Kapitel 25

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Wenn mir jemand einen Tritt ins Gesicht gegeben hätte, wäre es wahrscheinlich ein angenehmeres Aufwachen gewesen, als das hier. Ich stöhnte und bewegte meine Lippen. Blut quoll aus den Mundwinkeln und ich spürte kalten Boden unter mir. Moment mal. Jemand hatte mir einen Tritt ins Gesicht gegeben! Ich schrie und der Schmerz fügte meinem Schrei eine durchdringende Note bei.

»Willkommen zurück in der Welt der Lebenden«, gurgelte etwas, was vielleicht einmal eine Stimme gewesen war. Sie erklang nah an meinem Ohr. Ich öffnete die Augen und blickte direkt in zwei weiße Pupillen. »Elandros?!«

Der Vampir lächelte, aber etwas in dem Lächeln ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Ich wich zurück.

Der Herr des Leids richtete sich auf und wandte sich ab. Ich erkannte zu seinen Füssen die Umrisse von Feng, er rang nach Atem. Aber zumindest war er am Leben. »Feng!«

Ich sprang auf, stolperte und fiel direkt neben dem Drachen zu Boden. Meine Knie waren weich und meine Beine wollten mir nicht gehorchen. Der Sturz schlug mir die Knie und Handflächen auf. Ich beachtete es nicht.

Feng keuchte leise. Er lag auf dem Rücken und ich fuhr über seine Stirn. »Feline?«

Mir lag eine Antwort auf der Zunge, aber ich sagte nichts, sondern sah auf. Elandros hatte uns beobachtet. Ich wusste nicht wieso, aber noch immer machte er mir Angst. Etwas an ihm hatte sich verändert.

Er kniete sich zu Feng und mir. Seine langen weißen Finger streckten sich mir entgegen. Ich murmelte ein »Nein«. Da ich seine Hand nicht ergriff, packte er meinen Arm und riss mich auf die Füße. Das plötzliche Aufstehen ließ mich schwindeln und ich versuchte, nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

Ohne ein Wort zu sagen, zerrte Elandros mich weiter zu einer Seite des Raumes. Sie wurde im Gegensatz zum Rest der Kammer hell angestrahlt. Zwei Personen standen davor. Ich kniff für einen Augenblick die Augen zusammen, um sie besser sehen zu können. Eine davon kannte ich. »Samhiel!«

Der Engel hing an etwas Flügelähnlichem an der Wand. Der Kopf baumelte kraftlos nach vorn und seine langen Haare verdeckten sein Gesicht. Ich erkannte ihn nur an den Tätowierungen auf seinem Körper. Vielleicht täuschte ich mich auch, denn auf mein Rufen hin reagierte er nicht. Das, oder er konnte mich nicht mehr hören.

Die zweite Person löste sich und kam näher. Sie war hochgewachsen und deutete ein Kopfnicken an, als sie vor mir stand. »Wir hatten noch nicht persönlich das Vergnügen. Mein Name ist Jean Roumond.«

Ich starrte den Mann an. Den Mann, den ich so verbissen gesucht hatte. Mit einem Ruck wollte ich mich losreißen, aber Elandros hielt mich unerbittlich fest. »Wir werden uns später zusammen setzen und plauschen können«, raunte er und ich spürte Übelkeit in mir aufsteigen. Das war das Gurgeln, das ich bei meinem Aufwachen gehört hatte. Mit Elandros Stimme die ich kannte, hatte das nichts mehr zu tun. Was war geschehen?

»Und was soll vorher passieren?«, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und hielt meinen Blick weiter auf Roumond. Hass. Hass war gut; besser als Angst.

»Ich dachte, das wäre dir bereits klar?«

Jetzt sah ich doch auf und wünschte, ich hätte es nicht getan. Elandros grinste breit und offenbarte damit wesentlich mehr scharfe Zähne, als ich sie bisher bei einem Vampir hatte sehen dürfen.

