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»Ich glaube, du bist dir der Gefahren nicht ganz bewusst, die dir bei uns drohen«, begann sie.
»Mit einigen davon habe ich ja bereits Bekanntschaft gemacht. Mir scheint aber, dass, wenn ich mich zu erkennen gebe – wozu ich jederzeit bereit bin –, die Affen mich als ihnen geistig ebenbürtig anerkennen werden.«
»Siehst du, das ist ein Irrtum. Hör zu …« Wir schlenderten durch den Park. Die Alleen lagen verlassen da, und wir begegneten niemandem außer einigen Liebespaaren, die mir höchstens einen flüchtigen Blick zuwarfen. Ich hingegen beobachtete sie schamlos, da ich fest entschlossen war, mir keine Gelegenheit entgehen zu lassen, um etwas über die Sitten und Gebräuche der Affen zu erfahren. Eng umschlungen bewegten sie sich mit kleinen Schritten vorwärts. Oft blieben sie an einer Wegbiegung stehen und küssten sich. Hin und wieder klammerten sie sich an die tiefer hängenden Äste eines Baumes und schwangen sich, nachdem sie verstohlen um sich geblickt hatten, hinauf. Das taten sie, ohne sich voneinander zu trennen, mit beneidenswerter Leichtigkeit, indem sie je eine Hand und einen Fuß zu Hilfe nahmen. Dann verschwanden sie im Laubwerk.
»Hör zu«, sagte Zira. »Dein Beiboot« – ich hatte ihr bis in alle Einzelheiten berichtet, wie wir auf dem Planeten gelandet waren – »wurde entdeckt, zumindest das, was davon nach der Zerstörung übrig geblieben ist. Und nun sind unsere Forscher alarmiert. Sie haben erkannt, dass es nicht bei uns gebaut wurde.«
»Konstruiert man bei euch auch derartige Flugapparate?«
»Nicht so perfekte. Nach allem, was du mir erzählt hast, sind wir noch nicht so weit wie ihr. Wir haben aber schon künstliche Satelliten gestartet. Der letzte sogar bemannt – mit einem Menschen. Leider mussten wir den Satelliten zerstören, da wir ihn nicht zurückholen konnten.«
»Aha«, erwiderte ich nachdenklich. »Ihr verwendet also Menschen auch zu solchen Experimenten.«
»Wen denn sonst… Also, wie gesagt, dein Beiboot ist entdeckt worden.«
»Und unser Raumschiff, das seit Monaten um euren Planeten kreist?«
»Darüber habe ich nichts gehört Es scheint unseren Astronomen entgangen zu sein. Aber unterbrich mich nicht dauernd. Einige unserer Wissenschaftler sind der Ansicht, dein Beiboot stamme von einem anderen Planeten und sei bemannt gewesen. Keiner von ihnen jedoch geht so weit, sich vorzustellen, dass es intelligente Wesen in Menschengestalt geben könnte.«
»Dann muss man es ihnen eben sagen, Zira!«, rief ich. »Ich habe es satt, hier als Gefangener zu leben, und sei es in einem noch so komfortablen Käfig und unter deiner Betreuung. Warum verbirgst du mich? Warum erzählst du den anderen nicht die Wahrheit?«
Zira blieb stehen, blickte sich um und legte mir die Hand auf den Arm. »Warum? Einzig und allein zu deinem Schutz. Du kennst doch Zaius?«
»Gewiss. Ich wollte ohnehin auf ihn zu sprechen kommen. Was ist mit ihm?«
»Du hast gesehen, wie deine ersten vernünftigen Handlungen auf ihn gewirkt haben. Du ahnst nicht, wie oft ich ihn über dich auszuhorchen versuchte, mit aller Vorsicht natürlich, wie oft ich ihm einzureden versuchte, dass du vielleicht trotz allem kein wildes Tier bist.«
»Ich habe euch bei euren Diskussionen beobachtet und bemerkt, dass ihr euch nicht einigen konntet.«
