die Stirn. Er mochte es nicht, wenn sie vor ihm aufstand – bevor er es genoss, ihr Hinterteil an seinem Bauch zu spüren und den zarten blumigen Duft ihrer Haare einzuatmen. Manchmal stützte er sich auf einen Ellbogen und beobachtete ihren Schlummer. Sie pflegte sich zusammenzurollen, die Knie angezogen, die gefalteten Hände unter dem Kinn. An der Art, wie sie schlief, kam ihm irgendetwas traurig vor – als wollte sie sich möglichst klein machen, damit die Dämonen dieser Welt sie nicht aufspürten.
Er stieg aus dem Bett, duschte und lief in die Garage. Dort fand er sie zusammen mit seiner Mutter im Pretty Please Salon. Vollauf mit Susannahs neuem Spiegelbild beschäftigt, sahen sie ihn nicht in der Tür stehen. Während er die beiden musterte, wünschte er, ein bisschen was von Suzies Klasse würde auf seine Mom abfärben.
Wieder einmal spannten sich in Angelas Nähe seine Nerven an. Warum konnte sie nicht so sein wie andere Mütter? Warum zog sie sich wie eine Nutte an und dekorierte das Haus wie den schlimmsten aller Trödelmärkte? In seiner Teenagerzeit hatte sie dauernd mit seinen Freunden geflirtet und ihn gedemütigt. Das verzieh er ihr noch immer nicht. Sie besaß keinen Geschmack, kein Niveau, und es interessierte sie nicht im Mindesten, sich so was anzueignen. Andererseits hatte sie ihn in allen Kämpfen seiner Kindheit unermüdlich verteidigt. Wann immer seine Welt einzustürzen drohte, rettete sie ihn. Gegen seinen Vater hatte sie sich behauptet, gegen seine Schullehrer, gegen alle, die ihrem kostbaren Sohn zu nahe getreten waren.
Susannah hob den Kopf, sah ihn im Spiegel, und unbändiger Stolz schwellte seine Brust. Diese elegante Frau hatte er sich gewünscht, und jetzt gehörte sie ihm. Der Triumph der Eroberung dröhnte wie eine Trommel in seinem Gehirn. Sie würde sein Leben ändern. Mit ihrer ruhigen Art würde sie ihn besänftigen und ihm helfen, seine Energien zu bündein. Ihre gute Erziehung würde seine Ecken und Kanten abschleifen. Dank ihrer Anmut und zeitlosen Schönheit würde er bei anderen Männern in höherem Ansehen stehen. Jetzt, wo sie an seiner Seite stand, gab es keine Grenzen mehr in seinem Leben.
Als sie die Stirn runzelte, merkt er, dass sie seine Reaktion auf ihren neuen Haarschnitt abwartete. Also war ihr seine Meinung wichtig. Das gefiel ihm.
Aber bevor er den Mund öffnen und ihr versichern konnte, sie würde fantastisch aussehen, fragte Angela: »Was meinst du, Sammy? Mein Stilgefühl habe ich noch immer nicht verloren, was?«
Wortlos wandte er sich ab, ging zum Hintergrund der Garage und blieb vor der Werkbank stehen. Susannah folgte ihm und schaute eindringlich in seine Augen. O Gott, wie himmlisch war es, wenn man von einer Frau so angesehen wurde!
Susannah zog die Brauen zusammen. Da bemerkte er ihren Ärger über sein Versäumnis, ihre Haare zu bewundern. Die Schultern gestrafft, das Kinn hochgereckt, forderte sie ihn zu einem abfälligen Kommentar heraus. Beinahe hätte er gelacht. Mit der Zeit lernte sie’s. Er musste ihr nur die Richtung weisen, und schon benahm sie sich so, wie er’s wollte.
»Sieht toll aus«, sagte er und umarmte sie.
Sofort verflog ihr Ärger, und sie strahlte vor lauter Freude. »Gefällt’s dir wirklich?«
»O ja.« Leidenschaftlich küsste er sie. Zärtlich schmiegte sie sich an ihn und stöhnte verzückt an seinen Lippen. Nur widerstrebend ließ er sie los.
Sie seufzte und wandte sich zu den Kartons mit dem Material. »Jetzt wirst du mich für die Arbeit einspannen, nicht wahr?«
»Nächste Woche darfst du dir eine Kaffeepause gönnen. Das verspreche ich dir.«
Sie lachte, dann nahmen sie gemeinsam die schwierige Aufgabe in Angriff, vierzig Single-Board-Computer zusammenzusetzen.
Jede Platine mit gedrucktem Schaltkreis mussten sie per Hand bestücken. Sam zeigte ihr, wie man die Füße jedes der kleinen Bauteile durch winzige Löcher steckte und mit dünnen Kupferdrähten umfädelte, die sich über die Leiterplatte zogen. Wenn sich alle Komponenten in der richtigen Position befanden, musste jeder Draht festgelötet und abgeknipst werden. Der Job war monoton und anspruchsvoll zugleich. Wenn Susannah sich nicht haargenau an die technischen Angaben hielt, wurde sie von Sam gezwungen, das Gerät auseinander zu nehmen und neu zusammenzubauen.
Jedes Mal, wenn sie einen Computer fertig gestellt hatten, wurde er von Sam in die »Burn-in-Box« gelegt. Darin musste er achtundvierzig Stunden lang laufen, damit seine Funktionstüchtigkeit gewährleistet wurde. Entweder versagten einzelne Teile schon nach kurzer Zeit – oder nie mehr.
