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Als ich erwachte, graute gerade der Morgen über den Bäumen. Nova schlief noch. Ich betrachtete sie schweigend und seufzte, als mir einfiel, was sie unserem kleinen Affen angetan hatte. Außerdem trug sie wohl die Schuld an unserem Missgeschick, denn bestimmt hatte sie ihre Stammesgefährten auf uns aufmerksam gemacht. Doch wie konnte man ihr etwas verübeln, wenn man sie in ihrer ganzen Schönheit vor sich sah?
Plötzlich regte sie sich und hob den Kopf. Entsetzen flackerte in ihren Augen auf, und ich spürte, wie sich ihre Muskeln spannten. Als ich jedoch keine Bewegung machte, hellte sich ihre Miene auf. Sie erkannte mich wieder, und zum ersten Mal brachte sie es fertig, meinem Blick standzuhalten. Ich sah das als einen persönlichen Erfolg und ließ mich dazu hinreißen, sie abermals anzulächeln.
Diesmal reagierte sie nicht so heftig. Sie begann zu zittern, wollte aufspringen, blieb dann aber doch liegen. Dadurch ermutigt, verstärkte ich mein Lächeln. Sie erbebte noch einmal, beruhigte sich jedoch, und ihr Gesicht drückte nichts weiter als tiefes Erstaunen aus. War es mir etwa gelungen, sie zu zähmen? Ich ging so weit, ihr die Hand auf die Schulter zu legen. Sie erschauerte, zuckte aber nicht zurück. Meine Freude über diesen Erfolg war groß.
Außerdem bildete ich mir ein, dass sie mich nachzuahmen versuchte. Und es stimmte: Sie versuchte zu lächeln. Ich konnte mir vorstellen, welche Anstrengung es sie kostete. Sie probierte es einige Male und brachte schließlich so etwas wie eine schmerzliche Grimasse zustande. Es lag etwas Rührendes in diesem krampfhaften Bemühen eines menschlichen Wesens um etwas so Alltägliches wie ein Lächeln – und das mit so armseligem Ergebnis. Plötzlich erfüllte mich Mitleid, wie man es gegenüber einem kranken Kind verspürt. Ich verstärkte den Druck meiner Hand auf ihrer Schulter, beugte mich hinunter und hauchte einen Kuss auf ihre Lippen. Daraufhin rieb sie ihre Nase an meiner und leckte mir die Wange. Ich wusste vor Verlegenheit nicht, was ich tun sollte. Ungeschickt erwiderte ich ihre Zärtlichkeiten. Schließlich oblag es mir als Fremdem, mich den Sitten und Gebräuchen dieses Planeten anzupassen. Sie schien zufrieden zu sein. Auf diese Weise versuchten wir einander näher zu kommen, und mir war ganz beklommen zumute bei dem Gedanken, es könnte mir irgendein Fehler unterlaufen.
Plötzlich brach ein entsetzlicher Lärm los. Meine beiden Gefährten, die ich beinahe völlig vergessen hatte, schnellten ebenso verstört hoch wie ich. Nova war bereits auf den Beinen, von panischer Angst geschüttelt. Ich begriff sofort, dass dieser Heidenlärm nicht nur für uns, sondern für alle Bewohner des Waldes eine böse Überraschung darstellte, denn sie alle verließen ihre Laubnester und begannen kopflos durcheinanderzulaufen. Diesmal war es kein Spiel – ihre Schreie drückten unmissverständlich Grauen aus.
Das Geräusch, das die Stille des Waldes so jäh zerrissen hatte, ließ einem das Blut in den Adern gefrieren. Es kam mir jedoch ganz so vor, als wüssten die Waldmenschen sehr genau über seinen Ursprung und die Art der drohenden Gefahr Bescheid. Das schauerliche Getöse bestand aus einer Folge rascher, dumpfer Schläge, die wie Trommelwirbel klangen, vermischt mit einem Gerassel, als schlüge man auf Blechtöpfe ein, und begleitet von Schreien. Diese Schreie beeindruckten uns am meisten, denn obwohl sie keiner uns bekannten Sprache angehörten, waren es doch unbestreitbar menschliche Laute.
