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Eine Woche später reisten wir ab. Zira begleitete uns, doch sie musste bereits nach einigen Tagen zurückkehren, um sich während Cornelius' Abwesenheit um das Institut zu kümmern. Er rechnete nämlich mit einem längeren Aufenthalt an der Ausgrabungsstätte, falls die Funde so interessant sein sollten, wie er erwartete.
Ein Sonderflugzeug wurde uns zur Verfügung gestellt, eine Düsenmaschine, die den ersten irdischen Modellen dieser Art ähnelte, aber sehr komfortabel und mit einem kleinen schalldichten Salon ausgestattet war, wo man sich unbehelligt unterhalten konnte und wo ich kurz vor dem Start mit Zira Platz nahm. Ich war glücklich über die Reise. Ich hatte mich schon ausreichend in der Affenwelt eingelebt, dass es mich weder überraschte, noch mir Angst einflößte, dieses große Flugzeug von einem Affen gesteuert zu sehen. Also genoss ich den Ausblick auf die Landschaft und das eindrucksvolle Schauspiel des aufgehenden Beteigeuze. Wir hatten eine Höhe von etwa zehntausend Metern erreicht, die Luft war einzigartig klar, und das Riesengestirn erhob sich über den Horizont wie unsere Sonne, wenn man sie durch ein Fernrohr betrachtet.
»Gibt es auch auf der Erde so herrliche Morgen?«, fragte mich Zira in diesem Moment. »Ist deine Sonne auch so schön wie die unsere?«
Ich antwortete, sie sei nicht so groß und nicht so rot, doch für unsere Bedürfnisse reiche sie aus. Stattdessen sei unser Nachtgestirn größer und strahle ein blasses, helleres Licht aus als das von Soror. Wir fühlten uns unbeschwert wie Schulkinder in den Ferien, und ich scherzte und plauderte mit Zira wie mit einer lieben Freundin. Als Cornelius sich nach einer Weile zu uns setzte, empfand ich das beinahe als Störung. Er sah abgespannt aus. Er war mir schon seit einiger Zeit nervös vorgekommen. Neben der offiziellen Institutsarbeit betrieb er auch noch Privatforschungen, die ihn in einem Grade beschäftigten, dass er zuweilen völlig geistesabwesend war. Den Gegenstand dieser Forschungen hütete er wie ein Geheimnis, und auch Zira wusste davon vermutlich genauso wenig wie ich. Mir war lediglich bekannt, dass es dabei um den Ursprung des Affen ging und der gelehrige Schimpanse dazu neigte, sich immer weiter von den klassischen Theorien zu entfernen. An jenem Morgen enthüllte er mir nun zum ersten Mal einige seiner Ansichten, und ich begriff bald, warum ich ihm als zivilisierter Mensch so wichtig war. Anfänglich nahm er einmal mehr ein Thema auf, das wir schon unzählige Male miteinander erörtert hatten.
»Ulysse, Sie haben mir doch erzählt, dass bei Ihnen auf der Erde die Affen die Tiere sind und dass der Mensch sich auf eine Zivilisationsstufe erhoben hat, die der unseren gleicht und sie in vielen Bereichen sogar … Haben Sie keine Angst mich zu kränken – vor der Wissenschaft müssen persönliche Gefühle zurückstehen.«
»Ja … in vielen Bereichen überragt sie die Ihre. Es lässt sich nicht leugnen. Einer der besten Beweise dafür ist, dass ich hier bin. Es sieht so aus, als wären Sie an einem Punkt …«
»Ich weiß, ich weiß«, unterbrach er mich müde. »Wir haben das alles schon durchgesprochen. Wir dringen eben gerade erst in jene Geheimnisse ein, die ihr schon seit einigen Jahrhunderten gelüftet habt … Doch das ist es nicht, was mich so beunruhigt«, fuhr er fort, während er nervös in dem kleinen Salon auf und ab schritt. »Mich quält schon seit langem ein Verdacht, ein auf gewisse Hinweise gestützter Verdacht, dass auch hier, auf unserem Planeten, andere Wesen vor langer Zeit den Schlüssel zu diesen Geheimnissen besaßen.«
