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Zira hatte mir heimlich eine Taschenlampe geliehen und versorgte mich laufend mit Büchern, die ich unter dem Stroh versteckte. Ich beherrschte die Sprache der Affen jetzt in Wort und Schrift und jede Nacht verbrachte ich etliche Stunden damit, die Zivilisation dieses Planeten zu studieren. Nova hatte anfangs protestiert. So pflegte sie beim Anblick eines Buches die Zähne zu fletschen, als wittere sie darin einen gefährlichen Feind. Sobald ich jedoch den Strahl der Taschenlampe auf sie richtete, verkroch sie sich zitternd und stöhnend in eine Ecke. Seit ich dieses Gerät besaß, war ich sozusagen der Herr im Käfig, und es bedurfte keiner ›schlagenden‹ Argumente mehr um Nova in Schach zu halten. Es schien mir ganz so, als hielte sie mich für ein unheimliches Wesen, und einige Anzeichen sprachen dafür, dass die übrigen Gefangenen mich ebenso beurteilten. Mein Ansehen war beträchtlich gewachsen, und ich missbrauchte es sogar, indem ich Nova manchmal mutwillig mit dem Lichtstrahl erschreckte.

Bald war ich davon überzeugt, eine ziemlich genaue Vorstellung von der Affenwelt zu besitzen. Die Affen leben nicht nach Nationen getrennt. Der gesamte Planet wird von einem Ministerrat regiert, dessen Spitze ein Triumvirat bildet, das wiederum aus einem Gorilla, einem Orang-Utan und einem Schimpansen besteht. Neben dieser Regierung gibt es ein Parlament, das sich aus drei Kammern zusammensetzt – derjenigen der Gorillas, der Orang-Utans und der Schimpansen. Jede dieser Versammlungen wacht über die Interessen ihrer Art.

Diese Einteilung in drei Rassen ist die einzige, die es bei ihnen gibt. Sonst haben im Prinzip alle die gleichen Rechte und können jede beliebige Stellung bekleiden. Allerdings beschränkt sich, von Ausnahmen abgesehen, jede Rasse auf ihr eigenes Gebiet. So haben die Gorillas aus einer längst vergangenen Epoche, in der sie mit Gewalt herrschten, ihren Hang zur Autorität bewahrt und bilden noch heute die mächtigste Klasse. Sie halten sich von der Öffentlichkeit fern, erscheinen nur selten bei Massenveranstaltungen, und doch werden die meisten großen Unternehmen von ihnen geleitet. Eigentlich ziemlich ungebildet, verstehen sie es instinktiv, ihre wenigen Kenntnisse nutzbringend anzuwenden. Vor allem zeichnen sie sich in der Kunst aus, allgemeine Richtlinien aufzustellen und die anderen Affen zu lenken. Wenn ein Techniker irgendeine interessante Entdeckung gemacht hat, beispielsweise eine Leuchtröhre oder einen neuen Brennstoff, so ist es fast immer ein Gorilla, der die Auswertung übernimmt und der Sache zum Erfolg verhilft. Ohne wirklich intelligent zu sein, sind sie doch schlauer als die Orang-Utans und erreichen durch herrisches Auftreten, was sie wollen. So gibt es zum Beispiel in der Leitung unseres Instituts einen dem wissenschaftlichen Direktor Zaius übergeordneten Verwaltungsbeamten, einen Gorilla, den man nicht sehr oft zu Gesicht bekommt. In meinem Saal ist er nur ein einziges Mal erschienen und hat mich auf eine bestimmte Art gemustert, sodass ich mich beinahe bemüßigt gefühlt habe, Habachtstellung einzunehmen. Auch Zaius benahm sich in seiner Gegenwart zurückhaltend, und sogar Zira schien von seinem großspurigen Gehabe beeindruckt zu sein.