Mein Blick wanderte von Elandros zu Samhiel. »Du bist der Dämon«, hauchte ich entsetzt, als ich verstand.

Feng in der anderen Ecke des Zimmers keuchte leise. Ich wusste nicht ob aus körperlichem Schmerz oder wegen meiner laut ausgesprochenen Erkenntnis. Elandros wandte den Kopf in seine Richtung. »Oh, ich denke, ihr beiden überschätzt euren geliebten Vampirfreund etwas«, sagte er. »Elandros hat die Ehre, mein Gefäß sein zu dürfen.«

»Seit wann?«, fragte Feng nur.

Der Klang seiner Stimme erschreckte mich. Ich konnte seine Umrisse sehen. Die mächtigen Schultern waren gesenkt. Aber die Augen des Drachen blitzen im Dämmerlicht auf.

»Soll ich dich raten lassen?«, fragte der Dämon mit deutlichem Amüsement. »Damit du selbst siehst, wie lange du mir schon blind gefolgt bist?«

»Ich bin dir niemals blind gefolgt!«, rief Feng aufgebracht.

»Rate, Drache. Komm schon, rate.«

Fengs Schultern sackten weiter nach unten.

»Lass ihn in Ruhe. Es tut nichts zur Sache«, sagte ich und war selbst erstaunt über den ruhigen und entschiedenen Klang in meiner Stimme.

Elandros Aufmerksamkeit wandte sich mir zu. »Ja, vielleicht hast du Recht – es tut nichts zur Sache.« Er beugte sich näher zu mir und ich hielt den Atem an. »Wir haben andere Dinge, auf die wir uns konzentrieren müssen.«

Er schob mich vorwärts in den Lichtkegel. Mit der einen Hand hielt er mich fest, mit der anderen packte er Samhiels dichten Haarschopf und riss dessen Kopf hoch. Der Engel war ohnmächtig. Als Elandros seinen Kopf gegen die Wand schlug, erwachte er und sah mich verwirrt an.

»Unser Geflügelfreund weigert sich mir zu verraten, wie ich das Wort aus dir herausbekomme«, sagte Elandros in einschmeichelndem Ton. Ich keuchte vor Schreck. Die widerliche Stimme war einem sanften, einschmeichelnden Tonfall gewichen, der mich gegen meinen Willen gefangen nahm. Dagegen verblasste selbst Kays Fey-Gestalt.

»Aber du weißt es sicherlich, nicht wahr, Feline?«

»Selbst wenn – was soll mir das dann nützen?«, zischte ich.

»Deine Freunde würden nicht sterben. Das würde dir sicherlich nützen«, lachte Elandros leise. Bei dem Geräusch biss ich die Zähne zusammen.

»Was soll das bringen?«, fauchte ich. »Sobald du das Wort hast, sind wir ohnehin alle tot.«

Elandros drückte mich zufrieden grinsend an sich. »Deine Unschuld macht mir Spaß. Wundervoll!«

Er lachte wieder. Sein Mund näherte sich meinem Hals, berührte ihn aber nicht. Gänsehaut und Ekel krochen über meine Arme. Elandros Mund, sein Atem, berührte mich weiter, glitt höher zu meinen runden Ohren.

»Ich will nichts weiter, als es besser machen. Die Fehler ausmerzen, die IHM in seiner langen Schöpfung entstanden sind.«

»Das ist anmaßend«, murmelte ich, meine Abscheu mühsam unterdrückend. Hätte ich es nicht getan, wäre ich wahnsinnig geworden, in der Nähe dieses Monsters.

»In keinem Fall. Was meinst du, warum ER und der Herr der Hölle verschwunden sind? Warum sich unsere lieben Hühnerfreunde da oben derart die Köpfe zerbrechen, ebenso wie jeder einzelne Dämon in allen Kreisen der Hölle?«

Ich brachte es über mich, den Kopf zu schütteln.