Ich hätte ihm antworten können, dass dieser Eindruck des Wiederentdeckens auch bei so manchem Forscher auf der Erde entstanden war. Vielleicht war er universell verbreitet, vielleicht diente er als Grundlage unseres Glaubens an einen Gott. Doch ich hütete mich, ihn zu unterbrechen. Er hing einem noch unklaren Gedanken nach, dem er nur zögernd Ausdruck verlieh. »Wesen«, sagte er langsam, »die vielleicht nicht einmal …« Er brach brüsk ab und sah unglücklich aus, so als quälte ihn die Erkenntnis einer Wahrheit, die sich sein Geist weigerte zu akzeptieren. »Sie haben mir auch gesagt, dass die Affen auf der Erde einen hoch entwickelten Nachahmungstrieb besitzen?«
»Ja, sie imitieren uns in allem, was wir tun, das heißt, sie machen alles das nach, wofür kein echter Verstand erforderlich ist. Daher auch das Wort nachäffen, das bei uns ein Synonym für nachahmen ist.«
»Zira«, murmelte Cornelius niedergeschlagen, »ist es nicht dieses Nachäffen, das auch uns charakterisiert?« Und ohne Zira Gelegenheit zum Widersprechen zu geben, fuhr er lebhaft fort: »Das beginnt schon in unserer Kindheit. Unser ganzes Unterrichtssystem beruht auf Nachahmung.«
»Das sind die Orang-Utans …«
»Ja, sie tragen die Hauptverantwortung, denn sie formen die Jugend durch ihre Bücher. Sie zwingen das Affenkind, die Fehler seiner Vorfahren zu wiederholen. Das erklärt die Langsamkeit unseres Fortschritts. Seit zehntausend Jahren treten wir auf der Stelle.«
Zu dieser Langsamkeit möchte ich hier einige Bemerkungen machen, denn beim Studium der Geschichte der Affen auf Soror waren mir gewisse Unterschiede im Vergleich zum Höhenflug des menschlichen Geistes aufgefallen. Natürlich, auch wir hatten eine Periode der Stagnation durchlebt. Auch wir hatten sozusagen unsere ›Orang-Utans‹, unseren Bildungsnotstand, unsere lächerlichen Programme gehabt, und diese Periode hatte ziemlich lange gedauert. Jedoch nicht so lange wie bei den Affen, und vor allem nicht im gleichen Stadium der Entwicklung. Das finstere Zeitalter, das Cornelius so viel Kummer bereitete, hatte tatsächlich etwa zehntausend Jahre gedauert. Während dieser Ära war kein erwähnenswerter Fortschritt erzielt worden, es sei denn vielleicht im letzten halben Jahrhundert. Doch was ich besonders merkwürdig fand, war, dass die frühesten Legenden der Affen, ihre ersten Chroniken, ihre ersten Aufzeichnungen von einer bereits fortgeschrittenen Zivilisation zeugten, die sich nur geringfügig von der gegenwärtigen unterschied. Diese zehntausend Jahre alten Dokumente schilderten eine Kultur, an der sich so gut wie nichts geändert hatte. Und aus der Zeit davor gab es weder mündliche noch schriftliche Überlieferungen, nichts. Es sah also so aus, als sei die Affenzivilisation vor zehntausend Jahren wie durch ein Wunder auf einen Schlag entstanden und seither fast unverändert geblieben. Der Durchschnittsaffe nahm das so hin, ja konnte es sich gar nicht anders vorstellen, doch ein so scharfsinniger Geist wie Cornelius vermutete da ein Geheimnis. Und das ließ ihm keine Ruhe.
»Es gibt aber Affen, die zu eigener Kreativität fähig sind«, widersprach Zira.
»Gewiss«, räumte Cornelius ein. »Das trifft vor allem für die letzten Jahre zu. Mit der Zeit erzeugt die Tat aus sich heraus den Geist. Sie muss es sogar, dem natürlichen Lauf der Entwicklung gemäß … Aber was ich so leidenschaftlich suche, Zira, was ich herausfinden will, das ist, wie das alles angefangen hat… Ich halte es heute nicht mehr für ausgeschlossen, dass zu Beginn unserer Ära lediglich Nachahmung stand.«
»Nachahmung wovon?«
Er verfiel wieder in seine Zurückhaltung und schlug die Augen nieder, als bedaure er, zu viel gesagt zu haben. »Darüber bin ich mir noch nicht im Klaren«, meinte er schließlich. »Ich brauche Beweise. Vielleicht finden wir sie in den Ruinen dieser versunkenen Stadt. Den Berichten zufolge existiert sie schon mehr als zehntausend Jahre, reicht also in eine Epoche zurück, von der uns überhaupt nichts bekannt ist.«