Gorillas, die keine leitenden Posten innehaben, sind meist in untergeordneten Stellungen beschäftigt, wo es vor allem auf Körperkraft ankommt. Zoram und Zanam zum Beispiel werden nur für gröbere Arbeiten, insbesondere zur Aufrechterhaltung der Ordnung verwendet. Außerdem betätigen sich die Gorillas als Jäger. Diese Funktion ist ihnen gewissermaßen vorbehalten. Sie fangen wilde Tiere und natürlich Menschen ein. Ich habe bereits unterstrichen, welch enormes Menschenmaterial die Experimente der Affen verschlingen. Diesen Experimenten kommt hier eine Bedeutung zu, die mich umso mehr beunruhigt, je deutlicher ich sie erkenne. Es scheint so, als widme sich ein Teil der Affenbevölkerung ausschließlich biologischen Studien – ich werde auf dieses Missverhältnis später zurückkommen. Jedenfalls erfordert die Beschaffung immer neuen Menschenmaterials eine eigene Organisation, und so ist ein ganzes Heer von Jägern, Treibern, Transportunternehmern und Händlern in diesem Gewerbe tätig, dessen leitende Stellungen immer von Gorillas bekleidet werden. Offenbar ist das Geschäft sehr einträglich, denn die Menschen werden zu sehr hohen Preisen gehandelt.

Neben oder besser gesagt unter den Gorillas – obwohl natürlich jede Art von Hierarchie anfechtbar ist – stehen die Orang-Utans und die Schimpansen. Erstere, zahlenmäßig die kleinste Gruppe, repräsentieren nach Ziras Worten die offizielle Wissenschaft. Daneben gibt es allerdings auch einige, die ihr Glück in der Politik, der Kunst und der Literatur versuchen. Und auf diesen Gebieten legen sie die gleichen Charaktereigenschaften an den Tag: Hochtrabend, eingebildet, pedantisch, ohne Originalität und kritisches Urteilsvermögen, traditionsbesessen, blind und taub gegenüber allem Neuen, auf Klischees und überlieferte Formeln fixiert, bilden sie die Grundpfeiler aller Akademien. Ihr phänomenales Gedächtnis befähigt sie, die Materie ganzer Wissensgebiete auswendig zu lernen. Anschließend schreiben sie selbst Bücher, in denen sie das Angelesene wiederkäuen, worauf sie bei ihresgleichen in der Achtung steigen. Womöglich bin ich in dieser Hinsicht etwas voreingenommen, weil Zira und ihr Verlobter, wie alle Schimpansen, die Orang-Utans gering schätzen. Ebenso verachtet werden sie allerdings von den Gorillas, die sie jedoch für ihre eigenen Ziele auszunutzen verstehen. So wird beinahe jeder Orang-Utan von einem Gorilla oder einer Gruppe von Gorillas in seinem ehrenvollen Amt gestützt und gefördert, man verschafft ihm die begehrten Titel und Orden, doch nur so lange, wie er die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt. Anderenfalls wird er durch einen Artgenossen ersetzt.

Bleiben also die Schimpansen, die offensichtlich die intellektuelle Schicht des Planeten bilden. Es ist keine Übertreibung, wenn Zira behauptet, dass alle bedeutenden Entdeckungen von ihnen gemacht wurden, höchstens eine etwas überspitzte Verallgemeinerung, denn es gibt natürlich einige Ausnahmen. Jedenfalls verfassen sie die interessantesten Bücher, und zwar auf allen möglichen Gebieten. Ein mächtiger Forscherdrang scheint ihnen eigen zu sein.

Ich habe bereits erwähnt, welche Werke die Orang-Utans fabrizieren. Das Unglück ist nur, wie Zira nicht oft genug bedauern kann, dass es sich dabei um die offiziellen Lehrbücher handelt – wodurch eine Unmenge gröbster Irrtümer in der Affenjugend Verbreitung findet.