Im Licht der Morgendämmerung bot sich uns ein trostloses Bild: Männer, Frauen und Kinder rannten in alle Richtungen, drängten wild durcheinander, ja einige schwangen sich sogar in die Baumwipfel, um dort Zuflucht zu suchen. Dann trat unvermittelt Ruhe ein, und etliche, darunter ein paar ältere, spitzten die Ohren und lauschten. Das Geräusch kam ganz langsam und in breiter Front näher, und zwar von dort, wo der Wald am dichtesten war, und es erinnerte mich an den Lärm, den die Treiber bei manchen unserer großen Jagden veranstalten.
Die Alten des Stammes fassten offenbar einen Entschluss. Sie stießen eine Reihe von Kreischlauten aus, die zweifellos Signale oder Befehle darstellten, und rannten in die dem Lärm entgegengesetzte Richtung. Alle anderen liefen hinter ihnen her wie eine aufgescheuchte Herde. Nova hatte ebenfalls Anlauf genommen, doch plötzlich drehte sie sich nach uns um, vor allem nach mir, wie ich zu erkennen meinte. Sie ließ ein klagendes Stöhnen hören, das ich als Aufforderung deutete, ihr zu folgen, machte dann einen Satz und verschwand.
Der Lärm steigerte sich, und ich vermeinte das Unterholz wie unter schweren Schritten knacken zu hören. Ich muss gestehen, dass mir immer unbehaglicher zumute wurde. Mein Verstand gebot mir zwar, hier auszuharren und mich den Neuankömmlingen zu stellen, die – das wurde mit jeder Sekunde deutlicher – jene menschlichen Schreie ausstießen, doch nach allem, was wir gestern erlebt hatten, verlor ich die Nerven. Ohne zu überlegen, ohne Rücksicht auf meine Gefährten ergriff ich die Flucht und hetzte dem Mädchen nach.
Nach mehreren hundert Metern – ich hatte sie noch immer nicht eingeholt – bemerkte ich, dass nur Levain mir gefolgt war. Professor Antelle konnte die Strapaze wohl wegen seines Alters nicht mehr auf sich nehmen. Levain keuchte neben mir dahin. Beschämt über unser Verhalten, blickten wir einander an, und ich wollte ihm schon vorschlagen, umzukehren oder wenigstens auf den Professor zu warten, als andere wohlbekannte Geräusche erklangen. Diesmal war ein Irrtum ausgeschlossen. Gewehrfeuer dröhnte durch den Dschungel – erst einzelne Schüsse, dann mehrere hintereinander, ganze Salven schließlich, wie auf einer Treibjagd. Die Schüsse kamen aus jener Richtung, in die die anderen gelaufen waren. Während wir zögerten, kam das ursprüngliche Geräusch – es musste sich um die Treiber handeln – immer näher. Ich weiß nicht, warum mir die Feuerstöße weniger unheimlich, sozusagen vertrauter in den Ohren klangen als der Höllenlärm hinter mir. Instinktiv setzte ich meinen Weg fort, suchte Deckung im Gebüsch und versuchte, möglichst leise zu sein. Levain schloss sich mir an.
So gelangten wir in die Gegend, wo die Schüsse fielen. Ich warf mich zu Boden und kroch langsam weiter, auf die Kuppe eines Hügels zu, immer gefolgt von Levain. Dort hielten wir hinter ein paar Bäumen und dichtem Gestrüpp keuchend inne. Dann robbte ich vorsichtig näher, den Kopf auf den Boden gedrückt. Am Rand des Unterholzes blieb ich schließlich wie zerschlagen liegen – denn der Anblick, der sich mir bot, überstieg alle Maßstäbe meines armseligen Menschenverstandes.