Am Ende der ersten Arbeitsstunde schmerzten Susannahs Finger. Aber sie beschwerte sich nicht. Viel zu laut hörte sie die Uhr ticken: In dreißig Tagen mussten sie ihre Schulden bei Spectra Electronics begleichen.
Joel träumte, ein Hund würde scharfe Zähne in seine Schulter bohren. Verzweifelt versuchte er, Susannah zu erreichen und vor einem schrecklichen Schicksal zu retten. Aber die Fänge der Bestie hielten ihn fest. Er konnte sich nicht bewegen.
Keuchend fuhr er aus dem Schlaf hoch. Der Traum war so realistisch gewesen, dass der Schmerz noch an ihm riss. Zitternd berührte er seine schweißnasse Pyjamajacke.
Niemals würde er Susannah verzeihen, was sie ihm antat. Alles hatte er ihr gegeben. Und wie lohnte sie ihm seine Großzügigkeit?
Allmählich verebbte der brennende Schmerz in seiner Schulter, und seine Atemzüge beruhigten sich. Nicht zum ersten Mal hatte er diese beklemmenden Qualen gespürt. Vielleicht sollte er zu einem Arzt gehen. Aber er scheute sich, seine persönlichen Probleme einem anderen Menschen anzuvertrauen. Nicht einmal ein erfahrener Psychologe durfte davon erfahren.
Seit die Katastrophe hereingebrochen war, hatte er nichts mehr für seine Fitness getan. Er müsste zu seiner alten Routine zurückkehren, eine Golfpartie arrangieren. Natürlich fehlte ihm nichts, das sich nicht mit ein bisschen altmodischer Selbstdisziplin beseitigen ließe. Und mit der Rückkehr seiner Tochter ...
Unerklärlicherweise begann sein Herz wieder schneller zu schlagen. Zwei Wochen waren verstrichen. Inzwischen müsste sie längst Vernunft angenommen haben. Der grauenhafte Gedanke, womöglich würde er sie nie mehr sehen, lauerte stets im Hintergrund seines Bewusstseins. Was sollte er ohne sie machen? Sie bedeutete alles für ihn.
Die Finsternis wirkte bedrückend. Mit unsicheren Fingern tastete er nach der Nachttischlampe, stieß gegen eine Vase mit Gartenblumen, die Paige hingestellt hatte, und warf sie um. Fluchend knipste er das Licht an. Schmutziges Blumenwasser hatte seine Papiere getränkt – und die Kekse auf dem Porzellanteller neben der Vase.
Jeden Abend brachte Paige einen Snack in sein Schlafzimmer, wie ein Kind, das einen Köder für den Weihnachtsmann bereitlegte. Diese kleinen Happen rührte er nie an, weil es ihm widerstrebte, so kurz vor dem Einschlafen noch etwas zu essen. Doch davon ließ sie sich nicht beirren.
Während er die ekelig nassen Kekse betrachtete, fragte er sich, warum er sein eigenes Fleisch und Blut nicht so liebte wie die Adoptivtochter. Doch weil ihn gefühlsbetonte Selbstanalysen regelmäßig unbehaglich stimmten, stand er auf und trat an ein Fenster. Nur Fakten zählten. Und er akzeptierte die schlichte, unbestreitbare Tatsache, dass Susannah schon vor langer Zeit der wichtigste Mensch in seinem Leben geworden war. Deshalb musste er sie zurückholen.
Hätte ich bloß ihren letzten Telefonanruf entgegengenommen, warf er sich vor und starrte unglücklich in die Nacht hinaus. Inzwischen würde sie erkannt haben, welch einen furchtbaren Fehler sie begangen hatte. Und er hätte ihr die Gelegenheit geben müssen, ihn um Verzeihung zu bitten.
Seine Hand umklammerte das Fensterbrett. Stets war er ein Mann der Tat gewesen, und es passte nicht zu seinem Charakter, die Kontrolle über wichtige Ereignisse zu verlieren. Am nächsten Tag wollte er Susannah aufsuchen und ihr klar machen, wie abscheulich sie sich benommen hatte. Nachdem er ihr ein paar Bedingungen gestellt hatte, würde sie klein beigeben. Und letzten Endes würde er ihr die Heimkehr nach Falcon Hill gestatten.
Zum ersten Mal nach dem Nachmittag ihrer Hochzeit erhellte sich das Dunkel in seiner Seele ein wenig. Langsam wanderte er von einem Fenster zum anderen und malte sich die Begegnung aus. Gewiss, sie würde weinen. Doch er durfte ihr nicht erlauben, seine Gefühle zu manipulieren. Nach allem, was sie ihm zugemutet hatte, wollte er ihr es nicht zu leicht machen und sie mit aller Strenge behandeln – aber nicht unnachgiebig. Schließlich würde sie ihm danken, weil er so viel Verständnis zeigte. Und in ein paar Jahren würden sie vielleicht gemeinsam über diese Krise lächeln.
Endlich wieder Herr seiner selbst, ging er zum Bett zurück. Als sein Kopf ins Kissen sank, seufzte er zufrieden. Auf diesen ganzen Unsinn hatte er viel zu emotional reagiert. Am nächsten Tag würde er seine Tochter nach Hause holen. Und alles wäre wieder in Ordnung.