»Er ist störrisch wie ein Maulesel und dumm wie ein Mensch!«, ereiferte sich Zira. »Nun, er ist eben ein Orang-Utan. Er ist zu dem Schluss gekommen, dass deine Fähigkeiten aus einem überentwickelten tierischen Instinkt resultieren, und nichts wird ihn je dazu bewegen, seine Meinung zu ändern. Und zu allem Unglück hat er bereits eine längere Abhandlung über deinen Fall veröffentlicht, in der er die These verficht, dass du ein dressierter Mensch bist, das heißt ein Mensch, dem man bestimmte Kunststücke beigebracht hat, und zwar vermutlich während einer früheren Gefangenschaft.«
»Dieser Idiot!«
»Sehr richtig. Allerdings repräsentiert er die offizielle Wissenschaft und hat großen Einfluss. Er gehört zu den Spitzen des Instituts, und alle meine Berichte gehen an ihn. Ich bin sicher, er würde mich des Verrats an der Wissenschaft bezichtigen, wenn ich die Wahrheit über deinen Fall verkünden würde, wie du es verlangst. Man würde mich entlassen. Das wäre zwar nicht so wichtig, doch wer weiß, was dir dann bevorstünde.«
»Was kann es Schlimmeres geben, als das Leben in einem Käfig?«
»Sei nicht so undankbar! Du weißt ja nicht, zu was für Tricks ich greifen musste, um dich vor der Verlegung in die Enzephalische Abteilung zu bewahren. Dies würde man aber garantiert veranlassen, wenn du weiterhin darauf bestehst, ein vernunftbegabtes Wesen zu sein.«
»Enzephalische Abteilung? Was ist das?«, fragte ich.
»Dort werden bestimmte, äußerst schwierige Operationen am Gehirn vorgenommen, zum Beispiel Gewebeverpflanzungen, Eingriffe und Änderungen an den Nervenzentren sowie partielle oder auch totale Resektionen.«
»Und alle diese Experimente werden an Menschen durchgeführt?«
»Natürlich. Das Gehirn des Menschen, wie überhaupt seine ganze Anatomie, entspricht weitgehend unserem. Es ist ein Glücksfall, dass uns die Natur Lebewesen zur Verfügung gestellt hat, an denen wir unseren eigenen Körper studieren können. Der Mensch dient uns noch zu vielen anderen Forschungszwecken, wie du bald merken wirst… Derzeit findet gerade wieder eine wichtige Versuchsreihe statt.«
»Die beachtliches Menschenmaterial erfordert?«
»Allerdings. Daher auch die Treibjagden im Dschungel, die wir veranstalten, um unseren Vorrat aufzufrischen. Um die Durchführung kümmern sich bedauerlicherweise die Gorillas, die so Gelegenheit haben, ihrer Lieblingsbeschäftigung nachzugehen, nämlich dem Schießen. Dadurch geht natürlich eine große Anzahl von Versuchsobjekten für die Wissenschaft verloren.«
»Wirklich sehr bedauerlich«, sagte ich höhnisch. »Doch was mich anbelangt…«
»Verstehst du nun, warum ich das Geheimnis bewahren muss?«
»Ich bin also dazu verdammt, den Rest meines Lebens in einem Käfig zu verbringen?«
»Wenn mein Plan gelingt, dann nicht. Doch wir dürfen erst nach reiflicher Überlegung und mit starken Trümpfen in der Hand deine wahre Herkunft enthüllen. Ich schlage dir Folgendes vor: In einem Monat findet der Jahreskongress der Biologen statt. Das ist ein bedeutendes Ereignis, an dem ein großes Publikum und Vertreter aller wichtigen Zeitungen teilnehmen. Nun ist bei uns die öffentliche Meinung ein stärkeres Element als Zaius, als alle Orang-Utans zusammen, noch stärker sogar als die Gorillas. Darin liegt deine einzige Chance. Während dieses Kongresses, vor aller Öffentlichkeit, wirst du den Schleier lüften. Zaius hat nämlich einen langen Vortrag über dich und deinen berühmten Instinkt vorbereitet und möchte dich bei dieser Gelegenheit vorführen. Das Beste ist also, wenn du selbst das Wort ergreifst und deinen Fall darlegst. Dies wird eine derartige Sensation sein, dass Zaius dich nicht am Reden hindern kann. Es liegt allein an dir, dich klar auszudrücken und nicht nur die Menge, sondern auch die Journalisten so zu überzeugen, wie du mich überzeugt hast.«