Noch bis vor kurzem wurde in diesen Texten, wie Zira versichert, die Meinung vertreten, der Planet Soror sei der Mittelpunkt des Universums, obwohl alle durchschnittlich intelligenten Affen dies längst als falsch erkannt hatten. Diese Ansicht geht offenbar auf einen vor mehreren tausend Jahren auf Soror lebenden hochangesehenen Affen namens Haristas zurück, dessen Lehren die Orang-Utans seit jeher verfechten. Und Zaius' Haltung mir gegenüber erscheint mir begreiflicher, seit ich weiß, dass jener Haristas erklärt hatte, nur Affen besäßen eine Seele. Den Schimpansen ist glücklicherweise ein weitaus kritischerer Geist zu eigen, und neuerdings sind sie offenbar äußerst bestrebt, mit den überholten Theorien der alten Schule aufzuräumen.

Die Gorillas hingegen schreiben nur selten Bücher, und wenn sie es tun, sticht vor allem ihre Darstellungsweise und ihre Sachkenntnis hervor. Ich habe einige dieser Bücher flüchtig durchgelesen mit Titeln wie: ›Über die Notwendigkeit einer fest gefügten Organisation auf Basis der Forschung‹, oder ›Die Organisation der großen Menschenjagden auf dem grünen Kontinent‹. Dabei handelt es sich immer um Fachbücher, mit grafischen Darstellungen, Tabellen und häufig auch hübschen Fotografien ausgestattet. Jedes Kapitel wird von einem Experten auf dem jeweiligen Fachgebiet verfasst.

Man sollte meinen, dass die politische Einheit des Planeten und das Fehlen von Krieg und Militär – es gibt keine Armee, sondern nur eine Polizei – den raschen Fortschritt der Affen auf allen Gebieten begünstigen. Das ist jedoch nicht der Fall. Zwar dürfte Soror um einiges älter sein als die Erde, doch in vielerlei Hinsicht ist man hier noch nicht so weit wie bei uns. So gibt es zwar Elektrizität, Industrien, Autos und Flugzeuge, aber was die Eroberung des Weltraums betrifft, ist man erst bei künstlichen Satelliten angelangt. Auch im Bereich der reinen Naturwissenschaft halte ich ihre Kenntnis des Makro- wie des Mikrokosmos für geringer als die unsere. Dieser Rückstand beruht womöglich nur auf einem Zufall, und ich bezweifle überhaupt nicht, dass sie uns eines Tages einholen werden, insbesondere wenn man ihre Geschicklichkeit bedenkt und den Forschergeist, der etwa die Schimpansen erfüllt. Doch man gewinnt unwillkürlich den Eindruck, dass sie eine für unsere Begriffe ungewöhnlich lange Periode der Stagnation durchgemacht haben, die erst seit wenigen Jahren einer Ära beträchtlicher Errungenschaften gewichen ist.

Der eben erwähnte Forschergeist konzentriert sich in erster Linie auf die Biologie, insbesondere auf das Studium des Affen, wobei der Mensch als Versuchsobjekt dient. Ich habe eine Abhandlung gelesen, in der der Nachweis geführt wird, dass es auf Soror mehr Menschen als Affen gibt. Allerdings wächst die Zahl der letzteren ständig an, wogegen der menschliche Bevölkerungsanteil sinkt – was einige Wissenschaftler bereits um den künftigen Nachschub für ihre Laboratorien bangen lässt.

All dies erklärt allerdings noch nicht das Geheimnis der Vorrangstellung des Affen in entwicklungsgeschichtlicher Hinsicht. Doch womöglich gibt es da gar kein Geheimnis, vielleicht ist ihre Vorrangstellung ebenso natürlich zustande gekommen wie die unsrige auf der Erde. Ich weigere mich jedoch, diese Theorie anzuerkennen, und ich weiß jetzt, dass auch etliche einheimische Gelehrte die Frage des Aufstiegs der Affen für noch lange nicht beantwortet erachten. Zu dieser Schule gehört Cornelius, und ich glaube, dass einige der klügsten Köpfe seine Ansicht teilen. Sie wissen nicht, woher sie kommen, wer sie sind und wohin sie gehen – und vermutlich leiden sie darunter. Vielleicht ist so ihr Übereifer bei den biologischen Forschungen und die Ausrichtung jeglicher wissenschaftlichen Tätigkeit auf diesen einen Punkt nachvollziehbar.

Derartige Überlegungen beschäftigten mich nächtelang.