Der Nachmittag war ungewöhnlich heiß für Nordkalifornien, und Susannah hatte die Garagentür geöffnet. Nur gelegentlich wehte ein Brise herein. Obwohl sie ihr kürzeres Haar mit einem roten Gummiband zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, war ihr Nacken feucht. Sie blickte von der Leiterplatte auf, die sie gerade bestückte, und musterte Sam. Damit sein Schweiß nicht auf die Apparate tropfte, hatte er ein Tuch um seine Stirn geschlungen. Sekundenlang blieb ihr Blick an den Muskeln hängen, die sich unter seinem T-Shirt abzeichneten.
»Verdammt -hoffentlich hält Pinky sein Wort«, sagte er unvermittelt. »Solche Typen habe ich schon oft getroffen – echte Hardware-Freaks, hartnäckig von den neuesten Geräten verführt, die ihnen angeboten werden. Mittlerweile müssten die meisten Homebrew-Jungs seinen Laden entdeckt haben. Und ich wette, ein paar versuchen ihm ihre Single-Board-Computer zu verkaufen. Wenn wir ihm unsere Apparate nicht möglichst schnell liefern, wird er sich vielleicht für andere entscheiden. Und wir stehen im Regen.«
Susannah rieb ihren schmerzenden Rücken. Viel zu lange hatte sie sich über den Bestückungstisch gebeugt. »Wir haben schon genug reale Probleme. Also sollten wir keine weiteren erfinden.« Sie streckte sich und versuchte die Verspannungen zu lockern. »Immerhin haben wir einen Vertrag – und die anderen nicht.« Die Muskeln unter dem T-Shirt, die sie eben noch bewundert hatte, erstarrten unnatürlich. Langsam legte sie ihr Löteisen beiseite. »Sam?« Als er schwieg, begannen Alarmglocken in ihrem Gehirn zu schrillen. »Du hast doch einen Vertrag mit dem Mann?«
Ohne ihre Frage zu beachten, beschäftigte er sich übereifrig mit dem Computer, den er schon eine Zeit lang laufen ließ, um ihn zu testen.
»Sam?«
Kampflustig wandte er sich zu ihr. »Daran habe ich nicht gedacht, okay? Ich war zu aufgeregt. Deshalb habe ich’s vergessen.«
Susannah nahm ihre Lesebrille ab und strich über ihre Schläfen. Plötzlich fühlte sie sich unendlich müde. Vor lauter Liebe zu Sam vergaß sie immer wieder, dass er ein Kind war – ein wildes Kind mit einer zu großen Klappe. Sie selbst war ein kleinkariertes Mitglied der oberen Zehntausend, Yank ein hoffnungsloser Spinner, und keiner wusste wirklich, was er tat. Genau genommen alberten sie nur herum und spielten die Rollen erwachsener Leute. Warum überraschte sie Sams Versäumnis, mit Pinky einen Vertrag zu unterzeichnen, so sehr? In diesem Moment erkannte sie das ganze Ausmaß der unüberwindlichen Probleme. Bis zum Hals steckten sie in Schulden. Und es war nur eine Frage der Zeit, bis das Kartenhaus, das sie errichtet hatten, einstürzen würde.
»Sei friedlich, okay?«, murmelte er. »Der Kerl ist ein Hardware-Freak. Das habe ich doch gesagt. Und wir haben die beste Hardware im ganzen Valley.«
Am liebsten hätte sie ihn angeschrien und aufgefordert, erwachsen zu werden. Stattdessen erwiderte sie müde: »Nie wieder mündliche Abkommen, Sam. Von jetzt an muss alles schriftlich festgelegt werden. So etwas darf nie mehr passieren.«
»Seit wann gibst du hier die Befehle?«, fauchte er. »Warum führst du dich wie das allerletzte Miststück auf?«
Vielleicht lag es an der Hitze oder an ihren schmerzenden Muskeln – jedenfalls verlor sie ihre gewohnte Geduld. Wütend schlug sie auf den Bestückungstisch. Das Geräusch hallte durch die Garage und verwirrte sie ebenso sehr wie Sam. Einige Sekunden lang starrte sie ihre Finger an, als würden sie jemand anderen gehören. Und dann – unglaublich – landete ihr Faust erneut auf der Holzplatte.
»Du bist es, der einen Fehler gemacht hat, Sam. Wage es bloß nicht, mich zu beschimpfen! Du hast es vermasselt. Nicht ich.«
»Ja, du hast Recht«, stimmte er zu und wischte mit einem Unterarm über sein Schweißband. »Okay.«
Entgeistert starrte sie ihn an. Was sollte das bedeuten? Hatte sie tatsächlich bei einem Streit mit Sam die Oberhand gewonnen?
Als er ihre Verblüffung bemerkte, schlenderte er grinsend zu ihr und ließ einen dramatisch-lüsternen Blick über ihren Körper wandern. Beglückt spürte sie die Macht ihrer Weiblichkeit, ein neues, wundervolles Gefühl. Ohne zu überlegen, was sie tat, schob sie ihren Zeigefinger in seine Jeans, öffnete den Mund und küsste ihn voller Verlangen.