»Und falls Zaius und die Orang-Utans sich nicht umstimmen lassen?«
»Die Gorillas, die sich immer der öffentlichen Meinung beugen, werden diese Schwachköpfe schon zur Vernunft bringen. Viele sind trotz allem nicht ganz so dumm wie Zaius. Außerdem gibt es unter den Gelehrten auch einige Schimpansen, die die Akademie aufgrund ihrer sensationellen Entdeckungen aufnehmen musste. Zu diesen gehört auch Cornelius, mein Verlobter. Mit ihm – und nur mit ihm – habe ich bereits über dich gesprochen, und er hat mir zugesichert, sich für dich zu verwenden. Natürlich möchte er dich erst einmal sehen und die unglaubliche Geschichte, die ich ihm erzählt habe, selbst überprüfen. Unter anderem habe ich dich auch deshalb hierher gebracht. Ich bin mit ihm verabredet, und er müsste eigentlich schon da sein.«
Cornelius erwartete uns vor einem Dickicht riesiger Farne. Er war ein gut aussehender Schimpanse, offensichtlich älter als Zira, doch für einen Angehörigen der Akademie erstaunlich jung. Sofort fiel mir sein intelligenter und außerordentlich lebhafter Blick auf.
»Wie findest du ihn?«, fragte mich Zira leise in meiner Sprache. Daran erkannte ich, dass ich endgültig das Vertrauen der Schimpansin gewonnen hatte. Ich murmelte ein paar nette Worte, und wir traten auf ihn zu.
Die beiden Verlobten umarmten sich so, wie ich es bei den anderen Liebespaaren gesehen hatte. Er zog sie an sich, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Trotz allem, was sie ihm über mich erzählt haben mochte, war klar, dass ihm meine Anwesenheit nicht mehr bedeutete als diejenige irgendeines Haustieres. Sogar Zira vergaß mich für eine Weile. Die beiden tauschten lange Küsse aus. Dann jedoch löste sich Zira energisch aus der Umarmung und blickte verlegen zur Seite.
»Aber Liebling, wir sind doch allein«, meinte Cornelius beruhigend.
»Ich bin hier«, sagte ich würdevoll und in sorgfältig artikulierter Affensprache.
»Ha!«, schrie der Schimpanse und wich zurück.
Ich fuhr fort: »Ich bin hier. Zu meinem Bedauern sehe ich mich genötigt, Sie darauf hinzuweisen. Ihr Benehmen ist mir zwar nicht unangenehm, aber ich möchte Sie nicht in Verlegenheit bringen.«
»Da soll doch …!«, rief der gelehrte Schimpanse aus, und Zira begann zu lachen. Dann machte sie uns miteinander bekannt. »Doktor Cornelius, Mitglied der Akademie«, stellte sie vor. »Ulysse Merou, ein Bewohner des Sonnensystems, genauer gesagt des Planeten Erde.«
»Es freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen«, sagte ich. »Zira hat mir von Ihnen erzählt. Zu einer so charmanten Braut kann man Sie nur beglückwünschen.«
Ich reichte ihm die Hand, doch er zuckte zurück, als hätte sich eine Schlange vor ihm aufgerichtet. »Es ist also wahr …«, flüsterte er und sah Zira verstört an.
»Liebling, seit wann habe ich die Gewohnheit, dich anzulügen?«
Er fasste sich. Schließlich war er Wissenschaftler. Nach kurzem Zögern drückte er mir die Hand und fragte: »Wie geht es Ihnen?«
»Nicht schlecht«, erwiderte ich und entschuldigte ich mich einmal mehr für meinen Aufzug.