»Weil sie sich ihres Erbes nicht bewusst sind. Die Macht liegt nun bei uns. Wir müssen sie nur nutzen. Aber außer mir und Samhiel…«, Elandros umfasste mein Kinn und drückte meinen Kopf gewaltsam in Richtung Samhiel, der mit grimmiger Miene den Vampir fixierte, »… hat es keiner begriffen. Und selbst er hatte nichts Besseres zu tun, als das Wort in diese Welt zu bringen. Er hat es in seinen Händen gehalten – und dann dir geschenkt.«

»Er hat mir nichts geschenkt.« Ich spie das letzte Wort aus. »Ich war nichts weiter als ein Versteck für ihn. Er hat mich benutzt wie meine Mutter! Ich habe das Wort nicht, ich muss es mit mir herumtragen.«

Das schien Elandros für einen Moment ins Taumeln zu bringen. Von Samhiel war kein Protest zu hören. Der Engel schwieg.

Elandros fing sich wieder. »Vielleicht umso besser für mich. Wenn du es nicht willst…«

»Lass mich los!«

Elandros weiße Augen sahen mich an. »Was?«

»Ich führe ungern Verkaufsgespräche, wenn ich das Gefühl habe, dass man mir den Arm bricht. Lass mich los und wir verhandeln in Ruhe.«

Der Griff um meinen Arm lockerte sich tatsächlich. Die Stelle fühlte sich kalt und taub an. Abwesend massierte ich mir mit der anderen Hand darüber. »Einen Konferenztisch werde ich wohl nicht bekommen«, murmelte ich. Ein lahmer Scherz. »Dafür aber vielleicht etwas Intimsphäre. Ich möchte das gerne mit dir allein besprechen, nur mit Samhiel als Zeugen. Er soll sich in Ruhe anschauen, was er mir da gegeben hat.« Die Lüge ging mir leicht über die Lippen – ich konnte das Wort nicht diesem Scheusal überlassen. Und wenn ich dafür bis zum Äussersten gehen musste.

Der Engel stemmte sich gegen seine Flügel. Ich sah sie jetzt zum ersten Mal ganz. Groß, weiß und ein wenig zerrissen, weil sie irgendwie an der Wand fixiert waren. Tatsächlich, flüsterte etwas in mir träumerisch, als ich sah, wie Wut und Fassungslosigkeit sein schönes Gesicht verzerrten. Tatsächlich sechs Flügel.

»Das kannst du nicht tun!«, schrie er mir entgegen.

Ich hob die Braue. »Kann ich nicht?«, fragte ich, an Elandros gewandt. Mein dämonischer Begleiter lächelte nur wissend.

»So wie es aussieht, kannst du tun, was immer du willst«, erwiderte er amüsiert und betrachtete Samhiels Wutausbruch, als sei er ein exotisches Tier im Zoo.

Dann winkte er Roumond zu. Ich sah ihn aus den Augenwinkeln an Fengs Fesseln hantieren; kurz darauf war der Drache frei und stand. Seine Konturen bewegten sich, waberten, aber ich hob die Hand. »Geh raus. Mit Roumond. Warte dort auf mich.«

»Feline, du kannst nicht…«

»Mir sagen seit drei Tagen alle möglichen Leute, was ich kann, oder nicht kann!«, schnitt ich ihm scharf das Wort ab. »Jetzt entscheide ich, was davon stimmt. Nicht du!«

Feng grollte hörbar, aber ich ignorierte es ab. Mein Blick blieb auf Samhiel haften. Er versuchte noch immer, sich zu befreien.

Eine Tür wurde geöffnete, Schritte waren auf dem Beton zu hören. Dann das Knallen der gleichen Tür. Wir waren allein. Jetzt konnte es beginnen.

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Kay stürmte durch die Tür des Bordells. Es war leer. Weder Türsteher, noch Gäste oder Bluthuren waren anwesend. Er durchsuchte die einzelnen Zimmer, fand aber keine lebende oder tote Seele vor.