»Sei ein Engel, und wasch einer Kundin die Haare, Suzie! So ungern ich euch auch störe – die Arbeit wächst mir über den Kopf.«
Hastig riss sich Susannah von Sam los, und er fuhr zu Angela herum, die in der Tür ihres Pretty Please Salons stand. »Um Himmels willen, sie ist nicht deine Hilfskraft, Mom!«
»Mein Rücken tut weh, und ich brauche ohnehin eine Pause«, erklärte Susannah. »Also habe ich nichts dagegen. Yank wird bald auftauchen. Und heute Abend will uns auch Roberta helfen.«
Als sie Roberta erwähnte, verkniffen sich seine Lippen. Aber da er sie angerufen und gefragt hatte, ob sie ein paar Computer zusammensetzen würde, konnte er nicht gut protestieren. Susannah hegte den Verdacht, er würde sogar die alten Damen aus Angelas Salon anheuern, wenn sie besser sehen könnten.
Im angrenzenden Raum wehte ihr ein kühler Luftzug von der Klimaanlage entgegen, die am Fenster montiert war. Eine Frau saß unter einer Trockenhaube, eine andere ließ sich von Angela eine Dauerwelle machen, und Susannah führte die dritte Kundin zum Waschbecken. Behutsam half sie ihr, den Kopf nach hinten zu legen. Fast jeden Tag entlastete sie Sams Mom ein wenig. Es war unmöglich, die herzensgute Angela nicht zu mögen. Außerdem – wenn Susannah ihr beistand, erleichterte sie ihr Gewissen, denn sie bezahlte nichts für Kost und Logis.
Während sie das schüttere Haar der alten Dame vorsichtig einschäumte, überlegte sie, wie dringend sie Geld brauchte. Ihr Leben lang war sie von ihrem Vater abhängig gewesen – und jetzt von Sam und Angela. Notgedrungen hatte sie ihn sogar um die Summe gebeten, die sie brauchte, um eine Packung Tampax zu kaufen. Die hatte er ihr kommentarlos gegeben. Trotzdem fühlte sie sich erniedrigt.
»Oh, haaaallo!« Angelas kokette Stimme übertönte das Rauschen des Wassers, das ins Waschbecken floss, und Susannah schaute auf. Dann stockte ihr Atem, und der kleine Raum schien sich wie verrückt zu drehen.
Joel Faulconer stand in der Tür, hoch aufgerichtet und völlig fehl am Platz – in einem jagdgrünen Polohemd und einer Khakihose mit scharfen Bügelfalten. Seit der letzten Begegnung hatte er ein paar überflüssige Pfunde angesetzt, und die Golferbräune war verblasst. Vielleicht bildete sie sich das nur ein – aber er wirkte um Jahre gealtert.
In den letzten Wochen hatte sie sich an ihre Umgebung gewöhnt, und jetzt sah sie alles mit seinen Augen – die bunte Spiegelwand, die Plastikblumen, die hässlichen Fotos von aufgedonnerten Frisuren. Und sie sah sich selbst – billig und gewöhnlich, in einem Männer-T-Shirt und einer fadenscheinigen Hose, die sie früher bei der Gartenarbeit getragen hatte. Beinahe las sie die Gedanken ihres Vaters, der sichtlich verstört beobachtete, wie sie das Haar einer alten Frau wusch. Dann beäugte er die blauen Pantoffeln der Kundin, die seitlich aufgeschnitten waren, um Platz für ihre Hühneraugen zu schaffen.
Plötzlich erklang ein Schmerzensschrei, und Susannah bemerkte, dass sie ihre Finger viel zu fest in die Kopfhaut der armen Frau grub.
»Tut mir Leid«, entschuldigte sie sich. Mit bebenden Händen spülte sie den Schaum aus dem Haar der Kundin und schlang ihr ein Handtuch um den Kopf. Nach kurzem Zögern ging sie zu ihrem Vater, und Angela glotzte ihr hinterher, ohne ihre Faszination zu verhehlen.
»Ich – ich habe versucht, dich anzurufen«, stammelte Susannah.
»Das habe ich gehört.« Angewidert musterte er ihre Kleidung.
Angelas Armreifen hatten zu klirren aufgehört, und Susannah spürte die neugierigen Blicke der Kundinnen. Mit einer unsicheren Geste bedeutete sie Joel, ihr in die Werkstatt zu folgen. Inzwischen war Sam verschwunden. Vermutlich besuchte er den Mann, der ihnen die Computergehäuse liefern sollte.
Aus der Burn-in-Box drang ein warmer Plastikgeruch und mischte sich mit dem beißenden Gestank der Dauerwelle. In der Garage war es heiß und stickig. Mühsam schluckte Susannah und verschränkte die Arme vor der Brust. »Soll ich dir ein Glas Eistee bringen? In der Küche steht ein Krug, es dauert nur ein paar Sekunden.«
Joel ignorierte das Angebot, ging zur Werkbank und inspizierte die Leiterplatte, die darauf lag. Verächtlich schnaufte er.
»Wenn du’s willst, kann ich dir auch einen Drink holen«, schlug sie hastig vor.
