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Ich bin wie vom Donner gerührt, ohne zunächst die ganze Tragweite dieses Ereignisses zu erfassen. Zahllose nebensächliche Gedanken stürzen auf mich ein, und vor allem bewegt mich die Frage, warum man es mir verschwiegen hat. Doch Zira lässt mir keine Zeit, mich darüber weiter aufzuregen.
»Ich habe es vor zwei Monaten festgestellt, als ich von der Reise zurückkam. Die Gorillas hatten nichts gemerkt. Ich habe daraufhin Cornelius telefonisch verständigt, der seinerseits ein langes Gespräch mit dem Verwaltungsdirektor führte. Sie kamen überein, dass es am besten sei, nichts verlauten zu lassen. Niemand weiß davon außer ihnen und mir. Nova ist in einem isolierten Käfig untergebracht, und ich kümmere mich um sie persönlich.«
Ich sehe in dieser Heimlichtuerei einen Verrat von Seiten Cornelius', und Ziras Verlegenheit entgeht mir nicht. Der Eindruck drängt sich mir auf, als werde da insgeheim eine Intrige angezettelt.
»Beruhige dich. Es fehlt ihr an nichts. Dafür sorge ich schon. Noch nie wurde ein trächtiges Menschenweibchen mit so viel Sorgfalt behandelt.«
Wie ein ertapptes Schulkind schlage ich vor ihrem belustigten Blick die Augen nieder. Sie bemüht sich zwar um einen ironischen Ton, doch dahinter spüre ich ihre Unsicherheit. Mein Zusammenleben mit Nova war Zira ein Dorn im Auge, seit sie über meine wahre Natur Bescheid wusste, aber ich lese aus ihrem Blick noch etwas anderes als Unwillen heraus. Offenbar ist ihre Zuneigung zu mir der tiefere Grund ihrer Unruhe. Und diese Geheimnistuerei mit Nova verheißt nichts Gutes. Möglicherweise hat mir Zira nicht die ganze Wahrheit gesagt. Möglicherweise ist der Große Rat längst informiert, und es haben auf höchster Ebene Diskussionen stattgefunden.
»Wann wird das Kind erwartet?«
»In drei oder vier Monaten.«
Auf einmal wird mir das ganze Ausmaß der Situation bewusst. Ich sehe Vaterfreuden im Reiche des Beteigeuze entgegen. Mir soll hier, auf dem Planeten Soror, ein Kind geboren werden von einer Frau, zu der ich mich physisch hingezogen fühle, für die ich manchmal Mitleid empfinde, deren Gehirn jedoch etwa so beschaffen ist wie das eines Tieres. Keinem anderen Wesen im Kosmos ist jemals etwas Ähnliches widerfahren. Am liebsten möchte ich gleichzeitig weinen und lachen.
»Ich will sie sehen, Zira!«
Sie verzieht unwillig das Gesicht. »Das habe ich mir gedacht und bereits mit Cornelius darüber gesprochen. Ich glaube, er wird es dir gestatten. Er erwartet dich in seinem Büro.«
»Cornelius ist ein Verräter!«
»Du hast kein Recht, so zu sprechen. Er ist hin und her gerissen zwischen seiner Liebe zur Wissenschaft und seiner Pflicht als Affe. Es ist doch nur natürlich, wenn ihn das bevorstehende Ereignis mit großer Besorgnis erfüllt.«
Mit wachsender Beklemmung folge ich ihr durch die Korridore des Instituts. Ich kann mir vorstellen, wie den Affengelehrten zumute ist bei dem Gedanken, es könnte eine neue Menschenrasse heranwachsen, die … In diesem Moment wird mir klar, wie sich meine Mission am ehesten durchführen lässt.
Cornelius empfängt mich freundlich, doch die frühere Ungezwungenheit will sich nicht wieder einstellen, ja zuweilen blickt er mich ziemlich entsetzt an. Ich reiße mich zusammen, um nicht sofort das Thema anzuschneiden, das mir am Herzen liegt, und erkundige mich, wie es ihm auf der Reise ergangen ist und ob es etwas Neues von den Ausgrabungen zu berichten gibt.