Der Fey lief weiter, bis zu Elandros Büroräumen. Auch hier war niemand. Er wollte sich gerade umdrehen, als etwas klickte und sich eine Tarnwand zur Seite schob. Eine Person kam durch den schmalen Spalt dazwischen. Kay reagierte sofort – er brachte die kurze Entfernung hinter sich, holte aus und schlug Roumond mit der Faust auf die Nase. Sie brach mit hörbarem Knacken und der Vampir taumelte ohnmächtig nach hinten. Fengs Hände fingen ihn auf.

»Schade, ich hätte ihm gerne selbst das Nasenbein zertrümmert«, erwiderte er sichtlich enttäuscht, aber der Spott in seiner Stimme klang hohl.

»Was machst du hier?« Kay hatte Probleme damit, die Situation einzuordnen. Er hatte damit gerechnet Roumond oder Feng hier vorzufinden, allerdings hatte er sich seinen Partner dabei nicht als frei umherlaufenden Gefangenen vorgestellt.

»Meine Freiheit genießen.« Feng hatte Roumonds schlaffen Körper hochgenommen und legte ihn auf die Liege in Elandros Büroraum. Roumond sah in Fengs Armen schmächtig aus.

»Was ist passiert? Wo ist Feline?«

Feng richtete sich wieder auf. »Sie ist unten.« Die Stimme war ein tiefes Grollen. »Mit Elandros und verhandelt über etwas, was ich nicht verstanden habe.«

Kay fuhr sich über das Gesicht. »Was ist mit Elandros?«

»Er ist besessen.« Roumond kam wieder zu Bewusstsein und er setzte sich mühsam auf. Weder Feng noch Kay halfen ihm dabei. »Er ist besessen von einem Dämon, der mich verfolgt.«

»Und was will er von Feline?« Kays Augen wurden zu Schlitzen.

»Das Wort, das am Anfang steht. Das Wort Gottes.«

Fengs Knurren wurde tiefer. »Das war es also. Deswegen hat sie sich so verändert.«

Kay nickte. »Wahrscheinlich. Aber… was kann ein Dämon damit wollen?«

Roumond nahm einige Blätter Papier von Elandros Schreibtisch und wischte sich durchs Gesicht. Das dickflüssige Blut verteilte sich weiter auf seinem Gesicht. Er warf die verklebten Blätter nach dem vergeblichen Versuch sich zu säubern in die Ecke. »Er will diese Welt neu schaffen. Nach seinen Wünschen. Keine gefallenen Engel mehr und Menschen als Diener…«

Kay und Feng tauschten einen Blick aus. Fey gehörten zwar in ein anderes Reich als Menschen, aber sie konnten in deren Welt wandeln – weil sie es so wollten. Auch Grenzgänger konnten hier nur existieren, weil Menschen sie mit ihrem freien Willen einließen. Wenn sie keinen freien Willen mehr hatten, würde es zwar nicht den Tod eines der beiden Völker bedeuten. Aber das Einbüßen von Macht und ihre Freiheit. Das Reich der Fey und die Wege der Grenzgänger würden sich für immer verändern und das nicht zum Positiven hin.

»Warum tut Feline so etwas?«, brummte Feng als Erster. Kay presste nur die Lippen aufeinander.

»Warte hier bei Roumond«, sagte er dann und lief, ohne eine Antwort abzuwarten, an seinem Partner vorbei. Hinter der Tarnwand war eine schmale Stahltreppe zu sehen. Kay lief sie hinunter und entfernte sich immer weiter vom Licht des Büroraums. Aber es reichte, denn am Fuß der Treppe konnte er eine Tür erkenne. Ihre schwarze Plastikklinke ragte aus dem grauen Stahl hervor. Noch auf der letzten Stufe griff er danach und prallte zurück, als plötzlich gleißendes Licht unter der Türritze hervorquoll und den Treppenschacht mit strahlender Helligkeit füllte. Geblendet schloss Kay die Augen.

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