Er drehte sich um und musterte sie so eisig, dass sie sich fragte, ob er sie jemals liebevoll betrachtet hatte. Das ertrug sie nicht. Ihre Kehle verkrampfte sich. Unglücklich stand sie vor dem Mann, den sie liebte, seit sie denken konnte – der Mann, der in ihrer Kindheit als Märchenprinz Drachen für sie getötet und ihr damit ein neues Leben geschenkt hatte. »Hasse mich nicht«, wisperte sie. »Bitte.«
»Erwartest du etwa, ich würde vergessen, was du mir angetan hast?«
»Lass dir erklären, wie ich mich fühlte ...«
»Das willst du mir jetzt erklären?«, fragte er höhnisch. »Interessant. Jetzt, wo alles vorbei und der Schaden nicht mehr zu beheben ist, entschließt du dich zu einer gemütlichen Plauderei zwischen Vater und Tochter.« Wie frostig seine Stimme klang – wie anklagend ...
»Ich möchte dir nur versichern, dass ich dir niemals wehtun wollte.«
»Leider ist die Frist für Geständnisse längst überschritten. Warum hast du nicht vor dem Debakel deiner geplatzten Hochzeit mit mir geredet? Sei so freundlich und verrate es mir, Susannah – wann habe ich mich in ein Monstrum verwandelt, dem du dich nicht anvertrauen konntest? Habe ich dich in deiner Kindheit geschlagen, wenn du mit deinen Sorgen zu mir gekommen bist?«
»Nein, natürlich nicht«, antwortete sie bedrückt.
»Habe ich dich jemals in einen Schrank gesperrt, wenn du unartig warst?«
»Nein, das ist es nicht ...«
»Wenn du mir etwas erzählen wolltest, habe ich dich beiseite gestoßen und gesagt, ich hätte keine Zeit?«
»Nein, du warst wundervoll. Das alles hast du nie getan – nur ...« Beklommen suchte sie nach Worten. »Wenn ich dich geärgert habe, warst du immer so – kühl.«
In gespielter Verblüffung hob er die Brauen. »Also war ich zu kühl. Selbstverständlich! Warum habe ich das nicht bedacht? Nachdem du so schrecklich unter der seelischen Grausamkeit deines Vaters leiden musstest – wer dürfte dir dein Verhalten übel nehmen?«
»Bitte ...« Susannah biss auf ihre Lippen. »Glaub mir, ich wollte dich nicht verletzen.« Die Beteuerung schien sich durch eine mikroskopisch enge Röhre in ihrem Hals zu zwängen. »Und Cal auch nicht. Ich ertrug es einfach nicht mehr – perfekt zu sein.«
»Daran lag es?«, rief er mit ätzender Stimme. »An deiner Perfektion? Hättest du mich bloß darauf hingewiesen und mir die Möglichkeit gegeben, deinen Irrtum zu berichtigen! Du warst nie perfekt, Susannah.«
»Das weiß ich, aber – ich dachte, ich müsste perfekt sein. Sonst würdest du mich nicht lieben. Dauernd fühlte ich mich verpflichtet, alles zu tun, was die Leute von mir erwarteten.«
»Nun, du hast eine ziemlich theatralische Methode gewählt, um das Gegenteil zu beweisen, nicht wahr?«, konterte er geringschätzig und ging zum Bestückungstisch. Geringschätzig fixierte er die verschiedenen elektrotechnischen Teile. Als er sich wieder zu Susannah umdrehte, nahm sein Gesicht noch härtere Züge an. »Nachdem du das wirkliche Leben eine Zeit lang ausprobiert hast, wirst du mich vermutlich fragen, ob du nach Hause kommen darfst.«
Darauf war sie nicht vorbereitet. »Du bist mein Vater, und ich – ich möchte den Kontakt mit dir nicht abbrechen.«
»Soll ich vergessen, was geschehen ist, und dich wieder bei mir aufnehmen? So leicht werde ich’s dir nicht machen. Du hast zu viele Menschen vor den Kopf gestoßen, Susannah. Deshalb kannst du nicht einfach in dein altes Leben zurückkehren und dir einbilden, alles wäre so wie früher.«
»Aber – ich will mein altes Leben gar nicht ...«
»Falls du glaubst, Cal würde dir mit offenen Armen entgegenfiebern, täuschst du dich«, fuhr er fort, ohne ihren Einwand zu beachten. »Niemals wird er dir verzeihen.«
Trotz der heißen, stickigen Luft kroch eisige Kälte durch ihre Haut bis auf die Knochen. »Cal interessiert mich nicht, Daddy, ich möchte hier bleiben und Sam helfen, seinen Computer zu bauen.«
Joels ganzer Körper versteifte sich, sein Gesicht wurde aschfahl. Sekundenlang schien er angestrengt nach Atem zu ringen, dann würgte er heiser hervor: »Heißt das – du ziehst es vor, mit diesem Rowdy in einem schäbigen Loch zu hausen, statt bei deiner Familie zu wohnen?«
»Warum darf das eine nicht ohne das andere sein? Daddy, ich liebe dich! Aber ich liebe Sam auch. Versteh mich doch ...«
»In deiner Beziehung zu diesem Kerl geht es wohl kaum um Liebe – nur um Sex.«
»Nein ...«
»Cal ist ein anständiger Mann, aber offensichtlich nicht scharf genug für dich.«
»Red nicht so mit mir ...« Am liebsten hätte sie sich die Ohren zugehalten, um sich vor Joels gehässigem Angriff zu schützen. »So etwas höre ich mir nicht an.«
»Was deine speziellen Vorlieben betrifft, kann ich nur raten«, höhnte er. »Leder? Motorräder?«
Susannah erkannte sein grotesk verzerrtes Gesicht kaum wieder. War dieser rachsüchtige, hasserfüllte Mann wirklich ihr Vater? Im Hintergrund hörte sie eine Trockenhaube surren und Angela schwatzen. Mit beiden Händen umfasste sie ihre Schultern und kämpfte um ihre Selbstkontrolle.