»Das kann man wohl sagen!«, erwidert er. »Ich habe eine Reihe unwiderlegbarer Beweise gesammelt.« Seine kleinen, intelligenten Augen leuchten. Er kann nicht anders, er muss seinen Erfolg laut verkünden. Zira hat Recht: Er ist zwischen seiner Liebe zur Wissenschaft und seiner Pflicht als Affe hin und her gerissen. Doch in diesem Moment spricht nur der Wissenschaftler aus ihm, der passionierte Gelehrte, dessen Theorien sich bewahrheitet haben. »Skelette«, sagt er. »Nicht nur eines, sondern jede Menge. Es muss sich bei dem Fundort um einen Friedhof handeln. Das sollte eigentlich ein Blinder erkennen, aber unsere Orang-Utans weigern sich natürlich, etwas anderes als einen merkwürdigen Zufall darin zu sehen.«
»Und die Skelette?«
»Es sind keine Affenskelette.«
Wir starren einander an. Seine Begeisterung lässt etwas nach, als er langsam weiterspricht. »Ich kann es Ihnen nicht verheimlichen: Es sind Menschengebeine.«
Zira ist offensichtlich bereits eingeweiht, denn sie zeigt keinerlei Überraschung. Die beiden blicken mich eindringlich an. Dann ringt sich Cornelius zu einer offenen Erörterung des Problems durch. »Für mich steht nun fest«, sagt er, »dass es auf unserem Planeten früher einmal eine Menschenrasse gegeben hat, deren geistiges Niveau etwa dem euren auf der Erde entsprochen hat, eine Rasse, die dann jedoch degeneriert und in den tierischen Urzustand zurückgesunken ist … Ich habe hier nach meiner Rückkehr andere Beweise vorgefunden, die diese These erhärten.«
»Andere Beweise?«
»Ja. Der Leiter der Enzephalischen Abteilung, ein junger Schimpanse mit großer Zukunft, hat sie entdeckt. Es stimmt nicht, dass wir Affen immer nur Nachahmer waren. In einigen Bereichen der Wissenschaft haben wir beachtliche Innovationen zustande gebracht, besonders auf dem Gebiet der experimentellen Gehirnforschung. Eines Tages werde ich Ihnen die Resultate vorlegen. Sie werden sich wundern!«
Offenbar will er sich selbst vom Genie des Affen überzeugen und wird daher unnötigerweise aggressiv, obwohl ich ihm in diesem Punkt nie widersprochen habe. Er selbst hat doch vor zwei Monaten damit angefangen, den Mangel an schöpferischem Geist unter den Affen zu beklagen. Mit pathetischer Stimme fährt er fort: »Glauben Sie mir, eines Tages werden wir die Menschen auf allen Gebieten überflügeln. Sie brauchen sich nicht einzubilden, dass wir nur aus Zufall Ihre Nachfolge angetreten haben. Es geschah ganz folgerichtig im Sinne der Evolution. Die Zeit des Homo sapiens war vorbei, ein höher stehendes Wesen musste ihn ablösen, musste sich seine Errungenschaften aneignen und sich mit ihnen während einer Periode scheinbaren Stillstands vertraut machen, um sich dann zu neuen Höhen emporschwingen zu können.«
Das ist eine interessante Art, die Entwicklung zu deuten. Ich könnte ihm antworten, dass auch bei uns von einem höher stehenden Wesen, das uns eines Tages möglicherweise ablösen wird, die Rede ist. Aber weder Gelehrte noch Philosophen oder Dichter stellen sich diesen Übermenschen in der Gestalt eines Affen vor. Ich habe allerdings keine Lust, mich darüber zu streiten, habe ich doch ganz andere Dinge im Kopf. Ich bringe die Rede auf Nova und ihren Zustand.
