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Von diesem Zeitpunkt an machte dank Zira meine Kenntnis der Affenwelt und der Affensprache rasch Fortschritte. Unter dem Vorwand, mich speziellen Tests zu unterziehen, kam sie mich täglich allein besuchen, um mich zu unterrichten. Sie unterwies mich in ihrer Sprache und lernte gleichzeitig meine. Ihre Auffassungsgabe war verblüffend. Nach knapp zwei Monaten waren wir so weit, dass wir uns über die unterschiedlichsten Themen unterhalten konnten. Nach und nach wurde ich über die Eigentümlichkeiten des Planeten Soror in Kenntnis gesetzt, und im Folgenden möchte ich versuchen, einen Überblick über diese fremdartige Zivilisation zu geben.
Sobald Zira und ich uns miteinander verständigen konnten, lenkte ich das Gespräch auf den Hauptgegenstand meiner Neugier. Waren die Affen die einzigen denkenden Wesen, die Krone der Schöpfung, auf diesem Planeten?
»Natürlich«, antwortete sie, »ist der Affe das einzige vernunftbegabte Geschöpf, das einzige, das eine Seele besitzt. Sogar die größten Materialisten unter unseren Wissenschaftlern erkennen die übernatürliche Beschaffenheit der Affenseele an.«
Solche und ähnliche Äußerungen ließen mich immer wieder unwillkürlich zusammenzucken. »Und was sind dann die Menschen, Zira?« Wir unterhielten uns in meiner Sprache, denn sie hatte sie, wie ich bereits erwähnte, schneller erlernt als ich die ihrige, und wie selbstverständlich duzten wir uns. Gleich zu Beginn hatte es einige Interpretationsschwierigkeiten gegeben, da die Begriffe ›Affe‹ und ›Mensch‹ bei jedem von uns andere Vorstellungen hervorriefen – doch dieses Hindernis wurde rasch beseitigt. Jedes Mal, wenn sie ›Affe‹ sagte, übersetzte ich für mich: Hochstehendes Wesen, Gipfel der Evolution. Fiel die Bezeichnung ›Mensch‹, dann wusste ich, dass sie wilde Tiere meinte, denen ein Nachahmungstrieb zu Eigen war und die einige anatomische Analogien zum Affen aufwiesen, jedoch, was die Intelligenz anbelangte, in einem Embryonalstadium verblieben waren und keinen Verstand besaßen.
»Es ist kaum ein Jahrhundert her«, trug sie in professoralem Tonfall vor, »dass wir auf dem Gebiet der Abstammungsforschung beachtliche Fortschritte erzielt haben. Früher hielt man die Arten für unveränderlich, mit ihren jetzigen Eigenschaften von einem allmächtigen Wesen erschaffen. Doch eine Reihe großer Denker – ausschließlich Schimpansen – haben uns eines Besseren belehrt. Wir wissen heute, dass die Arten sich weiterentwickeln und dass sie vermutlich alle einen gemeinsamen Ursprung haben.«
»Der Affe stammt also vom Menschen ab?«
»Manche waren dieser Ansicht, aber das stimmt nicht ganz. Affen und Menschen haben sich aus einer gemeinsamen Urform getrennt entwickelt. Erstere erhoben sich nach und nach in den Rang denkender Wesen, letztere stagnierten in ihrer Dumpfheit. Übrigens weigern sich zahlreiche Orang-Utans noch immer, diese Lehre anzuerkennen.«
»Zira, du hast gesagt, eine Reihe großer Denker, ausschließlich Schimpansen … ?« Ich berichte diese Gespräche genauso, wie sie bruchstückweise stattfanden, einschließlich der Abschweifungen, zu denen mein Wissensdurst Zira veranlasste.
»Beinahe alle großen Entdeckungen wurden von Schimpansen gemacht«, erwiderte sie stolz.
»Gibt es unter den Affen eine strenge Hierarchie?«
»Wie du wohl bemerkt hast, gibt es drei verschiedene Familien, von denen jede ihre Eigenheiten besitzt – die Schimpansen, die Gorillas und die Orang-Utans. Rassenschranken, die einmal existierten, wurden abgeschafft, daraus resultierende Streitfragen beigelegt, und zwar ebenfalls hauptsächlich auf Betreiben der Schimpansen. Heute gibt es bei uns grundsätzlich keine Rassendiskriminierung mehr.«
»Die Mehrzahl der großen Entdeckungen wurde also von Schimpansen gemacht?«, insistierte ich.