»Was bietet dir dieser Deckhengst?« Joels Wangen nahmen eine unnatürliche graue Farbe an. »Schlägt er dich? Bist du masochistisch veranlagt?«
In der Tür, die nach draußen führte, ertönte eine spöttische Stimme. »Nein, Faulconer, das verstehen Sie völlig falsch. Sie ist es, die mich schlägt. Nicht wahr, Suzie?« Aufreizend langsam schlenderte Sam herein, jeder Schritt war eine einzige Herausforderung. Unter dem Schweißband fiel sein glattes Haar in Wellen auf die Schultern herab, der silberne Ohrring funkelte zwischen schwarzen Strähnen. Dicht hinter Susannah blieb er stehen und schlang besitzergreifend seine Arme um ihre Taille. »Ihr kleines Mädchen ist eine wilde Katze mit einer Peitsche. Da staunen Sie, was, Faulconer?«
Joels Kehle entrang sich ein halb erstickter Laut. Drohend trat er einen Schritt vor. »Sie unverschämter ...«
»Stimmt genau ...«, fiel Sam ihm gedehnt ins Wort. »Ich bin unverschämt, rüpelhaft und dumm. So dumm, dass ich dem grandiosen Bonzen seine kostbare Tochter vor der Nase weggeschnappt habe.« Er umfing Susannah noch fester und presste ihren Rücken an seine Brust. Dann strich er mit einem Daumen über ihren Busen. »Ahnen Sie allmählich, was ich mit Ihrer Firma machen werde, Faulconer?«
»Hör auf, Sam!«, flehte Susannah. Hatte er völlig den Verstand verloren? Sie riss sich los und eilte zu ihrem Vater. »Um es noch einmal zu betonen – ich wollte niemanden verletzen. Das alles tut mir Leid, aber – ich konnte nicht anders.«
Joel wandte sich ab, als könnte er ihren Anblick nicht länger ertragen. Mit einer verächtlichen Geste wies er auf die Werkbank und den voll geräumten Bestückungstisch. Jetzt klang seine Stimme frostiger denn je. »Was für eine armselige Wahl hast du getroffen, Susannah ... Deine ganze Zukunft vertraust du diesem Taugenichts an, diesem miesen Gauner – und einem Spielzeug, das kein Mensch jemals kaufen wird. Hättest du mich nicht so schändlich hintergangen, würde ich dich fast bedauern.«
»O nein, ich habe dich nicht hintergangen, ich – ich liebe dich.«
»Und deshalb hast du dich in einen Tramp verwandelt – in eine undankbare, billige kleine Schlampe?«
Seine Worte trafen sie wie winzige, tödliche Schrotkugeln. Davor wollte sie sich schützen – aber ihre Verteidigungsbastionen waren zusammengebrochen. Drückende Stille erfüllte die kleine Garage, reglos standen sie alle da, als wüssten sie nicht, wohin sie gehen sollten.
»Finden Sie nicht, Sie hätten ein bisschen übertrieben, Mr. Faulconer?« Aus der Tür des Pretty Please Salons drang das Klirren und Scheppern zahlreicher Armreifen.
Als Angela in den hinteren Teil des Raums kam, warf Joel ihr einen unheilvollen Blick zu, der die meisten Frauen in die Flucht geschlagen hätte. Aber sie schwärmte für attraktive Männer, mochte deren Charakter auch zu wünschen übrig lassen. Und Joel Faulconer sah wirklich fabelhaft aus, obwohl er ein Hurensohn war. Und genau das würde sie ihm jetzt klar machen.
»Ihre Tochter ist eine der nettesten, sympathischsten jungen Ladys, die ich jemals kennen gelernt habe. Und was Sie über meinen Sohn sagen – dass er ein Gauner ist ... Also, ich weiß nicht, ob ich das zu schätzen weiß.«
»Halt dich da raus, Mom«, mahnte Sam. »Mit dir hat das alles nichts zu tun.«
»Moment mal, Sammy, ich bin noch nicht fertig.«
Joel starrte sie an, als wäre sie ein besonders widerwärtiges Reptil. Langsam schweifte sein Blick von den baumelnden Plastikohrringen zu den Sandalen aus Goldlame hinab. »Ja, bitte, lassen Sie Ihre Mutter zu Wort kommen, Gamble! Offensichtlich vertritt sie eine hochinteressante Meinung. Und die will ich mir nicht entgehen lassen.«
Da schwang Sams Arm plötzlich nach hinten, zischend stieß er seinen Atem aus. Gerade noch rechtzeitig warf sich Susannah zwischen ihren Liebhaber und ihren Vater. »Nein, Sam, du machst alles noch schlimmer!« Zu Joel gewandt, fuhr sie fort: »Unsere Probleme haben nichts mit Mrs. Gamble zu tun.«
»Eins will ich Ihnen noch sagen, bevor Sie gehen, Mr. Faulconer ...«, begann Angela, beide Hände in die Hüften gestemmt.