Cornelius geht nicht weiter darauf ein, versucht mich jedoch zu trösten. »Quälen Sie sich nicht. Alles wird seinen normalen Verlauf nehmen. Das Kind wird genauso sein wie alle anderen kleinen Sorormenschen.«
»Das will ich nicht hoffen. Ich bin sicher, dass es sprechen wird.« Unwillkürlich liegt ziemliche Entrüstung in meiner Stimme. Zira runzelt die Stirn, um mich zum Schweigen zu bringen.
»Wünschen Sie es nicht zu sehr«, meint Cornelius ernst. »Im Interesse des Kindes und in Ihrem eigenen.« Dann wird sein Ton vertraulicher. »Wenn es spräche, könnte ich Sie womöglich nicht mehr so schützen wie jetzt. Sie sind sich offenbar nicht darüber im Klaren, dass der Große Rat den Fall aufmerksam verfolgt und dass ich strikte Anweisung habe, die bevorstehende Geburt geheim zu halten. Wenn die Behörden wüssten, dass Sie informiert sind, würde man mich und auch Zira sofort entlassen, und Sie stünden wieder allein da, umgeben von …«
»Umgeben von Feinden?«
Er wendet den Blick ab. Mein Verdacht bewahrheitet sich also – man sieht in mir eine Gefahr für die Affenwelt. Dennoch freut es mich, in Cornelius einen Verbündeten, wenn nicht gar einen Freund zu haben. Zira ist offensichtlich entschiedener für mich eingetreten, als sie es mich hat merken lassen, und Cornelius wird nichts unternehmen, was ihr missfallen könnte. Er erlaubt mir, Nova zu besuchen – in aller Heimlichkeit natürlich.
Zira führt mich zu einem kleinen, isolierten Gebäude, für das nur sie einen Schlüssel besitzt. Der Raum, in den sie mich einlässt, ist nicht groß – er enthält nur drei Käfige, von denen zwei leer sind. Den dritten bewohnt Nova. Sie hat uns kommen hören und meine Gegenwart offenbar instinktiv gespürt, denn noch bevor sie mich sehen konnte, ist sie aufgestanden und hat die Arme ausgestreckt. Ich drücke ihr die Hände und reibe mein Gesicht an ihrer Wange. Zira zuckt etwas unwillig mit den Achseln, doch sie gibt mir den Schlüssel zum Käfig und geht auf den Gang hinaus, um Wache zu halten. Diese Äffin ist wirklich ein edles Geschöpf. Sie hat erkannt, dass wir einander viel zu erzählen haben, und lässt uns allein.
Viel zu erzählen? Nun ja! Ich habe wieder einmal Novas Intelligenzgrad vergessen. Ich bin in den Käfig gestürzt, habe sie in die Arme geschlossen und zu ihr gesprochen, als könnte sie mich verstehen. Ich habe zu ihr gesprochen wie etwa zu Zira. Versteht sie mich wirklich nicht? Hat sie nicht wenigstens eine dumpfe Ahnung von der Aufgabe, die wir zu erfüllen haben? Ich strecke mich neben ihr auf dem Stroh aus und streichle sie zärtlich. Durch ihren gegenwärtigen Zustand scheint sie eine ungewohnte Würde erlangt zu haben, und ihr Blick ist eindeutig beseelter geworden. Plötzlich beginnt sie angestrengt die Silben meines Namens zu stammeln, die ich sie gelehrt habe. Sie hat es also nicht vergessen! Freude überkommt mich. Doch dann werden ihre Augen wieder stumpf, wendet sie sich ab und verschlingt das Obst, das ich ihr mitgebracht habe.
Schließlich kommt Zira zurück, und wir müssen uns wieder trennen. Ich fühle mich wie zerschmettert. Zira begleitet mich in meine Wohnung, wo mir wie einem Kind die Tränen kommen.
»Ach Zira, Zira …«
Während sie mich wie eine Mutter liebkost, brechen alle aufgestauten Gedanken und Gefühle, die Nova nicht begreifen kann, aus mir hervor.