»So ist es.«
»Und die Gorillas?«
»Das sind Kraftprotze«, erklärte sie verächtlich. »Früher waren sie die Herren, und viele von ihnen haben sich noch die Lust an der Macht bewahrt. Sie organisieren und befehlen gern, sie lieben die Jagd und das Leben auf großem Fuß. Die ärmeren unter ihnen verrichten vor allem körperliche Arbeiten.«
»Wie verhält es sich dann mit den Orang-Utans?«
Zira sah mich an und lachte. »Sie verkörpern die offizielle Wissenschaft«, sagte sie. »Du hast es ja schon bemerkt und wirst es noch bei so manchen Gelegenheiten feststellen. Sie haben ein enormes Wissen. Alle gehören der Akademie an. Manche von ihnen gelten als Leuchten auf eng begrenzten Fachgebieten, die ein überdurchschnittliches Gedächtnis erfordern. Was den Rest betrifft…«
Sie winkte geringschätzig ab. Ich verfolgte das Thema nicht weiter, beabsichtigte jedoch, später darauf zurückzukommen. Auf meine Bitte hin zeichnete Zira den Stammbaum des Affen auf, wie ihn die besten Spezialisten rekonstruiert hatten. Er ähnelte im Großen und Ganzen den bei uns üblichen Darstellungen des Evolutionsprozesses. Von einem Stamm, der sich nach unten hin im Ungewissen verlor, zweigten nacheinander verschiedene Äste ab: Pflanzen, einzellige Organismen, dann Hohltiere und Stachelhäuter. Weiter oben gelangte man zu den Fischen, zu den Reptilien und schließlich zu den Säugetieren. Dann kam eine Gattung, die unseren Anthropoiden entsprach, und von da zweigte eine neue Linie ab: der Mensch. Sie war nur kurz. Der Hauptstamm hingegen stieg weiter empor zu den unterschiedlichsten Arten prähistorischer Affen mit barbarischen Namen. Schließlich endete er beim Simius sapiens, der in seinen drei Ausprägungen – Schimpanse, Gorilla, Orang-Utan – den Gipfel der Entwicklung darstellte.
»Das Gehirn des Affen«, führte Zira abschließend aus, »hat sich zu einem komplizierten Organ vervollkommnet, das Gehirn des Menschen jedoch hat keinerlei Veränderung durchgemacht.«
»Und warum hat gerade das Affengehirn sich so weit entwickelt?«
Dazu hatte zweifellos in entscheidendem Maß die Fähigkeit zu sprechen beigetragen. Aber warum sprachen die Affen, und die Menschen nicht? Darüber gingen die Ansichten der Gelehrten auseinander. Einige sahen darin das Walten einer höheren Macht, andere leiteten die geistige Überlegenheit des Affen davon ab, dass er über vier bewegliche Hände verfügte. »Höchstwahrscheinlich«, meinte Zira, »war der Mensch von Anfang an dadurch benachteiligt, dass er nur zwei Hände mit kurzen ungelenken Fingern hatte. Daher blieb er in seiner Entwicklung zurück und war unfähig, sich höheres Wissen anzueignen. Und deshalb verstand er auch nie, ein Werkzeug sinnvoll anzuwenden. Aber bitte, es kann ja sein, dass er es früher einmal unbeholfen versucht hat – man hat merkwürdige Spuren gefunden. Auch jetzt wieder befassen sich Forschungsarbeiten mit diesem Thema. Wenn du dich dafür interessierst, werde ich dich eines Tages mit Cornelius bekannt machen.«
»Cornelius?«
»Mein Verlobter«, sagte Zira errötend. »Ein großer, ein wirklicher Gelehrter.«
»Ein Schimpanse?«
»Selbstverständlich. Und ja«, gestand sie, »auch ich bin dieser Ansicht. Die Tatsache, dass wir Vierhänder sind, stellt einen der wichtigsten Faktoren unserer geistigen Entwicklung dar. Damit waren wir fähig, uns auf die Bäume zu schwingen und so alle drei Dimensionen des Raumes auszunützen. Dem Menschen dagegen, durch eine körperliche Missbildung an den Boden gefesselt, war das nie möglich. Unserer manuellen Geschicklichkeit entsprang die Lust am Konstruktiven, und auf diese Weise erlangten wir unser höheres Niveau.«
Auf der Erde hatte man häufig genau entgegengesetzte Argumente verwandt, um die Überlegenheit des Menschen zu erklären. Nach einigem Nachdenken musste ich mir jedoch eingestehen, dass auch Ziras Standpunkt einiges für sich hatte. Gern hätte ich das Gespräch fortgesetzt, zumal ich noch eine Menge Fragen auf Lager hatte, aber wir wurden von Zoram und Zanam unterbrochen, die mit dem Abendessen kamen. Verstohlen wünschte mir Zira eine gute Nacht und ging. Ich blieb in meinem Käfig zurück, mit Nova als einziger Gesellschaft.
Wir waren mit dem Essen fertig. Die Gorillas hatten sich entfernt und sämtliche Lichter gelöscht, bis auf eines, das vom Eingang her einen schwachen Schein ausstrahlte. Gedankenverloren blickte ich Nova an. Es stand fest, dass sie Zira nicht mochte und meine Gespräche mit der Schimpansin missbilligte. Anfangs hatte sie sie sogar zu stören versucht, indem sie im Käfig tobte und Zira mit Stroh bewarf. Ich hatte sie mit Gewalt beruhigen müssen. Anschließend tat es mir Leid, dass ich mich dazu hatte hinreißen lassen, doch sie schien es mir nicht nachzutragen.
Die geistige Anstrengung, die es mich gekostet hatte, um mich mit den Evolutionstheorien der Affen vertraut zu machen, hatte mich erschöpft. So war ich glücklich, als Nova im Halbdunkel meine Nähe suchte. Allmählich hatten sich zwischen uns gewisse Spielregeln der Vertraulichkeit etabliert, die auf einen Kompromiss zwischen irdischem Anstand und den Gebräuchen dieser primitiven Sorormenschen hinausliefen.