»Halt den Mund, Mom!«
Mit einer knappen Geste brachte Angela ihren Sohn zum Schweigen und konzentrierte ihre ungeteilte Aufmerksamkeit auf Joel. »Bevor Sie meinen Sohn beleidigen, sollten Sie sich’s zwei Mal überlegen, Mr. Faulconer. Weil Sie nicht wissen, wer er wirklich ist.«
»Sei still, Mom!« In Sams Stimme schwang ein gefährlicher Unterton mit. »Tu das nicht!«
Fest entschlossen, sich gegen den FBT-Boss zu behaupten, reckte Angela ihr Kinn hoch. »Mein Sohn, den Sie einen Gauner nennen – der nach Ihrer Ansicht nicht gut genug für Ihre Tochter ist ...«
»Hör auf, Mom!«
»Zufällig ist er Mr. Elvis Presleys einziger männlicher Nachkomme!«
In der Garage breitete sich drückendes Schweigen aus. Sams Gesicht wirkte wie aus Stein gemeißelt. Verblüfft hielt Susannah den Atem an.
Eine volle Minute lang stand Joel Faulconer wie eine Statue da, und schließlich wandte er sich an Susannah. »Das verzeihe ich dir nie!«, herrschte er sie an und eilte hinaus.
Sie wollte ihm folgen, aber Sam packte ihren Arm, bevor sie einen Schritt machen konnte. »Wage es bloß nicht!«, fauchte er, schob sie zum Bestückungstisch und drückte sie auf einen Stuhl. »Du bleibst hier! Verdammt, du wirst diesem Bastard nicht nachlaufen!«
Ohne eine Erklärung abzugeben, kehrte Angela zu ihren alten Damen zurück. Sam wartete, bis er Joels Auto davonfahren hörte. Dann stürmte er aus der Garage. Susannah rieb ihren Arm an der Stelle, wo er ihn unsanft umklammert hatte, und griff nach dem Löteisen. Aber ihre Hand zitterte so heftig, dass sie nicht damit zurechtkam. Und so saß sie einfach nur da und wartete, bis der Schmerz nachließ.
Als es an der Zeit war, das Abendessen vorzubereiten, kehrte Sam noch immer nicht zurück. Schon seit einer ganzen Weile arbeiteten Roberta und Yank in der Garage. Ihr unaufhörliches Geschwätz und sein beharrliches Schweigen zerrten qualvoll an Susannahs ohnehin schon strapazierten Nerven.
Schließlich floh sie in die Küche, um ihren beklemmenden Gedanken zu entrinnen, und suchte Zutaten für einen Salat zusammen. Während sie einen Salatkopf zerpflückte, kam Angela herein. »Wahrscheinlich müssen wir beide allein essen, Suzie. An deiner Stelle würde ich nicht damit rechnen, dass Sammy zum Dinner kommt«, fügte sie hinzu, spritzte Spülmittel auf ihre Hände und wusch sie über dem Spülbecken. »Nun werde ich Salami und Käse schneiden, und wir machen uns einen üppigen Chef-Salat, nur für uns Mädchen.«
»Okay.«
Klirrend stießen Angelas Armreifen gegen die Kühlschranktür, und sie nahm eine Einkaufstüte aus dem Delikatessenladen heraus. »Magst du Oliven?«
»O ja.« Susannah nahm ein Schälmesser aus einer Schublade. »Tut mir Leid wegen dieser schrecklichen Szene mit meinem Vater ... Seit Wochen liege ich euch auf der Tasche. Und nun musstet ihr das auch noch erleben.«
Mit einem lässigen Achselzucken tat Angela die Entschuldigung ab. »Für deinen Vater bist du nicht verantwortlich. Und mich freut’s, dass du bei uns wohnst. Du bist eine echte Lady. Und du hast einen guten Einfluss auf Sammy. Sicher ist’s dir schon aufgefallen – mein Sohn und ich, wir verstehen uns nicht allzu gut. Weil er sich für mich schämt.«
Aus gewohnter Höflichkeit wollte Susannah widersprechen. Dann besann sie sich eines Besseren. Wenn Angela den Mut zu rückhaltloser Ehrlichkeit aufbrachte, würde ein Protest beleidigend wirken. »Er ist noch jung.««
»Ja.« Angelas Gesicht nahm weichere Züge an. »Jung und rebellisch. So schwer hatte ich’s mit ihm!«
Susannahs Kummer über den Streit mit Joel hatte die Neugier auf Angelas Enthüllung verdrängt. Jetzt erinnerte sie sich wieder daran. »Sein Vater ...?«
»Sicher war Frank Gamble ein anständiger Mann – zumindest in den ersten Jahren. Aber er hatte keine Fantasie.«
In Susannahs Hand erstarrte das Messer, mit dem sie eine Salatgurke schälte. Eigentlich hatte sie nicht erwartet, irgendetwas über Frank Gamble zu erfahren. Und Elvis?
Angela begann die Einkaufstüte auszupacken. »Weil ich ein braves italienisches Mädchen war und mich in Schwierigkeiten gebracht hatte, musste ich ihn heiraten – falls du erraten kannst, was das bedeutet. Leider hatten wir nicht viel gemeinsam. Sobald Sammy ins Teenageralter kam, brüllte Frank ihn dauernd an und warf ihm vor, er sei ein Hippie, ein Rumtreiber. Oh, es war schrecklich, denn ich liebte Sammy, wie ich meinen Mann nie geliebt hatte. Vor ein paar Jahren verließ mich Frank wegen einer anderen Frau. Da war ich erleichtert, obwohl ich bei den Versammlungen der Altar Society so tat, als wäre mein Herz gebrochen. Immerhin bin ich eine Katholikin.«
»Oh – ich verstehe.« Susannah schnitt die Gurke in Scheiben und versuchte, das alles auf die Reihe zu kriegen.