»Er denkt an nichts anderes«, erklärte ihm Zira lachend. »Es ist geradezu eine Obsession. Er macht sich keinen Begriff davon, wie lächerlich er angezogen wirken würde.«
»Und Sie kommen wirklich von … von …?«
»Von der Erde, einem Planeten, der um die Sonne kreist.«
Offenbar hatte er bis zu diesem Zeitpunkt Ziras Berichten kaum Glauben geschenkt und das Ganze eher für einen Scherz gehalten. Nun begann er mich mit Fragen zu bombardieren. Wir schlenderten den Weg entlang, die beiden Arm in Arm vorneweg und ich an der Kette hinterher, um bei anderen Spaziergängern, denen wir gelegentlich begegneten, kein Aufsehen zu erregen. Doch meine Antworten entfachten seine wissenschaftliche Neugierde derart, dass er oft stehen blieb, sich von seiner Verlobten löste und sich mir zuwandte, woraufhin wir heftig miteinander diskutierten und Figuren in den Sand der Allee zeichneten. Zira war darüber nicht böse – im Gegenteil schien es ihr eher Spaß zu machen.
Cornelius interessierte sich natürlich vor allem für die Entwicklung des Homo sapiens auf der Erde, und ich musste ihm unzählige Male alles wiederholen, was ich darüber wusste. Dann hing er lange seinen Gedanken nach. Schließlich sagte er mir, meine Ausführungen stellten zweifellos ein Dokument von höchster Wichtigkeit für die Wissenschaft und insbesondere für ihn selbst dar, da er gerade mit außerordentlich schwierigen Forschungsarbeiten über das Phänomen ›Affe‹ befasst war.
Für ihn sei dieses Problem nämlich keineswegs gelöst, und er sei mit den allgemein verbreiteten Theorien nicht einverstanden. Mehr allerdings war aus ihm bei dieser ersten Begegnung nicht herauszubekommen.
Auf jeden Fall stand fest, dass ich in seinen Augen ein höchst interessanter Fall war, und er alles dafür gegeben hätte, mich in seinem Laboratorium zu haben. Wir unterhielten uns dann noch über meine gegenwärtige Situation und über Zaius, dessen Dummheit und Blindheit ihm wohl bekannt waren. Er billigte Ziras Plan und erklärte sich bereit, auch seinerseits den Boden zu bereiten, indem er vor seinen Kollegen immer mal wieder auf die Rätselhaftigkeit meines Falles hinwies.
Als er sich von uns verabschiedete, reichte er mir ohne Zögern die Hand – nachdem er sich allerdings zunächst vergewissert hatte, dass niemand in Sicht war. Dann umarmte er seine Verlobte und ging. Doch er drehte sich mehrmals um, als müsste er sich überzeugen, dass ich kein Trugbild war.
»Ein reizender junger Affe«, sagte ich, als wir zum Wagen zurückkehrten.
»Und ein großer Gelehrter«, erwiderte Zira. »Ich bin sicher, dass du mit seiner Unterstützung den Kongress für dich einnehmen wirst.«
»Zira«, flüsterte ich ihr ins Ohr, nachdem ich auf der hinteren Sitzbank Platz genommen hatte, »wenn alles klappt, verdanke ich dir meine Freiheit und mein Leben.«
Ich war mir wohl bewusst, wie viel sie seit meiner Gefangennahme für mich getan hatte. Ohne sie wäre es mir nie gelungen, Kontakt mit den Affen aufzunehmen. Für Zaius wäre es ein Leichtes gewesen, mein Gehirn sezieren zu lassen, um zu beweisen, dass ich kein vernunftbegabtes Wesen bin. Dank Zira hatte ich nun Verbündete und konnte mit etwas mehr Zuversicht in die Zukunft blicken.
»Ich tue es aus Liebe zur Wissenschaft«, sagte sie errötend. »Du bist ein einzigartiger Fall, den man um jeden Preis für die Wissenschaft erhalten muss.«
Mein Herz ging über vor Dankbarkeit, und Ziras geistige Ebenbürtigkeit ließ mich ihre äußere Erscheinung vergessen. Ich legte die Hand auf ihre lange, haarige Pfote. Sie erbebte, und ihre Augen strahlten mich voll warmer Sympathie an. Wir waren beide tief bewegt und wechselten während der Rückfahrt kein Wort mehr.
Und als sich der Käfig wieder hinter mir schloss, stieß ich Nova, die mich mit kindlicher Wiedersehensfreude begrüßte, unsanft zurück.