»Natürlich war’s ziemlich hart für mich, dass Frank mit einer Zwanzigjährigen weglief, als meine Titten zu hängen anfingen und mein Gesicht nicht mehr so aussah wie früher. Mit zwanzig war ich bildhübsch«, fuhr Angela träumerisch fort. Plötzlich lachte sie verlegen. »Jetzt hör dir das an! Man könnte glauben, ich würde schon mit einem Fuß im Grab stehen, statt die Blüte meiner Jahre zu genießen. Vermutlich willst du wissen, was mit Elvis los war.«
»Nur wenn’s dir nichts ausmacht, mir davon zu erzählen.«
»Gar nichts. Es ist nur – Sammy hasst es, wenn ich drüber rede. Klar, heute Nachmittag hätte ich in der Garage den Mund halten sollen. Aber dein Vater – nimm’s mir nicht übel – war wirklich ein Ekel.«
»Auf diese Art benimmt er sich nicht immer. Ich fürchte, ich habe ihm sehr wehgetan.«
»Die ganze Zeit tut Sammy mir weh. Trotzdem führe ich mich nicht auf wie dein Dad.«
In Susannahs Augen brannten Tränen, die sie hastig hinunterschluckte. »Und wann hast du Mister – eh – Elvis getroffen?«
»In den fünfziger Jahren. Immer wieder. Ich fuhr nach L. A. und arbeitete als Statistin. Dann wurde ich für ›Love Me Tender‹ engagiert. Da wollten alle Statistinnen der Welt mitmachen, weil’s Elvis’ erste Starrolle war. Glücklicherweise hatte ich einen Freund, und der hatte einen Freund in der Branche. Und so bekam ich den Job.« Geistesabwesend knabberte Angela an einem Stück Schweizer Käse. »Ich muss nur die Augen schließen, schon sehe ich ihn, wie er den Titelsong singt.« Sie seufzte leise und begann »Love Me Tender« zu summen.
Da stimmt was nicht, überlegte Susannah. Sam war vierundzwanzig, also 1952 geboren. In den frühen fünfziger Jahren hatte Elvis Presley noch keine Hauptrollen gespielt. »Wann wurde der Film gedreht?«
»Ich kann mir keine Jahreszahlen merken. Jedenfalls lernte ich Elvis schon viel früher kennen. Das muss – um 1951 gewesen sein. Ich fuhr mit einer Freundin nach Nashville. Damals wurde Elvis ›Hillbilly Cat‹ genannt, und er sollte gerade seinen ersten Plattenvertrag unterschreiben. Hättest du ihn bloß gesehen! Jung und sexy, mit diesen schweren Augenlidern, das pomadisierte Haar nach hinten gekämmt ... Versteh mich nicht falsch, Suzie, ich war ein sittsames Mädchen. Jeden Sonntag ging ich zum Gottesdienst, und ich wollte sogar Nonne werden. Aber mit Elvis war’s irgendwie was Heiliges. Möchtest du ein hart gekochtes Ei in deinem Salat?«
»Ja, bitte«, antwortete Susannah zerstreut.
»Liebst du ihn wirklich?«
Susannah glaubte, Angela würde Elvis meinen, und es dauerte ein paar Sekunden, bis sie merkte, dass wieder von Sam die Rede war. »Natürlich liebe ich ihn.«
»Aber ihr passt nicht zusammen.«
»Das weiß ich.«
»Nimm dich vor ihm in Acht, Suzie. Er ist – anders, denn er sieht die Welt nicht wie normale Menschen. Du bist so ein nettes Mädchen. Wenn er dich verletzen würde – das will ich nicht.«
Angelas Warnung beunruhigte Susannah. Doch sie verbannte ihr Unbehagen, als sie später in die Garage ging und Sam am Bestückungstisch sitzen sah. Allein schon sein Anblick vertrieb alle Bedenken.
Eine Zeit lang arbeiteten sie Seite an Seite, dann fragte sie, was sie von der Behauptung seiner Mutter halten sollte, er sei Elvis Presleys Sohn.
»Das ist gelogen«, erwiderte er brüsk. »Dieses Märchen hat sie nach ihrer Scheidung erfunden. Jedes Mal, wenn sie davon faselt, ändert sich die Story, und sie bringt ständig die Jahreszahlen durcheinander. Vergiss es einfach, okay? Darüber möchte ich nicht weiter reden.«
Susannah bedrängte ihn nicht. Irgendwann nach Mitternacht zog er sie in den Pretty Please Salon, und sie liebten sich auf dem Stuhl vor dem Haarwaschbecken. Erst danach wurde ihr bewusst, dass sie die Tür nicht versperrt hatten. Aber das spielte wohl keine Rolle, weil Angela schon vor Stunden ins Bett gegangen war. Und Yank, der nach wie vor in der Garage herumtüftelte, zählte nicht. Wahrscheinlich würde er es nicht einmal merken, wenn sie es neben ihm auf einer Werkbank trieben.